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IV.

Die Wirkung dieser Worte war eine unbeschreibliche. Thora Jarl stand, die Arme wie haltsuchend gegen die Wand gepreßt, die Augen mit einem fast irren Ausdruck auf die Fremde gerichtet. Brinjulf Jarl hockte auf der Lehne der Chaiselongue und sah mit einem Blick, in dem der Ausdruck eines unverhohlenen, nahezu feindseligen Mißtrauens lag, auf die Besucherin, die sich so keck und unvermittelt zur Herrin dieses Hauses ausgerufen hatte; nur Joe Jenkins hatte seine gewohnte Ruhe bewahrt. Er hatte die Hände in die Hosentaschen versenkt und blickte gleichmütig zu Boden. Dann zog er den zusammengefalteten Brief, den er kurz vor dem Eintreten der Dame vorgelesen hatte, aus der Tasche und reichte ihn der Fremden.

»Kennen Sie diesen Brief?«

Die junge Dame warf einen Blick auf das Blatt und sagte mit ruhiger Stimme:

»Dieser Brief ist von mir.«

Der Detektiv machte eine zustimmende Bewegung. »Ein Brief von Ihnen an Ihren Gatten also – Sie werden begreifen, Frau Waggeryd, daß Ihr Auftauchen hier in diesem Hause, das obendrein seit heute nacht zu einem Trauerhause geworden ist, nicht geringe Bestürzung hervorrufen muß.«

Frau Karin neigte den Kopf. »Ich kann das begreifen, Herr …«

»… Jenkins.«

»Jenkins? Joe Jenkins? Sind Sie der bekannte Detektiv?«

»Ja. Man hat mich gerufen aus Anlaß des plötzlichen Todes des Herrn Waggeryd.«

»Das freut mich«, sagte sie mit einem tiefen Aufatmen. »Das freut mich in der Tat, Mr. Jenkins. Sie können sich denken, mit welchem grenzenlosen Entsetzen mich die Todesanzeige in der Aftenposten erfüllt hat. Ich wünsche mir nichts Besseres als Ihre Intervention, Mr. Jenkins.«

»Gestatten Sie mir eine Frage«, mischte sich Jarl in das Gespräch. »Sie fragten bei Ihrem Eintritt in dieses Haus nach Herrn Waggeryd. Daraus ging hervor, daß Sie ihn noch am Leben glaubten. Jetzt aber sprechen Sie von einer Todesanzeige, die Sie gelesen haben wollen. Liegt darin nicht ein Widerspruch?«

Frau Karin lächelte ein hilfloses Lächeln und nickte. »Es liegt in der Tat ein Widerspruch in diesen Worten, mein Herr«, sagte sie. »Ich will versuchen, ihn Ihnen zu erklären: Als ich gestern abend seine Todesanzeige las …«

»Von was für einer Todesanzeige sprechen Sie eigentlich immerfort«, fragte Thora Jarl nervös, indem sie auf die Sprechende zuging. »Niemand hat eine Todesanzeige aufgegeben; am allerwenigsten kann gestern abend die Todesanzeige meines Vaters in der Zeitung gestanden haben; denn gestern abend war mein Vater noch am Leben. Ich muß Ihnen deshalb offen sagen, daß ich jedes Wort, das Sie uns hier erzählen, für eine Unwahrheit …«

»Ich muß ein Wort zugunsten dieser Dame einlegen«, schnitt der Amerikaner die Rede der jungen Frau ab. »Die Todesanzeige Ihres Vaters hat in der Tat gestern abend in der Aftenposten gestanden.«

»Allmächtiger Gott! Wie ist das möglich!«

Auch Jarl fuhr herum. »Wie sollte denn die Aftenposten zu einer Todesanzeige kommen?«

»Das kann ich natürlich im Moment nicht sagen« Hier ist die Zeitung; bitte überzeugen Sie sich selbst.«

Brinjulf und Thora beugten sich über das Blatt; mit blassen, bebenden Lippen lasen sie das schwarzumränderte Inserat. »Mein Gott, das wird ja immer rätselhafter«, schluchzte Thora. »Immer unbegreiflicher. Der plötzliche Tod meines Vaters im See …«

»Haben Sie für seinen Tod irgendeine Erklärung, Mr. Jenkins?« fragte Frau Karin. »Einen Anhalt dafür, wer oder was ihn in den Tod getrieben hat?«

»Von einem ›Was‹ kann keine Rede sein«, erwiderte Frau Thora scharf. »Der Tod meines Vaters war ein unfreiwilliger, Fräulein Heggblom.«

Alles blickte den Detektiv an. Dieser sagte, indem er auf die Kleidungsstücke blickte, die zusammengeknüllt auf der Chaiselongue lagen: »Spuren irgendwelcher Gewalt habe ich bei dem Toten nicht entdecken können. Das seltsamste ist, daß Herr Waggeryd kurz vor seinem Tode Hut und Paletot abgelegt hat; das alles deutet – wie ich Ihnen nicht verhehlen kann – auf einen freiwilligen Tod.«

Jarl warf einen schaudernden Blick auf die Gegenstände. »Sie sind also überzeugt, daß Selbstmord vorliegt?«

»Auch das kann ich nicht sagen. Eine Kleinigkeit steht dazwischen, die diese Annahme nicht recht unterstützt: ich fand Hut und Paletot an einer Stelle des Ufers, die ein gutes Stück ab lag von dem Fundort der Leiche.«

»Wäre es nicht möglich, daß der Körper über Nacht abgetrieben wäre?«

»Ich habe daraufhin natürlich den Boden untersucht und habe festgestellt, daß Herr Waggeryd von der Landzunge aus ins Wasser gegangen ist – beziehungsweise gestoßen wurde; der Körper hat sich also während der Nacht von seinem Lageort nicht entfernt. Das erklärt sich durch die Schilfpartien und durch die schwimmenden Gräser, die ihn umstrickt und festgehalten haben. Gleichwohl lagen Hut und Mantel ein gutes Stück weiter entfernt: dort wo die kleine Schilfhalbinsel sich direkt an den Rasen anschließt. Dafür finde ich, wie ich Ihnen schon sagte, vorläufig keine Erklärung.«

»Wäre es möglich,« sagte Jarl nachdenklich, »daß mein Schwiegervater, der sehr ordentlich war, vor seinem Tode auch an diese Kleinigkeit noch gedacht hätte? Es könnte etwa so sein: vielleicht hatte er zunächst die Absicht, an jener kleinen Schilfhalbinsel den Tod zu suchen …«

»Er hat den Tod nicht gesucht«, unterbrach ihn seine Frau heftig.

»Auch ich glaube es nicht – aber nehmen wir es mal einen Moment an. Er hätte dann vielleicht konstatiert, daß das viele Schilf einem Selbstmord hinderlich war und hätte eine andere Stelle ausgesucht.«

»Die aber – und das ist das Widersprechende für einen Selbstmord – ebenso ungeeignet ist«, antwortete Joe Jenkins. »Denn an dieser Stelle steht das Schilf ebenso dicht wie an jener anderen.«

»Kann ich ihn sehen?« fragte Frau Karin leise.

»Nein, Fräulein Heggblom«, erwiderte Thora Jarl. »Die Polizei hat seinen Leichnam beschlagnahmt.«

»Ich muß Sie bitten,« sagte die Besucherin ruhig, »mich nicht Fräulein Heggblom zu nennen; ich heiße Karin Waggeryd.«

»Diese Behauptung scheint mir derart unglaubwürdig, daß ich sie als eine dreiste Unwahrheit bezeichnen muß.«

»Ich will diese Antwort Ihrer begreiflichen Erregung zugute halten, Frau Jarl«, erwiderte die Besucherin mit ihrer ruhigen, klangvollen Stimme. »Wenn Sie mir den Namen nicht geben wollen, der mir gebührt – zwingen kann und will ich Sie nicht damit. Aber ich meine, niemand kann Ihnen vorschreiben, mir überhaupt eine Anredeform zuzugestehen.«

»Wann haben Sie Herrn Waggeryd geheiratet?« wandte sich Joe Jenkins an Karin.

»Am 18. Februar in London.«

»In London? Kann man das Zertifikat sehen?«

Karin öffnete ihre Handtasche. »Ich bitte.«

Der Detektiv entfaltete das Schriftstück, las es und sagte, indem er sich an Herrn und Frau Jarl wandte: »Laut diesem Schein hat sich in der Tat Herr Hjalmar Jens Waggeryd am 18. Februar dieses Jahres in der Trinity-Church in London mit Fräulein Karin Sigrid Heggblom trauen lassen. Unterschrieben ist das Zertifikat von dem Reverend Blackburn und den Trauzeugen John Forest und Kennedy Clarke.« Er reichte Frau Thora das Papier, die es aufmerksam durchlas; ihr Gatte sah ihr neugierig über die Schulter.

»Halten Sie dieses Schriftstück für echt?« fragte Thora Jarl in kühlem Ton.

Der Detektiv warf einen fast entschuldigenden Blick zu Frau Karin hinüber und sagte dann mit fester Stimme:

»Diese Urkunde ist echt, gnädige Frau. Darauf können Sie sich verlassen. Es besteht somit kein Grund und keine Berechtigung, dieser Dame den Namen und die Rechte vorzuenthalten, die ihr gebühren. Frau Karin, Sie sind, wenn keine entgegengesetzte letztwillige Verfügung vorliegen sollte, die Herrin dieses Hauses und die Mitbesitzerin der Porphyrwerke Sollihögda, in die Sie sich – ich kenne die norwegischen Gesetze zu wenig, um Genaueres darüber sagen zu können – vermutlich mit Frau Thora Jarl zu teilen haben.«

»Darf ich fragen, gnädige Frau,« begann Thora, indem sie Karin musterte, »warum wir erst heute erfahren, daß mein Vater eine Frau hatte?«

»Diese Frage liegt nahe«, erwiderte Karin. »Wenn ich Sie wäre, Frau Jarl – ich würde vermutlich genau dasselbe fragen. Ich will es Ihnen sagen, und ich denke, Sie werden mich verstehen: Ihr Vater hat sich einfach vor seiner Tochter geschämt. Er hat mir oft davon gesprochen, daß er peinliche Auseinandersetzungen fürchte; immer hatte er die Absicht, mit der Publikation seiner Heirat ans Tageslicht zu treten und immer wieder hat er sie verschoben. Er sagte mir von vornherein, daß die Ehe eine gewisse Zeit geheim bleiben müsse. In der letzten Zeit hat er Verhandlungen wegen des Verkaufs seiner Porphyrwerke betrieben. Dann wollte er mit mir als Privatmann nach Italien gehen.«

»Ist Ihnen von derartigen Verhandlungen etwas bekannt, Herr Doktor Jarl?« fragte Jenkins.

»Mein Schwiegervater stand in der Tat mit einem Konsortium kurz vor einem Verkaufsabschluß.«

»Eine andere Frage: können Sie sich entsinnen, ob Herr Waggeryd am 18. Februar in London war?«

»Das läßt sich leicht feststellen.« Jarl ging ans Telephon: »Fräulein Christiansen. Bitte schlagen Sie einmal das Reisekonto auf und stellen Sie den letzten Aufenthalt des Herrn Waggeryd in London fest.«

»Wir werden es gleich haben.«

»Sie sagten uns,« wandte sich Joe Jenkins von neuem an Frau Karin, »daß Sie von vornherein mit einer längeren Geheimhaltung Ihrer Ehe gerechnet hätten; dies sei ausdrücklich zwischen Ihnen und Ihrem Gatten besprochen worden?«

»So ist es in der Tat.«

»Warum schrieben Sie dann diesen Brief? Sie verlangen hier, daß Herr Waggeryd das Schweigen breche und Ihre Ehe bekanntgebe.«

Das Telephon klingelte; Jarl hob den Hörer ab. Dann, nachdem er die Meldung der Stenotypistin entgegengenommen hatte, sagte er zu den Anwesenden: »Mein Schwiegervater war von Mitte Januar bis zum 21. Februar in London. Ich selbst bin ihm am 3. Februar nachgereist und am 21. mit ihm von London nach Christiania zurückgefahren.«

»Sie fragten mich, weshalb ich trotz unserer Abmachung auf Anerkennung der Ehe gedrängt hätte«, nahm Frau Karin das Gespräch wieder auf. »Nun mein Herr, es war mir auf die Dauer peinlich, in einer Christianiaer Pension als eine alleinstehende Dame zu leben, die hin und wieder den Besuch eines Herrn bekam.«

»… eines Herrn, der ihr Gatte war.«

»Das konnte man mir glauben oder nicht. Wenn ich recht unterrichtet bin, pflegen auch Frauen, die souteniert werden, von ihrem Gatten zu reden.«

»Ist das der einzige Grund, weshalb Sie jenes Ultimatum stellten?«

»Nein. Es gibt noch einen …«

Die Stimme der Sprechenden wurde unsicher. Sie sah zu Boden.

Der Detektiv ließ einen diskreten Blick über ihre Gestalt gleiten. Dann sagte er mit leiser Stimme: »Ich verstehe, gnädige Frau.«

»Wo haben Sie in London gewohnt?« wandte sich Jarl an Frau Waggeryd.

»Im Hotel Cecil.«

Jarl machte eine erstaunte Bewegung. »Dort wohnten auch wir.«

»Ich weiß es. Ich habe Sie oft in der Gesellschaft meines Gatten gesehen.«

»Hatte Herr Waggeryd in London in Bezug auf seine Zeit und auf seine Geschäfte eine derartige Bewegungsfreiheit, daß Sie nichts von allen diesen Dingen bemerkten? Eine Heirat ist selbst in London mit allerhand Gängen und Vorbereitungen verknüpft, die wohl einige Tage in Anspruch nehmen dürften.«

»Mein Schwiegervater ging sehr oft allein aus; einmal machte er eine Reise an die Südküste: nach Eastbourne und Brighton und blieb drei Tage fort. Es wäre ihm, wenn ich offen sagen soll, ein Leichtes gewesen, in dieser Zeit eine Ehe zu schließen, ohne daß ich das Geringste davon gemerkt hätte.«

»Haben Sie Frau Waggeryd jemals im Hotel Cecil gesehen?«

»Nein.«

»Und nun bitte ich Sie um Entschuldigung, wenn ich hier einen Moment lang Hausherrenpflichten ausübe. Bitte Frau Waggeryd, wollen Sie nicht ein wenig Platz nehmen? Ich möchte Sie Verschiedenes fragen, und im übrigen dürften der Weg und die Aufregungen Sie müde gemacht haben.«

»Ich danke Ihnen, Mr. Jenkins. Ja, ich merke jetzt, daß meine Nerven anfangen mich im Stich zu lassen.«

»Das ist kein Wunder. – Sagen Sie mir, hat Herr Waggeryd – Ihr Herr Gemahl – jemals von irgendeinem Feind gesprochen, der ihn bedrohte?«

»Nein, Mr. Jenkins. Ich glaube nicht, daß Hjalmar irgendeinen Feind hatte.«

»Sie als seine Frau werden manches wissen und verstehen können, was selbst seinen nächsten Angehörigen entgangen ist. Können Sie sich irgendeine Erklärung für den Tod Ihres Gatten geben? – Ich muß hinzufügen, es handelt sich um einen Todesfall, der einen Tag vorher in der Zeitung angezeigt war. Das läßt bis dahin auf Mord schließen.«

»Mord«, wiederholte Karin Waggeryd fast lächelnd. »Nein Mr. Jenkins, ein Mord will mir nicht in den Kopf. Und da wir davon reden, so muß ich Ihnen ganz offen sagen: ich habe diese Katastrophe geahnt. Ja ich habe sie kommen sehen.«

»Was heißt das?« fragte Thora Jarl.

»Hjalmar war in der letzten Zeit von einer Nervosität, die mir Furcht einflößte. Um es offen herauszusagen, ich glaube, sein Geist begann sich zu umnachten.«

»Das ist nicht wahr!« schrie Frau Thora. »Das ist eine Lüge.«

»Meine liebe Frau Thora – es ist mir ebenso schmerzlich wie Ihnen, von diesen Dingen zu sprechen. Ich tue es, weil ich diesem Herrn, der die Untersuchung über den Todesfall Ihres Vaters – meines Gatten – führt, Rede und Antwort stehen muß. Ich bitte Sie, mir diese Pflicht nicht noch schwerer zu machen.«

»Mein Vater war klar im Kopf wie kein zweiter.«

»Ihr Vater erzählte mir vor ungefähr acht Tagen von einer seltsamen Begegnung: er habe am See von Sollihögda gesessen, als er plötzlich von einem seltsamen Geräusch aufgeschreckt worden sei; so als ob ein Schlittschuh auf Eis kratze. Im nächsten Augenblick sei er entsetzt aufgesprungen: auf dem See von Sollihögda sei plötzlich ein Schlittschuhläufer erschienen, der geradenwegs auf ihn zugelaufen sei. Jetzt – im August – die Ufer des Sees umsäumt von grünem Wald und blühenden Rosen! Unmittelbar am Rande des Sees, knapp zwei Schritt von der Bank, auf der Hjalmar gesessen hatte, sei der Schlittschuhläufer eingebrochen – mit einem Schrei sei er in die Fluten versunken. Nun sagen Sie mir selbst Frau Thora, können Sie sich denken, daß ein normaler Mensch solche Dinge erzählt?«

Die Gefragte zuckte die Achseln und schwieg. Statt ihrer nahm Jarl das Wort: »Nein Frau Waggeryd«, sagte er in eisigem Ton. »Niemand wird Ihnen glauben, daß ein normaler Mensch solche Dinge erzählt. Und um es Ihnen rund heraus zu sagen: es ist nicht wahr, daß Herr Waggeryd Ihnen etwas Derartiges erzählt hat: von einem Schlittschuhläufer, der mitten im Sommer auf dem See gelaufen sei. Diese ganze Geschichte ist eine dreiste Erfindung von Ihnen.«

»Herr Doktor« – die junge Frau sprang auf – »ich muß energisch gegen derartige Beschuldigungen protestieren.«

»Und ich sage Ihnen – Sie lügen. Und wenn ich nicht bedächte, daß ein Toter unter uns …« Er ging in maßlosem Zorn auf die junge Frau zu.

In diesem Augenblick geschah etwas Unerwartetes: Thora Jarl trat zwischen die beiden und trennte sie mit einer seltsam energischen Handbewegung.

»Laß sie in Ruhe!« rief sie ihrem Manne in befehlendem Tone zu. »Sie hat die Wahrheit gesprochen.«

»Was heißt das, Thora?« stammelte er.

»Mein Vater hat ihn gesehen – den Schlittschuhläufer

»Was ist es mit diesem Schlittschuhläufer? Das müssen Sie mir erzählen.« Alles blickte gespannt auf Thora, die schweigend den Kopf schüttelte.

»Nein«, sagte sie endlich. »Ich kann es Ihnen nicht erzählen. Jetzt nicht.«

»Das Haus Waggeryd scheint mit Geheimnissen von oben bis unten angefüllt zu sein«, sagte Jenkins. »Ich will Sie jetzt nicht quälen, aber ich sehe eins, daß die Dinge eine Wendung nehmen, die immerhin die Frage des Selbstmordes zum mindesten wieder diskutabel erscheinen läßt.«

Brinjulf Jarl hatte stumm dem Gespräch zugehört – den seltsamen Worten seiner Frau und dem freundlichen Beschwichtigungsversuch des Amerikaners. Nun trat er kopfschüttelnd auf die Gruppe zu. »Ich muß allen Ernstes gegen die Unterstellung protestieren, daß mein Schwiegervater Selbstmord verübt hat. Ich glaube nicht daran.«

»Sie sind also überzeugt, daß er ermordet worden ist?« fragte Joe Jenkins.

»Ermordet –« wiederholte Jarl verwirrt. »Es ist möglich, daß er ermordet worden ist, aber um es offen zu sagen, auch das dünkt mich unwahrscheinlich. Ich möchte sagen, ich glaube, mein Schwiegervater ist durch einen Unglücksfall ums Leben gekommen – den ich mir allerdings vorläufig selbst nicht erklären kann.«

»Sagen Sie mir, gnädige Frau,« wandte sich der Detektiv an Frau Karin Waggeryd, »haben Sie sich bezüglich Ihrer Zukunft bereits irgendwelche Pläne gemacht? Denn dieser Todesfall bedeutet für Sie naturgemäß eine einschneidende Veränderung. Sie sind Mitbesitzerin von Sollihögda – wahrscheinlich gehört Ihnen sogar der Hauptanteil – auf alle Fälle dürfte diese Villa Ihr alleiniges Eigentum geworden sein. Andererseits, Sie erzählten mir von den unerquicklichen Verhältnissen in Ihrer Pension …«

Die junge Frau nickte. »Ich werde in der Tat meine Wohnung in Christiania aufgeben und nach Sollihögda ziehen. Weniger aus Gründen meines persönlichen Komforts – ich fühle mich auch verantwortlich für den Weiterbestand und das Wohlergehen der Waggerydwerke, die nun ihres Besitzers beraubt sind.«

»Was das anbetrifft,« wandte sich Jarl in kaltem, fast scharfem Tone zu ihr herum, »so können Sie ganz beruhigt sein. Die Waggerydwerke sind in guten Händen. Der Hauptteil der Leitung hat ohnehin mir obgelegen. Und ich denke, mehr als ein sachverständiger Leiter werden auch Sie dem Werk nicht nützen können.«

»Ich zweifle nicht, daß das Unternehmen in guten Händen ist. Um die Wahrheit zu sagen: mein Gatte hat mir oft genug Rühmendes von Ihnen erzählt, Herr Doktor Jarl. Aber ich meine, es ist, wenn ich so sagen darf, im Sinne des Toten, daß ich mich als seine Witwe um sein Eigentum bekümmere. Und selbst, wenn dies nicht nötig ist, so kann es doch auf keinen Fall schaden. Also kurz und gut – ich werde meine Wohnung in Christiania aufgeben und Anfang September dieses Haus beziehen.«

Jarl zuckte die Achseln. »Wie Sie wollen.«

»Ich bin mir klar darüber, daß es eine Atmosphäre von Mißtrauen, ja von Feindseligkeit ist, die mich hier erwartet. Und Sie können mir glauben: die Gefühle, mit denen ich meine großstädtische Wohnung mit diesem Waldheim vertausche, sind nichts weniger als freudige. Aber Pflicht ist Pflicht.«

Joe Jenkins legte seine Hand auf Jarls Arm. »Ich glaube, Herr Doktor, Frau Waggeryd hat recht. Vergessen Sie nicht, daß Sie in der augenblicklichen Aufregung alles viel krasser und schärfer sehen, als es sich Ihnen in einigen Tagen präsentieren wird. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: machen Sie mit Frau Waggeryd einen Rundgang durch Sollihögda – zeigen Sie ihr das Werk – gehen Sie mit ihr in den Steinbruch. Sie hat ein Interesse daran und ein Recht darauf ihr Besitztum kennenzulernen. – Und mich entschuldigen Sie«, wandte er sich an Frau Jarl. »Ich fühle deutlichen Hunger und werde mir im Gasthof zur Eisenbahn – diesen Namen habe ich im Vorbeigehen irgendwo gelesen – ein kleines Frühstück machen lassen. Schinken und Eier dürften wohl aufzutreiben sein, und etwas Porridge dazu.«

Die junge Frau machte eine erschrockene Geste, so, als ob sie sich selbst eine ernstliche Rüge erteilte. »Mein Gott, Mr. Jenkins – ich habe in diesem Drunter und Drüber wahrhaftig das Nächstliegende vergessen. Bitte nehmen Sie es mir nicht übel – Sie sehen ja, alle fünf Minuten passiert etwas Neues. Ihr Frühstück nehmen Sie selbstverständlich bei mir.«

»Gern«, sagte der Amerikaner mit einer lächelnd-feierlichen Verbeugung.

»Ich habe sowohl ›Quaker Oats‹ als auch Schinken und Eier; dazu kann ich Ihnen etwas gebackene Scholle und frisches Obst anbieten – nicht zu vergessen unser Nationalheiligtum: ein Gläschen Aquavit.«

Eben ging Morck am Hause vorüber. Doktor Jarl klopfte ans Fenster. Morck blieb stehen.

Jarl öffnete den Fensterflügel: »Herr Morck – hier ist eine Dame, die möchte gern das Werk und was so drum und dran hängt besichtigen. Seien Sie doch so gut und zeigen Sie es ihr. – Und mich entschuldigen Sie wohl, meine Gnädigste, sagte er, indem er eine übertrieben korrekte Verbeugung vor Frau Waggeryd machte. »Ich habe einen wichtigen Gang nach dem Güterbahnhof zu machen. Herr Morck kennt alles ebenso genau wie ich.«

Die Tür schloß sich hinter den beiden. Ein schneller fester und ein zögernder leichter Schritt verklang auf der Treppe; dann verließ zuerst Jarl das Haus; er ging so schnell er konnte, fast als ob er vor etwas Unangenehmen auf der Flucht war, nach links ab. Gleich darauf erschien Frau Waggeryd. Sie wechselte einige Worte mit Morck, der sich ihr ersichtlich vorstellte, und die beiden gingen gemächlich die Lillegade hinunter, dorthin wo Wald und Hügel den Horizont säumten.

Joe Jenkins sah ihnen lächelnd nach: »Eine Schwiegermutter ist schon im allgemeinen nichts Schönes«, sagte er, sich ins Zimmer zurückwendend. »Aber eine Schwiegermutter, die einem plötzlich sozusagen vom Himmel fällt – ich kann mir schon vorstellen …«

»Darf ich Sie bitten, Mr. Jenkins, mich in unsere Wohnung hinüberzubegleiten … widersprechen Sie nicht – Sie dürfen es mir unter keinen Umständen abschlagen … um so weniger, als Sie vorhin schon zugesagt hatten.«

Die beiden traten auf die Lillegade hinaus. Vor dem Hause standen ein paar Neugierige; das Gerücht mochte längst bis in die letzten Hütten von Sollihögda gedrungen sein. In den erregten Gesichtern lag deutlich jene Mischung von Furcht und geheimer Wonne, mit der die Psyche der Menge sich auf ein grausiges Geschehnis unfehlbar einstellt. Ein paar grüßten; alle wichen halb respektvoll, halb furchtsam zurück, als die beiden aus dem Hause traten.

»Ihr Herr Vater hat keinen schlechten Geschmack bewiesen«, sagte Joe Jenkins, während die beiden die Lillegade hinuntergingen. »Frau Waggeryd ist hübsch und jung, und obendrein, wie mir scheinen will, gebildet und von guten Manieren.«

»Glauben Sie im Ernst an die Richtigkeit ihrer Ehe?«

Er lächelte. »Zweifeln Sie im Ernst an ihrer Richtigkeit?«

Sie sah ihn betroffen an.

»Nein Frau Thora: Sie zweifeln nicht. Sie waren nur einen Moment verblüfft, und das kann ich begreifen. Aber Sie werden wohl oder übel sich auf diese neue Stiefmutter einstellen müssen – und ich glaube fast, das ist noch nicht das Schlimmste. Können Sie es Ihrem Vater letzten Endes verdenken, daß er sich eine neue Frau genommen hat?«

»Durchaus nicht. Aber dann hätte er in der Wahl seiner Gattin …«

»Wie seine Wahl auch ausgefallen sein möchte – Sie würden sie heute so oder so mißbilligen. Eine Junge würde Ihnen zu jung – eine Alte zu alt – ein Mondäne zu mondän – und eine Fromme zu religiös erscheinen. Das kann Ihnen in Ihrer augenblicklichen Gemütsverfassung niemand verargen. Aber Sie müssen mir schon erlauben, ein wenig über den Dingen zu stehen.«

»Diese Frau ist kaum älter als ich.«

»Um so leichter werden Sie es haben, sich ihr gegenüber durchzusetzen …«

»Und seidene Strümpfe trägt sie auch.«

»Wenn ich nicht irre, erzählten Sie mir selbst, daß Ihr Herr Gemahl Ihnen aus Christiania seidene Strümpfe mitgebracht hat. Sie haben sich also gegenseitig nicht viel vorzuwerfen.«

»Die trage ich nur, wenn ich nach Christiania fahre.«

»Ich glaube, daß Frau Waggeryd, wenn sie erst in Sollihögda wohnt, sich bald genug zu Baumwolle bekehrt haben wird.«

»Ich trage keine Baumwolle«, antwortete Frau Thora entrüstet. »Unter Florstrümpfen tue ich es nicht.«

»Sehen Sie wohl,« sagte er lachend, »Sie kommen sich schon gegenseitig näher.«

*

Frau Thora schloß auf und ließ Joe Jenkins eintreten. »Entschuldigen Sie mich einen Moment, ich möchte der Köchin ein paar Anweisungen geben.«

Joe Jenkins ließ sich behaglich in den grauen Polstersessel fallen und seine Blicke schweiften durch die hohen Fenster hinüber auf das sanft anschwellende Gelände, von dem Löwenzahn und Königskerze freundlich herübergrüßten. Kein Stäubchen lag auf dem glänzenden Mahagoni. Die Frydenlunds-Gade war menschenleer. Ein breiter Streif goldener Herbstsonne lag flimmernd über der Straße, und die sanft ansteigende Ebene, die sich unabsehbar bis zum fernen Fjord dehnte, bot ein Bild des Friedens und des Glücks. Das Summen einer Fliege ging durchs Zimmer; irgendwo schlug eine Uhr; aus der Küche kam ein zischendes Geräusch und ein appetitlicher Duft von Gebratenem begann sich zögernd bemerkbar zu machen.

Frau Thora erschien wieder. Sie hatte es in der kurzen Zeit fertiggebracht, das Kleid zu wechseln. Nun präsentierte sie sich in einem dunkelblauen Mantelkleid von letztem Schnitt. Sie behielt den Drücker der offenen Tür in der Hand; gleich darauf kam das Mädchen mit einem ungeheuren Tablett.

Die beiden Frauen deckten mit der Geschwindigkeit der Übung in weniger als fünf Minuten den Tisch; und die leckeren Dinge, die sie geschäftig auf dem blütenweißen Damast verteilten, waren wohl geeignet, einem Gast das Wasser im Munde zusammenlaufen zu machen – selbst wenn er nicht so ausgehungert gewesen wäre, wie der, vor dem diese Gerichte jetzt aufgebaut wurden.

Joe Jenkins schenkte sich vor allem ein großes Glas Korn ein. Und während er es mit der Linken an den Mund führte, griff er schon mit der Rechten nach dem lockeren Weißbrot. Frau Thora legte ihm Butter und Sardinen zurecht und schenkte ihm Tee ein.

Inzwischen kam das Mädchen mit der gebackenen Scholle, die die Gastgeberin mit ein paar geschickten Hantierungen kunstgerecht zerlegte. Dann holte Frau Thora selbst Schinken und Eier und füllte ein großes Glas mit dunkelrotem Portwein. Inzwischen hatte sich schon der würzige Geruch frisch gemahlenen Kaffees im Hause verbreitet; die Köchin erschien mit einem kleinen, dünnwandigen Fremdenservice; Frau Thora warf zwei Stück Zucker in das Täßchen und schenkte ein.

Während Joe Jenkins die Tasse zum Munde führte, nahm Frau Thora aus einem Schränkchen Zigarren und Zigaretten.

Eben wollte der Amerikaner ein Streichholz ziehen, als die Tür aufgerissen wurde. Die beiden blickten erstaunt auf. Es war Brinjulf Jarl. Sein Gesicht war bleich; seine Wangen eingefallen; um seine Schläfen hing das wirre Haar; sein Blick war hohl und flackernd.

»Um Gotteswillen, was ist dir, Brinjulf?«

Er trat unsicher, fast taumelnd ins Zimmer. Sein Blick irrte wie abwesend über die einzelnen Gegenstände, haftete einen Augenblick auf dem Tisch mit seinem appetitlichen Gedeck. Dann ließ er sich schwer in einen Sessel fallen.

» Ich habe ihn gesehen,« sagte er mit zitternder Stimme.

»Wen?« fragte Thora mit einem ahnungsvollen Beben in der Stimme.

» Den Schlittschuhläufer

Joe Jenkins blies das brennende Streichholz aus.

»Nehmen Sie einen Schnaps, Herr Jarl. Das wird Sie beruhigen. Und dann erzählen Sie uns, was Sie gesehen haben.«

Frau Thora entnahm dem Buffet ein Glas. Joe Jenkins füllte es bis an den Rand mit Aquavit und reichte es dem Erschöpften, der es in einem Zuge leer trank.

»Also nun, mein lieber Herr Jarl – was ist es mit diesem Schlittschuhläufer?« Haben Sie im Ernst, jetzt im August, heute in dieser Stunde, da die Rosen blühen und die Sonne sich in den Wellen des Wassers spiegelt, jemanden Eislaufen sehen?«

Jarl schloß die Augen und faßte nach seinem Herzen.

»Ja«, sagte er endlich. »Wirklich und wahrhaftig, das habe ich gesehen.«

»Hier. Nehmen Sie eine Zigarre.«

Jarl hob abwehrend die Hand. »Ich hatte auf dem Güterbahnhof zu tun; der Weg dahin führt am See vorüber. Ich war müde in den Beinen – Sie wissen ja selbst, was alles seit heute früh auf mich eingestürmt ist und Sie werden es wohl begreifen, daß mir die Kniee zitterten. Sie haben die Bank gesehen, die unmittelbar am Ufer steht. Die Sonne lag warm und goldig auf dem Wasser. Also kurz und gut, ich setzte mich einen Augenblick. Dabei muß ich bemerken: ich war zwar körperlich matt, aber keineswegs schläfrig. Dazu waren meine Nerven viel zu angespannt, mein Gehirn viel zu sehr in Vibration.

Ein Hund lief vorüber; er fiel mir auf, denn es war ein Tier, das ich noch nie hier im Ort gesehen habe. Ich entsinne mich deutlich jeder Einzelheit; er schnupperte einen Moment an meinen Stiefeln, dann lief er weiter nach der Landzunge zu, wo – na, Sie wissen ja. Ich verfolgte ihn lange mit den Augen; er schien hungrig zu sein, denn er suchte fortwährend mit der Schnauze den Boden ab.

Plötzlich hörte ich ein Geräusch, das mich auffahren machte. Genau so, als ob ein Schlittschuh auf Eis scharrt. Ich hob den Kopf; der Laut kam vom Wasser her. Und im nächsten Augenblick sehe ich ihn: den Schlittschuhläufer!

Ich springe auf. Er hält geradenwegs auf mich zu. Was mir am meisten an ihm auffällt, ist seine Kleidung: eine Art von Wams – ungefähr so wie man die Patrizier auf alten Bildern sieht; die Schlittschuhe von altmodisch schnabelartiger Form, vorn mit einem weit zurückgebogenen Haken, der in eine Spirale ausläuft.

Das Auffälligste aber war das Gesicht: denke dir, Thora, in jedem Zuge dein Vater! Dieselben Augen, dasselbe Kinn, derselbe Zug um den Mund.

Ich weiß selbst nicht genau, warum – es muß wohl so etwas gewesen sein, als ob ich eine Art von Hilfe suche – ich schaue nach dem Hund aus. Und da sehe ich ihn an der Spitze der Landzunge stehen und mit gesträubten Haaren und weit aufgerissenen Augen auf die Erscheinung starren.

Kein Zweifel also: auch der Hund hat ihn gesehen!

Im nächsten Moment ist der Schlittschuhläufer dicht vor mir. Deutlich sehe ich, wie ihm zwei feine Sprünge vorauslaufen, so, als ob man bei Tauwetter auf brüchigem Eise läuft – und dabei plätschert links und rechts von ihm das Wasser in kleinen Wellen und die Strahlen der Sonne hüpfen und tanzen in tausend sprühenden Funken auf dem See!

Und nun war er kaum zwei Meter von mir. Er hielt seine Augen unausgesetzt auf mein Gesicht gerichtet, mit einem unbeschreiblich trostlosen Ausdruck. Ich glaubte ihn schon körperlich zu spüren – da plötzlich höre ich einen Krach, so wie in den Winternächten wenn das Eis in den Fjorden an den kleinen Basaltinseln bricht – und im nächsten Moment versinkt er unmittelbar vor mir mit einem Schrei in die Tiefe.«

Brinjulf Jarl hatte erschöpft geendet. Die beiden sahen ihn schweigend an; endlich nahm Joe Jenkins das Wort:

»Das ist allerdings etwas so Seltsames, daß ich mich jedes Kommentars dazu enthalten muß. Wo die Metaphysik beginnt, muß ich die Segel streichen. Aber sagen Sie mir eines, Herr Jarl: wäre es nicht trotz allem möglich, daß Sie geschlafen hätten?«

»Nein, Mr. Jenkins. Ich war vollkommen wach – darauf können Sie sich verlassen.«

»Oder daß aus irgendeinem anderen Grunde die Erscheinung ein Produkt Ihrer überreizten Nerven gewesen wäre?«

»Ich habe selbst einen Moment daran gedacht. Wer weiß, vielleicht hat der furchtbare Tod meines Schwiegervaters – kurz und gut, vielleicht bin ich nicht mehr im Besitze meiner normalen Geisteskräfte. Nur eins spricht dafür, daß die Erscheinung wirklich da war, daß sie eine reale gewesen ist: das Verhalten des Hundes.«

»Wenn man nicht annehmen will, daß auch diese Beobachtung ein Produkt Ihrer pathologisch erregten Phantasie gewesen wäre.«

Thora Jarl erhob sich. »Nein, Mr. Jenkins.«

Die beiden wandten sich erstaunt zu ihr herum: »Von krankhaft erregten Nerven kann hier keine Rede sein. Dieser Schlittschuhläufer, der im Sommer den See von Sollihögda durchquert, existiert. Und wenn mein Mann ihn gesehen hat, so hat er den Vorboten eines neuen Unglücks gesehen.«

Jarl schüttelte den Kopf. »Was bedeutet das, Thora? Du scheinst um Dinge zu wissen, von denen außer dir niemand eine Ahnung hat.«

Sie machte eine heftige Bewegung. Und auf den fragenden Blick des Detektivs setzte sie hinzu: »Ich kann es nicht sagen. Vielleicht später einmal. Aber Sie können mir glauben: es ist so

»Du meinst also, dieser Schlittschuhläufer … du sprachst von dem Vorboten eines neuen Unglücks … vielleicht, daß ihn auch dein Vater in dieser Nacht … wie ein Irrlicht, das den Wanderer ins Moor lockt … dann wäre es doch im Grunde nichts anderes als Selbstmord.«

Thora schwieg.

Der Detektiv nahm die Zigarre aus dem Aschebecher und sagte, indem er ein neues Zündholz zog:

»Im Zimmer Ihres Vaters liegen sein Hut und sein Paletot. Sie wissen vielleicht, daß er beides …«

»… ausgezogen hatte«, unterbrach ihn Jarl mit ungeduldiger Stimme. »Sie sagten es bereits. Das würde, wenn man es recht bedenkt, letzten Endes für den Selbstmord sprechen.«

»Hm – es ist noch etwas anderes dabei.«

Die beiden sahen unruhig auf.

»Sowohl der Hut als auch der Paletot sind feucht. Noch jetzt. Beide sind also im Wasser gewesen – haben mit dem Toten im Wasser gelegen. Das kann nichts anderes bedeuten, als daß irgendein anderer ihm beides nach seinem Tode ausgezogen hat

»Warum aber hätte er die Gegenstände an einen Ort gelegt, der von der Todesstelle so entfernt liegt?«

»Auch dafür habe ich mir inzwischen eine Erklärung gebildet: der Betreffende, der dem toten Waggeryd Hut und Mantel ausgezogen hat, hat beides zunächst mitgenommen. Zu welchem Zweck – das weiß ich nicht. Noch nicht. Dann, nach einiger Zeit, hat er die beiden Gegenstände zurückgebracht. Im Dunkel der Nacht hat er die beiden Landzungen miteinander verwechselt; Sie werden sich erinnern, daß an der Stelle, wo wir Hut und Mantel gefunden haben, das Erdreich von einer Schilfkolonie fortgesetzt wird, die das vollkommene Bild einer Landzunge bietet. Hier hat der Unbekannte Hut und Mantel niedergelegt – in der Meinung, in der Nähe des Toten zu sein. Also einfach eine Verwechslung.«

»Das würde also«, flüsterte Jarl, indem er Joe Jenkins furchtsam ins Gesicht blickte …

» … auf Mord schließen lassen«, nickte Joe Jenkins.


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