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Hans Christiansen und sein Haus

Dieser Aufsatz bildet einen Bestandteil des reich illustrierten Prachtwerkes »Ein Dokument deutscher Kunst«; er wurde mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers und Verlegers Alexander Koch in Darmstadt hier aufgenommen.

Hans Christiansen gehört zu den Künstlern, die in unerschöpflichem Drang und mit grosser Unbekümmertheit in Fülle schaffen und hervorbringen, Gutes und Geringes, wie es die Stunde gibt, und die neben der Liebe und Begeisterung auch viel strenge Urteile über sich ergehen lassen müssen.

Christiansens Bedeutung liegt in der Farbe. Wie hoch oder wie niedrig man die Gesamtsumme seiner Wirkungen veranschlagen mag, eins muss ihm unbestritten bleiben: er war den Deutschen auf seinem speziellen Gebiet ein grosser Farbensinn-Erwecker. In diesem beschränkten Sinn könnte man ihn den Böcklin der Dekoration nennen.

Und damit wäre eher zu wenig als zu viel gesagt. Denn Christiansen hat, um dies gleich vorweg zu nehmen, in der Malerei Werke aufzuweisen, landschaftliche und symbolische Bilder, die zwar, wie alles was er schafft, von hohem dekorativem Wert sind, aber durch ihren ebenso hohen Stimmungs- und Ideengehalt in eine andere Ordnung gehören als die rein dekorative Kunst. Dass er der schönen Farbe den Vorzug gibt vor der »wahren« und dass er gern aus den dumpfen und gebrochenen Naturtönenden ungebrochenen helltönenden Klang abstrahiert, hindert ihn nicht, den Charakter einer Landschaft in seiner Sprache treu und unverkennbar auszudrücken. Ja seine Vereinfachung und hochgesteigerte Idealisierung der Farbe befähigt ihn erst recht, die besondere Seele und Poesie der Landschaft in sein Bild zu bringen. Selbst in einigen Bildnisköpfen, deren ich mich erinnere, leidet die Charakteristik nicht unter der schmuckhaften Farbigkeit des Ganzen.

Aber nichtsdestoweniger ist Christiansen vor allem dekorativer Künstler. Als solcher hat er, in gewissem Sinn, epochemachend gewirkt. Die Hirth'sche »Jugend« bot einmal auf kurze Zeit dem ganzen künstlerischen Schaffen Deutschlands mächtige Anregungen. Die ganze strebende Jugend begeisterte sich an ihr. Mit Erstaunen sah sie, – sie hatte das längst nicht mehr gewusst – dass man ein Farbenkünstler sein kann, auch ohne dass man Oelfarben auf Leinwände bringt; und dass sich mit unendlich einfachen Mitteln und bei der grössten äusserlichen Anspruchslosigkeit, bedeutende künstlerische Wirkungen erzielen lassen. Das lehrten durch ihre Beiträge besonders Otto Eckmann und Hans Christiansen.

Damals eroberte sich Christiansen mit einem Schlag die Herzen der poetischen Jugend. Ein neuer Beitrag von ihm erweckte immer einen Jubel in diesen Kreisen. Ein Jubel selber war das, was er brachte. Seine Sachen waren aus Paris datirt, aber sie verrieten mehr deutsches Naturgefühl als andere. Sie waren vor allem weniger, als die Eckmanns, von japanischem Einfluss berührt. Und eine grosse Naivität sprach sich in ihnen aus. Aber nur wenige vermochten das damals herauszufühlen. Man hielt den Künstler lieber für raffiniert. Man übersah, dass gewisse Pariser Accente, die ihn in der Seinestadt angeflogen waren, den Kern seines Wesens nicht berührten, und dass seine entzückenden Wirkungen in Farbenakkorden ein durchaus naives und ursprüngliches Naturgefühl verkündeten.

Gewiss, er hatte von den Pariser Plakatkünstlern gelernt. Seine eigenen Hervorbringungen dieser und ähnlicher Art bezeugten dies offen. Aber in seinen ich möchte sagen zweckloseren Gebilden, in seinen dekorativ stilisierten Landschafts- und Blumen-Motiven stand er durchaus auf eigenen Füssen. Eher dass ihm hier altdeutsche Bauernkunst gelegentlich über die Schultern guckte. Christiansen würde vielleicht auch ein anderer geworden sein, wenn er durch die naturalistisch-impressionistische Malerei in Oeltechnik hindurchgegangen wäre. Aber sein Ausgangspunkt war schon die simple Dekorationsmalerei; so war sein Weg gerader und kürzer als der vieler anderer.

Zwei Bedürfnisse seiner Seele bedingen den Charakter seiner Schöpfungen: sein starkes dekoratives Farbengefühl und seine echt germanische Liebe für die Schönheit und Fülle der lebendigen Naturformen, die ihn in einen wahren Rausch des Entzückens versetzen. Diese beiden Fähigkeiten treten gleich stark hervor in all seinem Schaffen und halten sich in schönem Gleichgewicht, während die Linie als solche wenig mitspricht.

Eigentlich drückt er alles mit Farbe aus. Die Linie ist dabei nur ein schwacher Accent. Die Farbe ist seine natürliche Sprache. Und wenn ich vorhin vom schönen Gleichgewicht sprach: sein starkes Gefühl für die dekorative und symbolisierende Kraft der Farbe an sich giebt ihm gegenüber der Natur die nötige Freiheit in der Vereinfachung und in der Auswahl; sein kindliches Entzücken an den natürlichen Formen dagegen bewahrt ihn davor, in der Vereinfachung und Stilisierung zu weit zu gehen, sich von der lebendigen Natur zu sehr zu entfernen, sich weiter zu entfernen, als es unserem deutschen Naturgefühl entspricht.

Dass Christiansen diese Grenze auch in seinen vollkommenst-dekorativen Werken nicht überschreitet, ist zugleich seine persönliche und seine spezifisch deutsche Künstlerartung. Er verwendet die Farbe nicht abstrakt wie dies heut viele mit der Linie thun und verlangen. Seine Farbe hat Melodie, und diese ist in der Natur gefunden. Farbenfreudigkeit und Naturfreudigkeit sind bei ihm eins. Seine Blumenornamente wirken manchmal wie lebendig gewordene uralte Erinnerungen unsers Volkes. Er ist vielleicht nicht sehr sicher in seinem Geschmack, und an's Rohe mag er manchmal anklingen; einen delikateren Geschmack mag er manchmal verletzen, Böcklin auch verletzt die Franzosen: aber das sind vielleicht Mängel die der Deutsche überhaupt nie ganz überwindet und die wir auch gar nicht ungern in Kauf nehmen, wenn sie in Begleitung einer starken schöpferischen Phantasie auftreten. Ich musste, wie ich schon einmal sagte, Christiansen lieben von seinem ersten Werk an, das mir zu Gesicht kam. Und wenn ich dann gelegentlich auch einmal den Kopf schütteln mochte über allzugrosse Unsicherheit im Geschmack, im Ganzen ist ihm meine Liebe treu geblieben.

* * *

Christiansen, als der Erstberufene, hat auf der Mathildenhöhe in Darmstadt auch an erster Stelle, dem Mittelpunkt der Kolonie zunächst, sein Haus aufgerichtet. Er that es nicht nur an erster Stelle, er hat sich auch, vor allen andern, zuerst dazu entschlossen, was mir nicht unwichtig zu betonen scheint.

Indem ich nun von diesem Hause rede, will ich zum Voraus bemerken, dass die Architektur desselben, als eine Schöpfung Olbrichs, nur gelegentlich gestreift und eingehend nur von dem die Rede sein soll, was an dem Hause ganz direkt Christiansens Werk und der unmittelbare Ausdruck seiner Persönlichkeit ist. Dass das Problem der Farbigkeit uns dabei in hohem Masse beschäftigen wird, steht, nach allem bereits Gesagten, zu erwarten.

Gleich beim ersten äussern Anblick drängt sich dieses Problem auf. Das Haus nennt sich »Villa in Rosen«. Es wirkt selber wie ein Rosenstrauss, wie eine ungeheuere Blütengarbe. Es hat nicht umsonst von allen den höchsten Platz, es wirkt wie die Melodie zu den übrigen, die als dazugehörige Harmonie tiefer sind in Lage und Stimmung.

Und eine heitere Melodie ist es. Etwas Frohlockendes liegt darin. Und etwas Kindlichnaives. Mit einem halb erstaunten, halb entzückten »ah« halten die Besucher vor ihm an. Bei Einigen liegt auch etwas wie ein leiser Schreck in diesem »ah!«. So etwas hatten sie doch nicht erwartet. Wer freilich Christiansen schon kannte aus seinen Werken, und sei es auch nur von seinen »Jugend«-Beiträgen her, wird sich nicht verblüffen lassen. Er erkennt ihn hier wieder. Das kann nur sein Haus und kein anderes sein. Kein Zweifel, was sich die Kolonie vorgesetzt hat, nämlich individuell zu bauen, so, dass das Haus die menschliche und künstlerische Eigenart seines Bewohners ausspreche: hier ist's gethan. Man könnte sogar sagen, es sei in etwas aufdringlicher Weise gethan. Und mit allzu äusserlichen Mitteln. Aber freilich handelt es sich ja auch um Aussenseite.

Und jedenfalls bildet die malerische Flächenverteilung und Farbigkeit dieses Hauses, ebenso wie seine kubische Geschlossenheit, einen interessanten Gegensatz zur breiten und ruhigen Horizontalbildung des Künstlerhauses, von dessen weisen breiten Flächen es sich abhebt wie eine bunte Stickerei von ihrer Folie, wie eine Riesenblume von einer noch riesigeren Mauer.

Aber ist es nicht bedenklich, dass einem als Bild für ein Haus immer wieder die Blume in den Mund kommt? Ich weiss es nicht. Ich weiss aber, dass ich dieses Haus, wenn es von Grün umrankt, von Blumen in Fülle umleuchtet und von Sommersonne umglänzt ist, als schöne Harmonie empfinden kann. Aber im November, zwischen nassen nebeltriefenden kahlen Aesten? Und im Schnee des Winters? Da müsste es einem vielleicht ein wenig Leid thun!

Doch hat man kaum den Satz ausgesprochen, so fällt einem ein, dass der blumige Süden die Architekturflächen gern schneeweiss hält und dass das tieffarbige Ornament eine Liebhaberei des Nordens ist. Die tiefen warmen Farben sollen einen warmen Eindruck machen. Es ist nordischer Geschmack, der in der »Villa in Rosen« zum Ausdruck kommt.

Was die romanischen Südländer unter nordischer Barbarei in der Kunst verstehen, ist uns nicht immer ganz klar; aber vielleicht würden sie vor diesem Christiansen'schen Erker einen Hauch davon verspüren. Die tiefsinnige Symbolik der Gestalten – deren Fleischton viel zu rot ausgefallen ist – möchte sie in ihrem Verdacht noch bestärken, ebenso wie die klotzigen Säulen, die trotz aller Glasmosaik nicht eigentlich prächtig wirken, und die sich in ihrer unorganischen schlechten Eingliederung fast unbeholfen, die sich, mit einem Wort, ungeheuer nordisch ausnehmen. Aber ein Dokument deutscher Kunst d. h. nordischer Kunst will es ja eben sein.

Wer das Christiansen'sche Haus erst aus Abbildungen kennen lernt, wird sich über meine Betonung der Farbigkeit wundern. Denn er sieht alle grossen Flächen daran weiss und unbemalt. An den wenigen farbigen Teilen, dem Erker, der Dachlaube und dem Dach selber, ist Christiansen dafür um so tiefer in die Farbe gegangen. Doch mag es nicht an ihm gelegen haben, dass das Dach etwas allzu giftig grün ausgefallen ist. Künstlerische Ideen kommen nicht immer so aus der Fabrik, wie sie hineingegangen sind. Besonders hat die grosse Eiligkeit der Sache gerade in der Kolonie viel Schaden gestiftet. Während ich dies schreibe, wird mir gegenüber, gerade vor meinen Augen, die Mannheimer Festhalle, von Bruno Schmitz, gedeckt. Das sind auch grüne Ziegel. Sie sind jedoch von einem rostartigen Braun wie geflammt und wirken wunderbar ruhig. So hätte ich sie dem Christiansen'schen Hause gewünscht. Wäre aber eine Mischfarbe in seinem Charakter gewesen?

Das Ornament des Erkers ist, wie schon angedeutet, nicht gemalt, sondern ist Glasmosaik. Auch hier wird man dem Künstler gern glauben, dass der allzu rote Fleischton der Figuren gegen seine Absicht so herausgekommen ist. Hergestellt ist diese Mosaik von der Mosaikfabrik. Wilh. Schmitz in Rüttenscheid bei Essen, das Opalescentglas dazu lieferte die Glasfabrik Ferd. v. Poschinger zu Buchenau in Bayern.

* * *

Wir wenden uns zum Eingang. Unter einem seitlichen Vorbau, von hohem Bogenausschnitt seitlich erhellt, führt, an die Wand angelegt, die Treppe zum Haupteingang und mündet zunächst auf einen dreiseitig umwandeten Vorplatz. Diese Lösung ist, architektonisch betrachtet, äusserst reizvoll. Nur Christiansens Malerei wirkt hier weniger befriedigend als sonst. Die schweren tiefen Farben mit den aussergewöhnlich grossen Rosenmustern machen den ohnehin nicht sehr weiten Raum für unsere Empfindung noch enger. Dieses blutige Rot, so nahe ans Auge gerückt, benimmt uns das Sehen, und fast hat man das Gefühl, als ob es einem auch den Atem benehme.

Man atmet auf, wenn man durch das kleine Vestibül in die Halle tritt. Nur mit freudigem Gefühl kann man diese Schwelle übertreten. Der schöne Raum übertrifft alle Erwartung. Er wirkt zugleich gross und heimelig.

Er wirkt vor allem stimmungsvoll. Hier hat Christiansen gezeigt, dass er nicht nur farbig, sondern dass er auch tonig wirken kann, wenn es ihm darum zu thun ist. Die Töne bilden hier einen unendlich beruhigenden Mollakkord: ein stumpfes tiefes Grün (im Eichenholz), ein samtartig sanftes Grau (im Ahornholz) und beide von einem dominirenden Blau von den Wänden her überschimmert. Zwei Malereien an den Wänden, eine poetische Landschaft und ein stimmungsreiches symbolisches Figurenbild, klingen mit diesem Akkord vollkommen zusammen. Auch ihre Wirkung ist Ruhe, Stille der Seele.

Licht erhält die Halle durch ein grosses Fensterviereck, bestehend aus einem Lichtviereck und einem breitbünderigen Rahmen darum aus Opalescentgläsern, die mit genialer Verwertung des Pfauenfedermotivs die selben grauen, grünen und blauen Lichter, die schon überall auf den Gegenständen spielen, in den Raum hineinspinnen. Dieses Fenster ist ein Meisterwerk. Es ist in Zeichnung und Farben entzückend, dem Auge eine wahre Lust! Es ist einfach vollkommen schön. Und es ist gut, dass Christiansen in seinem eigenen Hause ein solches Werk vorzeigen kann; denn sein Riesenfenster in der Restaurationshalle ist nicht einwandfrei, weder in Farbe noch in Zeichnung. Die Trennung der Lichter und Schatten, an den nackten Körpern, durch die Verbleiung thut hier eine schlimme Wirkung und hat nicht mit Unrecht zu bösen Witzen herausgefordert. Im Gesamtton ist die rechte Seitenpartie, vom Beschauer aus, angenehmer als das Uebrige, das unangenehm ins Gelbe geht.

In seiner eigenen Halle hat Christiansen noch mehrere farbige Fenster, ein Rundfenster unter dem grossen Viereck und die Erkerfenster. Sie stehen nicht auf der gleichen Höhe wie das grosse. Sie wirken weniger streng, fast süsslich. In den Erkerfenstern ist wenigstens noch ein schönes Blau, wenn es auch viel zu hell ist, um in den Gesamtton der Halle gut hineinzustimmen. Aber das Rundfenster am Stiegenaufgang ist mit seinem bengalischen Gelb und Rot geradezu ein Misston in dieser schönen Halle. Schon seine Anbringung hat etwas Spielerisches. Es wäre am besten ganz weggeblieben. Dieses und die Erkerfenster sind von Luce Floro in Barmen ausgeführt, das grosse Pfauenfedernmotiv von Karl Engelbrecht in Hamburg.

Der elektrischen Innenbeleuchtung ist nachzurühmen, dass die Leuchtkörper durch schwach bläuliches Opalesciren den Stimmungston der Halle glücklich erhöhen. Doch nur von denen an der Decke gilt dies. Der Leuchtkörper, der sich über dem Stiegenansatz erhebt und in seiner Form an einen Klumpen Jahrmarktballons erinnert gibt einen unangenehmen Kupferglanz; er wirkt vor allem zu aufdringlich.

Ueberhaupt die Beleuchtungsfrage. Hier lagen verlockende Aufgaben. Denn dieses Gebiet, insofern die Elektrizität in Betracht kommt, ist ja fast noch ein jungfräuliches. Hier gibt es noch keine grossen Vorbilder der Alten. Weder die Renaissance noch das Rokoko haben hier, wie auf allen andern Gebieten, Mustergeschaffen, die beirrend im Wege stehen könnten. Und mir scheint, alle Welt hat just an diesem Punkt, und nicht mit Unrecht, von der Kolonie eine vorbildliche That erwartet. Ist sie erfolgt?

Ich glaube nicht. Einzelne geniale Würfe sind gethan, das ist unbestreitbar. Aber daneben stösst man geradezu auf Ungeschicklichkeiten. In der Halle des Hauses Olberich hat man die Empfindung, sich in einem Lampenmagazin zu befinden. Ich habe das von tausend Menschen sagen hören. In der Halle Christiansens ist die Wirkung zwar nicht dieselbe, schon weil die Halle viel höher und die Beleuchtungskörper viel kleiner und zierlicher sind; aber immerhin wird man sagen müssen, dass dieses Aufreihen wie an der Schnur von so vielen gleichgebildeten Lampen wohl eine sehr einfache aber keineswegs sehr ingeniöse Lösung bedeutet – womit nicht gesagt sein soll, dass das Einfachste nicht zugleich das Ingeniöseste sein kann.

Von allem was sonst die Christiansen'sche Halle in sich fasst, ist nur Lobendes zu sagen. Die Bodenbelege, die Kissen, die Wand- und Thürbehänge erfreuen ebenso sehr durch ihre unaufdringlichen sanften Farben wie durch ihre reichen (aber nicht allzugehäuften) linearen und figuralen Ornamente. Das häufig wiederkehrende feinfühlig stilisierte Rosenmuster thut hier die beste Wirkung. Es sind hohe Kunstwerke unterdiesen Webereien und Stickereien, denen man auch in den übrigen Räumen des Hauses vielfach begegnet, und unter denen die Bodenbelege von J. Ginzkey in Meffersdorf, die gewobenen Wandteppiche von der Kunstwebeschule in Scherrebeck, die Kissen und Aehnliches aber von Frau Grenouillet-Riedtman in Basel und Fräulein Braun in Darmstadt hergestellt sind.

Ein Prachtstück ist der grosse Vorhang, der, zwischen den zwei goldenen Säulen, das Dienerzimmer von der Halle abschliesst. Er hat nur wenige aber ausserordentlich lebendig ansprechende Ornamente. Die zwei vergoldeten Säulen, mit ihren originellen Profilen, sind überhaupt eine feine Note in der Gesamtwirkung dieser Halle mit ihrer blaugrün gestimmten Harmonie. Dasselbe muss vom Kamin gesagt werden, der diesmal wirklich im Ernst als Kamin wirkt und dessen kupferner Rauchfangmantel, von H. Emmel in Darmstadt, schon an sich Wärme auszustrahlen scheint.

Wie schon angedeutet, schliesst sich unmittelbar an die Halle, in weiter Oeffnung, das Damenzimmer, oder der Salon an, mit der Veranda, und neben dem Salon liegt das Esszimmer. Der Salon bildet mit seinen lebhaft roten Holztönen einen wohlthuenden Gegensatz zur Halle. Ueber dem Sopha hängt ein Pastellgemälde, das Bild des Künstlers der sein jauchzendes Kind in die Höhe hält. Dieses Bild muss man lieben. Es ist, auch wenn man von seiner Wirkung als »Bild« absieht, schon rein durch seinen schönen leuchtenden Farbenakkord in Gelb und Rot ein erfreulicher Gegenstand und der schönste Schmuck des Raumes. Ein Glanz geht von ihm aus wie von geschliffenen Achaten. Ich habe es schon einmal betont, Christiansens Bilder sind schöne erfreuende Dinge, jedem Auge eine sinnliche Lust, auch wenn man gar nicht daran denkt, was darauf im »Bild« erscheint, und solche Werke liegen freilich weit ab von allen naturalistischen und impressionistischen Bestrebungen, die doch auch an ihnen nicht ganz verloren gegangen sind.

Das Esszimmer hat über der naturfarbenen Holztäfelung mit einfacher Quadratierung eine weisse tonnenartig gewölbte Decke. Es wirkt still und ruhig. Nur die Intarsien-Arbeit der Anrichte, so kostbar und kunstreich sie sein mag, wirkt etwas unruhig. Das Ornament der Decke von Olberich, ist auch ein wenig banal und nichtssagend. Es würde schon besser wirken, wenn es flacher im Relief wäre. Christiansen hätte lieber selber etwas Besseres machen sollen. Hier wäre vielleicht sein Rosenmotiv auch einmal in Weiss sehr angebracht gewesen. Das Rosenornament, das Olberich an der Decke seines eigenen Speisezimmers verwendet hat, ist ja entzückend.

Ein unendlich ruhiger Raum, ist auch das Herrenzimmer, ein Ort des Behagens oder der Sammlung, der Ruhe oder der Arbeit, je nach Bedürfnis. Es liegt, links vom Eingang, an der Hinterseite des Hauses und ist zugleich Bibliotheksraum. Der graublaue Ton der Tapete und der Bekleidungsstoffe ist so ruhig wie die Holztöne der Einrichtung. Und draussen, vor dem krystallhellen Fenster mit den feinen Vorhängchen, rieselt der Brunnen unter Bäumen und Gebüsch. Hier kann es ein armer Schreiber mit dem Neid kriegen. Ein lauschigerer Winkel lässt sich nicht denken. Das kunstvoll komponierte Bücherregal, schon ziemlich reich garniert mit Werken in schönen Originalbänden, bildet im Hintergrund des Zimmers zugleich eine Art Nische mit Sitzbänken, und über diesen steht ein farbiges Fenster, eine der lieblichsten Schöpfungen Christiansens in Glas, ein Rosentraum voll seliger Poesie.

Es wäre aber bald an der Zeit, uns in den ersten Stock zu begeben. Wir thun es am besten von der Halle aus. Denn vom Vestibül her, das gäbe ein Geschlupf. Diese Stiege thut gut daran, sich möglichst zu verstecken. Was nur diesem Olberich die Stiegen gethan haben, dass sie in all seiner Architektur so stiefmütterlich behandelt sind? Das ist ja ein Jammer. Natürlich braucht ein einfaches Bürgerhaus keine Monumentaltreppen; aber von da bis zur Hühnertreppe!

Das Christiansen'sche Haus ist immerhin noch gut weggekommen. Es hat eine zweite Stiege, die der Halle. Die ist anständig. Sie ist mehr als das. Sie ist einer der glücklichsten reinarchitektonischen Gedanken des Hauses. Nicht nur dass sie einen bequemen Aufgang bildet, durch ihre stolz schräge Linie vergrössert sie, für unser Gefühl, den Raum der Halle eher als dass sie ihn verkleinert, und in Verbindung mit der anschliessenden Rampe belebt sie ihn aufs angenehmste. Etwas vernachlässigt, fast roh gezimmert ist das obere Kopfende.

Auf die Rampe mündet auf der einen Seite das Schlafzimmer. Ueber das fast ebenerdige Bett kein Wort weiter, de gustibus ... Aber noch über anderes muss man den Kopf schütteln. Dass das ausserordentlich enge Badezimmer und das nicht weniger enge Schrankzimmer, – das auch als Ankleideraum dienen soll – in beträchtlichem Abstand vom Schlafzimmer liegen, trägt mindestens nicht zur Bequemlichkeit bei. In den letztern »Räumen« allenbeiden ist es unmöglich, sich zu drehen und zu wenden ohne anzustossen. Einen nervösen Menschen kann ich mir hier nur mit ängstlich eingezogenen Ellenbogen denken. Wahrhaftig, hier hört die Gemütlichkeit auf.

Dafür siehts um so gemütlicher im Kinderzimmer aus. Das ist kein Taubenschlag wie bei Behrens. Es ist geräumig und alles Gerät ist glänzend weiss. Das Weiss ist eine pädagogische Farbe. Und farbig heitere, landschaftliche Malereien schmücken die Wände, und durch die Fenster gucken, zwischen Rosenkränzen, lustige Engelsköpfe herein, wie vom Himmel herunter, und lachen mit den Kleinen.

Ein sehr schönes Fremdenzimmer liegt nach der andern Seite hinaus auf demselben Stock. Es folgt ein zweiter. Er enthält noch einmal drei schöne Räume, ein Kinderzimmer für Erwachsenere, ein Dienstbotenzimmer – das alles Lob verdient – und ein Atelier. Und eigentlich ist hier noch ein vierter Raum: Die Laube vor dem Atelier. Sie ist durch ihre hohe Brüstung fast ein geschlossener Raum und kann jedenfalls leicht durch Glas zu einem solchen gemacht werden. Durch diese Laube, wo in Fresko »ewige« Rosen blühen und weithin leuchten und die armen lebendigen Blümlein daneben, so viel ihrer auch sind, fast beschämen; durch diese Laube, mit dem Blick über wogende Wälder in der Tiefe und Ferne, ist dieses Atelier der »heiligste« Versteckwinkel des Hauses, eine Poetendachkammer, wie sie nicht poetischer gedacht werden kann, eine Kammer von Märchenblumen umduftet und umglüht, ein Dornröschenverliess, wo ...

Aber da habe ich gesagt, was ich über Christiansen und sein Haus zu sagen hatte; erlassen Sie mir den salbungsvollen Schluss.

* * *

Es ist zuletzt in Darmstadt anders gekommen, als es uns unsere optimistischen Hoffnungen erwarten liessen. Sogar der Fortbestand der Kolonie ist stark in Frage gestellt. Man kann nicht sagen, dass die Schuld an Personen liege, welche diese auch seien. Sie liegt eher an den Verhältnissen. In einer grossen reichen Stadt wäre die Sache wohl anders verlaufen. Der Grossherzog von Hessen hat gewiss nicht mehr versprochen als er gehalten hat. Aber von Fürsten wird immer zu viel erwartet. In diesen Fehler verfiel man auch hier. Vielleicht hat man dabei gelernt, dass moderne Fürsten, bei ihrer konstitutionellen Gebundenheit, nicht mehr, und wenn sie auch vom besten Willen beseelt sind, in dem Umfang Mäcene sein können wie die Herrscher vergangener Jahrhunderte. Und wenn man den Satz dann auch kecklich ins Negative umdreht, so ist das keine ganz untröstliche Moral von der Geschichte.


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