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Vorwort zur vierten Auflage.

Seit Jahren war dieses Buch vergriffen. Aus weiten Kreisen wurde jedoch immer wieder der Wunsch nach einer Neuausgabe laut, so daß die Verlagsfirma Wilhelm Köhler sich jetzt zu einer Neuauflage entschlossen hat. Von den zahlreichen Persönlichkeiten, die den Wunsch nach einer Neuausgabe des Buches äußerten, möchte ich hier den bekannten Führer des Handels-U-Bootes »Deutschland«, Kapitän Paul König, sprechen lassen. Er schreibt u. a.:

»Das herrliche Buch ›Auf großer Fahrt‹ liegt auf meinem Schreibtisch, und oft werfe ich einen Blick hinein. Ich habe das Buch schon vor dem Kriege in wenigstens einem Dutzend Exemplaren an Verwandte und Bekannte im Binnenlande verschenkt und auch von dort stets volles Verständnis und beste Beurteilung erfahren. Ich halte das Buch für eines der besten unserer seemännischen Literatur. Ich habe schon manche Reisebeschreibungen gelesen, keine aber schildert mit solcher Objektivität und in einer so schönen Sprache wie gerade dieses Buch das Leben an Bord mit seinen Leiden und Freuden. Die erhabene Schönheit eines mit vollen Segeln durch die Passatregion fahrenden Segelschiffes und – als Gegenstück – den unerbittlichen Ernst der Seeschiffahrt in gefahrvollen Situationen, beides ist bei der Lektüre des Buches wie »wirkliches Erleben«. Die fremden und tropischen Länder, ihre Bewohner und deren Gewohnheiten sind von Frau Rosenberger mit besonderem Verständnis gezeichnet! Leider ist ja das Buch heute vollständig vergriffen. Ich bedauere dies außerordentlich; das Buch gibt Schilderungen aus einer Epoche des die ganze Welt umfassenden Wirtschaftslebens, welche in ihrer Reinheit für immer der Vergangenheit angehört. Die wenigen heute noch existierenden Segelschiffe sind z. T. schon mit Motoren versehen und werden vielleicht sogar durch das Flettner-Rotor-Schiff ganz verdrängt. ›Auf großer Fahrt‹ ist gewissermaßen ein Kulturdokument der Segelschiffahrtszeit!«

Nun also wird mir der Auftrag eines Vorworts für diese neue Ausgabe, und zwar ausdrücklich mit »Berücksichtigung der Zuschriften, die mir im Laufe der Jahre über die Große Fahrt zugegangen seien.«

Eine willkommenere Aufgabe kann man jemandem kaum stellen, als den »Schatzkasten« zu öffnen und sich nochmals in die Fülle all dieser warm empfundenen Blätter zu versenken, die Dankesschuld, die man nicht immer dem Einzelnen hat abtragen können, der Allgemeinheit auszusprechen. Es hat indessen auch seine Kehrseite, denn es ist nicht leicht, vertrauliche Herzensergüsse ans Licht ziehen und lebhafte Begeisterung, die doch im Grunde der Sache und nicht der Persönlichkeit gegolten hat, selbst zur Kenntnis zu bringen.

Verhältnismäßig harmlos ist es ja mitzuteilen, »wenn Annemarie abends beim Verschlingen von ihrem Vater gestört werde, schicke sie dieser nur so peremptorisch zu Bett, um das Buch selbst zu nehmen«, oder wenn eine Klara schreibt: »In mir hat es den festen Entschluß gereift, auch einen Kapitän Jürgen zu heiraten. Meine Familie ist einverstanden, aber wo nehme ich ihn her?! So was gibts ja gar nicht hier in unserer lackierten Welt!« –

Ebenso wenn letzthin auf der Kösener Brücke eine Bekannte vorübereilt und mich der sie begleitenden Dame kurz und bündig vorstellt: »Frau Rosenberger auf Großer Fahrt!!« – oder gar ein Kapitän vom Lloyd gesteht, »er habe das Buch nur zur Hand genommen, um sich an dem Unsinn zu erlaben, den er darin vermutet habe, und sei sehr erstaunt gewesen, als es ihm dann so wohl gefiel.«

Daß es gerade in Seemannskreisen Fuß gefaßt hat, war mir besonders überraschend und herzbewegend, und es erfüllte mich – und ich gestehe es gern – mit großer Freude, daß Dr. Gerhard Schott von der Hamburger Seewarte in einem Vortrage »über die physische Meereskunde in ihren Anwendungen auf die transozeanischen Segel- und Dampfschiffahrten« das Buch anerkennend erwähnt hat, und es dann »nachher noch beim Bier« besprochen worden ist.

Und nun darf ich wohl dem alten Admiral von Werner selbst das Wort lassen, der mir einige Monate vor seinem Tode mit zitternder Hand schrieb:

– – –» Ich habe es Seite für Seite gelesen und es hat mich nicht nur durch seine Fassung sehr interessiert, sondern namentlich durch die Schilderungen dessen, was Sie auf Ihren Reisen gesehen haben, da ich an den meisten Punkten selbst gewesen bin. – Bevor ich in die Marine trat, fuhr ich sieben Jahre lang auf Hamburger Segelschiffen, machte sieben Reisen nach Ostindien und später als Kommandant eines Kriegsschiffes nach Java, Singapore und Japan. Sie können sich deshalb denken, daß ich als Seemann Ihre sehr hübschen Erzählungen Ihnen nachfühlen konnte und es auch getan habe.«

Anders klingt die Auffassung des bekannten Epigraphikers, Professor Dr. Th. Gompertz in Wien: »Ich bin immer froh«, schreibt er einer jüngeren Freundin, »wenn man mich in die räumliche Ferne führt, die ja nicht minder anziehend ist, als die Zeitenferne. Aber hier waren mir nicht nur die Bilder aus den Tropen, die Zeichnungen fremder Länder und Menschen erfreulich, mehr noch zog mich die Poesie des Segelschiff-Lebens an, das ich schon für ausgestorben hielt. Ich möchte die Proportion aufstellen: wie das antike oder modern-südliche Leben auf den Straßen und dem Markt, zu unserer nordischen Häuslichkeit, so verhält sich diese zum Leben auf einem schwimmenden Heim. Es muß der Gipfel der Traulichkeit und Gemütlichkeit sein. Und dazu die mannigfaltige, ihren Gegenstand stets wechselnde Tätigkeit der Inwohner. Etwas von der idealen Vielseitigkeit der perikleischen Griechen kommt da zum Vorschein.« –

Fast wie eine Erwiderung mutet dagegen die Bemerkung eines jungen Technikers an, der Schiffsbau studiert: »Auf Großer Fahrt bietet für alle, die so übermäßig von dem romantischen Zauber ferner Länder schwärmen, eine gesunde Abkühlung, denn die klare Einfachheit der Beschreibung, welche alles, auch das Neuartige als selbstverständlich in derselben einfachen Art wie zu Hause aus den Verhältnissen entspringend darstellt, wirkt in seltener Weise orientierend.«

Aehnlich äußert sich Korvetten-Kapitän Friedlaender: »Das Leben und Treiben in der Kauffahrteimarine ist dem großen Publikum noch so fremd und unverständlich, daß wir »vom Fach« jedes Werk mit Freuden begrüßen, welches in hübscher und wahrer Weise die Große Fahrt beschreibt.«–

Wieder ist es eine Dame, gegen die sich der bekannte Forschungsreisende Georg Schweinfurth ausspricht: »Mit ganz einfachen Worten werden hier die Erlebnisse in einer Weise geschildert, daß man an allen Vorkommnissen den innigsten Anteil nehmen muß, z. B. wie das Zirptier ins Meer fällt, das liebe Tierchen, dessen Verwandten in Indien Kipling unsterblich gemacht hat.«

Noch liegt ein Brief vor mir, aus dem etwas mitzuteilen ich mir nicht versagen kann, denn mühselig, von einem langwierigen Krankenlager, schrieb mir Konsul R. Boyer: »Ueber Ihre Reisebeschreibungen darf ich mir wohl ein Urteil erlauben, denn ich bin dreißig Jahre Reeder von Schiffen auf großer Fahrt gewesen, habe selbst auf großen Segelschiffen europäische Reisen gemacht und darf mir wohl erlauben auszusprechen, daß ich noch niemals Seereise-Beschreibungen gelesen habe, welche so wahr, so ohne alle Uebertreibung und doch so treu und sachlich geschildert gewesen sind.«

Doch darf hier auch die Klage eines alten Geschäftsfreundes Engelking in Bremerhaven, nicht fehlen: »Das alte, fröhliche Leben und Treiben an Bord der Segelschiffe hört und sieht man nicht mehr – die Romantik ist dahin und der Nachwuchs wird auf Schulschiffen gedrillt und klassifiziert. – – – Aufrichtig habe ich bedauert, daß Sie Ihren treuen, guten Jürgen schon so bald wieder hergeben mußten, – er war ein echter, rechter Seemann mit herrlichen Charaktereigenschaften und treu wie Gold.«

– Es sind jetzt schon Jahre verflossen, seit mein Mann, der stets das Bild der Kraft und Gesundheit gewesen war, einem schweren Herzleiden erlag. Unsere trauliche Heimstätte, der »Regulus«, der uns war wie ein lebender Freund, war schon vor ihm untergegangen. Gleich auf der ersten Reise, nachdem wir ihn verlassen hatten, geriet er in der Nähe der Nordseeinsel Schiermonnikoog auf Strand. So war ihm wenigstens das Schicksal eines ausgedienten Wrackes erspart und ein Seemannsgrab auf stillem Meeresgrunde ihm beschieden. – – –

Und nun zum Schluß noch eine der Zuschriften, die für mich zu den ergreifendsten gehören. Sie ist von einem jungen Kaufmann W. von Thülen.

»Vor sieben Jahren schenkte mein Bruder Lloydoffizier seiner jungen Braut Ihr Werk, damit die zukünftige Seemannsfrau mit den Freuden und Leiden der Seefahrt bekannt würde. Als ich das Buch durchblätterte, war ich ganz betroffen, so vieles fand ich, das mich an die glücklichste Zeit meiner Kindheit, an meine Fahrenszeit, erinnerte.

Zwar war es mir nicht vergönnt, solch herrliche Reisen zu machen wie Sie sie so anschaulich schildern. Es kommt aber auch schließlich nicht darauf an, wohin man fährt, die höchste Poesie liegt doch im Bordleben selbst.

Wie habe ich mit Ihnen gefühlt, als Sie den »Regulus« noch glücklich in Rio erreichten, als Sie den Fuß auf das Fallreep setzten und, die Höhe der Reeling erreichend, den ersten Blick auf das Deck warfen. Das war für mich immer der feierlichste Moment, es ist wie ein Schritt in eine andere Welt, die uns ganz allein gehört. Und dann der Eintritt in die Kajüte, die einfache, trauliche Ausstattung grüßt uns und – der Bordgeruch. Aber ich habe auch mit Ihnen getrauert, als Sie den treuen »Regulus« verließen, war es doch für mein Knabenherz die unglücklichste Stunde meiner sonst so schönen Jugend, als ich in London von dem Schiffe scheiden mußte. Nie werde ich vergessen, wie der Dampfer St. Catherines Dock verließ; es war kalt und regnerisch, und als wir im Abenddunkel stromabwärts fahrend, bei Purfleet, den »Weißenborn« nochmals passierten, ließ der Kapitän die Dampfpfeife ertönen, ein Lichtstrahl quoll gegenüber aus der Kajütentür und Steuerleute und Mannschaft stürmten auf Deck, um ihrem Kobold ein letztes Lebewohl zuzurufen. Ich hielt mich tapfer, bis meine Fanny herüberbellte – da war es aus mit meiner Standhaftigkeit.

Seitdem ich im Besitze Ihres Buches bin, lese ich es alljährlich. Wenn der Sturm heult und der Regen an die Scheiben prasselt, dann segeln wir drei – Sie, ich und – Jürgen. Ich weiß, daß ich, indem ich seinen Namen nenne, an eine alte Wunde rühre, aber ich darf ihn doch nicht übergehen, er gehört mit dazu.

Vor kurzem war mein Bruder hier; er trug mir auf, Ihnen zu sagen, daß noch oft von Ihnen in seinem Bekanntenkreise gesprochen würde. Die Herren nennen ihre Fahrzeit auf dem »Regulus« ihre schönste Zeit.

Nun muß ich Ihnen zum Schluß noch etwas erzählen. Vor einigen Jahren lebte in O. der alte Kapitän B. mit seiner Frau. Sie waren kinderlos, und Frau B. konnte lange Jahre ihren Mann auf seinen Fahrten begleiten, bis sie sich in dem hübschen Dorfe zur Ruhe setzten.

Dann starb der alte Herr; seine treue Gefährtin war auch so leidend, daß sie nicht einmal die Ruhestätte des Gatten besuchen konnte, aber von ihrem Platze am Fenster konnte sie seinen Hügel auf dem gegenüberliegenden Friedhof sehen. Um ihr Zerstreuung zu schaffen, brachte ich ihr die »Große Fahrt«, und wie gut hatte ich es getroffen! Es waren dieselben Fahrten, die sie so oft mit ihrem Manne gemacht hatte. Immer wieder brach sie in die Worte aus: »Das ist ja gar nicht Frau Rosenberger! das bin ich ja selbst! – Fast alle Personen aus den Liegeplätzen waren gute Bekannte von ihr, sie erkannte sie trotz der veränderten Namen. So saß sie im Lehnstuhl am Fenster und Ihr Buch zauberte ihr noch einmal die glücklichen Zeiten vor. Bald darauf verschied sie, still und zufrieden. – »Fallen Anker« hat es für Sie geheißen, als Sie den »Regulus« verließen, und »Fallen Anker« haben Sie Ihr Heim genannt, ich habe es mit Rührung gelesen.

Mein größter Wunsch ist, daß für mich meine Fahrenszeit noch einmal wieder anbricht. Wenn das Glück mir treu bleibt, will ich später, wenn ich ein kleines Schäfchen ins Trockene gebracht habe, als Passagier auf einem Segelschiff noch einmal hinausziehen. Ich muß noch einmal »Jan Maat« aussingen hören; all die kleinen, an sich so unwichtigen Ereignisse, sei es auch nur ein zugeflogener Falter, ein gefangener Fisch, ein in der Ferne dahinziehendes Segel – nur einmal möchte ich sie noch erleben! – Vielleicht stehe dann eines Tages auch ich am Fuße der großen Pagode und gedenke dankbaren Herzens der verehrten Frau, deren schlichtes Tagebuch mich so oft im Geiste in dieses sonnige Land geführt hat, des treuen Kapitäns und des armen »Regulus«, dessen glücklicher Stern so bald verlöschen mußte!

Nun bitte ich Sie, meinen Herzenserguß freundlich anzusehen, – aber Sie wissen ja selbst: »wes das Herz voll ist« – und wenn ich an die schöne Zeit zurückdenke, ergreift mich das Seeweh!«

Was könnte ich wohl noch hinzusetzen?! –

Bad Kösen
Fallen Anker,
Frühjahr 1929.

Eugenie Rosenberger.


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