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Zweites Kapitel. Der Regent

Hinter dem Rücken der Herzogin, in der entgegengesetzten Wand, taten sich gleichzeitig die beiden weißgoldnen Flügel einer Türe weit auf und die mächtige Gestalt in Grün und Gold eines Lakaien mit weißer Perücke wurde sichtbar:

»Seine Königliche Hoheit!«

Die strengen Züge der alten Dame erhellten sich, in ihren kleinen Augen blickte es freudig, indem ihre Hand eine einladende Bewegung machte.

» Lupus in fabula,« murmelte sie.

Der Lakai wich unter tiefem Verbücken rückwärts zur Seite, und mit zögernden wie unsicheren Schritten trat ein untersetzter dicker Mann ein im Hofkleid mit dem cordon bleu, nämlich dem himmelblauen breiten Band des Heiliggeistordens über der hechtgrauen reichgestickten seidenen Schoßweste. Seine linke Hand deckte wie schützend das eine Auge.

Bei seinem Anblick fuhr die Fürstin erschreckt empor.

»Mein Sohn,« rief sie angstvoll aus, indem sie sich mit einer Behendigkeit erhob, die man ihrer Beleibtheit nicht zugetraut hätte und dem Eintretenden entgegeneilte, dem sie mit beiden Händen den Kopf gegen das Licht drehte.

»Verzeiht, Königliche Hoheit, wenn ich mich vergesse,« so sprach sie, »aber Euer Auge! Diese Pflaster. Und die ganze Umgebung ist geschwollen. Wie hat sich das nur so verschlimmert?«

Der Regent nötigte die Herzogin auf ihren Stuhl zurück und zog einen zweiten Sessel an das Kamin heran, indem er die Hundekissen an dieser Stelle nicht ohne zarte Rücksicht zur Seite schob, deren seitherige Inhaber, drei an der Zahl, ihrer Herrin ängstlich auf den Schoß sprangen.

»Zuerst, lieber Sohn, was ist mit dem Auge geschehen,« bat die Fürstin in herzlicher Bekümmertheit, nachdem der Regent sich bequem niedergelassen.

»Nichts Wichtiges,« beruhigte der Verletzte, »gestern abend beim Schlagballspielen ... Ach nein, was soll ich Euch den Buckel voll lügen, Mutter. Die Wahrheit zu sagen hat mir die Herzogin von Larochefoucauld, die wilde Katze, diese Nacht im Luxenburg mit ihrem Fächer eins darauf gegeben, gerade auf das entzündete.«

»Um Himmelswillen,« versetzte mit einem hörbaren Aufseufzen die Herzogin, »was ist das wieder für eine Geschichte; aber ich will sie lieber nicht hören.«

Der Herzog lachte gutmütig.

»Seit wann so zimperlich, Mutter?«

»Wo mich's nicht beißt, kratz' ich nicht,« entgegnete sie trocken.

»Die Geschichte ist dennoch lustig,« sprach der Sohn, der nun noch lauter lachte. »Die Berry hatte die Liebenswürdigkeit, die Larochefoucauld unter irgendeiner Vorspiegelung in ihr Schlafzimmer zu locken ...«

»Nette Tochter.«

»Ja, sie liebt ihren Vater über alles.«

»Ein herziges Täubchen.«

»Gut, gut Mutter, Ihr mögt meine Töchter nicht. Also, die Berry wollte ihrem guten Vater einen Liebesdienst erweisen. Ist das ein Kind seinem Vater nicht schuldig? Die Larochefoucauld machte sich schon lang allzu mausig. Überall prangte sie mit ihrer Großsprecherei. Und wenn alle ohne Ausnahme dem Regenten zu Willen seien, so wolle sie allein beweisen, daß weibliche Tugend und weiblicher Stolz usw. Mit solchen Reden geht die Gans hausieren seit bald einem Jahr. Meine gute Tochter war längst wütig darüber. Und nun gelingt es ihr gestern nacht, die Ruhmredige in die Falle zu locken. Ich war im Schlafzimmer versteckt. Ehe die Larochefoucauld sich noch umsieht, löschen plötzlich die Lichter aus, und sie fühlt sich ergriffen. Sie wehrt sich wie toll. Ich halte sie um die Hüfte gefaßt, die Berry bemächtigte sich ihrer Arme.«

»Herr Sohn, Herr Sohn,« ließ sich mit unwillkürlich mütterlicher Strenge die Frau Liselotte vernehmen.

»Bemächtigte sich ihrer Arme,« fuhr der Regent fort, »aber die Larochefoucauld beißt sie in die Hand, kriegt den Arm frei und trifft mich mit ihrem Perlmutterfächer so heftig in das schlimme Auge, daß ich vor Schmerz laut schrie, indes die wilde Bestie sich losriß.«

Die Regentin-Mutter wollte den Mund auftun, aber sie unterdrückte ihre Rede.

»Hinterher mußte ich lachen über den tollen Spaß,« sprach der Herzog weiter. »Die kleine Herzogin hatte sich wirklich im Ernst gewehrt. Ich war des nicht erwartend. Wie soll auch unsereiner an ernstgemeinte weibliche Tugend glauben können.«

»Ich habe,« nahm jetzt die Regentin-Mutter das Wort, und ihre Stimme klang traurig, »ich habe kein Recht, Eurer Königlichen Hoheit Moralvorschriften zu geben. Es hieße meine Stellung zu Eurer Königlichen Hoheit verkennen, wollte ich es tun.«

Fast überfeierlich sprach das die gute Liselotte. Sie hatte immer die Etikette heilig gehalten, hatte sogar, wer sollte es glauben, unter dem großen Ludwig oft über deren Vernachlässigung bitter geklagt und jetzt unter der Regentschaft erschien ihr deren Verfall als das größte aller Übel, so wenig die tugendhafte Frau die andern Übel gering anschlug.

»Ich werde mir niemals herausnehmen, was mir nicht ansteht,« fuhr sie fort, »aber das darf ich, als Mutter darf ich meinen Sohn bitten, inständig bitten, daß er auf seine Gesundheit acht habe. Nur den einen Gefallen tut mir, mein Sohn, schont Eure Gesundheit. Ich zittere, wenn ich daran denke, daß Ihr das Augenlicht verlieren könntet. Euer Hang zum Wein, Euer nächtliches Umherziehen in den Gassen kann Euch das Leben kosten. Ihr lacht. Wie Ihr leichtsinnig seid.«

»Mutter,« sprach der Herzog, indem seine linke Hand die Umgebung des verpflasterten Auges betastete, »ich sehe da Eure Bibel liegen, ich weiß, Ihr lest täglich darin. Vielleicht ein wenig mehr als ...«

»Eure Königliche Hoheit!«

Die Herzogin sprach es streng und mit Kälte. Der graue Papagei in seinem goldenen Käfig ließ ein zorniges Knurren hören. Belustigt schaute der Regent nach dem Vogel, der das Gefieder sträubte.

»Ich meine nur,« begütigte er, »daß Euer Bibellesen nicht allen hier gefällt, man wittert etwas wie versteckten Kalvinismus dahinter.«

»Ihr wißt,« sagte die Herzogin, und der schroffe Ton ihrer Rede steigerte sich noch, »daß es Dinge gibt, wo ich keinen Spaß verstehe. Kurz, was wollt Ihr mit der Bibel?«

» S'il vous plaît!« rief es aus der Zimmerecke.

»Dieser Star«, sagte der Herzog lachend, »wird ein wenig vorlaut. Aber wenigstens spricht er französisch; er will mich nicht beschämen, dem es niemals möglich war, die Sprache seiner Mutter zu erlernen. Aber wie kam ich nur gleich auf Eure Bibel?«

»Meine Bibel?«

»Die Bibel also. Richtig. Man hat mir einmal ein Sprüchlein daraus zitiert, es hieß: ›Wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren‹, was doch nur heißen kann, daß der am sichersten sich um sein Leben betrügt, wer ängstlich darum besorgt ist, da ihn eben seine Besorgtheit recht eigentlich um den Genuß des Lebens bringt, was dann so ein armer Schelm gar nicht merkt. Und nun sagt, teure Mutter, ob ich nicht lebe nach dem Wort Gottes?«

»Weil du dein Leben vergeudest, Gottloser? Jenes Wort der Schrift ...«

»Es gefällt mir einmal,« unterbrach wenig höflich der Sohn, der eine langweilige theologisch-moralische Erörterung befürchten mochte. »Ja, wenn viele derart in dem alten Buche stehen ... Das Wort unterschreib ich. Es muß allen Starken einleuchten, allen Großartigen, allen Tapferen, allen, die voll Mutes sind und voll Übermuts. Und es beschämt die Feigen, die Schwachmütigen, die Geizigen am Leben. Ja, ja, gestrenge Frau Mutter, wir andern haben auch unsre Moral. Aber damit ich nicht vergesse, warum ich gekommen bin ...«

Er zog bei diesen Worten aus der seitlichen Schoßtasche des goldbebordeten Rockes einen Brief mit großem roten Siegel.

»Ein eigenhändiges Schreiben des Herzogs von Modena,« sagte der Regent.

Er entfaltete den Brief und reichte das Papier der Herzogin, die es nahe an die bebrillten Augen brachte und den Inhalt las, indem sie jedes Wort mit den Lippen unhörbar formte.

»Gott sei Dank,« sagte sie, als sie zu Ende gelesen, »so wird der Nichtsnutz endlich unter die Haube und mir aus den Augen kommen.«

»Eure Großmutterliebe«, versetzte der Regent, »freut sich allzu schnell. Noch ist die Heirat ja nicht sicher.«

»Ja, wahrlich,« antwortete die Regentin-Mutter bitter spöttisch; »die Heirat kann etwa Eurem Liebling und Busenfreund, dem Herzog von Richelieu, nicht genehm sein.«

Merkwürdig, die Mutter mochte sagen, was sie wollte, mit allem forderte sie einzig die Heiterkeit des Sohnes heraus. Jetzt hielt sich der Regent förmlich den Bauch vor Lachen. Dann kehrte er sich gegen den grauen Federmann hinter den goldenen Stäben. »Hörst du, Griffo,« sprach er lachend, »von Richelieu ist die Rede – Richelieu, Richelieu!«

»Galkestrick, Galkestrick,« krächzte der Papagei.

»Gut gebrüllt, Alter,« rief der Regent lachend, und sich zur Herzogin wendend, indem er sich zu beherrschen suchte.

»Nein, Mutter,« sprach er mit erzwungenem Ernst, »diesmal handelt es sich nicht um Herrn von Richelieu. Denn wenn auch alle schönen Gräfinnen und Marquisen von Frankreich sich um den jungen Fant schießen aus Eifersucht, so weit geht seine Macht doch nicht, daß ich seine Einwilligung nötig hätte, wenn ich meine Tochter verheiraten will.«

»Also ist es wirklich wahr,« fragte Elisabeth Charlotte, indem sie ihren Kneifer abnahm und vor sich hin auf das Papier legte, »so haben wirklich die Damen von Nesle und von Polignac sich des Herzogs wegen geschossen, das ist ja unerhört, ich kann es nicht glauben.«

»Ihr dürft es kecklich glauben,« versicherte der Sohn. »Die Polignac hat mir's selber gestanden.«

»Wenn es mit rechten Dingen zuginge, säße er heut in der Bastille.«

»Weil zwei schöne Damen sich um ihn duelliert haben?«

Der Orléans wollte sich ausschütten vor Lachen.

»Lacht nicht so,« mahnte fast bös die Mutter. »Ihr wißt recht gut, was ich meine. Er hat vorgestern den Baron von Pentenrieder getötet. Nach dem Gesetz mußte er verhaftet werden.«

Auf die Ermahnung der Mutter hin hatte der Regent die ernsteste Miene aufgesetzt, die ihm möglich war.

»Nach dem Gesetz,« sagte er jetzt. »Aber das ist ein Gesetz, das nur gemacht zu sein scheint, um täglich übertreten zu werden, und von dessen Strenge wir wohl hie und da Gebrauch machen, wenn es uns paßt. Denn im Ernst den Zweikampf ausrotten zu wollen, das hieße die Ideen und Institutionen des Adels aus der Welt schaffen und eine neue Ordnung der Gesellschaft einführen, die verdammt langweilig sein dürfte. Demokratie heißen die Philosophen das scheusälige Ungetüm. Puh, ich möcht's nicht erleben.«

»Aber man hat den Richelieu doch auch eingesperrt, als er vor drei Jahren den Herrn von Gacé getötet hat.«

»Halt,« rief der Regent, »das war eine andere Sache. Das war ein Duell, das Herr von Richelieu allzu leichtfertig provoziert und wobei er alles Unrecht auf seiner Seite hatte. Und dann der Skandal. So nahe am Ausgang des Opernhauses und vor den Augen von ganz Paris, da gerade die Oper zu Ende ging, sich auf Tod und Leben einander anzufallen für nichts und wieder nichts und aller Zusprache der Vernünftigen zum Trotz nicht zu ruhen, bis der arme Gacé in seinem Blut am Boden lag. Dieses Benehmen schrie allzu laut nach Sühne. Außerdem war er ein Franzose. Bei Baron von Pentenrieder handelt es sich um einen Fremden, das macht einen Unterschied. Wer kümmert sich um diesen reichen Wiener Muttersohn, der nur nach Paris kam, um seine Millionen auf anständige – oder unanständige Weise loszuwerden. Auch war diesmal Herr von Richelieu der Provozierte.«

»Kennt Ihr denn«, fragte die Mutter, »den Vorgang näher und die Veranlassung? Ein nichtsnütziges Frauenzimmer war jedenfalls wieder im Spiel.«

»Was denn auch sonst? Diesmal war's die schöne La Martellière, die Frau des Generalpächters. Die Beziehungen des Herrn von Richelieu zu ihr sind längst bekannt. Ihr wißt so gut wie ich, daß der Herzog da und dort in der Stadt zerstreut, meistens in obskuren Gassen und Winkeln, kleine Häuser in seinen Besitz oder seine Miete gebracht hat für diejenigen Abenteuer, wofür ihm sein herzoglicher Palast in der Blauen Mantelgasse nicht geeignet erscheint. Diese ingeniöse Einrichtung ist aber keine Erfindung des erfindungsreichen Herrn von Richelieu. Längst haben andere vor ihm davon Gebrauch gemacht. Also nicht nur wußte jedermann – mit Ausnahme des Ehemanns natürlich – von den Beziehungen des Herrn von Richelieu zu der schönen La Martellière; man zeigte sich auch das Haus in der Taubenschlaggasse hinter St. Sulpice, wo er die La Martellière zu empfangen pflegte. Und dieser Dame nun, sie soll wirklich von blendender Schönheit sein, suchte sich unser deutscher Baron, unser Pentenrieder, zu nähern. Er wurde auch, weniger wegen seines Namens als seiner Moneten, in dem Haus des Generalpächters wohl aufgenommen; aber sein Erfolg bei der Dame war gering. Er scheint dann aufdringlich geworden zu sein, so daß von einem gewissen Tag an die Dame sich weigerte, ihn zu empfangen. Dieses Resultat setzte er auf die Rechnung des Herrn von Richelieu, und darin hatte er vielleicht nicht so unrecht. Sehr unrecht aber hatte er, daran ist kein Zweifel, sich an dem Herzog von Richelieu deswegen rächen zu wollen. Der Mensch war einfach toll. Er suchte also nach einer Veranlassung zu Händeln, und da sich keine bieten wollte, brach er sie sich einfach bei der ersten besten Gelegenheit vom Zaun. Das war vorgestern abend. Da mußte er das Unglück haben – er hielt es wohl für ein Glück – dem Herrn von Richelieu in der Dämmerung auf der Königsbrücke zu begegnen, der in seiner Staatskarosse zur Gesellschaft der Herzogin von Villeroy fahren wollte. Auch der Baron hatte seine Karosse. Durch deren Fensterschlag ruft er den Herzog an und bittet ihn um ein Wort. Das Wort mag kaum sehr höflich gewesen sein, die Entgegnung des Herrn von Richelieu war es gewiß noch weniger, und beide gaben gleichzeitig ihren Kutschern Befehl, nach dem Wäldchen hinter den Invaliden zu fahren, wo der Baron von Pentenrieder, er hatte kaum neunzehn Jahre, nach einer Viertelstunde erbitterten Kampfes als Leiche zurückblieb. Herr von Richelieu trug keine andere Verletzung davon als eine leichte Hautwunde am linken Schenkel, die gewiß schon wieder zugeheilt ist. Nein, wenn einer ein so schlechter Fechter ist und so plump und grundlos herausfordert, da sollte man seinen glücklichen Gegner eher belohnen als bestrafen. Belobt wenigstens wird er genug. Und der ganze hohe Adel von Frankreich, seine schönere Hälfte nicht zuletzt, wurde mich höchlichst tadeln, wenn ich dem Herzog – er ist Pair von Frankreich – wegen dieses Duells auch nur ein Haar krümmen wollte.«

»Mich dauern die unglücklichen Eltern des Getöteten.«

Der Orléans zuckte verächtlich die Achsel.

»Aber kommen wir«, sagte er, nun fast ungeduldig, »auf unsere Angelegenheit zurück. Also, nicht bei Herrn von Richelieu liegt die Schwierigkeit selbstverständlich, sondern bei unserer Prinzessin, genannt Fräulein von Valois. Wenn sie nicht will; wenn weder Modena noch der Erbherzog dort sie im Geringsten locken ...«

»Dann müssen Eure Königliche Hoheit ihr eben den Tausendsapperlöter von Richelieu geben.«

»Nicht so, Mutter,« entgegnete, jetzt ernst werdend, der Regent. »Eure Königliche Hoheit geht zu weit in Ihrem Haß, von dem ich nicht entscheiden mag, wie weit er berechtigt oder nicht berechtigt ist. Der Herzog von Richelieu ...«

»Verzeihen Eure Königliche Hoheit, der Name tut wirklich meinen Ohren weh,« unterbrach die Fürstin heftig ihren Sohn. Sie hatte vergessen, daß sie nicht nur den verhaßten Namen selber ohne Not genannt, sondern daß sie auch in der erwähnten Duellsache eine recht eingehende Neugierde an den Tag gelegt hatte für den Träger dieses Namens.

»Schon gut, schon gut,« besänftigte der Sohn. »Was aber das Fräulein von Valois betrifft, in der Zwangsjacke und mit Gewalt können wir sie nicht nach Modena bringen und seiner Gnaden dem Erbherzog ins Bett nötigen. Doch hoffe ich, es wird sich machen. Warten wir erst die Gesandten von Modena ab. Wenn sie recht verführerische Brautgeschenke mitbringen, hoffentlich ...«

Die Herzogin machte eine unmutige Bewegung.

»Von diesem eigensinnigen Tollkopf von Tochter könnt Ihr Euch aufs Schlimmste gefaßt machen, mein Sohn.«

Der Regent zuckte mit der Achsel. »Euch zu hören, verehrte Mutter, sollte man meinen, meine Tochter sei nicht das lustige Prinzeßchen, das sie doch ist, sondern ein kleiner schwarzer Teufel mit häßlichen Krallen statt der zarten Rosenfinger und ein paar garstiger Hörner unter ihrem duftigen Lockenchignon.«

»Wie Ihr sie malt,« brummte die Regentin-Mutter. »Seid Ihr gar verliebt in sie? Nun Ihr seid's in alle Welt, wenigstens so weit sie Unterröcke trägt. Und in den andern Teil obendrein. Ihr seid ein schlechter Menschenkenner, mein Sohn. Ihr denkt von jedem das Beste. Ist Euch denn der Beiname schon zu Ohren gekommen, den Euch der Herzog von Saint-Simon gegeben hat?«

»Ihr macht mich neugierig.«

» Philippe le débonnoir.«

»Philipp der Gute. Ich dächte, das könnte man sich gefallen lassen.«

»Haltet Ihr den galligen Saint-Simon für so harmlos?« Das sieht Euch wieder gleich. Er sagt Philipp der Gute; seine Meinung ist, fürcht' ich: Philipp der Schwache. Und – verzeihen Eure Königliche Hoheit, es gibt noch andere, die das sagen.«

»Nun wer denn? Ihr belustigt mich, Mutter.«

»Gleichgültig, wer. Aber wollt Ihr leugnen, daß Ihr schwach seid gegen Eure Töchter? Und wenn's nur die wären. Aber Ihr seid es zehnmal gegen die widerwärtige Zwergin, Eure Schwägerin.«

»Die zierliche Herzogin von Maine? Soll ich gegen eine Puppe Krieg führen? Sie ist so entzückend. Ihr solltet sie einmal tanzen sehen auf ihrem Theater zu Sceaux.«

Merkwürdig, die Mutter mochte anspielen, auf was sie wollte, sie forderte mit allem nur die Heiterkeit dieses Sohnes heraus. Wie er nun wieder herzlich lachte, der ewig lustige Regent, Philipp der Gute.

»Krieg gegen eine Puppe,« wiederholte er mit Lachen.

Er sah wirklich nicht aus nach einem strengen Herrscher. Man hätte nicht geglaubt, daß dieser etwas geschmacklose Lacher erst vor einer Stunde das schreckliche Todesurteil des Grafen von Horn unterzeichnet hätte.

Um so ernster und bekümmerter blickte die Mutter.

»Eine Puppe nennt Ihr die Herzogin von Maine? Wenn sie draußen in ihrem Sceaux Theater spielt, dann wirkt sie freilich wie eine solche. Sie sollte sich schämen mit ihren dreiundvierzig Jahren. Dreiundvierzig, denkt doch. Eine Fee nennen sie dann ihre schöngeistigen Schmeichler. Eine Göttin gar. Närrische Vorstellung. Aber gebt acht, dieses viereinhalb Fuß hohe Persönchen wird noch ganz Frankreich auf den Kopf stellen.«

»Ach Mutter,« versetzte der Regent, jetzt sichtbar gelangweilt. »Begreift Ihr nicht, daß die zierliche Herzogin nicht leben kann, ohne etwas zu spielen. So spielt sie auch die Rolle einer Verschwörerin. Die Sache macht ihr Spaß. Und ich mag's ihr gönnen. Seien wir auch ein wenig gerecht, Mutter. In ihren und ihres Gemahls Augen bin ich einmal der Usurpator. Ja, ich bin wirklich nichts anderes, da der große Ludwig in seinem Testament ...«

»Den Sohn der Montespan, den Ehgemahl der Zwergin, zum Regenten eingesetzt hat,« ergänzte die Mutter. »Das war aber sehr klein von dem großen König, dessen Geist der Tod schon angehaucht hatte, und der sich dann von der großen – aber ich will das Wort nicht in den Mund nehmen vor Eurer Königlichen Hoheit – der sich, will ich sagen, von jener Maintenon sein Testament diktieren ließ wie ein kleines Kind.«

Bös klang die Stimme der Sprechenden. An ihren knochigen Schläfen traten die Zornadern dick hervor, die ungesunden roten Flecken ihrer schlaffen Wangen (und ihrer Nase) spielten jetzt ins Bläuliche; wie ein inneres Rütteln zuckte es durch ihren umfangreichen Körper.

Der Regent fuhr mit der Hand an das kranke Auge, wie um einen plötzlichen stechenden Schmerz abzuwehren.

»Ach, der große König,« fuhr die Herzogin fort, da ihr Sohn schwieg, »er war zuletzt ein gar armer Mensch, er hätte sich sonst nicht soweit bringen lassen von der alten Zottel – da ist mir das Wort nun doch entfahren – nicht soweit bringen lassen und hätte nicht ein anderes seiner Bankertkinder ...«

»Mutter,« rief der Regent, aber mit einer Miene, die der Heiterkeit näher stand als strafendem Ernst.

Auch ließ sich die Herzogin nicht beirren.

»Bankertkinder,« wiederholte sie, »ja ich sage so, Euch zum Ehgemahl aufzuzwingen. Hat er nicht gefühlt, daß er Euch beschimpfte mit dieser Heirat? Hatte er so alles natürliche Gefühl verloren, durch den Einfluß jener ... jener Maintenon, jener Witwe eines verkrüppelten Pamphletenschreibers? Noch in der Ewigkeit drüben werde ich den großen König deswegen mit meinen Vorwürfen verfolgen. Eure Königliche Hoheit bringt es freilich fertig, über alles nur zu lachen. Auch über die Zwergin und ihren Herzog von Maine.«

»Ihr werdet nicht leugnen,« wandte der Regent schüchtern ein, »daß unsere Base von Maine, die kurzgeratene Herzogin, sehr drollig sein kann und daß sie nicht nur in ihren Beinen, wenn sie tanzt, sondern auch in ihrem Köpfchen sehr behende ist.«

»Sie wird so behende sein,« meinte die Fürstin, »und so drollig, Eurer Königlichen Hoheit eines Tages das Haupt abschlagen zu lassen, in Nachahmung jener andern Tänzerin, der Herodias, wenn Ihr auch schon kein heiliger Johannes seid.«

»Bei Gott nicht,« lachte der Orléans.

»Hättet Ihr sie dann wenigstens nicht gereizt, indem Ihr ihrem Herrn Gemahl seinen Rang als Prinz von Geblüt und ihren Kindern das Recht der Thronfolge absprechen ließet. Bildet Ihr Euch ein, sie werden sich dafür nicht rächen?«

»Eure Königliche Hoheit selber hat mir zu diesem Schritt geraten.«

»Weil ich glaubte,« ergänzte die Mutter barsch, »daß Ihr nicht auf halbem Wege einhalten würdet. Aber ich sehe es kommen. Ihr teilt sicher noch das Los Eures Großvaters, des schwachen Gaston, wenn nicht Schlimmeres ...«

»Wie Ihr übertreibt,« entgegnete in scherzendem Tone der Regent. »Und da soll ich nicht lachen. Und von einer Betschwester, wie diesem Herzog von Maine, oder einer freigeistigen Zwergin, wie seine Frau ist, sollt ich mich ins Bockshorn jagen lassen. Lebt wohl, Mutter. Der Regentschaftsrat wartet mein.«

Mit einer tiefen Verbeugung küßte er der Herzogin die Hand, und mit denselben unsichertastenden Schritten, die linke Hand auf dem verpflasterten Auge, suchte er die Türe, die sich, auf ein Glockenzeichen der Herzogin, wieder beidflügelig auftat. Sie mußte sich dennoch nicht vor dem Herzog geöffnet haben, denn ein Page trat ein, er war in weißen Strümpfen, in ebensolchen Atlashöschen und orangefarbenem Rock. Mit einer silbernen Platte, worauf ein Papier lag, näherte er sich dem Regenten.

»Potzdonner,« rief dieser, nachdem er einen Blick auf das Blatt geworfen, und dann gegen die Herzogin gekehrt: »Der Kardinal ist da, er meldet sich in dringlicher Angelegenheit, würdet Ihr erlauben ...«

Das unschöne Gesicht der Regentin-Mutter verfinsterte sich, die groben Züge nahmen einen versteinerten Ausdruck an.

»Zu Euren Diensten,« sagte sie hart; »ich bin bereit, mich zurückzuziehen.«

»Ich lasse Seine Eminenz bitten,« sprach der Regent.


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