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Achtes Kapitel. Die Bastille

Der Kutscher hatte im »Roten Roß« und sonst, dem Jahrmarkt von Boulogne zu Ehren, mehr als »eins« getrunken, fuhr aber deswegen nicht schneller als auf dem Herweg. Ja, wenn die Insassen seines Wagens Neigung verspürt hätten, sich um ihn zu kümmern, würden sie wahrscheinlich die Wahrnehmung gemacht haben, daß ihm das Haupt mit dem blauroten Gesicht bedenklich auf die Brust herniederhing, was aber kein Zeichen dafür war, daß ihm etwas fehlte, sondern nur, daß er im Gegenteil etwas zu viel hatte.

Aber die beiden Freunde kümmerten sich diesmal nicht das Geringste um ihn. Sie hatten einmal keine Eile auf der Heimfahrt und dann hatte sich unter ihnen ein Gespräch angesponnen, das sie vollauf in Anspruch nahm.

»Ich wollte schon lang«, begann der Fürst Rohan, »eine Gewissensfrage an Euch tun, aus der Zeit, wo ich noch ein kleines Kind war.«

»Und ich also nicht viel mehr,« erwiderte Richelieu lachend, »aber was verlangt Euch zu wissen?«

»Ob Ihr, wie man erzählt, mit der jungen Herzogin von Burgund, die damals als die künftige Königin von Frankreich gelten mußte, wirklich ein ernstliches Verhältnis hattet, ja so weit mit ihr gekommen seid, wie jetzt mit der Tochter des Regenten. Alle Welt glaubt es.«

»Diese ›alle Welt‹«, antwortete Richelieu, »hat recht und unrecht, wie man's nimmt. Unrecht hat sie, denn die Sache ist unwahr. Und recht, denn ich selber bin leider die Quelle dieser Unwahrheit. Meine erste und meine höchste Liebe habe ich durch die Lüge besudelt. Diese Lüge ist das größte Verbrechen meines bisherigen Lebens. Nur einmal habe ich – und Ihr werdet zugeben, daß ich es kaum nötig hatte – mich fälschlich einer Eroberung gerühmt. Und die Götter wollten es, daß ich damit gerade die Ehre und den Ruf einer prädestinierten Königin von Frankreich beflecken mußte, die eine Heilige war und als solche gestorben ist. Ein einziges Mal betrug ich mich ruchlos in meinem Leben, und da stürzte mich auch gleich die Verderbtheit des Herzens in das größte Verbrechen und ließ mich Frevler die reinste und holdeste Blume der Weiblichkeit besudeln, die je in der Sonne hoher Fürstlichkeit auf Erden erblüht ist.

»Wahrlich,« fuhr nach einem kurzen Anhalten der Sprecher fort, »nie war im Hinblick auf meine Person die Güte der Herzogin von Burgund etwas anderes als eine große Nachsicht gegen mich. Von Etikette und höfischem Respekt umgeben, und dessen manchmal überdrüssig, hatte sich diese Fürstin die Huldigungen eines jungen und unbekümmerten Menschen gefallen lassen. Mein Leichtsinn, meine Art zu reden, waren etwas Neues für sie. Sie war von Natur heiter und sie ergriff mit Vergnügen diese Gelegenheit, sich einmal weniger zu langweilen. Selber von kindlichem Gemüt, dachte sie keinen Augenblick daran, daß ein Kind (so nannte sie mich) ihrem Rufe etwas anhaben könnte. Ihre Vertraulichkeit mit mir konnte den Glauben erwecken, daß ihr Herz beteiligt sei, und ich selber, für meine Person, zweifelte nicht, daß ich in einem gegebenen Augenblick wohl imstande gewesen wäre, ihren hohen Rang zu vergessen und nichts mehr in ihr zu sehen als das schöne Weib. Ich muß aber ihrem Gedächtnis die schuldige Gerechtigkeit erweisen, ich war niemals ihr Geliebter.

Ich hatte heftig gewünscht, es zu sein, und ich würde in meinen Eroberungsversuchen nicht nachgelassen haben, ohne den verhängnisvollen Befehl, der mich vom Hofe verbannte.

Aber in meinen verbrecherischen Absichten auf sie lag ihre ganze Schuld eingeschlossen. Sie hatte keine darüber hinaus. Ich habe nie deutlich genug in ihrem Herzen gelesen, um wissen zu können, was es in Wahrheit für mich gefühlt hat; aber das eine ist sicher, daß ihr Herz sie nie eine Handlung begehen ließ, die mich von ihrer Zärtlichkeit für mich überzeugt hätte. Ich konnte vermuten, aber sicher war ich dessen nie. In der Meinung des Hofes und der Stadt hingegen genoß ich größere Gunst, und ich muß ehrlich gestehen, daß ich mir keine Mühe gab, diesen Glauben zu zerstören. Ja, nach dem bald darauf erfolgten Tode der Herzogin von. Burgund fand ich kein großes Unrecht darin, die Leute über diesen Punkt glauben zu lassen, was sie wollten, da sie selbst nicht mehr lebte. Ich erzählte sogar in meiner Eitelkeit einigen Kameraden Dinge, die sich nie ereignet hatten.

Die Befriedigung der Eitelkeit entschädigt bekanntlich bis zu einem gewissen Grad für den Genuß; man rühmt sich einer Eroberung, die man nicht gemacht hat, man lügt sich damit einen Nimbus an und ist stolz darauf, als ob ein derart usurpierter Ruhm das positive Glück ersetzen könnte. Jedenfalls befriedigt er die Eigenliebe und trägt so inmitten unserer gesellschaftlichen Zustände nicht wenig bei zu unserem Gefühl von Glückseligkeit.«

»Wie die Verhältnisse einmal liegen,« meinte der Fürst von Rohan-Guémené, »ist in Wahrheit der Schein wesentlicher für uns als die Sache an sich.«

»Oh,« rief Richelieu. »Er war für mich verdammt wesentlich. Wenn auch nicht gerade zu meinem Glück. Ein großes Wesen hat man daraus gemacht. Ahr wißt, ich kam seinetwegen in die Bastille, wenigstens dem Vorwand nach.«

»Ich weiß, ich weiß,« bestätigte Rohan. »Aber im Umlauf sind darüber, ich meine über den Grund Eurer damaligen Einkerkerung, die tollsten und widersprechendsten Dinge. Wie verhält es sich eigentlich damit?«

»Das ist eine lange Geschichte,« versetzte Richelieu mit einer abweisenden Bewegung. »Meine damalige Verheiratung spielt dabei die Hauptrolle.«

»Ihr sprecht wohl nicht gern darüber.«

»Ich würde Euch nur langweilen.«

»Kaum,« antwortete Rohan. »Und da wir einen langen Weg vor uns haben ... Und wenn Euch die Sache nicht allzusehr zuwider ist.«

»Das nicht,« sagte der Herzog. »Ich mag ganz gern die närrische Geschichte einmal ausplaudern.«

»Dann bitte ich sehr.«

Und Richelieu erzählte:

»Ludwig der Vierzehnte war zweiundsiebzig Jahre alt, als ich bei Hofe vorgestellt wurde. Ich war vierzehn, stand also in dem Alter der phantastischsten Träume und Anmaßungen. Ich wurde ganz klein vor der Majestät seiner Persönlichkeit und dem Glanz seines Auftretens. Er empfing mich lächelnd. Der Name Richelieu, den mein Großonkel mit so viel Ruhm getragen hatte, war ihm lieb, auch war er scharfsinnig genug, um zu wissen, wie der Kardinal den Glanz und die Macht des Königtums, das sich in Ludwig dem Großen auf seinem höchsten und strahlendsten Gipfel darstellte, mit Glück vorbereitet hatte. Denn der Kardinal war es recht eigentlich, der die absolute Herrschaft in die Hände des Königs gelegt, und Ludwig der Vierzehnte wachte zu eifersüchtig über dieser Macht, um nicht durch die Nachkommenschaft des großen Ministers daran erinnert zu werden, was der Mann für ihn getan.

Nachdem ich mich von meiner ersten Befangenheit erholt, betrachtete ich den großen König, den ich über alle Beschreibung, die man mir von ihm gemacht hatte, so erhaben fand, wie den augenblendenden Glanz der Sonne über deren matten Spiegelung in einer trüben Pfütze. Meine Augen hatten noch nichts Hoheitsvolleres gesehen, und mich dünkte, von allen Menschen, die ich kannte, sei er der Würdigste, um zu herrschen und an die Spitze des französischen Volkes gestellt zu werden, wenn nicht seine Geburt ihn schon für den Thron bestimmt hätte. Seine erhabene Miene flößte Furcht ein und ich sah auf allen Gesichtern den Ausdruck tiefster Ehrfurcht. Ein Blick seiner Augen war ein Befehl, und seine Umgebung haftete daran, um den leisesten Wink des Monarchen darin zu lesen.

Je unglücklicher und erbärmlicher es zu dieser Zeit um seine äußeren Erfolge stand, desto fester hielt er am Hof auf strengste Etikette. Im Verkehr mit seinen Höflingen war er immer der König, nur selten erkannte man den Menschen. Er hatte seine Umgebung an eine Art Anbetung seiner Person gewöhnt, und es schien ganz natürlich, ihm zu Füßen zu liegen. Man beklagte ihn, daß er nur noch auf den Rat der Priester hörte, die die Schwäche seines Alters irre leiteten, indem sie ihm mit dem Zorn des Himmels und den Schrecken der Ewigkeit Furcht einflößten wegen seiner früheren Verfehlungen und seine große Seele durch Feigheit klein machten. Die Frömmigkeit bedeckte seine einst so hellen Augen wie mit einem Schleier der Heiligkeit, und man ließ ihn Befehle unterzeichnen, die Frankreich großen Schaden zugefügt haben.

Aber selbst in diesem Zusammenbruch seiner selbst sah man immer noch den großen Mann, der einst ganz Europa Gesetze gegeben und der es verdiente, daß man in der Bewunderung seiner Person nicht müde wurde. In einer Zeit, wo das ganze Land unter einer endlosen Folge von Kriegen stöhnte und Niederlage auf Niederlage folgte, sprach man doch immer nur von den ersten glorreichen Siegen des Königs. Das Volk litt unter den größten Entbehrungen, am Hofe aber unterhielt man den König von seinen ehemaligen Eroberungen. Die Personen, die ihm näher standen und manchmal Zeuge der Klagen wurden, die er sich, selten genug, entschlüpfen ließ, suchten ihn mit allen Mitteln zu zerstreuen.

Besonders ließ sich dies die Gemahlin seines tugendhaften Enkels und hoffnungsvollen Nachfolgers, die Herzogin von Burgund, angelegen sein, die alles aufbot, um den Kummer ihres Großvaters zu beschwichtigen, der sie liebte um ihrer Liebenswürdigkeit willen und sie am liebsten auf Händen getragen hätte als die zukünftige Königin von Frankreich, besonders seit dem Tode seines Sohnes, des großen Dauphin, in dessen Rang und Stellung nun des Königs Enkel, der Herzog von Burgund eingerückt war, den aber der schwergeprüfte Monarch in kürzester Frist gleichfalls auf der Bahre sehen sollte.«

»Zum wahrhaftigen Unglück der Nation,« bemerkte halblaut der Fürst von Rohan-Guémené.

»Wer weiß?« griff Richelieu das Wort auf. »Der Herzog von Burgund, der pietätvolle Schüler des ausgezeichneten Fénelon, hatte die strengsten Grundsätze, die ihn sogar zu einer gefährlichen Askese zu verführen drohten ohne den wohltätigen Einfluß seiner ebenso tugendhaften wie heiteren und lebensfrohen Gemahlin. Gewiß, beide wollten das Gute; beide waren dazu geschaffen, die Liebe des Volkes als die höchste Freude des Herrschers zu empfinden. Sie hatten unter ihren Augen das Beispiel, zu welchen Übeln ein allzu großer Ehrgeiz führen konnte. Sie hatten sich vorgenommen, die Tränen des Volkes zu trocknen, und groß war denn auch der Verzweiflungsschmerz der Nation über den frühen Tod des geliebten Thronfolgers. Das Volk glaubte in ihm seinen Vater verloren zu haben.

In Ludwig, den es so sehr bewundert hatte, sah das Volk nur noch einen vom Unglück verfolgten König; es wartete mit Ungeduld darauf, sich unter das Joch eines andern Herrn zu beugen, und den Herzog von Burgund verehrte es als solchen schon zum voraus. Das Volk erwartet immer von dem Nachfolger in der Herrschaft eine Verminderung seiner Steuern, aber es wird notwendig immer getäuscht.

Denn das gehört zur politischen Klugheit des Herrschers, die Untertanen genügend zu belasten. Unpolitisch wäre es gehandelt, das Volk in einen Zustand zu versetzen, in dem es nicht genötigt wäre, für seinen Lebensunterhalt unablässig zu arbeiten und sich plagen und placken zu müssen. Zu viel Behagen gäbe ihm die Zeit, zu überlegen, und es endigte vielleicht damit, seine Kräfte erproben zu wollen. Man kann sich vorstellen, welche Unordnung dadurch entstände. Zwar wäre die Ordnung mit ein wenig Blutvergießen leicht wieder herzustellen; immerhin aber ist es gut, vorzubeugen.

Das Volk jubelt immer dem neuen Herrscher bei der Thronbesteigung zu, nach kurzer Zeit schon aber erkaltet seine Begeisterung, und am Ende verkehrt sich die Liebe in Haß. Ich bin überzeugt davon, daß auch dem so sehr verehrten Herzog von Burgund diese Erfahrung nicht erspart worden wäre.

Auch er hätte tun müssen, was später die Minister seines Sohnes im Auftrag unseres Regenten ausgeführt haben; und wenn er auch nicht die gleichen Fehler begangen hätte, wären ihm andere vorzuwerfen gewesen; denn es ist eine alte Sache, daß das Volk die Götzen zerbricht, die es zuerst angebetet hat.

Aber kommen wir auf Ludwig den Vierzehnten und die Herzogin von Burgund zurück. In ihrer geistvollen Lebhaftigkeit war sie in höherem Grad befähigt als irgendeine ihrer Konkurrentinnen, den altgewordenen Monarchen in den Bann ihres Zaubers zu ziehen. Ihre entzückenden Kindereien ergötzten ihn über alles. Ihre schlagfertigen und oft naiven Erwiderungen in der Unterhaltung nötigten ihm in seinen düstersten Stimmungen noch ein Lächeln ab. Sie erdachte immer neue Zerstreuungen, über denen er sein Unglück vergessen könnte. Ausgesuchte Bälle und glanzvolle Feste, woran alles teilnahm, was es an Schönheit, Geist und Liebenswürdigkeit am Hofe gab, folgten sich in ununterbrochener Reihe, und Ihr könnt Euch denken, daß ein Kind meines Alters nur zu glücklich war, zu diesen Vergnügungen zugelassen zu werden.

Eines Tages hatte die Herzogin von Burgund den Ball mit ihrem Schwager, dem rundlichen Herzog von Berry eröffnet, und nach dem ersten Menuett bei dem darauffolgenden Tanz erwählte sie den Herzog von Brissac zum Partner.

Es war Herkommen, daß der erwählte Kavalier bei dem folgenden Tanz seiner Dame die gleiche Ehre antat. Aber Herr von Brissac unterließ dies und wählte sich eine andere Dame, welches Versäumnis von jedermann bemerkt wurde. Die Fürstin, die an ihren Platz zurückgeleitet worden war, hatte sich schon erhoben, denn es konnte ihr nicht in den Sinn kommen, daß man sie vergessen könnte. Sie mußte sich wieder niedersetzen, als der Tanz begann, und es entstand eine kleine Bewegung im Saal. Ich vermochte meinen Blick nicht wegzuwenden von der hohen Fürstin, die, heute festlicher geschmückt als je zum Ball, mit ihrem Hauch von Zorn auf der diademgeschmückten Stirne, mir zugleich königlicher und zugleich weiblicher erschien als unter andern Umständen. Herr von Brissac tanzte sein Menuett weiter. Nach Beendigung desselben wählte seine Dame meine Wenigkeit, und ich beging absichtlich gegen sie denselben Verstoß, den Herr von Brissac sich gegen die Herzogin hatte zu schulden kommen lassen. Ich verließ meine Partnerin und verneigte mich vor der Herzogin von Burgund, indem ich sprach: ›Erlaubt mir, hohe Frau, daß ich den Fehler meines Freundes Brissac wieder gut mache.‹

Dieser Scherz, den man von einem halben Knaben, wie ich noch war, auch für eine Frechheit halten konnte, brachte alles zum Lachen. Er wurde aber gut aufgenommen und machte mich zu einer kleinen Berühmtheit. Man bewunderte meine Geistesgegenwart, selbst der König ergötzte sich darüber, jeder wollte mich zum Mittag- ober Abendessen einladen. Man stritt sich um dies Vergnügen, und die Herzogin von Burgund wünschte von diesem Tage an meine Gegenwart bei allen Festlichkeiten.

Bei meinem ersten Erscheinen am Hofe war ich schüchtern gewesen, jetzt besserte sich dieser Fehler zusehends, denn in kurzer Zeit ward ich nur allzu kühn. Ich sah, daß ich Erfolg hatte, man sprach von meinen Witzen, von meinem Geist; ich wurde ein verhätscheltes Spielzeug. Ich war Mode geworden; alle Frauen verwöhnten mich, selbst der König lachte manchmal über meine Spitzbübereien, und seine Gegenwart machte mir bald keinen Eindruck mehr. Frau von Maintenon nannte mich bezaubernd, sie fand, daß ich anfing, ein Mann zu werden.

Aber einstweilen wartete ich noch auf die Verwirklichung dieser Weissagung und war nur leichtsinnig und ausgelassen.

Die Herzogin von Burgund überhäufte mich mit Güte. Ob sie gleich Erbin des Thrones war, sah ich in ihr nur eine schöne braune pikante Frau, und da ich von allen verwöhnt wurde, fand ich es nicht erstaunlich, daß auch eine große Fürstin denselben Geschmack zeigte. In kurzer Zeit wurde ich ganz vertraut mit ihr. Ich durfte ihr den Hof machen; oft übte ich mir in ihrem Privatkabinett Tanzfiguren ein. Bei Gesellschaftsspielen tat ich mich durch allerlei närrische Einfälle hervor und man klatschte mir Beifall und ermunterte mich zu noch größeren Tollheiten.

Einmal hatte ich mich, ehe die Fürstin erschienen war, hinter ihren Bettvorhängen versteckt. Ich wollte gern hören, was man über mich redete, und ich brauchte wahrlich nicht lange zu warten.

Als alles versammelt war, fragte man nach mir, um eine Rolle zu probieren. ›Er hat es wohl vorgezogen,‹ sagte eine der Tänzerinnen, ›andern Frauen die Kur zu schneiden.‹ Meine etwas eifersüchtigen Kameraden murmelten, das heiße den Respekt vor der Fürstin verletzen; sie allein entschuldigte mich. ›In seinem Alter‹, sprach sie, ›muß man ihm etwas hingehen lassen. Auch andere als wir können dieses Kind liebenswürdig finden, und es ist nichts so Erstaunliches, daß er irgendwo zurückgehalten wird.‹ Diese Worte wirkten im höchsten Grad aufregend auf mich, ich vergaß einen Augenblick meine Situation und der Vorhang bewegte sich. Dies wurde bemerkt, einige Frauen wurden ängstlich.

›Wer kann sich da verborgen haben?‹ hörte ich sagen. Die Angst, bemerkt zu werden, ehe ich mich selber zeigte, veranlaßte mich, unter das Bett zu schlüpfen.

Neue Bewegung des Vorhangs, und ich sah schon voraus, wie alle Damen die Flucht ergreifen würden. Brissac kommt herein: ›Es ist ein Mann,‹ sagt er. Glücklicherweise bückte er sich und erkannte mich. Denn sonst konnte das Abenteuer bedenkliche Folgen für mich haben. Er packte mich am Bein und rief: ›Ich halte den Dieb, es ist Fronsac.‹ So hieß Richelieu zu Lebzeiten seines Vaters.

Man half ihm, mich vollends herauszuziehen, und ich erschien, ein wenig beschämt und zerzaust; alles sah sich an, niemand wagte, das erste Wort zu sprechen. Ich fiel der Herzogin von Burgund zu Füßen, die in Lachen ausbrach. Dieses Lachen beruhigte mich; ich ergriff ihre Hand und küßte sie. ›Verzeiht, hohe Frau! Ich wollte wissen, was die Damen von mir halten, und ich flehe Euch an, eine Tollheit zu vergessen, wozu allein die Wißbegier mich trieb, den Ruf zu erfahren, in dem ich stehe.‹ ›Wir entschuldigen alles,‹ sprach die Fürstin, ›außer der Angst, die wir ausgestanden haben‹. Sie sagte es mit einem solchen bezaubernden Lächeln und einem solchen Ausdruck von Güte in ihren großen strahlenden Augen, daß ich ihr am liebsten – sie war wie die andern Damen im losen Morgenkleid und einzig im Haar mit frischen Blumen geschmückt – an den Hals hätte springen und laut weinen mögen vor Rührung und inniger Liebe. Die Fürstin mochte mir meine kindische Erregung ansehen und ließ eilig die Probe beginnen.

Dieser Streich, der von meiner Kühnheit alles befürchten ließ, mit noch einigen andern Verwegenheiten zusammen, gab die erste Veranlassung, daß man mich einige Zeit nachher in die Bastille sperrte, damit ich dort zur Vernunft kommen möchte.

Natürlich faßte ich keineswegs die Gefahr meiner Handlungen ins Auge. Ich nahm mir jeden Tag größere Frechheiten gegen die Herzogin heraus, und ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn ich öfter Gelegenheit gehabt hätte, sie allein zu sehen. Ich hätte alles gewagt und ohne Zweifel wäre ich entweder glücklich oder verloren gewesen.

Inzwischen war ich glücklich in dem Glauben, den die öffentliche Meinung hegte. Die Erbin des Thrones in meiner Gewalt. Dieser Gedanke machte mich über alles stolz, und ich verteidigte mich auf eine Art, daß man glauben konnte, das Gerücht sei nicht ohne Begründung. Ich sagte auf eine Art ›nein‹, daß man das Gegenteil davon annehmen mußte, und im innersten Herzen war ich selber davon überzeugt, daß ich wirklich, wenn mir die Frau Herzogin diesen Triumph auch noch nicht gegönnt hatte, doch nicht weit davon entfernt sei.

Hier liegen die Wurzeln meiner späteren Erfolge bei den Frauen.

Ich erschien schon jetzt allen schönen Damen in einem zauberhaften Licht, und Ihr werdet mir zutrauen, daß ich diesen Nimbus nach Kräften ausnützte. Meine heimlichen Liebschaften am Hof und in der Stadt machten mich bereits zu einer Art Berühmtheit, erregten aber auch die Sorgen gewisser Leute, und eines Tages bedeutete mir mein Vater, der mich nicht allzu zärtlich liebte, daß es Zeit wäre, an meine Verheiratung zu denken. Die über mich umlaufenden Gerüchte beunruhigten ihn höchlichst, und im Einverständnis mit seiner Beraterin, der Frau von Maintenon, und meiner Stiefmutter, beschloß er, meinen galanten Abenteuern mit einem Radikalmittel ein Ende zu machen.

Er glaubte, wenn er mir eine Frau gäbe, so wäre das ein Grund, auf die andern zu verzichten, ja, er schmeichelte sich mit der Überzeugung, daß das Fräulein von Noailles, die Tochter meiner Stiefmutter aus einer anderen Ehe, besonders geeignet wäre, mich zu einem geordneteren Leben zurückzuführen.

Die Predigten meines Vaters über meine Sitten schienen mir um so unangebrachter, als die seinigen nicht geordneter gewesen waren. Es gibt immer Leute, die uns die Jugendstreiche unserer Eltern erzählen, und ich wußte deren eine ganze Anzahl, die meinem Vater nicht gerade zur Ehre gereichten. Er warf mir vor, daß ich mich von ihm entferne. Aber er handelte mir in allem zuwider, und das war kaum ein Mittel, mich anzuziehen ober mich an ihn zu fesseln.

Wenn man das Alter aufsuchen soll, so muß es liebenswürdig sein. Trübsinnigkeit und schlechte Laune jagt die Jugend in die Flucht.

Mein Vater machte nun seine Sache so gut, daß er mir einen unüberwindlichen Abscheu gegen das Fräulein von Noailles einflößte, und daß ich schwur, von ihr seine Nachkommenschaft haben zu wollen. Das ist einer der Schwüre, die ich gewissenhaft gehalten habe.

Frau von Maintenon, die ich verehrte, ermahnte mich ebenfalls, mein Betragen zu ändern ...

Sie stellte mir vor, daß mein Betragen den König gegen mich aufbringen müßte, der die lockeren Sitten nicht so auffällig an den Tag gelegt sehen wollte. Sie machte mich aufmerksam, wie großen Kummer ich meinem Vater verursache, und daß die erste Pflicht eines Sohnes die sei, zu gehorchen. Auch der Himmel und der liebe Gott zusamt der Hölle lieferten ihr gute Argumente.

Um den himmlischen Zorn zu besänftigen und vor allem aber den des Königs, den ich viel mehr fürchtete, gab ich der Frau von Maintenon mein Wort, zu tun, was man von mir verlangte. So wurde meine Heirat eine ausgemachte Sache zur großen Befriedigung meiner Anverwandten, nur nicht zu meiner eigenen.

Ich schlief in der Nacht nach meiner Hochzeit bei Frau von Fronsac. Das ganze Haus war voll Festesfreude, aber Frau von Fronsac hatte keine Gelegenheit wahrzunehmen, daß sie einen Gatten habe. Nur dem Scheine nach erfüllte ich, was man von mir verlangte, aber selbst in diesem Zusammensein zu zweien hielt ich das Wort, das ich mir gegeben hatte.

So jung und unschuldig auch Frau von Fronsac war, wußte sie doch, daß es mit der Ehe noch etwas anderes auf sich haben mußte, als sie von mir davon zu schmecken bekam. Und nachdem schon einige Tage nach unserer Verbindung verflossen waren, ohne daß ich mich mehr um sie kümmerte, als am ersten Tag, schien sie sich allmählich den trübsten Gedanken hinzugeben. Aber ihre melancholische Miene machte sie mir nicht interessanter.

Endlich mußte sie sich entschlossen haben, bei der Mutter ihr Herz auszuschütten. Die beiden führten lange vertrauliche Gespräche, die wohl nicht zu meinen Gunsten ausfielen. Bis dahin hatte meine Stiefmutter-Schwiegermutter mir nur Abneigung gezeigt, jetzt verfiel sie plötzlich in die entgegengesetzte Rolle. Sie überhäufte mich mit Liebenswürdigkeiten, und machte mir buchstäblich den Hof, sozusagen als Stellvertreterin ihrer Tochter. Ich freute mich, sie so bestrafen zu können, sowohl für ihre Knickrigkeit gegen mich als für ihre Heiratspläne, die sie, ohne mich zu befragen, angestiftet hatte. Und also gab ich mir den Anschein, ihre Worte gut aufzunehmen, auf dem Punkt zu sein, mich ihren Wünschen zu ergeben, und ich hatte meinen Spaß über ihre leichtgläubige Hoffnung, die ich von Tag zu Tag bitterer täuschte.

In meinem Herzen gab es schon zu jener Zeit Wohnungen für viele, wie die Bibel sagt. Dieser Muskel glich bei mir einem weitläufigen Palast, wo ich vielen Herrinnen huldigte. Aber nur in einem einzigen dieser Säle war ein Thron errichtet, und auf dem Teppich davor lag ich in Anbetung vor der darauf erhöhten Königin: Der Herzogin von Burgund.

Sie zu besitzen schien mir unentbehrlich. Solange ich dies nicht erreicht hätte, glaubte ich nicht glücklich sein zu können, und ich entschloß mich, alles zu versuchen, um zu meinem Ziele zu gelangen. Ich folgte ihr beständig mit den Augen; ich suchte jede Gelegenheit, ihre Hand zu berühren, und ich glaubte manchmal in ihren Augen zu lesen, daß sie eine große Freude hatte, mich zu sehen.

Aber schon zog sich, ohne daß ich es ahnte, das Gewitter dichter über meinem Haupte zusammen.

Mein häufiges Erscheinen bei Hofe, wohin ich nur um der Herzogin von Burgund willen kam, machte den Verdacht eines Verhältnisses zwischen uns täglich wahrscheinlicher. Die Fürstin sprach nur gut von mir wie immer, und ihre Reden waren einzig der Ausfluß einer aufrichtigen und reinen Freundschaft; aber jedes ihrer Worte wurde mit böswilligem Sinn gedeutet und verdreht. Ihre harmlosesten Plaudereien galten als Beweis ihrer Liebe für mich, und ich gebe zu, daß meine eigenen Reden wohl geeignet waren, vermuten zu lassen, was in Wahrheit nie existiert hat. Diese Gerüchte wurden bald dem Könige zu Ohren gebracht. Glücklicherweise fand er sie nicht begründet; aber er glaubte es seiner Ehre schuldig zu sein, einen Untertanen zu strafen, der es gewagt hatte, die öffentliche Meinung in einer so delikaten Sache, als es der Ruf seiner Enkelin war, zu bestärken.

Auch über mein Benehmen gegenüber meiner Gattin wurde der Monarch, auf Anstiften der Meinigen, durch Frau von Maintenon unterrichtet, bei der meine ganze Familie Klage über mich führte. Es wurde also beschlossen, mich durch eine zeitweise Verbannung in die Einsamkeit zu bestrafen.

Ich schwelgte unterdessen in Hoffnungen auf ein nahe bevorstehendes süßes Glück, und in meinen Einbildungen sah ich schon die Herzogin von Burgund fast bereit, sich mir zu ergeben, ohne daß doch zwischen ihr und mir irgendeine Erklärung gefallen wäre. Ich glaubte mich ganz im Ernst geliebt, ohne den geringsten Anhaltspunkt dafür zu haben, meine knabenhafte Eitelkeit machte mich so blind, daß ich die Vorstellungen meiner Phantasie für bare Wirklichkeit nahm. Die gefällige Nachgiebigkeit, die ich fast bei allen Frauen gefunden hatte, bestärkte mich in meinen Gedanken, und ich erwartete von einem Augenblick zum andern meinen endlichen Sieg.

Von diesem schönen Traum erwachte ich in der Bastille.«

»Mit wieviel Jahren,« fragte Rohan.

»Mit siebzehn. Ich sagte, daß ich erwachte. Erwachte ich wirklich? Auch jetzt noch, in meinem Kerker, beschäftigte sich mein Denken unaufhörlich mit der hohen Fürstin. Ich fand in diesen Phantasien meinen süßesten Trost. Ich stellte mir vor, daß sie gewiß die Gnade des Monarchen für mich anflehen werde, und nicht ein einziges Mal wurde die Türe zu meinem schrecklichen Gefängnis geöffnet, ohne daß mein Herz in süßen Erwartungen schauderte ...

Man sagt das so leicht hin: ›wurde die Türe geöffnet‹. In Wirklichkeit war's eine langsame und umständliche, ja schauerliche Sache. Man hört da zuerst ein knarrendes Geräusch, ganz dumpf und wie aus weiter Ferne. Nach einer kurzen Stille wiederholt es sich, nur lauter, kreischender und wie in nächster Nähe. Man vernimmt unverkennbar das Aufziehen schwerer Riegel und wie eine Türe sich in ihren Angeln dreht. Aber noch immer bleibt unser Kerker geschlossen. Dann aber nach einer neuen Pause und nach abermaliger Wiederholung jener Geräusche, die jetzt in schrillen Tönen an unser Ohr dringen, tut die Pforte sich endlich auf: denn drei Türen aus schweren Eichenbohlen, mit ungeheuren Eisenbarren beschlagen, führen durch die klafterdicke Vermauerung in jene engen Turmgemächer, wo der König seinen Untertanen aus guter Familie von Zeit zu Zeit so gastfreundlich ein Unterkommen gibt.

Ich war also immer noch davon überzeugt, daß ich geliebt werde. Aber ich betrachtete jetzt doch meine Liebe allmählich wie eine frevelhafte Kühnheit, und ich konnte mich des Vergangenen nicht ohne ein wenig Beschämung erinnern. Dennoch, und aller ernstlichen Einkehr in mein Inneres zum Trotz, geriet ich oft in einen flammenden Zorn darüber, daß ich nicht in der Tat zum Ziele gelangt und meine Strafe nicht vollkommen verdient hatte; denn ich begann zu vermuten, daß meine zu große Vertraulichkeit mit der Herzogin von Burgund die Ursache meiner Einkerkerung war. Und wenn man eine Strafe erduldet, ist es wenigstens ein Trost, sie verdient zu haben.

Eines Tages wurde mein Kerker zu einer Zeit geöffnet, die nicht die Stunde der Mahlzeit oder des Spaziergangs war. An die zehn Minuten dauerten wieder die entsetzlichen Geräusche. Aber da in Wahrheit kein Gefangener mit sich allein eingekerkert ist, sondern stets eine liebe Gefährtin zur Seite hat, die schmeichlerische Hoffnung, klingen ihm die grausigen Töne meistens wie liebliche Musik, besonders wenn sie zu ungewöhnlicher Zeit sich vernehmen lassen. Auch ich war schnell bei der Hand mit dem Glauben, daß man mir eine glückliche Botschaft zu verkünden habe.

Nach Öffnung der dritten Türe gewahrte ich ein weibliches Gewand, bei dessen Anblick ich vor Freude zitterte, denn ich hatte schon seit einigen Monaten kein Weib mehr erblickt. Aufs höchste erregt stand ich auf, um der Dame entgegen zu gehen, die sich in meine Arme warf ... es war meine eigene Frau, Frau von Fronsac.

Sofort verschwand der süße Sinnenrausch; ich ergriff meine Gemahlin bei der Hand, und mit einer respektvollen Verneigung bat ich sie, Platz zu nehmen. Ich stellte mich sehr heiter und fragte lachend, was für eine Gottheit sie an diesen Wohnort der Toten geführt habe, worauf sie antwortete, daß sie im Auftrag des Königs gekommen sei, mich zu fragen, ob ich willens wäre, von jetzt ab ein vernünftigeres Leben zu führen. Einzig von meiner Besserung hinge meine Befreiung ab.

Ich erwiderte ihr, daß ich nicht geglaubt hätte, es mit der Gesandtin eines großen Königs zu tun zu haben und danach überbot ich mich noch an Ehrerbietung und Hochachtung.

Das war nicht ganz, was meine Frau erwartet haben mochte. Man hatte nämlich damit gerechnet, ein zwingendes Gebot meiner Jugend würde mich nötigen, meine Frau als guter Ehemann zu behandeln, wenn man sie mir ins Gefängnis schickte, und von dieser Aussöhnung sollte meine Befreiung abhängen. Das habe ich aber erst später erfahren, und ich gestehe, wenn ich davon unterrichtet gewesen wäre, hätte mein heißes Verlangen nach der Freiheit mich diesmal dazu vermocht, den besagten Schwur zu brechen.

So glaubte ich bloß, daß man mich mit List zu dem bringen wollte, was ich geschworen hatte nicht zu erfüllen, und ich setzte eine Art Befriedigung meiner Eitelkeit darein, dem Verlangen meiner Sinne nach monatelanger Entbehrung heldenmütig zu widerstehen und die Hoffnungen der lieben Familie, die mir so viel Kraft nicht zutraute, zuschanden zu machen.

Und also beschloß ich, Frau von Fronsac wie eine Dame zu behandeln, der ich Achtung schuldig war. Ich las in ihren Augen, daß meine zarten Rücksichten sie keineswegs befriedigten, und nachdem sie lange genug ihre Zurückhaltung bewahrt hatte, dachte sie, daß ihre Liebkosungen doch vielleicht einiges über einen Ehemann vermöchten, der dergleichen lange entbehrt hatte. Sie näherte sich mir, ergriff meine Hände und sagte mir mit dem zärtlichsten Ton ihrer Stimme, wie sehr sie meine Gefangenschaft beklage, wie sie verzweifelt gewesen sei, als sie davon erfahren habe und wenn ihre Bitten etwas genützt hätten, so wäre ich schon längst frei. Aber der König, fügte sie hinzu, sei unerbittlich und nur meine große Jugend habe ihn abgehalten, mir seinen Zorn nicht noch deutlicher zu zeigen. Sein Unwillen sei derart, daß man ihm nicht von mir sprechen dürfe. Nur die Versicherung, daß ich entschlossen sei, mich eines geordneten Lebenswandels zu befleißigen, habe ihn endlich gerührt; aber er verlange Beweise meiner Besserung. Und die ersten Beweise müßten die sein, daß ich mich mit meiner Familie aussöhnte, die so zärtlich an mir hinge.

Bei diesen letzten Worten warf sie einen schmachtenden Blick auf mich; ihre Tranen flössen, ihr Kopf neigte sich, und schmerzliche Seufzer sprachen von ihrer tiefen Erregung. Ich selber wurde bewegt, ich umarmte sie. Ich empfing einige tränenfeuchte Küsse und ein heißes Begehren in mir kämpfte tapfer für sie. Ich hatte mich nicht mehr sehr in der Gewalt; seit langer Zeit hatte ich nur Männer gesehen und Frau von Fronsac war eine Frau, wenn auch die meinige.

Schon fühlte ich meinen Kopf sich erhitzen, ich dachte nicht mehr an meinen Vorsatz, als plötzlich Frau von Fronsac, die den Augenblick ihres Sieges nahe glaubte, ausrief: ›Ach, mein Freund, wenn Ihr mich immer so behandelt hättet, so wäret Ihr nicht, wo Ihr seid‹.

Diese Worte waren ein Talisman, der alles auslöschte. Mein Kopf wurde wieder klar, ich sah nur noch meine Frau, und ich schämte mich, ihr soweit nachgegeben zu haben.

Ich wich von ihr zurück mit einem Entsetzen, als ob ich daran gewesen wäre, mich in einen Abgrund zu stürzen. Jetzt errötete ich, daß ich einen Augenblick meine Vorsätze vergessen hatte, meine Eigenliebe war verletzt, und das ist immer die größte Pein, die uns widerfahren kann.«

Der junge Fürst von Rohan-Guémené vermochte hier nicht mehr länger an sich zu halten.

»Wahrlich,« rief er aus, »Ihr erzählt da ein Heldenstück, worin Ihr keinen Vorgänger habt. Niemals ist so was erhört worden.«

»Kann sein,« entgegnete Richelieu lachend; »aber hört weiter: Das Erstaunen meiner Gattin läßt sich nicht beschreiben, sie wußte nicht, wie sie sich dieses plötzliche Zurückweichen deuten sollte; sie sah die Wirkung ihrer kleinen Listen zerstört, und ich muß zugeben, daß sie in der hohen Kunst der Frauen, sich den Mann zu unterjochen, keine geringe Meisterschaft an den Tag gelegt hatte.

Sie war ehrbar und tugendhaft und wußte nichts von den Mitteln, deren sich die Frauen der großen Welt bedienen, wenn sie zu ihrem Ziele gelangen wollen; aber die Natur hatte sie doch das Wesentliche gelehrt. Man könnte sagen, daß allen Frauen eine gewisse Geschicklichkeit und Listigkeit angeboren ist, die sich je nach der Gelegenheit entwickelt. Auch die beschränkteste unter ihnen wird scharfsinnig, sobald ihr Herz oder ihre Eigenliebe dabei ins Spiel kommt.

Frau von Fronsac blieb wie vernichtet auf ihrem Sitze, sie brachte nicht einmal ihren Anzug in Ordnung. Ich meinerseits machte mir Vorwürfe, soweit gegangen zu sein; ich stützte den Kopf in die Hand, ohne eine Wort zu sprechen. Und nach langem Stillschweigen näherte ich mich ihr und bat sie, versichert zu sein, daß mich ihre Teilnahme gerührt, und daß ich derselben eingedenk bleiben werde für alle Zeiten.

Als ihre Tränen aufs neue zu fließen begannen, sprach ich ihr zu: Sie dürfe sich dem Schmerze nicht so überlassen, meine Gefangenschaft werde ein Ende nehmen, der König müsse meiner Unschuld Gerechtigkeit widerfahren lassen und könne ein paar leichtsinnige Streiche nicht mit einer langen Einkerkerung bestrafen. Ich beteuerte dann noch einmal, daß ich unschuldig sei (hier runzelte die Dame die Augenbrauen) und daß meine Haft nicht mehr lange dauern werde.

›Ich möchte es wünschen,‹ rief sie aus ... Sie hielt inne.

Aber ihre Blicke waren beredt; sie schienen mir zu sagen: Und mehr wollt Ihr nicht für Eure Befreiung tun?

Dieses stumme Zwiegespräch der Blicke dauerte einige Minuten. Dann siegte der Stolz über die Liebe, sie stand auf und sagte mir traurig Lebewohl. Ich geleitete sie voll Ehrerbietung, indem ich mir nicht wenig darauf zugute tat, daß ich sie nicht anders gehen ließ als wie sie gekommen war.

Als ich mich wieder allein sah, konnte ich nicht umhin, über den Auftritt zu lachen. Ich war zufriedener mit mir als wenn ich die Gunst der schönsten Frau der Welt erobert hätte.

Und doch muß ich zugeben, daß unter der Zahl derjenigen, die mir ihre Huld geschenkt hatten, mehr als eine schlechter war als meine Frau. Frau von Fronsac war jung und konnte auf eine bessere Behandlung Anspruch machen als sie sie von mir erfuhr. Aber ich hielt meinen Schwur, und als ich sie verlor, hatte sie von mir niemals etwas anderes empfangen als den Namen meiner Gemahlin.

Vielleicht war ich von allen Gefangenen, die je die Bastille bewohnt haben, der einzige, dessen Befreiung von der lächerlichen Sache abhing, die Ihr nun kennt, und es ist sehr komisch, daß man gerade diesen Ort zu einer Versöhnung ausersehen hatte, die aller Berechnung nach zustande kommen mußte. Es bedurfte eines Charakters wie des meinigen, um das fein gesponnene Netz zu zerreißen, in dem man mich fangen wollte, und selbst heute noch erinnere ich mich mit Vergnügen daran, daß ich damals fähig war, meinen Vorsatz zu halten.

Ich merkte bald, daß der Bericht der Frau Fronsac über mich nicht günstig ausgefallen war. Ich wurde strenger behandelt als je zuvor.

Man hielt auf's neue Zusammenkünfte bei Frau von Maintenon, und diese heiligen Konzilien, die über mein Schicksal und meine Zukunft bestimmen sollten, dauerten geraume Zeit. Endlich wurde entschieden, mich in die Armee einzureihen, um mich allen meinen früheren Liebschaften zu entziehen. Man sah ein, daß meine Aussöhnung mit Frau von Fronsac eine Sache der Zeit sein müsse und daß man meinen stolzen Charakter nicht brechen könne, sondern daß man mehr erreiche, indem man sich den Anschein gab, mir entgegen zu kommen.

Man rechnete auf die Zukunft, aber die Zukunft strafte ihre Hoffnungen Lügen.

Die Freiheit erschien mir zunächst das höchste Gut. Entlassen aus dem entsetzlichen Kerker, glaubte ich die Dinge zum erstenmal zu sehen, alles erschien meinen Augen neu. Ich war wie berauscht von Glück, und der Befehl, den ich erhielt, Paris zu verlassen und in die Armee des Herrn Marschalls von Villars einzutreten, kam mir durchaus willkommen.

Mein Vater empfing mich verdrießlich, er gab mir Ermahnungen, die aus seinem Munde gar keinen Wert für mich hatten, und ich verließ Paris, sehr zufrieden damit, mein eigener Herr zu sein und eine neue Laufbahn zu beginnen.

So, da habt Ihr meine Geschichte,« sprach der Erzähler, innehaltend.

»Sie ist köstlich,« beteuerte Rohan, »sie ist vor allem ganz einzig.«

»Aber nun ist es Zeit,« sprach der Herzog, »daß wir dem Kutscher Weisung geben, wo er uns hinfahren soll; denn wie ich sehe, rollt unser Wagen bereits zwischen den Platanen des Korsos der Königin.«

»Ich denke,« antwortete Rohan leichthin, »wir fahren nach Eurem festen Schloß zu Charenton.«

Aber Richelieu fiel ihm lebhaft in die Rede.

»Kein Wort mehr davon; ich bin fest entschlossen, den geringsten Anschein einer Flucht zu vermeiden.«

»Nach dem Marais, Kutscher,« rief er zum Wagen hinaus, »in die Gasse zum Eisernen Mann beim Kloster Unserer Frauen zu den Blauen Mänteln.«

Und also fuhren sie in der Gasse zum Eisernen Mann vor die Wohnung des wirklichen Abbé von Mouzon, und nachdem sie sich hier entpriestert, begleitete Rohan den Herzog, da er denselben Weg hatte, zu Fuß nach seinem Palast.

In einiger Entfernung davon bemerkten die beiden Freunde, daß vor dem Palast eine Menge niedrigen Volkes sich gaffend staute, und wie sie näher kamen, erkannten sie auch den Grund dafür.

Eine beträchtliche Anzahl von Häschern, solche der niedrigsten Gattung, wie sie die städtische Prevostei und die gemeine kaufmännische Gerichtsbarkeit zu beschäftigen pflegte, hatte sich vor dem Eingang des herzoglichen Palastes postiert, Kerle, so schmutzig und henkersknechtsmäßig ausschauend, daß gewiß schlimmere in ganz Paris nicht aufzutreiben waren.

»Freund, mein lieber Freund,« flüsterte der Fürst Rohan, »meine Befürchtungen ...«

»Seht Ihr schon wieder Gespenster,« entgegnete Richelieu aufrichtig lachend, »seit wann wird denn ein Herzog und Pair von Frankreich durch solches Galgengesindel verhaftet?«

Die Rache des Kardinals, dachte Rohan. Zum Reden war keine Zeit mehr. Aus einer verschlossenen und verhängten Kutsche war eine Art Offizier gestiegen, er hielt, wie jedermann am Siegel erkennen konnte, den königlichen Verhaftungsbrief in der Hand. Der Offizier vertrat dem Herzog den Weg.

»Im Namen des Königs, Euern Degen.«

Richelieu wußte nun, wieviel die Stunde geschlagen. Er reichte stumm dem Soldaten seinen Degen.

Herzlich umarmte er den Fürsten.

»Kein trübes Gesicht, Freund,« sprach er lachend, »die Komödie ist allerdings witzlos; aber bei Pharsalus sehen wir uns wieder.«

Dann stieg er in die Kutsche, an deren offenem Wagenschlag der Offizier harrte, der nun seinem Gefangenen in das Innere des Wagens nachstieg.

Und umringt von den schimpflichen Häschern drehte das Gefährt um und fuhr in der Richtung der Sankt Antonsstadt, wo die Bastille lag, mit dem Gefangenen davon.


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