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Sechstes Kapitel. Der Herzog

Nanette aber war rasch in die Kirche eingetreten. Sie erreichte den Herzog, wie er eben durch jene Seitentüre die Klosterkirche wieder verlassen wollte. Er war gerade daran, den schweren Ledervorhang des Portals zurückzubiegen, als er sich am Ärmel gezupft fühlte.

Das Nönnchen lachte.

»Erkennt Ihr die Nanette?«

»Alle Wetter,« rief der Herzog, »so hatte die Dame doch recht. Sie wollte dich unter der Türe des Friedensrichters Danton erblickt und erkannt haben. Und war wie außer sich, redete von Spionen, mit denen man sie umgibt. Wahrlich, ich fing an, für ihren Verstand zu fürchten. Ich lachte sie aus. Ich wurde bös, ich schalt. Mein Spott machte sie zuletzt irre, sie wußte selbst nicht mehr, was sie glauben sollte. Und nun warst du's wirklich, wie es scheint. Und zwar mit einem Brief an mich, laß sehen.«

Der Herzog trat in die Kirche zurück, näherte sich einem einfallenden Licht in einer nahen Seitenkapelle und erbrach den Brief. Je länger er las, desto mehr erheiterte sich seine unwirsche Miene und nahm einen triumphierenden Ausdruck an.

»Du bist ein allerliebstes Nönnchen,« wandte er sich an Nanette. »Melde deiner hohen Herrin, der Herzog von Richelieu stehe zu ihren Diensten und hofft, man werde mit ihm zufrieden sein. Und außerdem«, fügte er lächelnd hinzu, »hofft und wünscht der genannte Herzog, daß deine hohe Herrin nichts von seinem dummen Abenteuer mit jener Dame erfährt. Du hast sie nicht erkannt, Nanette?«

»Wie hätte ich mir die Freiheit herausnehmen dürfen,« versetzte Nanette, indem sie mit einer Mischung von Frechheit und Bescheidenheit ihre Augen zu dem Herzog aufschlug.

»Ich sehe,« sagte dieser, »du bist eine kluge Nonne. Bei dir bedarf's keiner Worte. Aber nimm dies für den Opferstock deines Klosters.«

Er drückte, indem er dies sprach, der Zofe ein Goldstück in die Hand.

»Du hörst, für den Opferstock,« wiederholte er scherzend und dem errötenden Mädchen die Wange tätschelnd.

Und leichten Schrittes, wie einer, der unverhofftem Glück entgegengeht, verließ er die Kirche.

* * *

Oder wollte ihn das Glück nur foppen? Der Herzog lächelte selbstsicher bei dem Gedanken. Die Göttin würde sich hüten – nämlich jene, die in der Sprache des Landes Bonne fortune heißt – dem Herzog von Richelieu ein Versprechen nicht zu halten. Oh, sie würde sich hüten. Aber wie die Sache anstellen?

Ein Plan nach dem andern ging ihm durch den Kopf, während er in einer langen schmalen Straße vor sich hinschritt, aber seiner schien ihm nach näherem Besehen durchführbar.

Doch Geduld. Noch nie hat den Herzog von Richelieu sein Witz im Stiche gelassen.

Eines stand fest: man mußte, ohne Verdacht zu erwecken, sich Zutritt in die Abtei verschaffen. Aber wie?

Der Herzog schlug plötzlich ein Schnippchen in die Luft.

»Heureka.«

Natürlich, nichts einfacher. Wie war es nur möglich, nicht gleich darauf zu kommen.

Mitten in dieser Finderfreude und in dem Augenblick, da er aus der langen schmalen Straße auf einen Platz hinaustrat, ohne darauf zu achten, was es für ein Platz sei, hörte er sich mit seinem Namen angerufen. Er sah sich um und erkannte in dem Wagenschlag einer Mietskutsche den blonden Kopf seines Freundes, des jungen achtzehnjährigen Fürsten von Rohan-Guémené, der ihn zu sich heranwinkte.

»Was sehe ich,« rief der Fürst, »Ihr treibt Euch harmlos in den Gassen von Paris herum. Wißt Ihr nicht, in welcher Gefahr Ihr schwebt. Aber wollt Ihr nicht einsteigen, das ist sicherer.«

»Dann ziehe ich vor, zu Fuß zu bleiben,« erwiderte der Herzog lachend; »mögt Ihr mir vielleicht Gesellschaft leisten?«

»Lieber Freund,« sprach der Rohan ernst, »ich habe Euch gesucht. Nur darum seht Ihr mich in diesem schrecklichen Vehikel. Und nun, wenn Ihr mir eine Freundschaft tun wollt, wenn Ihr überhaupt mein Freund seid, steigt ein, ich bitte.«

»Einer solchen Aufforderung darf ich natürlich nicht widerstehen,« antwortete Richelieu mit einer fast spöttischen Verneigung und setzte sich zu dem Fürsten in den Fiaker.

»Also was gibt's Neues?«

Und der junge Fürst von Rohan-Guémené erzählte dem Herzog, was er von der Entdeckung des Kardinals Dubois wegen des Komplotts zwischen dem Herzog von Maine und dem spanischen Minister auf geheimem Weg erfahren hatte. Er glaubte seinen Freund damit aufs höchste zu verblüffen, aber mit grenzenlosem Erstaunen bemerkte er, daß Richelieu ihm nur ganz zerstreut zuhörte, ja ihn zuletzt mit der Frage unterbrach:

»Sagt,« fragte er, »würde Euer Schützling, der Abbé von Mouzon, Euch eine Gefälligkeit erweisen?«

»Aber, Freund,« versetzte der Fürst in staunender Verwunderung; »wie kommt Ihr auf den Abbé von Mouzon, indes ich Euch Dinge erzähle, von denen ich erwarten mußte, daß ...«

»Ja, natürlich,« antwortete Richelieu zerstreut, »wir reden ja auch noch darüber. Aber würde wirklich der Abbé von Mouzon Euch zu einem Dienst bereit sein?«

»Zu jedem, der in seiner Macht steht,« entgegnete Rohan; »er verdankt mir seine Pfründe.«

»Und Ihr, Freund, würde Eure Freundschaft so weit gehen, mir morgen Euren Tag zu opfern? Ja, Ihr wollt? Nun denn, diesen Abend habt Ihr mir ohnedies zugesagt. So bitte ich Euch, zuvor den Abbé von Mouzon zu besuchen, er wohnt ja in unserer Nachbarschaft. Laßt Euch von ihm ein doppeltes geistliches Gewand zusichern – wir haben zum Glück alle drei zusammen fast die gleiche Gestalt und Größe – gebt acht, ein geistliches Gewand in zwei Exemplaren, und außerdem ... vielleicht irgendein Dokument, einen Ausweis über die Person des Abbé, wollt Ihr?«

»Wenn ich nur ...«

»Ihr möchtet wissen, um was es sich handelt? Das ist eine ganze Geschichte. Ihr sollt heute abend eingeweiht werden.«

»Also nicht um Eure Flucht und Sicherheit handelt es sich,« fragte Rohan, der überhaupt nicht mehr begriff.

»Flucht?« fragte Richelieu dagegen. »Wer spricht davon? Und Sicherheit? Wahrlich, ich glaube meiner Sache sicher zu sein.«

»Ich habe Euch noch nicht alles gesagt, was ich weiß,« antwortete der junge Fürst besorgt. »Der Kardinal soll in den Archiven der spanischen Botschaft einen Brief Alberonis an Euch gefunden haben, in dem die Rede ist von Eurem Regiment zu Bayonne.«

»Bayonne,« wiederholte der Herzog zerstreut. »Nein, nicht Bayonne, sondern Longchamp heißt das Schlachtfeld. Aber Ihr wißt noch nicht. Ich bitte Euch, Freund, kommt eine halbe Stunde vor der Gesellschaft. Was ich Euch zu eröffnen habe, ist der Mühe wert. Auch die Gesellschaft soll Eurer würdig sein. Ich habe eingeladen: Eure geistreiche Base, die Fürstin von Soubise, die tugendhaften Marschallinnen von Estrées und von Villars, die schöne Daverne, die sentimentale Marquise von Guésbriant und ihre Freundin, die blonde Gräfin von Sabran, die taubenäugige Herzogin von Villeroy, die witzige La Marteliere, die achtzehnjährige Herzogin von Châteauroux, die Marquise von Nesle und die Gräfin von Polignac.«

»Beide zusammen?« rief in ehrlichem Erstaunen der Fürst von Rohan-Guémené. »Aber fürchtet Ihr nicht?«

»Nichts fürcht' ich,« antwortete Richelieu, »ein Spaß wird's werden.«

»Ihr treibt's wahrlich toll,« sprach Rohan lachend; »denn in Wahrheit scheinen mir die übrigen Damen in ähnlicher Weise untereinander verwandt, ober wie sagt man in dem Fall? – verschwägert zu sein wie die Polignac und die Nesle.«

Die lustige Miene des Herzogs von Richelieu bestätigte die ausgesprochene Vermutung.

»Eben darum,« sprach er, »das ist eben der Spaß, ich wollte sie alle einmal zusammen haben. Nicht zu vergessen unseres hochmögenden und trinkfesten Regenten ebenso trinkfeste Gebieterin die Marquise von Parabère. Hoffentlich läßt ihr Sultan sie frei.«

»Den Regenten werden diese Tage, fürcht ich, ernstere Angelegenheiten in Anspruch nehmen,« bemerkte Rohan mit einer Betonung, in der die hineingelegte und an Richelieu gerichtete Warnung nicht zu verkennen war.«

»Bah,« machte dieser, »ein Edelmann und Franzose nimmt nur ein Ding ernst in der Welt. Das ist mein Grundsatz. Und ich will damit nicht sagen, daß dieser höhere Mensch, nämlich der vollkommene Edelmann, die andern Dinge der Welt, die der gemeine Mann als Hauptsache betrachtet und wovon er so viel Wesens macht, nicht nebenbei auch immer noch ganz gut besorgt, und besser besorgt als die andern. Auch ich hoffe eines Morgens als Marschall von Frankreich aufzuwachen. Aber habt Ihr schon die letzte Anekdote über unsern ehrwürdigen Freund und Regenten gehört, die von der abgehauenen Hand?«

Der junge blondlockige Fürst – seine Perücke war wie die des Herzogs eine natürliche – machte fragende Augen.

»Wie,« rief Richelieu, »Ihr kennt diese tolle Sache wirklich noch nicht? Ich habe sie aus des Marquis Dufar eigenem Munde. Vor drei Tagen war's. Der Regent hatte sich im Luxemburg bei seiner entzückenden Tochter wieder bis zur Bewußtlosigkeit betrunken, dergestalt, daß er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte und von den Lakaien in den Wagen hinunter getragen werden mußte. Seine beiden Intimen, der Marquis Dufar und der Herzog von Broglie stiegen mit ihm ein, um ihn nach dem Palais Royal zu expedieren. Eine Zeitlang war der Regent scheinbar wie bewußtlos. Auf einmal aber, während die Karosse gerade über die Königsbrücke wollte, fing der Orléans an, mit hörbarem Atemeinziehen an seiner rechten Hand zu riechen. ›Du, Dufar,‹ schreit er dann plötzlich den Marquis an, ›du mußt mir die Hand abhauen, sie stinkt entsetzlich. Ich ertrag es nicht. Wenn du mein Freund sein willst, so hau mir unverzüglich die Hand ab.‹

Der Marquis, auf den Tod erschrocken, suchte den Regenten zu beruhigen. Dieser aber wurde immer aufgeregter und wiederholte unter fürchterlichen Drohungen sein Begehren, der Marquis müsse ihm die Hand abhauen.

Man kann sich denken, wie der arme Dufar aufatmete, als endlich die Karosse in den Hof des Palais Royal einfuhr und die Dienerschaft sich des Regenten bemächtigte.

Der Fürst von Rohan-Guémené konnte nur den Kopf schütteln über die unheimliche Geschichte.

»Ich glaube ganz gern,« sagte der junge Richelieu lachend, »daß seine Hand gestunken hat. Das wird bei dem Orléans sogar öfter vorkommen. Die Delikatesse ist sein geringstes Laster, wie der alte Lafontaine gesagt haben würde. Aber wie dann beim Weinrausch die Sache in seinem Gehirn eine so groteske und ans Entsetzliche streifende Gestalt annehmen konnte, ist allzu spaßig.«

»Wie euphemistisch Ihr Euch auszudrücken beliebt,« erwiederte Rohan mit einem Ton beißenden Spottes. »Und kennt Ihr auch das allerneueste Abenteuer des Orléans? Daß ihm gestern nacht sein krankes Auge gänzlich ausgeschlagen worden ist? Näheres weiß ich selber nicht.«

»Und diesen göttlichen Regenten«, rief Richelieu belustigt, »wollt Ihr mir zum blutgierigen Tyrannen anschwärzen? diesen Philipp den Guten?«

»Er wird auch mit einem Auge«, warnte Rohan lächelnd, »Euer Todesurteil unterschreiben, wenn es ihm paßt, wie er das des Grafen Horn mit zwei Augen unterzeichnet hat, trotz aller Bitten hoher Anverwandten.«

»Philipp von Orléans wird sich hüten,« sprach der Herzog zuversichtlich. »Und lieber Freund, verpaßt nicht über diesen regentlichen Anekdoten, was wir verabredet haben, vergeßt vor allem nicht, den Abbé von Mouzon aufzusuchen. Ihr ahnt jetzt nicht, welchen Dienst ich von Euch verlange. Aber dessen könnt Ihr sicher sein, daß es sich um keine unwürdige Sache handelt. Und nun laßt halten – ich kann nicht mit diesem Gefährt an meinem Palast vorfahren.«

»Verehrter Freund,« sprach der Fürst von Rohan-Guémené fast bekümmert. »Ihr denkt also wirklich nicht an Flucht ober sonstige Sicherheit? Man hat eine Art Beweis gegen Euch. Der Kardinal haßt Euch. Nichts wünscht er so sehr, als Euch zu verderben. Er ist ein kleinlicher Mensch. Ihr kennt ihn. Und er hält sich für beschimpft von Euch. Von Eurer Begegnung mit ihm bei der Herzogin von Baufremont, um deren Gunst er sich damals vergeblich bemühte, und Eurer Insolenz gegen ihn habt Ihr mir selber erzählt. Für die bittere Demütigung, die er bei dieser Gelegenheit in Gegenwart der schönen Herzogin von Euch erfahren hat, wird er sich auf seine Weise rächen, dessen seid sicher. Er ist eine zu niedrige Natur, und obendrein ein Priester, um nicht seine amtliche Macht zur Befriedigung seiner persönlichen Rachsucht zu mißbrauchen. Er ist jeder Feigheit fähig.«

»Gewiß,« antwortete Richelieu, »und diesem verächtlichen Feind sollte ich die Genugtuung bereiten, Furcht vor ihm zu zeigen, gar die Flucht vor ihm zu ergreifen. Das wäre wahrlich eines Herzogs von Richelieu wenig würdig. Lebt wohl, Freund, gegen acht Uhr darf ich Euch erwarten?«

»Ganz zu Euren Diensten, verehrter Freund.«

Die beiden schüttelten sich die Hände, Richelieu stieg aus. Er sah sich vor der Kirche zu Sankt Merry; er hatte also nur noch wenige Minuten nach seinem Palast, der wie erwähnt, unfern des Klosters Unserer Lieben Frau zu den Blauen Mänteln lag.

* * *

Dieser Palast aber sah am andern Morgen, so gegen die neunte Stunde, derartig kalt und stolz und ruhevoll in die stille Straße der Blauen Mäntel herunter, so eingehüllt in Schlaf-Versunkenheit, daß man es sich gar nicht denken konnte, wie er die ganze Nacht über mit Lust und Leben und Lärm erfüllt war, im Hof und bis auf die Gasse hinaus stampfende Pferde und Karossen und betreßtes Lakaienvolk sich stauend, und oben die Säle erhellt von Hunderten von Kerzenflammen, die tausendfältig widerstrahlten aus hohen Spiegeln in goldenen Rahmen, aus silbernem Geschirr und Kristall, im Wetteifer mit dem blitzenden Feuer aus geschliffenen Brillantsteinen über weißen Stirnen und gepudertem Haargelock, dem sprühenden Licht herausfordernder Augen, dem blumenhaften Geleucht farbig glänzender Seide, dem stillen Perlmutterschimmer auf nackten Armen und Schultern.

Und am wenigsten hätte man es sich denken sollen: daß derjenige – er war vor kurzem Witwer geworden – der diese Nacht über Wirt und Wirtin in einer Person dargestellt und erst gegen die vierte Stunde des anbrechenden Tages seine letzten Gäste mit graziöser Elastizität verabschiedet hatte, jetzt sichtbar sein würde in der grabhaft kalten und nüchternen Frühathmosphäre des leer und öd gewordenen Hauses.

Dennoch war der einfach in dunkle Farben gekleidete Kavalier, der jetzt, ohne jedes Anzeichen von Müdigkeit ober Schlaffheit, die große mit rotem Sammet belegte Marmortreppe herunterschritt, einen bekannten lustigen Gassenhauer vor sich hinpfeifend, wirklich kein anderer als der junge Herzog von Richelieu.

Die feinrückige Nase von seltener Ziseliertheit der Form und besonders die großen glanzvoll schönen Augen, die dem Sinn des gepfiffenen Liebchens zum Trotz kalt und hochmütig blickten, ließen kaum einen Zweifel dagegen aufkommen; auch abgesehen von der Haltung des nachfolgenden Lakaien, seines Leibkammerdieners, der jetzt auf einer Pfeife einen leisen Pfiff ertönen ließ, worauf zwei galonierte Kerle aus der Torwächterloge stürzten, die Haupttüre des Palastes weit aufrissen, und den jungen Herzog zwischen ihren tief sich bückenden Gestalten hindurchschreiten ließen.

Dieser wandte sich in der Straße nach links und lenkte bald in eine enge Seitengasse ein. Er schlug jetzt den Mantelkragen in die Höhe, drückte den Dreispitz tief in die Stirne und betrat so den Flur eines einfachen bürgerlichen Hauses. Ein unreinlich in Schwarz gekleideter Gesell, ein vagarierender Advokatenschreiber ober so etwas, der dem Herzog von weitem nachgefolgt war, trat dem Hause gegenüber in eine Kaffeeschenke und ließ sich einen Kognak einschenken, während er nahe an der Türe Platz nahm.

»Der Herr Abbé von Mouzon,« rief der Herzog von Richelieu drüben in die Bude des Pförtners hinein.

»Zu Hause,« schallte es heraus.

»Hat Besuch?«

»Ein Kavalier hat vor einer halben Stunde nach ihm gefragt.«

Als dann Richelieu zwei Stiegen hoch bei dem Abbé eintrat, und nach einer höflichen Verbeugung gegen den Sutanenträger sich mit der Gebärde der Umarmung seinem Freund Rohan, wie er meinte, nähern wollte, machte ihn ein übermütiges helles Lachen der beiden plötzlich stutzig. Er merkte jetzt seinen Irrtum. Der Mann in Offiziersuniform, den er umarmen wollte, war in Wahrheit der Abbé von Mouzon und der andere in der Sutane und dem schwarztafftenen zierlichen Abbé-Mäntelchen war sein junger Freund, der Fürst von Rohan-Guémené.

Und wenige Minuten später war auch der Herzog in einen Abbé verwandelt, und Arm in Arm verließen die beiden geistlich gekleideten Freunde das Haus.

Durch die lang sich hinziehende Alte-Tempelgasse schritten sie in der Richtung gegen den Greveplatz. Auf einmal aber hielt der junge Rohan mit einem plötzlichen Ruck an, indem er sich mit der Hand an die Stirne fuhr.

»Wir werden heut auf dem Greveplatz keinen Droschkenwagen bekommen,« sagte er. »Dort werden heute nur Menschenfleisch und Rippenstöße feilgehalten.«

Auch Richelieu hatte im Gehen eingehalten.

»Wahrhaftig,« rief er, »das ist der Tag, wo unser guter Regent seinen guten Parisern ein Extraschauspiel gibt. Was meint Ihr, Freund, wollen wir's uns ansehen?«

»Ihr hättet Lust dazu?« fragte Rohan schaudernd. Der verurteilte Graf Horn war sein Verwandter.

»Nun, wie ein Graf und Fürst des Kaiserreichs unterm Galgen aufs Rad geflochten wird, kann man nicht jeden Tag sehen ... aber mein Zynismus gefällt Euch nicht, Freund, nach Eurer Miene zu schließen.«

Die Antwort Rohans klang aufrichtig besorgt.

»Den Horn, meinen Vetter, hat man auch umsonst gewarnt,« sagte er ernst, fast vorwurfsvoll.

Der junge Fürst rechnete nicht mit der ungeheuren Eitelkeit seines Freundes. Je eindringlicher man diesem von Gefahr redete, um so verächtlicher meinte er damit spielen zu sollen.

»Bei Gott, mich juckt schon das Fell,« scherzte er jetzt. »Und was meint Ihr? Vielleicht könnte es doch gut sein, sich ein wenig Sachkenntnis in dergleichen Prozeduren zu verschaffen. Kommt Freund, ich kann wirklich der Verlockung nicht widerstehen.«

Nur ungern folgte Rohan. Denn was sie da zu tun im Begriff standen, war ihrer wenig würdig.

Sie fanden das umfangreiche längliche Viereck des offenen Platzes vor dem Stadthaus Kopf an Kopf mit Menschen gefüllt. Da aber das schwarze Schafott haushoch aufragte, konnten die beiden im Priesterkleid deutlich genug sehen, was oben vor sich ging.

»Zum Teufel noch einmal,« flüsterte Richelieu dem Rohan zu, »sie haben ihn gar aufs Rad geflochten. Und die Männer in Gala, was bedeuten die? Das wird dem Regenten nicht gefallen. Die tun, als ob das Schafott ein Feld der Ehre wäre. Schaut dort, in drei Karossen, jede mit sechs Rappen bespannt, sind sie aufgefahren. Und seht nur einmal den Marquis von Créqun, wie er mit seiner Uniform eines Generalobersten, mit dem cordon bleu über der Brust, stolz aufgerichtet am Fuß des Sarges steht und Befehle gibt, indes seine Leute die blutigen Klumpen Fleisch aus den Zähnen des Rades lösen. Der alte weißhaarige souveräne Fürst von Ligne steht ihm zur Rechten, der Herzog von Häute zur Linken, und eben steigt Euer Ohm, der Fürst von Rohan-Espinoy, die Stufen des Schafotts hinauf.«

»Sie sind wahrhaftig vollzählig erschienen, die näheren Blutsverwandten, brave Leute,« bestätigte Rohan. »Was der Regent dazu sagen wird?«

In diesem Augenblick war es Richelieu, als ob ihn jemand mit dem Finger auf den Arm getupft hätte. Unwillig drehte er sich um und sah in das Gesicht eines noch jungen Menschen mit dem schwarzen Anzug, wie er in Form und Schnitt in der Gilde der Pariser Advokatenschreiber üblich war.

»Ehrwürdiger Herr,« sagte der Mann, »ich habe Euch zugehört, Ihr kennt die hohen Herrschaften; ist es richtig, wie man sagt, daß der edle Gras von Horn schimpflich hingerichtet worden ist für nichts und wieder nichts, als weil er einen Kommis des Juden Law zu Tode gekitzelt hat und der Regent in Gelbsachen selber sehr kitzlig sein soll?«

Der Gesell schien noch weiter reden zu wollen, aber ein impertinent durchdringender Blick des Herzogs von Richelieu in Gestalt des Abbé von Saint-Saturin (diesen Namen wollte er in Longchamp führen) ließ den andern plötzlich verstummen.

»Freundchen,« sagte der falsche Abbé, »du bist allzu aufdringlich. Bist du etwa ein Spion des Kardinals? Dann sag' ihm einen schönen Gruß von dem Abbé von Richelieu, und er solle kein solcher Esel sein, um einen Tölpel wie dich in seinen Sold zu nehmen. Kommt, Herr Abbé.«

Mit den letzten Worten hatte Richelieu den Arm des Fürsten Rohan ergriffen und beide suchten jetzt auf Umwegen die Nôtre-Dâme-Brücke zu gewinnen, wo sie hoffen durften, einen Fiaker zu finden.

»Nun seht Ihr wohl,« sagte Rohan, »daß Ihr vom Kardinal überwacht werdet. Euer Leichtsinn schmerzt mich.«

»Oh,« rief der Herzog mit übermütigem Lachen, »was Ihr Leichtsinn nennt, nenne ich kluge Politik. Dem Pfaffen Dubois recht deutlich zu zeigen, wie wenig ich ihn fürchte, ist das beste Mittel, ihn selber einzuschüchtern und unsicher zu machen. Dieser Dubois, müßt Ihr wissen, ist kein Kardinal Richelieu ruhmreichen Angedenkens. Der war der Herr und Meister eines Königs, unser Dubois ist bloß der verächtliche Bediente eines schwachen Regenten.«

»Verachtet nicht zu sehr den Kardinal, noch den Regenten,« warnte Rohan.

»Den Orléans? Wie sollt' ich. Er hat Töchter, deren nicht jeder Vater sich rühmen kann. Und die tugendhafteste unter ihnen, Freund, erwartet mich in Longchamp. Ich verachte den Orléans nicht, ich liebe ihn, ich finde ihn entzückend ... Ganz ernstlich gesprochen, er ist kein schlechter Regent.«

»Ohne seine schimpflichen Laster«, wollte Rohan einwenden, »wäre ...«

Aber Richelieu unterbrach den Freund.

»Was Laster!« rief er, »laßt uns doch nicht reden wie alte Weiber, die nach dem bekannten Sprichwort fromme Betschwestern geworden sind, nachdem ihr zwanzigster Liebhaber sie verlassen hat. Seine Laster, oder was die Leute so nennen, haben den Orléans nicht verhindert, sich in den Niederlanden und in Spanien hohen Kriegsruhm zu erwerben. Sie haben ihn auch nicht verhindert, Regent von Frankreich zu werden und sich vom Parlament die unumschränkte königliche Souveränität zuerkennen zu lassen. Ihr werdet zugeben, daß dies etwas heißen will, nachdem der große Ludwig den Sohn der Montespan, den Herzog von Maine, testamentarisch zum Stellvertreter seines vierjährigen Urenkels und Nachfolgers ernannt hatte.

»Und wirklich,« fuhr Richelieu fort, »Frankreich kann sich dazu nur beglückwünschen. Ohne das energische Auftreten dieses »Philipp des Guten« wären wir heut von der kleinen Herzogin von Maine regiert, die zwar ein allerliebstes Persönchen ist und von allen Schöngeistern und Versedrechslern angebetet wird, deren hübsches Kinderköpfchen aber keine Ahnung hat von dem Mechanismus einer großen Regierungsmaschine. Das wäre eine Wirtschaft geworden. Statt der Wurst hätten wir den Schwartenmagen, statt des Dubois den Polignac; Komödianten würden Finanzverwalter, galante Verseschmiede oder gar sogenannte Philosophen bekämen den Marschallstab, und ein Schlingel wie Herr von Voltaire – er ist ja wirklich der possierlichste und geistreichste Affe dieser lustigen Welt – dürfte sich gar als Großsiegelbewahrer spreizen. Kurz, an Stelle des wollenen Unterrocks der Maintenon hätten wir den seidenen der Maine, an Stelle des frommen den freigeistigen. Nein, da lobe ich mir den Regenten – der mir ans Leben will, wie Ihr meint. Und sagt selber, ist es nicht etwas, daß einer, der für die Weiber eine so große Schwäche hat, sich doch in ernsten Angelegenheiten niemals von ihnen dreinreden läßt. Ich glaube nicht einmal von seiner deutschen Mutter, von der man sagt, daß er sie fürchtet. Und so hindern ihn seine schimpflichen Laster, um Euren Ausdruck zu wiederholen, ebenfalls nicht daran, so ganz nebenbei die schwierigen Geschäfte der Regierung selber zu besorgen und zwar auf's beste zu besorgen. Er hat die gänzlich zerrüttete finanzielle Lage des Staates, wie Ludwig sie hinterlassen hat, in kurzer Zeit sehr gebessert, man kann sagen, er hat den Staat vom Bankerott errettet. Und in den letzten Monaten gar, füllt er nicht unser aller Taschen über und über mit Gold durch die Wundertaten des göttlichen Juden Law, den einzig die Dummen und Ungeschickten hassen und verleumden.«

Der Fürst von Rohan-Guémené unterdrückte eine Erwiderung, die ihm auf der Zunge lag.

Die beiden waren an dem Fiakerstand der Nôtre-Dâme-Brücke angelangt, sie fanden gerade noch eine Droschke vor.

»Nach Boulogne!« rief der Abbé von Saint-Saturin dem Kutscher zu.

»Und zu allem,« nahm er noch einmal seine vorige Rede auf, indem sie einstiegen, »zu allem findet der Vielbeschäftigte noch Zeit, schlechte Opern zu komponieren und gute Küchenrezepte zu erfinden. Gerade für seine Leistungen in der Kochkunst, die doch gar keine verächtliche Sache ist, findet er die ehrlichsten Bewunderer. Wirklich, er ist ein göttlicher Regent, ein wahres Genie von einem Regenten.«

Das plumpe Fahrzeug setzte sich ruckweise und schwerfällig in Bewegung.

Als dieses Ungetüm von Kutsche sich schwankend über den alten Louvreplatz bewegte längs der steifen Kolonnade des Meister Perrauld und des vierzehnten Ludwig, wurden sie von einer orléanischen Hofkarosse mit Viergespann überholt. Und Richelieu, sich weit aus dem Wagenfenster beugend, sah einen Augenblick lang das Gesicht der Dame von Valois im Fensterrahmen drüben erscheinen. Ein glückstrahlender Blick aus den zwei schönsten Augen traf ihn. Die Prinzessin hatte auch ihn erkannt.

»Wohlan, mein Freund,« rief er dem Fürsten Rohan zu, »die Zeichen sind uns günstig. Frau Venus in ihrem Muschelwagen ist eine schöne poetische Fiktion. Aber eben eine Fiktion, ein Traumgesicht ohne Wesenheit und Wirklichkeit. Ich aber habe in ihrem vergoldeten Wagen eine Prinzessin erblickt, die die Augen der Montespan geerbt hat und noch einiges dazu, eine Prinzessin, die mich liebt, kein Traumbild, eine lebendurchpulste weiße Körperlichkeit, die mich je eher, je lieber in ihre göttlichen Arme schließen will.«

Fürst Rohan lächelte diskret über die Ekstase seines Freundes. Dieser reckte noch einmal den Kopf zum Wagen hinaus.

»Freund Kutscher,« rief er, in gütigerem Ton als er sonst pflegte, »zwei Louisd'ors über die Taxe, wenn du fährst, was du fahren kannst.«

Aber, wenn auch der Mann auf seinem Bock den besten Willen hegte, zu fahren, was er nur konnte mit seinen abgetriebenen lendenlahmen Gäulen auf dem weichen Sandweg, erst zwischen Landhäusern und Gemüsegärtnereien, dann durch kleine ländliche Ortschaften von Auteuil, und später durch waldartiges zum Teil sumpfiges Gehölz: unter zwei bis drei Stunden wenigstens konnte er das Dörflein Boulogne an der Seine kaum erreichen, und die beiden Freunde hatten also Muße, ihren Feldzugsplan noch einmal genau im einzelnen zu überlegen.

»Das Entscheidende ist zunächst,« nahm Richelieu das Wort, »daß wir dem alten Pfarrer von Boulogne, diesem guten und ein wenig impotenten Seelsorger der Damen von Longchamp, in keiner Weise einen Verdacht erwecken. Wenn er kein Mißtrauen faßt, wenn er Euch als den Abbé von Mouzon und mich als Euren armen Vetter von Saint-Saturin gelten läßt, haben wir das Spiel so viel wie gewonnen. Er kann unmöglich zwei armen Geistlichen aus hochangesehener Familie den Dienst verweigern, um den wir ihn bitten. Das Märchen, wie ich es mir ausgedacht habe, ist an sich durchaus glaubhaft. Nichts natürlicher, als daß zwei mittellose Söhne der Kirche, aber von gutem Namen, den Wunsch hegen, sich einer so hohen Prinzessin bei günstiger Gelegenheit zu nähern, um ihre Protektion zu erlangen. Eine günstigere Gelegenheit aber, wie die Anwesenheit dieser Prinzessin bei einem klösterlichen Begräbnis zu Longchamp, kann es nicht geben. Kein Zweifel, daß der gute Pfarrer von Boulogne das einsieht. Und wenn er es einsieht, müßte er ein Unmensch sein, um nicht zwei armen Klerikern einen so wichtigen Dienst zu leisten, der ihn nichts kostet, der statt einer Unbequemlichkeit eine Bequemlichkeit für ihn bedeutet. Und zu riskieren ist erst recht nichts dabei, daß ein Geistlicher die einfachen Funktionen, wie sie die Obsequien einer Nonne erfordern, einem andern übertrage. Sind wir aber erst einmal im Kloster, ist mir vor nichts mehr bang. Ich will das Oremus plärren und das saecula saeculorum und das ne nos inducas und das miserere und das Requiescat in pace gleich dem fettesten Dompfaffen, und das Weihrauchfaß will ich schwingen und den Weihwasserwedel schwenken, daß es eine Art haben soll. Gebt acht, wie die Nönnchen erschrecken werden, wenn ich den Wedel recht tief eintunke und sie anspritze, daß sie triefen wie nasse Mäuschen. Hören und sehen soll ihnen vergehen. Bei Gott, dieser Tag soll in Longchamp lange von sich reden machen.«

»Ich wünsche Euch, wir wären erst soweit,« ließ Rohan skeptisch einfließen. »Mir scheint. Eure Phantasie ...«

»Was wollt Ihr,« unterbrach ihn Richelieu mit Feuer, »sie hat sich zu ihren eigenen noch die Flügel des Eros geliehen. Diese verdammte Kutsche aber, da fahren wir immer noch mitten in dem langweiligen Boulogner Gehölz. Wenn der Kerl da vorne so weiter leiert, treffen wir gar unsern Pfarrer nicht mehr zu Hause.«

Und Richelieu streckte von neuem den Kopf aus dem schwarzen Ledergehäuse, doch anders klang jetzt der Ton seiner Stimme, und statt der doppelten Louis versprach er jetzt eine doppelte Tracht Prügel. Leider hatte das eine wie das andere, wenigstens nach dem Gefühl des Herzogs, nicht den geringsten merkbaren Einfluß auf das Tempo ihrer Fortbewegung.


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