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Letzte Fahrt.
Hamburg – Rangoon – Bassein – Rotterdam.

10. Januar – 17. November.

 

»Schwer entsagt das Aug' der offnen Ferne,
Schwer das Ohr dem Meereswellenschlage –
Unter kält're Sonnen, blass're Sterne
Folget mir, glücksel'ge Wandertage,
Und umklingt mich dort wie eine Sage.« –

C. F. Meyer.

 

I.
Von Hamburg nach Rangoon.

10. Januar-9. Mai.

10. Januar. Am dritten Tage nach der Abfahrt von Hamburg waren wir bei Goodwin Sands, sahen abends das Licht von South Sand Head, das rote Feuer der Varne und das Feuer bei Dungeness, weiter aber keine, so wenig sichtig war die Luft. Wir »fühlten« uns also aus dem Kanal, sind nun eben außerhalb und es fängt an zu wehen. Etwas Unbehaglicheres als den Anfang der Reise kann es nicht leicht geben. Die Dunkelheit und eingeschlossene Luft in der Kajüte, der kleine fürchterliche Ofen, der glüht, daß man vor Kohlendunst und Schwefelgeruch sich auf Deck flüchtet, wo Schnee, Regen, Salz und Schmutz alles mit einer Art Schlamm überzogen haben, die herumstehenden Sachen überall, dazu die neue Mannschaft, die neuen Taue, die steif und gefroren sind, und alles, alles so schwarz von Kohlenstaub, daß die Leute aussehen, als hätten sie schwarzwollene Handschuhe an. Es ist viel schlimmer in Hamburg als in London-Docks; dort ist wenigstens die Umgebung auch verrußt und alles in demselben grauen Ton, aber in Hamburg, in dem neuen hellen weiten Hafen, begreift man gar nicht, wie das Schiff in einen solchen Zustand geraten kann.

Der neue Steward ist ein Kind von fünfzehn Jahren mit Namen Paul, der von seinem Dienst nicht mehr Ahnung hat als ein Lama und dem man alles beibringen muß. Natürlich war er in den ersten Tagen seekrank. Dafür ist der Koch ein guter Griff gewesen. Er scheint reinlich und gibt sich Mühe. Er ist Däne und spricht schlecht deutsch. Dänen sind geborene Seeleute, und da ihr kleines Land nicht Schiffe genug für ihre seefahrende Mannschaft hat, trifft man sie viel, besonders auf deutschen und englischen Schiffen. Auch wir haben diesmal mehrere Dänen und Schweden, einen kleinen Bayern und einen Sachsen aus Nordhausen, ein ganz kleines blondes Bürschchen, das die erste Reise macht; doch soll er bereits neunzehn Jahre alt und schon in einer Brauerei gewesen sein. Von der vorigen Mannschaft ist nur unser Heini als Leichtmatrose wieder mit. Der zweite Steuermann ist der Sohn von einem Kapitän, mit dem Jürgen als zweiter Steuermann gefahren ist, ein tüchtiger Seemann und lieber Mensch.

24. Januar. Sehr schweres Wetter. Jürgen zu dem kleinen Bayern, den er auf dem Hinterdeck trifft: »Was machst du denn hier?« Der Junge auf Herrn Pauly zeigend, der sich eben den Südwester unterm Kinn festbindet: »Ich hob ihm nur seine Sturmhaubn brocht.« Die Seefahrt behagt ihm aber nicht: »Koine zehn Pferd bringen mich wieder aufs Schiff.«

7. Februar. Heute passieren wir wohl die Linie, ich zum neunzehnten Male. Nach der Loggberechnung glaubten wir gestern schon so weit zu sein, allein wir mußten Gegenstrom gehabt haben, denn wir waren drei Meilen nach Norden zurückgetrieben. Neptun war indessen für den Nachmittag bereits angesagt. Wir hatten fast Stillte und eine Brathitze, 27° R. Ich war froh, daß die Leute auf diese Art einen freien Nachmittag bekamen und dachte, sie würden bis gegen Abend warten, aber nein, gegen ½ 3 Uhr erschienen Neptun und Amphitrite. Neptun, in meinem Smyrna-Bademantel mit langem Wergbart, dem Dreizack und einem gespießten fliegenden Fisch daran, sah merkwürdig klassisch aus. Amphitrite in Kleid, Rock und Hut von mir, in ein Moskitonetz drapiert, mit Werglocken vorn, machte sich sehr hübsch und weiblich; es war der blonde Schwede Anton. Dieses Mal hatten wir vier Täuflinge, denen sie übel mitspielten, besonders das Untertauchen in die Balje war fast zu arg. Ich ließ sie mir nachher kommen und gab ihnen eine Schüssel mit Pfefferkuchen und Apfelsinen zum Trost. Und nun ging das Spielen und Musizieren an; man sollte denken, daß Leute, die den ganzen Vormittag in einer solchen Glut gearbeitet haben, froh sein müßten, sich hinzulegen und zu ruhen, aber weit gefehlt. Erst gab es »Schinkenklopfen«, ein feines Spiel. Der eine birgt seinen Kopf im Schoße eines zweiten und dann kommt einer nach dem andern und schlägt ihn aus Leibeskräften auf den Körperteil, den die gütige Natur hierzu mit weisem Vorbedacht bereitet hat, und der Geschlagene muß raten, wer es war, was man gewöhnlich an dem überunschuldigen und unbefangenen Ausdruck sehen kann, mit dem der Betreffende irgendwo anders hinblickt, als wüßte er von gar nichts. Nachdem sie sich so weidlich zerklopft hatten, wurde ein Seil gespannt und zwei setzten sich darauf und schlugen mit einem Kopfkissen aufeinander los. Natürlich verloren sie beide das Gleichgewicht und hingen nach unten, stießen sich und faßten sich und zogen sich, bald war der eine oben, bald der andere, bis sie sich endlich außer Atem und kochgar auf den Boden fallen ließen. Davon konnten sie gar nicht genug bekommen; dann »rief Lyäos zum Reigen«, wobei sich der Segelmacher auf der Pauke hervortat.

Abends kam etwas Brise und es war herrlich kühl. Der Orion steht gerade über uns, auch das Kreuz ist heraus und die übrigen südlichen Sternbilder.

Wir haben verschiedentlich Sorge gehabt mit dem zweiten Steuermann, dem schwarzen Huhn und einem Matrosen, der einen Karbunkel am Arm hatte und geschnitten werden mußte, ebenso das Huhn, das einen schlimmen Fuß hatte. Es ist noch eins von unsern alten guten Hühnern. Der zweite Steuermann glaubte, sich bei den eisigen Nachtwachen auf der Elbe erkältet zu haben; eines seiner Augen tat ihm sehr weh, tränte beständig und er hatte immer das Gefühl, als wäre etwas darin, während doch nichts zu sehen war. Eines Tages hatte er im Raume den angehäuften Schmutz herauf schaffen lassen, es stürmte wie gewöhnlich und er bekam eine Ladung Kehricht ins Auge, natürlich in das kranke. Die Tränen stürzten nun in Strömen und siehe da! als das Auge sich davon erholt hatte, war es ganz gut und also doch etwas darin gewesen.

15. Februar. Heute erzählte Herr Pauly sehr ergötzlich, wie er sich eines Sonntags, noch auf dem »Mazatlan«, fast allein an Bord befand, als drei elegante junge Damen auf das Schiff zukamen. In der Vorstellung, sie wünschten es zu besehen, ging er ihnen artig entgegen und fragte nach ihrem Begehr; zu seinem Erstaunen sagten sie, sie hätten gehört, es wäre unter der Mannschaft ein Graf und da sie noch nie einen solchen zu Gesicht bekommen hätten, so kämen sie, ihn in Augenschein zu nehmen. Herr Pauly fühlte sich nicht bemüßigt, die Honneurs des gräflichen Schiffsjungen zu machen und sagte ihnen, sie möchten sich nach vorn bemühen, da wäre er. Es dauerte eine gute Weile, bis die drei Gänschen zurückkamen und mißvergnügt bemerkten, dort hätte nur ein junger Mensch mit einem Besen gestanden; den Grafen hätten sie nicht gefunden. – Wir schaukeln im blauen Passat und sind schon aus der heißen Zone heraus. Es ist schwül, ich räumte heute morgen einen Koffereinsatz auf und sank dann erschöpft in meinen Stuhl auf Deck, wie aus dem Wasser gezogen von der kleinen Anstrengung. In diesen Tagen fand große Wäsche statt und ich hatte gehörig auszubessern, muß Jürgens Hemden weiter machen, habe mir eine leichte weiße Mütze fabriziert, meinen Strumpfbeutel leer gestopft und Jürgens wollenes Zeug in Ordnung gebracht; nun kommen seine weißen Hosen und Röcke an die Reihe und dann erst geht es an meine Sachen. »Was machen Sie nur eigentlich den ganzen Tag auf dem Schiff?« –

26. Februar. Wir laufen auf Tristan d'Acunha zu. Es ist merklich kühler, das Sonnensegel abgenommen und es gießt. Heute sahen wir schon zwei Albatrosse, aber auf der ganzen Reise noch nicht einen einzigen Walfisch.

Die Apfelsinen halten sich vorzüglich. Eines Nachmittags fehlte mein einziges silbernes Messer. Ich hatte es bei Tisch noch gebraucht. Nach tagelangem Suchen fand es sich unter den Latten in der Lotsenkammer, auf denen die Koffer stehen, wohin es das diebische Kätzchen geschleppt hatte. Auch hinter dem Kasten unter der Koje hatte es sich eine kleine Räuberhöhle angelegt, wo neben zwei großen alten Knochen ein »silbernes« hony soit qui mal y pense lag, das mir abhanden gekommen war.

28. Februar. Wir haben Kap Agulhas, d. h. die Länge des Kaps, passiert und sind seit gestern in der indischen Karte. Es ist kühl und feucht, weht seit einigen Tagen tüchtig und die See war so hoch, wie ich sie selten sah. Es war grausig, bald rechts, bald links, bald vorn den großen hohen grauen Hügel auflaufen zu sehen, oben dicht besetzt von weiß schäumenden Kämmen, die sich überstürzten. Vollends, wenn sie von hinten kommen und man die Wassermasse ganz nah aufsteigen und unaufhaltsam auf sich zuschwellen sieht, kann einen wohl Angst und Grauen überkommen. Jürgen sagte, wenn solche Wellen in der Nordsee wären, wo sie sich nicht ausbreiten können, würde kein Schiff darin leben, hier ist das Wellental so breit, daß das Schiff hinabgleiten und sich wieder heben kann. Am Tage geht es noch, aber nachts ertrage ich den Anblick nicht lange.

Gestern abend schoß das Schiff durch die hohe Dünung, rechts und links leuchtete die milchweiße Schaumwelle, die entfernteren Kämme leuchteten auf der dunklen Masse, und plötzlich stürzte mit Getöse eine Schaummasse über und bedeckte das Deck mit tausend Funken und Sternen. Es standen dunkle Wolken am Himmel, dazwischen funkelten die Sterne, links unten der Orion und rechts oben gerade in einer Wolkenöffnung strahlte herrlich und tröstlich das Kreuz. Ich stand oben in der Tür, hielt es aber nicht lange aus, obwohl es schön war.

Wir hatten nicht viel Vögel, aber in den letzten Tagen kamen Albatrosse, Seeschwälbchen und Eisvögel. Die Leute fingen vier Albatrosse zum Abendbrot, wir bekamen Steaks davon, die sehr gut waren. Gleich darauf kam der Sturm.

16. März. Sturm und hohe See. Das Schiff rollte so schlimm, daß selbst Herr Pauly mehrere Nächte nicht schlafen konnte, und es war ein Getöse und ein Geklapper, ganz schauderhaft. Das Schiff ist zu steif, sie haben es wieder schlecht gestaut, die Ladung liegt zu tief, sagt Jürgen, und das Salz backt hart zusammen und liegt unten wie ein riesiges Plätteisen.

Gestern war es, gottlob, besser und heute ebenfalls; man lebt förmlich auf.

Mir geht es, wie Ihr seht, mit der Angst bei schwerem Sturm, wie den Menschen, die in einer von Erdbeben heimgesuchten Gegend leben. Die Länge trägt auch hier die Last. Ebenso muß man auch erst lernen, wann und wovor man sich zu fürchten hat. Auf meiner ersten, sehr stürmischen Reise nach England war ich vollkommen ruhig, weil ich meinte, es wäre ganz in der Ordnung, wie ein Würfel im Becher geschüttelt zu werden, im Indischen Ozean dagegen habe ich mich wochenlang vor Zyklonen geängstigt, die in der Gegend und zu der Jahreszeit, in der wir uns befanden, so gut wie gar nicht vorkommen. In London hatte man uns ein Doppelkissen aus Renntierhaar mitgegeben, das im Wasser besser noch als Kork tragen soll; ich habe es manches Mal daraufhin prüfend betrachtet und verstohlen die Knöpfe des Ueberzugs aufgemacht.

Schwerlich hätte ich in kritischen Augenblicken die Geistesgegenwart besessen, die manche andere Seemannsfrau gezeigt hat. So erzählte Herr Pauly, daß die Frau seines früheren Kapitäns, als sie bei ausgebrochenem Feuer meinte, man mache die Boote zurecht, um das Schiff zu verlassen, die Messingkapsel holte, die die Schiffspapiere enthält. Aehnliches berichtete Jürgens alter Freund Schulte von seiner Frau bei Gelegenheit eines Unfalls, in dem er als junger Kapitän sein erstes Schiff verlor. Das Wasser war ihnen durch langen Aufenthalt bei Kap Horn so knapp geworden, daß sie genötigt waren, die Falklandsinseln anzulaufen. Die See war stürmisch, die Luft neblig, und so geschah es, daß sie die Nähe des Landes nicht eher gewahr wurden, bis sie sich plötzlich mitten in der Brandung befanden und nur das nackte Leben retten konnten. Als die Boote niedergelassen wurden, erschien das arme Frauchen mit ihren liebsten Hochzeitsgeschenken im Arm und er mußte ihr sagen: »Nein, Kind, mitnehmen können wir nichts.«

Ein Schiff, das ein anderer von Jürgens Freunden führte, war so alt und morsch, daß auf der Rückreise beständig gepumpt werden mußte und schlechtes Wetter sie in die größte Gefahr brachte. Vor der Frau, die mit war, wurde der besorgliche Zustand des Schiffes nie erwähnt und sie blieb die ganze Reise über anscheinend in vollkommener Unbefangenheit; erst im Hafen gestand sie, alles ganz genau gewußt und nur nichts gesagt zu haben in der Sorge, ihr Mann möchte sie nicht wieder mitnehmen, wenn sie Angst und Unruhe verriete.

Ihr seht offenbar noch immer den Aufenthalt einer Frau an Bord für etwas Außergewöhnliches an, doch geschieht es viel öfter, als man binnenlands meint. Ich wenigstens habe viele Kapitäne gesprochen, die mir gesagt haben, in den ersten Jahren hätten sie auch die Frau mitgehabt, ihre Kinder wären auf See geboren und die Frau erst zurückgeblieben, als sie die Schule besuchen mußten.

Auf einem englischen Schiffe hatte der Kapitän nicht nur Frau und Kinder, sondern auch die Schwägerin mit. Ja, eine Gesellschaft in England macht es geradezu ihren Kapitänen zur Pflicht, sich, wenn irgend möglich, von der Frau begleiten zu lassen. Was sich dagegen sagen läßt, ist zu oft erörtert, um darauf zurückzukommen, nur der oft wiederholte Einwand, der Mann würde dadurch von seinem Geschäft abgezogen, ist mir immer besonders ungereimt erschienen; wem würde wohl einfallen, beim Arzt, beim Rechtsgelehrten oder Baumeister in der Frau ein Hindernis des Berufes zu erblicken? Leider verfehlte ich die Bekanntschaft einer seefahrenden Dame, die seit dreiundvierzig Jahren ihren Mann auf seinen Fahrten zwischen Stettin und Rotterdam begleitet. Diese kann ich selbst nicht genug bewundern und bedauern. Von den Freuden der Seefahrt kann sie wenig gehabt und eigentlich nur ihre Schattenseiten kennen gelernt haben. Wer aus dem freien, weiten Ozean kommt, scheut sich vor den engen heimischen Meeren mit ihren nahen Ufern, ihrem Nebel, der Gefahr der Zusammenstöße, den Unbilden des Klimas.

Diese Dame ist denn auch ganz Seemann geworden, erzählte man uns; keine Fracht dürfe ohne sie abgeschlossen werden, und wenn bei schlechtem Wetter der Kapitän mit seinem Podagra in der Koje liegt, nimmt sie selbst das Kommando an Deck.

Allen Respekt!

17. März. Jürgen fütterte die Albatrosse mit Stücken Speck. Der Flug dieser großen Vögel ist aber so wuchtig, daß sie im Schwunge nicht anhalten können, sondern erst engere und engere Kreise ziehen müssen, und ehe sie endlich hinunterschießen, stößt oft irgend ein kleinerer Vogel auf den guten Bissen und verschlingt ihn vor ihren Augen und Schnäbeln. Ein kleiner, schwarzer Vogel würgte fast alles herunter, nach dem Prinzip der englischen Jungen: »better to burst, than to give in« »eher platzen, als nachlassen«..

Die Leute fingen einen großen, weißen Albatros, doch war er ertrunken, ehe sie ihn aufziehen konnten, denn sie schleppten ihn an der Leine durch das Wasser, und der Köder sperrte ihm den Schnabel auf. Der Segelmacher wollte ihn ausstopfen und zog ihn sehr geschickt ganz aus der Haut, tat aber doch zuletzt einen Fehlschnitt, der ihn verdarb. Es war ein wundervolles, dichtes, weißes Schwanenhemd, ganz in einem Stück.

Heute nachmittag auf Deck fiel mir eine sonderbare, eckige Lücke in den Wolken am Horizont auf, als ich gewohntermaßen nach Walfischen aussah. Da nach einiger Zeit der weiße Würfel unverändert blieb, wurde ich stutzig, holte den Gucker und richtig, es war ein Eisberg, der erste, den ich sah und der erste, den sogar Jürgen auf seinen indischen Reisen zu Gesicht bekam. Er muß riesig gewesen sein. Jürgen schätzte die Entfernung auf etwa dreizehn Meilen und seine Länge auf etwa eine Meile; er mußte viel höher sein, als das Schiff. Durch das Glas sah man ihn deutlich; erst nach einigen Stunden hatten wir ihn passiert.

18. März. Das Schiff rollt noch ab und zu unangenehm genug, im ganzen ist es aber ruhiger und die See weniger hoch. Ich kann Euch nicht eindringlich genug erklären, daß hohe See im Ozean nicht Wellen gleicht, wie sie als Mäander auf Zeichnungen dargestellt werden, sondern daß es breite anschwellende Hügel sind, auf denen Wellen übereinander steigen und sich in breiteren oder schmäleren Kämmen überschlagen.

2. April. Ich bin auf dieser Reise wie »Abner, der Jude, der nichts gesehen hat«. Wir gingen diesmal zwischen den Inseln St. Paul und Amsterdam durch und beide hätten in Sicht sein müssen, denn sie können einander sehen, aber die Luft war diesig, und obwohl wir den ganzen Tag aus Leibeskräften spähten, bis man die Augen vor Blendung kaum aufhalten konnte und trotzdem nachts der hellste Mondschein war, wurden sie nicht erblickt. St. Paul ist klein, nur 400 Fuß hoch; aber Amsterdam hat 2700 Fuß Höhe.

Wir haben jetzt wieder feuchte Hitze, +18° und leider beinahe Stillte. Die See ist blau, und man sieht sie liegen, »wie einen ausgegoss'nen Schild.«

Großer Schrecken. Der kleine Walter klagt über Wanzen, und Wanzen auf einem Schiff sind unausrottbar, wenn sie erst überhand nehmen. Das ganze Logis der Leute wurde daher ausgeräumt, geschrappt, gewaschen, gebrüht, frisch gestrichen, und da sich dabei nicht der Schatten einer Wanze zeigte, so meint Jürgen, es würden wohl ein Paar der kleinen braunen Schaben in der Wärme wieder aufgelebt sein und der Junge sie für Wanzen angesehen haben. Nach zwei Tagen heftiger Reinlichkeit sinkt der »Regulus« in den gewohnten Frieden zurück.

8. April. Stillte; ich sitze auf Deck neben den Segelmachern und schreibe mit der Reisefeder. Wir warten brummend auf den Passat.

15. April. Gründonnerstag. Wir warten noch immer und brummen immer stärker. Stillte und kleine Brise aus allen Himmelsgegenden, außer der rechten; dabei sinkt das Barometer beständig und steigt nur wenig, um dann tiefer zu sinken als vorher. Ein paar Mal sind schon die Royals festgemacht und die Bramsegel fortgenommen; die See lief einmal von allen Seiten auf, und die Wolken jagten in Lagen von verschiedenen Richtungen aneinander vorüber. 26° R. Die Katze und ich waren ganz matt und gewitterschwer; es verzog sich aber und heute ist blaue See und eine nette Brise, aber aus Nordost. Die Erde dreht sich doch wie gewöhnlich, wo bleibt also der Passat?! Herr Pauly spricht schon von einem neuen Ausbruch des Krakatoa, um die atmosphärischen Störungen zu erklären. Gestern ließ sich ein großer Hai sehen; die Leute versuchten stundenlang, ihn mit Speck zu fangen, endlich biß er, aber die Angel riß aus und er verschwand nach dieser Lektion.

Vier Schiffe in Sicht, aber Entgegenkommer; sie suchen wohl alle den Passat, sonst würden sie nicht so weit aus ihrem Kurs gehen.

2. März. Ihr erinnert Euch, daß der Steward ein halbes Kind ist und keinen Schimmer von seiner Arbeit hatte; in diese hat er sich jetzt etwas gefunden. Daß die Reinlichkeit ihm noch sehr ungewohnt war und er immer wieder die Schmutzeimer stehen, Reste in allen Ecken ließ u. dergl. ist von einem Jungen nicht zu verwundern, hat man doch mit manchem Mädchen seine Not, aber neulich kam der Steuermann in den Schrank des Stewards und fand dort allerhand Konservenbüchsen, zum Teil halb ausgegessen und verdorben; von den Fruchtdosen waren überhaupt keine mehr da, so arg hat er gehaust. Natürlich bekam er, was sich gebührt. Es ist wirklich schon schlimm genug, eine ganz unzuverlässige und unzureichende Bedienung zu haben, und nun ist der Schlingel noch dazu ein Dieb, denn es fehlt auch anderes. Gewiß hat er schon allerhand auf der Zeche und man hat ihn zur See geschickt, weil man sonst nichts mit ihm anzufangen wußte. Es ist ein hübscher Junge mit weichen Zügen, aber Schläge muß er sehr gewöhnt sein. Der zweite Steuermann klagt, daß er sich mit dem größten Gleichmut prügeln läßt, sich schüttelt wie ein Pudel und alles genau ebenso macht wie zuvor.

Anstatt des Passats haben wir Stillte gehabt. Jetzt quälen wir uns mit ganz wenig Brise an Sumatra entlang. Heute nacht wachte ich mit der Vorstellung von Parma-Veilchen auf, und als ich zum Bewußtsein kam, strömte eben wieder ein würziger Lufthauch durch das Fensterchen. Es ist furchtbar heiß, 24° R., sowohl Wasser wie Luft, und dazu feuchte Hitze.

8. Mai. Ohne Passat gefunden zu haben, erreichen wir endlich Atchin Head und sehen die kleinen Inseln liegen, durch die man in die Bucht von Martaban einläuft. Während ich sie ansah, summte ich unbewußt vor mich hin, und als ich mich besann, war es:

»Flieget den hellen
Inseln entgegen!«

aber aus dem Radziwill'schen, nicht dem Lassen'schen Faust! – Dann sahen wir noch Barren Island und Narcondam von weitem und kamen endlich heute nacht bis China Bakeer, wo ein Leuchtturm steht und wir Anker warfen. Regen und Gewitter haben wir unablässig gehabt, und ich freute mich, daß nach dem »Mango-Schauer« (dem ersten Regen) alles frisch und die erste Glut vorüber sein würde, wenn wir an Land kämen. Der Lotse, der heute an Bord kam, sagte jedoch, sie hätten in Rangoon eine Hitze wie noch nie und so gut wie noch gar keinen Regen gehabt; es wäre schrecklich.

Ich hoffte, am nächsten Morgen in Rangoon zu sein, überzog alle Kissen frisch, zog reine Vorhänge vor Spiegel und Fenster, legte Jürgens Anzug zurecht, damit er an Land könnte, schrieb die Wäsche für den Dobi auf usw., aber der Dampfer bleibt aus, der uns schleppen soll.

Endlich, Sonntag, 9. Mai, um 5 Uhr waren wir unterwegs; der Morgen war kühl und die Einfahrt schön, und so haben wir unser Ziel nun glücklich erreicht.

II.
Rangoon.

9. Mai-29. Mai.

Rangoon, 13. Mai. Eben kommen wir aus dem Rangoon-Jail. Gefängnisse anzusehen gehört nicht zu meinen Liebhabereien, wir kamen auch ganz zufällig dazu. Von Zeit zu Zeit nämlich besucht uns ein kleiner dünner Schiffsmissionar, der kein Deutsch versteht und seine Energie deshalb auf Jürgen und mich beschränken muß, die darin besteht, daß er morgens kommt, sich hinsetzt, mit uns frühstückt und dann, mit Hinterlassung einiger christlicher Blätter, nach seinem Sonnenhut greift. Dieser wollte uns eine Güte antun und erbot sich, uns das Gefängnis zu zeigen, wozu man einen Paß haben und beim Fortgehen seinen Namen zeichnen muß. Weder Jürgen noch ich hatten eigentlich Lust, indessen wollten wir es ihm nicht abschlagen und unserer Bildung diese Begriffserweiterung zukommen lassen. Um dreiviertel auf zwei in brennender Sonne waren wir am Anlegeplatz. Unser Missionar stand schon da, wir nahmen ein Gherry mit einem wilden Schimmelpony, das uns mit Windeseile bis vor das Gefängnis brachte. Die hohe äußere Mauer ist blaugrau gestrichen und darauf liegen, statt der bei uns üblichen Glasscherben und eisernen Zacken, lose aufeinander gesetzte Ziegel, so daß sie bei der Berührung fallen müssen. Wir wurden durch mehrere Gebäude geführt, die alle mit kleinen Höfen und Gängen voneinander getrennt sind, jede Tür fest verschlossen, die Gebäude alle in Pfahlwerk und durchsichtig, nur die Zellen für die Nacht in festen, und zwar sehr festen Mauern. An die Kasernenhaftigkeit unserer Gefängnisse gewöhnt, machten uns diese offenen Hallen, die mit Gewächsen und Bäumen bestandenen Plätze erst keinen traurigen Eindruck; die Gefangenen hatten zum Teil weiße spitze Mützen als Zeichen, daß sie sich gut geführt hätten, noch besseres Betragen wurde durch blaue Kappen ausgezeichnet und die allerbesten trugen einen blauen Turban. Die meisten sahen wohlgenährt und gut aus. Einige aber zeigten verbissene, hoffnungslose Gesichter. Jeder hatte einen weiten Ring am Fuß und einen anderen um den Hals mit einer Blechmarke, auf der seine Nummer, Dauer der Strafzeit und Verbrechen stand. In einem Saal wurden Degen für Soldaten und Polizisten geschmiedet. Einige Klingen mit feinen Arabesken und kleinen Elefanten in Silber eingelegt, ließen in Jürgens Brust eine ungestillte Sehnsucht zurück. Druckerei, Schriftgießerei, Sattler-, Schneider-, Schmiede-, und Drechslerwerkstatt sahen wir in Betrieb, wobei anstatt des Dampfes eine Tretmühle als hard labour Zwangsarbeit. in Tätigkeit war. Wir sahen auch Kokosfaser bearbeiten; fünf Kokosnußschalen den Tag hat der Mann in sechzehn Teile zu teilen und mit einem Hammer die Fasern breit zu schlagen, andere klopfen und zupfen sie. In zwei Sälen wurden die schönen birmanischen Korbflechtereien und Holzschnitzereien gemacht, und ein junger Mann mit unschuldigem Gesicht und weichen Zügen saß da und entwarf Zeichnungen in den schönsten Mustern, Götterbilder und Arabesken, zu Möbeln und Schmuckstücken, wirklich künstlerisch; Jürgen fragte, was er verbrochen hätte. »Show me your badge, Zeige Deine Marke. sagte der Beamte, der uns führte, er war wegen »Dacoity« zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt! Die Dakoits waren einheimische Truppen des Königs Theebaw, die dieser bei seiner Thronentsetzung einfach entließ und die sich als Räuberbanden über das Land ergossen und schrecklich hausten. Der Vorgang wird gewöhnlich als der Dakoit-Aufstand bezeichnet, was er streng genommen nicht ist. Also wegen Räuberei und Mord, »grausem Mord im fürchterlichsten Grad!« – Schrecklich waren uns zwei Verbrecher, die stumpf in ihren Käfigen lagen und gehängt werden sollten, – wir können den Eindruck noch gar nicht verwinden. 2573 Männer, meistens Birmanen, sind dort und 23 Frauen, die in einer hohen luftigen Halle Kokosfaser klopften und zupften; unter ihnen ein niedliches Mädchen von vierzehn Jahren, lebenslänglich verurteilt, weil sie zwei Kinder ertränkt hatte; man hatte aber nachträglich Zweifel bekommen, ob es mit Vorbedacht geschehen wäre, hatte den Fall nochmals untersucht und sie auf ein Jahr herabgesetzt. Die Frauen sahen traurig und beschämt aus, das Mädchen sah gar nicht auf, ebenso wenig eine junge Frau, die ein mageres weinerliches Kindchen vor sich hielt, das stehen konnte, aber jämmerlich aussah; ich faßte sein Händchen, sprach mit ihm und bedauerte es, so daß sie wohl am Ton hören und mir ansehen konnte, daß es mich jammerte; sie sah nicht auf, aber Tränen rannen ihr über die Wangen. Ein anderes Kind schlief im Schoß seiner Mutter, während sie arbeitete.

Ich konnte diese Eindrücke gar nicht aus den Gedanken bringen und war froh, als wir wieder ins Freie kamen. Wenn man denkt, wie ungern der Birmane überhaupt arbeitet, so erscheint die Zwangsarbeit doppelt schlimm, sonst sollte man denken, wenigstens diejenigen, welche die schönen Schnitzereien machen, hätten es eigentlich noch tröstlich.

Nicht weit von uns liegt die »India« aus Bremen, Kapitän G., ein sehr netter Schleswiger, der uns Besuch machte. Dann kam die »Bille«, aus Hamburg natürlich, die im November ausgegangen war, und über deren Ausbleiben man sich schon gesorgt hatte. Sie ist aber in einem jämmerlichen Zustand; wir hatten bei St. Paul und Amsterdam schlimmes Wetter, tiefen Barometerstand und See von allen Seiten, machten immer wieder Segel fest, kamen aber schließlich ohne Sturm davon. Es scheint nun, daß die arme »Bille« den Orkan gehabt hat, dem wir entgangen sind. Sie hat ihren Klüverbaum und die Stengen des Fockmastes eingebüßt, das Tauwerk kappen müssen und sich so im Meerbusen von Bengalen gegen widrigen Wind hin und her gequält, bis sie endlich ankam und nun traurig anzusehen ist. Es ist des jungen Kapitäns erste Reise; er kam eines Abends und erzählte Jürgen all sein Unglück und erbat sich guten Rat, um seine Verluste möglichst einzuschränken. –

Uns ist es hier heimatlich, wir haben alle unsere alten Bekannten wieder; der kleine Italiener Martino, genannt Pipo, ist wieder Stauer, von den Kulis erkennen wir eine Menge, der »Mistri« kauert wieder auf dem Geländer und hängt seinen gelben Turban wie voriges Jahr auf den Pfeiler, der junge Sampanmann Abdul stellte sich ein, doch wäre er fast um seinen Posten gekommen, da er um zehn, als wir an Land wollten, nicht da war. Wir nahmen nun einen andern und trafen ihn unterwegs; Jürgen, ärgerlich, rief ihm zu, er brauchte überhaupt nicht wieder zu kommen. Als wir nun ausstiegen, trat Abdul heran, zog sein Beutelchen und bezahlte schweigend unseren Sampan; das rührte Jürgen, und es wurde nichts weiter darüber gesagt. Gestern, zu unserer großen Bestürzung, brach einer der Leute Blut, hatte heftige Schmerzen im Magen, Stiche in der Brust und Fieber. Die Doktorflagge wurde aufgezogen, aber der Doktor kam nicht, und ich lag die halbe Nacht und ängstigte mich, denn es geht eine bösartige Ruhr herum. Heute früh war der Mann besser und der Doktor sagte, es sei Rheumatismus und er habe sich dazu den Magen verdorben, denn die Leute essen trotz aller Warnung Früchte in Mengen, besonders die Jungen. Die meisten haben Wunden und Geschwüre, die daher rühren, daß sie Moskitostiche aufkratzen und Salz in die offene Wunde kommt. Die Moskitos und Fliegen sind seit einigen Tagen unausstehlich, das bestellte Netz war zu knapp, so daß die Moskitos gemütlich von den Seiten hereinkamen. Der Schneider, nach vielem Mahnen, kommt endlich gestern mit zwei kurzen, schmalen Bahnen, während ich zwei lange, breite bestellt hatte und bringt sich, um die Naht zu nähen, einen Kuli mit. Ich ließ die zwei schmalen aneinander setzen und sagte, er solle schleunigst die andere Seite auch besorgen, aber noch hat er sie nicht gebracht und erholt sich erst von der Anstrengung, die letzte Naht nähen zu sehen. Es ist drückend heiß in unserer Kammer, Jürgen geht nachts hinauf und legt sich in seinen Stuhl, und wenn er sich keinen Rheumatismus, keinen Katarrh oder sonst etwas holt, will ich froh sein.

14. Mai. Unser Schicksal ist besiegelt, wir versegeln nach Bassein, geben dort den Rest von unserem Salz ab und gehen dann mit Reis nach Haus.

Um Euch nun zu erzählen, »wat bi 'ner Aukschon rute kommen kann«, muß ich voranschicken, daß hier alle Monate eine Auktion von japanischen und chinesischen Sachen stattfindet, die hierher geschickt und von Händlern und Liebhabern aufgekauft werden. Der Doktor hatte uns einen Katalog gebracht, wir gingen hin und besahen die zum Teil sehr schönen Sachen, u. a. stand dort ein geschnitzter Schrank mit eingelassenen Abend- und Nachtlandschaften, auf schwarzes Glas wundervoll gemalt, die Baumstämme und Häuser pastos aufgelegt; der Fusiyama im Mondschein, ganz reizend. Ich fragte einen der Herren, für wieviel wohl ein solcher Schrank fortginge? Etwa 100 Rupien würde er wohl kosten, sagte dieser; er hat dann zweihundert gebracht.

Das war natürlich außer Frage, indessen war anderes vielleicht erreichbar. Am Tage der Auktion war ich früh auf, Jürgen aber hatte noch mit jemandem zu verhandeln und so wurde es gegen neun, als wir endlich aufbrachen und zu den Eisenwerken der Dampfschiffsgesellschaft fuhren, wo Jürgen erst etwas für das Schiff bestellen wollte. Er mußte ziemlich lange warten, und ich saß inzwischen unter dem großen Baum am Wasser. Endlich kam Jürgen, wir fuhren an Land und er ging noch in das Geschäft von Ten Tchaik; für die Vormittagsauktion war es nun zu spät und wir gingen zu Evershed, wo wir Kapitän G. trafen, mit dem Jürgen eine Partie Billard spielte. »Ihr Mann spielt wie ein junger Gott«, war mir freilich angenehm zu hören, aber die Partie dauerte weit über die Frühstücksstunde. Nachdem G. gesiegt hatte, Tiffin gegessen, der Kaffee genommen und die Nachtischzigarre geraucht war, fuhren wir endlich wirklich in die Auktion, die natürlich eben glücklich beendet war. Unter den Käufern, die umherstanden, war der japanische Händler Immam Raleigh, der uns mit Gewalt einem dicken Herrn vorstellte, von dem er versicherte, es wäre ein Deutscher. Jürgen und der Herr besahen und erinnerten sich und machten ihre Frauen miteinander bekannt. Die Deutsche, eine hübsche, junge Frau, die eben Tassen und Vasen in Körbe packte, schien erfreut, Landsleute zu sehen, und der Herr bat lebhaft, wir sollten sie in ihrem »place« Wohnplatz. besuchen. »Ja, gewiß, mit Vergnügen!« Aber wann?! – Ich hätte gern Zeit gewonnen und über die Bekanntschaft erst Genaueres erfahren, indessen fehlte mir jede Ausflucht. Zehn Minuten, nachdem wir die Leute ins Auge gefaßt hatten, saß ich neben der jungen Frau im Gherry, Jürgen mit dem Mann in seinem Tomtom und fort ging's, »hast du nicht gesehen«. Die Fahrt war endlos, ich glaube anderthalb Stunden immer im Trab, aber geradezu herrlich; keine Ahnung hatte ich gehabt, daß Rangoon so lang und schön wäre.

Vom Schiff aus gesehen, liegt hinter der Stadt ein großer, dichter Wald. Durch diesen ging es und darin lag versteckt ein ganzer Stadtteil von Eingeborenen mit regem Verkehr und reicher Industrie; vor einem Hause standen z. B. große goldene Buddhas zum Verkauf, daneben ebensolche aus Ton, die noch nicht bemalt waren.

Die herrlichsten Bäume, Bambusgebüsche, 40-50 Fuß hoch, duftende Bäume und Sträucher, üppiges Gras, Palmen an jedem Haus; es war eine ganz wundervolle Fahrt. Währenddessen suchte ich mich zu orientieren und fand bald heraus, daß der Mann der Ingenieur einer amerikanischen Reismühle war. Sieben Jahre hatte er sie für ein deutsches Haus verwaltet und war mit derselben an die neue Firma übergegangen; die Frau war ihm gestorben, er war dann nach Quedlinburg zu seinen Eltern gereist, hatte seinen Kleinen bei ihnen gelassen und die Kränzchen-Freundin seiner ersten Frau geheiratet. Wir mußten über den Fluß, denn auf der Dallaseite lag die Reismühle und die Wohnung, ein kleines, sehr einfaches Haus, aber behaglich und geräumig genug für zwei Leute.

Die Frau kocht selbst, denn der Boy hatte sie bestohlen und war so unordentlich gewesen, daß sie sagte, sie hätte die halbe Mühe, seit er fort wäre.

Den kleinen Garten hatte Herr Schuck selbst angelegt, und etwas Weltabgeschiedeneres, als dieses kleine Heimwesen unter den Palmen am Strom, kann man sich nicht denken. Mir wurden einige noch junge Mahagonibäume gezeigt, die mit ihren hellgrünen Blättern der Akazie gleichen. Man fängt jetzt erst an, sie hier einzuführen. Sehr merkwürdig waren uns Nester von Webervögeln, die an den Palmen und Bananenbüschen hingen, und Herr und Frau Schuck erzählten uns, sie wären so allerliebst zu beobachten, daß sie sie nicht verjagten, obwohl sie die Palmen verdürben, denn sie wöben das Nest gleich aus den Fasern des Zweiges, an dem es hinge, und wirklich waren die Blätter ganz ausgefranst. Dabei wären sie diebisch, und wenn sich ein Pärchen einen recht langen schönen Faden ausgezogen hätte und verließe das Nest nur auf einen Augenblick, so kämen die Nachbarn, stählen den Faden und webten ihn hurtig in ihr eigenes Nest.

In der Hecke hatten sie Schneidervögelchen, noch kleiner als Goldhähnchen, mit dünnen Schnäbelchen, grau und braun gezeichnet, die an zwei Blattstielen reizende, nur zollange Nestchen bauen. Dann zeigten sie uns eine ganz in einem Stück abgestreifte zarte Schlangenhaut von etwa sechs Fuß Länge, die sie im Garten gefunden hatten, erzählten, im Garten und Haus hätten sie viele Schlangen getötet, was ihrer Mutter in Quedlinburg Entsetzen eingeflößt hätte. Schlimmer als die Schlangen erschienen mir die großen Schaben, die in Massen von der Mühle herüberkommen, wo sie wimmeln und nachts nach dem Licht fliegen; jetzt waren »keine da«, aber ich sah verschiedene laufen, und als mich Frau Schuck in ihr Schlafzimmer führte, ging sie voran und stampfte mit dem Fuß, um sie zu verscheuchen, und doch sah ich sie noch in den Ecken sitzen.

Sie behielten uns freundlich zum Abendbrot, gaben mir noch ein Körbchen mit frischen Eiern mit und versprachen uns ihren Besuch zu Sonntag, was uns lieb war, denn dann ist Ruhe auf dem Schiff und auch der preventing officer ist an Land.

25. Mai. Auf Sonntag hatten sich ebenfalls zwei Kaufleute zu Schinken und Schwarzbrot angesagt, kamen auch um neun, nachdem sie Rad gefahren waren, und brachten einen gesunden jugendlichen Appetit mit. Als ich den einen nötigte, das letzte Stück Schinken zu nehmen, sagte ihm sein Gefährte: »Bitten Sie doch um ein Stück Papier und wickeln es ein!« Schwarzbrot und Schinken ist hier als etwas Seltenes und Heimatliches sehr beliebt.

Dann kam Herr Eisenhardt, den Jürgen von früher her kannte, ein zäher, magerer, wetterharter Mann, der ein abenteuerreiches Leben hinter sich hat und jetzt eine Stelle bei einer Reisfirma bekleidet. Er hat lange Jahre weit den Fluß hinauf im Jungle gelebt, der einzige Weiße, und für eine Gesellschaft Teakholz hauen lassen. Die große Schwierigkeit dort war die Beschaffung von Arbeitskräften, denn die Einwohner, mit dem Wenigen, das sie zum Leben brauchen, reichlich versehen, hatten nicht den geringsten Grund, sich anzustrengen. Es galt daher zunächst, Bedürfnisse bei ihnen wachzurufen, und das erreichte er dadurch, daß er einigen Frauen roten Kattun und, was sie sehr zu schätzen wußten, Nadel und Faden schenkte. Da nun die anderen Frauen das auch gern gehabt hätten, so mußten sich die Männer zur Arbeit bequemen und erhielten dafür am Abend ein Stück Kattun, eine Nadel oder was ihnen sonst begehrenswert schien. So hat er Jahre lang in der Einsamkeit gelebt und ist daneben ein leidenschaftlicher Jäger gewesen. Er beschenkte uns mit allerhand erfreulichen Dingen, wie Bärenklauen, einem Lederriemen mit Zaubersprüchen, der kugelfest macht, usw., auch brachte, er Jürgen Geweihe von dem birmanischen Hirsch, der von Anfang an Sechsender ist und alle Jahre das Geweih abwirft, worauf es größer und schwerer nachwächst.

Ich hatte am Sonntag alles für die Gäste so nett gemacht, wie ich konnte, denn auf der Reede ist alles etwas umständlich zu beschaffen. Bier, Wein und Limonade lag auf Eis; allein das deutsche Ehepaar blieb aus; weshalb, haben wir nie erfahren.

Gestern nahmen wir noch von der großen Pagode Abschied. Sie war so schön wie je, und wir kauften zwei kleine geschnitzte Zebus zum Andenken. Dann ging es zu Immam Raleigh, wo wir nicht fanden, was wir wollten, und eine kleine Vase, die mir gefiel, von vier Rupien auf sieben gestiegen war, seit ich sie gestern sah. Bei Klier, dem deutschen Photographen, suchten wir uns einige Ansichten von Rangoon aus, und als wir dort saßen und in wundervolle Ansichten von Mandalay vertieft waren, erschien eine chinesische Familie, um sich als Gruppe photographieren zu lassen. Der Großpapa Chinese, ein sehr nett und fein aussehender älterer Herr, kam mit Jürgen ins Gespräch, die Damen zogen sich in das anstoßende Kabinett zurück, um ihre Toilette zu ordnen, und da die Tür halb offen war, so drang ich unter dem Vorwand, das Baby zu bewundern, mit hinein. Der Vater, ein junger Chinese, hielt es und sagte, es sei 2 Monate 10 Tage alt; es war wirklich niedlich, aber ganz reizend das ältere Kind in kleinen gestickten Schuhen mit erhabenen Blumen, blauseidenen Höschen, buntem goldbesetzten Jäckchen, goldenen Arm- und Fußringen und einem netten, kleinen Zopf. Höchst amüsant waren die Frauen, die einfach in schwarztaftnen Jacken ankamen und von denen die jüngeren unter Kichern und Lachen sich in wahrhaft prachtvolle Hosen, Röcke und Jacken aus schwerer, goldbesetzter Seide warfen. Die älteren Damen behielten ihre schwarzen Anzüge bei; die eine trug einen Diamanten im Ring, der haselnußgroß war. Sie waren sehr liebenswürdig gegen mich und wir unterhielten uns, »jedes in seiner Sprache«, der Großvater aber war des Englischen mächtig und erzählte Jürgen, ein alter Chinese, fünfundsiebzig Jahre alt, wäre jetzt in Europa gewesen, »see Bismarck«. – Jürgen sagte: »Wohl Li-Hung-Tschang?« – »Jawohl, der wäre es!« sehr erfreut; dann, ob wir Kinder hätten? Nein. – Schade, daß Jürgen nicht noch eine Frau nehmen könnte! Er selbst hätte auch nur eine, mehrere zankten sich so leicht. Kleine Füße kämen aus der Mode; seine Damen hätten keine.

25. Mai. Laut Verabredung fuhr ich heute mit dem zweiten Steuermann an Land zum Doktor, da sich die eine Tochter erboten hatte, mich in den Bazar zu begleiten, wo ich allerhand einzukaufen wünschte und mich die landesüblichen Sachen immer aufs neue anziehen.

Solch eine Menge bunter Lungis (die Zeuge, die man als Rock trägt) und Kopftücher in durchsichtigen Stoffen und den verführerischsten Farben hingen an den Wänden, gemachte Blumen, Schalen und Töpfe aus Bronze standen da, so viele Früchte – genug, alles ist auf dem Bazar, was der Mensch hier braucht, und da immer alles Gleiche beieinander liegt, so ist der scheinbare Ueberfluß ganz überwältigend. Es war, ehe ich's vergesse, der Königin Geburtstag; die Schiffe hatten geflaggt und die Leute ergingen sich in den frischesten Gewändern; einen ganz kleinen, nackten, braunen Jungen sah ich mit einem Arm voll glühend roter Blumen laufen, der Flame of the Forest, die jetzt üppig blüht, es stand ihm reizend.

Jürgen hatte mich gewarnt, nicht zu viel auszugeben, und ich tat mein Möglichstes, aber birmanische Jäckchen, einen Sarong mit dem Hundezahnmuster, Puppen, Töpfe und dergleichen wollte ich doch haben, und als später Jürgen nach Hause kam, brachte er mir als seine Ersparnis ein Paar große wundervolle Vasen und ein Service kleiner reizender Tassen mit Zubehör als Geschenk von dem Besitzer eines chinesischen Ladens, seinem alten Freunde Hip-Long, der es ihm gab, als Jürgen von ihm Abschied nahm und ihm sagte, er käme niemals wieder!

Es ist Abend, die Sonne sinkt hinter dem Strom und alles steht auf Goldgrund; der Fluß ist stahlblau und golden, darauf gleiten und liegen die Boote, der Himmel steht in weichfarbigen Wolken, vom Ufer tönt das Rufen spielender Kinder; gegenüber zeichnet sich ein mächtiges Segelschiff mit seinen Masten, Rahen und Tauwerk gegen den Himmel ab, dahinter, leicht im Nebel, steht die große Pagode auf ihrem grünen Hügel und die goldene Krone glänzt in der Sonne, über die Dächer heben die Palmen ihre leichten Wipfel – und nun kommen die kleinen Fledermäuse und fliegen in Scharen um das Schiff. Von den Leichtern und vor den Hütten steigt der blaue Rauch vom Abendreis, mit Taktgesang und Ruderschlägen kommen Paddyboote mit der Flut herunter und die zerschlitzten Segel runden sich in der leichten Brise.

Kommen wir nach dem Abendbrot wieder hinauf, so glänzen Reihen von Lichtern am Strande und dann singen und spielen die Leute. – Der Abendfriede ist schön auf dem Strom.

26. Mai. Wir wollten, oder vielmehr Jürgen wollte Herrn Eisenhardt aufsuchen, der weit von hier in der Vorstadt Posoundong wohnt und, um noch etwas von Land und Leuten zu sehen, fuhr ich mit. Es war schon furchtbar heiß, als wir über den Fluß setzten; wir trafen ein gutes Gherry mit einem besonders empfindlichen Pferd, das die Fliegen sehr unruhig machten, so daß der Syce einen Kuli mit hatte, der das Pferd halten und die Fliegen scheuchen mußte. Der Weg führte durch eine mir noch unbekannte Gegend der Stadt; überall im Bau begriffene Gebäude und dazwischen Holzhütten; dann kam der Fluß, auch eine der Mündungen des Rangoon River; dort lagen ebenfalls Reismühlen, so weit das Auge sah, am Ufer entlang, Reisfelder, die jetzt noch grün sind, mit weidenden Rindern bedeckt; der Fluß war belebt mit Reisbooten und kleinen Dampfern, eine ganz neue, abgelegene Welt. Wir fuhren hin und her; kein Weißer war zu sehen, den man hätte nach dem Wege fragen können; endlich trat aus einer Gruppe ein Birmane, der englisch sprach und der einem Sampan Bescheid sagte, in den wir nun stiegen und ziemlich weit mit der Flut an eine Reismühle fuhren, die sich als die richtige herausstellte.

Jürgen sprang aus dem Sampan und ging hinauf, dann kam Eisenhardt selbst, um mich abzuholen. Man legte ein langes Brett die morastige Böschung hinunter, wobei die Kulis bei jedem Schritt bis über die Knöchel einsanken. Zwischen Eingeborenenhütten, sozusagen mitten im Sumpf, stand ein kleines Haus mit Wellblechdach, die Wände aus Matten, durch die jeder Luftzug strich, innen war daher alles verstaubt.

Ich merkte gleich, daß Herr Eisenhardt durch unseren Besuch sehr betroffen war; er stellte uns seine Frau vor, Halbblut, schon ältlich, mit hellen Augen, sehr kleiner Nase und großem Munde, die über ein etwas lange getragenes weißes Kleid eine reine Jacke gezogen hatte. Nach einiger Zeit erschien die Tochter, ein niedliches Mädchen von sechzehn Jahren mit schönen Augen, das sich offenbar schnell geputzt hatte. Eine solche Aermlichkeit hatte ich nicht erwartet, sie hatten nichts uns anzubieten als Kaffee. Die Tochter entfernte sich, um ihn zu kochen, und das Feuer, das sie unten in der Küche anzündete, füllte oben das Haus so mit Rauch, daß es mir in die Augen biß. Der Kaffee in zwei großen Tassen, die auf kleinen Tellern standen, mit dem Satz, Milch und Zucker darin, sah so wenig einladend aus, daß Jürgen sich nicht überwinden konnte, ihn zu trinken; ich tat es und er war dann ganz angenehm.

Fünf Hunde und zwei Katzen liefen zwischen uns herum; innen war der kleine Raum durch Vorhänge und defekte Wände abgeteilt.

Herr Eisenhardt fühlte sich die ganze Zeit über unbehaglich, Jürgen konnte auch nicht über den Eindruck fort, aber die Frau war von einer rührenden Liebenswürdigkeit und Gastlichkeit, und so lebendig, herzlich und natürlich, als ob sie entweder nichts merkte oder so viel angeborenen Takt und Herzensgüte hatte, daß die feinste Dame nicht hätte sicherer und artiger die Honneurs von einem Palast machen können. Sie zeigte uns birmanische Goldarbeit, ein wunderschönes Halsband aus Goldfiligran, offenbar ihr Prachtstück, erzählte von all ihren Tieren, und als wir endlich gingen, denn wir mußten länger als uns lieb war, auf das Gherry warten, zeigte sie uns noch eine Ziege, die täglich drei Flaschen Milch gäbe, ein Tier mit überlangen Ohren, das in der Küche wohnte, wo über einem Dreifuß der birmanische Reiskessel stand; neben dem Kochherd lag noch eine Ziege mit Zickchen in einem Verschlag und darüber hing der Speck, den sie von uns hatten, um noch von dem aufwirbelnden Rauch zu profitieren. Die Tochter lief und holte ein braunes und ein schwarzes Huhn, um es uns zu zeigen, und die Frau erzählte, der eine Hund, der Doppelzähne hatte und sehr bissig war, hätte sie zweimal gerettet und nachts Diebe verscheucht. »You have no thieves in Germany«, »In Deutschland gibt es keine Diebe!« aber sie wohnten so vereinzelt, daß sie Hunde haben müßten, und sie hätten öfters, in der einen Hand die Lampe, in der andern den Revolver, die Runde um das Haus gemacht. Ihr Sohn mache täglich die Pistolen rein und lade sie; eine käme unter ihres Mannes Kissen, eine unter ihres. – Hunderte von Habichten kreisten über den Reisfeldern, Fluß und hoher Wald schlossen die Aussicht ab, die weit und schön war, aber das Ganze machte einen so vernachlässigten und ärmlichen Eindruck, daß es traurig war. Ebenso entfernt und abgelegen war das Schuck'sche Häuschen, aber wie behaglich und nett lag es in seinem gepflegten kleinen Garten.

In Posoundong sah ich wieder die dunkelgelben Frauen, die an Zigeuner erinnern mit dem vielen Goldschmuck und den kühnen Farbenstellungen; es ist erstaunlich, welch einen feinen Farbensinn diese Leute haben. Zu ihren dunkeln, braungelben Gesichtern tragen sie ein goldbraunes Gewand, gerade einen Schatten tiefer als ihre Haut, mit breiter blauschwarzer Kante in großem Muster, oder einen olivengrünen Umhang mit gelbem Saum, oder schwarzblau mit orange Saum, und dazu ein rosa oder gelbgrünes Kopftuch; zu dem grünen Umhang sah ich ein aprikosenfarbenes Tuch tragen. Bei uns wäre es hart, aber dort stimmt alles prachtvoll. Dann die Art, wie sie den Stoff umlegen; unten als Rock knapp um den Leib gewickelt; ein Zipfel wird über die linke Schulter geschlagen oder über den Kopf genommen, die Falten fließen gefällig und natürlich, wie es sein muß bei Leuten, die ihr Lebelang sich in ein einziges Stück Zeug zu kleiden gewohnt sind. Viele dieser Baumwollstoffe werden in Europa für den indischen Markt gemacht, aber man sieht auch die Hauptfarbe und Kante ineinander verschwommen, also handgefärbt. – Neulich sah ich einen Mann plätten; das Plätteisen war ein offenes dreieckiges Eisenkästchen mit einem Stiel.

Gestern abend noch ein kurzer Gewitterschauer, der nicht viel Abkühlung brachte. Da ich mir doch auf der langen Fahrt durch die Sonnenhitze zu viel getan hatte, so war dies mein Abschied von Rangoon gewesen; ich betrat es nicht wieder.

III.
Bassein.

1. Juni-9. Juli.

Bassein, 1. Juni. Am 27. Mai verließen wir Rangoon und in zwei Tagen und zwei Nächten erreichten wir Bassein, denn Jürgen hatte es bei dem unsicheren Wetter dieser Jahreszeit für besser gehalten, einen Schlepper zu nehmen, und ich fand es sehr angenehm, so mit Vorspann zu fahren. Der »Clive« ist ein kräftiger kleiner Dampfer, und wir merkten von dem Gegenwind, der uns sonst vielleicht wer weiß wie lange aufgehalten hätte, so gut wie nichts. Die Fahrt den Fluß hinauf war herrlich. Die ersten Regen sind vorbei und das Land ist grün, die Bäume hell und frisch; man fuhr zwischen den Ufern wie durch einen Park. Büffel badeten im Sumpf, von denen man kaum mehr als die Schnauze und die Hörner bemerkte, Herden von Zebus mit ihren Kälbchen grasten auf den Wiesen, neue Reismühlen mit schmucken Wohnhäusern und behäbige birmanische Dörfer zeigten, daß auch hier die Gegend im Aufschwung begriffen ist. Je weiter wir kamen, um so schöner wurde es; Straßen unter Bäumen, die auf den Fluß münden, Häuser an Wasserläufen mit kleinen Brücken neben Palmen und Mangobäumen, wo braune Kinder zusammenliefen und jauchzend das vorüberziehende Schiff betrachteten, zwischen dem übrigen Laub die herrliche Flame of the forest, über und über in Blüte, alles so frisch und maigrün, es war ganz bezaubernd, und dazu die weiche indische Luft.

Jürgen ging sofort an Land und gleich im Vorübergehen zu Röders; am nächsten Morgen begrüßte ich die Freunde, die ich unverändert wiederfand. Da wir von Mohr Brothers beladen werden, so kommen wir vor ihre Reismühle, also vor das Rödersche Haus zu liegen. Bis wir unser Salz los sind, bleiben wir jedoch auf dem Strom.

Als wir nun festlagen und einer nach dem andern der alten Bekannten erschien, kam auch Janet Alli, der schöne Dubasch, dem Tränen in die Augen traten, als er hörte, er solle das Schiff nicht haben – es war schon bei Diamond Isle ein brauner Biedermann ihm zuvorgekommen und hatte sich als Löscher und Dubasch empfohlen; sein verdächtig niedriges Angebot, sieben Annas per Tonne, erklärte er dadurch, daß er ein Anfänger sei, der erst Kundschaft zu gewinnen suche. Es stellte sich aber bald heraus, daß er nicht Leute genug beschaffen konnte, nicht zur Zeit kam und seine Kulis nicht zufaßten, weil kein ordentlicher Mistri dahinter war. Am zweiten Morgen blieben die Kulis ganz aus; Jürgen ärgerte sich so sehr, daß er ohne Frühstück an Land ging, um, da der andere seinen Kontrakt nicht eingehalten hatte, Janet Alli anzunehmen, und so haben wir unseren schönen Romeo wieder.

8. Juni. Inzwischen stieg die Hitze von Tag zu Tag, so daß wir mit Freuden Röders liebenswürdiges Erbieten annahmen, die Nächte in ihrem Gastzimmer zuzubringen, und ich kann nicht sagen, welche Wonne es war, nach der niedrigen stickigen Kammer an Bord in dem hohen weiten Zimmer in einem Bett von sechs Fuß im Geviert unter dem Moskitonetz zu liegen, dicht am offenen Fenster, durch das die kühle Nachtluft einströmte. Jedesmal, wenn ich wieder von Bord komme, empfinde ich die Wohltat von neuem. Wir haben außer dieser großen Schlafstube, die, abgesehen von dem Bett und ein paar Truhen, nichts enthält, als eine Reihe höchst bequemer Kleiderriegel, ein kleineres Zimmer als Durchgang zu dem hier üblichen Badekämmerchen, das mit Löchern im Fußboden versehen ist, durch die das Wasser abläuft; in der Ecke steht ein großer Zuber, in welchen gleich vom Dach eine Röhre führt, so daß bei Regen sich das Faß von selbst füllt; fließt es über, so läuft es nach unten ab.

Auf der anderen Seite unseres Schlafzimmers befindet sich ein kleiner Vorplatz, auf dem im Falle eines ständigen Bewohners dessen Boy sich aufhält; eine eigene Treppe führt von dort hinunter in das Freie.

Da das Rödersche Haus für die indischen Wohnungen der Bessergestellten typisch ist, will ich es Euch beschreiben.

Der Bungalow ist ein einstöckiger Holzbau, der auf Pfählen ruht, mit einem weit vorspringenden Dach, das die Veranda, die an keinem Hause fehlen darf, mit überschattet und ihm den geschützten »heimlichen« Eindruck eines Schweizerhauses gibt. Durch die freiliegende Haustreppe betritt man vorn zuerst die Veranda, die mit Blumen, bequemen Stühlen, handlichen Tischchen behaglich ausgestattet ist und den eigentlichen Wohnraum des Hauses bildet. Es folgt sodann ein großes Zimmer, das die Mitte des Bungalows einnimmt, in welches die meisten der Nebenräume münden und das durchgängig als drawing-room – zu deutsch Salon – eingerichtet ist. Da es nur durch Türen Licht erhält, ist es ziemlich düster, und ich wenigstens habe nie gesehen, daß es anders als zum Durchgang benutzt worden wäre. An beiden Seiten des Salons liegen die Privaträume, Schlaf- und Ankleidezimmer der Familie mit dem Badestübchen, zu dem der Boy, dem die Sorge für dasselbe obliegt, einen Seitenaufgang hat. Auf der Rückseite schließt sich an den Salon das kleine, aber allerliebste Speisezimmer mit der Punka über dem Tisch und einer Miniaturküche nebenan, Frau Röders Sanktum. Der aufwartende Boy betritt das Eßzimmer durch eine Hintertreppe vom Hofe aus, in dem sich in Rufweite Küche, Ställe und Wohnung für die Dienerschaft befinden. Bei größeren Bungalows ist das Haus ganz oder größtenteils mit der Veranda umgeben, die je nach ihren Zwecken abgeteilt ist. Alle Zimmer sind offen und die Privaträume nur durch Schirme abgeschlossen, die etwa drei Fuß vor der geöffneten Tür frei im Zimmer stehen und den Einblick in dasselbe verwehren. Im Hotel, wo das nicht angeht, besteht die Wand oberhalb der Tür aus offenem Gitterwerk. Daß ein solches Haus sehr hellhörig ist, liegt auf der Hand. Auch der Verschluß der Türen läßt zu wünschen übrig; ich habe morgens im Hotel beim Erwachen mit Unbehagen eine Tasse Tee auf dem Tisch stehen sehen, die der lautlos schreitende Boy gebracht haben mußte. (Die offizielle Frühstücksstunde ist erst um zehn Uhr.)

Zwischen den Pfählen unter dem Bungalow steht der Wagen und hinter Lattenverschlägen allerhand Gerät, das dort vor Sonne und Regen geschützt ist. Bei Röders wohnte daselbst in einer Kiste hinter Drahtgitter ein unheimlicher Gast, eine junge Riesenschlange von fünfzehn Fuß Länge, die im Garten gefangen wurde. Giftig ist sie nicht, und hat es bei ihrer Muskelkraft auch nicht nötig. Eben frisch gehäutet – die in Fetzen abgestreifte Haut ist ganz zart und fein –, schillert die Schlange jetzt in schönem metallischen Blau. Ich sah sie eines Tages füttern; Herr Röder steckte eine Ratte in ihren Käfig, die voll Entsetzen hin- und herlief. Die Schlange tat, als ob sie sie nicht sähe – urplötzlich fuhr sie auf, packte die Ratte mit einem Griff und in demselben Augenblick schlang sie sich in drei Reifen um sie her. Der übrige Körper der Schlange lag ganz ruhig und nur mit den drei Schlingen preßte sie die Ratte tot, daß das Blut herausträufelte; dann schob sie langsam und stetig ihr Maul über den Rattenkopf und ohne daß man eigentlich merkte, wie, rutschte die ganze Ratte, wie sie ging und stand, in den Schlund; man sah sie bis in die Mitte des Schlangenleibes gleiten: ein abstoßender Anblick.

Menschen soll die Boa constrictor gemeiniglich nicht anfallen, doch erzählte uns Herr Röder von einem Priester, der einen Creek (Wasserlauf) hinauffuhr und das Boot verließ, um im Jungle zu jagen, weshalb er den Hund mitnahm. In ziemlicher Entfernung von seinen Leuten stand er unter einem Baum, als plötzlich eine Riesenschlange, die er nicht bemerkt hatte, auf ihn herunterschoß und ihn mit ihrem Leibe umwand. Der Hund bellte, als er seinen Herrn in solcher Gefahr sah, und da er damit nichts ausrichtete, lief er auf einige birmanische Hütten zu, die sich in der Nähe befanden, und bellte dort so furchtbar, daß die Leute nach der Ursache forschten, den Priester in der entsetzlichen Umarmung fanden und die Schlange mit einem Messer durchschnitten, »was ihr die Kraft benimmt«. Auf diese Art kam der Priester, dem beinahe schon der Atem ausgegangen war, mit dem Leben davon, aber von dieser Zeit an ging er, der vorher ein großer kräftiger Mann gewesen war, nur noch gekrümmt einher. Er starb erst voriges Jahr in Rangoon.

Einige Male fuhr Frau Röder mit mir aus, und ich war ganz entzückt über die jetzt üppig grüne Landschaft; wenn man Palmen, Kaktus und Schlingpflanzen abzog, hätte es auch in Deutschland sein können. Mitten im Grün steht hier ein verwitterter überwucherter Buddha, dort eine alte Pagode, von der noch terrassenförmig der innere Backsteinbau steht und eine schiefe Spitze, auf der ein Busch oder Bäumchen sich erhebt. Wir hielten vor einem Hause und stiegen aus; Frau Röder versicherte, die Dame wäre reizend. Ich fragte, wer es wäre und wie sie hieße, aber so oft sie mir auch den Namen wiederholte, ich verstand immer Krankheit, wie der taube General, dem sich der Leutnant Frosch vorstellte, immer Frosch verstand; sie hieß auch wirklich Krankheit und sogar Kronkheit; der Herr sah noch jung aus, und die Dame, als sie endlich erschien, machte ihrem Namen Ehre, einen schmächtigen leidenden Eindruck und sprach sehr leise und sehr gütig. Der Reverend Kronkheit, Amerikaner, Pastor einer Baptistengemeinde, steht einer Schule und Kirche vor und hat jetzt 99 Careen-Mädchen, »denen es gut tut, wenn man ihnen Interesse zeigt«, wie er sagte, »und würden Sie nicht kommen und Tee trinken und die 99 Kinder singen hören?« Ich fragte, ob sie englische Hymnen sängen? »Ja, freilich, das wäre es gerade!« Ich versprach natürlich, zu kommen, und morgen ist nun der Tag, wo ich mich ansingen lassen muß. Dann hatte mich Frau Röder selbst zum Tee gebeten mit Mrs. Milton, einer sehr stolzen Dame, die in ihrem Umgang wählerisch ist und deren Mann 1000 Rupien den Monat bezieht. Ich fühlte mich sehr geehrt, zu einer so vornehmen Dame gebeten zu sein. Sie erwies sich als eine angenehme, noch junge Frau, die sich ganz wie unseresgleichen benahm und mich zum Tee bat. Dann kam abends noch die junge Frau von einem der Lotsen und ihre Schwester mit einem reizenden Baby in einem rosaseidenen Kleidchen, das auf ein Kissen auf die Erde gelegt wurde, wo es strampelte und aus der Milchflasche trank. Auch sie lud mich zum Tee ein. Der Doktor wollte mich am Sonnabend spazieren fahren, und dann sollte ich Montag noch den Tag bei Mrs. Bloch, vormals die schöne Kitty Hobson, zubringen. Herr Bloch ist der hiesige Chef der Firma. Die Ausfahrt mit dem Doktor verregnete, aber das Wetter hellte sich gegen Abend auf, und als wir an Bord gingen, fanden wir die Mannschaft beschäftigt, das Schiff zum Pfingstfest mit großen grünen Zweigen zu schmücken. Auf jeden Top, an den Enden jeder Rahe, am Bugspriet und am Besansbaum hatten sie Grün angebracht, es sah wunderhübsch aus, und als Herr Bloch es sah, ließ er die Konsulatsflagge aufziehen, und auch Herr Röder hißte seine Privatflagge.

Gegen Abend begleitete ich Frau Röder in die kleine katholische Kirche. So feierte ich Pfingsten und wünschte, Ihr hättet mich zu Eurer Ueberraschung sehen können in dem kleinen Gotteshaus mit weit offenen Fenstern, einem Altar, auf dem eine blonde Maria mit blauen Augen, in Silber und Himmelblau gekleidet, stand, und der Pater Lefèbre (spr. Lefiber) predigte und die Messe zelebrierte. Erst trug er über seinem schwarzen langen Rock einen kurzen weißen, dann verschwand er und kam in einem schwerseidenen, bastfarbenen Talar mit Goldfransen und Goldstickerei wieder und darüber bekam er noch eine breite, schwer gestickte Stola um; es war ihm auch heiß und er wischte sich vielfach die Stirn. Da er ein großer schlanker Mann mit Vollbart und guten Zügen ist, so stand ihm der Talar sehr gut und floß in schönen Falten um ihn her. Von einer birmanischen Schwester in Ordenstracht geführt, kam ein langer Zug von braunen kleinen Mädchen, alle mit einem kleinen Schleier über den Köpfchen. Der Gesang war sehr gut, für mich ganz ergreifend, da ich so lange nichts Derartiges gehört hatte. Dann fuhren wir noch spazieren, aber nicht weit, der Pony schwitzte etwas und Frau Röder wollte ihn nicht anstrengen. Diesen Pony hatten sie für ein Billiges gekauft, als er in sehr schlechtem Zustande war, halb verhungert. »Mich dauerte er so, darum wollte ich ihn«, sagte Frau Röder. Als sie ihn kauften, hatte er einen »Grasbauch« und war überhaupt eine traurige Figur, auf dessen Schenkelknochen man den Hut aufhängen konnte. Bei der guten Pflege aber füllte er sich schnell und war der anstelligste Pony, den man sehen konnte, flink wie ein Reh, scheute vor nichts, und eines Tages überraschte er Röders durch ein kleines Füllen, ein wunderschönes Tierchen mit feinen Füßen, kleinem Kopf, großen prachtvollen Augen und schattiertem Schwanz, das Herr Röder zum Reitpferd für seine Frau bestimmte und täglich selbst herausließ. Frau Röder brachte ihm ab und zu eine Banane und ritt inzwischen, wenn sie nicht fuhr, auf dem älteren Pony. Wir sahen sie vorgestern fortreiten. Der Pony scharrte vor Ungeduld, drehte immer den Kopf, ob sie noch nicht käme, und sah mit großen treuen Augen nach ihr aus. Endlich kam sie in ihrem kleidsamen Reitanzug, sprang kunstgerecht, von ihres Mannes Hand gehoben, in den Sattel, und wie ein Pfeil flog der Pony mit seiner hübschen Last zum Gartentor hinaus.

Gestern morgen nun ließ uns Frau Bloch in ihrem Gherry holen, um den Tag bei ihr zuzubringen. Sie lebt in einem luxuriösen großen Bungalow, der der Firma gehört, in einem wundervollen Garten mit tausend reizenden Orchideen, Farrenkräutern, Palmen und Kletterpflanzen. Ein prachtvoller Bunyanbaum, der den Birmanen heilig ist, steht vor der Tür. Eigentlich ist er gar kein Baum, sondern ein ungeheurer Schmarotzer mit großen Blättern, die denen der Pappel gleichen und der den Stamm eines anderen Baumes ganz und gar mit seinen Wurzel- und Stammschlangen umzieht und oben eine weite dichte Krone mit dicken Aesten bildet. Ihm zur Seite steht ein riesiger Flame of the Forest in vollen Flammen. Wir bekamen ein feines kleines Tiffin, wunderhübsch serviert, die Tafel mit Farrenkraut und blaßrosa Rosen geziert, der Kaffee in süßen Täßchen. Herr Bloch und Jürgen kamen dazu. Frau Röder war munter, Frau Bloch strahlend liebenswürdig, sang und spielte und gab uns noch Tee, und seelenvergnügt fuhren wir nach Hause. Als wir den Hof erreichten, stand Herr Röder an der Treppe, mit zuckendem Gesicht und Tränen in den Augen: »Unsere beiden Ponys sind vergiftet!« – denkt, den Schrecken! – der ältere Pony war schon verscharrt, und eben hatte der Syce gemeldet, der kleine wolle nicht fressen; ein birmanischer Tierarzt war da, einige Pferdekundige standen herum. Jürgen hatte Bittersalz geholt, das man ihm eingeben wollte, man führte das Tier umher, das schon am Umfallen war; es war schrecklich, was es noch alles schlucken mußte! Man hielt und stützte es, es dauerte alles in allem zwei Stunden, dann stürzte es zusammen. Es tut jedem leid um solch ein schönes, feuriges junges Tier, aber wenn man denkt, wie sie es von klein auf gepflegt und sich Tag für Tag daran erfreut hatten, wie das die Freuden sind, die man sich in diesen abgelegenen Orten schafft, wo man so vieles entbehren und manches ertragen muß, kann man sich nicht wundern über den Kummer und die heißen Tränen, die das arme Frauchen ihrem Liebling nachweint; habe ich selbst doch nie unsern Mohr vergessen, und dies ist noch dazu ein schwerer pekuniärer Verlust. »So ein herziges Tierchen!« sagte sie immer wieder. Und nun kommt das Schlimme noch nach, denn Röder, der sehr tierlieb ist, hatte sich stundenlang in der Hitze abgearbeitet, die Tiere zu reiben und zu stützen und lief ohne Hut hin und her, obwohl seine Frau ihm mehrmals den Hut nachschickte. Heute liegt er nun mit Fieber, Kopfschmerz und Schwindel, offenbar Sonnenstich. Es ist zum Arzt geschickt und Jürgen ist eben wieder dort, um zu sehen, ob er helfen kann. Wir gingen gleich morgens fort, da wir dachten, ihnen Ruhe zu schaffen, wäre das einzige, das wir für sie tun könnten. Wir sind auch recht von Herzen betrübt. Wie harmlos vergnügt waren sie noch gestern früh, beide so frisch in ihrer Arbeit, alles Gute so unbefangen genießend und mit andern teilend, gütig und gastfrei, fröhlich und einfach, daß man seine Freude daran hatte, in einem Lande, wo die Menschen sonst schnell indolent werden. Es soll nun der französische Tierarzt kommen und den kleinen Pony untersuchen – es liegt ihnen daran, zu wissen, ob er vergiftet worden ist oder etwas Schädliches gefressen hat. So leicht kann etwas Giftiges unter dem Futter gewesen sein; er hat Gras bekommen, das der Syce am Creek geschnitten hat. Man schiebt es auch auf Froscheier, die hier rettungslos giftig sein sollen. Frau Röder sah andere Ponys vorbeifahren und seufzte: »Warum fressen die nur keine Froscheier! Und unsere mußten sie kriegen!« Es wäre beruhigend, wenn sich die Todesursache erkennen ließe.

9. Juni. Gestern fuhren wir zum Tee zu Mrs. Kronkheit, Jürgen begleitete mich, und im letzten Augenblick kam Frau Röder noch mit, da es ihrem Mann viel besser ging und er es selbst wünschte. Wir hielten an einem großen Compound – »alles, was dazu gehört«, Haus, Garten und außenstehende Gebäude, und Herr und Frau Kronkheit kamen uns an ihrer Treppe entgegen. Es war noch eine Mrs. Hunter da, und eine Miß Ishkirk, die der Einfachheit wegen Miß Church genannt wird. Herr und Frau Kronkheit sind Baptisten und die Vorsteher eines Erziehungshauses für Careenkinder. Careens sind eine Rasse, die etwas Mongolisches hat, von den Birmanen unterdrückt wurde und sich deshalb schneller als diese an die Engländer anschließt. Die Gesellschaft muß reich sein, daß sie ihrem Vertreter solch ein schönes Haus bauen kann. Die Schul- und Wohnhäuser für die 99 Careenmädchen und eine Jungenabteilung waren hell und luftig und gut gebaut. Sie führten uns mit Stolz und Freude herum, zeigten die Schlafräume, wo je zwei Mädchen auf einem großen quadratischen Bett auf dem Holz schlafen, nur mit einem Pfühl und einer Decke, wie sie es von zu Hause gewöhnt sind. Wir fanden eine Knabenklasse dabei, Landkarten zu zeichnen und zu malen, sehr hübsch, sie kolorierten eben Indien und China. Sehr schöne Karten hingen an den Wänden. Während wir die Einrichtungen in Augenschein nahmen, hatte sich das ganze Personal im Betsaal versammelt; alles saß auf den Bänken unten und wir nahmen auf der Estrade Platz. Herr Kronkheit hielt erst einen kleinen Vortrag in Careen, um, wie er sagte, ihnen zu erzählen, wer wir wären; Deutsche, die über das Meer gekommen wären und aus eigener Anschauung sich überzeugt hätten, daß die Erde rund wäre, was, wie er gegen uns bemerkte, ihnen sehr schwer fiele zu begreifen und Jürgen feierlich bestätigte, wobei er an der großen Wandtafel zeigte, welchen Weg wir gemacht hätten. Darauf huben sie an zu singen, etwa 20 Männer, Knaben und Mädchen. Sie sangen ohne Begleitung sehr komplizierte, mehrstimmige Lieder, die Mädchen wie kleine Silberglocken, ab und zu ein Solo, dann fielen mehrere Stimmen ein, dann alle, es waren englische, ganz reizend gesungene Lieder. Darauf kamen noch die ganz Kleinen; etwa sechs kleine Bräunchen zwischen drei und fünf Jahren standen in einer Reihe, zwei hielten sich bei den Händchen und sangen ein Lied auf die Melodie: »Kommt ein Vogel geflogen«, und ein anderes nach dem Prinzip von: »Mancher denkt, er könne singen, und er meint, es müsse klingen: tschü–tschü–« usw. Es war offenbar ähnlich in Melodie und Inhalt; die Kleinen hüpften bei dem einen Vers und schlugen mit den Flügeln beim zweiten und hockten und sprangen wie Frösche beim dritten. Ich kann gar nicht sagen, wie rührend und niedlich es war, die Kindergesichtchen, mit Augen, schwarz wie Kirschen, die nackten Beinchen, und wie sie ernst und treuherzig sangen mit kleinen Piepstimmchen. Zuletzt sang das eine ein kleines Solo; da konnten wir uns nicht halten, stiegen von der Estrade und küßten die zwei Kleinsten, die sich immer fest an der Hand hielten. Die Kinder werden freiwillig aus dem Jungle von den Eltern gebracht. Ich fragte, was später aus ihnen würde? Das wäre eine große Schwierigkeit, sagte Frau Kronkheit, bis jetzt suchten sie sie zu ermuntern, im Jungle wieder Schulen zu errichten, aber das ginge doch nicht für alle, und es wäre schwer, ihnen Stellungen zu verschaffen, hier, wo alle Menschen Kulis hätten. Einige der Mädchen wären sehr begabt, hätten in Kalkutta studiert und das Doktorexamen gemacht. Eine Lehrerin und drei Lehrer waren schon im Institut erzogen und jetzt angestellt; sie machten einen angenehmen Eindruck; der eine war der Gesanglehrer, und es war wirklich erstaunlich, was er geleistet hatte ohne alle Begleitung. Es war keinerlei Instrument da. Aber was für eine Vorstellung mag der in den Liedern öfter wiederkehrende Vergleich mit Schnee bei diesen Kindern erwecken!

13. Juni. »Haben Sie etwas vom Erdbeben gemerkt?« – hieß es gestern, und da fiel uns ein, daß bei einem heranziehenden Gewitter plötzlich das Schiff anfing zu sinken und zu steigen und der Steg zu knarren und zu knacken. Ich war erschrocken, Jürgen sagte: »Es hat nichts zu bedeuten, das Schiff rollt etwas, weil es so leicht ist«, und in wenigen Minuten war es vorüber, aber es war ein Erdbeben gewesen. Die Häuser hatten geschwankt und alles gezittert, gefallen war nichts; man war nur erstaunt, daß die aus Stein gebaute Mühle keine Risse zeigte. Jürgen sagte, an 20 Fuß wäre das Wasser zurückgetreten, aber er hatte es im Augenblick dem Winde und der Ebbe zugeschrieben und an Erdbeben nicht gedacht. – Mittwoch sollen wir mit Laden fertig sein und also wohl Donnerstag fort; wir wissen noch nicht, wohin.

Mir wird es schwer, fortzugehen, wir haben es so gut und – kühl. Gestern nacht lag ich stundenlang wach, der Mond schien in den Baum vor unserm Fenster, es hatte geregnet und ich konnte die glitzernden Tropfen nicht von den Johanniskäfern unterscheiden. Unter dem Fenster hängt der Gong, an dem der Durban, Wächter, die Stunden anschlägt und dazu ein langes Geheul ausstößt, das der nächste Durban aufnimmt und so einer nach dem andern, bis der letzte und entfernteste gebrüllt hat; dann wachen die Gänse auf, etwa 50 an der Zahl, und retten das Kapitol, die Hunde schlagen an, auf den Reisbooten singen die Birmanen und in der Nachbarschaft tanzen und schlagen ein paar Kulis auf Pauken, wie sie in Krankheitsfällen tun, um die Teufel zu verjagen, – bei Kopfweh eine recht erfreuliche Methode. Aber all das wird man so schnell gewöhnt, daß ich abends die neun Schläge des Gong höre und dann keine mehr bis 5 – dann rattert die Mühle, der Tag bricht an, die großen weißen Paddyvögel erheben sich von den Bäumen, Jürgen rollt sich wie ein Seehund über den Bettrand, und sobald er die Badestube verläßt, beziehe ich sie und es ist herrlich, sich aus dem großen Kübel nach Herzenslust zu übergießen.

Gestern abend waren Röders bei uns an Bord, ein Hafenbeamter und der Doktor kamen dazu und der letztere befragte und beriet Herrn Röder frank und frei vor der ganzen Gesellschaft.

16. Juni. Die Regen setzen ein und wir haben plötzlich tropische Güsse, dazwischen scheint die Sonne, aber es hindert die Arbeit und wir kommen vor Freitag nicht fort. Vorgestern abend waren wir Zeugen einer merkwürdigen kleinen Szene. Die eigentliche »Reissaison« ist längst vorüber, aber die Leute haben eine Ernte gehabt, wie seit Jahren nicht. Durch die Hungersnot in Indien sind die Preise gestiegen, viele haben wohl auch ihren Paddy zurückgehalten, und statt daß sonst um diese Zeit die Mühlen feiern, kommt jetzt noch ein Paddyboot nach dem andern. Der Paddy liegt in ungeheuren Haufen in den riesigen godowns bis unter das Dach und die Reissäcke ebenso hoch übereinander. »Ich könnte noch vier Regulusse beladen«, sagte Herr Röder. Da kam ihm der Sonnenstich sehr ungelegen, denn er sollte sich schonen und muß nun beständig in die stickige Mühle und unter die Schuppen, die mit Wellblech gedeckt sind und an die Bleidächer Venedigs erinnern. Immer wieder kommt er mit Hämmern und Stechen im Kopf zurück, sieht schlecht aus, fühlt sich übel und schwindlig und bekommt Eis auf den Kopf. Neulich schickte Frau Röder nach dem Doktor, der kam, »ihn sehr genau untersuchte« und etwas verschrieb. »Und er verlangt 14 Rupees dafür, den Pony aufzuschneiden,« setzte Frau Röder hinzu. Ich war ganz verdutzt. »Was hat denn Dr. Frenchmann mit dem Pony zu tun?« – »Oh, Dr. Frenchmann war selbst krank und da hat er den Tierarzt geschickt, ihn zu vertreten!« Niemand fand etwas Außergewöhnliches dabei, und jedenfalls ist das besser, als gar kein Arzt. Der Doktor warnte besonders vor Aufregung und Aerger und diesen Zeitpunkt benutzte der Mistri, der sich nun unentbehrlich glaubte, um so unverschämt zu sein, wie er nur konnte. Je ernster ihn Herr Röder schweigen hieß, um so lauter schrie er, bis ihn Herr Röder entließ. »Hoho!« schrie der Mistri, »natürlich würde er gehen, es fiele ihm gar nicht ein, zu bleiben!« Am nächsten Morgen aber erschien er wieder, weinte, küßte Herrn Röders Morgenschuh und bat, ihn zu behalten. Indessen, das Maß war voll, er bekam einen Fußtritt und mußte gehen. Abends saßen wir bei Röders am Teetisch, als sich über der Halbtür, die in den Hof führt, ein grinsendes schwarzes Gesicht erhob und eine weiße Schüssel; es war der Mistri. Herr Röder hieß ihn gehen und Frau Röder schalt auf Hindostanisch; indessen schob er sich in die Tür und hielt ihr immerfort die Schüssel hin, in der ein braunes Gericht war, mit dem er ihre Fürsprache zu erwerben trachtete. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, daß er sich beständig leise flehend mit seiner Schüssel im Hintergrunde herumdrückte, bald grinsend, bald weinend und jammernd, während wir unsern Tee tranken, Herr Röder von Zeit zu Zeit sagte, er solle sich scheren und Frau Röder immerfort auf Hindostanisch schalt und uns, was sie sagte, übersetzte: »So ein elender Kerl – als Kuli bist Du gekommen und mein Mann hat Dich zum Vormann gemacht und Dir Verdienst gegeben, und nun er krank ist, kommst Du ihm so! – Du bist gar kein Mensch, Du bist ein undankbares Tier« – zu uns: »Das ärgert sie nämlich.« – Ich sah, wie Jürgen mit sich kämpfte, um den Kerl nicht die Treppe hinunter zu werfen, der, als er merkte, daß die Schüssel nicht zog, noch Kartoffeln, Yams, Hühner und alles mögliche versprach. Von dem Haß zwischen den Rassen habt Ihr keinen Begriff. Das Gesetz tritt auf das kräftigste für die Farbigen ein, oft zum Nachteil der Weißen; man darf z. B. keinen Dieb, den man betrifft, schießen, man soll ihn »festhalten und nach der Polizei schicken«, als wäre man in Deutschland, aber durchgehend ist das gegenseitige bittere Mißtrauen. In den Aufständen sind die unterdrückten Rassen mit einer so furchtbaren Grausamkeit gegen weiße Frauen und Kinder vorgegangen, daß es unmöglich ist, es zu schreiben, und ein Buch existiert, vor dem die Leute hier gewarnt werden, um sich nicht ganz gegen sie zu vergiften.

Ich begleitete Frau Röder nochmals eines Sonnabends in die Kirche, früh um 7 Uhr. Eine Reihe Kinder wurde darin zu einer Prozession durch einen braunen Herrn in braunem Rock und brauner Hose gedrillt, der ein hölzernes Klappbuch in der Hand hatte, das ein Gesangbuch simulierte. Damit klappte er 1-2-3 Mal und je nachdem fielen die Kinder auf die Knie, standen auf, gingen rechts oder links herum, streuten Blumen – lauter Schwarzköpfchen natürlich. Dann kam P. Lefèbre im Ornat mit zwei kleinen Räucherjungen, und als Frau Röder nach dem Abendmahl in ihrem Stuhl kniete, kam er als Mensch zu mir und flüsterte mir zu, er wolle mich herumführen, während Frau Röder ihre Andacht verrichtete. Er zeigte mir dann ein Gebäude, das eine Erziehungsanstalt werden sollte und andere, zuletzt lief er in seine Wohnung und holte mir eine französische Zeitung, – er ist Belgier und hatte durch den Lotsen Barony gehört, daß ich französisch verstünde!!! – ein Extrablatt mit Illustrationen über den Brand des Wohltätigkeits-Bazars in Paris – so gräßlich, daß ich es nicht bis zu Ende las.

Ich wollte noch einiges kaufen, das ich in Rangoon bei unserm abgekürzten Aufenthalt nicht hatte besorgen können, und finde nun hier zu meinem Schrecken, daß nichts zu haben ist, weil die boxwallah nur in der »Saison« kommen. Wir fuhren Montag in den Bazar, was sehr amüsant war, und erstanden allerlei, was die Verkäufer mit Staunen erfüllte, ein Paar birmanische Schuhe und dergl.; ich hätte mir gern etwas Mandalay-Seide mitgenommen, die ohne Appretur und waschecht ist, fand aber nur Rosa in allen Schattierungen, ein Gelb, leuchtend wie die Sonne, und ein Grün, das förmlich strahlte. Dann fuhren wir in das Zuchthaus, wo Frau Röder in dem head-jailer, dem obersten Kerkermeister, einen Freund hatte, der sich natürlich nicht nehmen ließ, uns herumzuführen, obwohl ich sagte, ich hätte den Eindruck von dem Rangoon-Jail lange nicht verwinden können. Ich blieb auch meistens draußen; Frau Röder, die es noch nicht kannte, ging überall hinein, u. a. vor die Zelle, wo ein Mann saß, der in vierzehn Tagen gehängt werden sollte. Der Mann fing an, mit unserm Begleiter zu sprechen, und als ich nachher fragte, was er gewollt hätte, hatte er sich Essen bestellt, denn er darf bekommen, was er will. Im Verkaufsraum war auch so gut wie nichts zu haben.

Gestern war ein voller Tag, denn wir waren zu unserm Dubasch Janet Alli um ein Uhr zum Tiffin gebeten, wozu er uns seinen Gherry schickte. Seine Frau empfing uns sehr herzlich; die kleine Kazibi ist nun neun Jahre und ein ganz reizendes Geschöpfchen mit den dunkelsten Augen, einer kleinen hübschen Nase und ganz entzückendem Munde; ich brachte ihr eine kleine Brosche, scheute mich aber, sie zu geben, denn sie hatte einen Diamantring, große Diamanten in den Ohren, goldene Ketten um den Hals und goldene Armbänder in Menge. Frau Janet Alli trug die weiße birmanische Jacke, einen baumwollenen Sarong und dazu im Ohr eine Menge herrlicher Diamanten. Aber Birmanen lieben europäische Arbeit, und die Mutter steckte Kazibi die Brosche mitten auf die Brust. Als wir dem Dubasch Komplimente über das hübsche Töchterchen machten, sagte er lächelnd: »She is like me!« »Sie gleicht mir!« Das Gespräch wurde dadurch ermöglicht, daß ich Frau Röder etwas sagte, die es auf Hindostanisch Kazibi wiederholte, die es auf birmanisch ihrer Mutter verdolmetschte, und auf dieselbe Art kam die Antwort zurück. Beim Essen zogen sich Herr und Frau Janet Alli bescheiden zurück und ein Diener mit erschrockenem Gesicht brachte die Speisen herein. Kartoffelsuppe, Mangofischchen, kalt, gebraten und getrocknet, dann Beefsteak mit Curry und Muskat darin, Reis und Curry, Seekrebs und Huhn, dann ein Gericht Kuchen und Cremestückchen aus einer besonderen Art Mehl, mit Ei, Milch, Zucker und Kokosnuß hergestellt; es schmeckte sehr gut, und als ich hörte, Mrs. Janet Alli habe es selbst gemacht, aß ich dreimal davon. Dazu gab es Wasser zu trinken, denn der gute Muselmann hatte an Bier nicht gedacht. Frau Röder sagte ihm: »Janet Alli, wenn Sie meinen Mann eingeladen hätten, dürften Sie ihm kein Wasser vorsetzen!« »Ich will Ihnen Bier holen lassen, ich habe es vergessen,« sagte der arme Mann, »Boy!« »Lassen Sie deutsches von Saphire holen,« sagte Frau Röder mit vollkommener Seelenruhe, »denn wenn er nur nach Bier schickt, geben sie ihm irgend etwas, weil sie wissen, er versteht es nicht,« bemerkte das Münchener Kind beiseite zu mir. Als wir uns empfahlen, begleitete uns die kleine Kazibi auf der Fahrt in das Töpferdorf, von dem alle die Tongefäße herkommen, die die Birmanen weit und breit gebrauchen. Es gibt dort einen Künstler, der schöne und eigenartige Dinge macht; mit den Händen formt er im Umsehen die wunderbarsten Ornamente und hat für seine Leistungen eine große silberne Medaille bekommen. Zu diesem Manne fuhren wir eine Stunde weit durch den Jungle an Häusern und Dörfern vorbei; je näher wir kamen, umso mehr Schalen, Näpfe und Wasserbehälter standen in und vor den Häusern und je höher wurden die Scherbenhaufen dahinter. Wir hatten zwei bis drei heftige Güsse, und ich zitterte für Kazibis golddurchwirkten rosa Sarong und meine dünnen Schuhe. Endlich erreichten wir die Hütte des Künstlers; der alte Mann war zu Haus und eine Herde Kinder und Frauen, aber von Töpferwaren war nichts zu sehen, als ein hoher phantastischer Aufsatz, der einen Blumentopf trug und so voller Zacken und Spitzen war, daß ich ihn nicht geschenkt genommen hätte. Alles andere war in der Saison verkauft. Ich sah mich um und erblickte noch drei Vasen mit frischem Grün darin, dunkel mit einem sehr eigenartigen aufgelegten Ornament. Ich fragte nach dem Preise – 8 Annas, etwa 1,50 M., worauf ich sagte, ich nähme zwei. Der alte Kerl hob eine auf, setzte sie aber wieder hin, ebenso die zweite und murmelte dazu. Nun brach Frau Röder los und goß die Schale ihres Zornes über den Alten aus. »Was will er nur?« fragte ich. – »Ja, er sagt, ein Kapitän hätte voriges Jahr zwei solche große Aufsätze genommen, da könnten Sie doch diesen nehmen, und wenn Sie das nicht wollten, gäbe er auch die zwei Vasen nicht her.« Umsonst drohte sie, nie wieder einen Kapitän und mem sab zu ihm zu bringen, der Alte blieb unbewegt und sah uns, als wir gingen, mit grimmigem Behagen nach. Wir hielten nun vor einem anderen Hause mit gewöhnlicher Ware, wo ich einiges aussuchte; die Leute konnten nicht herausgeben, so mußte ich die Rupee voll machen und bekam dann als Zugabe eine Schildkröte und eine kleine Gans.

Zu Hause erfrischten wir uns mit Tee, dann ging ich an Bord, wo der Dobi die Wäsche gebracht hatte und ich noch drei Flanellhemden von Jürgen auswusch, die ich dem Dobi nicht hatte anvertrauen wollen. Nach dem Abendbrot eilten wir unserer Kammer bei Röders zu. Das war uns aber nicht sobald beschieden, denn ein Dampferkapitän, sein Dubasch und ein Birmane, mit dem Röders befreundet sind, saßen bei ihnen. Der Dampferkapitän war sehr nett, Norweger, ein älterer Mann, erst vierzehn Monate Kapitän, aber lange verheiratet und seit zwei Jahren von seiner Familie getrennt. Der Dubasch war ein lachendes, schäkerndes Greuel, Mischblut; der Birmane, ein angenehmer, bescheidener Mensch, drehte sich mit dem Rücken gegen die Gesellschaft, um sein Glas Bier zu trinken, und goß wohlerzogen den Rest aus dem Fenster.

Da seht Ihr, wie es geht, dazwischen besorgt man dies und jenes an Bord, und allerhand Leute kommen, setzen sich in die Kajüte und stehen artig nicht wieder auf, bis sie schließlich nicht länger bleiben können.

15. Juni. Frau Röder sagte mir heute, ihre Scheuerfrau wäre eben wiedergekommen, nachdem sie vor vierzehn Tagen ein Kindchen gehabt hätte, natürlich hätte sie es mitgebracht und die Wärterin auch. Ich wollte mir das Kleine ansehen und ging in die Stube, wo ich die Frau bei der Arbeit fand und die Wärterin, ein Kind von etwa zehn Jahren, in einer Ecke kauerte; der Säugling war nirgends zu erblicken. »Where is the baby?« »Wo ist das Kind?« fragte ich und die Mutter zeigte in eine Richtung, in der ich nichts bemerkte, als einen leichten Vorhang, der über einen Kleiderständer geworfen war. Ich schlug nun eine der Falten auseinander, und darin lag es – das kleinste, niedlichste, rundeste Kindchen, wie eine Puppe aus Schokolade und sah mich mit runden schwarzen Aeugelchen ernsthaft an.

1. Juli. Falmouth für Ordre – wir segeln morgen und scheiden schweren Herzens auf Nimmerwiedersehen! –

IV.
Von Bassein nach Rotterdam.

9. Juli-17. November.

9. Juli. Meerbusen von Bengalen. Von unserer Fahrt ist bis jetzt nicht viel zu sagen. Unter der Obhut des Lotsen Barony, wieder geschleppt von dem kleinen »Clive«, verließen wir Bassein, mußten aber noch drei Tage und drei Nächte zwischen den Ufern und Inseln ankern, weil die See zu bewegt war, als daß wir hätten die Barre passieren können. Sie hat freilich noch zweiundzwanzig Fuß Wasser, doch ist das wenig bei hoher See und zudem muß man gewärtig sein, daß im kritischen Augenblick die Trosse reißt. Noch schlimmer ist es natürlich für einen großen Dampfer, geschleppt wird er zwar nicht, doch geht er um so viel tiefer und kann sich auf der Barre den Leib einschlagen, ehe er es sich versieht. Die »Nubia«, die mit uns herausging, schien sich mit ihrem Lotsen veruneinigt zu haben, denn sie zeigte plötzlich Flaggen und erkundigte sich, wann wir hinausgingen. Der kleine »Clive« antwortete flink: »morgen«, – allein die Flaggen blieben, die Frage galt also uns und Barony ließ aufziehen: »ich weiß nicht.« Wir aber freuten uns, daß der Lotse Jones sich die Hände reiben und der Kapitän sich ärgern würde. Wir waren bös auf ihn, weil er versucht hatte, uns Barony abspenstig zu machen, was ihm freilich nicht gelungen war, denn die Lotsen werden den Schiffen in bestimmter Reihenfolge zugewiesen.

Barony gleicht viel mehr einem Italiener als einem Franzosen. Er ist aus Marseille und hat den Vater verloren, als er fünf, die Mutter, als er sieben Jahre alt war, und die Großmutter hat ihn mit zehn Jahren auf einem kleinen Küstenfahrzeug zur See geschickt. »Was kann solch ein Kind nützen?« sagte Jürgen. »J'ai fait la soupe« »Ich kochte die Suppe.«, sagte er. Danach hatte er auf den verschiedensten Fahrzeugen fast die ganze Welt besucht und war noch in jungen Jahren in Bassein hängen geblieben, wo der Lotse O'Brien sich seiner angenommen hatte. So lernte er das Revier kennen und machte den übrigen Lotsen, die ihn nicht aufkommen lassen wollten, Konkurrenz; sie konnten so weit hinaus gehen, wie sie wollten, immer war ihnen Barony zuvorgekommen, gegen seine gewagte und geschickte Führung, seine Sorgfalt und Umsicht konnten sie nicht an und mußten ihn schließlich in ihre Gilde aufnehmen. Lesen und Schreiben hat er sich erst in Bassein selbst gelehrt und der alte O'Brien ihm dabei geholfen. Leider hat er in seiner Häuslichkeit nicht viel Glück gehabt; er hatte eine Birmanin für seinen Haushalt, und als er acht Kinder von ihr gehabt hatte, dachte er, es wäre wohl Zeit, ihr das Recht zu geben, das sie sich erworben hätte und heiratete sie. Kaum aber hatte sie ihn fest, so vernachlässigte sie alles, verleidete ihm das Leben auf alle Weise und trieb es schließlich so arg, daß er froh war, ihr Untreue nachweisen und sich scheiden lassen zu können. An den Kindern scheint der arme Mann sehr zu hängen; er sagte, hinterlassen könne er ihnen doch nicht viel, er wolle sie lieber so gut erziehen, als er könne.

Das ist eine von den vielen Geschichten dieser Art, die man hier zu hören bekommt, und nicht viele denken in dieser Beziehung wie Barony. Jürgen erzählte von einem Lotsen in Newchwang, der auch eine Menge Kinder von einer Siamesin hatte, dann aber in einem andern Hafen eine wohlhabende junge Witwe kennen lernte und sich mit ihr verlobte. Natürlich setzte er ihr seine Verhältnisse auseinander, wobei er versicherte, von den Kindern solle sie keine Last haben. Zwar sagte sie verständigerweise: »Deine Kinder sind meine Kinder«, er behielt aber nur den ältesten Sohn und schickte die übrigen mit der Mutter in deren Heimat zurück.

Leute gemischten Bluts sind zu bedauern. »Nicht Maus, nicht Vogel will spielen mit mir«, können sie mit der Fledermaus klagen; keiner der Volksstämme, die sich in ihnen vereinigen, sieht sie für voll an. Sie nennen sich gern Eurasians, zusammengesetzt aus Europeans und Asians.

Der Aufenthalt im Revier war nicht angenehm und draußen wütete der Südwestmonsun noch ärger; indessen passierten wir am vierten Tage glücklich die Barre und Lotse und Schlepper verließen uns bei Diamond-Island. Wir gingen nun kreuzend südwärts, hatten nicht so schlimmes Wetter, wie wir gefürchtet hatten, sichteten nach zehn Tagen Sumatra und hatten nach einiger Zeit die mächtige Gebirgswand mit dem Golden Mountain vor Augen. Das Vorland ist niedrig, und wenn man den Golden Mountain zuerst erblickt, steigt er wie eine Insel aus dem Meere. Einen ganzen Tag lag er im Nebel und nur seine Spitze ragte über die Wolken fort.

Mir tat es leid, als wir uns nach tagelangem Kreuzen außerhalb der Inseln befanden und Sumatra mit allen seinen Pulos, das letzte Stück Indien, hinter uns versank.

Jetzt haben wir leichten Wind oder Stillte und schaukeln die Länge von Sumatra hinunter, bis uns der Passat wieder faßt.

10. Juli, Sonntag. Die See ist milchig hellblau und wogt leise atmend auf und nieder; hier und da schnellt ein Fischchen in die Höhe. Die Leute liegen in den Hängematten, rauchen und lesen, einige haben die Kiste herausgebracht und sonnen ihre Sachen auf der großen Luke, andere bessern ihre Kleider aus, in einer Ecke sitzen zwei und waschen, und auf der Nagelbank haben sich die Jungen ausgestreckt, in Nettelbecks Leben und Hauffs Märchen glücklich vertieft. Nach der arbeitsvollen Woche ist der Sonntag auf See bei gutem Wetter immer still und friedlich.

25. Juli. Ihr denkt gewiß, daß wir Euch bereits stetig näher rücken, aber diese ganze Zeit sind wir nicht über Sumatra hinausgekommen, was einesteils zeigt, wie wenig Fortgang wir gemacht haben, andererseits, wie lang die Insel ist. Wir überschritten die Linie, wurden aber wieder zurückgetrieben, und so habe ich sie 23 Mal passiert. Zu verzeichnen ist nur ein Weißwal, der verwundet sein mußte, denn er kam schnaufend und schnell atmend, wie ein Mensch im Fieber, gerade auf uns zu. Als er plötzlich das Schiff gewahrte, tauchte er. Ein großer Schweinsfisch schwamm mit Jürgens Harpune davon, acht Haie umspielten das Schiff, doch kamen sie nicht in den Bereich der Büchse; nur ein kleiner wurde gefangen, den sich die Mannschaft zum Abendbrot bereiten ließ. Wir bekamen auch davon; er schmeckte recht gut, aber den Geruch, den man erst nicht merkt, wird man tagelang nicht los; es kann auch sein, daß die Katze oder das Hündchen ein Stück verschleppt hatten. Röders gaben uns nämlich einen kleinen Foxterrier mit, den wir nach seiner Mutter Nelly genannt haben.

27. August. Endlich zwei Tage lebhafter Wind; wir machten neun Meilen die Stunde, aber heute ist es wieder blau und flau und wir schaukeln schlimm in der hohen Dünung. Der Koch hat mir vier Eier gebracht, doch ist das schönste Huhn über Bord gegangen. Vielen Spaß machte der Affe, der den Leuten die Knöpfe stiehlt. Neulich, als Jürgen mit ihm spielte, hat ihm das Aeffchen plötzlich die grünen Troddeln von der Pfeife gerissen und in seinen Backentaschen geborgen. Wenn man ihm ein Handtuch oder Taschentuch mit zwei Händen hinhält, klettert es hinein wie in eine Hängematte und läßt sich schaukeln.

2. September, Sedantag. Eben haben wir uns ein Pläsier gemacht, das wirklich an das Lied vom Schneider erinnert, der vom Straßburger Münster ein Papierchen hinunterfliegen ließ. Wir haben einen Brief an Percy in Transvaal adressiert, in eine Flasche gesteckt und ins Meer geworfen. Es wäre doch ein Spaß, wenn sie irgendwo an das Land gespült, von Menschen gefunden würde, ein Postamt in erreichbarer Nähe wäre, diese Leute sich die Mühe gäben, sie dorthin zu bringen und die Post den zerknitterten, unfrankierten Zettel nach Modderfontain beförderte!

Ein paar Tage hatten wir hohe See und harte Böen, aber seit wir unter Land sind, ist es besser. Wir befinden uns wahrscheinlich südlich von Plettenberg-Bay, sahen auch einen Tag den prächtigen Gebirgszug vor uns, aber der Wind ist uns immer entgegen; wir kreuzen auf und nieder, sehen ab und zu Land und dann geht es wieder nach Süden. Eine Menge Kaptauben, Seeschwälbchen und einige Albatrosse begleiten uns; auch ein Walfisch war gestern zu sehen. Heute hatten wir Gesellschaft von einem Segelschiff, das Dampf auf hatte und das man für einen Walfischfänger hielt. Konnte nun der Walfisch nicht heute kommen und wir die Jagd mit ansehen?

Da das Hündchen so ruhelos herumirrte und so mager wurde, gab ich ihm den Korb, den ich eben als Wochenstübchen für die Katze herrichtete, und hatte damit großen Erfolg. Wie ein krankes Kind lag es darin mit der Pfote am Kopf und ist viel manierlicher, nun es seinen ordentlichen Platz hat. Jetzt ist es wieder ganz gesund, fett wie Butter, flink wie ein Rehkälbchen und frech wie ein Dachs. Daran läßt es die Katze auch nicht fehlen, sitzt bei Tisch neben mir und nimmt mir die Bissen vom Teller und sogar von der Gabel, wenn ich nicht aufpasse – und ich muß ihr geben, denn alles, was sie unten bekommt, jagt ihr Nelly ab. Mit den erhofften kleinen Kätzchen ging es traurig. Eines Abends piepste es im Schubfach unter dem Bett; leider ließen wir uns von unserer Neugier hinreißen, es auszuziehen, die Alte entfloh und kein Locken und Bitten brachte sie zurück. Die ganze Nacht schrieen und jammerten die Kleinen und zwei Schritte davon saß die unnatürliche Mutter auf meinen Röcken und kümmerte sich nicht um sie. Am Morgen gab ich ihnen Milch mit dem kleinen Glasrohr der Füllfeder und deckte sie zu. Beim Reinemachen entdeckte Paul noch einen kleinen weißen Kopf hinter der Kommode, wo das unglückliche Tierchen die ganze Nacht gelegen und sich so eingezwängt hatte, daß es weder vor noch zurück konnte; mit Hilfe des Stiefelknechts wurde die Kommode, die festgeschraubt ist, so weit gehoben, daß das Kleine heraus konnte. Die Katze lag hinter meinem Koffer, wo es plötzlich auch piepte und ich hinter Atlanten und Kästen noch ein Junges herausholte. Die Mutter erkannte nun zwar die Kleinen an und blieb bei ihnen, hatte aber offenbar nichts für sie. Ich traute mich nicht, sie ihr zu nehmen, weil ich dachte, es fände sich vielleicht, wenn die Kleinen saugten, aber mit einem Wort, sie starben alle, zuletzt das kleine weiße, und ich kann nicht vergessen, daß ich es nachts noch schreien hörte und es vielleicht hätte retten können, wenn ich aufgestanden wäre und es getränkt und gewärmt hätte. Zwar hatte ich eine Wärmflasche hingelegt, aber sie reichte doch nicht durch die ganze Nacht. Es war ein reizendes Tierchen, weiß mit schwarzem Schwänzchen und schwarzen Flecken im Gesicht und einer feinen Zeichnung auf dem Rücken.

Es ist kühl, aber nicht kalt, und ab und zu kommt ein Strom Landluft. Kein Wunder, daß die verschiedenen Länder verschieden riechen. Die Luft hier ist ganz anders als die indische, »Sugar and spice and all that 's nice«. Kinderlied: »Zucker und Gewürz und alles, was angenehm ist.« Afrika – hier unten – riecht wie ein Gemisch von Wachs, Goldlack und Zichorien.

Das Schwein ist geschlachtet, 170 Pfund, und die Herren schwelgen in Schwarzsauer. Wir haben einen jungen Mond und gestern war ein wunderbarer Anblick, als ich beim Zubettgehen noch einen Blick hinaus tat. Der Himmel dunkel und voller Sterne, die See milchweiß, leise schwellend und über dem Horizont auf einer schwarzen Wolkenschicht die glänzende Schale des Mondes, und Mond und Sterne warfen lange zitternde Lichtstrahlen über das Wasser.

5. September. Der Wind ist schlecht; wir kreuzen auf und nieder und sind nach 24 Stunden auf demselben Punkte wie gestern. Als ich morgens heraufkam, lag die See grau und ruhig wie ein Teich, und die vielen Kaptauben, die in Gruppen schwammen, machten den Eindruck von Enten. Wir sind aber doch mit dem Strom und Kreuzen vorwärts gekommen, sahen Kap Agulhas am 6. und haben somit die südlichste Spitze von Afrika passiert, die den Indischen und Atlantischen Ozean »verbindet«, wie der Irländer sagen würde, nach seinem Ausspruch: »Religion is the bridge that separates the inhabitants of our isle« »Die Religion ist die Brücke, die die Bewohner unserer Insel scheidet.« zu schließen.

Viel Kelp trieb vorbei, das in der Bay den Grund bedecken soll, und ein gelbbrauner Sonnenfisch, so groß wie ein Schaf und ebenso breit als lang. Sie sollen an die Oberfläche kommen, wenn die Sonne scheint, heißen aber vielleicht auch nur so, weil sie rund sind. Jürgen und Pauly haben in Kapstadt viele gesehen; einer war so groß, daß die ganze Mannschaft ihn nur mit Mühe heraufziehen konnte.

Die Luft war diesig, wir sahen nur die Umrisse der Berge und liefen immer wieder hinunter, sie mit der Karte zu identifizieren. Wie oft haben wir schon über dieser Karte gelegen und die Berge und ihre Stellung verglichen. Es verschiebt sich alles so schnell und sieht in Wirklichkeit so anders aus, als auf der Karte; z. B. sucht man umsonst eine Bucht zu erkennen, denn die Wasserlinie schneidet das Ufer immer gerade ab, und sähe man nicht auf der Karte, daß man eine Bucht vor sich hat, so würde man es nicht wissen. Das versteht sich natürlich von selbst, aber wenn man davor steht, denkt man unwillkürlich, man müßte es auch sehen können.

7. September. Solch ein herrlicher warmer blauer Tag, daß ich fast immer oben war, die Berge anzusehen; schon gestern hätten wir hinter den anderen, über Hangklip und False Bay hinaus den Tafelberg sehen müssen; er hatte aber sein Tischtuch über und die ganze Gebirgsreihe lag da wie eine graulila Masse. Erst abends beim Sonnenuntergang färbten sich die beiden Spitzchen, die man noch vom Kap Hoffnung sah, rosa, dann der Gebirgsstock selbst und nach und nach die ganze Reihe. Es dämmert hier lange und es dauerte wohl eine Viertelstunde, bis Himmel, Meer und rosa Hauch verloschen, das Kreuz unter seinen zwei Leitsternen aufblitzte und der Mond seinen Schein über die Wellen warf. Vorgestern waren wir gegen Abend so nahe an Land, daß wir die Brandung sahen. Wir hatten eine furchtbar hohe Dünung und man kann sich denken, wie es branden muß, wenn ein so unwiderstehlich andringender Wasserberg mit voller Wucht gegen Felsen prallt. Ein Haus hätte man auf diese Entfernung hin nicht unterscheiden können und ich sah durch das Glas die See wie in einer ungeheuren Welle über etwas Schwarzes brechen und hoch darüber in Schaum und Gischt zerstäuben. Das Meer war dunkelgrau, während die Sonne die Felsen rosa beleuchtete und Massen von rotglänzenden Kaptauben über das Wasser hinflogen.

8. September. Guter Wind; wir fegen in den Atlantischen Ozean hinein. Jürgen zeigte mir den Devilspik, der spitz und den Lionsrump, der rund ist, und die Einfahrt in die Bay; den Tafelberg verdeckte der Nebel. So war dieses wohl mein letzter Blick auf Afrika, und es ist einem sonderbar, daß man in sechzig Tagen zu Haus sein könnte – teils kommt es einem noch sehr, sehr lang vor, teils so sehr, sehr kurz. Die Zeit vergeht schnell auf See mit der regelmäßigen Zeiteinteilung.

In geringer Entfernung von uns trieb eine geschlossene Kiste vorbei; sie mußte wohl schon lange im Wasser gewesen sein, denn sie war mit Muscheln bedeckt. Es war mir zu leid, daß wir sie nicht holen konnten, wer weiß, was das Meer mir Schönes zugedacht hatte.

16. September. Wir haben einen herrlichen Passat bei bedecktem Himmel und stürmen vorwärts, daß es eine Lust ist; morgen gedenken wir St. Helena zu erreichen, wo ich meine Freundin Lena mit Blumen, Früchten und Kuchen nebst dem bräunlichen Gatten ihrer Wahl zu sehen hoffe.

Gestern brach die große Royal-Rahe in der Mitte, d. h. die Kette brach, sie hing in den Endtauen, knickte von ihrer eigenen Schwere und mußte herunter gegeben werden, was ich immer mit Grauen ansehe und woraus die Seeleute sich gar nichts machen.

Noch nie hatte ich soviel Eier; der Koch hat die Hühner so gezogen, daß sie in der Kombüse in einem Kasten legen, d. h. er macht den Kasten zu, bis das Ei da ist, und wenn er vier oder sechs zusammen hat, bringt er sie mir. Der junge birmanische Hahn hat nur eine Frau, das birmanische Huhn; der europäische Hahn und seine Hühner halten zusammen und man sieht das hochbeinige birmanische Ehepaar seine eigenen Wege gehen.

19. September. Da sieht man recht, wie bei der Seefahrt alles auf Chance ankommt. Wie hatte ich mich auf St. Helena gefreut und Vorbereitungen getroffen wie für einen Staatsakt, sogar den Leinenbezug vom Sofa gezogen, und nun kamen wir statt am Sonntagmorgen, am Sonnabend, 18. September, bei grauem Regenhimmel an. Kaum, daß man es ordentlich sehen konnte, der obere Teil in Wolken; es war noch ein Glück, daß trotz der späten Stunde und der krausen See zwei Boote ankamen. Zuerst stieg ein Neger über, das Gesicht weiß von Salz, als wäre es gepudert, dann der einhändige Bootsmann. Da der Neger zuerst kam, gab ihm Jürgen die Briefe und acht Rupees, nicht etwa, um sie zu frankieren, denn die Briefe, die wir letztesmal mitgaben, sind unfrankiert angekommen, – nur, um sie mitzunehmen. Er verlangte aber sieben Rupees mehr, und da er unverschämt wurde, nahm ihm Jürgen die Briefe wieder aus der Hand und wies ihn aus der Kajüte. Der einhändige Bootsmann bekam sie nun und verkaufte uns seine drei Sack Kartoffeln, wofür er einen Sovereign und einen Sack Brot erhielt. Hierzu lieferte er den Sack, der heraufgezogen wurde; der Zimmermann, der einen vollen Sack erwartete, gab einen so kräftigen Ruck, daß er sich zu allgemeinem Schrecken plötzlich auf den Boden setzte, den leeren Sack verblüfft in der Hand. Ich schickte Lena die kleine Arbeit, die ich für sie gemacht hatte, die Boote stießen ab – und tanzten bald oben, bald tief unten davon. Wo sind nun Besuch, Freundin, Bananen, Gemüse, Obst und Blumen die Fülle?! Alte Kleider hatte ich bereit gelegt, um mit den Mulattinnen, die sonst herauskommen, zu handeln. Hätte ich St. Helena nicht schon öfter gesehen, so würde ich keinen richtigen Eindruck davon bekommen haben. King und Queen sahen wir und auf Barren Point steuerten wir zu, aber Jamestown sahen wir nicht einmal liegen. Mrs. Thorpe hätte selbst nicht kommen können, sagten die Bootsleute, Erfreuliches andeutend, aber an ihrer Stelle hätte uns Mr. Thorpe begrüßt, wären wir bei guter Zeit gekommen. So konnten wir nicht einmal unsere Flaggen zeigen, da die Station ganz in Wolken lag.

Heute, Montag, fängt nun die Reinlichkeit wieder an und sie scheuern das Deck und Oberlicht; das geht nun wochenlang so fort, und ist man endlich abgeschrappt bis aufs Blut, frisch gemalt und fein geölt, so kommt das Schlackerwetter im Kanal und man sieht nichts mehr davon.

23. September. Programmäßig am fünften Tag liefen wir Ascension an, aber auch bei grauem Himmel; es war erst ganz in Nebel gehüllt und nur wenige Augenblicke sah man es klar. Ich dachte, wenn jemand meine früheren Beschreibungen gelesen hätte und sähe es so, würde er von meiner Zuverlässigkeit seltsame Vorstellungen bekommen. Doch als wir näher kamen, sah ich doch noch einmal die einsame Palme, gebräunt und gebückt im Winde auf dem Felsengrat, das große Schlackenfeld, die Sandbucht mit dem Schildkrötenhäuschen, die kleine Stadt Georgetown am Fuße des Flagstaffhill und war wieder hingerissen von der einsamen Größe der Landschaft, die wie ein Panorama vorüberglitt. Die graue See, der öde felsige Strand, die überall aufkochende Brandung, deren dumpfes Brüllen das Meeresrauschen übertönte, und im Vordergrunde wiegte sich ein großer wundervoller Fregattvogel. – Vorbei – vorbei.

1. Oktober. Vorgestern passierten wir die Linie, ich zum 24. und letzten Male. Wir sind also wieder auf der nördlichen Halbkugel. Es ist heiß, aber nicht schlimm. Der nette Koch hat eine Glucke gesetzt; das arme Tier brütet seit 21 Tagen auf einem alten Tiegel in einem Schrank in der Kombüse, und vier große dicke, lächerlich selbständige Küchelchen sind gestern ausgekrochen. Ein dickes Ei liegt noch wie die unentzauberte Rose unterm Hühnerschoße. Ihr habt keine Idee von dem gräßlichen Anblick des Hahns; daß er nur noch zwei kleine Schwanzfedern hat, ist das wenigste; er hat aber hinten, unten und vorn überhaupt gar keine mehr und sieht überall blutrot aus, weil ihm die Hühner beständig die wenigen Federn, die ihm sprießen, ausrupfen und fressen. Da er nun keinen Spiegel hat, ahnt er von seinem ruppigen Aussehen nichts und stolziert herum, als wenn er ganz in Ordnung wäre. Wir seufzen nach Regen, es ziehen sich jeden Nachmittag Wolken zusammen und abends kommen doch die Sterne wieder heraus. Wir haben nämlich – hoffentlich – Wasser genug zum Trinken, aber keines mehr zum Waschen; mit wie wenig der Mensch sich behelfen kann, ahnt Ihr nicht; das ist auch recht gut, denn es ist kein Plaisier.

Gestern wurde von einem Schiff erzählt, das zwischen Kap Hoffnung und St. Paul in Brand geraten war und hatte verlassen werden müssen. Das eine Boot mit dem Kapitän blieb fort, das andere mit dem Steuermann erreichte Java nach sechs Wochen; wie die Leute das ausgehalten haben, begreift man nicht. Die Rede kam darauf, weil nachts öfters fliegende Fische an Bord fallen, die die Katze fängt; man merkt es daran, daß es plötzlich unter dem Sofa knurpst, denn sie zeigt sie wohlweislich nicht. Es hieß, in Boote würden sie noch mehr und öfters geraten und nicht nur den Hunger, sondern auch etwas den Durst von Schiffbrüchigen stillen können. Das ausgebrannte Schiff strandete übrigens bei Tahiti und wurde wieder instand gesetzt.

Dann erzählte Jürgen von einem andern ausgebrannten Schiff, das in San Franzisko binnen geschleppt worden war und dessen obere Platten von der Glut ganz wellig und verbogen gewesen seien, und dann noch von einem anderen Schiff, das in New York gebaut, aber wegen eines Streiks nicht vollendet, nach Nova Scotia (britisch) gebracht und dort fertig gestellt worden wäre, infolgedessen keine amerikanische Flagge bekommen konnte und unter einer andern fahren mußte. Die Vereinigten Staaten haben nämlich ein Gesetz, wonach jedes Schiff ihrer Flagge in Amerika mit einheimischem Material gebaut sein muß, was, meint Jürgen, zur Zeit des Holzbaues Sinn haben konnte. Eisen aber haben sie zum Schiffsbau nicht genug und die Folge ist, daß die amerikanische Flagge fast ganz von den Meeren verschwunden ist, außer in den amerikanischen Häfen selbst. Die nach Amerika gehörigen Schiffe fahren daher viel unter fremder Flagge; ein Schiff, das man unterwegs trifft, ist meist englisch, deutsch, norwegisch, auch Italiener sieht man, ab und zu einen Spanier, aber Franzosen sind selten und Amerikaner trifft man kaum. Dahin kann verkehrte Schutzwirtschaft die Menschen führen und da habt ihr nicht nur ein paar Seegeschichten, sondern eine Nutzanwendung noch obendrein.

Wir begegneten übrigens gestern einem großen englischen Vollschiff; langsam glitten wir aneinander vorüber und grüßten uns mit den Flaggen. – Es regnete heute nacht; Jürgen stand um drei Uhr auf, holte sich einen Krug Wasser und wusch sich.

11. Oktober. Wir haben Wasser die Fülle gehabt, meistens nachts, und es war wohlig, unten zu liegen, und auf das erquickliche Plätschern zu hören. Als wir genug hatten, sechs Fuß Wasser im Tank, also über die Hälfte, setzte der Passat ein und ich genoß das herrliche Blau und den frischen Wind und die Scharen fliegender Fische zum letzten Mal. Man ist geteilten Herzens; man freut sich auf zu Hause und fühlt doch schon das Seeweh voraus, das einen packen wird. Neulich sah ich ein großes schwarzes Ding wie ein aufrecht stehendes Boot – ehe ich meinen Augen traute, versank es und war ein großer Fisch gewesen. 132 Meilen waren wir von den Kap Verden entfernt, als wir eines Tages Libellen bekamen, die ein paar Tage, Reiskäfer fangend, bei uns blieben, auch eine Landschwalbe besuchte uns. Seeschwalben haben wir noch, aber die Kaptauben gehen nicht über St. Helena hinaus.

Das Schiff sieht jetzt wunderhübsch aus, d. h. so weit es fertig ist; wenn es nur so bleiben könnte, bis wir in den Hafen kommen, aber das Wetter Eures gelobten gemäßigten Klimas wird es wieder schlimm zurichten.

Jürgen hat mir einen kleinen Quirl aus Teakholz geschnitzt, um die kondensierte Milch zu verrühren, und zwei niedliche kleine Boote, um zu Haus damit zu spielen.

24. Oktober. Es wird kühl und böig, das Schiff rollt und alles, was schurren und rollen kann, tut mit. Es ist belustigend, wie das Englische ansteckt. Jürgen gibt dem kleinen Walter Watte für seinen schlimmen Fuß und ich frage, ob er nicht Papier wolle, sie einzuwickeln? »Nein, danke,« sagt er, »ich habe plenty (viele) weiße Taschentücher.« Ferdinands erster Versuch war auch komisch; er wurde in einem englischen Hafen zu dem Lotsen geschickt und ich hörte ihn sagen: »Lots', der Koch möchte Sie sprechen.« Der Engländer verstand ihn nicht und nachdem er die Bestellung mehrmals ohne Erfolg wiederholt hatte, mußte er sich zu Englisch bequemen, und brachte heraus: »Kok will you speak«, worauf sich der Lotse sogleich in die Kombüse verfügte.

Ein Küchelchen lebt noch, aber das birmanische Huhn ist gestern gekocht, denn die Hühner fraßen es bei lebendigem Leibe; nicht, daß sie ihm nur die Federn ausgerissen hätten, sie pickten ihm das Fleisch buchstäblich von den Knochen; es war nicht mehr mit anzusehen, und nur der Kochtopf konnte es davor retten.

Heute ist die See hoch, aber saphirblau, man kann jedoch nicht viel oben sein; vorn kommt Wasser über und hinten sitzt der Segelmacher und flickt ein Segel, das heute nacht zerrissen ist.

26. Oktober. Eben kam Pauly und zeigte den letzten der Mohikaner, eine von Rost zerfressene Patrone für die Kanone, eine Eisenhülse, etwa 30 cm lang und 10 cm im Durchmesser, angefüllt mit altem Eisen, Nägeln, Haken u. dergl. Das wurde früher jedem Schiff mitgegeben für den Fall, daß es von Seeräubern bedroht würde. Jürgen sagte, noch vor zwanzig Jahren wäre das ganz allgemein gewesen; er erinnerte sich eines Schiffes, das von chinesischen Seeräubern gejagt wurde, weil es Opium führte; statt seiner fingen sie ein anderes, ließen es aber laufen, als sie merkten, daß es nicht das richtige war.

3. November. Das Barometer fällt, fällt, fällt. Segel werden festgemacht, die See ist hoch, der Wind heult, das Schiff rollt. Es ist ziemlich greulich, erstens der unbehagliche Zustand selbst, und dann die Erwartung, wie schlimm es werden wird.

Gestern kam ein Dampfer vorbei, dem wir die Flagge zeigten und er uns die seine; es war die französische, blau-weiß-rot. Gleich darauf kam ein Fünfmaster in Sicht, der erste, den Jürgen sah. Die Franzosen haben zwei: »France« und »la France«. Laeisz in Hamburg hat ebenfalls einen Fünfmaster.

Die Entwicklung, die auch die Segelschiffe durchgemacht haben, seit der Eisenbau das Holz mehr und mehr verdrängt, ist beinahe märchenhaft. Ein Segelschiff aus Holz von so ungeheurer Größe wie man sie jetzt sieht, müßte so breit und tief, in all seinen Teilen so ungefüge und ungelenk sein, daß es Menschenhände nicht mehr zu regieren vermöchten und es wie eine Schnecke durch das Wasser kriechen müßte. In denselben Verhältnissen gebaut wie ein eisernes Schiff, würde es in der Mitte brechen und die ungeheure Last, die ihm zugemutet wird, nicht tragen können.

Der treffliche Seeschriftsteller Clark Russell erwähnt, daß es noch zur Zeit der Königin Anna bei den Schiffsbaumeistern für ein Wagnis galt, ein Schiff dreimal so lang als breit zu machen, und Jürgen selbst erinnert sich, als Knabe von dem Aeltermann Tiedemann in Bremen gehört zu haben, wie sein Vater, der alte Reeder, einmal nach Hause gekommen sei und kopfschüttelnd gesagt habe: »Da lett sick min Freund N. en Schip buen von hunnert Last – nee, so'n grot Schip möcht ick doch nich hebben« – und jetzt macht sich ein Schiff von unter tausend Last nur schlecht bezahlt.

8. November. Es wird kalt, das Barometer sank stetig, jetzt geht es wieder auf. Hoffentlich kommt kein Ostwind. Wenn dieses Wetter sich hält, können wir in drei Tagen in Falmouth sein und unsere Order haben.

Stare und kleinere Vögel fliegen seit einigen Tagen zu; es muß hart geweht haben bei den Azoren, oder sie kommen noch weiter her vom Festlande. Das Meer hat eine sonderbare, undurchsichtige, bräunliche Färbung, gar nicht wie ein ordentlicher Ozean. Wenn es möglich wäre, würde man an Landnähe denken. So aber haben wir die Chronometer eben erst in St. Helena und Ascension berichtigt.

Die Fußböden werden gestrichen, Wände poliert, Dielen gemalt. Man geht auf Brettern und hat Angst, sich gegen die geölten Wände zu stützen, dabei rollt das Schiff, der Himmel ist grau, die See schäumt.

10. November. Es kam ein Schiff auf uns zu und kehrte eigens zu dem Zwecke um, sich uns zu nähern. Es hatte, wie es schien, nur ein paar Leute an Bord und es fehlte ihnen eine Stenge. Bei der schwachen Brise dauerte es Stunden, ehe es uns erreichte. Jeder hatte seine Gedanken darüber. War es vom gelben Fieber verheert? Hatte es Mangel an Wasser oder Brot? Vielleicht hatte es keinen Navigateur mehr, wie der Segelmacher meinte, und der kleine Heini dachte an Meuterei; schließlich bat es um unsere Länge; es war ein norwegisches hölzernes Schiff. Zwei Tage haben wir durch Fläue verloren, heute nun stürmt es und wir hätten schöne Fahrt durch den Kanal, müssen aber erst nach Falmouth, wo uns ein Dampfer die Ordre und hoffentlich die Briefe bringt.

13. November. Hier ist die Ordre: Rotterdam.

Rotterdam, 15. November. »Glücklich der Mann, der den Hafen erreicht hat und hinter sich ließ das Meer und die Stürme!« Wir haben unsere Fahrzeit abgeschlossen mit dem günstigsten Winde, dem sonnigsten Herbstwetter, der hellsten grünsten See. Noch im Kanal war es stürmisch; bei Dungeness erhielten wir erst nach angstvollem Warten und verschiedenen Blaufeuern den Lotsen, aber die Nordsee hat mir noch nie ein so freundliches Gesicht gezeigt wie an diesem letzten Tage. Wir bekamen bald den Schlepper, und gegen 4 Uhr erreichten wir Hook van Holland, das am Eingange des Kanals liegt, der die See mit der Maas verbindet und dem Rotterdam seine jetzige Bedeutung verdankt, denn vordem brauchten die Seeschiffe acht Tage, ehe sie durch die Schleusen hinaufkamen. Das Paketboot von Harwich, große und kleine Schiffe überholten und begegneten uns, und nach langer Arbeit lagen wir endlich am Kai, zwischen einer Menge von Dampfern die einzige fühlende Brust. Am nächsten Morgen wurde die Mannschaft abgemustert, und so sollte ich niemals wieder zu Mittag die helle Stimme des Jungen hören: »Schaffen! Schaffen! unner und baben! Schaffeee!« und um Mitternacht den uralten Ruf: »Reis' aus Quartier in Gottes Namen!«

Jürgen wollte nach gelöschter Ladung und eingenommenem Ballast das Schiff selbst nach Bremen bringen und sich bei der Firma, der er so viele Jahre mit Stolz und Freude angehört hatte, verabschieden, ich dagegen zu derselben Zeit die Meinigen am Rhein besuchen, denen ich verhältnismäßig nahe war.

Die Winterkälte, die um so empfindlicher wurde, je mehr die wärmende Ladung sich verminderte, das stürmische Wetter, der Schmutz und die Nässe machten zwar den Aufenthalt an Bord keineswegs erfreulich, doch konnte ich mich nicht entschließen, die Zeit unseres Seelebens zu verkürzen. So sah ich denn Tag für Tag die Reissäcke, die unter glühender Sonne von schmächtigen Indern in das Schiff getragen worden, durch stämmige Holländer unter grauem Himmel und Schlackerwetter wieder aus dem Raume winden. Nur zu schnell erschien der graue Morgen, an dem ich das Schiff verlassen mußte. Mit stillem Händedruck sagte ich Herrn Pauly, dem treuen Gefährten so vieler Jahre, Lebewohl, und verstohlen legte ich beim Hinuntersteigen die Hand an die Schiffswand, ehe mich Jürgen den Steg hinabgeleitete. Schweigend, das Herz zu voll für Worte, fuhren wir davon. Nach einer Weile wandte ich mich zurück, und hoch über die Dächer fort grüßten mich noch einmal die Tops der drei Masten. Da dachte ich im Herzen wie Ferdinands kleine Schwester ihr Abendgebetchen schloß: »Lieber Gott! Schütze den Regulus!«


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