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Zweite Fahrt.
Bremen – Rio de Janeiro – Singapore – Bassein – Geestemünde.

 

Es ist nicht jedem vergönnt, nach Corinth zu gehen.

Horaz.

 

I.
Von Bremen nach Rio de Janeiro.

Wie gewöhnlich erwartete ich den »Regulus« zum Herbst aus Rangoon zurück, als ich die Nachricht erhielt, er würde, statt nach Hause, nach Rio de Janeiro gehen und es sei noch nicht bestimmt, wohin er von dort aus geschickt werde. Das bedeutete eine Trennung von mindestens zwei Jahren; ich entschloß mich daher, »unseren« Reeder um die Erlaubnis zu bitten, das Schiff in Rio treffen und die Weiterreise mitmachen zu dürfen, und nie werde ich die Güte und Nachsicht vergessen, mit der die nicht willkommene Bitte angehört, noch die liebenswürdige Form, in der sie mir schließlich gewährt wurde.

Leider nahm schwere häusliche Sorge die Monate vor der Abfahrt gänzlich in Anspruch; bis in die letzten Tage hinein war ich im Zweifel, ob ich überhaupt würde reisen können, und fast konnte ich es selbst nicht glauben, als ich mich endlich nach allen Hindernissen, nach all der Unruhe und Ungewißheit, wirklich auf dem Dampfer befand und somit den Fuß auf die Brücke gesetzt hatte, an deren anderem Ende ich den »Regulus« zu finden hoffte.

Die »Baltimore« war eines der ältesten Schiffe des Lloyd; was ihr indessen an Eleganz abging, wurde reichlich ersetzt durch das einfache, zwanglose Leben an Bord. Zweite und dritte Klasse waren gut besetzt, in der ersten aber waren außer mir, der einzigen Dame, nur ein junger Rheinländer, Herr v. d. Brucken, der sich als Landwirt in Brasilien anzukaufen gedachte, und ein junger Kaufmann, Herr Quentchen, aus Santos; diese machten mit dem Kapitän, dem ersten Offizier und dem Schiffsarzt, die ganze Gesellschaft aus. Die Herren waren alle große, kräftige, germanische Typen, denen gegenüber Herr Quentchen doppelt klein und schmächtig erschien, aber voll sprudelnder Lebendigkeit, nie versiegender guter Laune und vielfacher Interessen mich oft an das Sprichwort erinnerte: dans les petites boîtes sont les bons onguents Die feinen Würzen sind in kleinen Kästen..

In Antwerpen kamen wir gerade am Vorabend des »Landjuweels« an, das diesmal, als dem dreihundertsten Jahrestage der Unabhängigkeits-Erklärung großartig gefeiert wurde. Da der historische Festzug am Vormittag stattfinden sollte, so wagte ich mich erst am Nachmittag in die Stadt, sah die Straßen in vollem Festschmuck, gefüllt von festlichem Gewimmel, und befand mich plötzlich mitten in einer wogenden, staunenden Menge, vor einem hohen phantastischen Wagen, auf dem sich der ganze Olymp versammelt hatte, Hermes mit seinem Stabe obenan; ein kleiner Amor hielt die Zügel, ein glänzender Zug mittelalterlicher Reiter in seidenen und samtnen Gewändern folgte auf prachtvollen Pferden.

In meiner Angst vor plötzlichem Gedränge trat ich in den Friseurladen, vor dem ich zufällig stand; der schöngelockte Haarkünstler brachte mir auf das artigste eine Trittleiter, von deren oberster Stufe ich nun den ganzen langen Festzug, den ich längst vorüber geglaubt hatte, auf das gemächlichste mit ansehen konnte.

Vierzigtausend Fremde sollen an diesem Tage in Antwerpen zusammengeströmt sein, und dieser Umstand wesentlich zu der schnellen Verbreitung der Cholera beigetragen haben, wovon wir damals ebenso wenig etwas ahnten, wie von dem gleichzeitigen Ausbruch der Seuche in Hamburg.

Unsere Gesellschaft wurde hier durch einige portugiesische Herren vermehrt, die nach Lissabon wollten, und durch ein brasilianisches Ehepaar, das in seine Heimat, Rio Grande do Sul, zurückkehrte. Der Herr sah etwas moros aus, die Dame, jung, angenehm und wohlgewachsen, wäre schön gewesen ohne die narbige, undurchsichtige Haut, wie sie überstandene Pocken zurückzulassen pflegen. Sie konnte sich nur durch ein wenig portugiesisches Französisch mit uns verständigen, reichte mir aber auf das liebenswürdigste die Hand, und als ich mich freute, nicht mehr die einzige Dame zu sein, sagte sie freundlich: »II faut que nous soyons amies.« Leider war sie viel seekrank und klagte dann über »Dolores en la testa«.

Am 20. August kam die spanische Küste in Sicht. Ihr müßt sie euch ganz so vorstellen, wie man sie sich gewöhnlich denkt; »steil und schroff, mit wenigem Graswuchs bekleidet«, fallen die Felsen in die See, oben graue Mauern und Kastelle, helle Häuschen auf grünem Vordergrunde, umsäumt von dem weißen, immer wechselnden Gürtel der Brandung.

So glitten wir an dem reizenden Bilde entlang, bis die Färbung in Lila überging und die kleine Stadt Coruña vor uns lag, ein Kranz spanisch aussehender, weiß und rosa Häuser mit grünen Läden und Balkons; mitten im Hafen, in den »lebendigen« Fels gehauen, ein altes Fort.

Hier also sammelte sich die Armada zu ihrem verhängnisvollen Zuge nach England, in dieser kleinen Bucht spiegelten sich die schwerfälligen Schlachtschiffe, die nun seit Jahrhunderten mit manchem anderen guten Fahrzeug auf dem Grunde des Kanals ruhen! Ein Gewirr von Booten empfing uns; Zollbeamte und Soldaten kamen an Bord. Das erste Spanische, das ich sah, war ein Boot mit Frauen und Kindern, die ein großgeblümtes Paket bei sich hatten und einen jener tönernen Wasserkrüge mit geschwungenem Henkel, die keine andere Oeffnung haben, als die Ausgußröhre und das Luftloch.

Alles ging an Land und ich wollte doch auch die erste spanische Stadt meines Lebens betreten, überwand daher die Scheu davor, ohne Kenntnis der Landessprache allein zu gehen, und stieg zu drei etwas zerlumpten braunen Kerlen in ein Boot; der Zahlmeister war so freundlich, für mich mit ihnen zu verhandeln, sie entfalteten ein zerschlitztes Segel an einer primitiven Rah und fort ging's nach Spanien. Ich stieg aus, und der eine Schiffer mit schwarzem Bart, schöner Nase und olivenfarbener Mütze blieb mir zur Seite. »Kathedrale,« sagte ich. »Sabe, Signora,« dann, mit Handbewegung: »la calle principal.« Nun begriff ich, daß er mich führte und ließ es mir gefallen. Er tat es offenbar nach einem erprobten Plan, der gerade in die Zeit paßte; zeigte mir Esplanade, Kaserne, Stadthaus, Theater, Markthallen, einen Markt im Freien unter Bäumen, einen Platz mit Buden, denn es war der Vorabend eines Festes, mehrere Kirchen; zuletzt öffnete er eine gewöhnliche Haustür in einer Straße: »Madamos«, und ich befand mich in einer dämmerigen Vorhalle, wo buntes Volk und schwarz gekleidete Damen knieten; durch ein Gitter war dieser Raum von einer dunklen Kapelle getrennt, nur der Altar im Hintergrunde strahlte in Lichterglanz und bot ein überraschendes, unvergeßliches Bild – der Priester in Weiß, die eben erhobene Monstranz durch das Dunkel blitzend, ein kleiner Chorknabe, der ein goldgesticktes Tuch hielt, und davor Reihen knieender Nonnen in Schwarz mit weißen Ueberkleidern und Schleiern. Nach beendeter Andacht standen sie auf, gingen paarweise zum Altar, verneigten sich und verschwanden durch eine Seitentür.

Um dreiviertel auf sieben war ich wieder an Bord. Dies sind die Umrisse, aber Passini's Pinsel müßte ich haben, wollte ich Euch alle die südlichen Bilder der kleinen Stadt zeigen, die auf- und niedergehenden Gäßchen, die Balkons, bald aus feinem Gitterwerk, bald krumm und schief, von roten Blumen überhangen – und wie die Frauen auf Kissen gestützt in den Fenstern lagen, die Leute hinter halbhohen Türen in den tiefen dunkeln Läden hantierten, die Kinder mit den schwarzen Augen Murilloscher Betteljungen, die buntgestreiften Tücher und ungewohnten Farbenstellungen – rosa Kleid und hellgelbes Halstuch – die Damen in Schwarz mit schwarzem Schleier als Kopfbedeckung, Babies mit Fächern und spitzen Hüten, – dann die Marktfrauen, echte Frans Hals, die alle strickten oder nähten, die Männer braun, hager, mit freier Haltung, scharfen Gesichtern und breiten Hüten – in den Kirchen die schwüle Dämmerung statt der erwarteten Kühle und draußen immer wieder der blaue Hafen und die schöne Berglinie als abschließendes Bild.

Auch die Herren waren ganz entzückt und hatten einige spanische Schönheiten gesehen; ich sah ebenfalls hinter einem Ladentische im Dämmerlicht eine ganz wunderschöne Frau, sonst fand ich aber mehr natürlichen Anstand als hübsche Gesichter, viele schöne Augen, darunter manches graue, das wohl ein Gote oder sonstiger blauäugiger Barbar im Lande gelassen, und das sich im Laufe der Zeiten in Grau verwandelt hatte. Alte Zigeunermütter gab es in Menge; ich sah eine Alte so in Fetzen, daß es erstaunlich war, wie sie überhaupt auf ihr zusammenhielten.

Nach dem lebhaften Eindrucke von Coruña fiel Lissabon etwas ab, vielleicht auch, weil ich mir zu viel davon versprochen hatte.

Schon wurde die Möglichkeit erwogen, einen Abstecher nach Cintra zu machen, dessen Königsschlösser, märchenhafte Gärten und unvergleichlicher Rundblick einem so oft beschrieben worden sind, allein dichter Nebel verzögerte die Ankunft um kostbare Stunden. Endlich brach die Sonne vor und das weltberühmte Panorama lag in voller Schöne vor uns. Besonders überraschend war mir die gewaltige Breite des Tajo. Unsere Brasilianer nahmen mich freundlich mit, als sie sich in die Stadt begaben. Der erste Eindruck ist imposant; ein großer, halbrunder Platz am Kai, mit einem prächtigen Torbogen, durch den man, sozusagen, die Stadt betritt. Es war Sonntag, dazu außerhalb der Stadt ein Stiergefecht, infolgedessen die breiten schattenlosen Straßen wie ausgestorben; mein Ehepaar, im Süden zu Hause und gänzlich unbeschwert von den Assoziationen, die einen so wesentlichen Reiz des Reisens ausmachen, hatte keine Ahnung von dem, was mich interessiert hätte. Planlos schlenderten wir durch die glühenden Straßen, saßen auf einem schattigen Platz hinter einem Springbrunnen und strandeten endlich in einem Hotel, wo wir dinierten. Mühselig, als hätte ich Blei an den Füßen, stieg ich die Treppen hinauf, die Stufen wogten unter mir, doch erholte ich mich bald in dem kühlen Speisesaal, auf dessen Tapete zu meiner stillen Belustigung die Geschichte von Amor und Psyche grau in grau in halbgroßen Figuren zu sehen war, genau in derselben Art, wie auf der alten Tapete einer sächsischen Kaffeewirtschaft, durch die ich zuerst die traurigen Schicksale von Paul und Virginie kennen lernte.

27. August. Las Palmas.

»Grand Canary Engineering Co.« ist das erste, das einem bei der Einfahrt in dreimal mannshohen, kreideweißen Buchstaben an einer Bergwand in die Augen springt. Die Engländer sind praktische Leute, aber erfreulich ist der Anblick nicht.

Hat man sich von der Engineering Company erholt, so erblickt man die übrigen Felsen und Bergreihen, die den kleinen Hafen umgeben, die aufsteigenden Häuser der Stadt mit der zweitürmigen Kathedrale und die Dampfbahn, deren leichte offene Wagen die Bucht entlang fahren. Jeder hatte Hoffnungen auf Las Palmas gesetzt; der Doktor wollte Stickereien für seine Schwestern kaufen, mir schwebten Kinderkleidchen vor, einige sprachen von Kanarienvögeln, und alle wollten an Land; so lagen wir und warteten.

Endlich kommt das Boot, in dem der Arzt, der Agent und die Douane sitzt, statt aber an Bord zu kommen, entsteht ein endloses Parlamentieren. Der Kapitän und der erste Offizier reden von der heruntergelassenen Treppe in die Leute hinein, die unten die Achseln zucken, und man hört das Wort »Cholera« auf und nieder. Zuletzt erfährt man, daß gestern ein Telegramm aus Antwerpen eingetroffen ist mit der Meldung, dort sei die Cholera ausgebrochen, und jedes von dort kommende Schiff in Quarantäne zu erklären. Da lagen wir! – Das Boot stößt ab und verweigert nicht allein die Annahme der für Las Palmas bestimmten Passagiere, sondern sogar die des unschuldigen Briefbeutels, den der Zahlmeister winkend in die Höhe hält. Genug, es war nichts zu tun, wir mußten aus der Bucht hinaus und außerhalb vor Anker, wo uns die Dünung wieder faßte und auf und nieder trug. Kein Boot konnte anlegen, doch brachte ein kleiner Dampfer zwei ungefüge Kohlenkähne und ein Boot mit Wasser, und drei- oder viermal kam der Agent zurück und die Verhandlungen begannen aufs neue, ohne zu einem anderen Resultat zu führen. Endlich, gegen fünf Uhr, jagte nochmals der kleine Dampfer mit dem unermüdlichen Agenten heran, diesmal aber in Begleitung zweier Polizeibeamten; sie hatten noch ein kleines Boot mit sich, aus dem erst alle Körbe und Sachen, die hätten angesteckt werden können, vorsichtig entfernt wurden, dann durften die zwei Männer, die nach Las Palmas wollten, einsteigen. Das Boot tanzte so arg, daß es immer, wenn sie ein Bein ausstreckten, mannstief unter ihnen fortglitt, endlich fielen sie glücklich hinein und nun nahm die hochlöbliche Behörde auch den Briefbeutel, aber mit zwei Fingern, wie man eine Raupe anfaßt, legte ihn in einen durchlöcherten Kasten, um ihn zu räuchern, hielt sich auch die ganze Zeit über eine Flasche mit desinfizierendem Inhalt vor die Nase. Der Doktor war wütend: »Diese Bande, die man selber nicht mit der Ofenzange anfassen möchte!« Abends hatten wir glücklich unsere Kohlen und dampften davon. Der Tag war indessen auch für uns des Aufenthalts wert gewesen.

Die Berge sind freilich kahl, aber mit einer Pflanze bedeckt, die wie Heide wirkt; sie schimmerten rötlich, grünlich, grau und violett, immer wechselnd, denn Nebel und Sonne kämpften den ganzen Tag gegeneinander, und rings gegen das steile Ufer donnerte die schneeweiße Brandung, die hoch fortspritzte über das zackige Riff, das die Bucht von der Seite umschließt. Dazu rollten so lange und so hohe Wellen heran, wie ich noch keine sah; es war wunderbar, zu beobachten, wie sie langsam anschwollen zu unbegreiflicher Höhe und Breite, bis sie überkippten und den weißen Kamm weithin schleuderten; darin jagten die wilden kleinen Dampfer hin und her, bald ganz verschwindend, bald hoch aufragend. Unsere Herren bewunderten wiederholt das sichere, furchtlose Fahren. Und was waren das für einfache Farbenkontraste! Das durchsichtige Tiefblau, auf dem die Schiffe schwebten wie auf blauer Luft, die hellgrünen Boote und schwarzen Kähne mit den dunklen Kerlen darauf, die malerische Wirkung der roten Faja (Schärpe), der gestreiften oder gewürfelten Jacke, der Hose, die nur noch aus verschossenen Flicken bestand.

»Für die gäbe ein Düsseldorfer Maler auf der Stelle dreißig Mark!« rief Herr v. d. Brucken begeistert, aber die Hose allein täte es eben nicht; es gehört der Reiz der Gesamtfärbung dazu, »das große, stille Leuchten.« Selbst Herr v. d. Brucken unterlag der Versuchung, denn als ich in die Ecke kam, wo ich meine Farben schüchtern verborgen hatte, fand ich ihn stehlend davor.

28. August. Es wird heiß; ich lasse die Türe offen und ziehe nur den Vorhang zu, so ist doch etwas Zug zwischen Fenster und Salon, wo nachts zwei Lampen brennen und eine Wache sitzt, wenn auch nur einer der kleinen Stewards.

Zum Nachtisch gibt es Obst aus Las Palmas; die Apfelsinen sind noch grün und sauer, die Trauben blau und klein, die Bananen nicht besser, als man sie auch in Berlin bekommt. Dabei fällt mir immer die erste Banane ein, die ich kostete; es war auf einem kleinen Diner bei Frau vom Rath. Die reizende Wirtin schälte sie kunstgerecht, zerschnitt sie mit Anmut und ließ sie herumreichen, und jeder nahm ein Stückchen – hier ißt man so viel man mag, und ob jemand etwas dabei denkt, kann man nicht wissen.

29. August. Mein erstes Seebad; das Wasser ist salzig wie starke Sole. Bei Tisch wurde der Schrecken eines alten Fräuleins geschildert, das ein Abendbad nahm, »weil sie sich bei Tage genierte« und vor Entsetzen schrie, als sie einen Feuerstrom in die Wanne schießen sah. Abends ergötzt uns Herr v. d. Brucken, indem er mit Herrn Quentchen auf der Schulter galoppiert; später will der Doktor einen Tanz beschreiben und tanzt mit Herrn Quentchen als Dame, zu allgemeinem Spaß.

Dann kommt der unvermeidliche Skat; währenddessen sitze ich mit Frau Vloet, der Brasilianerin, zusammen und sie erzählt mir von ihrem Haushalt und Leben in Espiritu Santo und mischt in ihrem Eifer Französisch, Portugiesisch und Italienisch untereinander. Zu meiner Ueberraschung stellt sie sich als Oesterreicherin heraus, aus einem kleinen Orte bei Triest gebürtig. Sie war noch Kind, als ihre Eltern nach Brasilien auswanderten, wo es ihnen – der Vater war Bäcker – sehr gut ging; doch verlor sie die Eltern schon früh. Immer jedoch blieb ihr die Sehnsucht nach der alten Heimat, und als sie nun nach Europa gingen, um ihre Schwiegermutter in Antwerpen zu besuchen, wollte ihr Mann ihr diesen Herzenswunsch erfüllen. Es war aber eine traurige Freude; die Eisenbahn war durch das abgelegene Bergstädtchen geführt und sie erkannte es kaum wieder. Von alten Bekannten fand sie niemand mehr, selbst das kleine Vaterhaus suchte sie vergebens. Verwandte besitzt sie nicht, aber – aufleuchtend – der Mann hat sieben Brüder, teils im »negocio«, teils hätten sie »facendas«, und alle wären verheiratet und in der Nähe ansässig. Die Schwägerinnen sind protestantisch, katholisch, deutsch, französisch, italienisch und brasilianisch, die durchgängige Sprache ist natürlich portugiesisch. Trotz so verschiedenartiger Elemente schilderte sie den Familienverkehr als sehr lebhaft und herzlich, und die vielen Neffen und Nichten ersetzen ihr den Mangel eigener Kinder. Das Herzblatt von allen wäre der kleine Franz gewesen; auch der portugiesische Hausarzt, der seiner vielen deutschen Patienten wegen gern sein Deutsch ein wenig klingen ließ, pflegte nie auf seinem Morgenritt vorbei zu kommen, ohne dem Kleinen zuzurufen: »Nun, Franz, wie geht's?« Dann antwortete Franz zu allgemeiner Freude stramm: »Särr gutt!« Eines morgens stand er auch vor der Haustür und rief seinem Vater, der wie gewöhnlich in die Stadt ritt, wiederholt nach: »Adieu, Papa! Adieu, Papa!« so daß der Vater sich mehrmals nach ihm umwandte. Bald darauf spielten die Kinder Verstecken und Franz kroch hinter ein großes Faß, das gegen den Lagerraum gelehnt war; durch den Anstoß kam es aus dem Gleichgewicht und fiel auf den Kleinen, und obwohl sofort Hilfe zur Stelle war, kam er doch nicht wieder zu sich. Selbst der Doktor konnte die Tränen nicht zurückhalten, als er den kleinen Liebling sterben sah, und die arme Mutter kann sich noch immer nicht trösten. Frau Vloet zeigte mir zutraulich all die kleinen Geschenke, die sie für die Ihrigen mitbringt, darunter einen emaillierten Kranz aus Rosen und Vergißmeinnicht für diese Schwägerin. Nichts anderes würde sie so erfreuen, als ein Schmuck für das liebe kleine Grab. »Er liegt ganz hinten in ihrem eigenen Garten, da kann sie doch alle Tage zu ihm.«

30. August. St. Vincent. Wir blieben nur wenige Stunden. Es ist wie Las Palmas ein schöner Naturhafen zwischen öden Gebirgszügen. Merkwürdig ist mitten in der Bucht ein steil aufragender Fels, der ein Leuchtfeuer trägt, als wäre er eigens für diesen Zweck dahingesetzt.

Der ganz kleine Ort auf dem niedrigen Schwemmland muß ein trostloser Aufenthalt sein; nichts gedeiht dort als die große englische Kohlenstation. Vieh und Lebensmittel kommen von der Insel S. Antonio, die gegenüber die Bucht mit blauer Gebirgswand abschließt.

Eine Menge Jungen in allen Schattierungen von Gelb, Braun und Schwarz ruderten unermüdlich um das Schiff und schrieen: »Una groscha! Una groscha!« und tauchten nach zugeworfenen, im Seewasser langsam sinkenden Nickelstücken; nach Kupfer gehen sie nicht. Sie bemerkten gleich, daß ich zeichnete und riefen grinsend: »Madame dessine!«

1. September. Diese Nacht sollen wir die Linie passieren; die Taufe fällt also mit der Feier des Sedantages zusammen. Natürlich erschienen bereits die Abgeordneten Neptuns, um ihn zu morgen anzumelden, vermummte Kerle in Flachsbärten und umgekehrten Pelzen. Sie verkehrten sehr kameradschaftlich mit dem Kapitän, fragten »Woher?« und »Wohin?« und »Was er für eine Reise gehabt hätte?« »Eine sehr gute,« sagte er. Es war kühl und schön, man blieb lange auf Deck und ging spät zur Ruhe. Eben verlor ich das Bewußtsein, als plötzlich das ganze Schiff bebte, die Schraube wildklappend umlief und gleich darauf gänzlich stillstand. Aengstliches Rufen und Fragen aus allen Kabinen, nur aus Herrn Quentchens Kammer ein lautes »Ha! ha! da haben wir's!« Ich zog mich an und traf den Kapitän im Hinaufgehen: »Es wäre an der Maschine etwas in Unordnung, er wolle sehen, was es wäre.« Auch die anderen kamen nach und nach; der Doktor furchtbar ernst: »Was es ist, weiß man noch nicht, ein schwerer Unfall ist es jedenfalls.«

Endlich wurde festgestellt, die Welle wäre gebrochen, doch dränge zum Glück kein Wasser ein.

Hier liegen wir nun, ohne Steuerung, auf- und niedergetragen von der Dünung, mit wenig und widrigem Winde, und treiben, wie es Gott gefällt, bis wir einen Dampfer treffen, der uns schleppen kann, je nachdem er von Nord oder Süd kommt, nach Rio, Lissabon oder St. Vincent. Das ist ein harter Schlag. Ich sage mir umsonst, daß es eine große Unannehmlichkeit ist, aber doch kein Unglück, – daß noch nicht alles verloren ist. Ich war schon in solcher Sorge, zu rechter Zeit zu kommen; der »Regulus« wartet nicht, kann auch nicht warten. Wenn der Dampfer nicht programmmäßig einkommt und man über seinen Verbleib in Unsicherheit ist – Jürgen muß fort.

Heute Morgen – 2. September – kam schon ein Dampfer, aber in zu großer Entfernung. Er sah unsere Notflaggen und die drei geheißten Körbe nicht; man schoß die Kanone ab, aber ohne Erfolg.

Das ist ein trauriges Sedanfest, und man hatte sich so darauf gefreut und es den Brasilianern als unseren großen Nationalfesttag geschildert.

»Wir haben es schon untereinander gesagt,« sagte mir die nette Stewardeß, »es ist schlimm für alle, aber für die gnädige Frau ist es am schlimmsten.«

Rührend bekam ich bei Tisch von allem zuerst angeboten und der kleine Steward sprang nach Obst für mich; man tröstet mich, es könne ja noch alles gut werden, wenn der Dampfer noch zur Zeit käme. – – – Wenn! –

3. September. Niedergeschlagenheit beim Frühstück. Herr Vloet befürchtet eine empfindliche Einbuße in seinem Geschäft, Herr v. d. Brucken, Herr Quentchen und der Doktor beklagen ihre Eltern, die das Ausbleiben des Dampfers in Angst und Sorge versetzen wird. »Wenn sie nur wüßten, daß es uns hier an nichts fehlt,« sagt Herr Quentchen. »Wir haben Reis und Sardinen, Ochsen und Kartoffeln und können ad libitum Wasser kondensieren; man sollte es sich zur heiligen Pflicht machen, sich nie vor der Zeit zu ängstigen.« Wenn man das könnte!

Oben machen sie Welle und Steuer fest; das Deck liegt voller Taue und Ketten, überall singen und ziehen die Matrosen, und die verstörten Passagiere sitzen in den Ecken und wo sie am wenigsten im Wege sind.

Plötzlich ein großes Geschrei: »Die Kanone! An die Kanone! Ein Dampfer! Un vapor!« – in allen Sprachen.

Der Doktor und der zweite Maschinist stürzen an die kleine Kanone; der erste Offizier befiehlt einem Matrosen: »Sag mal im Zwischendeck Bescheid, daß die Frauen und Mädchen sich nicht erschrecken!«

Schuß auf Schuß – umsonst. Man heißt die Notflaggen – nichts. Man zieht die große deutsche Flagge auf – der Dampfer wendet und schießt in gerader Linie, eine große weiße Schaumwelle vor dem Bug, auf uns los.

Ob er Kohlen genug hat, uns zu schleppen?! – Es ist, scheint's, ein Belgier. – Nein, ein Engländer. – Es wird hin und her signalisiert, ein Boot fertig gemacht, in das der erste Offizier, Herr Schmidt, mit vier Mann oben einsteigt und hinunter gelassen wird, unter dem brennenden Interesse der gesamten Duodez-Monarchie. Jetzt sah man erst, wie hoch die Dünung war. Denkt Euch ein Boot, in das man sich unten auf der Straße setzt und das in demselben Augenblicke vor den Fenstern des ersten Stocks auftaucht.

Eine halbe Stunde wenigstens kämpfte es sich in großem Bogen bis zu dem Schiffe hin; Kopf an Kopf stehen die Leute an der Reeling. »Da ist Herr Schmidt!« tönt es mit Erleichterung von allen Seiten, als die blaue Hünengestalt und weiße Mütze des sehr beliebten Offiziers auf dem Verdeck des Engländers erscheint. Man verwendet kein Auge von dem Dampfer, auf dem sich die folgenschwere Unterhandlung abspinnt. Endlich erscheint Herr Schmidt wieder, das Boot treibt ab, der Dampfer dreht. »Er geht fort!« – Nein, er kommt; man sieht, wie das Boot ein Tau einholt, wie es mehrfach entgleitet und wieder eingeholt wird. Endlich kommt es zur Baltimore zurück, wo man ihm ein anderes zuwirft. Herrn Schmidts Stimme über den Wassern ist heiser vom Kommandieren; nach Stunden erst gelingt es, die Taue zu verbinden und Herr Schmidt, rot wie ein Krebs, kommt an Bord; man erfährt nun, daß uns der Dampfer nach St. Vincent zurückschleppen wird, wo wir mutmaßlich die »Weser« treffen und unseren Weg fortsetzen können. Wäre dieser Dampfer nicht gekommen, so liefen wir Gefahr, Wochen und Monate zu treiben, wie dies unlängst einem Schiffe geschehen sein soll; wir lagen nicht still, Wind und Strömung trieben uns nach Osten aus dem Track der Dampfer hinaus; das Schiff wäre als vermißt rapportiert worden und all die Unseren hätten uns verloren gegeben.

»Das war wieder Glück!« wie Pater Lorenzo zu Romeo sagte, doch leider kann der praktische alte Herr in diesem Falle nicht hinzusetzen: »Geh du zu Julien, wie's beschlossen war!«

Herr Schmidt, der ein großer Philosoph ist, läßt sich gern vernehmen: »Wer seit neunzehn Jahren die See befährt, der weiß, was eine Fügung ist,« und »man weiß nie, wozu eine Sache gut ist« – wozu sie schlecht ist, weiß man meistens besser. Indessen will ich die Flinte noch nicht ins Korn werfen.

4. September. Für den Augenblick sind wir in die Region der tropischen Regen zurückgekehrt; es gießt mit Heftigkeit, aber das Schiff geht ruhig, wie nie zuvor, kein Rattern und kein Rollen, nur ab und zu stampft die lose Schraube. Ich sitze unten und schreibe, Frau Vloet näht sich eine Bluse, Herr v. d. Brucken pfeift in seiner Kammer zur Guitarre: »Uebers Jahr, übers Jahr, wenn i' wiederum komm.«

Beim Frühstück überrascht uns der Doktor durch den kühnen Ausspruch, es lohne sich nicht mehr zu heiraten, wenn man schon dreißig Jahre alt wäre, und die Heiterkeit wird noch gesteigert, als Herr Schmidt bemerkt, er seinerseits wäre zwar froh, aus Liebe und nicht »aus Willkür« geheiratet zu haben, eigentlich aber käme es so sehr nicht darauf an, er wäre mit jeder Frau glücklich geworden! – und sieht dabei so ehrlich und gutmütig aus, daß man es ihm wirklich glauben könnte.

Den Kapitän habe ich in dieser Zeit bewundert; ihn trifft dieses Mißgeschick in mehr als einer Beziehung; seine Reise ist verdorben, er verliert die Frachten, die er nicht kontraktmäßig abliefern kann, zu allen Unkosten hat der Lloyd dreißig- bis sechzigtausend Mark an den englischen Dampfer zu zahlen, – da wäre er wohl entschuldigt gewesen, wenn man ihm etwas Verstimmung angemerkt hätte, aber immer war er gleich ruhig und gütig, hatte ein freundliches Wort für jeden, sah einen nie, ohne die Dampfer herzuzählen, die des Weges kommen müßten, und behielt seine Sorge und Unruhe für sich. Nur beiläufig sagte er gestern, er habe die ersten Nächte nach dem Unfall nicht geschlafen – »so etwas muß man erst verarbeiten, wissen Sie.«

Die »Cranford« – ein Frachtdampfer mit dreißigtausend Sack Mais beladen – hat übrigens unsere Schüsse nicht gehört, sondern gesehen und daraufhin durch das Fernrohr gesucht, ob wir Notflaggen führten.

Der Kapitän kann lachen – er macht nicht einmal einen Umweg, denn er war nach St. Vincent bestimmt, und nach englischem Recht bekommen er und die Mannschaft den halben Schlepplohn, wenn die Leute nicht beim Mustern, wie öfter vorgesehen wird, auf solche Gratifikationen verzichtet haben.

7. September. Heute hätten wir in Bahia ankommen sollen!

Sonnenuntergang in allen Schattierungen vom hellsten Gelb bis zum grünlichsten Tiefblau, oben über das Blau gegossen ein intensives Rot – ist bald gesagt, aber das Durchscheinende der Farbe und das weite goldwogende Meer mit Indigo-Untergrund, das muß man sehen, um es zu glauben.

Und nun der Mond; hier ist er golden und blendet. Dies ist der zweite Morgen, an dem ich ihn vom Bette aus beobachte, in Glanzblicken durch finstere Wolkenmassen brechend und das Meer mit Funken überblitzend, der strahlende Vollmond des Morgens um halb sechs!

Die Sonne, die bereits im Norden kulminierte, steht jetzt wieder im Süden, und das Kreuz, das man bei klarem Himmel schon hätte sehen müssen, ist wieder versunken.

8. September. Gestern hat mir Frau Vloet den Inhalt des Vicomte de Bragelonne erzählt, als wäre sie dabei gewesen, und als wir heute nähend beisammen saßen, fragte sie mich, ob ich Rosa di Tannenburgo gelesen hätte, di canonico Schmidt?! Ich sagte, es wäre lange her, und nun fing sie an, es mir zu erzählen, halb französisch, halb portugiesisch, so ernsthaft und treuherzig, als wäre es eben passiert, und nichts von den romantischen kleinen Zutaten, mit denen der wackere canonico seine unschuldige Erzählung würzt, ging verloren; der Edelmut des Gefangenen, den sie als »homme multo bombom« bezeichnete, die Freude des »Greises«, seine Tochter wiederzusehen, beschrieb sie mit Tränen und zuckenden Lippen. Das hätte man nicht auf dem 16. Gr. n. Br. und dem 25. Gr. w. L. zu hören erwartet!

Es weht gehörig, wenn nur die Taue nicht brechen!

9. September. Dieser Brief beißt sich in den Schwanz, wir sind in St. Vincent. Morgen wären wir in Rio gewesen! Wir fanden hier sieben große Dampfer vor, darunter der »Kronprinz«, aber noch nicht die »Weser«, die uns weiter bringen soll. Auf das Telegramm, das der Kapitän an den Lloyd geschickt hat, ist bis jetzt nur der Bescheid gekommen, daß weder der »Kronprinz«, noch die auf der Rückreise begriffene »Leipzig« die »Baltimore« nach Haus schleppen solle, eine große Annehmlichkeit für uns, denn nun können wir an Bord bleiben und brauchen nicht erst in ein schmutziges Gasthaus an Land zu gehen.

10. September. Eben ist die »Leipzig« aus Rio eingetroffen; sie hat dort Proviant für den »Regulus« abgegeben, der zu meinem Schrecken schon jeden Tag erwartet wurde.

Wenigstens war in Rio kein Fall von gelbem Fieber gewesen, das ist tröstlich, doch haben alle Schiffe, die Bremen nach dem 15. August verlassen haben, der Cholera wegen Quarantäne; hätten wir die Schraube nicht gebrochen, so wären wir also gerade noch ohne Aufenthalt hineingekommen.

Ich habe nach Rio telegraphiert und zittere nun vor dem Donnerwort: »zu spät!« – mir ist zu Mute wie Moses, da er vom Gipfel des Horeb das gelobte Land sah, das er nicht betreten sollte.

11. September. Ein miserabler Tag; es war Sonntag, also auf kein Telegramm zu hoffen. Immer sehe ich mich im Geiste allein umkehren. – Ich habe gar keine Hoffnung mehr.

12. September. Heute fuhr der Kapitän an Land und brachte das Telegramm: »Take next steamer.« Nimm das nächste Dampfschiff. Alles kam und beglückwünschte mich; Frau Vloet hatte Tränen in ihren hübschen Augen.

13. September. Wir erwarten mit Ungeduld die »Weser«, die überfällig ist.

Ich komme eben von Deck, wo ich gesessen habe, das Land der Griechen mit der Seele suchend.

Sonst kommen manchmal sechs, sieben Dampfer den Tag, jetzt läßt sich kein Schornstein sehen und es weht, daß die Brandung noch einmal so hoch aufschäumt. Der Kapitän meint, so würde man die Passagiere gar nicht übernehmen können.

Trotz der Wellen kam ein kleines Dampfboot längsseit, dem ein dünner brauner Herr entstieg, der Quarantänedoktor, der zu Tische gebeten war und sich als ein sehr wohlerzogener junger Mulatte erwies; er hatte in Paris studiert und sprach ein elegantes Französisch und ganz nett englisch; erzählte auch angenehm von einer wissenschaftlichen Reise in Senegambien, auf der seine Gefährten gestorben waren und er sich Malaria geholt hatte. Nun ist er seit einem Jahr hier und klagt sehr über das Klima, das so gesund wäre; er hätte fast nichts zu tun, sterben täten die Leute hier überhaupt nicht, und wirklich ist der gegenüberliegende große Kirchhof noch ganz leer. Im Innern der Insel gäbe es sehr hübsche Stellen, mit Orangen- und Tamarindenbäumen, Gras und Blumen; dann beschrieb er, wie wundervoll S. Antonio wäre, wie viel allein die Ausfuhr an Kaffee betrüge, ungerechnet, was Gemüse, Apfelsinen, Bananen und Zuckerrohr einbrächten.

Nach Tisch, als man sich auf Deck vergnügte, kam ein großer englischer Dampfer, sogleich erschien auch des Doktors kleines steamboat und er enteilte, seiner Pflicht nach.

Herrlich kam gestern ein italienischer Dampfer ein, so schön und stattlich, daß die Herren sein scharfes und elegantes Vorderteil nicht begeistert genug rühmen konnten. Als er sich näherte, flogen seine Flaggen auf und sogleich kamen ihm einige kleine Dampfer durch die Wellen tanzend entgegen; er grüßte uns artig im Vorbeifahren. Wäre ich nur nicht so ungeduldig, fortzukommen, ließe ich mir den Aufenthalt gerne gefallen; Felsen, südliches Farbenspiel und Schiffsverkehr bleiben immer schön und neu.

14. September. Sturm und hohe See. Ein Segelschiff kam in Sicht und gleichzeitig signalisierte die Station vom Leuchtturm: »Schiff in Not, Mast verloren.« Nicht lange, so schossen zwei kleine Dampfer wettlaufend durch die Wellen auf das gefährdete Schiff zu, das beängstigend schwankte, ihnen nach fünf bis sechs Ruderboote wie schwarze Striche, nur durch das Glas zu erkennen. Auf dem Felsen gegenüber war es schwarz von Menschen, ebenso der Fuß des Berges im Windschutz mit Leuten besäumt.

Deutlich sah man, wie die schwarzen Punkte das Schiff erreichten, das der eine Dampfer mit schleppendem Mast und Takelwerk nach etwa einer Stunde glorreich einbrachte, gefolgt von all den tapferen kleinen Booten.

15. September. Ein englischer Dampfer, aber nichts von Norden. Wir sitzen hier wie auf Salas y Gomez. Der Kapitän hat nach Las Palmas telegraphiert und die Antwort lautet, wie zu erwarten war, daß die »Weser« längst vorüber ist.

Ein Pläsier ist es auch nicht, beständig die schwarzen Zollwächter um sich zu haben, die Tag und Nacht auf dem Hinterdeck sitzen, auf unseren Bänken liegen und uns mit ihren gräulichen Zigarren anräuchern, wenn sie auch sonst bescheiden sind. Während sie hinten herumlungern, könnte man vorne schmuggeln, was man wollte.

16. September. Kein Schiff! Kein Schiff!

17. September. Fünf Schiffe, aber keins von Norden.

Unsere Augen können wir nicht aufheben zu den Bergen, von denen uns Hilfe kommt – wir sehen den ganzen Tag auf das Stückchen Meereseinfahrt, durch die das erlösende Schiff erscheinen muß.

18. September. Kein Schiff! Kein Schiff! Eins nach dem andern geht, alle nach Norden, keines nach Süden. Die See ist wieder durchsichtig und blau, die Berge violett, aber man hat kein Auge mehr dafür, wenn die Angst einem so das Herz zusammenschnürt. Morgen ist ein italienischer Dampfer fällig, aber wir müssen ihn sehen, um an ihn zu glauben.

Gestern früh gingen einige der Herren an Land und kamen erst um sieben Uhr abends zurück, sie hatten sich verklettert und nichts genossen, als etwas Kognak. Der eine kehrte mit blutigen Knien und Händen wieder, er hatte rittlings auf einem Grat gesessen und weder vor noch rückwärts gekonnt. Verzweiflungsvoll habe er durch seine Brillengläser nach oben und nach unten geschielt, wie ein Chamäleon, erzählten die anderen mit gutmütigem Spott. Um einen großen Umweg zu vermeiden, hatten sie durch ein Stück Brandung gemußt, und ein alter Neger, der auf einem Felsblock saß und fischte, hatte ihnen ihren Anzug Stück für Stück an seinem schweren Angelhaken übergeholt. Als sie sich nun eben auf der anderen Seite wieder angezogen hatten, vermißte Herr v. d. Brucken seinen Stock, mußte also die Prozedur wiederholen; sie sahen dann zwei ziemlich große Haifische ganz nah und waren froh, nicht »gekniffen« worden zu sein.

Herr Quentchen brachte mir ein Exemplar der niedrigen kleinblättrigen Fettpflanze, die den Bergen die grünlichbräunliche Färbung gibt. Seit dem Regen haben wir eine Menge Heuschrecken; von Zeit zu Zeit ein trockner kleiner Schlag und es springt irgendwo eine Heuschrecke, doch sind sie harmlos.

Das Badewasser hat 26° R., aber da man bekanntlich nach warmen Bädern friert, ist die Nachwirkung doch erfrischend.

19. September. Der schönste, kühlste, blau'ste Sonntag, aber kein Schiff! – Nach Tisch spielten alle shuttleboard an Deck, als plötzlich der erwartete Italiener erschien. Morgen sollen wir fort, und so werde ich doch noch, will's Gott, Rio zur Zeit erreichen.

20. September. So sehr wir die Abreise ersehnten, macht uns doch der Abschied das Herz schwer. Es gab Champagner zu Tisch »mit Herrn Vloet's Komplimenten«. Herr Vloet hielt eine kleine dankbare Rede und man trank auf das Wohl des Kapitäns und allseitige gute Reise, nur der irrepressible Herr Quentchen leerte sein Glas auf fröhliches Wiedersehen in St. Vincent, wenn der Italiener die Schraube gebrochen haben würde!

Nachdem man noch hatte warten müssen, bis der Obersteward jedem seine Rechnung zustellte – er hatte sich betrunken und eingeschlossen – fand endlich um halb sechs die Uebersiedelung statt.

So sind wir denn wirklich an Bord des Schnelldampfers »Città di Genova« von der Gesellschaft Veloce. Unser alter Kapitän mit dem Doktor brachte uns selbst hin, hatte alles für uns berichtigt und besorgt, ließ uns noch in seiner Gegenwart unsere Kabinen anweisen, dann Händeschütteln mit nassen Augen und fort waren sie. Wir fünf Neuen sahen uns in einem großen Eßsaal mit schmutzigem Tischtuch, Bänken ohne Lehne, alles vernachlässigt, die Stewards in zerschlissenen Livreen, die Betten mit unglaublich groben, aber zum Glück reinen Laken, das Mittschiff dicht gedrängt von Auswanderern, meistens Italienern in ihren kleidsamen Trachten, einige nett und ordentlich, andere aber schrecklich; ich sah ein etwa sechzehnjähriges Mädchen am Busen ihrer Mutter ruhen und diese ihr frank und frei den Kopf absuchen.

Die Stewardeß ist eine alte Hexe in rotem Rock und Kopftuch, namens Francesca. Unsere Genossen sind drei oder vier junge Damen mit ihren Kavalieren und einige einzelne Herren. Dazwischen sitzen wir armen Deutschen wie verraten und verkauft und grauen uns vor jedem Bissen, denn das Essen ist uns nicht nur ungewohnt, sondern auch so uneinladend wie möglich; bei Tisch wischt jeder seinen »reinen« Teller ungeniert mit der Serviette ab. Wenigstens habe ich nun meinen Koffer erlangt; bis jetzt hatte ich nur meine Plaidtasche, in die ich zum Glück allerhand Nötiges gesteckt hatte.

Eine große Annehmlichkeit ist indessen das elektrische Licht; die Kabinen sind einfach ausgestattet, aber geräumig, die Fenster sehr groß, auch die Ventilation vortrefflich und das Deck hoch, was sehr nötig ist, denn die unmittelbare Nähe der Zwischendecker, die bis an die Schwelle des Eßzimmers lagern und die Treppen besetzen, ist sehr lästig; abgesehen von den menschlichen Gerüchen, kommt zu dem üblichen Garküchenduft noch Zwiebel-, Oel- und Waschdunst; dazu schnupfen die Italiener, und was mittschiffs geraucht wird, kann man sich denken. Die arme Frau Vloet sitzt abwechselnd, so lange sie es aushalten kann, oben oder unten, immer mit dem Taschentuch vor dem Gesicht. Und das in der Mitte des freien Ozeans mit der herrlichsten Luft rings umher! So jämmerlich saßen wir gestern beieinander, daß Herr v. d. Brucken losbrach: »Wenn das meine Mutter wüßte!«, was ich auch schon hundertmal gedacht hatte. Welch ein Paradies wird der »Regulus« sein nach diesem Fegefeuer!

Und dieses »verwohnte« Dampfschiff ist erst drei Jahre alt, wunderschön geplant und gebaut; das erschreckliche Schaukeln wäre allerdings nicht abzuändern, denn es ist als Schnelldampfer sehr hoch und schmal. Uebrigens führt es keine erste Klasse; das erklärt die Einfachheit, entschuldigt aber nicht den Schmutz.

Morgens um halb acht gibt es schwarzen Kaffee, der untrinkbar ist oder erbärmlichen Tee, in dem man trübselig seinen steinharten Schiffszwieback zu erweichen sucht. Um zehn Uhr colazione, Brühe, Mettwurst, Omelettes aux tomates, Reis mit Huhn, Käse, Bananen und Aepfel, um vier Uhr Diner, »und dann können wir ein Kreuz machen und zu Bette gehen«, sagt Herr Vloet.

Herr Quentchen ist ein wahrer Segen für uns; es richtet einen selbst auf, wenn man jemand bei allen Widerwärtigkeiten immer guten Humor behalten sieht.

Indessen die Tage vergehen und die Luft ist frisch und kühl. Heute nacht wollte ich das Fenster schließen, weil der Wind so heftig wurde; der Himmel war bezogen, nur nach Süden hin eine freie Stelle und darin strahlte mir zum ersten Male klar und herrlich das Kreuz entgegen.

21. September. Die arme Frau Vloet ist ganz elend und genießt fast nichts mehr, weil ihr alles widersteht; ihr Mann ließ ihr Kartoffeln in der Schale kochen, die man wenigstens ohne Verdacht essen kann. Diese armen Leute haben wirklich Unglück. Die Hinreise nach Marseille machten sie auf einem Schiffe der Messageries maritimes und konnten nicht genug erzählen, wie entsetzlich es da gewesen wäre. Nun waren sie ganz glücklich auf der »Baltimore« gewesen, nie wieder würden sie auf einem anderen als deutschen Schiffe fahren, versicherten sie; da müssen sie es von neuem so unglücklich treffen.

Ein undefinierbares Gericht wurde gestern aufgetischt, es sah aus wie Bandwurm mit Tomaten und war zu den frutti di mare gehörig. Heldenmütig wollte ich es versuchen, konnte aber mit dem Messer nicht durchdringen. Auch die Suppe, dick wie Gemüse aus Kartoffeln, Bohnen und Maccaroni, war für mich uneßbar. Der Steward Luigi flüsterte mir zu, ob ich lieber Brühe wollte, was ich dankbar annahm. Dann sehr gute Artischocken und vortreffliches Roastbeaf – gerecht muß man sein.

Abends vollführten die Italiener einen Höllenlärm und sangen schließlich die Marseillaise.

Es macht mir immer Vergnügen, vom Deck und der Brücke aus das Gewühl mittschiffs zu beobachten; es sind ganz alte Leute darunter, in einer Familie Urahne, Großmutter, Mutter und Kind, eine andere ist mit elf Kindern gesegnet und es ist eine tröstliche Vorstellung, daß jedes Kind auf dem neuen Boden eine Hilfe und ein Reichtum sein wird, statt, wie im alten Vaterlande, eine Sorge und Last.

Was mag sich nicht alles in solch einem Haufen Auswanderer zusammenfinden! Man möchte wie Asmodäus die Dächer abheben, aber in wieviel Not und erfolgloses Ringen, in wieviele verzweifelte und gebrochene Existenzen würde man hineinsehen! Uns allen ist ein Mann aufgefallen, offenbar Deutscher, groß und kräftig, mit breitem Nacken, wetterhartem Gesicht, ergrauendem Haar, starkem rötlichen Schnurrbart. Wenn er zwischen den Italienern hinschreitet mit starken Schritten, die Zinnschüssel in der Hand, um sich seine Ration aus der Kombüse zu holen, glaubt man unwillkürlich, einen Säbel auf dem Pflaster klirren zu hören; der Kavallerieoffizier verrät sich trotz wollener gestrickter Jacke, groben Tuchhosen und abgegriffener Jagdmütze.

Das Zwischendeck ist hoch und luftig mit offener Luke, so daß man einen Teil der Frauenseite überblicken kann. Die Frauen- und Männer-Abteilung wird abends um acht Uhr durch ein Seil getrennt, unter dem sie durchkriechen.

Eines Abends tanzten zwei Männer unter großem Zudrang die Tarantella, der eine, ein hübscher Junge, machte die Dame mit solcher Anmut und Koketterie, daß ich mich lange nicht überzeugen konnte, ob es nicht doch etwa ein Mädchen wäre. Dann stopfte sich ein anderer einen Höcker und trieb allerhand Possen als Polichinell. Abends und mittags liegen Frauen und Mädchen reihenweise auf dem platten Boden und schlafen; wenn es dunkel wird, »ninnern« die kleinen Kinder, bis die Mütter mit ihnen verschwinden, die älteren sieht man sorglich ihre Strohstühlchen beiseite bringen. Das Essen soll sehr gut und reichlich sein und jeder ein großes Glas Rotwein bekommen, wie auch bei uns roter Tischwein einbegriffen ist.

22. September. Dies ist der vierte Tag, also noch sieben. Ich lege mich jetzt zwischen colazione und pranzo in die Koje, denn oben blendet es zu sehr. Auf der »Baltimore« stand das Rauchzimmer auf Deck, von einer Seite war immer Schutz und Schatten; das fehlt hier und wir haben frischen Südostpassat. Das Schiff schlingert stark und der Wind ist so feucht, daß alles sich klebrig anfaßt. Es ist sehr kühl und soll es noch mehr werden. Heute früh passierten wir die Linie; es gab Champagner zu Tisch, sonst merkte man nichts davon.

Eine sonderbare Einrichtung auf diesen Dampfern ist, daß das Personal für das Schiff und das für die Passagiere ganz getrennten Ressorts angehört. Mit dem Kapitän hat man nichts zu tun, ich habe ihn noch nicht zu Gesicht bekommen, dagegen steht ein commissario an der Spitze der inneren Verwaltung, der bei Tische den Vorsitz führt und unter Umständen die vollziehende Gewalt hat, die sonst dem Kapitän allein zusteht.

Immer von neuem bin ich überrascht von der vollkommenen Oede des Ozeans, in dem wir doch nur ein kleiner Zufall sind. Wir stürmen vorwärts Tag und Nacht, mit vierzehn Meilen die Stunde und immer das gleiche blaue Meer, »ewig wechselnd« zwar, sonst aber nichts, weder Vogel, noch Fisch, noch Qualle, noch Meerleuchten, – kein Segel, keine Rauchsäule, und wir sind doch in der befahrensten Gegend.

»Was sehen wir denn vom Ozean?« sagt Herr Quentchen. »Zwanzig Meilen von hier kann alles Mögliche sein.«

Freilich unterschätzt man die Größenverhältnisse; als unsere Welle brach, waren wir mitten in der Dampferlinie, nach den Listen mußten am Tage darauf sieben Dampfer allein aus England und Deutschland des Weges kommen, ungerechnet was von Süden erscheinen konnte und mußte, und wir begegneten nur dem einen Frachtdampfer und ohne ihn trieben wir jetzt vielleicht der afrikanischen Küste zu.

Heute sah ich einmal den Sonnenaufgang, der dieselben Farbenspiele bot, wie der Untergang, nur daß der Himmel betupft war mit Tausenden von rosa Engelsköpfchen, dazwischen perlmutterne Windstriche. Ueberhaupt habe ich nie zuvor so zerhackte und zerwehte Wolkenbildungen gesehen wie hier. Auch der erste feine Streif des jungen Mondes war zu sehen, grünlich glänzend auf dem rötlichen Grunde.

24. September. Was denkt Ihr, das ich sah, als ich aufstand?! Land! – niedriges felsiges Land und den seltsamsten Felsen, den man sich denken kann; es war die Insel Fernando Noronha, eine brasilianische Verbrecherkolonie. » Die Kerle haben es da gut,« sagte Herr Quentchen, »sie kriegen ein Stück Land und es ist sehr fruchtbar, sie haben Wasser und das gesundeste Klima, sogar die Frau dürfen sie mitnehmen.« – Nach wenig Stunden sank es blau und neblig in die See zurück. Diese Nacht war schrecklich; Licht konnte ich nicht machen, das elektrische wird um elf Uhr ausgedreht; an Schlaf war nicht zu denken, so rollte und stampfte das Schiff. Auf dem Verdeck rutscht man mit den Stühlen und jedesmal kreischen und schreien die Italiener. Wenn sie nicht oben sein können, sitzen sie unten und spielen Lotto; es sind nur diese wenigen Leute, aber der Ausrufende brüllt sein: »venti-due! – Sessanta-sei!« mit einem Pathos, als stünde er auf der Bühne und wäre eben bei der tragischen Stelle.

Ich stemme die Füße gegen den Koffer und schreibe auf den Knien, wie Humboldt, sans comparaison, anders geht es nicht. Vorhin packte ich meine Handtasche aus und fand in einer kleinen Tüte ein vergessenes Stück Ingwer; das war ein Fund!

25. September. Pernambuco, und so wäre wenigstens Brasilien erreicht. Um zweier »lumpiger Personen« willen, hält der Dampfer hier und in Bahia, sonst ginge es direkt. Von den übrigen Reisenden durfte niemand an Land, außer Herr Quentchen, der Geschäfte dort hatte. Er kam sehr niedergeschlagen zurück, denn er hatte bei einem Barbier eine Zeitung gefunden mit haarsträubenden Berichten über die Cholera in Hamburg. Wir sind alle sehr bestürzt; jeder von uns hat dort Verwandte oder Freunde. –

Pernambuco liegt auf niedrigen grünen Hügeln am Strande, rechts davon, höher und schöner, Olinde, doch waren wir zu entfernt, um mehr als den allgemeinen Eindruck zu haben. Die See ging sehr hoch und höchst merkwürdig waren eine Menge ganz kleiner Flöße, die man nur dort sieht und auf denen sich die Fischer weit in die See hinauswagen. Solch ein Floß besteht nur aus fünf oder sechs kurzen Stämmen, an denen ein braunes dreieckiges Segel klebt, wie ein Schmetterlingsflügel. Der Mann sitzt auf einer hohen Bank ohne Lehne, wie auf einem Stuhl, was sich befremdlich macht, und es sieht tollkühn aus, wenn sie so, wie auf einem Brett, über und durch die Wellen schießen; das Wasser geht beständig darüber fort, daher der erhöhte Sitz. Natürlich kamen Boote von der Stadt und boten Kokosnüsse, Ananas, grüne Papageien, Streichhölzer usw. feil.

26. September. Bahia. Auch von Bahia sah ich nur die Außenseite und diese ist vielversprechend; ein steil abfallender Höhenzug, herrlich bewaldet; da hinein und hinauf zieht sich die Stadt mit einer Menge Kirchen und Klöster, dazwischen Gruppen hoher Palmen. Der Hafen ist großartig, eine imposante Menge großer und größter Schiffe lagen vor Anker, dazwischen ein lebendiger Verkehr kleinerer Fahrzeuge, unter denen eine besondere Art großer Lastboote uns auffiel, von ein bis drei Masten, mit je nur einem, aber riesigen Segel. Sehr merkwürdig waren mir auch Einbäume aus einem glatten dunklen Stamm; erst sah ich das Kanoe selbst gar nicht, nur das tief geneigte kleine Segel und die zwei schwarzen Insassen weit auf der andern Seite überhängend, um das Gleichgewicht zu halten; diese Einbäume sollen Myrtenstämme sein und es ist wunderbar genug, das älteste, ursprünglichste aller Fahrzeuge neben den Kolossen neuester Konstruktion in Gebrauch zu sehen.

In Bahia verließ uns eine unserer Damen, eine junge Mulattin, die aus einer spanischen Pension zurückkehrte und von einem unnahbaren, fetten blonden Papa abgeholt wurde. Als wir binnen kamen, verschwand sie in ihre Kabine und erschien bald darauf in überraschender Farbenpracht wieder; blauer Hut mit Rosen, lila Kleid, grüner Sonnenschirm und hellrosa seidene Handschuhe, die sie vor freudiger Erregung kaum anstreifen konnte. Zum ersten Male sah ich jetzt die Verachtung gegen Farbige; das gesamte Dienstpersonal betrachtete das arme Kind und seinen Putz mit unverhohlenem Sarkasmus, und Luigi hatte gar die Unverschämtheit, mir einen Blick zuzuwerfen, den ich natürlich nicht verstand.

Auch Vloet's trennten sich hier von uns, da die Frau sich offenbar auf diesem Dampfer nicht erholen konnte. Sie ist schwesterlich gut gegen mich gewesen und es tat mir leid, sie zu verlieren; ich ahnte nicht, wie bald ich mich freuen würde, daß ihr der fernere Aufenthalt auf dem Schiff erspart worden war.

Von unseren Reisegefährtinnen behielten wir also nur die beiden italienischen jungen Frauen; die eine, sehr brünett, mit feinen Zügen, hatte einen unangenehmen, dicken, älteren Mann, die andere, rundlich und pikant, mit vollen roten Lippen und schönen Augen, einen jungen Lebensgefährten mit stechendem Blick und langer schmaler Nase. Es schienen kleine Kaufleute oder Gewerbetreibende zu sein. Von ihrem Italienisch konnte ich so gut wie nichts verstehen, doch hörte man öfter, daß sie sich zankten, besonders das jüngere Ehepaar, und eines Morgens beim Frühstück schlug der Mann plötzlich die Frau, ohne daß man eine Provokation bemerkt hätte, so, daß die Wasserflasche umfiel. Abends – wir Deutschen sitzen meist für uns auf der anderen Seite des Decks – hörte man drüben wieder einen Wortwechsel, der immer heftiger wurde. Das ältere Paar schien die Partei der jüngeren Frau gegen ihren Mann zu nehmen. Plötzlich Wutgebrüll, ein langgezogener Aufschrei und Röcheln, Tumult, Stühleumwerfen und Schreckensrufe: »Sangue! Sangue!« Mit entsetzten Augen stürzte die ältere der jungen Frauen an uns vorbei: »sono morta di paura!« »Ich bin tot vor Schrecken!« und eilte über die Brücke nach dem commissario. Luigi und Francesca rannten hin und her mit Schwamm und Wasser: »O Signora! O Signora!« Nach einer bangen Stille erneutes entsetztes Schreien und Ringen. Da endlich kam der Doktor und der commissario. Dieser zeigte denn auch die nötige Energie und verbot dem Ungeheuer von Mann, der noch immer sein Opfer drohend umkreiste, sich zu nähern, sonst würde er ihn schließen lassen. Die ältere Dame ging schluchzend am Arme ihres Mannes auf und nieder. Alles saß und stand verstört umher. Mit der Zeit müssen sich jedoch die Hauptakteure abgekühlt haben, denn die verletzte Frau, die oben unter Aufsicht des Arztes einige Stunden vollkommene Ruhe gehabt hatte, wurde von ihm und ihrem Manne in ihre Kabine gebracht und wir haben sie nicht wieder gesehen.

Was eigentlich vorgegangen war, ob er sie geschlagen hatte oder erwürgen wollte, erfuhr man nicht und mochte man auch nicht fragen. Niemandem fiel es übrigens ein, die Blutflecke auf Deck und Bank abzuwaschen; sie blieben, bis der Regen sie verwischte.

Wie unbehaglich das Ende der Reise durch diesen Vorfall wurde, kann man sich denken. Es war geradezu schrecklich, diesen Menschen, der von da an wie ein Mörder gemieden wurde, beständig vor Augen zu haben und mit ihm an einem Tisch zu essen. Ich fürchtete immer, die offenbare Mißachtung möchte ihn noch zu irgend einem anderen Akt sinnloser Wut hinreißen, und wagte mich nie hinauf, wenn ich nicht Herrn v. d. Brucken oder Herrn Quentchen oben wußte.

29. September. Endlich! Endlich! Heute sollen wir in Rio sein! Schon vor Tage stand ich auf, packte alles fertig, schnallte die Schirme ein, nahm meinen Gummimantel und ging an Deck. Regen und alles grau, aber was tat das! Kamen wir doch wirklich an. Hier und da zeigte sich eine Bergkuppe oder Insel, das Wetter begann sich aufzuklären. »Das Blau lappt bereits!« sagte Herr v. d. Brucken hoffnungsvoll. Bald kam auch links der berühmte Zuckerhut, rechts das Fort Santa Cruz in Sicht, schon sah man den Hafen deutlicher, schon suchte ich klopfenden Herzens die Schiffe mit drei Masten zu unterscheiden. Da kommt ein kleiner Dampfer heran mit roter Flagge, und ein Mann in Uniform winkt und schreit: »Isola grande! Isola grande!« – Quarantäne!! – und die »Città di Genova« wandte sich und fuhr mit voller Fahrt ins offene Meer zurück, vier Stunden lang nach Süden, auf grauem Wasser, unter klatschendem Regen!

Die Cholera muß also auch in Italien sein, aber wie wir sie hätten bringen können, da sie dort noch nicht ausgebrochen war, als wir St. Vincent verließen, ist schwer ersichtlich.

Wäre es nur unter anderen Umständen gewesen, wir hätten uns des Abstechers freuen müssen. Der Regen hörte nach und nach auf und wir fuhren zwischen Inseln und Gebirgszügen durch, als hätte sich ein Stück der Schweiz ins Meer verirrt. In den schönsten Formen stieg eine Insel, eine Bergspitze nach der anderen vor uns auf, in den kühnsten Linien tauchten sie ins Meer zurück, überkleidet mit dem üppigsten Grün, aus dem sich zypressenartige Bäume und Palmen erhoben. So kamen wir in eine wundervolle stille Bucht und warfen der kleinen Quarantäne-Station gegenüber Anker. Ein paar verstreute Häuschen liegen vor uns, einige Fußwege führen aufwärts, aber diese Spuren menschlichen Daseins verschwinden unter der Großartigkeit der Umgebung. Die Berge sind mit Urwald bedeckt, durch das Glas unterscheidet man die Pflanzentypen, die von den unseren abweichen, das hohe Rohr, die spitzen Aloës und Kakteen, allerhand gewundene Cedern, Palmengruppen u. a. Mir fiel die Bemerkung von Avé-Lallemant ein, daß man mit dem Worte Urwald immer den Begriff des Großartigen verbände, während man darunter nur den unberührten Ureinwuchs verstehen sollte; sehr oft bestünde er aus einem Gewirr von Gewächsen und Stämmen, die weder besonders dick noch hoch wären. Jedenfalls haben wir diese Art vor Augen.

Sehr charakteristisch sind die vielen kleinen Inseln; dicht begrünt mit großen fiedrigen Büscheln, gleichen sie riesenhaften rockeries. Rings umher Felszüge und Bergreihen in lila Duft mit Rosa angehaucht, in jeder Schlucht zieht sich das sanfte Grün bis an das Meer hinunter, das heut ein milchiges Ansehen hat wie Gletscherwasser.

Und wir erwarteten das, die Pflanzenformen sind uns geläufig, aber welchen Eindruck hätte es auf die Ersten machen müssen, die den neuen Erdteil betraten, wären ihre Augen schon für landschaftliche Schönheit erzogen gewesen. Daß wir Amerika gerade zu seinem Jubiläum betreten, legt einem solche Vorstellungen nahe und ist eine feine Aufmerksamkeit des Schicksals. Mit uns liegen noch sechs Schiffe hier, darunter ein Kriegsschiff, dessen Hornsignale seltsam hinausklingen in diese weltabgeschiedene Stille.

Trotz alledem ist die Enttäuschung schwer; ich hatte zu fest erwartet, noch heute in Ithaka zu sein, und begreife nicht, wodurch ich Poseidon so beleidigt habe; bin ich doch gewiß die Letzte, die jemandes Rinder stehlen würde, »noch hat mich jemals liebend beschützt die Göttin der Weisheit, Pallas Athene!«

30. September. Am Vormittag wurde das ganze Schiff mit Karbol verpestet; dann waren wir frei und hatten diesmal die herrlichste Einfahrt der Welt, in jedem Sinn. Zum zweiten Male passierten wir die kleinen Forts Santa Cruz und Villegagnon, und nun, endlich! endlich! waren wir glücklich in der Bucht; nun endlich kam auch der Dampfer mit dem Arzt und neben ihm saß ein Herr in Weiß mit rotem Gesicht und hellem Bart – das war Jürgen.

Was nun folgte, sehe ich nur durch einen goldenen Nebel; wie der Strom der Auswanderer an uns vorüberdrängte, dem Ausgang zu, wie die treuen Gefährten, Herr Quentchen und Herr v. d. Brucken, sich verabschiedeten, wie wir auf der Dampffähre über die weite Bucht hinfuhren. Wie im Traume sehe ich uns einen langen steinigen Weg um einen Hügel zurücklegen, und wie man in Augenblicken tiefer Erregung unwillkürlich auf die unbedeutendsten Dinge achtet, so haben sich mir die unscheinbaren Häuschen, an denen wir entlang gingen, unauslöschlich in die Seele geprägt, die Negerkinder, die im Sande spielten, die Vorgärtchen mit ihren Palmen, Amaryllis und allerhand fremdem Kraut, und wenn ich mir diesen Gang durch die hereinbrechende Dunkelheit zurückrufe, steigt vor meinem inneren Auge zuerst das Bild eines ganz kleinen verwilderten Gartens auf, über dessen Mäuerchen eine fast blätterlose Baumwollstaude ihre kahlen Ruten fortstreckt, daran in einer dürren Kapsel noch ein weißes Fläuschchen hängt. –

Es war finster, als wir den Strand wieder erreichten und ein Boot uns übersetzte nach dem »Regulus«, dessen schwarze Masse sich kaum noch erkennen ließ. Ich stieg das Fallreep hinauf, während Jürgen den Bootsmann bezahlte; Hände streckten sich mir entgegen, um mir über die Verschanzung zu helfen, freundliche Stimmen hießen mich willkommen; ich ging die wohlbekannte Stiege hinunter in die Kajüte, wo die Lampe brannte, die alte braunrote Decke auf dem Tisch lag, wo Blumen mich begrüßten und Abendbrot bereit stand, und, Gott sei dank, ich war daheim! – »Daheim! daheim! nach so viel Wandertagen, nach so viel Nächten, wo ich sturmverschlagen« – ich weiß es nicht weiter, aber es ist von Geibel und es endet:

»welche Zauber liegen
In diesem kleinen Wort: daheim!«

II.
Rio de Janeiro.

2. Oktober.

Also Rio! Ich konnte am nächsten Morgen kaum erwarten, an Deck zu kommen und den ersten Rundblick zu tun. Weithin dehnt sich nach allen Seiten die Bucht, nur undeutlich sieht man die Stadt, die sich am Fuße der Berge hinstreckt; wohin das Auge sieht, bewaldete Inseln, hier eine kleine, von welcher aus dichtem Grün ein weißes Häuschen schimmert, auf anderen größere Ortschaften oder die hellen Kuppeln einer Kirche, Hügel, Bergreihen, Felsen kulissenartig hintereinander und die üppigste Vegetation überall. Es war Sonntag, in der Stadt daher nichts auszurichten, und mir lag vor allem daran, den neuen Boden zu betreten und ins Freie zu kommen. Das Schiff liegt am Ballastplatz, in der Nähe einiger Inseln, auf denen der Granit, der als Ballast dient, gebrochen wird; man hört beständig das Picken der Hämmer und von Zeit zu Zeit den Knall einer Mine. Schade um die schönen Inseln!

Wir nahmen das Boot, fuhren an das zunächst liegende Ufer, erstiegen einen Hügel und kamen an einem von Grün überwucherten Brunnenhäuschen vorbei, das mit einer einzigen großen Steinkuppe gedeckt war. Oben kreuzten wir zwischen dürrem Gras und stachlichem Gestrüpp den Pfad brauner Ameisen, deren jede ein abgebissenes Blattstück mit sich schleppte; wir gingen ihm nach und der Weg, den sie dichtgedrängt so zurückgelegt hatten, betrug etwa dreißig Schritt. Den Versuch, in den Wald zu gelangen, mußten wir aufgeben, es war unmöglich, auch nur einen Fuß weit einzudringen.

Im Hinabsteigen folgten wir einem verwachsenen Fußweg und fanden uns zu unserer Ueberraschung plötzlich vor einem verlassenen Hause; in den Zimmern hingen noch Fetzen Tapete, das Dach war fast versteckt unter der dunkeln Krone eines Mangobaumes, die Veranda auf der vorderen Seite ruhte auf dicken Säulen, um welche Clematis und Kletterrosen bis zum Dach hinauf ihre blühenden Ranken gesponnen hatten, Büsche und Stauden drängten sich bis über die Schwelle, und der Blick zwischen den Wipfeln der tiefer am Abhang stehenden Bäume war nach allen Seiten hin ganz entzückend. Es war ein wahres Märchenhaus, auch ergriffen wir sogleich in Gedanken Besitz, kauften es für ein weniges, setzten es hübsch instand und beschlossen unsere alten Tage auf diesem paradiesischen Fleckchen Einsamkeit im Herzen der größten Stadt des südlichen Kontinents.

Als die Sonne fast im Mittag stand, eilten wir hinunter, rückten das Boot ins Wasser und eben, als wir abstießen, kam aus einem der kleinen Häuser am Strande ein ältlicher Portugiese mit großem Strohhut und nackten Füßen gelaufen mit zwei großen duftenden Rosen, die er, durch das Wasser watend, mir reichte; wahrscheinlich tat es ihm leid, daß ich nichts als Feldblumen zu pflücken gehabt hatte.

Wir kamen nicht wieder dorthin, aber von Deck aus konnten wir »unser Landhaus« sehen und unsere Luftschlösser weiter bauen.

Vor allen Dingen mußten wir am Montag auf die Douane, um die Koffer zu holen, die gleich vom Dampfer auf die Alfandega, das Zollamt, geschafft werden. Da wir aber, leider! kein Portugiesisch verstehen, mußten wir zuerst zum Shipchandler Tavares, dessen deutscher »runner«, jederzeit zu Dienst und Vermittelung bereit, uns auch bald durch die staubigen Speicher der Alfandega von einer erhöhten Schreibstelle zur anderen geleitete. Drei meiner Koffer waren bald gefunden, der vierte aber, natürlich der beste, wichtigste, unentbehrlichste, war nirgends zu erblicken, ebensowenig die Schirme, die mit dem Klappstuhl zusammengeschnallt waren. Plötzlich sah ich hinter einem der Schreibpulte den Blechkasten, der die Pfefferkuchen für Weihnachten enthielt, alles Suchen aber nach den übrigen Gegenständen blieb vergebens. Als ich nun verzweifelnd dastand, trat Signor Manuel vom italienischen Dampfer auf mich zu, der französisch spricht, und sagte mir, er habe seinen Koffer ebenfalls vermißt und ihn dann, auf meinen stehend, noch auf der »Città di Genova« gefunden und man habe ihm versichert, sie würden an diesem Nachmittag noch ausgeschifft werden. Das war ein großer Trost; ich schloß die anderen Koffer auf, die Herren stöberten etwas darin herum und damit wurden wir entlassen. Den fehlenden Koffer bekam ich glücklich, doch Stuhl und Schirme sah ich niemals wieder.

5. Oktober. Es regnet, was vom Himmel will; Jürgen ist in der Stadt mit einer langen Liste. Gut, daß wir die ersten schönen Tage haben benutzen können. Ich müßte Euch nun Rio beschreiben, aber das ist unmöglich; man kann keine Idee geben von der Größe, Mannigfaltigkeit und Herrlichkeit, die hier vereinigt sind: Rio ist eben alles, prachtvoll und primitiv, wild und lieblich. Als hätte man die Schweiz halb unter Wasser gesetzt, so ragen Grate, Hörner und Hochgebirgskuppen aus dem Meere, und die Phantasie wird nicht müde, die schöngeschwungenen Linien weiter zu ziehen bis tief hinunter in die unergründliche See. Der einzige Fehler dieses enormen Beckens ist eben seine Ausdehnung, sagt Jürgen; alle Flotten der Welt vereinigt würden bequem hier ankern können. Dabei hat der Hafen nur eine schmale Einfahrt, durch die schon erwähnten kleinen Forts Santa Cruz und Villegagnon geschützt. Villegagnon soll nach dem Erbauer genannt sein, einem hugenottischen General unter Coligny, wie er aber hierher gekommen ist, ahne ich nicht und kann ich auch nicht ausfindig machen.

Wir forderten in der bedeutendsten und noch dazu deutschen Buchhandlung einen Führer, erhielten aber nur eine Karte der inneren Stadt, in dem begleitenden »Guia« waren nichts als die Namen der Straßen, Kirchen usw. angegeben. Ich fragte, ob denn nicht eine Art Bädeker für die vielen Fremden und Einwanderer existiere. »So weit sind wir hier noch nicht«, sagte der Commis mit überlegenem Lächeln, als ob der erste Buchhändler am Platz das nicht selbst hätte in die Hand nehmen können. Doch sagte mir schon Herr Quentchen: »Das Hauptwort in Brasilien ist pazienza! Niemand zerreißt sich hier den Pelz und tut heute, was er auf morgen verschieben kann.«

Welch' ein Paradies müßte Rio sein ohne gelbes Fieber und mit sicheren geordneten Zuständen. Vielleicht kommt es noch einmal dahin. Immer wieder hörten wir die politischen Umwälzungen als das Werk einer kleinen militärischen Partei beklagen, an der die eigentliche Bevölkerung keinen Anteil hätte. Und was die Gesundheitspflege anbelangt, so steckt sie noch in den Kinderschuhen. Die schlimmsten Stellen habe ich nicht gesehen, Jürgen's Schilderungen des ersten Platzes, an dem das Schiff lag, um zu löschen, sind haarsträubend; doch waren auch viele der Straßen, die ich sah, unglaublich eng und vernachlässigt und müssen bei schlechtem Wetter kaum zu passieren sein. Auch die Menge greulicher Hunde, die sich überall umhertreiben, sind keine Annehmlichkeit.

Das Pflaster ist furchtbar, Trottoirs nicht erhöht, und mitten durch das dichteste Gewimmel galoppiert klingelnd die Pferdebahn, die eher Maulbahn heißen sollte, da sie durch Maultiere gezogen wird. Diese Maulbahnen, bonds, – die Hauptlinie natürlich ein englisches Unternehmen – vermitteln den Verkehr der Stadt sowohl im Innern, als auch mit den Vorstädten und sind zwar keine aristokratische, dafür aber eine um so praktischere Art der Beförderung. Die Wagen sind niedrig, mit offenen Bänken unter einem Verdeck. Der farbige Kutscher, der keine Peitsche führen darf, bedient sich statt dieser des Lederriemens mit raffiniertem Geschick, um das willige Eselchen oder auf den längeren Strecken die beiden kräftigen Maultiere beständig in Galopp zu halten. Der Preis ist niedrig; für zwanzig Pfennig kann man bis durch die Vorstädte auf gutem Makadam stundenlang fahren; der Kutscher hat manchmal die ganze Hand voll zusammengedrückter Scheine zu hundert und zweihundert Reis; hundert Reis = zwanzig Pfennig. Während der Fahrt wird auf- und abgesprungen; entgleist der Wagen, so steigen Kutscher und einige der Fahrgäste ab, heben ihn wieder auf die Schienen und im Galopp geht es weiter. Wir sahen im Vorüberfahren einmal Hunderte von Maultieren auf einer umzäunten Wiese. Die barbarische Behandlung dieser armen Tiere scheint sich dort, wie in südlichen Ländern überhaupt, ganz von selbst zu verstehen; niemand kümmert sich darum, und ein deutscher Kapitän, der genug Portugiesisch wußte, um seinen Gefühlen energisch Luft zu machen, wurde von den übrigen Insassen mit Staunen betrachtet. Einmal sagte mir auch Jürgen ganz empört: »Laß uns absteigen, ich kann es nicht mehr mit ansehen.«

In der Hauptstraße darf kein Wagen fahren; daß es die feinste Straße ist, sieht man an dem Reichtum der Schaufenster – sie heißt auch Rua do Ouvidor – und am Publikum, denn sonst ist sie nicht viel breiter noch besser als andere. Hier, wie anderwärts, drängt sich mit Lärmen und Geschrei die bunteste Menge, bunt von Farbe und bunt von Haut; Mulattinnen mit blau und gelben Tüchern, Lastträger, die mit einem untergelegten alten Sack die unglaublichsten Dinge auf dem Kopfe balanzieren; dort schleicht eine alte weißhaarige Negerin mit einem Oelfläschchen zum Kaufmann, da geht barfuß mit rüstigem Schritt in vollem Staat eine schwarze Schöne, die ihre grünen Pantoffel unbefangen auf dem Wollhaar trägt. Dazwischen sieht man elegante Herren mit einer Blume im Knopfloch und Damen in hell-lila und gelber Seide von Pariser Schnitt auf diesem Pflaster einherschreiten, wie auf einem Boulevard, Toiletten, wie ich sie seit dem Markusplatz nicht wieder unter freiem Himmel gesehen habe. Ich bemerkte viel üppiges Haar, und manches bräunliche Frauengesicht ließ ein Bärtchen sehen, das einen Fähnrich mit Neid erfüllt hätte. In der Mitte der Straße stehen von Zeit zu Zeit »fliegende« Blumenverkäufer mit Sträußchen in Pyramiden wie zum Kotillon geordnet, und im Vorübergehen umschmeichelt einen der Duft von Parmaveilchen und Gardenien. Ich trug einen Strauß hochroter Blumen, eine Art Wachtelweizen, den mir Jürgen am Wege gepflückt hatte; der Kapitän, der uns begleitete, meinte, sie müßten giftig sein, denn jeder sähe sie an; beim Shipchandler aber wurde mir gesagt, es wäre das gewöhnlichste Unkraut, deshalb fiele es den Leuten auf. Wieviel kostbare Zeit habe ich durch den Aufenthalt in St. Vincent verloren! Jeder Tag bringt es mir mehr zum Bewußtsein. Jürgen ist seit drei Wochen hier, zwei Tage nach ihm hätte ich mit der »Baltimore« eintreffen sollen und wie hätten wir die Zeit zwischen dem Löschen der Ladung und dem Einnehmen des Ballasts genießen können!

Natürlich lag mir vor allem der botanische Garten am Herzen und eines Nachmittags fuhren wir hin. Ich kannte ihn aus Beschreibungen und Photographien, aber als ich nun wirklich die langen Alleen der Königspalmen vor mir sah, diese schlanken Stämme von wenigstens 120 Fuß Höhe, war der Eindruck geradezu überwältigend. In der Mitte wirft ein Springbrunnen seine Schleier in die Luft, die Anlagen rings umher sind herrlich. »Was köstlich wächst in allen Himmelsstrichen«, ist, soweit es das Klima erlaubt, hier vereinigt, und ich empfand bitter meine botanische Unwissenheit; sicher bin ich achtlos an den interessantesten Dingen vorübergegangen. Auch die Unkenntnis der Landessprache macht sich empfindlich geltend; es standen schwarze Beamte umher, aber man konnte keine Frage stellen, wenn sie die Auskunft auch hätten geben können. So mußten wir uns wohl oder übel mit den äußeren Eindrücken begnügen.

Erstaunlich war uns besonders ein Gang von Bambus, der sich oben wölbte und so dicht stand, daß es darunter beinahe dunkel war; dann eine Allee von Mangobäumen, graue, in den Wurzeln verzweigte Stämme, die an Olivenbäume erinnern, oben die breite, fast schwarze Krone mit glänzenden dunkelgrünen Blättern. Das Schönste aber blieben für mich die Palmen. Schön sind die dicken Blütenbüschel, die aus den starken rötlichen Scheiden hervorbrechen und an andern die Gehänge kleiner schwarzer Früchte, Palmkerne, die ähnlich wie Oliven schmecken und zu jedem Essen mit Radieschen und einer Art Kyclantheraschote, als Pickles auf den Tisch gesetzt werden. Sehr schön waren auch Gruppenpflanzen an einem kleinen Wasserfall und wunderschön die lange Fahrt zurück durch die Vorstadt Botafogo, an einer Lagune, die wie ein Alpensee von waldigen Höhen umgeben ist. Hier liegt ein ideales Landhaus neben dem anderen, im Schatten riesiger Bäume. Palmen und Bambus stehen am Eingang, Blumen in lebhaftesten Farben leuchten durch die Gitter. An solch einer Pforte lehnte eine junge Dame und sah die Straße hinunter, als erwarte sie jemand; sie hatte eine weiße Rose in ihr schwarzes Haar gesteckt und spielte mit dem Fächer.

6. Oktober. Aber nun hört und staunt!

Nicht weit von dem Pão d'Assucar (Zuckerhut) liegt der zweithöchste der umgebenden Berge, der Corcovado, mit einer forsch aufgesetzten Zacke, und dort hinauf, horribile dictu, führt eine Zahnradbahn. Indessen »von Kalb sieht's, von Kalb darauf zu«. Wir verabredeten uns mit einigen Kapitänen, und als am Morgen die Spitze klar war, begaben wir uns um halb zehn Uhr, »natürlich eine halbe Stunde zu spät«, in das Geschäft von Tavares, um niemand vorzufinden als Kapitän Schnell, in dessen Gesellschaft wir uns mit der Maulbahn an die Station der Zahnradbahn begaben, die wir in drei Viertelstunden erreichten. Der Zug bestand aus nur einem Waggon, den eine Lokomotive vor sich her schob, und es ging ziemlich schnell aufwärts; in anderthalb Stunden waren wir oben. Jürgen behauptet, die Steigung habe nirgends mehr als 25 Grad betragen, mir kam es stellenweise so steil vor, daß ich mich des Gefühls nicht erwehren konnte, nur wenig fehle und wir müßten »abklappen«. Ein alter englischer Kapitän soll gesagt haben, lieber wolle er den ärgsten Sturm bestehen, als noch einmal den Corcovado hinauffahren.

Aber Herrlicheres kann man sich nicht denken, als die Aussicht in die reiche Landschaft unten mit all den Buchten, Inseln und bewaldeten Bergen ringsum und dann wieder den Blick über das unendliche Blau, hinter dem ganz zuletzt Afrika liegt. Von Kindheit auf hatte ich das Verlangen in mir getragen, von der Höhe eines Bergriesen aus über das Meer zu sehen; das war mir nun geworden, aber selbst das war nicht das Schönste. Die Bahn ist eben frisch durch Fels und Urwald geschnitten, und was man nicht sehen könnte, wenn man noch so dicht davor stünde, das sieht man nun beim Durchfahren zur Seite und von oben, denn auf manchen Strecken werden Abstürze und Schluchten, wie auf dem Rigi, durch frei auf Trägern ruhende Schienen überbrückt. Nie vergesse ich den Blick hinunter in das Gewirr fremder Baumformen, Kakteen, Schlingpflanzen, Parasiten und Farren; überall hing es und kroch es, umwand und überwucherte es, ich sehe noch eine Palme vor mir, auf deren Fußkolben dichtes Farrenkraut aufschoß, die Büsche mit den glühend roten, gelben und weißen Blumen, die pechschwarzen Schmetterlinge und die großen blauen, die mich so oft an dem Fenster einer Kaffeehandlung in der Potsdamer Straße entzückt hatten. Eidechsen huschten vorüber, eine kleine hellblaue Blume, eine Art Lobelie, stand in Menge am Wege, aus allen Felsritzen drängte sich Hirschhornmoos und das feinblättrige Farrenkraut, ohne das unsere Kunstgärtner daheim keinen Strauß zusammenstellen.

Fast zu schnell hielt der Zug, man stieg noch fünfzehn Minuten bis zum Aussichtstempel auf der Spitze und nun – kamen die Wolken und verdeckten bald hier, bald da die Aussicht, so daß wir den eigentlichen klaren Umblick nicht gehabt haben. Indessen, »ich bin nicht so,« wie die Buchholzen sagt; an Panoramen liegt mir überhaupt nicht viel und wir sahen des Schönen genug, um ganz befriedigt zu sein, trotzdem wir bei der ungewohnt kühlen Luft argen Hunger verspürten. Mit uns war noch ein junges Paar oben, das einen Eßkorb mit hatte und uns mit brasilianischer Gastlichkeit ganz selbstverständlich an ihrem Wein und Kuchen teilnehmen ließ. An der Endstation steht zwar ein Gasthaus, es roch aber gar nicht lieblich und wir wollten daher mit dem nächsten Zuge, nach vierzig Minuten, wieder hinunter, fingen ihn aber erst am zweiten Halteplatz, wo auf halber Höhe einige neue Häuser an einem niederrieselnden Bache stehen und breite Gänge durch den Wald geschlagen werden; wir fanden noch eine Menge Arbeiter beim Wegebau. Um drei Uhr saßen wir wieder in der »Stadt Koblenz« und aßen unser wohlverdientes Mittagbrot.

7. Oktober. Heute habe ich einen entsetzlichen Schnupfen und benommenen Kopf; ich sollte mich hinlegen und schlafen, aber der gestrige Tag muß zu Papier.

Wie gewöhnlich gingen wir erst zu Tavares, dem dürrsten, gelbsten, gefälligsten aller kleinen Männer, der sich viel darauf zu gute tut, deutsch zu sprechen, obwohl es von seinem Portugiesisch schwer zu unterscheiden ist. In seinem staubigen Magazin, wo altes Eisenzeug an den Wänden hängt, grüne Papageien kreischen und bunte Katzen zwischen Säcken mit Kohlen-, Brot- und Kartoffelproben tummeln, finden sich die deutschen Kapitäne zusammen und sitzen rauchend, plaudernd und spuckend in der offenen Haustür. Dort erfragte Jürgen einen deutschen Arzt, zu dem er den Zimmermann brachte, der sich schon seit längerer Zeit nicht wohl fühlte. Während der Konsultation im Sanktum besah ich mir das Zimmer, wo des noch jungen Doktors Dissertation auf dem Tisch lag, Virchow's eingerahmte Lithographie den Ehrenplatz einnahm und an der Wand ein großes Köpfebild prangte, die Mitglieder des Aerztetages in Stockholm, unter ihnen die wohlbekannten Züge von Professor Hugo Kronecker und Richard von Volkmann. Nachdem der Aeskulap den Zimmermann für nervös erklärt und entlassen hatte, gingen wir in einen Laden, wo Federblumen gemacht wurden und sahen den arbeitenden Mädchen eine Weile zu. Besonders eine junge Mulattin schnitt mit unglaublicher Geschwindigkeit und Sicherheit Blätter aus bunten Papageienfedern zurecht, ein anderes junges Mädchen faßte sie mit einer Pinzette, tauchte das Ende in eine Untertasse mit Klebstoff, setzte sie an einen Stiel und umwand sie und in wenigen Sekunden war eine Blume fertig. Wir kauften drei reizende Zweige, darunter eine Ranke wunderschöner weißer Rosen, und als ich einen Kolibri sah mit rötlichem Kopf und goldenem Kehlchen, so sagte mir gleich das Herz, daß er für Iris wäre, und da mußte natürlich für Margarita und Lilly auch je einer mitgenommen werden.

Später zeigte mir Jürgen noch eines der hiesigen Cafés, wo der Kaffee vor aller Augen durch klappernde Maschinen geröstet, gemahlen, gebraut und dann von den Gästen an kleinen Tischen aus Puppentäßchen getrunken wird. Sonst gibt es da nichts, und doch war das Zimmer gedrängt voller Gäste. Der Kaffee war stark wie Extrakt.

Hierauf ergingen wir uns noch ein wenig, stiegen eine steile Straße hinauf und befanden uns endlich auf einer Terrasse vor einem Gebäude, das halb Kirche, halb Observatorium schien; hier bot sich ein herrlicher Rundblick, in den wir noch versunken waren, als aus einer Tür des Gebäudes ein katholischer Geistlicher trat, ein stattlicher Mann mit scharfen klugen Zügen. Zu meiner Ueberraschung begrüßte ihn Jürgen; er hatte ihn im Kontor bei Stoltz getroffen. Händeschütteln, Vorstellen und Glückwunsch, daß die Frau nun endlich da wäre. Dank von unserer Seite und Frage, ob wir wohl die Kirche sehen könnten? Da wären wir gerade recht, sagte er, an einer der ältesten, interessantesten Kirchen der Stadt, in den ersten Zeiten angelegt von dem bestverleumdeten aller Orden, den Jesuiten. Jürgen fragte, ob er nicht vielleicht selbst dem Orden angehöre? Das nicht, wohl aber dem zugleich mit jenem ausgewiesenen Orden der Lazaristen und Redemptoristen; seit 1871 wären sie hier. Und nachdem er uns in die Kirche geführt hatte, ging er, den Laienbruder zu holen, dem sie unterstand. Während dessen eilten wir in eine Ecke, wo eine Menge ex voti hingen, wie aus Marmor gehauen, so weich und durchscheinend, es war aber weißes Wachs; Kinderköpfchen, Hände, Füße, Knie, sogar ein wohlgeformter Frauenbusen. Der zurückkehrende Priester, dem ein mild aussehender alter Geistlicher folgte, erklärte uns, was das bedeuten solle und verstand uns nicht oder wollte uns nicht verstehen, als wir sagten, wir hätten nach dem Herzen für die heilige Mutter zu Kevlaar gesucht. Die Kirche selbst bot, außer ihrem Alter, nichts Bemerkenswertes, doch wollte uns der Pater noch das Haus zeigen, das er mit anderen Ordensbrüdern bewohnte. Ueber einen kleinen Hof mit Hühnern und Tauben ging es in ein großes, niedriges, kühles Zimmer mit wenig Möbeln und Estrichboden, und von dort führte er uns in ein winziges Gärtchen auf einer Terrasse, aber mit unvergleichlich herrlichem Blick über Land und Meer und Stadt; zur rechten Hand hatte man den Zuckerhut mit seinen glänzend glatten Wänden. Nun war es rührend, wie uns der gute Pater jeden Baum und jedes Büschchen zeigte, beschrieb, wie schnell und üppig hier alles käme, mir zwei rote Hibiscusblüten pflückte, weißen Jasmin und einen übervoll blühenden Zweig von dem Heliotropbäumchen brach, das seine Zweige über dem Türbogen wölbte. Und das Sträußchen gab er mir offenbar nicht wie einer, der eine Höflichkeit erzeigt, sondern wie jemand, der sich mit freundlichem Willen etwas recht Liebes vom Herzen reißt. Er ist Rheinländer und lächelte verständnisvoll, als ich vor einem blühenden Rebengang sagte, das wäre doch der edelste Duft. Auch Wein gab er uns zu trinken, den sie selbst bauen, denn sie müßten ihn zum Sakrament unverfälscht haben. Schließlich brachte er uns eine Flucht schmaler steiler Treppen zwischen ähnlichen Terrassengärten hinunter in die Santa casa da Misericordia, die der Orden verwaltet und er uns gleichfalls zeigen wollte.

Solch ein prachtvolles Krankenhaus hatten wir allerdings noch nicht gesehen. Es ist zweistöckig, je vier lange Flügel und noch eine Abteilung für Frauen; die Längsseiten und Quersäle umschließen zwei wundervoll gehaltene Gärten, in die man von allen Korridoren hineinsieht, mit Sitzplätzen unter Palmen und schattigen Bäumen, zwischen blühenden Büschen und üppigen Rosen. Die Säle sind alle groß, hoch und luftig, das Licht gedämpft, nirgends ein Stäubchen, der Fußboden gebohnt, die Wände glatt, die Luft vortrefflich. Im Mittelgang der Säle sieht man von einem Ende des Gebäudes bis zum anderen, aber nicht die Betten, die weiter zurück an den Wänden stehen. Wir kamen alsdann in ein großes Zimmer, in dem Kinder waren, die von allen Seiten auf den Pater zuliefen und seine Hände küßten; ein kleiner Kerl von etwa vier Jahren umarmte mit der größten Zärtlichkeit seine Beine und während er das Kind streichelte, sagte er zu unserem Schrecken: »Er ist blind und hat mich nur an der Stimme erkannt.« Der Kleine hatte dunkle glänzende Augen, an denen nichts zu bemerken war, außer daß sie ein wenig schielten.

Barmherzige Schwestern in großen, unkleidsamen weißen Hauben sind die Pflegerinnen, darunter viele hübsche junge Gesichter. Unser Geistlicher sprach französisch mit ihnen und übergab uns einer alten Schwester Ursula, die uns mit großer Freundlichkeit empfing. »Jetzt führe ich Sie und bin Ihr Kapitän,« sagte sie zu Jürgen und stellte ihm so sachgemäße Fragen, daß es uns erstaunlich war, bis wir hörten, sie habe siebenunddreißig Jahre auf der Seemannsstation gepflegt.

Zwölfhundert Menschen sind täglich zu beköstigen; daß die Kücheneinrichtungen großartig und auf das vollkommenste waren, versteht sich von selbst; neben der Küche war z. B. ein eigenes großes Zimmer für die Reste jedes Tages; ein Saal, wo geschlachtet, ein zweiter mit Marmortischen, wo das Fleisch zubereitet wird. Auch die Leinenstube, die Apotheke, ein besonderes Zimmer für giftige Arzeneien mußten wir ansehen, alles aus dem besten Material und so solid, daß es bei aller Einfachheit den Eindruck des größten Luxus machte. Die liebenswürdige alte Schwester mit schwarzen Augen und wackelnden Zähnen hatte meinen Arm genommen und wollte uns fast nicht fortlassen. Als wir uns verabschiedeten, reichte sie mir die Hand, übersah aber Jürgens biedere Rechte. Ein Kapitän, der viel dort zu tun gehabt hatte, sagte uns, das wäre hier nicht »sittlich« und die Schwester wäre eine Gräfin. Sie war deutsch, sprach aber französisch mit den Schwestern, die, mit allerlei Handarbeiten beschäftigt, in den Gängen saßen; so füllte die eine Kapseln für die Apotheke.

10. Oktober. Herr Quentchen hatte mir unter den Sehenswürdigkeiten Rios aufgeschrieben: »Fahrt nach S. Domingo«. Das ist eine der Vorstädte und diese Fahrt macht jedesmal einen Teil der Reise aus, die wir zurückzulegen haben, wenn wir in die Stadt wollen, und Ihr könnt Euch einen Begriff von den Größenverhältnissen machen, wenn ich sie Euch beschreibe. Zuerst müssen wir uns an Land rudern lassen, was etwa zehn Minuten in Anspruch nimmt, ebenso weit ist es bis zur Maulbahn, in der man im Galopp einen Berg umfährt. Wenn man sie verpaßt, hat man eine gute halbe Stunde zu Fuß bis zu der Bucht, wo man das Dampfboot trifft, das quer über den Hafen nach S. Domingo fährt. Von dort geht es weiter nach Nicteroy Das arme Nicteroy ist seitdem auch zusammengeschossen; wie oft haben wir es friedlich und freundlich mit seinen weiß und blau gestrichenen Häuschen liegen sehen. Der Name soll noch aus der Zeit der Indianer stammen und bedeutet, verborgenes Wasser. und nun erst, wieder in anderer Richtung, erreicht man die eigentliche Stadt. In umgekehrter Folge ging es nach vollbrachtem Tagewerk wieder zurück. Dann hoben sich die weißen Kuppeln malerisch ab gegen das glühende Rot der sinkenden Sonne, das Meer war ein blaugoldener Spiegel, auf welchem Tausende von Schiffen lagen und die Boote hin und her glitten, dann stand das marmorne Lustschlößchen Dom Pedros, das einem arabischen Märchen gleich aus den Wellen taucht, mit seinen Palmenkronen in goldenem Schein und die Fenster flammten wie in den Tagen kaiserlicher Pracht; um den Fuß der Berge zog der Nebel, in dem die entfernteren Schiffe verschwebten, und darüber in bläulich-lila standen die Reihen zackiger Felshäupter in wundervoller Klarheit.

Schöneres zu sehen ist auf dieser Welt kaum möglich und man möchte mit Cairam-Almansor ausrufen: »O welch ein köstliches Geschenk sind doch die Augen!«

Aber wir sind schon in der Unruhe der Abreise; heute haben wir noch bei Tavares Konserven, Obst, Fleisch usw. bestellt. Alles ist hier teuer, so teuer, daß der Proviant für das Schiff aus Bremen geschickt worden ist.

Jürgen hätte mich so gerne noch zu Herrn Fonseca Silva gebracht, dem Chef des Hauses, an den er die Reisladung abgeliefert hat. Nie, sagte er, sei ein Geschäft so leicht und glatt abgewickelt worden, wie dieses, obwohl sie nicht mit einander sprechen konnten, und ihr gegenseitiges Wohlwollen sich auf Händeschütteln, Zigarren und Lächeln hätte beschränken müssen. Eines Tages wäre er gerade um die Mittagszeit hingekommen und Herr Fonseca Silva hätte ihn zu Tisch behalten und in das Speisezimmer geführt, wo er die Mahlzeit mit seinen jungen Leuten, etwa dreißig an der Zahl, zusammen einnahm. Das Essen wäre einfach, aber sehr gut und reichlich gewesen. Ist es indessen nicht sonderbar, daß unter einem so großen Personal, in einem Geschäft, das hauptsächlich mit Deutschen zu tun hat, kein einziger deutsch oder auch nur englisch versteht!? Das würde bei uns nicht vorkommen.

12. Oktober. Die große Columbusfeier und zugleich unser letzter Tag in Rio. Nach dem üblichen Gang zu Tavares – das Konsulat war geschlossen – gingen wir in die Stadt, um sie im Festschmuck zu sehen. Ueberall wehte die brasilianische Flagge mit der Weltkugel und in den Straßen wogte die bunte Menge in festlichem Putz. Außerhalb war große Parade, die aber preußischen Augen nicht sehr imponiert hat; schon die mangelhafte Uniformierung, – einem großen Teil fehlten z. B. die Schuhe – beeinträchtigte die Wirkung.

In der Tat ist mit der Bevölkerung hier kein Staat zu machen; die überwiegende Menge Neger und Mulatten drückt ihr den Stempel der Häßlichkeit auf; nach den schönen Mina-Negerinnen, die Avé-Lallemant beschreibt, habe ich mich umsonst umgesehen, auch den indianischen Typus konnte ich nicht mit Bestimmtheit herausfinden. Nie sah ich aber so erschreckliche Gesichter und so widerliche Erscheinungen wie die Bettler in der Stadt und auf den Fährbooten, sogar in den Cafés und Hôtels machten sie unbehelligt ihre Runde, manche von so grauenerweckendem Aussehen, daß man nicht rasch genug in die Tasche greifen konnte, um sie los zu werden. Um noch eine letzte Ausfahrt zu machen, empfahl uns der Wirt der »Stadt Koblenz« den neu angelegten zoologischen Garten, den wir aber noch in den ersten Anfängen fanden. Ein Lama, ein Elefant, der die Pauke schlug, einige phlegmatische Tiger, ein Paar Bären, die, wie man uns erzählte, gerade am Tage zuvor ausgebrochen waren, machten die Hauptstücke aus, doch interessierten uns ein Paar große Strauße, die sich um die gereichten Bissen zankten und sich einander in ihrer weiten Einzäunung jagten, so daß man sich von der Windeseile ihrer starken Beine einen Begriff machen konnte. Der Garten war übrigens sehr hübsch angelegt und alle Gänge hatten berühmte Namen: Rua Darwin, Rua Humboldt, Rua Milne Edwards, Rua Buffon, Rua Burmeister u. s. f. Wir sahen auch endlich ein Paar Kolibris von Busch zu Busch schwirren. Mir hätte in Rom am Papst nichts gelegen, aber Brasilien zu verlassen, ohne einen lebendigen Kolibri gesehen zu haben, wäre mir recht empfindlich gewesen.

Inzwischen sehnten wir uns nach einer Erfrischung und man wies uns an einen fliegenden Kaffeemann in Hemdsärmeln, der seinen Stand neben Lotto- und anderen Spielbuden in der Nähe der kreischenden Arras hatte – keine schöne Ecke. Mit innerem Mißtrauen sah ich zu, wie er einen Blasebalg ergriff und seine Handvoll Kohlen damit anfachte, Wasser in einen Kessel füllte, gemahlenen Kaffee hineinwarf, ihn aufkochen ließ, mit einem Blechlöffel darin rührte, und uns zwei winzige Täßchen voll nebst einem Schälchen mit körnigem Rohrzucker – das ist hier die Finesse – vorsetzte, und nie habe ich besseren Kaffee getrunken.

Dann fuhren wir zurück durch die geschmückte Stadt, wo schon hier und da das Geprassel des Feuerwerks anhob.

12. Oktober abends. Das war »die unwiderruflich letzte Vorstellung«; wir segeln morgen.

Am 13. Oktober früh um 8 Uhr kam der Dampfer und das Boot von Tavares mit den letzten Sendungen; Fleisch, Gemüse, Apfelsinen, kleine duftenden Limonen, Honig für mich in einem großen Gefäß, das abgezogen zwanzig große Flaschen füllte, Schokolade, die billiger und herber ist als die europäische, u. s. f. Der gute Tavares schickte mir noch einen entzückenden Rosenzweig aus Flamingofedern und zwei lebende Orchideen, die in der Kajüte unter dem Oberlicht hängen und noch blühen, dafür vergaß er aber Jürgens Gummimantel, der tags zuvor bei ihm deponiert worden war. Noch einmal sah ich die Sonne über Rio aufgehen, und dann glitten wir unaufhaltsam zum Tore hinaus.

III.
Von Rio nach Singapore.

13. Oktober bis 2. Februar.

Es geht nach Singapore. Für den, dessen Geographie etwas eingerostet sein sollte, ist die Lage leicht beschrieben. Faßt man die Karte von Hinterindien etwas näher ins Auge, so wird man bemerken, daß ein schmaler Meeresarm die Südspitze von Malacca von dem Festlande trennt. Das ist die kleine Insel Singapore, um welche sich ein Kranz anderer Inseln und Inselchen gelagert hat. An der so gebildeten Bucht liegt die Stadt gleichen Namens, oft genannt und wohlbekannt als einer der Knotenpunkte von Handel und Wandel im fernen Osten.

Den eigentlichen Bestimmungshafen wissen wir noch nicht. Der »Regulus« muß nach Singapore, um zu docken, was in Rio unvergleichlich viel kostspieliger ist, und die Ordre für den Reisplatz, an den er demnächst geschickt wird, nimmt Jürgen auch dort erst in Empfang.

Auf der Reise von Rio nach Singapore sucht man zuerst höhere südliche Breiten zu gewinnen, in denen westliche Winde vorherrschen. Diese findet man auf etwa 40-45 Grad Süd, segelt dann mit nahezu Ostkursen bis man die Länge der Inseln St. Paul und Amsterdam erreicht, wendet sich hier nordwärts, in möglichst gerader Richtung auf Atchin Head, den nördlichsten Punkt von Sumatra, zusteuernd, von wo aus östliche und südöstliche Kurse durch die Straße von Malacca nach Singapore führen. Das ist in kurzem Umriß die Reise, die vor uns liegt.

Und nun noch ein Wort über die Gefährten, mit denen wir auf Monate Freud und Leid zu teilen haben. Die Steuerleute, Herr Pauly und Herr König, Später im Weltkrieg als Führer des Handels-U-Bootes »Deutschland« bekannt geworden. waren mir schon von der ersten Reise her bekannt und wert, auch von der damaligen Mannschaft sind einige geblieben, wie der kleine Schiffsjunge Ferdinand, der Steward Koko und der Segelmacher. Einigen merkt man bald den Sohn aus gutem Hause an; sie gingen nach Beendigung der Reise auf die Steuermannsschule. Im ganzen sind alle ordentliche und tüchtige Leute, und wenn sich auch der rote Hermann an Land regelmäßig zu viel tat, so wurde er in einem solchen Fall mit sanfter Gewalt nach vorn geführt und uns jeder unangenehme Auftritt erspart.

Hinter der kleinen Insel Raza, noch in Sicht der brasilianischen Küste, verließ uns der Dampfer, aber leider auch der Wind, und wir schaukelten nur mit gelegentlichen kleinen Puffs weiter. Als ich nach Tisch an Deck kam, sah ich Jürgen heftig rauchend auf und niedergehen, wie er tut, wenn er unruhig ist, und bemerkte nun erst, daß wir mit der herausgehenden Ebbe trieben. Umsonst wurde in das Wasser gesehen und Papier über Bord geworfen, das Schiff zeigte keine Fahrt und der Nachbar auch nicht. Es wurde nun an den Segeln gestellt, neue gesetzt und auf jeden Lufthauch reagiert, bis sich nach und nach die Entfernung zwischen den Schiffen vergrößerte und die Gefahr des Zusammenstoßes vorüber war.

»Ja«, sagte Jürgen befriedigt, »ein feines Gefühl für den Wind muß man haben; bei mir sitzt es im Rücken.«

Am nächsten Morgen war man schon weit von Land, der Wind frisch, aber natürlich nicht von der Richtung, aus der er kommen sollte.

20. Oktober. Jürgen hat mir ein paar Wandbretter in der Lotsenkammer machen lassen; dort steht auch handlich einer meiner Koffer und die schöne neue Kampferkiste, die mir Jürgen aus Rangoon mitgebracht und mit allerhand Hübschem gefüllt hat, Federn und Straußeneier aus Kapstadt, Seide und »Japanisches« aus Rangoon.

Zwei Schildkröten trieben vorbei, eine gelblich, lebhaft rudernd, die andere schlafend, aber leider nicht nahe genug für die Harpune, die lockend und wurfbereit am Bugspriet hängt.

27. Oktober. Zwei Tage Sturm, nicht schlimm, aber der Wind immer ungünstig.

Der Koch hat die kleine gelbe Katze, die immer schrie und nicht zunahm, über Bord geworfen. Nun haben wir nur noch »Tavares«, die weißgelbe, der ein schwarzer Fleck über dem Auge etwas Diabolisches gibt. Sie mieft die halben Nächte in der Kajüte umher und ich mußte wählen zwischen der Katze oder geschlossener Kammer und zog die erstere vor.

Unter einer Schar kleiner Seeschwalben folgen uns ein paar Kaptauben, reizende Tierchen, so groß wie Tauben, denen sie auch in der Gestalt etwas gleichen, nur Schnäbel und Füße verraten den Seevogel. Sie sind oben schwarz, unterhalb weiß und weich, die Flügel zeigen drei weiße Flecke, der Rücken ist weiß und schwarz geschubbert; wenn sie etwas von oben bedrohen könnte, hielte ich es für Schutzfärbung, um im Wellengekräusel nicht bemerkt zu werden. Auch ein albatrosartiger Vogel kam vorüber und eine wirkliche kleine Schwalbe, die der Steuermann ihres rostfarbenen Lätzchens wegen für ein Rotkehlchen hielt. Die See ging noch hoch und es war neblig, so daß man nicht weit sehen konnte und die langen Wellen direkt vor der Nebelbank auftauchten; so einzeln steigend sieht man sie selten.

Ein Viermaster zog vorüber.

28. Oktober. Eine große Schar Delphine, vulgo Schweinfische; man sieht ihre gelblichen Leiber und spitzen Schnauzen in gerader Linie durch die Wellen schießen und sich überschlagen; Jürgen stürmt nach vorn und jagt beim ersten Wurf die Harpune einem dicken Schweinfisch durch und durch, der blutüberströmt unter lautem »Hurrah« heraufgezogen wird. Er ist in der Nähe gesehen schwarz und gleicht, nachdem die Haut mit der Fettschicht entfernt ist, von innen einem Schwein, nur hat er dunkles, fast schwarzes Fleisch. Wir bekommen Koteletts davon und einen Sauerbraten zum Sonntag; es schmeckt durchaus nicht fischig – ist ja auch ein Säugetier.

28. Oktober. Dichter Nebel; das Nebelhorn versagt und muß gedoktort werden, wobei es die jämmerlichsten Töne ausstößt, bis es endlich seinen alten Brüll wiedererlangt.

29. Oktober. Guter Wind aus Nordwest, herrliche blaue See, Himmel so blau, daß er oben lila ist; Seeschwalben, kleine weiße Eisvögel, weitflügelige grauweiße Albatrosse fliegen den ganzen Tag um uns her, schweben auf, schweben ab, kaum die Flügel bewegend, bald auf dem rechten Bug, bald auf dem linken, wie beim Holländern, und ihre Flügelspitzen scheinen die Wellen zu streifen, ohne sie doch je zu berühren. Wir sitzen auf der Bank auf dem Hinterdeck und sehen »dem lieblichen Spiele« zu. Plötzlich pustet ein Walfisch in ziemlicher Nähe, dann noch einer und noch einer; wenigstens sechs tummeln sich umher und blasen ihre Dampfwolken in die Luft; eine alte Waldame mit Jungem, ein Ehepaar, ein alter Großvater mit Enkel, immer zu zweien. Man sieht sie deutlich, aber nicht lange. Immer ferner steigen die Wassersäulen auf, manchmal fünf bis sechs auf einmal, dann verschwinden sie im Hintergrund.

Wir lesen in Darwin's Reise die Beschreibung von Rio de Janeiro nach und bewundern, wie er mit wenig Worten die tropische Landschaft so treffend schildert und wieviel mehr ein Naturforscher sieht als unsereins.

30. Oktober. Fedor, der zweite Leichtmatrose, warf den ganzen Vormittag über die Angel aus, fing aber nichts. Nach Tisch sah ich die schwarze Rückenflosse eines Haifisches; man ließ die große Angel aushängen und wirklich, der Hai biß sich fest. Jürgen schickte ihm noch eine Kugel durch den Leib und die Leute holten ihn längsseit und zogen ihn mittschiffs herauf. »Er kommt ganz willig,« sagte der zweite Steuermann – mit dem Haken im Kiemen und dem Schuß im Leib sollte er wohl »willig« kommen! Er schlug noch tüchtig, aber nach zehn Minuten war er zerstückt über Bord geworfen. Es war mir ganz unbehaglich, die wilde Freude zu sehen, mit der das schöne Geschöpf vernichtet wurde, aber kein Tier hassen die Seeleute so wie dieses, und einen Tiger würde man doch auch nicht leben lassen. Im Magen hatte er nichts; in einem solchen fand man einmal eine Tabakspfeife, die der Zimmermann hatte über Bord fallen lassen. Jürgen hörte es selbst von einem, der – den Zimmermann gekannt hatte.

Das Schiff rollte plötzlich so arg, daß Jürgen, der eben einen kleinen Tropfen mischen wollte und drei Gläser und zwei Flaschen vor sich hatte, seinen Arm um sie legen mußte, und ich konnte mich nur gerade selbst halten, während alles um uns her fiel und schurrte. Ich glaubte, es wäre ein plötzlicher Windstoß, aber im Gegenteil, es war gänzliche Windstille und das Schiff rollte in der Dünung. Jürgen ließ es mit dem Kopf gegen die See wenden, worauf es ruhiger lag.

2. November. Jetzt steckt Ihr zu Hause die Lampe an; es ist drei Uhr; Ihr seid uns um zwei Stunden voraus. Die Dämmerung dauert schon auffallend lange. Uebermorgen hoffen wir Tristan d'Acunha zu erreichen, was Jürgen wünscht, um die Chronometer zu prüfen.

4. November. Wundervoll warm und schön nach nebligem Morgen. Kurz vor Tisch heißt es: » Land!« und unter dichten Wolkenballen zeichnen sich leicht, aber deutlich zwei Kaps und links davon zwei hohe Berge ab; nachdem man die Karte vielfach verglichen hatte, wurde voraus, hinter dichtem Gewölk, noch ein Kap gefunden und die Gruppe der drei kleinen Inseln Inaccessible Island, Nightingale Island und Tristan d'Acunha somit programmmäßig angelaufen, d. h. wir ließen sie zur Rechten und gingen an der Nordseite vorüber.

Nehmt die Karte und seht, wie weit südwärts sie liegen und denkt Euch, daß Tristan, die größte, ein rundes Felseneiland ist, 8000 Fuß hoch. Die Spitze lag in dichten Wolken, und nur bis zu einem Drittel seiner Höhe sah man es, steil und zerklüftet, aus dem Meere steigen. Durch das Glas ließ sich spärlicher Baumwuchs entdecken, die Abhänge waren grün und wenn im Frühjahr die Bäche von den Bergen stürzen, mag es wohl schön sein. Jetzt ist dort Sommer und wir konnten die Häuser der kleinen Ansiedelung und die weidenden Herden auf den Matten dahinter erkennen. Es gibt hier nichts als Rind, Schaf, Schwein und Ziege, Gänse und Hühner, Fisch und Kartoffeln zur Nahrung; auch lebt nur eine Handvoll Engländer dort und ein Deutscher, namens – Green. Die ersten Ansiedler kamen der Robben und Walfische wegen, von denen es damals wimmelte, jetzt bleiben diese klüglich fern. Den Einwohnern geht es kümmerlich, so daß die überzähligen auswandern müssen und es wird Euch gewiß sehr erfreuen zu hören, daß nach dem Tode des verdienstvollen Sergeanten Graß, Mrs. Graß mit neun Kindern und vierzehn Enkeln Kapstadt in bestem Wohlsein erreicht hat. Die Leute dort sind »treuherzig und gemischt«, beggars can't be choosers »Bettler haben keine Wahl« – englisches Sprichwort.; sie mußten froh sein, wenn sie überhaupt Frauen bekamen und konnten an der Farbe nicht mäkeln.

Alles dies ist ausführlich und mit großer Liebe geschildert im Sailing Directory von 1870!

Mit allen diesen Kenntnissen ausgerüstet, sahen wir dieses Salas y Gomez und seine Robinson-Heimstätten mit besonderem Interesse an, und siehe da! ein Boot mit zwei lateinischen Segeln stieß ab und ging so in See, daß es offenbar beabsichtigte, den »Regulus« im spitzen Winkel zu treffen. Es war so entfernt, daß wir nur einen weißen Punkt sahen und Segel und Boot kaum durch das Glas erkennen konnten; es kam indessen schnell heran, das Schiff wurde angehalten, das ziemlich große schwere Boot, »ein echter whaler«, legte seine Masten nieder, machte das zugeworfene Tau fest und die Insassen, sieben Männer, kletterten an Bord, einige Mulatten und einige Weiße, darunter ein Italiener. Sie sprachen alle englisch, brachten Milch, Bricken aus Pinguinfedern und schütteten Säcke aus, denen Kartoffeln, Hummer und Fische entfielen; im Boote lagen noch ein Hammel, ein Schaf, Gänse und ein quiekendes Schwein. Das erste, um das der eine bei meinem Anblick bat, war – ein Schnürleib! Auch Schuhe wollten sie, und ich machte ein Päckchen für sie zurecht. Sie trugen selbstgefertigtes Schuhwerk aus ungegerbten Ochsenhäuten, noch mit den Haaren daran und sahen auch sonst anständig aus. Ein anderer bat mich um Haarnadeln, »for my missus«, denen ich noch von meinen sonstigen weiblichen Vorräten hinzufügte, was ich glaubte entbehren zu können.

Unterdessen handelte Jürgen mit ihnen und kaufte mächtig ein und da es hauptsächlich für mich war, daß er sorgte, so war ich beschämt, den Hammel in die Höhe ziehen zu sehen, fünf Gänse (»nun haben wir sechs an Bord«, konnte ich ihm unter diesen Umständen wohl hingehen lassen), Kartoffeln, Milch und Eier! – man denke, frische Eier! – Fische und endlich noch das Schwein. Alles lief an die Verschanzung und sah nach dem Schwein, ein so entsetzliches Quieken vollführte es; endlich kam es über und war so absonderlich, daß wir es gewiß für ein Erkleckliches an einen zoologischen Garten verkaufen könnten; ganz klein ist es und sieht dabei lächerlich fix und fertig aus, mit braunem langhaarigen struppigen Fell, gar nicht wie gewöhnliche Borsten. Mit Windeseile rannte es hin und her und besah und begrunzte alles mit der komischsten Neugier. Auf ihre Bitte bekamen die Leute etwas Mehl, Brot, Zucker und Reis, denn sie hätten nichts als Fleisch und Kartoffeln. Jürgen hätte ihnen gern mehr gegeben, ist aber selbst nicht überflüssig versehen. Sie erzählten, sie wären zweiundfünfzig Menschen, hätten aber noch die Mannschaft eines gestrandeten Schiffes dort; der Italiener gehörte dazu und war zweiter Steuermann gewesen. Nach Kapstadt unterwegs, hätten sich die Kohlen, aus denen die Ladung bestand, entzündet; sechs Tage blieben sie auf dem brennenden Schiff und es gelang ihnen nur mit Mühe, Tristan zu erreichen. Sie retteten sich an die unwegsame unbewohnte Südküste und hatten über das felsige Eiland zu klettern, um zu der Ansiedelung zu gelangen. So sind sie nun gefangen, bis ein Schiff kommt, das sie mitnimmt; leider konnte Jürgen weder die 16 Mann nach Singapore bringen, noch sie nach Kapstadt überführen. Mir tat es sehr leid; mit welchem Herzklopfen mochten sie unser Segel erspäht haben. Das Kommen von Schiffen wäre ganz unberechenbar, sagten sie. »Es kann morgen eins da sein, es kann vier, fünf Monate dauern.« Auch händigten sie Jürgen einen Brief ein, auf einem halben Bogen Papier geschrieben, und er versprach, ihn in Singapore dem italienischen Konsul abzugeben.

Auf der Außenseite steht:

To the Captain.

Please, read this note inside An den Kapitän. Bitte, lesen Sie den umstehenden Brief..

Auf der Innenseite:

Tristan D. Acunha. Kind Sir.

I am a man of 85 years old, resided on Tristan 56 years. on the 3 of october the Italian bargue Italia was run ashore on the South side of Tristan D. Acunha at that date the ship had been Afire for 6 days they fought hard to keep the fire down, but she exploded An hove the mainhatches overboard. They had to give up the chance of saving the ship. The ships crew 16 all told are All saved live with us at present will you be Kind enough to report this to any ship you may fall in with. Keep this and report this to the port of your destination i can not write any more at present but let Me remain yours Peter W. Green. Tristan d'Acunha. Gütiger Herr. Ich bin ein Mann von 85 Jahren, lebte 56 Jahre in Tristan. Am 3. Oktober wurde die italienische Bark Italia an der Südseite der Insel auf Strand gejagt. An diesem Datum hatte es schon 6 Tage im Schiffe gebrannt. Sie kämpften mit allen Kräften, das Feuer niederzuhalten, aber eine Explosion schleuderte die großen Luken über Bord. Sie mußten die Rettung des Schiffes aufgeben. Die Mannschaft des Schiffes, im ganzen 16 Mann, ist gerettet und lebt zur Zeit mit uns. Wollen Sie die Güte haben, dieses begegnenden Schiffen mitzuteilen. Bewahren Sie dies und melden Sie es in Ihrem Bestimmungshafen. Ich kann augenblicklich nicht mehr schreiben, aber ich verbleibe der Ihrige Peter W. Green.

Die Schrift ist englisch, groß und klar, nur etwas zittrig. Sicher ist die Bark schon verloren gegeben und die armen Angehörigen werden noch lange in Jammer und Sorge sein, bis der Trost sie erreicht, daß alle gerettet sind. Hoffentlich kommt ein Schiff für Kapstadt heran, ehe wir in Singapore sind, sonst dauert es Monate, ehe sie die Nachricht erhalten. Um 4 Uhr etwa setzten wir unsern Weg fort und bald stiegen wieder dichte Wolken auf, hinter denen die Insel versank wie ein Traum.

5. November. Die Gänse entpuppen sich als unliebenswürdige Charaktere; sobald eine frißt, beißen sie die anderen; auch das kleine braune Schwein, das wir Miß Green genannt haben, wird von dem in Rio gekauften, Dom Pedro, gestoßen und geknufft, wenn es fressen will, läßt sich aber die Butter nicht vom Brot nehmen. Der Bock ist schon geschlachtet und wiegt ohne das Fell 36 Pfund.

Endlich heute, 37° S. Br. und 12° W. L., habe ich zum ersten Male das südliche Kreuz gesehen; bis jetzt verdeckten es immer Wolken oder es ging zu spät auf. Das, was ich einmal dafür ansah, war es nicht, verdiente jedoch es zu sein, denn es waren fünf Sterne, die regelmäßiger verteilt sind, als die des wirklichen Kreuzes, aber, wie Herr König richtig bemerkt, hier ist der Himmel voller Kreuze. In der Tat ist das Charakteristische des südlichen Himmels, neben der Sternenleere im Vergleich zu der nördlichen Halbkugel, die Häufigkeit von zwei Sternen, »che insieme vanno«, Die zusammen wandeln. was sich verschiedentlich zu Kreuzen erweitern läßt. Auch die Kapwolken sah ich wieder, die Darwin, ich weiß nicht warum, zu den Haupteindrücken seiner Weltreise zählt.

6. November. Der Mensch weiß doch nie, was ihm bevorsteht, und selbst auf dem Ozean ist man vor überraschendem Besuch nicht sicher. Heute früh weckte mich Jürgen mit der Nachricht, es käme ein Schiff hinter uns her, und der Vormittag ging damit hin, es zu beobachten; ein großes Bremer Schiff, der »A. B. Zeh«, grün gestrichen, frisch gekupfert, unter all seinen Segeln kam es auf uns zu. Sobald es in Erkennweite war, begann es seine Flaggen aufzuziehen. Es kam aus Cardiff, hatte Kohlen geladen, ging nach Singapore, war fünfzig Tage unterwegs und fragte höflich, wie wir uns befänden? Antwort: »Sehr gut,« worauf abermals Flaggen, die im Signalbuch bedeuteten: »Bedaure, es zu hören.« Da es nun kein Spaß gewesen wäre, wenn es in Singapore rapportiert hätte, der »Regulus« habe Krankheit an Bord gehabt, so ließ Jürgen seine Signale wiederholen und bekam darauf: »Wir wünschen Ihnen eine glückliche Reise.« Dabei war es uns so nahe gekommen, daß man sich anrufen, wenn auch nur halb verstehen konnte, der Kapitän, den Jürgen und der erste Steuermann kannten, winkte, wir winkten, die Mannschaft des »A. B. Zeh« stand mit Musik an der Verschanzung und schrie: »Hip! hip! hurrah!« Unsere Leute holten ihre Instrumente, spielten, grüßten und schrieen gleichfalls und so zogen sie voller Lust und Liebe davon, wir aber gingen hinunter und aßen unsern Hammelbraten. Dann ging Jürgen wieder hinauf und kam ganz befremdet zurück, es wäre erstaunlich und unbegreiflich, aber das Schiff müßte umgekehrt sein, denn es käme wieder hinter uns her. Herr Pauly, der durch sein Glas sah, brach in Lachen aus: »Sie haben eine Puppe gemacht!« Richtig, Jürgens Lorbeeren hatten den Kapitän nicht ruhen lassen, er hatte nun auch ein weibliches Wesen an seiner Seite, aus einem Laken fabriziert, der Kopf offenbar ein Besen, es hatte auch einen Hut, und ein Mann, der dahinter stand, ließ das Greuel aus Leibeskräften winken. Damit noch nicht zufrieden, heißten sie es noch auf, damit man es ja ordentlich sähe. Wir bezeigten durch Klatschen und Winken unsere Freude über den Scherz und so, mit guten Wünschen und Tücherschwenken fuhren sie weiter. Wer beschreibt aber unser Staunen, als der »A. B. Zeh« nochmals zurückglitt, um zum dritten Male hinter uns her zu kommen. Diesmal hatte er drei große deutsche und mehrere Kontorflaggen geheißt, und es sah schön aus, wie er so groß und stattlich an uns vorüberging. Neuer Jubel, neues Winken, neue Musik, auch die Frau hatten sie verschönt und der Kapitän tanzte mit ihr auf Deck. Nochmals gingen wir auf den Spaß ein und unter erneutem hip! hip! hurra! zogen sie ab. Jürgen war aber nicht sehr erbaut. Nicht allein, daß der »A. B. Zeh« seine eigene Zeit vergeudete, er schädigte auch uns, denn er nahm uns jedesmal im Vorübergehen den Wind und den halten wir zu Rat, wie sich's gebührt. Nebenbei war es auch kein Vergnügen, den anderen sein Schnellersegeln paradieren zu sehen, – keine Kunst übrigens, denn er kam blitzblank aus dem Heimatshafen, wogegen der »Regulus«, über Jahr und Tag in See, natürlich bewachsen und dadurch in seiner Fahrt behindert war.

16. November. Wir hatten einen Tag gleiche Zeit mit Euch, sind aber schon wieder um zwei Stunden voraus, auf der Länge der Delagoa-Bay, haben auch bereits die Karte des Indischen Ozeans hervorgeholt. Es ist so kalt, daß ich mich ganz in Wolle gesteckt und mein wärmstes Kleid angezogen habe, und doch ist es hier der wundervolle Monat Mai und wir sind auf dem 41.° S. Br., etwa die entsprechende Höhe von Sizilien.

Fedor fing einen Albatros und wollte sich einen Tabaksbeutel aus den Schwimmhäuten machen. Das schöne Tier kroch mühselig umher, denn sie können auf dem Boden schlecht fort. Auf meine Fürbitte sagte er zwar: »Ragout schmeckt fein von«, doch ließ er ihn fliegen. Am Sonntag aber fing der Koch selbst sechs mit einer langen Leine und da es zum Essen für die Leute war, konnte ich nichts sagen. Sie sind größer als Schwäne, die Flügel im Durchschnitt 12 Fuß von Spitze zu Spitze; der Schnabel ist rosenrot, das Auge groß und glänzend schwarz, das Gefieder weiß und grau, herrlich weich und schimmernd. Es war jämmerlich zu sehen, wie sie umsonst die Flügel spannten und hilflos hin und her wankten. In der Tat, »Ragout schmeckt fein von,« wir bekamen es heute auch und es war sehr gut, weder zäh noch tranig. Zu meiner Ueberraschung ist Jürgen von einem Aberglauben in bezug auf das Töten des Albatros' nichts bekannt; er hat es nie beanstanden hören, obwohl er auf englischen Schiffen gefahren und wiederholt englische Matrosen unter der Mannschaft gehabt hat. Dagegen, sagt er, gelte das Töten der Seeschwalben, Mother Carey's chickens, für unglückbringend und vielleicht habe Coleridge in seinem Ancient Mariner diese Vorstellung bewußt oder unbewußt auf den Albatros übertragen. Gestern hatten wir +3° R., heute ist es nicht so kalt, aber über 6-10 Grad Wärme haben wir selten.

17. November. Das Schiff schlingert, daß man kaum gehen kann. Der Koch fängt wieder vier Albatrosse, darunter einen grauen mit orange Streifen auf dem schwarzen Schnabel und schrägem weißen Strich unterm Auge, das eine braune Iris hat.

18. November. Guter Wind. Ich mache Jürgen eine neue Mütze. Abends Albatrossteaks. Wir sind auf gleicher Länge mit Jerusalem, auf dem 34. Grad und machen neun Meilen die Stunde.

19. November. Herrliche hellblaue See, guter Wind, aber nur +5° R.

Eine große Ueberraschung hatte ich heute früh, als ich den Kopf des grauen Albatrosses wunderhübsch ausgestopft auf dem Kajütstische fand. Jürgen hatte es mir durch den Matrosen Karl machen lassen, der »alles« kann; die Augen hatte er genial durch schwarze Rockknöpfe ersetzt.

26. November. Ich habe nicht weiter geschrieben, denn es war immer dasselbe, immer kalt, das Schiff rollte und es gab beständig Sturm mit Regen und Hagel. Indessen sind wir 2 Grad nördlicher gekommen und seitdem ist es merklich wärmer. Wundervolle Wellen; wie flüssiger Saphir steigen die Hügel auf, biegen die glänzenden Kämme und schleudern ihre breiten Schaumkronen vor sich her; ich kann mich nicht satt sehen.

27. November. Jürgen feierte das Datum zu meiner Freude dadurch, daß er den Leuten Feiertag gab; sie merkten auch natürlich die Veranlassung, und ein Matrose kam und gratulierte im Namen der Mannschaft. Abends musizierten sie, Jürgen braute ihnen einen Grog und wir tranken eben ein Glas Wein mit den Steuerleuten, als draußen unter dreimaligem Tusch ein großes: »Hoch uf usen Kaptein un sine Fru« ausgebracht wurde. Dann sangen sie noch: »An der Saale hellem Strande«, auch offenbar uns zur Ehre.

Traurige Nachricht, eine Gans ist krepiert, leider nicht die Einäugige mit den struppigen Federn. Das Schiff macht zehn Meilen die Stunde, aber es liegt ruhiger, da der Wind seitlich kommt. Man liest, malt, näht, raucht und geht spazieren; ehe man es denkt, ist der Tag herum.

30. November. Wir hatten uns sehr darauf gefreut, die Inseln St. Paul und Amsterdam zu sehen; ich hatte sie in den Segel-Anweisungen nachgelesen und, da wir sie gegen Mittag zu erreichen hofften, in Eile Tristan d'Acunha von meinem Zeichenblock geschnitten; das war aber, als ob man sonst den Sechser für den Briefboten in Bereitschaft legte (was, wie es bei uns hieß, den ankommenden Brief mutwillig wieder verscheuchte). Der schöne Wind ließ nach, die Segel klappten, der Himmel wurde grau, grauer, endlich am grausten und anstatt den Blick an den vulkanischen Formen zu weiden, umgingen wir sie vorsichtig in einem südlichen Bogen. Ziemlich viel Vögel, aber da es regnete, saßen wir in der Proviantkammer und zupften Kokosfaser, um ein Kissen umzustopfen, das dem Segelmacher zu hart geraten war.

2. Dezember. Eine Herde Schweinsfische, von denen Jürgen einen harpuniert.

Es geht nun wieder nordwärts und die Wärme nimmt merklich zu.

7. Dezember. Immerfort die schönsten blauesten Tage, an denen nichts passiert. Eine Bark kommt uns heute nach und zieht vorüber; der Matrose Karl glaubt die »Charlotte« zu erkennen, die in Cardiff neben uns lag und nach San Francisco bestimmt war. Noch ein zweites Schiff in Sicht. Jürgen ist sehr ungehalten über die anhaltende Flauheit. Kapitän X. soll einmal bei Windstille seinen Hut auf den Boden geworfen und darauf getrampelt haben!

»Es ist nichts schwerer zu ertragen
Als eine Reihe von schönen Tagen«

ist jedenfalls auf die Schiffer gemünzt. Als ich in heller Unschuld sagte: »Welch wundervolles Wetter!« nahm es Jürgen bitter übel. Abends singen und musizieren die Leute, wir gehen oder sitzen spazieren und sehen die Sterne oben und ihren Widerschein im Wasser an; Orion, Siebengestirn, Sirius, großer Bär usw. stehen hier auf dem Kopf; aber das schönste bleibt immer die See; das Wasser, tiefblau im Schatten, wogt nur leise auf und ab. Wir streiten uns, ob Kornblumen so dunkelblau sind wie das Wasser, und Jürgen erzählt, daß man in seiner ostpreußischen Heimat die pflückenden Kinder aus dem Getreide schreckt, indem man sie vor der Kornmutter warnt, die zwischen den Aehren sitzt und die Kinder, die ihr zu nahe kommen, an ihren glühenden eisernen Brüsten tot drückt – ein grausiges Bild der versengenden Mittagsglut.

8. Dezember. Die Bark signalt; sie ist englisch, kommt von Rio und geht nach Kap Negrais.

Unaufhaltsam fällt ein wollenes Gewand nach dem anderen wieder ab; auch die Daunendecke ist fortgestaut.

9. Dezember. Blau und flau; Jürgen daher sehr deprimiert, auf deutsch brummig. Abends ändert sich der Aspekt; die See wird schwarzblau mit Lämmern, die sich zu Schafen und Böcken steigern; am

10. Dezember setzt der Südostpassat ein, »und 's ist alles wieder gut.« Der arme Dom Pedro, der schöne, glatte, schwarze Eber, hat nun auch das Zeitliche segnen müssen und die arme Miß Green hat keinen Umgang mehr als die mürrische alte Sau.

13. Dezember. Der schöne Passat war eine kurze Freude; gestern und heute war es bald so flau, daß die Segel klapperten, bald stürmte und regnete es. Es sind +23° R., dazu der Wind warm und die Luft feucht, so daß man von Zeit zu Zeit auch bei ruhigem Sitzen wie aus dem Wasser gezogen ist und jedes entbehrliche Kleidungsstück ablegt.

14. Dezember. +27° R. Ein englisches Schiff signalt; leider hat der Steuermann das Unglück, mit dem Rohr anzustoßen und ein Glas fällt ins Meer, so daß man auf die Gucker angewiesen ist, die nicht so weit tragen.

19. Dezember. Unausgesetzt heiß und schwül, mit ziemlich heftigen Güssen; unser Bad ist mit Regenwasser gefüllt. Der Engländer ist immer noch da, bald ist er, bald sind wir voraus, auch andere Schiffe tauchen auf und verschwinden. Wir sind nun auf der Breite der Sundastraße und steigen langsam zur Linie. Daß eben jetzt bei Euch das ganze Dorf nach »Christstolle« duftet, daß Ihr durch Schnee, Frost oder Schmutz stapft, daß alles auf das Fest hinhastet, trabt, in fiebriger Eile Kisten packt, Handwerker treibt, mit Paketen durch die Straßen stürzt, während wir hier in sanfter Brise entlang schaukeln oder in Stille braten, kann man sich nicht vorstellen, obwohl man es weiß.

Immer öfter unterhält man sich bei Tisch über vergangene Weihnachten und von zu Hause. Ich ließ mir heute à la Raphael einen Faßdeckel geben und malte einen Tannenbaum darauf, mit Aepfeln, Nüssen und Marzipan freigebig behangen. Auf die Zweige wollen wir Nägel schlagen und darauf die Lichter stecken. Jürgen saß dabei und half mit seinem geschätzten Rat. »Er hat einen so richtigen Blick«, wie die Dienstmädchen von unserem jungen Doktor sagten.

20. Dezember. Nacht stürmisch mit tropischen Regengüssen; Wind ganz unstet, weiß selbst nicht, ob und aus welcher Ecke er eigentlich blasen soll.

Jürgen läßt sich von Karl (dem, der alles kann), das Haar schneiden; ich bleibe dabei, um die Operation zu überwachen und bin ganz überrascht, wie schnell und geschickt er sich seiner delikaten Aufgabe entledigt und das Haar nur fein kürzt, anstatt, wie mancher Friseur von Fach, sein Opfer unaufhaltsam zu scheren.

21. Dezember. Schwül, Regenschauer. Ich mache auch eine Weihnachtsarbeit, obwohl nicht gerade heimlich, einen Ueberzug für Jürgens Rückenkissen, aus einem Rest roten Inletts. Da ich auch nur ein zufälliges Knäuelchen rotes Garn besaß, um in jede Ecke ein Ornament zu sticken, so teilte ich es in vier Teile und die Zeichnung mußte danach entworfen werden. Mit atemloser Spannung verfolgten wir den Fortschritt der vierten Ecke und mit dem letzten Stich des Musters war der Faden zu Ende, »als ob der Mathematiker König es berechnet hätte Wie die Bienenzelle. und kein Fehler in den Logarithmen gewesen wäre«, war Jürgens Kompliment.

Heute abend Bewegung unter der Mannschaft; es hieß, ein Schiff wäre längsseite und hätte einen Brief gebracht, der denn auch dem Kapitän überreicht wurde. Kein Geringerer als Neptun bittet um Erlaubnis, an Bord zu kommen, um an zwei Leuten, bei denen die Taufe nicht angeschlagen habe, dieselbe nochmals vorzunehmen. Jürgen antwortet artig, er werde sich sehr freuen, Neptun zu sehen und Bescheid sagen lassen, wenn wir die Linie erreichten.

Jetzt in der Hitze ist die viele Wäsche, die ich mitnahm, sehr angenehm und die alten Sachen leichter und frischer als die neuen. Der Steward wäscht viel und gut und wir haben Regenwasser genug, aber die feuchte, salzige Luft macht die Wäsche immer etwas klebrig und warm anzufühlen.

22. Dezember. Schwül und böig, was unbequem ist, weil bei Regen das Oberlicht bedeckt wird und die Kajüte dann nicht hell genug ist, um zu lesen, und wir sind eben tief in einem Roman, der in Barbados spielt: »In all shades« »In allen Schattierungen.«, dem das Vorurteil gegen Farbige zu Grunde liegt. Jürgen erinnert sich dabei einer Familie in Kuba, die er immer bedauert hatte. Der Vater war Deutscher, die Mutter Octoroon, die Kinder hatten also nur ein Sechzehnteil farbigen Blutes, es war ihnen nichts davon anzumerken, und doch ging keine der benachbarten spanischen Familien mit ihnen um.

23. Dezember. Die Nacht war stürmisch; immer, wenn ich am Einschlafen war, heulte der Wind und klatschte der Regen mit erneuter Gewalt. Jürgen blieb die Nacht über oben und es sah sehr »echt« aus, wenn er herunterkam mit triefendem Südwester und rieselndem Bart und eine Flasche an den Mund setzte, die nicht mit Milch gefüllt war. Dies ist der Nordwestmonsun und man kommt wenigstens vorwärts.

Heute passierten wir die Linie und Neptun kam an Bord mit großem Gefolge. Erst der Aktuar Aktenstaub mit mehligem Gesicht, großen Vatermördern, einem Frack, dessen Schöße fast den Boden berührten, karierten Hosen und himmelstürmendem Zylinder – alles dieses hatte er sich selbst aus altem Segeltuch gefertigt und geteert – dann Musikanten, Hatschiere, ein prachtvoller Neger in Uniform, einige Fantasie-Kostüme mit bunten Decken, bemalten Gesichtern und Trichtern als Hüten und schließlich noch zwei »Wilde«, so wild, wie Haare und Gürtel aus geteertem Hanf und weitabstehende Federn einen Schwarzen nur irgend machen können. Mit affenartiger Geschwindigkeit kletterten sie auf die oberste Rah, »um die Linie über die Toppen zu werfen«. Damit das Schiff, das bekanntlich daran festhakt, darunter durchkönne! Der Aktuar hatte einen großen Sextanten und nahm mit »Achtung!« und »Stop!« die längst untergegangene Sonne, während mit langem Flachsbart und Dreizack Neptun sich mit dem Kapitän unterhielt und sich in der Kajüte einen Schluck gefallen ließ. Darauf wurden Ferdinand und Eberhard mit einem großen schwarzgeteerten Pinsel »eingeseift«, mit einem enormen hölzernen Rasiermesser abgekratzt und dreimal in die Regentonne geduckt, was sie heldenhaft ertrugen. Schließlich tanzten Neptun und der Aktuar zu den berauschenden Klängen einer Harmonika, die der eine Wilde spielte. Mir wurde ein Taufschein ausgefertigt und der Schwertfischorden überreicht, kunstreich aus Blei in einer Holzform gegossen; Jürgen bekam den Haifischorden und der erste Steuermann den Delphin.

25. Dezember. Gestern war also Heilig-Abend und während Ihr Euch zu Tische setztet, steckten wir hier die Lichter an unser gemaltes Bäumchen und hatten unsere kleine Bescherung für uns, die Steuerleute und den Steward, der mit zur Kajüte gehört. Nachdem wir ein Weilchen zusammengesessen, getrunken, geraucht und uns gefreut hatten, besteckten wir den Faßdeckel mit neuen Lichtern, nahmen einen Sack mit Pfefferkuchen und einen Korb mit Kleinigkeiten für die Leute und gingen ins Logis, wo sie sich auch schon Weihnachtslichter an ein kleines Gestell in Form des Kontorzeichens – ein gleichschenkliges Kreuz – gesteckt hatten. Sie waren alle sehr nett und zutraulich, und die Jungen, denen ich Päckchen aus ihrer Heimat mitbrachte, sehr überrascht und erfreut. Den beiden Leichtmatrosen Jan und Fedor, die schon fürchteten, durch die lange Reise in ihrem Fortkommen aufgehalten zu werden, kündigte Jürgen ihre Beförderung zu Vollmatrosen an; beide bewahrten ihren Ernst und ihre Würde und bedankten sich wohlerzogen, aber die strahlenden Augen und heißen Backen der beiden guten Jungen zu sehen, war eine Herzensfreude, die ich ihren Müttern gegönnt hätte.

Ich hatte allerhand Spaß und puzzles mitgenommen und wir hörten sie noch lange mit dem Telephon für zehn Pfennige spielen und Bestellungen machen, mit »nicht-ver-stan-den«! Mit den zusammenhängenden Schlüsseln und abzuziehenden Ringen hantieren sie heute noch. Den Pfefferkuchen hatte ich mir in Antwerpen besorgt, aber das Unglück gehabt, zwei davon unterweilen zu essen, doch reichte es noch gerade. Ohne Zwischenfall ging es indessen nicht ab; erstens fand ich, als gedeckt war, Tavares, die Katze, mit den Vorderpfoten auf dem Tisch, die Schnauze säuberlich im Hummersalat und zweitens und schlimmstens muß ein Funke auf das übergelegte Stück Segeltuch gefallen sein, denn ich sah es plötzlich glimmen und es war schon ein talergroßes Loch in das gute große Tischtuch gebrannt. Später sangen die Leute, als wir schon zur Ruhe gegangen waren, und es war mir ergreifend, »Stille Nacht, heilige Nacht« hier mitten im Indischen Ozean durch die heiße Tropennacht klingen zu hören.

Das Wetter war zum ersten Mal wunderschön und ist es auch heute, mit frischer Brise, die aber gerade daher weht, von wo sie nicht soll; das Schiff muß abends und morgens gewendet werden und kreuzt nach Ost und West, anstatt nach Norden zu gehen. Aber denkt, was ich gestern sah, ich traute meinen Augen nicht, – eine Libelle! Jürgen sagte strafend: »Wenn Du Deinen Darwin besser kenntest, würdest Du wissen, daß sie erstaunlich weit von Land fliegen.«

Gestern hätten wir beinahe einen herrlichen großen Fisch gefangen. »Fisch an der Lin!« rief der Mann am Ruder; wir stürzten hinauf und man zog und zog; endlich kam er, ein wundervolles, metallisch grünes Tier, das aber nicht »willig« kam, sondern um sich schlug, so daß die Leine riß und der Stock der Harpune, die Jürgen ihm nachwarf, brach und »fort war's!« Zwei Zinken der Harpune waren verbogen. Neulich kam auch ein »Döskopp«, ein Seevogel mit langem, schmalen Kopf und Hals. Wirklich trug er seinen Namen mit Recht, denn er blieb ruhig auf dem Ende der Rah sitzen und wartete, bis Eberhard herankam und nach ihm griff, dann hackte er und Eberhard hielt es für geraten, herunter zu kommen. Nun ging Fedor hinauf und es war ergötzlich, wie er den Vogel beschlich, ganz wie der Wolf ein Schaf; langsam, mit abgewandtem Gesicht, rückte er näher und näher, der Vogel putzte sich ruhig weiter, bis ihn der Junge am Hals ergriff und ungeachtet alles Sträubens und Schlagens glücklich an Deck brachte. Hier mußte er zum Ergötzen des Publikums, das »mit dem Schirm piekte«, jämmerlich zwischen den Gänsen und dem Schwein herumhopsen; er hatte ein scheues wildes Auge, mit einem hellblauen kahlen Zierfleck. Da er zum Essen zu spärlich war, ließ man ihn fliegen, nachdem ich ihm ein rotes Band hatte umlegen lassen, um ihn, falls er wiederkäme, zu erkennen; als man ihn in die Luft warf, schoß er davon wie ein Pfeil, als wollte er sagen: »auf das Schiff bringen mich keine zehn Pferde wieder!«

30. Dezember. Es ist sehr zu merken, daß wir ein paar Grad nördlich vom Aequator sind. Wir leiden nicht mehr unter der Hitze und haben immer eine schlanke Brise, mit der wir uns langsam nordöstlich aufkreuzen, der Straße von Malacca zu.

Gestern Abend ein fernes Segel, das heimwärts zieht.

31. Dezember. Gegen Mittag wurde Land gesehen, die südliche Insel der Nicobaren. Das haben wir also gerade noch vor Jahresschluß erreicht.

1. Januar. Neujahr!

»Was da liegt im tiefen Schoße
Dieser neuerblühten Rose,
Ach! Wir wissen es noch nicht!«

Ich weiß nicht einmal das Fazit des letzten Jahres, und das Herz schreit nach Briefen, wie der Hirsch nach frischem Wasser.

Wir haben Great Nicobar vor Augen und sind »v. Kalb darauf zu«, aber bis jetzt ist es noch ein Nebelstreif. Zum Sylvester hatten wir noch allerhand Spaß. Es war ein ganz weicher Abend mit hellem Mond, der die See grünlich überglitzerte. Die Leute hatten sich verkleidet, zwei von ihnen als Frauen, die sich mehr kräftig als anmutig bewegten; es wurde lebhaft getanzt, wobei die Damen die Füße warfen und Sprünge machten, die sonst dem zarteren Geschlecht nicht eigen sind. Einer stellte einen kleinen buckligen, braunen Lumpenmatz vor mit einem Sack, lief umher und schrie mit quäkiger Stimme sehr natürlich: »Rags and bones!« »Lumpen und Knochen!«, versuchte das Schwein zu stehlen, wurde ertappt, geprügelt, und so gab es allerhand Kurzweil bis zehn Uhr, wo man sich in seine Gemächer zurückzog. Um zwölf aber ertönte Musik und ein »Hip, hip, hurrah! für usen Kaptein und sine Fru!« Jürgen ging herauf und ließ sie wieder leben und ich sah der Zeremonie durch das Fensterchen, wohlverborgen, zu.

2. Januar. Wir segelten an Great Nicobar vorüber, es zeigt mehrere Bergreihen hintereinander und fällt, wie es scheint, steil ab; von oben bis unten hin ist es begrünt, das Meer war dunkel und ein weißer Saum schied das Grün vom Graublau. Das war der Korallensand und man sah die Wellen darüber hinlaufen und aufspritzen. Auch helle Baumstämme ließen sich unterscheiden, und damit die Landschaft tropisch aussähe, hatte die gütige Natur auf dem letzten Kap ein paar Palmen angebracht. Dies also wäre der erste Blick auf Asien gewesen; der Vollmond stand darüber und es war wunderschön.

»Fisch an der Lin!« und diesmal bekam man ihn glücklich, ein prachtvoller Seehecht von 32 Pfund, der »fein« schmeckte.

3. Januar. Scheuerfest! – Was das sagen will, ahnt niemand von Euch; dagegen ist die ärgste große Wäsche und die leidenschaftlichste Reinemache-Orgie vor Ostern nur ein Wickelkind. Nirgends ist man sicher, alles schwimmt, von allen Seiten werden Eimer ausgegossen, alles Holzwerk mit Sand bis aufs Blut gescheuert, man kann keinen Schritt machen, ohne zu riskieren, daß einem ein brauner Strom über die Füße läuft oder es von irgendwoher regnet, tropft oder gießt, und das soll tagelang dauern und gehört zu den besonderen Freuden der Seefahrt.

5. Januar. Gestern und heute steifer Wind und immer starker Strom nach West, der uns nicht in die Straße hinein läßt. Die Sonnenuntergänge sind herrlich; nach dem Versinken der Scheibe färbt sich das Himmelsviertel darüber langsam vom zartesten primrose bis zum weichsten Rot, das durch Heliotrop in das Blau oben übergeht, während gegenüber ein helles eau de Nil durch eine grünliche Skala das obere Blau erreicht. Manchmal schießen rote Strahlen, wie bei einem Nordlicht, fächerförmig auf und fast immer heben sich Wolkenballen in Grau und apricot auf dem leuchtenden Grunde ab, in Gigantenkämpfen und sonstigen phantastischen Gebilden; neulich ein Neptun mit langem Bart, im Muschelwagen von Delphinen gezogen und einem unendlichen Gefolge von Tritonen und Meeresungeheuern; doch ging er bald in die Länge und sein Bart schwebte als selbständiges Wölkchen davon.

7. Januar. Immer dasselbe; es weht halber Sturm, die See ist tiefblau mit aufschäumenden weißen Streifen. Gegen Abend, als Jürgen und ich vorn standen und über den Bug in das aufspritzende Wasser guckten, entdeckte ich (!!) von weitem einen hohen Berg, der kaum von einer Wolke zu unterscheiden war, Atchin Head, die Nordwestspitze von Sumatra. Natürlich – wenden. Und als Jürgen am Sonntag, den

8. Januar aufstand, was sah er? Wieder die Nicobaren, aber diesmal glücklich im Westen, und so sind wir doch ein Stück vorwärts gerückt. Ich lief hinauf, die Insel von der anderen Seite zu sehen, fand aber, daß sie, wie der »große Baribal« auf der Messe, von der Schwanzspitze bis zur Schnauzspitze ebenso war, wie von der Schnauzspitze bis zur Schwanzspitze, auch teilte sie die Eigentümlichkeit dieses seltenen Tieres, gutartig zu sein, wenn man es in Ruhe läßt, »wird es aber gereizt, so frißt es seinen eigenen Wohltäter« – das Sailing Directory warnt nämlich vor unvorsichtiger Freundschaft mit den Eingeborenen, die noch der unliebenswürdigen Sitte des Menschenfressens huldigen. Als Tauschware empfiehlt es silberne Löffel, aber gute, sie verstünden sich darauf! So beleckt die Zivilisation die wildesten Eilande. Ueberhaupt, die Freiheit, die das Tier der Wüste liebt, wird nächstens ganz verschwunden sein. Stellt Euch vor, daß man selbst auf See nicht behalten darf, was man findet. »Man tut immer besser, man läßt es treiben,« sagt der praktische Pauly, und Jürgen erzählt von einem Kapitän, der vor dem Kanal schwimmende Bohlen auffing und im Hafen ehrlich abgab – nach endlosen Formalitäten sollte er schließlich 12 Shilling Kosten bezahlen und dann einen Teil davon behalten. »Was,« sagte ich empört, »wenn wir hier ein Fäßchen auffischen, gefüllt mit« – »Rum!« fiel der erste Steuermann ein, – »der wird natürlich getrunken!« riefen die Herren unisono, – »nein,« sagte ich, »mit Diamanten, die würden wir doch untereinander teilen.« »Nein,« hieß es ganz ernst, »da könnten wir in des Teufels Küche kommen. Ein Teil, der dritte, gehört dem Eigentümer, einer dem Staate, der bekanntlich nicht blöde ist, einer dem Reeder; dann bekommen auch, nach Verhältnis, Kapitän, Steuerleute und Mannschaft.« Da lohnt es wirklich kaum, ein Fäßchen mit Diamanten zu finden.

9. Januar. Natürlich wieder gewendet. Weil ich meinen Kopf etwas fühlte, legte ich mich auf Deck in meinen Stuhl und nahm »das ew'ge Buch der Abenteuer«, die Odyssee, zur Hand, vertiefte mich in Telemachs Besuch bei Menelaos und beneidete die Unbefangenheit, – wirklich candeur adorable – mit der sich Helena an dem Gespräch über Troja beteiligt. Wie ihr wohl zu Mute war, als sie nach den zwölf Jahren nach Haus kam und all ihre alten Sachen auf den alten Plätzen wiederfand, den berühmten Arbeitskorb aus Silber und die goldene Spindel mit dem verblichenen Restchen violenfarbener Wolle! Als ich dieses erwog in des Herzens Geist und Empfindung, sah ich auf und vor mir lag das Meer in der antiksten Purpurfarbe und daraus erhoben sich drei Eilande, perlgrau, in leicht geschwungenem Umriß, wie die Gefilde griechischer Inseln einst vor dem göttlichen Dulder auftauchten – die Spitzen von Pulo Brass und in der Ferne Pulo Rondo. Pulo heißt Insel, wie der geneigte Leser schon eruiert haben wird.

Natürlich: »Wenden!«

12. Januar. Die Sache fängt an, sehr ernst zu werden; ich bin bei meiner letzten Dose Milch, tief im letzten Kasten Cakes, der Kognak geht zu Ende – was soll dann werden?!! Immer morgens die Pulos und abends die Nicobaren und immer der unglückliche Strom aus Ost – so kreuzen wir vor der Straße von Malacca auf und nieder. Jürgen tut nichts mehr, als über der Karte brüten, und ist er oben, so läuft er alle Augenblicke an den Kompaß und es wird gehalst und gewendet ohne Unterlaß, und so hat man nun wirklich in diesen dreizehn Tagen eine Strecke aufgekreuzt, die man bei etwas anständigem Wind in einem hätte zurücklegen können.

Jürgen warnt, nur das nötigste Wasser zu verbrauchen. Eben, während ich dies schreibe, kommt die erfrischende Kunde, daß der Wind herum ist und wir fröhlich nach Osten gehen.

»Fisch an der Lin!« Ich eile hinauf und oben am Heck stehen schon Jürgen, der den Elker losmacht, die Steuerleute und einige Matrosen, die die Leine einholen. Der Fisch scheint groß, die Leine dünn für die Last; endlich kommt er, man sieht den goldgrünen Fleck im Wasser. – Es ist ein Hai! – nein, ein Delphin! – nein, ein Albicour! – der schönste aller Fische. »Laßt mich allein«, sagt Adolph, »der starke Mann«, und hier ist nicht allein Kraft, sondern auch Geschick nötig. Er hat beides, langsam und sorgfältig bringt er den Fisch heran und kaum kann man ihn unterscheiden, so schleudert Jürgen den Elker und – fehlt. Unter atemloser Spannung wird der Fisch wieder herangeholt, Jürgen wirft und fehlt nochmals; man sieht den Fisch jetzt deutlich, der Haken sitzt nur dünn am Kiemen. Der Elker wird wieder aufgezogen und da ihm das zu lange dauert, springt Fedor nach vorn und holt die Harpune, inzwischen wirft Jürgen zum dritten Mal, der Elker sitzt und nun wird der Fisch mit beiden Leinen herangeholt, ein Tau übergeworfen und endlich liegt er an Deck, das schönste Tier, das man sehen kann, in Gelb, Weiß, Hell- und Dunkelblau schillernd, 5 Fuß lang, 3 Fuß breit zwischen der weitabstehenden Rücken- und Bauchflosse, wie der Zimmermann mißt, und 112 Pfund schwer. Die Flossen sind leuchtend gelb, ebenso die Reihen kleiner Flossen, die Bauch und Rücken zieren und die jede einen schwarzen Schattenstrich an einer Seite haben und aussehen, wie eine Reihe gelber Schmetterlinge.

Nun fallen die Leute über ihn her, nehmen ihm seine wenigen Eingeweide heraus und zerstückeln die herrliche Beute mit Gefühlen, die denen gleichen mochten, womit Tavares unverrückt den Vorgang beobachtete und die Sau das Blut aufleckte.

Währenddessen war ein Gewitter heraufgezogen. »Natürlich,« sagte Herr Pauly, »das war jedenfalls Neptuns bester Albicour!«

17. Januar. Immer dasselbe! Immer dasselbe! Jürgen weint auf seine letzte Zigarre, er kann sie vor Kummer kaum rauchen und droht, sich das Rauchen abzugewöhnen; das bewegt dem Steuermann das Herz und er gibt ihm ein Päckchen Tabak für sein Pfeifchen. Es ist wirklich hart, so geht es nun seit dem 26. Dezember. »Das ist Seefahrt,« sagt der Steuermann philosophisch, »wir sind nicht die ersten, denen es so geht und werden nicht die letzten sein.« Wenn er aber selbst der Schiffer wäre und ihm alles an einer guten und schnellen Reise läge, würde er es vielleicht auch weniger ruhig nehmen. Der arme Jürgen ißt nicht mehr ordentlich, schläft nicht mehr ordentlich und sorgt sich ab, und ach! den »Regulus« »bewächst schon ernstes Moos!«

19. Januar. Etwas Ost ist gemacht, der Wind ein wenig besser, obwohl noch lange nicht gut. Mir tut es selbst weh, wie sich das arme Schiff so mühselig fortarbeiten muß, anstatt frisch, frei und fröhlich vor dem Winde hinzuschießen; es muß schon das beständige Umzäumen satt haben. Gestern abend »Kabbelung«, das sind keine Wellen, sondern plötzlich heftig bewegte See ohne sichtbare Ursache. Das Meer sieht aus, als koche es. Die Erscheinung zeigt sich meist zwischen Inseln und Küsten; Jürgen meint, sie sei wissenschaftlich noch nicht genügend erklärt und möge wohl mit den Gezeiten zusammenhängen.

Nach Dunkelwerden eine kegelförmige Helle im Südwesten, Herr König und ich halten sie für Zodiakallicht.

21. Januar. Endlich! Pulo Pera ist mit frischer Brise passiert; wir sind in der Straße von Malacca. Als ich aufstand, sahen wir Pulo Penang mit seinen Spitzen, die eine ist zweimal so hoch wie der Corcovado, und links davon blaute eine Berginsel, das war ein hoher Gipfel im Festlande. Das Wasser ist braun und grün und Ferdinand will eine große Seeschlange gesehen haben, deren es hier viele geben soll; sie sind sehr giftig. Gestern roch ich wieder, wie schon öfters, Land, der Steuermann roch es diesmal auch. Es ist milde Luft, »die Lunge geht auf Samt«, wie der alte Hufeland zu sagen pflegte, wenn er seinen Patienten Montreux empfahl. Die Schlange wäre ein Knüppel gewesen, sagt der erste Steuermann, der ihn auch gesehen hat.

Die Leute bauen jetzt alle Schiffe, meistens halbe, die an ein Brett geheftet und mit Wellen reichlich umgeben werden. Fedor hat seines fertig und es noch durch einen Leuchtturm, ein kleines Lotsenboot und einen kleinen Dampfer als Schlepper vervollständigt. Was einer hat, müssen alle haben; eine ganze Reihe ähnlicher kleiner Leuchttürme und Boote stehen nun zum Trocknen auf der Luke. Als ich kam, waren Matten Mode; jeder hatte eine in Arbeit, und zwar mußte in der Mitte ein rotes Herz sein, umgeben von einem grünen Kranz, wozu sie sich den Hanf selbst färbten. Bei einigen brachen aus dem roten Herzen noch rötere Flammen hervor, so daß an Sinnigkeit wirklich nichts zu wünschen übrig blieb. Dann kam das Schnitzen auf; jeder mußte einen Rahmen fertigen, in dem dann eine, meist weibliche Photographie prangte, und jetzt, wie gesagt, ist der Schiffsbau an der Tagesordnung und manche bescheidene Bitte um Seidenfaden und feine Nadeln wird mir vorgetragen.

22. Januar. Einige Stunden tüchtige Brise; wir machen etwas Weg. Gegen abend kommt ein Kriegsschiff unter vollem Dampf und Segeln gerade auf uns los – sollten wir mit Rußland und Frankreich im Kriege sein?! Will es uns über woher und wohin befragen und uns vielleicht aufbringen?! – Da lenkt es ab und steuert nach Sumatra hinüber. Meine persönliche Sorge war, daß Jürgens weißer Anzug nicht so frisch aussah, wie ich gewünscht hätte, im Fall der feindliche Offizier an Bord gekommen wäre, und mit Vorsicht sondierte ich Jürgens Gefühle über diesen zarten Punkt, aber: »für den Kerl wäre er lange gut genug gewesen,« hieß es; so sind die Männer. Abends wieder der aromatische Landgeruch und ich weiß jetzt, wonach es riecht: denkt Euch Zimt, Faulbaum, Muskat und Heliotrop zusammen, dann habt Ihr es ungefähr. Wir fischen allerhand Treibendes mit einem kleinen Kätscher, der aus einem unserer Schwammbeutel und einem langen Bambus hergestellt ist, z. B. eine große, ganz durchlöcherte Nuß voller Chambregarnisten, wie Herr Pauly sagte, ein Stück Grünes mit zwei Serpeln, auch eine Schlange von etwa 3 Fuß, die sich aber halbwegs wieder hinausringelte.

23. Januar. Als Jürgen heute früh hinaufkam, sah er wieder Pulo Penang. Es hat etwas Grauliches, so einen ganzen Tag und eine ganze Nacht zu segeln und plötzlich wieder da zu stehen, von wo man ausging; es muß ein sehr starker Strom sein, der uns immer wieder zurücksetzt und mit leichter Brise nicht zu überwinden ist. Wir sind 101 Tage unterwegs und Jürgen hatte gehofft, bis Neujahr in Singapore zu sein. Am Nachmittag heißt es wieder: Schiff in Sicht! Ich frage, ob es ein Segelschiff ist? »Natürlich,« sagt Jürgen mit Nachdruck, »andere Schiffe existieren für mich überhaupt nicht!« – und ich dachte so oft in dieser Zeit, was für ein Segen jetzt eine kleine Maschine sein müßte. Es ist so niederschlagend, mit aller Mühe, Aufmerksamkeit und Sorgfalt nicht vorwärts zu kommen.

Der »Regulus« hat einen dichten grünen Pelz, auch deshalb geht er so schlecht durch's Wasser. »Ein großes Tier!« Ich sah nur ein Gewirr von etwa fußlangen Fischen, die Jürgen für Saugfische erklärte, und das Tier, das sie umgaben und umsaugten, schien ein Hai, bis es in die Höhe kam und den Kopf aus dem Wasser steckte, da war es eine ganz große Schildkröte, über und über mit Muscheln besetzt, wie ein Schiff. »Für die wird's Zeit, daß sie ins Dock kommt,« bemerkte Herr Pauly, während Jürgen den Elker heraufriß, aber ehe er die Leinen los bekam, entschwand sie nebst allen ihren barnacles und Saugtieren, »wir aber hatten das Nachsehen«. Ich kann mich gar nicht darüber trösten; es wäre solch ein Fang gewesen, das liebe Tier kam so eigens heran, sich harpunieren zu lassen und mußte zwecklos wieder fort.

Dagegen schoß und traf Jürgen eine große Wasserschlange, und da sie giftig sind, war es ein gutes Werk. Abends sahen wir wieder den Leuchtturm auf Pulo Penang; wir saßen lange auf Deck, denn der Tag war sehr schwül, und als es kühl wurde, zeigte das Thermometer noch 22° R. Jürgen, der bei unsicherem Wetter oder Landnähe die Wache des zweiten Steuermanns teilt, sah den Leuchtturm noch bis um vier Uhr. Heute früh wieder Land in Sicht; ich traute mich gar nicht zu fragen, bis ich Jürgen pfeifen hörte, ein gutes Zeichen. Bald darauf meldete er mir Berge, »dreimal höher als der Corcovado«. Wir sahen dann in der Tat die Inseln Dinding und Little Dinding und einen blauen Gebirgszug, der weit im Festlande steht, als Insel aus dem Meere ragen. Durch das Glas unterschied man Bäume auf Dinding und die Kronen von Palmen über dem Wasser.

26. Januar. Die ganze Nacht wurde an den Segeln gezogen, denn der Wind sprang beständig um; gegen Morgen heftiger Regen, aber was für eine Luft, als ich nachher an Deck kam! Könnte ich sie auf Flaschen ziehen und Euch schicken! In Nösselts Geographie für höhere Töchter heißt es, »die Molukken- oder Gewürzinseln röche man schon zwei Tage, bevor man sie sähe, wegen der köstlichen Gewürze, die dort wüchsen, unter denen der Zimt das verbreitetste sei.« Das hat mir als Kind einen unauslöschlichen Eindruck gemacht und fällt mir jetzt immer wieder ein. Den ganzen Tag spielen Delphine um den Bug; es gelingt aber nicht, einen zu harpunieren, obwohl Jürgen ihnen pfiff, denn Delphine sind bekanntlich musikalisch. Der Matrose, der ihm zunächst stand, rief ganz ernsthaft: »Da kommt einer, der hat hürt!«

Eben – ich schreibe abends – glitt ein großer Passagierdampfer fast lautlos an uns vorüber; man sah die Reihe heller Fenster und die erleuchteten Salons. Ich konnte mir so gut die elegante Gesellschaft vorstellen, wie sie in ihren Stühlen lagen, musizierten, aßen, lasen, den Hof machten und war froh, still und heimlich auf dem »Regulus« zu sein – nur Wind, Wind! Jürgen ist ganz gedrückt; »er seufzt des Morgens, er seufzt des Mittags, er seufzt des Abends«, wie die bekümmerte alte Engländerin von ihrem hypochondrischen Manne sagte.

28. Januar. Wir haben die gefährlichen Arroa Rocks glücklich im Rücken und sind zwischen Bänken und Inseln, die aber nur von ganz oben zu sehen sind. Jürgen blieb die Nacht auf Deck; es ist die weichste, duftendste Tropennacht.

Gegen Abend beschenkt uns die Sau mit zwei toten und einem lebenden Ferkelchen; die Matrosen sitzen dicht um den Kofen und es dauert nicht lange, so erscheint zu dem schwarzen Brüderchen ein weiß und schwarz geflecktes Schwesterchen, dann noch eins mit sehr langen Ohren, dann ein schwarzes mit weißen Füßen und so weiter, bis wir elf haben, die in einem Korbe krabbeln und schon ganz natürlich grunzen. Die Leute lassen sie umschichtig trinken und kennen sie genau: »Dat is dat mit de witte Föt, das is dat Jüngst« usw.

29. Januar. Jetzt werdet Ihr wohl hören, daß wir noch existieren, denn es kam ein englischer Dampfer ganz nahe vorüber und versprach uns zu rapportieren. Im Vorbeifahren warf er uns mit ungemeinem Geschick ein Pack Zeitungen zu, drei »Straits Times«, und wir fielen mit Gier darüber her. Danach scheint in Frankreich ein großer Schwindel und Skandal gewesen zu sein; da aber der Kaiser zur Vermählung der Prinzeß Marie von Edinburgh in Sigmaringen erwartet wurde, so steht ja wohl bei uns alles beim Alten. Professor Owens Tod war erwähnt und der Mikado ist in Singapore durch Privatkräfte recht wacker gegeben worden. Dies sind die ersten Fäden, die uns wieder mit der zivilisierten Welt verbinden.

Nun kam auch der Lotse an Bord, ein Malaie mit einem Turban, dessen Boot auf dem Hinterdeck steht, also unmittelbar vor unserer Behausung, darin schläft er nebst einem anderen Malaien in einem blaugewürfelten Sarong, der mich an Dr. Jagors Truhe erinnert. Sie haben ihr eigenes Essen und Gerät, eine buntgemalte Schüssel, die auf dem Markte eines Thüringer Städtchens gekauft sein könnte. Das Boot ist so dünn und alt, daß ich nicht begreife, wie man sich damit ins Meer wagen kann. Die Ruder sind kurz, leicht und spitz, wie ein Cestrum geformt. Als wir bei Tisch saßen, kam der Lotse und legte sechs Mandarinen vor uns hin.

Unsere Ferkelchen sind sehr niedlich, eins ist zwar noch gestorben, aber fünf schwarze und fünf bunte sind genug. Die Matrosen, besonders Karl, geben sich viele Mühe mit ihnen; jedes hat seine bestimmte Stelle. »Da hürst du nich hin – dat is din Tetten.« Die Sau scheint zu begreifen, daß sie ihr gehören und fährt auf, wenn eins quiekt.

30. Januar. Wunderschöne Küste, waldig und hohe Berge auf der Malaccaseite, von Sumatra sieht man nur niedrige Streifen mit Bäumen. Gegen Morgen wird es so kühl, daß man ein Laken über die Füße legt. Der alte Malaie friert und bittet: »Got no coat – Yankee bad man, no give« »Kein Rock – Yankee schlechter Mann, nichts geben.« – er kam nämlich von einem amerikanischen Schiffe. Natürlich verehrte ihm Jürgen einen alten Rock, den er über sein wollenes Hemde zog.

31. Januar. Der Himmel etwas bedeckt und eine Brise, frisch und balsamisch wie ein Frühlingswind, der über eine Fliederhecke streicht. Vormittags versuchte ich mit wenig Erfolg, die Sau mit den zehn Kleinen zu Papier zu bringen. Karl schlägt mir vor, erst die Sau zu malen, dann würde er jedes Ferkel apart auf den richtigen Platz halten! Die Malaien gehen ohne Umstände an mein Zeichenbuch, besehen und belachen die Ferkel.

Wir kommen am Mount Formosa vorüber, den man als Insel sieht, obwohl er auf dem Festlande steht. Leider sehen wir von den hübschesten Inseln nichts, da wir nachts vorübergehen. Es kommen beständig Dampfer und heute ein Segelschiff, unser alter Freund, der »A. B. Zeh«, der schon von Singapore zurückkommt. »Wo bist du so lang blewen?« schrie der Kapitän. Er geht nach Akyab. Sie machten wieder Musik und schrien: hip! hip! hurrah!

2. Februar. Die Fahrt ist herrlich mit raschem Strom, zwischen Inseln und fernen Bergzügen. Es kam ein Boot mit Bananen und Fischen, gestern eins mit Ananas, auch erschien der »Dubasch« (der die Lieferungen für das Schiff übernimmt), ein schokoladenfarbiger Mann in buntem Sarong und blütenweißem, gesticktem Käppchen; er erzählte, ein großer Haufen Briefe erwarte uns in Singapore. Gegen Abend kamen wir binnen, fuhren zwischen Inseln und Vorgebirge in die Bucht und sahen die Stadt am Fuße der Hügel. Die Einfahrt war merkwürdig genug, denn ein starker Strom riß uns vorwärts und in einem Strudel drehte sich das Schiff um sich selbst. Das Wasser kochte wie bei Kabbelung; es sah aus, als liefe ein ganz seichter, breiter Strom über felsigen Grund, sehr unbehaglich. Die Stelle war aber bald passiert und nun endlich, nach einer Reise von 111 Tagen:

»Fallen Anker!«

IV.
Singapore.

3. Februar-14. Februar.

3. Februar 1894. Singapore – aber was sind einem stattliche Hafengebäude, grüne Hügel, Flaggenstation und Konsulat, wenn man auf seine Briefe wartet! Der Dubasch hatte versprochen, sie beim ersten Morgengrauen zu bringen, allein die See ging so hoch, daß es fraglich schien, ob er würde herankommen können, und als das kleine Boot mit dem großen Segel sich wirklich näherte und aussah, als müsse es jeden Augenblick umschlagen, habe ich wohl weniger um die drei Menschenleben darin gebangt, als um den kostbaren Beutel. »Mama got letters!« »Mama hat Briefe!« »Mama« ist der Ausdruck besonderer Verehrung; die eigentliche Anrede für die weiße Frau ist Memsab, von Ma'm (Mrs.) und Sahib (Herr). Ein junger Beamter gemischten Blutes, in dessen Gegenwart ich mich über das Mama-Titulieren ergötzte, sagte mir erklärend: »They know what it means as well as you do, but they want to show you the highest honour they can.« (Sie wissen ebenso gut wie Sie, was es bedeutet, aber sie wollen Ihnen so viel Ehre erzeigen, als sie können.) – Ein dicker brauner Händler versicherte mir wiederholt: »Captain all the same my father!« (Kapitän ganz mein Vater!) schrie der Dubasch, sobald er in Hörweite kam. Nun wird das Tau übergeworfen, der Sack aufgezogen und jetzt endlich langt Jürgen hinein, und zieht zuerst ein großes Pack Zeitungen heraus, dann Brief auf Brief, daß ich den Segen fast nicht mehr bergen konnte. Da fielen mir die Sorgensteine von der Seele wie Sternschnuppen, ich brauchte kaum noch zu lesen. Und nun war es rührend, wie die Mannschaft umherstand mit hoffnungsvollen Gesichtern und dieser und jener mir einen kleinen verständnisvollen Blick zuwarf, wenn er öfter aufgerufen wurde, wie der Zimmermann, der Bräutigam ist. Nur einer hatte gar kein Liebeszeichen erhalten und es ging mir durch die Seele, als er sich umwandte und still davonging.

Mit dem Dubasch war auch ein dicker Malaie an Bord gekommen und präsentierte sich als bumboatman, der den Matrosen an Eßware liefern darf, was sie sich selbst anschaffen wollen. Der Kapitän leistet dafür Bürgschaft bis zu einer vereinbarten kleinen Summe. Dieser bumboatman, der das Schiff schon öfter bedient hatte, war nun tief entrüstet, daß ihm ein anderer bereits in der Malaccastraße zuvorgekommen war und das obenein unter dem Vorgeben, sein Partner zu sein; er wäre »all the same Peter Pump«, »Er und Peter Pump wären ein und dasselbe«, d. h. Kompagnons. hatte er behauptet. Jürgen bedauerte aufrichtig, daß er sich den Rang hätte ablaufen lassen, aber Peter Pump konnte seinen Groll nicht verwinden, stand trostlos auf Deck umher, mit einem Ausdruck so unverhohlenen Verdrusses, wie man eigentlich nur bei Kindern zu sehen gewohnt ist. Peter Pump ist übrigens nur der Spitzname, unter dem er bekannt und beliebt war und den er daher auch als Geschäftsmann führte; als indessen sein dicker Rivale sich ebenfalls so nannte, hat er sich neuerdings auf seinen Karten den Titel: »the real genuine Peter Pump« »Der echte wirkliche Peter Pump.« beigelegt.

Inzwischen hatte sich ein kleines Dampfboot, die steamlaunch des Shipchandlers, genähert, eine schmale, braune Knabenhand griff über die Verschanzung und ein junger Mann von etwa siebzehn Jahren schwang sich hinüber, klein, schmächtig und brünett, der sich als Schwiegerenkel der Firma vorstellte. Wir trauten unsern Ohren nicht; es schien unmöglich, daß dieses Knäblein verheiratet sein sollte, indessen behauptete er, fünfundzwanzig Jahre alt zu sein und ich überzeugte mich später durch den Augenschein von einem niedlichen Frauchen und dicken weißen Baby. Mit ihm kam der Arzt, ein junger Deutscher, und leider brachte er uns ahnungslos eine Trauernachricht, indem er gesprächsweise den Tod von Werner Siemens erwähnte; das war die erste Kunde, die uns von dem Freundeskreise daheim erreichte.

Schon am zweiten Tage kamen wir ins Dock und haben es insofern gut getroffen, als am nächsten Montag das Hauptfest der Chinesen, ihr Neujahr, seinen Anfang nimmt und sie dann zehn Tage lang keinerlei Arbeit verrichten.

Noch hatte ich das Schiff nicht verlassen, obwohl der Dubasch artig bemerkte: »Captain go shore – Mama go too«. »Kapitän geht Land – Mama geht auch.« Nun aber, da wir am Kai lagen, ging auch ich an Land und setzte recht mit Bewußtsein zum ersten Male den Fuß auf indischen Boden.

Singapore ist keine alte Stadt; Sir Stanford Raffles wählte die Stelle mit glücklichem Griff, und um den Ort möglichst schnell zu heben, machten die Engländer zum ersten Male das Experiment des Freihafens, dem die Stadt ihr glänzendes Aufblühen verdankt. Vor fünfundsiebzig Jahren noch ein armseliges Fischerdorf, nimmt es heute unter den indischen Weltstädten bereits die vierte Stelle ein. »Dank, Jude, daß du mich das Wort gelehrt!« »Die vierte in der Reihe der indischen Weltstädte« gibt einem doch gleich den Eindruck von Großartigkeit und Wichtigkeit, ohne daß man sich erst mit der Vorstellung von Zahlen anzustrengen braucht. Es kann mir nämlich niemand auf die Frage nach der Einwohnerzahl recht Bescheid geben, und es mag auch schwer sein, festzustellen, wieviel Menschheit in den chinesischen und malayischen Vierteln wimmelt und kribbelt.

Wie überall, wo England das Szepter führt, sind die Straßen breit, die Wege gut, die Häuser in einer so neuen Stadt natürlich modern, die schottische Kirche mit ihrem spitzen Turm ist irgend einer bekannten Abtei nachgebildet. Nicht in der Bauart also, sondern lediglich in der Bevölkerung liegt der charakteristische Reiz der Stadt, kein Wunder, wo fünfzehn Rassen und Nationalitäten ihre Eigentümlichkeiten mischen unter dem blauesten Himmel und einem gleichmäßig warmen Klima.

Ich hatte nicht Augen genug, zu sehen, während wir entlang fuhren – die halbnackten Gestalten in jeder Hautfarbe von Schwarz zu Gelb, langem Haar, das die Männer ebenso wie die Frauen tragen, die Turbane, die spitzen Hüte, die Sarongs in grellen Farben, dazwischen die Europäer alle in Weiß, mit weißen Schuhen und Korkhüten, keine Dame – sie kommen erst nach fünf Uhr zum Vorschein. Dann die Menge der rickshaws, originelle kleine Wagen auf zwei hohen Rädern, im Trabe gezogen von einem Chinesen, der meist nur mit spitzem Hut und geschürztem Sarong bekleidet ist; der Oberkörper glänzt von Schweiß; dabei ist die Fahrt unglaublich billig, und nimmt man eine rickshaw auf den Tag, so hat er nicht mehr als etwa eine Mark nach unserm Gelde zu fordern; zehntausend rickshaws soll es in Singapore geben.

Es muß lange dauern, bis man die Typen in diesem Völkersalat unterscheiden lernt; Jürgen zeigte mir Madrasmen, Hindus, Armenier, Priester, Geldwechsler, die an ihrem Anzug oder ihrer Haartracht erkenntlich sind; ich behielt für den Augenblick nur, daß die kleinen chinesischen Jungen ein abstehendes Zöpfchen haben, die kleinen Mädchen zwei.

Nach abgewickelten Geschäften ging es zum Essen in Eversheds Hotel. Es ist zwar nicht sehr taktvoll, wenn der Reisebeschreibende seine Wirtshauserfahrungen auftischt, allein die erste Mahlzeit an Land nach monatelanger Seefahrt, besonders mit so ungewohntem Speisezettel, ist eine zu erfreuliche Sache, als daß ich nicht mit Lust und Liebe anmerken sollte, wie dreizehn Gänge auf dem Menu standen und jedes Gericht so schmackhaft war und von jedem so wenig auf einem besonderen Tellerlein gebracht wurde, daß wir mit Behagen den ganzen Kursus durchschmarotzten, während mir zum ersten Male eine Punka über dem Kopfe wehte und weiß gekleidete Söhne des Himmels mich bedienten, die alle »childlike and bland«, mit ihren sanften, bartlosen Gesichtern ebenso gut und noch besser hätten Frauenzimmer sein können.

9. Februar. Wir liegen schon wieder auf der Reede; daß etwas so schnell gehen könne, wie hier das Docken, hätte ich nicht gedacht. Kaum waren wir im Bassin, als wenigstens hundert Chinesen in spitzen Hüten von allen Seiten herbeiliefen, Balken von gleicher Länge in das Wasser warfen, nachsprangen, sie schwimmend an Taue befestigten und in die richtige Lage brachten, um das Schiff zu stützen. Einer von ihnen hatte den Rücken jammervoll gefurcht von tiefen Narben. Dann begann das Abschrapen des Schiffes, während dessen das Wasser langsam abgelassen wird, da die Arbeit besser geht, so lange das Schiff noch naß ist.

Ein Chinese fiel vom Gerüst, mit dem Kopf auf die Steinkante, – das Dock ist terrassenförmig gemauert – und der Dockaufseher fragte gleichmütig, als man ihm den Unfall meldete, ob der Farbentopf auch mit gefallen wäre?! Um den Unglücklichen kümmerte sich niemand. Jürgen sah ihn stürzen und für tot forttragen, aber trotz wiederholter Erkundigungen konnten wir nichts über ihn erfahren.

Eben habe ich die erste Mango gegessen – köstlich! Denkt Euch eine große grüne Pflaume mit dicker Schale und rötlichem Fleisch, ungefähr von der Konsistenz einer Melone und schmeckt – wann wird man Geschmacksphonographen haben? Während ich aß, stellte sich der Dubasch, der das Obst besorgt, daneben und fragte ab und zu: »Mama, good?« – endlich machte er Salaam, hielt die Hand ehrerbietig grüßend vor den Mund und ging, ich aber ergriff den Kern, um ihn nach dem Prinzip abzusaugen: »unpassend ist, wenn jemand dabei ist.« Der Kern ist nämlich leider sehr groß und von einem dichten Gewirr von Fasern umgeben, was die Mango zu einem Genuß macht, dem man sich erschöpfender in der Stille des Kämmerleins hingeben kann, als in guter Gesellschaft; behauptet doch Grant Allan sogar, die richtige Art Mango zu essen, wäre über einer Schüssel mit Wasser, auf deren Rand man zuvor an jeder Seite ein Handtuch gelegt habe.

Lieber noch als Mango mochte ich später custard-apple; die Frucht sieht aus, wie ein runder, grüner Tannenzapfen von der Größe eines Apfels; jede Zacke enthält ein schneeweißes, mit Sahnencrême gefülltes Säckchen, das einen schwarzbraunen glatten Kern umschließt. Mango sowohl wie custard-apple, überhaupt die meisten tropischen Früchte, haben einen mehr oder minder ausgeprägt harzigen Beigeschmack, der mich aber in meiner Wertschätzung nicht gestört hat. Die erquickendste und feinste Frucht ist aber die Mangosteen; sie ist rund mit dicker, dunkelvioletter, innen roter Schale. In diese rote Hülle ist eine durchscheinende weiße Frucht gebettet von der Größe und Form einer geschälten Mandarine, erfrischend und saftig, von weinsäuerlichem Geschmack; nur schade, daß man nie genug davon bekommt, so viel man deren hat, so viel kann man auch essen.

Aehnlich schmeckt auch die Rambosteen, die in Gestalt und Größe der Korneliuskirsche gleicht, auch einen ähnlichen Kern hat; sie ist ebenfalls durchscheinend und weiß und sitzt in einer harten schwarzrötlichen Schale, die, wie die Buchecker, von außen rauh und borstig ist.

Wenn wir an Land fuhren, pflegten wir zuerst das H.'sche Kontor aufzusuchen, ein weites, hohes »Gewölbe«, wie man in Leipzig sagen würde, quer durch das Gebäude gelegt, auf zwei Straßen mündend; an jedem Eingang stehen die Schreibtische der arbeitenden Herren. Durch eine offene Tür sieht man in das Sanktum des Chefs; dort sitzt der stattliche, leider erblindete, alte Herr selbst im Lehnstuhl, mit weißem Bart und schwarzem Käppchen, gütig und vornehm im besten Sinne des Wortes: »der erste Gentleman von Singapore«, wie er genannt wird, hat er auch dem Geschäft den Charakter seiner Gediegenheit und Verläßlichkeit aufgedrückt.

Oft habe ich dort gewartet, während Jürgen andere Besorgungen erledigte; wie wohltuend empfing einen nach der grellen Sonne draußen das Dämmerlicht des kleinen Zimmers, wie liebenswürdig war der Willkommen des ritterlichen alten Herrn; an wie viele in dieser kaufmännischen Umgebung behaglich verplauderte Stunden denke ich dankbaren Herzens zurück.

Die H.'schen Damen, denen ich Grüße aus Hamburg zu bringen hatte, kamen meinem Besuche zuvor, und nachdem wir unsererseits bei ihnen gewesen waren, wurde ich eines Morgens um sechs Uhr durch den Besuch der H.'schen Knaben geweckt, die in ihres Großvaters steamlaunch Kleines Dampfboot für den Hafenverkehr des Geschäfts. gekommen waren und mir einen von ihrer Schwester selbst gebundenen, entzückenden Rosenstrauß brachten und von ihrer Mutter einen Korb mit verschiedenen Früchten, unter denen mich ein Zweig Muskatnüsse mit Blättern besonders interessierte. Die rosa Muskatnuß ist der Stein einer Birne; was man bei uns Muskatblüte nennt, ist ein Netzwerk, das den Kern umgibt.

Jürgen zeigte den Jungen das Schiff und schoß mit ihnen nach der Scheibe; als sie gingen, nahm ich die Gelegenheit wahr und begleitete sie nach Haus.

In der Stadt mußte ich durchaus erst eine noch glimmende Brandstätte ansehen, und da wir uns in der Nähe des Museums befanden, nahmen wir auch das noch mit, denn die Jungen versicherten eifrig, es wäre sehr sehenswert, besonders ein großes Krokodil, das eine alte Frau gefressen hätte. Sie war ihm aber schlecht bekommen; es watschelte träge ans Ufer, wurde erschlagen und die alte Großmutter wieder herausgeholt. Nun ruhen ihre Knochen in einer Glasflasche neben dem ausgestopften Krokodil zu ewig warnendem Beispiel, und die Knaben stritten lebhaft, ob die Knochen in einer Flasche oder in einem Glaskasten aufbewahrt würden. Leider waren sie »verkramt« und ich mußte auf den Anblick verzichten.

Außer diesem berühmten Krokodil und den nötigen anderen Vierfüßlern, u. a. einem gewaltigen Büffelpaar, bot das Museum, das noch in den Anfängen ist, wenig, nur die Schmetterlingssammlung schien mir reichhaltig und sehenswert.

Auf das herzlichste im H.'schen Hause empfangen, bat ich, ob mich nicht einer der Söhne zu den hochgelegenen Wasserwerken der Stadt begleiten dürfte, die ich zu sehen wünschte, und sogleich erbot sich Frau H. auf das liebenswürdigste, mich selbst hinzuführen, die Kinder wollten auch alle mit und der kleine dicke Fritz brummte unverhohlen, weil er mit einem seiner Brüder im rickshaw fahren sollte, da doch nicht alle Platz in einem gherry hatten, wie die Droschken hier genannt werden. Es war sehr heiß, aber die Fahrstraße vortrefflich und schattig, und endlich standen wir an einem künstlichen See, der sich weit zwischen schön gehaltener parkartiger Umgebung hinzieht und Singapore mit Wasser versorgt. Die Aussicht von dort oben ist entzückend und hier pflegen die Neuvermählten ihre Flitterwochen in einer der dort angelegten kleinen Sommerfrischen zu verbringen.

Die ganze Anlage ist durch den Jungle gelegt und rings herum führt ein breiter Fahrweg durch den Wald, ein Urwald, wie man ihn sich denkt; hohe Bäume mit geraden Schäften und breiten Kronen, von denen Schlingpflanzen in Teppichen herunterhängen und wo dichtes Gestrüpp den Eintritt verwehrt. Ich war so glücklich, einen wilden Affen sich von Ast zu Ast schwingen zu sehen und zwei grüne Papageien flatterten vor uns her.

Dann wieder Pflanzungen von Pfeffer, der wie Hopfen an langen Stangen gezogen wird, Kaffeebäume voll noch grüner Früchte, Pampelmuse und Brotfruchtbäume und, was mich besonders interessierte, eine blauviolette, etwa einen Fuß lange Bananablüte, d. h. eigentlich sind die großen gefärbten Blätter nur Deck- und Kelchblätter, eins nach dem anderen schlägt sich zurück und eine Reihe kleiner farbloser Blumen, die an länglichen Fruchtknoten, den künftigen Bananen sitzen, wächst darunter hervor, bis sich die ganze Traube spiralisch um ihren Stiel entwickelt hat. Die Staude trägt nur einmal und wird dann umgehauen; die Blüte war etwa zehn Fuß über dem Boden. Eine Art Hirschhornmoos, das hier evergreen heißt, pflückten wir am Waldesrand und Nepenthes, monkey cup, Affenbecher. so genannt, weil die Affen das in den Kelchen gesammelte Wasser trinken, Wüstenkrug auf Deutsch. Es war vor langen Jahren, auf der Eisenbahn zwischen Meißen und Dresden, als ich diese Bezeichnung zum ersten Male hörte, und der unbekannte Herr, der sich so freundlich mit dem kleinen Mädchen unterhielt und ihm diese fremde Pflanze beschrieb, ahnte nicht, daß es sie einstmals selbst in einem indischen Jungle pflücken und sich seiner plötzlich wieder erinnern werde.

Ich hatte auch große Freude an den Kindern, die so warmherzig und eifrig mir zeigten und heranbrachten, wovon sie irgend glaubten, daß es mich interessieren könnte, Tapioka und Arrowroot, Pfeffertrauben und einen Kaffeezweig mit halbreifen Früchten und kleinen weißen Blüten, einen Stengel Indigo, dessen Blätter denen der Taubnessel gleichen. Ich war überrascht zu hören, daß die Indigogewinnung noch Hausindustrie ist; neben einer malaiischen Hütte wurde mir einer der großen Kübel gezeigt, in denen die Blätter so lange wässern, bis der Farbstoff ausgezogen ist.

Einer meiner kleinen Kavaliere brachte mich dann zurück in das Adelphi-Hôtel, wo wir an Land unser Standquartier haben und wo ich bereits Jürgen mit einem befreundeten Kapitän auf der Veranda fand. Auch ich legte mich auf einen der langen Bambusstühle, um mich von den gehabten Genüssen zu erholen. Kapitän Kr. belustigte sich unterdessen, mit zwei braunen Madrasleuten zu handeln, die dann zu mir kamen und mir mit: »Lookee Mama!« »Sieh, Mama!« Taschentücher und japanische Kleider auf die Füße legten, bis Jürgen sie fortscheuchte.

14. Februar. Heute erhielt Jürgen eine Einladung zum Tiffin (Frühstück) von einem Jugendgenossen, dem Kapitän der »Preußen«, die auf ihrer Fahrt von Hongkong nach Bremen hier anlegt, und machte sich daher um zwölf Uhr, in lilienhaftes Weiß gekleidet, mit seinem Sampan auf den Weg. Kaum war er fort, als ein kleines Dampfboot längsseits kommt und ein Herr mich zu sprechen wünscht, ein schöner blondbärtiger Mann, der sich von unten als Kapitän der »Preußen« vorstellt, und, da er Jürgen nicht mehr findet, darauf besteht, mich mitzunehmen. Bescheiden wende ich ein, daß ich dann erst Toilette machen müsse und der Kapitän fragt vorsichtig, wie lange das wohl dauern werde?! Ich erbitte mir zehn Minuten, eile hinunter und werfe mich in das »habit de circonstance« und in sieben Minuten bin ich fertig; aber die See ist zu bewegt, als daß der Dampfer ganz heran kommen kann; es bleibt mir also nichts übrig, als mit einem wohlgezielten Sprunge dem fremden Kapitän in die Arme zu fliegen. Es waren nur wenig Gäste geladen und ich die einzige Dame. Zuerst natürlich wurde das prachtvolle Schiff in Augenschein genommen, dann ging es ans Werk, und als nach Tische die Herren bei ihren Zigarren saßen und anfingen zu »segeln«, besah ich mir nochmals mit Muße die Gesellschaftsräume, die von Gold mehr als »billig« strotzten. Der Damensalon, natürlich Rokoko, ist in Seegrün und Gold gehalten, im Speisesaal lächeln zwischen Pfeilern und Spiegeln schöne Frauen mit gefüllten Gläsern, Blumen oder Guitarren dem Beschauer entgegen, zwischen den Kassetten der Decke treiben Zwerge mit Eßattributen ihr Wesen. Weniger wäre mehr gewesen. Die einfachen Porzellanschilder mit den wirklich schönen Landschaften von Kips und Koch, zur Zeit in der königlichen Porzellanmanufaktur in Berlin mit Recht allgemein bewundert, werden erdrückt von dem übrigen Buntkram und könnten eben hier von edelster Wirkung sein, ein geradezu mustergiltiger Schmuck in ihrer Unempfindlichkeit gegen Licht und Nässe. Meinem Gefühl nach müßten Schiffsräume, besonders für tropische Reisen, ruhige Farbenstellungen zeigen; Himmel und Wasser blenden schon genug, ohne daß einem noch die Glanzlichter überreicher Vergoldung in die Augen gebohrt werden. Doch dies lassen wir in seinen Würden.

Den Namen des jungen Schiffsarztes, den ich bei Tische kennen lernte, hatte ich auf der »Baltimore« oft gehört, wo er früher in gleicher Eigenschaft gewesen war, und noch in gutem Andenken stand. Ich fragte, ob er seinen dortigen Nachfolger, Dr. G., kenne und erfuhr mit Ueberraschung, daß dieser eben jetzt mit der »Neckar« hier wäre. Nur vierundzwanzig Stunden bleibt ein solcher Dampfer im Hafen und es war gewiß ein merkwürdiger Zufall, jemanden, von dem man sich auf Nimmerwiedersehen in St. Vincent getrennt hatte, schon nach fünf Monaten in einem anderen Weltteil wieder zu treffen. Wir fuhren demnach in das Hotel de l'Europe, wo der durchreisende Fremde meist zu finden ist, und richtig! da saß der Doktor preisherrlich in einem Kranze blühender Reisegefährtinnen. Natürlich Händeschütteln und großer Spaß, bis die ganze Gesellschaft in rickshaws davonfuhr.

Wir schlenderten dann noch ein Weilchen und gerieten in einen Laden mit japan curioes. Es ging indessen hier wie überall; das Erreichbare bekommt man in Deutschland ebenso gut und vielleicht noch billiger und das Gute ist hier so wenig für den Mittelstand wie dort. Ich konnte mich kaum losreißen von einigen eingelegten Schränken, wahre Prachtstücke, halb geschenkt für etwa 250 Mark, und der Händler versicherte immer aufs neue, sie ließen sich ganz auseinander nehmen und er würde sie verpacken, daß sie so gut wie gar keinen Platz fortnähmen! –

16. Februar. Ziemlich weit außerhalb der Stadt liegt ein alter chinesischer Garten. Er soll früher ein Muster von Sorgfalt und chinesischem Geschmack gewesen sein, aber seit dem Tode des Besitzers steht er zum Verkauf und es geschieht nur das Notwendigste zu seiner Erhaltung. Wir fuhren heute hin und er gefiel uns in seinem verwilderten Zustand wahrscheinlich besser, als zur Zeit seines Glanzes, denn sobald man den Eingang überschritten hatte, glaubte man sich in ein phantastisches Märchen versetzt. Seltsame, nie gesehene Pflanzen, die unwahrscheinlichsten Büsche und Bäume, hohe, kahle, kerzengerade Nadelhölzer, Beete mit fremden wunderbaren Blumen, blühende Bäume, deren rote Dolden ihre Staubgefäßbündel an langen, dünnen Fäden aus offenen Lippen hängen ließen, – so symmetrisch angelegte Irrgänge, daß man nie wußte, auf welcher Seite man sich eigentlich befand, – zwischen Laubengängen und Gebüsch verschlafene Teiche voller Wasserpflanzen, in denen groteske Gartenhäuschen auf Steinbogen ruhten, deren Wölbungen sich im Wasserspiegel zu Kreisen schlossen; zwischen den bunten Kacheln der alten Gemäuer wuchernde Farrenkräuter und Schlingpflanzen. Von Zeit zu Zeit stieß man auf verschnörkelte Löwen oder Porzellandrachen, gekrönte grinsende Ungeheuer, Tierfiguren aus Myrthe, ebensolche Schiffe und Menschen mit Köpfen und Händen aus Porzellan. Dann befand man sich plötzlich zwischen lebendigen Mauern mit Ein- und Ausgängen, die man erst gewahr wurde, wenn man dicht davor stand. In einem eingegitterten Platze erschreckte ein greulicher Affe mit blauer Mähne und rosa Hinterteil, der die Tür seines Käfigs aufstieß, bis man sah, daß er nicht ausbrechen konnte und die Tür ein Spielwerk war. In zwei gleichlaufenden Kanälen blühten Nymphäen; eine der rosa Knospen klappte mehrere ihrer Blätter mit sichtbarem Ruck auf, als wir vorübergingen. Ein mächtiger Brotfruchtbaum hing übervoll seiner enormen Früchte.

Das Wohnhaus, das halb versteckt im Schatten dichter Baumgruppen still und verschlossen da lag, schien ebenfalls in einem Zauberschlaf, die chinesischen Arbeiter, die hier und da beschäftigt waren, ließen uns ganz unbeachtet und so gingen wir nach Gefallen umher, bis uns die sinkende Sonne an den Aufbruch mahnte.

Die Rückkehr an Bord im Sampan ist für mich immer eine Angstpartie; der Sampan gilt zwar für ein verläßliches Boot, sieht aber nicht sehr vertrauenerweckend aus. Er ist schmal, vorn mit hoher Spitze, das Hinterteil, nach unten gerundet, endet oben in zwei aufrechtstehenden Kufen und ist mit gemalten Augen verziert, wie sie an keinem chinesischen Fahrzeuge fehlen dürfen. »Got no eyes – no can see«, »Nicht Augen – nicht sehen kann.« sagt der Chinese. Der Bootsmann steht hinten und »pult«; natürlich ist es ihm bei Seegang und der weiten Entfernung bequemer, zu segeln; dann liegt das kleine Ding so schräg, daß oftmals See überkommt und ist viel Dünung, so schlägt der Sampan vorn mit solcher Wucht ins Wasser, daß es hoch aufspritzt und man nicht nur für sein bißchen Leben, sondern auch für Hut und Kleider zittert.

Es wird hier, 1° nördlich vom Aequator, schon um sechs Uhr Nacht und es war erstaunlich, wie sicher der dunkle Ehrenmann hinter uns seinen Weg fand, während wir oft nicht wußten, wo wir uns befanden und welches der fernen Lichtchen der tröstliche Schein unserer Schiffslaterne war. Jeder Kapitän nimmt auf die Zeit im Hafen einen Sampan an, der immer da sein und an Land auf ihn warten muß; er bekommt etwa 1,50 Mk. den Tag, denn die Arbeit ist hier noch billig. Ein Kleid zu machen – hört es, europäische Schwestern! – kostet 6 Mk., ein seidenes 9 Mk. Hiervon zu profitieren dünkte mich wohlgetan, und Frau P., die zuvorkommendste aller Wirtinnen, bestellte mir den Schneider gefällig zu sich ins Hotel. Es erschien denn auch ein langer brauner Madrasmann in bastseidenem Rock und weißem Käppchen; da Frau P. eben das Kleid wechselte, zögerte ich, ihn in das Zimmer zu rufen; sie aber erklärte unbefangen: »Lassen Sie ihn nur kommen, das sind sie gewohnt!« Nachdem er mir mit stummer Feierlichkeit Maß genommen hatte, breitete er ebenfalls schweigend einige Wiener Modeblätter in englischer Ausgabe vor mir aus; ich wählte ein allerdings sehr einfaches Modell und um vier Uhr am nächsten Nachmittag hatte ich das Kleid fix und fertig, das, abgesehen von einer kleinen Aenderung, vortrefflich saß. Ueberhaupt verstehen die Damen in Singapore, sich anzuziehen. Im botanischen Garten, wo die feine Welt gegen Abend spazieren fährt und lustwandelt, sah ich eine Dame, groß und schön von Gestalt und Zügen, in mattrosa Seide mit cremefarbenen Aermeln über den Rasen schreiten; ihr reiches hellbraunes Haar fiel offen über den Rücken, nur von einer Schleife zusammengefaßt. Sie grüßte die junge Frau, in deren Begleitung ich vorüber fuhr, mit gewinnendem Lächeln, und die Erinnerung an den botanischen Garten zu Singapore ist für mich mit dem Bilde dieser reizenden Erscheinung verknüpft. Hier macht die blonde weiße Frau an sich schon einen aristokratischen Eindruck auf dem Untergrunde der dunklen Bevölkerung; mir persönlich gefallen indessen von allen Menschen die schokoladenfarbenen am besten. Die Hindu, die oft schöne Züge und welliges Haar haben, sollen sich und ihre Familie alle Woche in Oel baden, wonach sie glänzend und dunkel werden; je schwärzer, je schöner. Wirklich machen sie auch den Eindruck lebender Bronze, und eine kleine goldene Rosette in der Nase [wirkt] sehr pikant. Die braunen Babys haben meist nichts an, als kleine, mit Glöckchen gezierte Ringe um Arm und Beine. Getragen werden sie rittlings auf der Hüfte, und die kleinen Mädchen, die jüngere Geschwister umherschleppen, machen es natürlich ebenso.

Daß in die Wäsche Steine gebunden werden und so lange damit in das Wasser geschlagen wird, bis die Steine hinaus und die Fetzen herumfliegen, habe ich nicht bestätigt gefunden, im Gegenteil, nie habe ich so blütenweiße Wäsche gehabt wie hier und nicht zerrissener als recht ist. Einmal aber sah ich einige chinesische Kinder »waschen« spielen und da hatte allerdings das eine seinen kleinen Sarong abgebunden und schlug damit in eine eingebildete Pfütze. Das Waschen kostet Stück für Stück 3 Cent – 9 Pfg.; ein besseres Kleid läßt man beim »feinen« Dobi waschen, ziemlich teuer im Verhältnis, aber sehr gut.

Was den gesellschaftlichen Verkehr betrifft, so steht er begreiflicherweise unter englischem Einfluß. Da nun der Frack in diesem Klima ein Marterwerkzeug wäre, das punctilio jedoch sein Recht verlangt, so tragen die Herren abends zum Diner eine kurze weiße Jacke, dazu weiße Hosen und Manschettenhemd, statt der Weste wird eine rot- oder schwarzseidene Schärpe räuberhauptmannmäßig umgeschlungen; noch ein weißer Schlips und der Adonis ist salonfähig. Uebereinstimmend waren die Klagen über die Exklusivität der Geselligkeit; der deutsche und englische Kreis sollen so durchaus getrennt sein, daß man sich für den einen mit Ausschluß des anderen entscheiden müsse.

Ein großer Schmuck der Stadt ist ein Baum »flame of the forest«, Flamme des Waldes. der an unsere Akazie erinnert, nur sind die Blätter feiner gefiedert, von hellerem Grün, der Stamm grau und glatt und die Blüte flammendes Rot. Ich habe mich oft über das Fehlen der wundervollen Königspalme gewundert, die in Rio so dekorativ wirkt, dafür sieht man hier auch nirgends so abschreckende Bettler und so schmutziges, ekelhaftes, häßliches Volk, wie dort. Nur eines betrübenden Anblicks erinnere ich mich, eines armen chinesischen Matrosen, dem malaiische Seeräuber ganz in der Nähe von Singapore beide Arme unter den Ellbogen abgehackt haben. Zum Glück nicht noch mehr, denn ich sah, wie er mit den Stumpfen die Zigarre aus dem Munde nahm.

14. Februar. Unsere Ordre ist gekommen: Bassein. Schade! Ein öder niedriger Strand und elender Ort, heißt es, aber besser zum Ansegeln als Rangoon. Wir gehen in unserem Ballast weiter und nehmen von hier nur etwas Rattan mit, Rohr, das zu allerhand Geflechten, z. B. Stuhlsitzen, gebraucht wird. Noch einmal fuhren wir durch die Stadt, an den malaiischen Hütten vorbei, die aussehen, als ob ein glimmendes Schwefelholz sie in einer Viertelstunde alle in Brand setzen könnte, – vorbei an dem chinesischen Viertel, »wo der Fleiß hämmert und pocht«, wo das Handwerk auf der Schwelle hockend betrieben wird, mit den stumpfen Opiumgesichtern dazwischen, – überall wurde reingemacht und die Häuser zu dem kommenden Fest mit künstlichen Blumen, Papierlaternen und Goldflitter geschmückt; vorbei am Hotel de l'Europe, wo man so oft gesessen und sich an dem eleganten Gewimmel auf den weiten Rasenplätzen der Esplanade ergötzt hat, an den dicken Chinesen in ihren Luxusgespannen und – sagt's nicht in Gad – an den Japanerinnen, die sich erst abends sehen lassen, je zwei der zierlichen Gestalten in einem rickshaw, mit ihren feinen blassen Gesichtern, schwarzen Brauen und ihrer kleidsamen Tracht eine typische Erscheinung, von der die Europäerin das wohlgezogene Auge abwendet. –

Vorbei! Vorbei! –

V.
Von Singapore nach Bassein.

16. Februar-17. März.

16. Februar. Wieder geht es durch die Straße von Malacca, dann muß der Meerbusen von Bengalen innerhalb der Nicobaren und Andamanen aufgekreuzt werden bis zu der westlichen Mündung des Irawadi, an der Bassein liegt.

Heute nachmittag um ½4 Uhr wurde der Anker aufgenommen. Jürgen war am Vormittag noch in der Stadt und brachte mir die letzten Grüße der Freunde und einen herrlichen Rosenstrauß, den mir die H.'schen Damen selbst gebunden hatten. An den Schiffen ringsum wehten Abschiedsflaggen und an den zunächst liegenden deutschen ging es mit: »hip! hip! hurrah!« vorüber. Viele Fahrzeuge hatten schon geflaggt des chinesischen Neujahrs wegen, so daß der letzte Eindruck noch ein festlicher war.

Der Dubasch hatte mir einen hübschen Korbstuhl gebracht. »Mama come again, get cups and for sugar and for cream«, »Mama wiederkommen, Tassen schenken und für Zucker und für Sahne.« d. h. er verspricht mir für den Fall der Wiederkehr ein Teeservice. Er wird Sechsfingerjack genannt, weil er, was in Indien häufig sein soll, einen Finger zuviel hat, zwei schmale Daumen an jeder Hand. Zum Gruße berührt er die Stirn oder hält er die Hand vor den Mund, aber zum Abschied reicht er sie mir: »Goodbye, Mama! God bless Mama!« »Leb wohl, Mama! Gott segne Mama!«

Wir haben fünfzig Ananas mit, die alle zusammen fünfzig Cents (1 Mark 50 Pfennig) kosten, und zwei Trauben Bananen; ich will doch zählen, wie viel an einer sind – 109!

17. Februar. Heute hatten wir einen Spaß mit dem Lotsen Ismael. Jürgen zeigte ihm eine Skizze der Insel Formosa, die er erkannte, und da er bei dieser Gelegenheit auch einen gemalten Fisch zu sehen bekam, erschien er nach einer Weile in der Kajüte und brachte mir einen eingesalzenen alten Fisch: ob ich den nicht auch zeichnen wollte?! Jürgen hörte ihn nachher zu den anderen Malaien sagen, Mama hätte gemeint, tote Fische könnte man nicht malen.

Wir haben doch einem grünen Papagei nicht widerstehen können, noch zwei javanischen Reisvögeln, reizenden Tierchen mit bläulich-grauen Rücken, rosa Schnäbeln und weiß und schwarzen Augenflecken, die nur zart piepen, während der Papagei das Affengeschrei nachahmt. Er soll auch malaiisch sprechen, sitzt aber bis jetzt mißvergnügt in seinem Bauer und hackt nach jedem, der ihm naht.

Wir sind wieder tüchtig von den Moskitos zerstochen; da wir keine mehr sahen, nahmen wir das Moskitonetz in die Höhe. Gleich waren sie wieder da und stechen fast so schlimm, wie die Mücken in Potsdam.

18. Februar. Die letzte Verbindung mit dem Lande ist gelöst; der Lotse ist fort.

Jürgen war sehr eingenommen von diesem malaiischen Lotsen, der einen so anständigen, intelligenten Eindruck machte und mit dem er sich viel unterhielt. Sogar auf der Karte konnte er sich zurecht finden, was bei seinesgleichen selten sein soll, und seine drei Gefährten waren auch so bescheiden und sahen so rein aus, daß ich es nicht unangenehm empfand, sie mit ihrem Boote auf dem Hinterdeck, also direkt vor unseren Fenstern zu haben. Ismael saß mir auch und zuckte nicht mit der Wimper; die anderen Malaien sagten ihm, nun würde er sterben, worüber er freigeistig lächelte. Natürlich schrieb ihm Jürgen ein vortreffliches Zeugnis, allein auch dieses Ideal fiel zuletzt auf seine Vorderfüße nieder und erbat sich allerhand, um endlich im Tone betrübten Vorwurfs zu sagen: »Captain give rice, captain give bread, captain no give sugar.« »Kapitän gibt Reis, Kapitän gibt Brot, Kapitän gibt nicht Zucker.« Er bekam also noch Zucker. Hierauf wollte er Zigarren und bat bescheiden um 200. Jürgen beglückte ihn mit 6. – Dann kam: »Me talk Mama, give little soap, wash bye and bye.« »Ich Mama sprechen, bißchen Seife geben, später waschen.« Diesem berechtigten Wunsche kam ich durch ein Stück Glycerinseife nach und er bedankte sich, was viel ist, denn Dankbarkeit ist ein aquirierter Geschmack und bei Naturvölkern selten zu finden. Dieses Betteln, auch von anständigen Malaien, mag übrigens daher kommen, daß sie für unsere Verhältnisse gar keinen Maßstab haben. Für Menschen, die mit einer Handvoll Reis und einem Stück Salzfisch den Tag über leben und nichts anhaben als ein Stück Baumwollenzeug und eine dünne Shirtingjacke, muß solch ein gut ausgerüstetes Schiff den Eindruck fürstlichen Reichtums machen.

Es war heute sehr heiß, +23 Grad R. Das klingt wenig, ist aber viel, wenn die Hitze feucht ist und dadurch die Verdunstung gehemmt wird. Nach Tische liege ich auf dem Bett und lese die Briefe aus Berlin und es ist mir dabei zu Mut, als sähe ich durch eine Glasscheibe in einen Bienenstock.

22. Februar. Einen schönen Seehecht gefangen und verspeist.

23. Februar. Herrliche heiße Tage mit Abendbrise. Beständig Kabbelung, heute so heftig, daß Seen überkommen.

Die Herren unterhalten sich damit, nach Schlangen zu schießen, und es wurden zwei in Spiritus gesteckt. Der Matrose Karl hielt sie am Schwanze und ließ sie in das Glas gleiten: »Da, nimm mal din Mul voll.«

26. Februar. Den ganzen Tag Regen und Gewitter, dazwischen starke Kabbelung, Wellen, die wie zerhackt aussehen. Ich dachte mit Grauen an die Möglichkeit, in einem Sampan von der Kabbelung überrascht zu werden. Jürgen sagt, die kleinen, spitzen malaiischen Boote wären noch schlimmer. Der Lotse Ismael habe zweimal Malaien aufgenommen, die er an den Trümmern ihrer Boote hängend treiben sah und die schon ganz erschöpft gewesen wären. »Want give money, me no take,« »Wollten Geld geben, ich nicht nehmen.« habe er erzählt. Das ist viel von ihm, wenn es wahr ist.

2. März. Gestern kamen wir an einem der Wunder der Welt vorbei, wie die Segelanweisung die kleine Insel Barren Island nennt. Auf derselben liegt ein tätiger Vulkan, der sich aus der Mitte eines bewaldeten Bergkessels erhebt. Die Beschreibung ist einem Bericht von Georg von Liebig entnommen, so daß es mich doppelt interessierte, leider aber liegt das Wunder auf der Westküste und wir kamen an der Ostseite vorüber.

Neulich flog uns ein Vogel zu, ganz matt und zerzaust, halb Taube, halb Raubvogel von Ansehen, grau mit grün und gelb gesäumten Flügeln, um die Augen einen hellgrünen Fleck, Füße und Ring um den Schnabel korallenrot. Das arme Tier ließ sich geduldig greifen und in ein kleines Bauer setzen, trank etwas, aber fraß weder Reis, noch Fleisch, noch Schaben und sah mit wildverstörten Blicken um sich. Als der Papagei es zu Gesicht bekam, stieß er ein markerschütterndes Geschrei aus; auch sein Spiegelbild bringt ihn in heftige Wut. Mit blutrotem Schnabel stürzt er kreischend darauf los und noch minutenlang zittern ihm die Flügel. Jürgen sagte, der kleine Affe, den sie vorige Reise mitnahmen, hätte immer hinter den Spiegel gegriffen und gesucht. Er muß überhaupt ein kluges Tier gewesen sein; wenn die Leute z. B. das Deck scheuerten und ihm einen Lappen gaben, rieb er eifrig mit; seine größte Freude aber war eine Segelnadel und ein Stück Zeug. Stundenlang hätte er die Nadel durch das Zeug gezogen, daß kein Faden daran war, bemerkte er nicht. Ein Messer hielt er mit den Hinterhänden und sägte mit einem Stück Holz so lange darauf herum, bis er es durch hatte, was Ueberlegung zeigt, da er es nicht gesehen haben konnte.

7. März. Wir sind drei Tage bei flauem Wind und blauem Wetter in der Nähe der Insel Narcondam umherspaziert, die »nackte Dam« heißt sie bei den Matrosen. Jürgen hatte sie mir oft beschrieben als einen in blaues Papier gewickelten Zuckerhut, der die für einen solchen »immerhin nicht unbeträchtliche Höhe« von 2000 Fuß erreicht. Indessen sehen wir ihn von der breitesten Seite, und zwar regelmäßig geformt, aber nicht so spitz, wie ich erwartet hatte.

Eben wird mir der arme zugeflogene Vogel gebracht, der sich wirklich totgehungert hat.

Jürgen liest jetzt die nachgeschickten Zeitungen und ärgert sich weidlich post festum. Ich schlage ihm vor, nach Singapore zu ziehen, denn hört, staunt und neidet: keine Steuern! – und dabei ist dieser unschuldsvolle Engel Freihafen, und keine Zölle, keine Schranke umgeben die verklärte Stadt. Ein einziger Artikel deckt die Ausgaben der Verwaltung und das ist das Opium, das hauptsächlich aus Vorderindien eingeführt wird, und daran läßt sich denn freilich manche erbauliche und unerbauliche Betrachtung knüpfen. Von der englischen Herrschaft kann man überhaupt manches sagen und – lernen, z. B. die kluge Schonung der Eigentümlichkeiten und Anschauungen der unterworfenen Volksstämme. So schließen am Sonntag nur die europäischen Geschäfte; Chinesen, Hindus, Malaien, alles arbeitet unbelästigt, und besonders behutsam angefaßt werden die Chinesen, die das Heft in der Hand haben und untereinander solidarisch verbunden sind. Es soll nur eine Frage der Zeit sein, daß sie den Handel dort ganz beherrschen; für die reichsten Leute gelten sie ohnehin.

9. März. Während wir uns mit dem Käscher belustigten und Fedor einige kleine Krabben fing, hieß es plötzlich: »Ein wunderbarer Fisch! Ein Fisch mit vier Beinen!« Es war ein gallertartiges Fischchen mit vier großen Flossen; die vorderen waren in der Mitte beweglich und sahen in der Tat Schwimmfüßen ähnlich. Natürlich kam es in den Spiritus, und als wir nachher noch eine große Schlange heraufzogen, die Jürgen fast totgeschossen hatte, mußte auch sie ins Gras beißen. Eine kleinere, sehr hübsch gezeichnete, die die Leute abziehen wollten, machte ihr Maul gräßlich auf und streckte die Giftzähne vor; wir sahen es deutlich.

10. März. Wir sind im Revier des Irawadi, an Diamond Island vorüber, wo mehrere große Schiffe liegen und auf ihre Ordre warten. Hier kommt der Lotse für Bassein an Bord, ein Halbblut, so gemischt wie sein Anzug, der aus weißen Hosen, weißem Sarong, dunklem Jackett und Turban besteht. Eben fällt der Anker, denn wir können erst mit der Flut den Strom weiter hinauf.

12. März. Das hat man mir nicht an der Wiege gesungen, daß ich den Irawadi befahren würde! Es ist mir wie ein Märchen so wunderbar und unglaublich. Der Spiegel, auf dem wir mit der Flut herein kamen, ist doppelt so breit wie die Wesermündung, und die Ufer sind nicht etwa die Ufer, sondern eine Anzahl flacher Inseln mit Jungle – Ureinwuchs – bedeckt, die über das Revier verstreut sind und zwischen denen das Schiff entlang gleitet. Erst ziehen sich ziemlich hohe Bergketten hinter dem Ufersaume hin, bald sieht man nur noch Flachland oder Hügel, aber der Wald zeigt die verschiedensten Bäume, teils im saftigsten Grün mit weißen oder gelben Blüten betupft, teils ragen einzelne Stämme hoch und kahl über die anderen hinaus. Weite Strecken sind von Mangrovebäumen eingefaßt, die auf ihren Wurzelpyramiden erhöht über der Wasserlinie stehen. Hier und da sieht man an kleinen Buchten oder Flußmündungen birmanische Hütten, schon von ferne kenntlich an den Bananen und Kokospalmen, die die Ansiedelung umgeben.

Jetzt liegen wir ruhig auf dem Strome vor der kleinen Insel Entreprise und warten auf den Schlepper, der uns vollends nach Bassein bringen soll.

Heute früh kam ein Dampfer heraus und zog ein Signal auf: »Setzen Sie ein Boot aus.« Fieberhafte Aufregung und Eile. In sieben Minuten war das Boot im Wasser, der zweite Steuermann und zwei Mann ruderten mit aller Macht auf den Dampfer zu, der inzwischen in Rufweite gekommen war, und schrie, ob wir der »Star of Germany« wären? »Regulus!« brüllt Jürgen zurück. Der gegenseitige Kapitän schreit: »dann wäre es gut!« und dampft weiter. Der »Star of Germany« liegt, wie der Lotse sagt, seit zwei Monaten bei Diamond Isle an der Kette und wird sich wohl freuen, endlich Ordre zu bekommen.

Da wir nun doch zu Untätigkeit verurteilt sind, nahm Jürgen das Boot und fuhr mit der Flinte an Land.

Wir fingen inzwischen einen höchst merkwürdigen Fisch; er ist gelb und bläst sich auf und hat im Unterkiefer zwei kleine runde Kinderzähne. Es soll der sogenannte Trommelfisch sein. Ich hörte später selbst das laute Trommeln, das die Fische gegen den Schiffsboden vollführten.

Mir gegenüber kauert der Lotse und liest singend, wie es bei den Birmanen üblich ist. Ich glaubte, er habe ein Gebetbuch vor sich, aber es ist ein Roman. »Gentleman got daughter, other gentleman got son. Gentleman no likee marry, son and daughter away Singapore, all the same Rangoon.« Gentleman hat Tochter, anderer Gentleman hat Sohn. Gentleman will nicht, daß heiraten, Sohn und Tochter fort, Singapore, ebenso Rangoon. Das ist der Inhalt, der zeigt, daß es überall Väter gibt, die no likee und son and daughter all the same sind.

Eben fällt ein Schuß. »Das wird wohl ein Tiger sein«, sagt der Steward. Die Jagdbeute bestand schließlich aus einem grauen Nagetierchen und einem schwarzen Specht.

Unvergeßlich ist mir dieser erste Abend auf dem Irawadi; die tiefe Stille über dem weiten Strome, von Zeit zu Zeit unterbrochen von fernen unbekannten Waldstimmen, langgezogenes Flöten und Locken, lautes Zirpen, dazwischen kurzes heiseres Aufbrüllen und Kreischen von allerhand unheimlichem Getier; dazu die herrliche milde Luft, als striche sie über Flächen blühender Bäume. So weltabgeschieden und fremd habe ich mich in der weiten Meeresöde kaum je gefühlt, nie einen solchen Eindruck tiefster Ruhe und Einsamkeit gehabt. Plötzlich ein lauter Ruf über das Wasser: »Jürgen! – Jürgen!« –

Hinaufgeeilt, sahen wir in der Dunkelheit den Umriß eines großen Schiffes, das lautlos herangekommen war und jetzt nicht weit von uns den Anker fallen ließ. Es war der »Richard«, und der Rufende Kapitän Schulte, ein alter Freund.

14. März. Wenn Ihr denkt, ein Floh wäre ein Floh, »so weiß ich's jetzt anders zu sagen,« denn es gibt Flöhe, die ganz klein sind, greulich stechen, aber, der Gefahr unkundig, ruhig sitzen bleiben und von den gymnastischen Künsten ihrer europäischen Vettern keine Vorstellung haben. Wünscht man ihre Bekanntschaft zu machen, wie ich heute morgen, so muß man in den Jungle gehen, den Fußstapfen seines Mannes folgend, der still und wild, gespannt sein Feuerrohr, vor einem herschleicht. Das ist indessen schon leichter gesagt als getan, denn es gibt dort einen Baum, der Hunderte von kurzen Wurzelstümpfen aus der Erde treibt, die den Boden im Umkreis seiner Krone bedecken. Es ist eine schreckliche Vorstellung, sich dort eilen, z. B. fliehen zu müssen und zu stürzen. Zum Glück war wenig Unterholz da. Heute früh hörte man eine Menge Vögel, zum Teil sehr melodisch pfeifen, aber sie verstummten bei zunehmender Hitze, und als wir uns an Land setzen ließen, war alles still, nur ein Flug rotbrauner Vögel ging vor uns auf. An einem Wasserlaufe waren Bäume derart gefällt, daß sie als Brücken quer darüber lagen, andere alte Stämme so hohl, daß nur noch die Rinde teilweise stand. Durch eine solche Baumruine wollten wir eben gehen, wie durch ein Tor, als Fedor, in dem als Forstmeisterenkel das Jägerblut sich regte und der spähend voranschlich, einer großen Schlange ansichtig wurde, die bunt, lang und schrecklich, zum Knäuel geballt in der dunkelsten Ecke lag. Jürgen schoß sie erst halb durch, dann schlug sie Fedor wie Siegfried mit dem Stecken tot und schnitt ihr zu größerer Sicherheit noch den Kopf ab. Sie war gelb und braun gefleckt, und da er gern die Haut behalten wollte, so hängte er sie am Genick auf und streifte ihr dieselbe säuberlich über den Schwanz. Während dieser anmutigen Beschäftigung hörten wir rufen; es war Kapitän Schulte, der uns mit zweien seiner Leute nachkam, und da es inzwischen hohe Zeit zur Heimkehr geworden war, machten wir uns auf den Rückweg; dabei sahen wir von weitem eine »eingeborene« Hütte, die auf Pfählen stand und verlassen schien. Um hin zu gelangen, mußten wir erst über ein Reisstoppelfeld, das in dicken Schollen hartgebacken war und von der Hitze fußtiefe Risse hatte, dann über einen Strich verdorrten groben Grases, das am anderen Ende knisternd brannte.

Der Reis wird nämlich nicht gemäht, sondern immer ein Bündel Halme mit der Hand gefaßt und abgeschnitten; die Stoppeln werden angezündet. Tritt dann die Regenzeit ein, so wird der so gedüngte und aufgeweichte Boden gepflügt und Reis mit Salz vermischt hinein gesät. Deshalb also dieser Moorbrand. Darüber kreisten und kreischten einige Raubvögel, von weitem gurrten wilde Tauben, und sechs bis sieben blaue Büffel, die am Waldsaum weideten, verloren sich ins Dickicht. Ein festgestampfter Platz, wo der Reis durch Büffel ausgetreten wird, lag in der Nähe der Hütte, in der nichts zu sehen war, als ein tönernes Wassergefäß mit Nagelornamenten, ein paar Matten und ein hölzerner Mörser, um den Reis zu enthülsen. Die Feuerstelle war nicht auf dem Grunde, sondern auf dem erhöhten Bretterboden und bestand aus einem Klumpen Lehm mit zwei oder drei Steinen, die soweit erhitzt werden, daß die Speisen dazwischen gar kochen. Die Matten waren aufgerollt, und die Herren bestanden darauf, daß ich mich darauf setzen und ausruhen sollte. Mir war es gleich nicht geheuer, und wirklich sahen wir nach einer Weile, daß die Matte von winzigen Flöhen wimmelte. Im Weitergehen fühlten wir Stich um Stich, und obwohl ich zu Hause badete und wiederholt die Kleidung wechselte, konnte ich sie stundenlang nicht los werden und jeder Stich hinterließ eine kleine Schwellung.

Kapitän Schulte erzählte, vor vierzehn Jahren wäre er schon einmal hier gewesen und hätte den Zimmermann mit einigen Leuten an Land geschickt, um einen Baum zu fällen, dessen sie zu einer Ausbesserung bedurften. Als sie den Baum fast abgehauen hatten, sah einer der Arbeiter auf und ließ vor Schrecken die Axt fallen, denn einige Schritte vor ihnen stand ein Tiger. Alle liefen fort, bis auf den Zimmermann, der seine Axt nicht im Stich lassen wollte und sie aufnahm, ehe auch er davonlief. »Der Tiger hatte wohl nicht viel Hunger, denn er kam mir nicht nach«, sagte er nachher.

16. März. Endlich kam der kleine Dampfer, der uns einschleppen sollte; es hatte so lange gedauert, weil der Telegraph zwischen Diamond Isle und Bassein unterbrochen war. Langsam zogen wir nun durch die waldbesäumten Ufer flußaufwärts. Die goldene Spitze der Pagode war schon lange in Sicht, ehe die Dächer der kleinen Stadt erschienen. Es sind kaum mehr als tausend Häuser, und von Europäern ist nur das nötige Personal da, um für einige große Firmen den Paddy (Reis in der Hülse) aufzukaufen, durch die Mühlen gehen und verschiffen zu lassen und was sich sonst noch durch einen solchen Betrieb zusammenfindet. Der Import ist nicht der Rede wert; was man braucht, wird aus Rangoon bezogen.

Meine Erwartungen waren also bescheiden, und nun denkt, wie überrascht ich war, als die malerischsten Holzhäuser, jedes in einem Nest von Grün, mit Palmen dicht umstanden, an uns vorüberglitten. An allen führten Stege, Treppen, kleine Wege hinunter an den Fluß, besetzt von badenden und kauernden braunen Kindern und hantierenden Leuten. Die Hütten standen alle auf Pfählen, zum Teil schief und halb eingesunken, zum Teil mit feinem Schnitzwerk und gemusterten Matten bekleidet; dazu der blaue Himmel und das grelle Sonnenlicht, das scharfe Schatten über die Wege warf und die Leute in ihrer bunten Tracht phantastisch erscheinen ließ.

Auf der Veranda eines Hauses, hier bungalow genannt, halbversteckt von Bäumen, standen ein Herr und eine Dame, lebhaft winkend und rufend. Jürgen schwang den Hut; es waren der Ingenieur Röder und seine Frau, die er von früherem Aufenthalt her kannte, und ich freute mich, bei der Ankunft in der fremden Stadt gleich so freundlich empfangen zu werden.

Weiter den Fluß hinauf, vor der Reismühle, an die der »Regulus« gewiesen ist, warfen wir Anker.

VI.
Bassein.

17. März-15. April.

17. März. Wir liegen hier dicht vor der Reismühle von A. & B., die den »Regulus« zu beladen hat, und so nah am Ufer, daß ein etwa 30 Fuß langer Steg vom Schiffe nach dem Lande gelegt wird, mit zwei dicken Stämmen links und rechts als Brüstung und so breit, daß eine Reihe Kulis mit ihren Reissäcken auf der einen Seite entlang traben kann, während sie auf der anderen leer zurück laufen. Die Kulis unterstehen einem ebenfalls dunklen »mistri«, der sie mit lautem Geschrei und drohenden Gebärden antreibt und in Ordnung hält. Das hatten wir nun beständig vor Augen und im Ohr. Die vorne offenen Reishallen, Godowns genannt, liegen an der Vorderseite der Gebäude, dem Flusse zugekehrt. An beiden Enden steht ein ganz kleines Haus, das eine bewohnt ein birmanischer Beamter des Geschäfts, das andere ist das Kontor des hiesigen Vertreters der Firma, Herrn Mühling, der auch gleich an Bord kam, uns zu begrüßen.

Zuerst muß selbstverständlich der Ballast gelöscht werden, worüber zu unterhandeln der Doktor erschien, der einflußreichste Mann des Orts, der, zugleich erste Magistratsperson und oberste vollziehende Gewalt, noch so viele Nebenämter hat, daß ihm Jürgen mit Anspielung auf den Mikado sagte, er wäre ja »Lord high every thing else.« Im »Mikado« gibt es nur zwei Minister, den Lord-Oberrichter und den »Lord Minister für alles Uebrige«. Mit dem schönen Granitballast aus Rio hatte Jürgen ein gutes Geschäft zu machen gehofft in diesem Lande, wo es keinen Bruchstein gibt; in Rangoon wäre das auch der Fall gewesen, doch stellte sich leider heraus, daß die Leute hier nicht so luxuriös bauen, und die Regierung zahlt nur eine Rupie = 1 Mk. 20 Pfg. bis 1 Mk. 50 Pfg. per Tonne und fast ebensoviel kostet das Löschen.

Da ich mich unwohl fühlte und über und über wie zerstochen war, so brachte Jürgen nach der geschäftlichen Verhandlung den universellen Mann zu mir. Er ist ein dunkelfarbiger Herr mittleren Alters, der in England studiert und seine Grade rite erworben hat; Perser von Geburt, sogar Parse, Feueranbeter. Als er meine Pusteln besehen hatte, erklärte er sie weder für Insektenstiche noch für prickly heat, »roter Hund«, sondern für Windpocken, die jetzt besonders unter den Eingeborenen sehr herumgingen. Wir gestanden, in einer Hütte im Jungle gesessen zu haben, und er war nicht im Zweifel, daß ich sie mir dort geholt hätte. Vor allem solle ich mich vor Zug hüten und nicht kalt baden, was ich gestern dreimal und heute einmal getan habe, weil Süßwasserbäder beim roten Hund empfohlen werden.

Leider muß ich nun Jürgen allein auf das Diner gehen lassen, zu dem uns Herr Mühling gebeten hatte, was mir besonders leid tat, weil auch einige Damen dort sein sollten. Als Jürgen zurück kam, hob er hauptsächlich den reizenden Blumenschmuck der Tafel hervor; auf dem Tischtuch wäre aus Rosenblättern und feinem glatten Grün ein Muster gelegt gewesen, so akkurat wie gestickt, und die Damen hätten ihm gesagt, dazu zeigten die Inder viel Geschick, einmal hätten sie den Boy angeleitet und nun machte er es immer und erfände die hübschesten Muster.

18. März. Da es mir besser ging, und mir Frau Röder hatte sagen lassen, daß sie sich vor der Ansteckung nicht fürchte, besuchten wir sie und ich war erfreut, ein liebes, blondes, deutsches Frauchen zu finden, das trotz des langen Aufenthalts in diesem Klima die volle Frische der Gesichtsfarbe bewahrt hat, die europäische Frauen sonst so schnell verlieren. Ihr großer Reiz liegt in ihrer Lebendigkeit und Natürlichkeit, und nicht wenig trägt zu diesem Eindruck ihr bayerischer Dialekt bei, während der Mann das unverfälschteste Sächsisch spricht.

Neben Frau Röder saß der Typus einer englischen alten Jungfer, Miß Beard, in einem rosa Kleide und kurzgeschnittenem Haar. Es kam zur Sprache, daß beide Damen dem Scheibenschießen – rifle shooting – obliegen. Frau Röder hatte in einem Wettschießen den ersten Preis, ein goldenes Armband, davongetragen und Miß Beard als zweiten eine kleine goldene Peitsche, die sie eben als Brosche trug. Sie führten mich auch in den Garten und Frau Röder zeigte mir mit besonderem Stolze ein rührendes kleines Beet, auf dem allerlei heimische Blumen, Balsaminen, Stiefmütterchen, Bethunien wuchsen und etwa einen Zoll hoch aus der Erde sahen. Spanische Kresse blühte auf der Veranda, aber klein und spärlich; Samen setzen sie hier nicht an.

Sie erzählten von einem versuchten Einbruche während des Dacoit-Aufstandes und wie Herr Röder nachts hinter den fliehenden Dieben seine Büchse abgeschossen habe. »Wenn Sie nun einen getötet hätten!« sagte Jürgen, denn das Gesetz erlaubt nur, in die Beine zu schießen, und die Gerechtigkeit soll sich in einem solchen Falle prinzipiell der Eingeborenen annehmen. »Dann hätten wir ihn in den Fluß g'worfen,« sagte die kleine Frau resolut.

Später führte uns Herr Röder durch die großartigen Mühlenwerke, die er nach dem Brande der ersten Reismühle ganz neu hergerichtet hat. Wir kletterten vier Stockwerke hinauf in Wolken von Mehlstaub, sahen sechs große Mühlsteine in Bewegung, überall Räder mit breiten Kautschukriemen, überall Schäfte, in denen Reis rann, der durch Luftzug gereinigt und sortiert wird, überall Geklapper, Gesurr, Schüttern, Wind, Staub und Oelgeruch. Unten wurden uns noch die enormen Kessel gezeigt, und was mich am meisten von allem überraschte und interessierte, die Heizvorrichtungen, denn es wird nur mit Reishülsen geheizt, die beständig von oben in den Feuerraum herunterrieseln. Ein starker Wasserstrahl versieht nicht nur die Kessel, sondern führt zugleich die Asche und die überschüssigen Reisschalen in den Strom, der oft weithin blond gefärbt erscheint. In Europa würde man diesen Ueberschuß zu verwerten wissen, hier aber geht das nicht ohne unverhältnismäßige Kosten. In Bangkok, bemerkte Jürgen, wo sie kein anderes Wasser haben, als den Fluß, würden die überschüssigen Hülsen verbrannt und bilden hinter den Mühlengebäuden mannshohe glühende Haufen, sehr bequem für die Chinesen, um etwaige Leichen verschwinden zu lassen. Solcher Reismühlen gibt es sechs bis acht in Bassein. Der Reis wird nämlich nicht in der Hülse verschickt, sondern zu einem Viertel geschält. Um dies Verhältnis zu regulieren, wird durch eine Birmanin – ein Mann hätte schwerlich die Geduld – den ganzen Tag über ein kleines Maß mit Reis, das ihr von Zeit zu Zeit gebracht wird, in vier kleinere Gefäße sortiert und ist von einer Art Körner zu viel oder zu wenig, so wird die Mühle danach gestellt.

Schließlich führte man uns noch durch die Lagerräume und Werkstätten und an den Schuppen vorbei, in denen die Kulis wohnen, deren die Mühle Hunderte beschäftigt. Anfangs, erzählte uns Frau Röder, hätten sie viel von kleinen Diebereien zu leiden gehabt, namentlich Geflügel und Eier wären beständig verschwunden. Als sie nun einmal einen der Kulis auf der Tat ertappte und ihn zur Bestrafung einliefern wollte, wären die anderen alle in erschreckliches Geheul und Gewinsel ausgebrochen, hätten sich auf die Kniee geworfen und um Gnade gefleht. Sie hätte aber wohl gewußt, daß sie es dann ärger treiben würden als zuvor und so schwer es ihr wurde, sie wäre fest geblieben, der Mann hätte seine Strafe bekommen und seitdem behielte sie ihre Hühner. Die Eingeborenen hassen die Fremden: »wenn sie könnten, sie brächten uns alle noch heute abend um.«

Die Kulis sind Inder und trotz ihres schmächtigen Baues und ihrer zarten Glieder wird alle Arbeit nur durch sie verrichtet. Der eigentliche Birmane ist stolz und gibt sich zu solchem Dienst nicht her; er lebt in seiner Pfahlhütte, die innen dunkel ist, vorn gewöhnlich offen; die Wände aus geflochtener Matte sind undicht, daher sieht das Häuschen verstaubt und oft verkommen aus, die Leute selbst aber meist rein und frisch, das Haar glatt und glänzend. Bei unserem Morgenspaziergang sahen wir oft Frauen mit Blumen im Haar; ich erinnere mich einer dunklen Schönheit, die sich mit einer gelbrötlichen Rispe geschmückt hatte, was ihr allerliebst stand. Die kleinen Kinder laufen nackt herum, mit kleinen silbernen und goldenen Ringen geziert.

Alle Hantierung geschieht in und vor den Haustüren; man sieht Frauen dicke Bündel falscher Haare durchkämmen, andere mit den schweren birmanischen Zigarren von 10 cm Länge und 4 cm Durchmesser im Munde kauern, sogar ein kleines Mädchen sah ich mit einer Tabakspfeife zwischen den Lippen lustig springen. Malerisch sind die gut gehaltenen breiten Straßen; die Bodenfarbe ist braunrot, die Häuser liegen im Grünen, dazwischen fallen lila Büsche in die Augen, die an blühenden Flieder erinnern; und nun das farbige Menschengewühl, das von weitem aussieht, wie grellrote, rosa, weiß und schwarze Farbenkleckse: darüber die Palmen, deren gefiederte Wedel in jedem Lufthauch spielen und über allem der tiefblaue Himmel und diese Flut von Licht.

Ich werde nicht müde, die Palmen anzusehen; vergleichen lassen sie sich mit keinem Baume. Wo sie auch stehen, geben sie der Landschaft Gepräge, ob in Gruppen neben einer verfallenden Holzhütte, oder als letztes Merkzeichen auf einem steilen Kap. Jürgen behauptet zwar, das wäre nur, weil es die »genuine tropics« bezeichnete, gleichviel, schön ist schön. Es ist nicht nötig, daß jeder Baum auch Schatten gebe.

Einer unserer ersten Gänge galt natürlich der Pagode, die zwar nicht die größte der Welt ist, wie die in Rangoon, aber doch groß gegen die andern, die hier und da aus dem Walde hervorragen. Vor allem fielen meine Vorstellungen über Pagoden überhaupt zusammen, denn ich hatte gedacht, eine Pagode wäre ein offener Tempel, es ist indessen ein runder Steinbau, der durch und durch massiv ist und auf einer schlanken Spitze eine feine goldene Krone trägt, an der eine Menge klingelnder Glöckchen hängen.

Die Pagode selbst enthält demnach nichts, aber die Götter wohnen darin und es gilt als ein gutes Werk, sie außen zu vergolden. Je nach Wunsch und Mitteln bringt der Gläubige ein größeres oder kleineres Stück Vergoldung an, und es gibt wohlhabende Leute, die all ihr Hab und Gut darauf verwenden und den Ihrigen aus lauter Frömmigkeit nichts hinterlassen. Von Vergoldung ist an dieser nicht mehr viel zu sehen, Schlingpflanzen, Grasbüschel und Moos bewachsen sie bis oben hin. Eine solche Pagode ist der Mittelpunkt eines weiten eingefriedigten Platzes, in dem eine Menge größerer und kleinerer Tempel stehen, Schreine, Monumente, Altäre und Statuen, die alle Buddha vorstellen, einige alt, schauderhaft und ehrwürdig, andere glatt und neu, die meisten weit über Lebensgröße, spitze Nasen, spitzes Kinn, die Augen scharf geschlitzt, der Mund lächelnd, das Gesicht weiß, die Kleidung öfter bemalt und vergoldet.

Die Beter lagen oder knieten umher, einige auf den Tempelstufen, andere auf dem freien Platze davor, berührten den Boden mit der Stirn, beteten laut in dem klappernden Ton, den man in katholischen Kirchen hört, und hielten dabei eine Blume oder einen blühenden Zweig in die Höhe. Nach dem Gebet wird die Blume in einer kleinen Tonvase auf einem Absatz der Pagode dargebracht, eine liebliche Sitte. Ich sah einen nackten braunen Jungen mit einem Sträußchen beten und ein feines kleines Mädchen in rotsamtenem Jäckchen, goldgesticktem Sarong und vielem Geschmeide, das einen weißblühenden Zweig trug, an der Hand ihrer vornehmen braunen Mama.

Der Aufgang zu diesem Tempelplatz ist imponierend durch steinerne Ungeheuer, halb Drache, halb Löwe, und hölzerne, rot gestrichene Säulengänge mit geschnitzten Dächern und Treppen, auf denen man die bunten Gläubigen und gelben Priester auf- und absteigen sieht. Auch die Pagode selbst ist mit Ungeheuern geziert, die große grünschillernde Augen haben, in denen ich genial verwendete Boden von Selterwasserflaschen erkannte.

26. März. Unser Herr König, der zweite Steuermann, hat sich mit zwei jungen Birmanen angefreundet, die er in ihrer Schule gesehen und eingeladen hatte, ihn zu besuchen; bescheidene, gut unterrichtete junge Leute, Söhne des Lehrers. Zufällig wurde die Schweiz erwähnt, und sie wurden gefragt, ob sie schon davon gehört hätten? Nach einigem Besinnen zeigte der Aeltere mit Daumen und Zeigefinger: »little country, so small – republic«, »Kleines Land – so klein – Republik.« und daß die Aar durchfließt, wußten sie auch. Herr König erwiderte den Besuch, von der ganzen Familie freundlich empfangen, und fand eine brennende Petroleumlampe (!!) und einen Stuhl als Einrichtung. Der Sohn brachte seine Bücher und erzählte, er rechnete Gleichungen mit zwei Unbekannten. Großes Staunen, als Herr König es uns erzählte. »Was sagten Sie dazu?« Steuermann treuherzig: »Ich sagte, das könnte ich auch.« Der Vater Birmane, der mit einer Zigarre freundlich im Hintergrunde hockte, ließ ihm dolmetschen, Bassein wäre nur ein Dorf, wo man nichts zu kaufen bekäme, er könnte ihm daher kein Gastgeschenk machen, worauf Herr König erschrocken versicherte, daß er nicht deswegen käme!

Das wäre noch eine gute Gegend für Odysseus gewesen, bemerkte Herr Pauly dazu, wenn er sein Rundreisebillet hätte so weit ausdehnen können. – Herr König, der die Familie öfter besuchte, machte einmal seinen birmanischen Freunden die Bemerkung, es wäre doch schade, daß ihre Schwester das Gesicht weiß bemalte und sich dadurch entstellte, bekam aber zur Antwort: »you got eyes, Burmese got other eyes,« »Ihr habt Augen – Birmanen haben andere Augen.« und sie würden keine Frau küssen, die nicht weiß angemalt wäre. Indessen, als Herr König wieder hinkam, fand er das junge Mädchen in seiner natürlichen Farbe und zeigte uns später eines der weißen Jäckchen, wie sie die Frauen dort tragen, das man ihm als Andenken gegeben hatte. Die zweite Schwester war verheiratet gewesen, aber der Mann war »in den Jungle gelaufen« – d. h. er war für sie verschollen.

Wir haben den ersten Reis im Schiff, 500 Sack. Es ist erstaunlich, wie diese kleinen, schlanken Leute, mit ihren feinen Händen und Füßen sich die 200 Pfund schweren Reissäcke spielend auf den Nacken wälzen und die Last im Laufschritt über den Steg bis an das schräge Brett tragen, auf dem sie in den Raum hinuntergleitet, wozu sie im Takte singen und rufen. Es ist die ärmste Kaste und sie gelten für unbegreiflich dumm und feig, aber sie haben zum Teil intelligente Gesichter und schöne Züge, schmücken Arme, Füße und Finger mit Ringen und um die Hüften tragen sie silberne Gürtel. Die intellektuell so viel höher stehenden Birmanen zeigen mongolischen Typus und sehen lange nicht so gut aus. Wir müssen so lange hier liegen, weil die Birmanen ihren Paddy festhalten, um einen besseren Preis zu ertrotzen, und da das schon öfter vorgekommen ist, haben sich dieses Mal die Kaufleute verbunden, nicht über ihr Angebot hinauszugehen. Ende dieses Monats muß es sich entscheiden, denn vor Eintritt der Regenzeit muß der Reis verschifft sein, sonst wird er schlecht. Wie es kommt, daß doch noch ab und zu eine Mühle arbeitet, weiß ich nicht, aber die Schiffe, deren Liegetage zu Ende gehen, werden mit gemeinsamen Kräften beladen.

Unser Dubasch, Jannet Alli, ist ein Kalkuttamann, ein schlanker, brauner Jüngling mit glänzendem welligen Haar, schön gezeichnetem Munde und dunklen, mandelförmigen Augen, der aussieht, als könnte er jeden Augenblick den Romeo spielen; er erinnert mich immer an Kainz, dem er auch ein wenig gleicht. Sein kleiner Junge, Abdul Raman, besuchte uns; er hatte eine goldgestickte, kleine Kappe auf und brachte mir Blumen. Als ich fragte, ob er nicht einmal sein Schwesterchen mitbringen wollte, sagte er nein, aber ich sollte zu ihnen kommen und es sehen. Wir gingen also eines Tages hin, und obwohl sie Mohammedaner sind, empfing die Frau auch Jürgen. Sie war eine angenehme Erscheinung, sehr einfach angezogen, aber das kleine Mädchen, Cazibi, hatten sie schön geschmückt, mit einem roten, golddurchstickten Sarong, einem weiß und goldenen Elfenbeinkämmchen im Haar und goldenen Halsbändern und Ringen an Händen und Füßen. Wir gingen nachher noch durch die Stadt, der Dubasch begleitete uns mit den Kindern; ich führte die kleine Cazibi, die mit der anderen Hand ihr zu langes Sarongchen graziös in die Höhe hielt. Als wir an einem Hause vorbeikamen, vor dem ein Mann mit einer Klingel einlud, einen Tiger anzusehen und die Kinder darauf Lust hatten, traten wir ein. Es ging erst durch dunkle Räume, wo große Tongefäße, in denen hier das Wasser kühl gehalten wird, zum Verkauf standen. Der Tiger war ein schöngefleckter Leopard in einer Kiste, den ein alter Birmane mit einem Stock reizte. Ich war froh, als wir glücklich wieder draußen waren. –

Der schöne Dubasch bringt mir duftende Rosensträuße und schickt einem die Leute zu, die man nötig hat. Ich ließ mir ein Paar chinesische Segeltuchschuhe machen, die nicht fein sind, aber vortrefflich sitzen, auf den Fuß gearbeitet, und auch ein paar weiße Kleider, die der Schneider Chichee-double, ein Kalkuttamann, gut und sorgfältig genäht hat. »Chichee-double« heißt er nach der Antwort, die er auf den Vorwurf gab, daß seine Nähte aufgingen: »Me stitchee double«, d. h. ich nähe mit doppeltem Faden wie die Maschine.

Palmsonntag. Daß ich ihn einmal unter wirklichen Palmen feiern würde, hätte ich nicht gedacht. Im gelobten Lande müssen sie viel kleiner gewesen sein oder es standen ganz junge am Wege, denn diese über mannslangen Zweige hätte man nicht auf den Weg streuen können; wir sahen sie uns darauf an.

Da wir einen bequemen Steg ans Ufer haben, gehen wir abends noch über die Felder und zwischen den Hütten spazieren. Erst hatte ich große Angst vor den »Pariahunden« ohne Rasse und Zugehörigkeit, die in Mengen herumlungern, bellen und heulen, sie sind aber feige und ein greulicher Hund schwieg zwei Abende, nachdem ihn Jürgen mit einem Stein bedacht hatte. Es ist jetzt der Ramadan, der heilige Monat der Mohammedaner, an dem sie Gebetsübungen machen und bei Tage fasten, was sie auf das strengste einhalten. Der Dubasch erzählte, die kleine Cazibi wollte auch fasten, obwohl es erst vom fünfzehnten Jahre an verlangt würde; nachts stünde sie mit ihnen auf, um zu essen, bei Tage äße sie Zuckerzeug, aber Reis rührte sie nicht an.

In dem Hofe hinter der Mühle sahen wir mehrmals zwanzig bis dreißig weißbeturbante Mohammedaner in Reihen hinter ihrem Vorbeter auf Teppichen stehen; sobald er sich verbeugte, kniete oder die Erde mit der Stirn berührte, machten es die anderen ebenfalls. Wir gingen einige Mal leise daran vorüber und sahen diesem Gottesdienst im Mondschein zu.

Neulich sah Herr König eine seltsame Szene: eine birmanische Frau saß mit einem kleinen Kinde auf dem Schoß unter einem Baum; vor ihr musizierten Spielleute, die Vorübergehenden warfen kleine Münzen in einen aufgestellten Teller und streuten der Frau etwas gelbes Pulver, das auch da stand, auf den Kopf. Niemand aber kann einem so etwas erklären: die jungen Kaufleute scheinen sich um die Eigentümlichkeiten und Gebräuche der Einwohner so wenig zu kümmern, wie um die Bäume und Sträucher ihrer Gärten, die sie meist auch nicht zu nennen wissen.

Der Unterschied zwischen einem Kommis in einem Geschäft in Europa und einem solchen in den Kolonien ist erstaunlich. Dort ist meistens sein Gehalt so bescheiden wie seine Stellung, hier ist er als Vertreter seiner Firma ein hochangesehener Mann, hat Hunderte von Arbeitern unter sich, ein eigenes kleines Gebäude als Kontor, ein geräumiges allerliebstes Wohnhaus, ganz eingerichtet, drei bis vier weißgekleidete lautlos schreitende Diener, einen Butler mit blauer Knieschleife, mindestens einen Gärtner, täglich vier Kuverts auf dem Tisch, einen entzückenden Garten, ein schönes Boot mit vier Ruderern zur Verfügung. Und dabei seufzen vielleicht die Angehörigen zu Hause, daß der arme Junge so fern und allein im fremden Lande unter halbwildem braunem Volke leben muß.

28. März. Neulich fuhr mich Frau Röder in ihrem Tomtom, einem hohen zweirädrigen Wagen, spazieren und erzählte mir dabei von ihrer Heimat. Sie ist das älteste von zwanzig Kindern, aus einem württembergischen Bergstädtchen nahe der bayrischen Grenze gebürtig, zeigte mir auch später eine Photographie ihres Elternhauses mit der Zugspitze im Hintergrunde. Während die Geschwister in ihren einfachen Verhältnissen geblieben sind, hat sie schon zwei Reisen nach Ostindien gemacht, lebt solch ein anderes Leben, macht ein allerliebstes gastfreies Haus und hat die Welt mit frischen, offenen Augen angesehen und eine Menge Begriffe, die ihr zu Hause fremdgeblieben wären.

Wir fuhren erst zu der kleinen katholischen Kirche neben Schulgebäuden, wo katholische Geistliche eingeborene Knaben erziehen, dann weiter aus der Stadt hinaus, an einem eingezäunten Platz vorbei, wo Zebukühe und -kälbchen weideten, dann in den Jungle hinein. Mitten im Grünen sah ich plötzlich ohne alle Einfriedigung einen großen, alten, steinernen Buddha sitzen, zwischen den geborstenen Steinen war ein Gummibäumchen aufgesproßt. Bei der Rückfahrt kamen wir an einem Schiffe vorüber, auf dem die muselmännische Besatzung ihre Abendandacht hielt, und ihre Silhouetten hoben sich gegen den goldroten Himmel ab, wie sie beteten, knieten, aufstanden, sich verbeugten, so lange wir sie sehen konnten.

Mit jedem Blick sieht man hier ein Bild; sei es eines der herrlich geschnitzten Reisboote mit erhöhtem Sitz, auf dem der Kapitän thront und steuert, während er mit der anderen Hand einen Sonnenschirm hält, oder eine braune Frau, die aus ihrer Hütte tritt, zu dem Fluß hinunter schreitet und, bis über die Knie darin stehend, in eine blinkende Schale Wasser schöpft.

Diese schönen, antik geformten Gefäße in so armer Hand fielen mir auf; ich fragte Herrn Mühling, wo sie herkämen und erhielt die unerwartete Antwort: »Die importieren wir.« Sie sind natürlich alten einheimischen Mustern nachgebildet und es ist betrübend, wie die landesübliche Industrie durch die eingeführten minderwertigen Artikel unaufhaltsam verdrängt wird. Der »Regulus« brachte selbst einmal unter seinem Stückgut eine Menge gegossener eiserner Schalen, vergängliche billige Ware, an Stelle der alten gehämmerten Kessel, in denen die Inder ihren Reis kochen, die freilich teuer sind, dafür aber auch ein Menschenleben überdauern. Ebenso führt die Firma jährlich etwa 12 000 Kisten kleiner Stearinkerzen ein, erzählte Herr Mühling, denn auf der großen Pagode in Rangoon zündet jeder Beter abends ein Lichtchen an.

Ich verschaffte mir nachmals einige echte Bronzegefäße; sie sind aus Glockenspeise und haben einen schönen Klang.

29. März. Gestern abend waren wir auf dem »Richard« zu Labskaus Sehr beliebtes Schiffsgericht, aus kleingeschnittenem Salzfleisch und gestampften Kartoffeln gemischt. und Erbsensuppe gebeten. Kapitän Schulte ist ein sehr großer, starker Mann und sein Steward ein ganz kleines rundes Bürschchen mit einem Kindergesicht, namens Klaus, in Jacke und Höschen aus gewürfeltem rosa Kattun, der fünf Mark den Monat Gage erhält. Er ist zwar älter, als er aussieht, fünfzehn Jahre glaube ich, aber was für Anforderungen kann man wohl an solch ein halbes Kind stellen! Ein guter Steward ist eine der größten Annehmlichkeiten auf einem Schiff, wo man schon so manches entbehren muß.

Der arme Kapitän Schulte hat eben eine große Unannehmlichkeit oder, wenn man will, ein großes Glück; ganz zufällig hat man bei einer kleinen Ausbesserung gefunden, daß einer der Masten seines Schiffes innen von weißen Ameisen ganz ausgehöhlt ist; der Mast hat etwa drei Fuß Durchmesser und nur wenige Zoll Rand waren geblieben; es ist unbegreiflich, wie er überhaupt noch halten und das schwere Geschirr tragen konnte. Ganze Eimer weißer Ameisen haben sie über Bord geschüttet. Wir besahen uns den Schaden, und die Vorstellung, daß er damit hätte in See gehen können, ist schrecklich; bei unruhigem Wetter wäre der Mast unfehlbar zusammengebrochen. Es hat viel Schwierigkeit gemacht, hier Holz zu einem anderen Mast zu bekommen und ihn zusammenzusetzen.

30. März. Eben saßen Jürgen und ich auf Deck und genossen die Kühle und den Mondschein, als ein alter Muselmann mit vier Knaben zu uns herauf stieg und uns, mit Verbeugung und die Hand auf Stirn und Mund legend, eine Untertasse mit eingemachten Früchten überreichte, die aussahen wie grüne Mandeln. Der alte Mann erklärte, sie hießen »median fruit« und es wäre »present, never eat before« »Geschenk, nie zuvor gegessen.«. Wir boten ihnen Stühle an und unterhielten uns mit ihnen; sie sprachen hübsch englisch; der Alte war der Großvater von den Jungen. Diese freundliche Aufmerksamkeit war mir rührend und ich möchte, ich könnte sie auf irgend eine Art erwidern. Herr Pauly sagte, dazu würden sie mir bald genug Gelegenheit geben, das wäre so ihre Art, in einigen Tagen würden sie mit einer Bitte wiederkommen; das ist aber nicht geschehen.

1. April. Wenn Ihr meint, daß es eine einfache Sache ist, einen Strauß anzunehmen, so irrt Ihr gewaltig. Vorhin schickt mir Herr Horst ein schönes Bukett; Jürgen nimmt es in Empfang und bringt es mir, aber der Kuli bleibt ehrerbietig stehen. Der Steward gibt ihm einige Annas, der Kuli regt sich nicht; befragt, was er noch wolle, verlangt er durch Zeichen ein Papier. Ich nehme eine Karte und bedanke mich schriftlich, aber das genügt noch nicht, es muß in einen Umschlag. Da endlich macht er salaam und verschwindet.

Um ein eben aus Rangoon angelangtes Fäßchen Bier zu feiern, waren wir neulich abends bei Röders; außer Herrn Mühling und Kapitän Schulte fanden wir noch den obersten Telegraphenbeamten, einen Inder und seine Frau. Sie ist auch dunkel, in Kalkutta in einem Institut erzogen und »ebenso gebildet, wie Sie und ich,« sagte mir Frau Röder, die sich über das Vorurteil gegen Farbige fortsetzt und mir schon öfter die Liebenswürdigkeit und Herzensgüte dieser braunen Freundin gerühmt hatte. Mr. Mason, der jetzt viel zu tun hat, um das Kabel zwischen Bassein und Diamond Island wieder in Ordnung zu bringen, ist ein dicker jovialer Mann, mit Schnurrbart und glänzenden Zähnen, der unaufhörlich Witze über seine Hautfarbe machte, nicht sehr taktvoll, denn man konnte ihm doch nicht sagen: »O bitte, Sie sind ja ganz weiß.« Das Schlimmste aber war, daß er eine Stimme hatte und von Zeit zu Zeit in heftiges Singen ausbrach. Kapitän Schulte, der gern das Wort führt, hatte eben eine schöne lange Geschichte erwischt und begann sie recht behäbig, wobei er unglücklicherweise das Wort »dutchman« brauchte. »Excuse me, my dear sir, – one moment,« »Entschuldigen Sie, werter Herr – ein Augenblick!« unterbrach ihn Mr. Mason und legte einen dicken Finger auf seinen Arm. Kapitän Schulte brach ab, behielt aber die Beute, sozusagen, zwischen den Zähnen. Herr Mason erhob sich, stellte sich in Positur, eine Hand auf die Hüfte gestemmt, mit der anderen gestikulierend, »warf die Augen graß in einen Winkel« und begann ein patriotisch-kriegerisches Lied gegen den Dutchman, vier lange Verse, die er nach verschiedenen Richtungen hin sang, – den letzten im Eifer des Gefechts nach hinten, wo der Boy mit weit aufgerissenen Augen und offenem Munde stand. Die resignierte Miene, mit der Kapitän Schulte wartete, bis die Passage wieder frei war, wirkte noch besonders erheiternd, dazu der verlegene Ausdruck der armen Frau Mason und Jürgen, der krampfhaft den Hund streichelte!

Schließlich sang das braune Ehepaar noch ein Duett mit hübschen Stimmen, aber leider durch die Nase, wie es hier üblich ist. Kinder haben die Leute nicht, nur einen kleinen Affen, wie Herr Mason pläsierlich sagte, und er wünschte sich auch keine, die zu sehen man erst die Laterne anstecken müßte!

Letzthin fiel uns vor einem Hause ein ganz grünes, kleines Kind auf mit Ringen an Händchen und Beinchen und um die Hüften trug es zwei schmale Riemen, die vorn als Feigenblättchen ein silbernes Herz hielten. Das Kleine war mit einer Substanz gegen die Mosquitos bestrichen und sah aus wie ein lebendes Bronzekind mit antiker Patina.

3. April. Zweiter Ostertag; aber wir feiern ein trauriges Ostern. Gott gebe, daß wir nächstes Mal mit leichterem Herzen schreiben können. Max, einer der jüngeren Matrosen, ist durch die Luke des Zwischendecks in den Raum gestürzt und hat sich schwer verletzt. Ich saß gerade mit einer Handarbeit auf Deck, als er an mir vorüber ging, um in die Luke zu steigen; er grüßte mich noch so freundlich, und kaum zehn Minuten nachher entstand ein Laufen und Rufen: »gestürzt! – tot!« und ich werde nie vergessen, wie sie ihn entlang trugen, sein hübsches welliges Haar durchtränkt von Blut. Er wurde auf der Back hingelegt, die gelbe Flagge gehißt und der Waschmann erbot sich, gleich ein Billet zum Doktor zu tragen. Jürgen war leider von Bord, kam aber mit dem Arzt zu gleicher Zeit; ich dachte, alles wäre verloren, als ich ihn neben dem Verunglückten die Hände ringen sah. Er hatte nichts gebrochen, nur ein Loch in den Kopf geschlagen, aber der Doktor nahm es sehr ernst, sprach von innerer Schädelverletzung, hieß ihn liegen, wo er lag, verordnete die größte Ruhe, nur Milch und ein Schlafmittel und ohne Unterlaß Eis auf den Kopf. Zwei der besten, zuverlässigsten Leute sind ausschließlich zur Pflege bestimmt und es ist rührend, wie sie alle um den Kranken sitzen, ernst und still und ihn bedienen und pflegen. Er ist ganz bei Besinnung, hat wenig Fieber, und es scheint alles darauf anzukommen, ihn ruhig zu halten.

6. April. Es geht eher besser als schlechter; gestern war er fieberfrei, sah gut aus und sprach mit seiner gewöhnlichen Stimme, aber er klagt, daß jeder Sack, der ins Schiff fällt, ihm einen Stich durch den Kopf gibt und das ist nicht zu ändern.

Es ist merkwürdig, wie schnell der Weiße sich dem Farbigen gegenüber als Herr fühlen lernt. Als Max auf die Back gelegt wurde, eilten mit der Mannschaft auch eine Anzahl Kulis hinauf; der kleine Ferdinand aber stieß sie einfach wieder die Treppe herunter, ohne daß es einem von ihnen einfiel, sich zu widersetzen.

Sonst steht es gut. Jürgen geht ab und zu früh um vier Uhr auf die Jagd, gefolgt von einem Birmanen, der die Wege und die Gewohnheiten der Hühner kennt, und einem Kuli, der die Flinte trägt. Die Beute ist nicht groß, ein paar Schnepfen oder Tauben, aber Jürgen kann nicht genug erzählen, wie schön der Jungle morgens ist und wie viel neue Vogelstimmen er hört. Gegen acht oder neun Uhr ist er wieder zurück. Bei Tage ist es jetzt sehr heiß, 27° R. und mehr. Ich empfand zum ersten Male die Sonne quälend beim Zurücksegeln von Röders, wo wir mit Kapitän Schulte und zwei katholischen Priestern gefrühstückt hatten. Englisch war die Sprache, die alle sprachen, jeder in seinem Dialekt. Pater de Cruz ist Eingeborener, mit langem Bart und etwas vernachlässigtem Aeußern, Pater Korn, ein hagerer Mann mit schmalen Lippen und langer Nase, scheint eine sehr angesehene Persönlichkeit zu sein. Seit vielen Jahren wohnt er in einer entfernten einsamen Ansiedelung mitten im Jungle, der einzige Europäer. Er ist Elsässer und Kapitän Schulte fing an, mit ihm zu politisieren. Herr Röder holte ein Werk über den deutschen Krieg, um einen streitigen Punkt auszumachen, und Kapitän Schulte rief ihm nach, von Blumenthal sprechend: »welche Division hat der doch gefahren?!«

Sein Mast ist endlich in Ordnung und Jürgen und der Lotse Hopkins hatten ihn als Sachverständige zu prüfen und als seetüchtig zu bescheinigen.

Abends besuchten wir noch Herrn Horst. Ich lag in einem der langen Rohrstühle, wie es hier gebräuchlich ist, und der alte Butler schob leise einen kleinen Tisch neben mich und stellte mir Wein und Keks zurecht. Nicht lange, so stand ein Gärtner neben mir und überreichte schweigend und ehrerbietig einen Strauß. Drei Gärtner hat dieser junge Mann von fünfundzwanzig Jahren. Der Butler ist seit neunzehn Jahren in seiner Stelle, hat etwas Landwirtschaft, verkauft das Holz aus dem Grundstück und die Milch an den Haushalt. Wir sahen etwas in dem Wipfel einer Palme sich regen wie einen Affen. Es war ein Kuli, der dort Gefäße besichtigte, die den Saft auffangen, aus denen der bei den Birmanen sehr beliebte Palmwein bereitet wird. Sie machen Einschnitte in die Wipfel und binden Bambusröhren darunter. Nach einer Weile glitt der Mann herab, und wir sahen ihn an einer anderen Palme wieder in die Höhe klettern. Er hatte einen Gurt um sich und den Stamm geschlungen und einen Riemen um die Füße, die er anstemmte, während er den Gurt weiterrückte und sich nachschob; in sechs bis sieben Rucken war er oben. Es ist oft beschrieben, war aber höchst merkwürdig zu sehen.

Ich wünschte, ich könnte Euch eben einen Blick auf den godown gegenüber schicken, wo es wimmelt von roten Sarongs, weißen und bunten Kopftüchern und braunen, glänzenden Oberkörpern. Sie »jabbern« wie die Affen oder Krähen, ihre weißen Zähne leuchten, ihr goldenes Geschmeide blitzt; zwischen der Arbeit gehen sie in den Fluß, schwimmen und tauchen und waschen ihr langes Haar, legen einen frischen Sarong um, lösen den nassen darunter und waschen ihn aus, indem sie ihn sorgfältig ausdrücken. Tag für Tag habe ich das vor Augen und nie habe ich einen unbehaglichen Anblick gehabt. Der echte Birmane, den die Kultur noch nicht beleckt hat, ist von der Hüfte bis zum Knie schwarzblau tätowiert; man sieht es noch häufig.

8. April. Herr Rühling ist da, einer der Chefs der Firma, deren hiesiger Vertreter Herr Mühling ist. Ich hatte den Namen so oft gehört, daß ich eines Tages im Bekanntenkreise Frau Röder fragte: »wer ist denn aber eigentlich Herr Rühling?« Da neigte sich das liebe Frauchen zu mir und flüsterte mir ins Ohr: »Herr Rühling ist noch viel mehr als Herr Mühling!« Natürlich imponierte mir das gebührend. Der große Mann ist also da und man sieht ihn drüben stolzieren, ehrerbietig umkreist von den Beamten, und die Kulis stürzen durcheinander wie die Ameisen, um seine Bootsleute heranzurufen. Da wir die Freunde gerade zum Tiffin erwarteten, baten wir ihn ebenfalls, und er war so gütig zu kommen. Aber ein Frühstück zu geben mit einem unzuverlässigen Koch, dem man nicht dreinreden kann, einem Ofen, der nicht mehr in Ordnung ist, ohne Quirl, ohne Sieb, ohne Reibeisen, die in der Kombüse nicht geführt werden, ist mehr Kunststück als Annehmlichkeit. Eine Schneeschlage hat der Steward aus Draht fabriziert. Ich machte eine Sandtorte; sie blieb sitzen, »weil der Ofen zu kalt war«, der Koch buk zwei Schwarzbrote, eins verbrannte, und eins wurde »klitschig«, »weil der Ofen zu heiß war«. Der Steward machte zwei Fruchttorten, von denen die eine mißriet, »weil die Ofentüre nicht schließt«. Indessen lief alles noch einigermaßen gut ab. Ich hatte Mango-Crême gemacht, den Jürgen in Ermangelung eines Durchschlags durch eine Serviette drücken mußte, wobei er nicht unterließ, zu stöhnen und zu klagen, daß es die schwerste Arbeit wäre, die er je verrichtet hätte.

Als man nachher beim Kaffee auf Deck saß, erschien ein box-wallah (box = Kasten, wallah = Mann), fliegender Händler, und legte seinen Kram aus, und ehe ich mich versah, hatte ich mich hinreißen lassen, einen Preis zu nennen, für den ich ein gesticktes weißseidenes Kleid nehmen würde. Der box-wallah packte seine Sachen gelassen wieder ein und ging davon, aber auf der Treppe kehrte er nochmals um und legte mir das Kleid, für das er erst das Doppelte gefordert hatte, auf die Kniee: »take it, Mama,« »Nimm es, Mama.« und so blieb Jürgen nichts übrig, als das Leinwandsäckchen zu holen und die Rupien heraus zu langen. Papiergeld erkennen die Einwohner hier nicht an; große Summen, vierzigtausend Rupien und mehr, werden in Silber hin- und hergeschleppt. Das Geldtragen und -zählen besorgen besondere Vertrauensleute. Neulich hatte Jürgen eine größere Zahlung zu leisten; der Birmane, der sie in Empfang nehmen sollte, trat ein in einem durchsichtigen, weiß mit Gold durchwirkten Turban. Jürgen schüttete einen Sack mit Rupien aus und sagte: »count them«, »Zähle sie.« was der Birmane mit großer Geschwindigkeit tat; dann nahm er einen Zipfel seines Kopftuches, sammelte das Geld hinein und ging so, den Schatz auf der Schulter tragend, wie Hans im Glück davon.

11. April. Wir sind auf dem Sprunge; die Kulis schleppen ohne Unterlaß Reissäcke ein, und die Mühle mahlt, was sie kann. Leider werden wir Max nicht mitnehmen können; es liegt uns schwer auf der Seele, und als wir zu Röders fuhren und sie baten, ab und zu nach dem Kranken zu sehen, erklärten beide aus einem Munde, sie wollten ihn zu sich ins Haus nehmen und gesund pflegen; »im fremden Lande helfe man einander.« Indessen ist es Jürgen klar, daß er ihn den Händen des Arztes übergeben muß, der für ihn einzustehen hat; später kann er der Einladung ja noch immer folgen. Uns ist es ein großer Trost, zu wissen, daß man sich seiner annehmen wird.

Es wird täglich heißer und so leid es mir tut fortzugehen, so wünsche ich es schon der Mannschaft und der Steuerleute wegen, die in der Hitze arbeiten müssen. Herr Pauly ißt kaum noch und hat täglich stundenlang unter dem Wellblechdache der godowns zu sitzen, wo jeder vorbeitrabende Kuli ihm ein Stäbchen überreicht; auf diese Art werden die Säcke gezählt. Er beschrieb neulich, wie ärmlich es bei seinen birmanischen Freunden aussähe, die doch zum guten Mittelstand gehören. Der Vater ist Schulmeister, der achtzig Mädchen und hundert Jungen unterrichtet; sie haben nur einen Stuhl und wenig Gerät, aber doch einen goldenen Spucknapf und die Großmutter besitzt einen silbernen und noch eine silberne Dose mit zwei Deckeln, in der sie ihren Betel mit sich führt.

Als ich letzthin an der Fähre gegenüber auf Frau Röder wartete, spielte sich eine bewegte kleine Szene vor mir ab. Es kam ein Junge gelaufen, der eine verwundete Krähe an einen Strick gebunden hatte; die Krähe suchte fortzufliegen, der Knabe hielt sie fest und stürmte mit dem sich sträubenden Vogel über sich auf ein Haus zu, gefolgt von einem kleinen Mädchen und braunen nackten Jungen von etwa sechs Jahren, der springend und lachend Pfeil und Bogen schwang, wie ein sieghafter brauner Amor, und offenbar der glückliche Schütze gewesen war. Aus allen Häusern kamen Kinder gestürzt und liefen jauchzend hinterher und das merkwürdigste war, daß Hunderte von Krähen sich im Nu versammelt hatten und schreiend und kreischend über die Kinderschar hinflogen, und als der Junge mit der Krähe im Hause verschwand, kreisten sie in Scharen darüber und bedeckten die zunächst stehenden Palmen.

Ein anderes Mal sah ich an eben dieser Fähre eine alte Frau im Wasser kauern und sich übergießen, wobei sie sich unbefangen mit einigen Männern unterhielt. »Das sollte eine alte Frau bei uns tun!« sagte Frau Röder.

12. April. Heute kam man im Hofe hinter der Mühle, wo ein artesischer Brunnen gebohrt wird, bei 182 Fuß Tiefe auf Wasser. Man will nämlich ein großes Reservoir anlegen zu Trink- und Badewasser für die Kulis, um der Cholera vorzubeugen, denn sie baden nicht allein im Fluß, sondern spülen sich dabei auch den Mund aus.

Während wir gegen Abend die jungen Damen von Bassein besuchten, Fräulein Hopkins, Töchter des Lotsen, kam ein Inder mit einem Bären, den er Kunststücke machen ließ. Das arme Tier hatte ein Stirnband mit Kauri-Muscheln und blutete jämmerlich aus seiner durchringten Schnauze. Fräulein Hopkins ging mitleidig hinunter und stellte ihm selbst eine Schüssel mit Wasser hin, aus welcher er gierig trank. Als sie dem Führer eine kleine Münze geben wollte, rief ihre kleine Nichte eilfertig: »Kitty! Kitty! Gib ihm keinen Anna mehr! Der Kapitän hat ihm eine ganze Rupie zugeworfen!«

Eben war der Doktor da und traf die Vorbereitungen für den Transport des armen Max nach dem Krankenhause, versprach auch auf das liebenswürdigste den Eltern zu schreiben; der Vater ist Pastor in einem märkischen Städtchen.

13. April. Birmanisches Neujahr; die Häuser sind mit bunten Papierflittern geziert, alle Leute geputzt, vor den Türen stehen Blumen und alles spritzt sich mit Wasser, das bringt Glück. Auch zu uns kamen Birmanen mit Wasser in Bronzegefäßen und nachdem sie erst in scheuer Entfernung gestanden hatten, spritzten sie mich säuberlich in den Nacken und Jürgen gab ihnen einige Rupien, worauf sie die Stirn berührten und gingen; so nehmen wir noch birmanische Glückwünsche mit auf den Weg.

15. April. Wir sind unterwegs, und der alte Lotse, Kapitän O'Brien, will dieses mitnehmen. Gestern waren wir früh auf; Jürgen mußte um acht Uhr auf dem Konsulat sein; ich saß währenddessen noch einmal an der festlich geschmückten Pagode und zeichnete. Bald umstand mich eine bescheidene Korona. Als ein Mädchen sich erhob, das ich eben skizzierte, redeten ihr die Umstehenden zu, bis sie sich nochmals niederkauerte und ihren Rosenkranz von neuem betete.

Dann fuhren wir in das Krankenhaus und fanden Max viel besser, zum ersten Male wieder zugänglich und über Hunger und Langeweile klagend, in einem kühlen Zimmer mit gedämpftem Licht. Ich kann hier gleich voranschicken, daß alle, die sich seiner hatten annehmen wollen, ihr Wort überreichlich gehalten haben; Röders nahmen ihn zu sich und pflegten ihn, und wir hatten die Freude, ihn nachmals gesund und frisch in Bremerhaven wieder zu sehen.

Nun kam der letzte Abschied; heute früh kam noch Herr Mühling, die lieben Röders mit Blumen und drei großen Popeias, eine erquickende melonenartige Frucht, der schöne Dubasch, der von dem langen Fasten ganz matt und elend geworden ist, aber doch noch in Eile eine Katze besorgte und die letzten Bananen und Mangos brachte. Noch einmal wurde das Bad mit süßem Wasser gefüllt, der Lotse kam an Bord, Mr. Hopkins mit dem Schleppdampfer, und um ein Uhr ging es fort – an all den bekannten Plätzen vorbei, an den Schiffen, auf denen man die Flaggen senkte und Hurrah! schrie, an der Röderschen Mühle, wo beide auf der Veranda standen und winkten und unsere Mannschaft in den lauten Ruf ausbrach: »Herr und Frau Röder! hip! hip! hurrah!« – sie hatten wohl auch gehört, daß sie sich ihres Kameraden annehmen wollen.

Das Wetter ist herrlich, es ist die beste Zeit zum Hinausgehen, aber die Reise wird lang, denn das Schiff neigt sich etwas nach Backbord. Schlagseite nach Steuerbord bedeutet kurze Fahrt.

VII.
Von Bassein nach Geestemünde.

5. Mai-8. September.

5. Mai. Auf der Linie.

Trotzdem der »Regulus« stampft und die Mähne schüttelt, will ich doch mein Tagebuch wieder aufnehmen, obwohl Gottlob! nichts vorgefallen ist, das des Erzählens lohnte. Wir sahen abermals Narcondam und Barren Island von weitem, gingen dann bei unruhigem Wetter durch den Zehngradkanal (der auf dem zehnten Grad n. Br. liegt), bekamen ziemlich heftige Böen und hohe Dünung. Zu berichten ist nichts, als daß ich eine Windhose sich bilden sah, die sich aber verzog, anstatt sich zu senken. In den ersten Tagen war die Hitze unerträglich; man war beständig wie aus dem Wasser gezogen. Seit der böigen Zeit ist das besser, aber die Moskitos sind wir noch immer nicht los.

Schrecklich haben sich auch die Schaben vermehrt, obwohl wir Krieg bis aufs Messer gegen sie führen. Im Waschtisch wimmelten sie zu Tausenden, in der Pantry zu Zehntausenden, aber seit sie ein paar Mal mit kochendem Wasser gebrüht worden sind, haben sie sich etwas vermindert. Nur gut, daß wir von den ganz großen nicht viele haben; auf dem »Richard«, der ein hölzernes Schiff ist, hatten sie fünftausend davon gefangen, und diese Art zernagt alles, mit Vorliebe Oberhemden und Seestiefel. Man fing sie dort in Bierflaschen, in denen man eine Neige gelassen hatte. Durch den Duft verlockt, krochen sie in solchen Massen hinein, daß die letzten mit den Hinterleibern aus dem Halse ragten; der kleine Steward Klaus mußte den Inhalt einer Flasche zählen, und das Ergebnis, mit den übrigen Flaschen multipliziert, war diese enorme Summe. Unsere sind leider nicht so gierig und lassen sich durch eine Neige Bier nicht betören. Jürgen sagt, sie wären so zahlreich, weil der »Regulus« einen Winter übersprungen hätte; Kälte überleben sie nicht. Denkt Euch mich weichgeschaffene Seele nach Dunkelwerden mordgierig mit einem Pantoffel in die Kammer schleichen, – aber Not bricht Eisen. Ebenso wuchern die ganz kleinen blonden Ameisen, die auch überall sind und zu Tausenden in meiner Keksdose saßen; aber da war ich die schlauere und ließ den Strick, an dem die Dose hing, mit Petrol bestreichen; das scheint zu helfen.

11. Mai. Himmelfahrt. Bei Tische hörten wir plötzlich ein starkes Rauschen; es kam ein breiter Zug Fische vorüber; man sah die einzelnen nicht, aber die See kochte in Streifen weiß auf.

16. Mai. Vier Wochen unterwegs und noch nicht viel Fortschritt, denn der Wind ist schwach und veränderlich. Abends fauchen ein paar Walfische.

17. Mai. Jürgen harpuniert einen Delphin, wie die Seeleute einen Fisch nennen, dessen Kopf einem umgekehrten Boote gleicht; der Delphin des Arion sah bekanntlich anders aus. Die Mannschaft fängt zehn Bonitos; sie schillerten wunderschön in blau und grün, als sie vorn vor dem Bug spielten. Wenn sie sterben, ändern und vertiefen sich die Farben, die Rückenflosse zeigt dann das intensivste Pfauenblau. – Eine Bark überholte uns und signalte, ihr Chronometer wäre unbrauchbar. Sie kam von Rangoon und geht nach Santos.

Jetzt kommen schon die klaren Farben des Sonnenunterganges wieder, und das Kreuz steht uns alle Abend zu Häupten. Vor dem Schlafengehen trete ich erst in die obere Tür und sehe zu ihm hinauf.

19. Mai. Der Passat ist da, aber angenehm ist er nicht; sehr hohe See, und auch heute, wo die Sonne wieder scheint, sind die Wellen hoch und unregelmäßig und das Schiff rollt. Wir gingen nach vorn, um das Aufschäumen vor dem Bug anzusehen. Da mittschiffs immer Wasser überkam, hatte mich Jürgen hingetragen; um zurück zu gehen, zog ich Schuh und Strümpfe aus, aber als wir halbwegs waren, kam wie abgepaßt eine See über, als schütte man eine Badewanne über unseren Köpfen aus, und wir wurden durch und durch naß. Mein Hut triefte, aber dem schadet zum Glück nichts; Jürgen pflegt sich mit Vorliebe darauf zu setzen und hat eine Nacht darauf geschlafen, ohne daß es ihn merklich verändert hätte. Zwei Seeschwalben sind zu verzeichnen und fliegende Fische.

7. Juni. Die Tage gleiten einem unter den Händen fort. Der Passat ist vorüber, Wind und Dünung unregelmäßig. Die Sau wurde geschlachtet und nachmittags ein Albicour gefangen. Das Herz, das ein Matrose in der Hand hielt, schlug noch lange und erinnerte mich an das Froschherz, das Professor Hugo Kronecker in seiner Matinee künstlich schlagen ließ. Wir haben Isle de France und Madagaskar passiert und sind in einen wärmeren Strom gekommen. 17° R. Es ist nachts so kühl, daß wir die wollenen Decken vorsuchen. Gegen Abend leichter Regen und ein prachtvoller Mondregenbogen, der erste, den ich in solcher Vollkommenheit gesehen habe.

10. Juni. Der erste Albatros. Drei Ratten haben sich in der Falle gefangen, von der uns in Bremerhaven gesagt wurde, sie wäre unübertrefflich, nur müßte immer eine Ratte drin sein. Daraufhin ließ man zwei über Bord springen und behielt eine, die durch den Verlust des Schwanzes kenntlich war. Carl, der Tierliebhaber, hatte einmal von einem Rattenpaar siebzig gezüchtet, die er dann in Cardiff gut verkaufte, denn Ratten sind in England ein gesuchter Artikel, der Rattenhetzen wegen.

Immer öfter kommt jetzt das Gespräch auf Essen und Trinken; wir lassen uns nichts abgehen, aber ganz unvermittelt fallen einem gute Dinge ein, die man wohl essen möchte; ich sehe oft plötzlich ein Stück Torte vor mir oder ein saftiges Schnitzel mit Ei, gekreuzten Sardellen und einem Scheibchen Zitrone, die Herren ein großes kühles Glas Bier und streiten lebhaft, wo es am besten zu haben ist.

12. Juni. Gestern vexierte uns ein Wolkenstreifen, so daß wir fast dachten, die Chronometer wären in Unordnung und wir sähen bereits die afrikanische Küste. Heute sind wir mit munterer Brise darauf zu gefahren, so daß bei Nacht der Kurs vorsichtig von Land abgeht.

Die Ratte, die wir für ein ganz junges Tier hielten, hat uns mit vier Kleinen beschenkt, und gerade gestern gab ihr Jürgen ein paar Stückchen Segeltuch, um sich ein Nest zu machen; wie muß ihr das zu statten gekommen sein! Ich gratulierte heute morgen, fand aber die kleinen Ratten, obwohl ich sie in Gegenwart der Mutter natürlich bewunderte, nicht halb so hübsch wie damals in unserem Küchenschrank die kleinen Mäuse.

14. Juni. Gestern ein idealer Tag, wie der schönste Septembertag bei uns, die See spiegelglatt, die Luft weich und kühl und warmer Sonnenschein, dabei fiel das Barometer stetig und der Wind wurde gegen Abend unbeständig. Indessen war alles schön und ruhig und Jürgen legte sich um acht Uhr hin, weil er um zwölf Uhr selbst die Wache nehmen wollte; ich war im Begriff ein gleiches zu tun, als im Handumdrehen ein furchtbarer Sturm heranbrauste. In wenigen Sekunden waren die neuen Segel zerfetzt; es war schrecklich zu sehen und die Leute in diesem Unwetter arbeiten zu hören. Ich stand angestemmt in der Kammer auf dem Sofa und blickte durch das Fensterchen; bei jedem Blitze sah ich die zerschlitzten Segel peitschen und hörte das Flappen, Rattern und Klatschen. Als das Schlimmste vorbei war, fing die See an aufzulaufen, und die ganze Nacht und noch heute rollt das Schiff, daß man sich festhalten und die Teller beim Essen balanzieren muß.

Jetzt hat sich der Wind etwas gelegt und die See scheint sich zu beruhigen. Leider erfuhr ich erst heute, daß gestern St. Elmsfeuer zu sehen gewesen wären.

Herr Pauly hörte die Unterhaltung zweier Matrosen über das gestrige Unwetter mit an und die Theorie des »roten Hermann« über den Sturm: »Von Norden kommt der poison (engl. ausgesprochen) und von Süden der köhle Wind. Da muß es doch blitzen, es kann ja gar nicht anders!« Die Ratte hat das Segeltuch zerzupft und sich ein rundes Nest gemacht, in dem sie sitzt, wie ein Vogel.

15. Juni. Afrika! Nach Tisch hörte ich die Leute rufen, und gleich darauf meldete der Steuermann: »Land!« Es war ein langer Streif, aber erst als die Sonne unterging, sah man den Gebirgszug dahinter mit den charakteristischen Hochebenen und Zacken. Die Farben waren heute merkwürdig; die See stahlblau-grünlich, die Gebirge dunkelviolett gegen den roten Abendhimmel, dann die übliche Skala bis ins dunkelblau und ganz niedrig im grünlichen Blau der junge Mond, erst anderthalb Tage alt, wie ein Silberstrich. Schon den ganzen Tag fiel mir die besondere Schönheit und Durchsichtigkeit des Himmelblaues auf. Die See ist grünlich und trübe, zeigt die Nähe des Landes, eine Menge Vögel begleiten das Schiff, darunter die reizenden Kaptauben.

Der Schaden mit den Segeln ist nicht so groß, wie er schien; sie können zum Teil ergänzt werden. Der Segelmacher hat immer zu tun; seit die Ladung im Schiff ist und er nicht mehr Raum im Zwischendeck hat, sitzt er mit seiner Bank an Deck, die Nadeln hat er in einem Horn, das mit Talg gefüllt ist, schön geziert mit seinem Namenszug und eingeritzten Ornamenten.

Der Periquito ist nun auch tot; er schlüpfte aus dem Bauer, als ihm der Steward das Futter brachte und der Wind führte ihn gleich über Bord; wir haben also kein Haustier mehr als die Ratte.

18. Juni. Herrlicher, blauer Tag; ich roch wieder einen eigentümlichen Geruch, der mir schon mehrmals auffiel, und da Land in Sicht ist, wird es wohl keine Täuschung sein. Leider fiel das Barometer wieder stetig. Diesmal dauerte es bis Mitternacht, ehe der Sturm losbrach; auch tat er zum Glück keinen Schaden. Das heftige Schwanken Tag und Nacht ist sehr lästig; mir tun die Rückenmuskeln weh von dem ununterbrochenen Anstemmen. Eben habe ich lange in der Hintertür gestanden und einen Viermaster angesehen, der so nahe kam, daß ich meinte, die Leute darauf zu unterscheiden. Herrlich rollten die dunkelblauen Wellen unter uns durch, der Wind fegte den Schaum in Staubwolken von den Kämmen und Regenbogenschleier flatterten durch die Luft. Die Wellen steigen hoch über das Schiff, aber es liegt so schräg, daß man die Höhe wohl überschätzt.

Merkwürdig sind mir die klugen kleinen Menschen-Ameisen doch, die sich blecherne Nußschalen machen, Spinnweben aufhängen, dann etwa zu zwanzig hineingehen und ihren Weg über das Weltmeer nehmen, um mit Reiskörnern beladen wieder zu kommen. Es geht ja alles natürlich zu, aber jedes Mal, wenn ich vorn stehe und das unendliche Blau sich vor mir ausbreitet, in das man hineinstürmt, ist es mir von neuem erstaunlich, wie das Schiff so gerade und stetig seinen Weg macht durch die endlose Oede.

»Nichts ist dumpfen Gemütern
Träumender Herden wunderbar,
Aber mir ist am Ende
Alles auf Erden wunderbar« –

sagt Hafis.

20. Juni. Das beste der Schweinchen hat sich bei dem letzten Sturm so verletzt, daß es hat – hier kommt ein Walfisch, schnauft und zeigt im Mondschein seinen schwarzen Rücken – geschlachtet werden müssen. Es ist zwar ein leckerer Bissen, aber schade ist es um das gute Säulein. Ferner ist Bericht zu tun, daß die Ratte ihre vier Kinder mit Haut und Schwänzchen selbst gefressen hat, Haare hatten sie noch nicht.

21. Juni. Wir kauften in Singapore eine Kiste kalifornisches Obst in Blechdosen, das sehr gut ist, groß und saftig. Es soll auch eingekochte Mangosteens geben; Jürgen sagt aber, sie schmeckten wie Zuckerwasser und in der Tat ist das Aroma so zart und die Frucht so weich, daß sie unmöglich das Sieden vertragen kann, ebensowenig eignet sich die Mango dazu.

Ihr fragt wiederholt, ob das tropische Obst dem unseren überlegen wäre, und welchem ich den Vorzug gäbe? Meine Erfahrung ist freilich beschränkt, das Paradies der Früchte, Java, habe ich leider nicht kennen gelernt. Daß Bananen und Mangos unter sich so verschieden sein können wie Birnen oder Aepfel, habe ich öfter bemerkt, – meiner Meinung nach gebührt indessen unserem Obst bei weitem der Vorzug, sowohl was Mannigfaltigkeit und Geschmack betrifft, als auch das Aussehen. Im allgemeinen sind die Früchte der Tropen übergroß, grün und dickschalig, zum Schutz eingerichtet, nicht wie bei uns zum Anreiz. Ein Körbchen saftiger Trauben, ein Baum voll glänzender Kirschen, ein Büschel durchscheinender Johannisbeeren, die Pfirsich mit ihrer samtenen Haut und zarten Farbe und ihrem unvergleichlichen Duft – wie ist das alles schon an und für sich erfreulich und verlockend, aber aus indischen Früchten läßt sich kein Stilleben zusammenstellen, das für das Auge anziehend wäre, ich habe es umsonst versucht.

22. Juni. Unser Kumpan, der Viermaster, kam uns so nahe, daß man mit einander hätte sprechen können, wenn Wind und Wellen nicht alles übertäubten, es war auch schon fast dunkel, als er vorüberglitt. Trotzdem brüllte er uns freundschaftlich an, Jürgen schrie auf gut Glück zurück: »Regulus!« Er antwortete: »Pyrenäus!« und man glitt auseinander.

Ihr müßt wissen, daß ein starker, warmer Strom von Nordosten um die Südspitze von Afrika herumgeht. Leider aber stürmt es um diese Jahreszeit meist aus Süd und West und da läuft natürlicherweise die See auf. An der Küste entlang ist es ruhiger, dort kommt einem aber ein kälterer Strom aus Westen entgegen und das Schiff läuft nun, je nach Wind und Strömung, bald der Küste zu, bald wieder ab, bald setzt es der Strom ein gutes Stück weiter, wenn wenig Wind ist, bald macht man in 24 Stunden gar keinen Weg und geschaukelt wird man wie ein Würfel im Becher. Aber schön ist es doch, wenn die dunkelgrauen Wellen heranschwellen, mit gründurchleuchteten Kämmen sich förmlich bäumen und die weißen Mähnen schütteln, und wenn es eben aussieht, als müßten sie über das Schiff brechen, beugen sie den Nacken und man gleitet darüber fort. Schön ist es, wenn die Sonne sinkt und die obersten Säume wie in Flammen stehen und die Seeschwalben und Kaptauben darüber schweben.

Ich träumte heute, ich käme nach langer Eisenbahnfahrt nach Hause und man hätte mir eine große Weintraube in das Zimmer gestellt; eben da ich sie kosten wollte, wachte ich auf. »Ja,« sagte Herr König, »das Essen im Traum ist doch nichts Rechtes; entweder man hat nicht genug oder so viel, daß man es nicht zwingen kann oder man kommt gar nicht zum Genuß.« »O,« sagte Herr Pauly, »eben jetzt, vor noch nicht vierzehn Tagen, träumte ich, ich tränke Bier – es war famos!« –

Die Ratte ist infolge von Gewissensbissen tiefsinnig geworden, sie hat sich in Werg und Watte vergraben und scheut den Blick des Menschen. Sonst nichts Neues vor Afrika.

27. Juni. Land! Eben lichtet sich der Nebel und in leichtem Grau heben sich ungeheure Berge gegen Norden ab. Wir hatten wenig Wind gehabt und der Strom setzte uns weit nach Süden bis über die Bank von Agulhas hinaus; aber das Wetter hielt sich und so trieben wir wieder nordwestlich. Endlich, heute um Mitternacht, meldete der Steuermann das Leuchtfeuer von Agulhas. Ein Schiff kam uns nach und signalisierte. Es ist der »Carnavonshire« von Rangoon nach Falmouth; es hat 83 Tage gebraucht, wir 71.

Nein, es war nicht, wie ich glaubte, die südlichste Spitze von Afrika, Kap Agulhas, das mit so weisem Bedacht gerade auf den 20. Grad gelegt ist, sondern das Kap der guten Hoffnung höchstselbst. Südlich von Kapstadt liegt eine große Bucht, False-Bay, kenntlich an einem steilen, fast überhängenden Kap, Hangclip, weiter vorauf ist das Kap der guten Hoffnung, auf dessen vorderstem Ausläufer der Leuchtturm steht, dahinter hohe Bergketten. Leider war es neblig; wir waren fast den ganzen Tag auf Deck und ich sah wenigstens die Formen der Berge mit den charakteristischen Abflachungen und endlich auch im leichtesten Umriß im Hintergrunde den breiten mächtigen Tafelberg. Die See war sehr bewegt und dunkelgrau, der Himmel bezogen und die fernen Berge leicht blaugrün, als die Sonne hervorbrach und herrlich unterging. Das Schiff von heute überholte uns, es schien sich erst in False-Bay zu verirren, kam aber zurück und lief in einem goldenen Nebel vor uns her.

28. Juni. Wir haben glücklich den 30. Grad erreicht, also die Umsegelung des Kaps, die vom 30. Grad der Ost- bis zum 30. Grad der Westseite gerechnet wird, glücklich überstanden und sind nun aus der Region der schlimmsten Stürme heraus. Afrika mit all seinen Löwen, Diamanten, Elefanten und Kaffern liegt hinter uns und es geht mit dem kalten Nordstrom, Wind und Wellen im Rücken, direkt auf St. Helena zu.

29. Juni. Frische Brise, wir schießen entlang mit acht Meilen die Stunde unter hellem Mond und glänzendem Kreuz. Man fühlt sich schon halb zu Haus, da man wieder im Atlantischen Ozean ist.

Große Stücke Kelp treiben vorüber; es soll auf dem Meeresgrunde wachsen und losgerissen treiben; es sieht aus wie lange, armdicke Gummischläuche, mit Wurzeln und Bändern an den Enden.

3. Juli. Wir liegen im Sonnenschein über der Brüstung, beobachten Quallen und allerhand qualliges Gewächs und füttern die Kaptauben, die unglaublich ungeschickt sind, die zugeworfenen Speckstückchen zu sehen und zu holen, wenn es nicht schlaue Berechnung ist, um den anderen den guten Bissen nicht zu verraten. Sonnenuntergang wundervoll, See rosa und blau changeant. Leider kein Wind; wir sind in den »Roßbreiten«, horse latitudes, so genannt, weil ein portugiesisches Schiff zu den Zeiten, wo die Luft- und Meeresströmungen noch nicht bekannt waren, auf seiner Fahrt nach Rio de Janeiro in diese Region der »Stillten« geriet und dadurch so lange aufgehalten wurde, daß es seine Ladung Pferde, für die das Futter ausging, über Bord werfen mußte.

5. Juli. Drei Mitsegler; eine Bark überholte uns gestern, heute holte uns ein Viermaster ein und signalisierte; er kommt von Rangoon, geht nach Falmouth und ist 88 Tage unterwegs. Er wollte unsere Länge, die mit seiner Berechnung um eine Minute differierte. Der Passat hat eingesetzt, aber nicht sehr stetig, und da er »platt von achter« kommt, hat man dem »Regulus« rechts und links noch zwei »Vatermörder« angebunden, dreieckige kleine Leesegel; die Matrosen nennen umgekehrt die Halskragen Leesegel. »Er hat Leesegel im Top,« wenn einer sich »schön« gemacht hat.

7. Juli. Gestern kamen wir über den »Wendebock des Steines«, wie der Doktor auf der »Baltimore« sagte, und sind also in der heißen Zone, spüren aber noch nichts davon. Dieses ist, der Windstillen wegen, der schlechteste Monat zum Passieren der Linie; wenn wir also länger, als man hofft, ausbleiben, so denkt, daß es normal ist.

St. Helena. Ich schließe dies in Eile, es kommt ein Boot. –

14. Juli. Nördlich von St. Helena. Ich habe ein Gefühl wie nach einer langen Reise, einem rauschenden Fest oder sonst einem großen Ereignis und kann mich noch gar nicht in das gewohnte Gleis zurückfinden. Hoffentlich bekommt Ihr unsere Briefe; wir gaben zwei von uns auf und siebzehn von der Mannschaft; jedenfalls erhaltet Ihr die telegraphische Nachricht. Gestern abend also ging es, wie gesagt, mit vorsichtig verkleinerten Segeln auf St. Helena zu, und als der Tag graute, wurde Jürgen geweckt und eilte hinauf. Ich konnte es vor Unruhe und Neugier auch nicht mehr aushalten, nahm den Staubmantel um und sah hinaus – da lag es groß, hoch und grau, Wolkenschatten und Sonnenblicke spielten darüber hin und bedeckten und beleuchteten bald eine Bergzacke, bald einen Absturz. Da wir von Südost kamen, sahen wir die großartigste und zerrissenste Seite der Insel. Um diese Zeit kam vor Jahren Darwin hier an; wie müssen seine geologischen Augen sich an diesen Gebirgsformen geweidet haben! Ich hatte St. Helena in der Segelanweisung nachgelesen; diese sagt, unter anderen Eigentümlichkeiten habe es eine Leiter von 600 Fuß und Vulkane, die man nicht finden könne; Darwin spricht von einem weiten Felshalbrund, nach außen gebogen, das er für die Hälfte eines eingesunkenen Kraters ansieht; man erkennt die Stelle sehr gut, wenn man darauf achtet. Wenn es je eine natürliche Festung gab, so ist es diese; rings herum fallen die Massen fast senkrecht ins Meer, nur von schmalen Schrunden und Klüften durchfurcht, nirgends sieht man Strand, wohl aber tief ausgewaschene Höhlen, in denen die Brandung donnert und schäumt; steinige Bergkuppen mit spärlichen Bäumen, meist in einer Windrichtung gewachsen, gucken aus dem Innern vor. Wo unten eine kleine Schlucht ausläuft, ist eine Mauer gezogen und an den Vorsprüngen darüber kleben kleine Forts mit Schießscharten an den Felsen wie die Steinnestchen der Schlupfwespe. Herr Pauly erzählte, die Leute, die natürlich einen Handel mit St. Helena-Erinnerungen treiben, nennen diese kurzweg »Napoleons«; sie verkaufen sogar Erde von seinem Grabe und Jürgen erinnerte sich eines alten Mulatten, der sein Grünzeug mit tragischem Augenaufschlag anbot: »from Napoleons grave!« »Von Napoleons Grab«! Sie mögen ihn für eine Art von Heiligen ansehen, und unwillkürlich beschäftigt sich die Phantasie immer wieder mit ihm und geht den Eindrücken nach, mit denen er, dessen Ehrgeiz von einem Weltreich träumte, die Blicke über diese abstürzenden Felsengrate schweifen ließ, von denen kein Entrinnen möglich war.

Als wir um die Nordseite bogen, sahen wir Jamestown am unteren Ausgang einer schmalen Schlucht, in der es sich weit hinaufzieht; unten stattliche Häuser und eine kleine graue Kirche mit spitzem Turm, an den Berghängen Zickzackwege und von unten nach dem Fort oben eine fast senkrechte Linie, die wir für eine Wasserleitung hielten, bis wir hörten, das wäre die berühmte Leiter von siebenhundert Sprossen. »Für die Soldaten«, erläuterte einer der Bootsleute, als ob diese eine besonders auf das Klettern eingerichtete Sorte Menschen wären. Trotz der sehr hohen Wellen waren drei Boote herangekommen. Des ersten Bootsmanns erinnerte sich Jürgen von früher; er hatte nur eine Hand, die andere hatte er durch einen Unfall eingebüßt. Er brachte Kartoffeln und Makrelen und versprach, noch Brot zu bringen. Es lagen zwei Viermaster und eine Bark vor Anker, die wohl Wasser einnehmen wollten, andere Schiffe sahen wir in der Ferne kommen. Natürlich brachten wir die Gucker kaum von den Augen; wir hatten beigedreht und gingen ganz langsam an der kleinen Stadt und der Küste entlang. Zwischen den Felsen sah man grüne und bewaldete Abhänge mit vielen weißen Häuschen, hoch oben sogar Felder und auf einem kahlen Bergrücken, der ins Meer abfiel, ein einzelnes weißes Haus inmitten einer weiten grünen Umzäunung; ich dachte mir, wie schrecklich es für eine Familie sein müßte, dort zu leben, in steter Angst, die Kinder könnten beim Umherlaufen hinunterfallen. » Die Kinder kommen schon mit Ziegenfüßen auf die Welt,« beruhigte Jürgen. Im ganzen machen die vielen Ansiedelungen einen aufblühenden Eindruck. Die Segelanweisung lobt die wilde Schönheit der Landschaft und die Anmut der Hochtäler, »wo wilde Rosen und Geranien ihre Düfte mischen,« Darwin dagegen sagt, die meist eingeführte Flora, vorzüglich die schottische Fichte, gäbe der Landschaft etwas Ernstes, Welsches, wozu das feuchte Höhenklima und der Ginster auf den Berghängen das ihrige beitrügen. Ich habe diesen Eindruck nicht gehabt, da ich in den kleinen Stadtgärten Bananen und Palmen unterschied.

Inzwischen kam das Boot zurück und brachte Brot, Mehl, Eier und eine Traube herrlicher großer gelber Bananen, auch ein Körbchen voll weißer Calla und grüner Cedernzweige für mich. Drei Damen, Töchter des Apothekers, der zugleich Arzt ist, haben die liebenswürdige Gewohnheit, den Schiffen, auf denen sich eine Frau befindet, Blumen zu schicken. »Leider hätten sie eben nichts anderes gehabt,« entschuldigte noch obenein der Bootsmann, Sonnabend bekämen sie von ihren Freundinnen aus dem Innern wieder Blumen, dann hätten sie mehr schicken können. Ich war schon ganz glücklich über diese – mit neunzehn Callablüten auf einmal dünkt man sich unbegreiflich üppig; sie dufteten aber nicht so stark wie die bei uns gezogenen. Natürlich kauften wir auch einige »Napoleons«, dann aber ging es fort, Wolken und Nebel umzogen die Insel, und als wir zu Tische die neuen Kartoffeln versuchten, war St. Helena längst versunken und gehörte zu den übrigen Märchenbildern.

15. Juli. Wir vertieften uns in das Paket Zeitungen, Times u. Standard, die uns die Herren Salomon Hogg & Co. artigerweise geschickt hatten und ersahen mit Vergnügen, daß zu Hause alles beim alten geblieben ist.

Frische Brise, sehr hohe Dünung und Regenschauer. Die Leute schrapen das Deck, denn nun fängt das große Reinmachen für den Hafen schon an. Rahen, Masten, Ketten, Taue usw. sind schon fertig gemalt.

16. Juli. Frischer Passat, hohe blaue Hügel, fliegende Fische. Ich vergaß anzumerken, daß wir vor St. Helena noch eine Kaptaube sahen, eine große Merkwürdigkeit so weit nach Norden; sie hatte ein hängendes Beinchen und mochte sich wohl verflogen haben.

17. Juli. Ascension, einer der stärksten Eindrücke, die ich noch auf der Reise gehabt habe. Es hob sich zunächst in der »diesigen« Luft der fliederfarbene Umriß einer Felseninsel mit hoher Spitze aus gleichfarbigem Meer gegen einen wolkigen Himmel von derselben Färbung. Als wir näher kamen, sah man im Vordergrunde die weiß und schwarze Statue einer Nonne und ein Ringerpaar aus grauem Stein. Die Nonne ging nach und nach auseinander, ihr Schleier mochte wohl von den Seevögeln herrühren, die sie in Scharen umkreisten; der Stein erwies sich als der South Pyramid-Felsen. Die See war sehr bewegt, zu den hohen Wellen kam in der Nähe des Eilandes eine enorme Dünung, und als wir vorübergingen, brach die Sonne durch und vor uns lag ein Landschaftsbild von überwältigender Großartigkeit und Eigenart. In der überraschendsten Mannigfaltigkeit türmten sich Fels- und Bergkegel über- und hintereinander, vom gleichmäßigsten Kaffeebraun, Schwarzbraun, Goldbraun, Rot und Rotbraun, mit grauen, schwarzen und lila Schatten mannigfach getönt; einige glichen an Form und Farbe genau riesenhaften, frisch aufgeworfenen Maulwurfshaufen; wie aus einem Kranz hob sich in ihrer Mitte die hohe Spitze des Green Mount heraus, ein heller Felsstock mit vielen Schluchten und stellenweisem Grün, das sich durch das Glas in Wald auflöste. Auf all diesem spielten Sonnenlichter hin und her; mit den satten Farben der Vorberge kontrastierte das weiche Lila und die gelben Flächen des Green Mount wie ein Hummelsches Gebirgsaquarell. Es war wundervoll, und gegen die unteren Felsmauern donnerte eine Brandung, wie ich noch keine sah; haushoch prallten die Wellen gegen die Felsen, stoben in Schaummassen in die Höhe und zogen als Wolken davon. Das Donnern übertönte das Rauschen der Wellen um uns her. Wir kamen mit frischer Brise entlang und das Bild änderte sich beständig und sehr schnell; die Spitze, auf der das Stationsgebäude steht, erschien bald, bald schob sie sich wieder zurück. Auf unser Signal bekamen wir die Antwort, daß sie verstanden hätten und uns rapportieren würden.

Jürgen sagt, nicht haushoch, sondern turmhoch sei die Brandung, wo der Südostpassat die Wassermassen des freien Ozeans gegen die Klippen jagt. Wenn ein Schiff, wie das unsere, in diese Brandung käme, würde es einmal in die Höhe geschleudert und dann zerschellt sein. – Herr Pauly erzählte von einem alten Schiff, das die Kosten des Abtragens nicht gedeckt hätte und das man an der spanischen Küste in die Brandung treiben ließ; das hätte man so zerschellen sehen und die Trümmer seien dann am Strande gesammelt worden. Uebrigens gibt es doch einen Baum in der meilenweiten Felsöde von Ascension, eine einzige sturmgepeitschte Palme auf dürrem Felsenstrand – es war so offenbar die Heinesche Palme, als hätte er sie persönlich gekannt. Herr Pauly entdeckte sie zuerst, bald aber hob sie sich klar gegen den Himmel ab und einer nach dem anderen zitierte die Heineschen Verse.

Wir gingen an der Südseite vorüber und als wir um eine Ecke bogen, lag plötzlich ein großes, weiß und graues Lava- oder vielmehr Schlackenfeld vor uns, das sich zu den Felsen hinauf und zur See hinunter zog, und zwischen den schwarzen Blöcken und Spitzen kochte und brandete die See. Solcher Felder sahen wir mehrere, einige Streifen weißen Sandes hatten sich vorn abgelagert. Dort legen die Schildkröten ihre Eier ab, um dann, wenn sie in dem frohen Bewußtsein wohlerfüllter Pflicht ins Meer zurückwatscheln, tückisch auf den Rücken gedreht zu werden. An einer solchen Sandbucht stand das einzige kleine Haus, das weit und breit zu sehen war und das wahrscheinlich den Schildkrötenleuten zu zeitweiliger Unterkunft dient.

Bald lag Georgetown vor uns; kahle reizlose Häuser am Strande, wo der Wind nicht hintrifft, und die See nicht aufschäumt, denn es weht das ganze Jahr hindurch der Südost-Passat und Georgetown liegt auf der Nordwestseite – aber kein Baum, kein Strauch war zu sehen. Es sollen, wie in allen englischen Kolonien, vortreffliche Wege in das Innere führen, wo es auch fruchtbare Hochtäler gibt, die den in Indien und Afrika Erkrankten als klimatische Kurorte empfohlen werden.

18. Juli. Die Wärme hat eine neue Plage gezeitigt; aus der offenen Luke steigt ununterbrochen eine Wolke kleiner schwarzer Reiskäfer, die zu Tausenden alles bekrabbeln, einem in Teller, Mund und Augen fliegen. Sie springen zum Glück nicht und beißen wenig, aber sind so fett, daß jeder, der zwischen die Seiten eines Buches oder Papiers gerät, einen Fleck hinterläßt. Das Deck sieht aus, wie mit Fett bestäubt. Indessen ist nichts dagegen zu tun; sie leben im Reis und arbeiten sich durch die Säcke. Jürgen hat manchmal händevoll den Hühnern vorgeworfen, die sie mit Vergnügen und Nutzen gefressen haben. Er verlangt, ich solle auch der Fische Erwähnung tun, die bei Ascension wimmeln; er hatte vorsorglich Schleppangeln zurecht gemacht und uns soviel von früherem reichen Fang erzählt, daß wir uns schon auf die leckeren Gerichte freuten; natürlich war es ihm sehr empfindlich, daß diesmal nichts anbiß; einmal zuckte die Angel, aber wie schon so oft, schwamm der Fisch mit dem Haken davon. Der ergiebigste Fischgrund lag schon hinter uns und eben hatte Jürgen gesagt: »Jetzt gebe ich es auf,« als ein großer Fisch an der Angel in die Höhe schnellte, und kaum war er oben, ein schönes, feines Tier, so bissen noch zwei, und obwohl der eine entkam, wurde doch der andere glücklich harpuniert und heraufgezogen; er wog 54 Pfund.

Leider verzehrten wir schon die letzte Banane; sie waren vortrefflich und dufteten wie Melonen.

20. Juli. Es wird heiß; +24° R. See blau, Passat stetig. Heftiges Reinmachen. Schrapen und ausgegossene Eimer überall.

23. Juli. Wir passieren die Linie. Da kein Neuling mehr an Bord ist, geht der große Akt ohne Sang und Klang vorüber.

31. Juli. Drei große gelbe Libellen spielen um das Schiff, die von den Kapverdischen Inseln, als dem nächsten Lande, sein müssen; sie flogen kräftig wie Schwalben im Zickzack und fingen Reiskäfer; über 300 Meilen mußten sie gemacht haben. Mehrere Schiffe in Sicht, ein großer Dampfer, der nach Bahia geht. Eine große Bark signalt; sie kommt von Sidney, geht nach London und verlangt unsere Länge. Wer weiß, was sie bei Kap Horn für Wetter gehabt hat, so daß sie ihre Chronometer nicht hat berichtigen können. Noch eine Bark kommt in Sicht, die ihren weißen Segeln nach amerikanisch sein muß. Dort führt man baumwollene Segel, die neu hübsch aussehen, aber schwer wie ein Brett zu hantieren sind, und kommen sie erst ins Reißen, so ist es natürlich vorbei, wie mit baumwollener Wäsche, während hanfenes Segel- und Tauwerk immer einen bedeutenden Wert behält.

4. August. Die Leute machen Drachen und lassen sie steigen; einer belustigt uns lange durch seine lebhaften Bewegungen in dem starken Winde, bis auch er endlich ins Wasser fällt. Gestern ließ sich ein Hai sehen, aber die Haiangel wurde umsonst ausgehängt; heute zuckte sie und mit dem Rufe: »Fisch an der Lin!« stürzte man von allen Seiten nach hinten, wo Jürgen in froher Erwartung schon die Leine einholte und zu allgemeiner Erheiterung den verlorenen Drachen heraufbrachte. Morgen passieren wir wohl die Sonne. Dann steht sie wieder im Süden und wir kommen aus dem Frühling in den Herbst.

5. August. Der herrlichste Tag, die See blau und bewegt, Sonnenschein, das Schiff schaukelt in dem frischen Passat und die Luft ist mild und kühl. Es ist kaum glaublich, daß wir auf der Breite von St. Vincent sind, beinahe um dieselbe Zeit wie voriges Jahr; wie litten wir damals von der Hitze auf der »Baltimore«, – wir hatten den Passat im Rücken, das macht den Unterschied.

Heute abend fabrizierte Jürgen eine Austernsuppe, die großen Anklang fand. Das Prinzip war einfach, er ließ die eingemachten Austern in ihrer Brühe kochen und tat Pfeffer, Salz, Zitronensäure und Worcestersauce »nach Bedarf« hinzu und soviel Lorbeerblätter, daß schon ein recht bedeutendes Verdienst eine Krone davon hätte haben können.

Jetzt riecht das ganze Schiff wie ein Atelier, denn es wird geölt und gemalt, daß man seines Kleides nirgends sicher ist.

7. August. Frischer Passat, alles blau, das Schiff stampft fröhlich entlang; man sollte meinen, Jürgen müßte zufrieden sein, aber weit gefehlt; er geht unruhig auf und nieder, wirft mißtrauische Blicke zum Flögel hinauf und bewacht den Wind, ob er auch bleibt und nicht etwa flau wird, oder er sitzt unten über den Karten und Büchern – wenn alles gut geht, können wir in drei Wochen in Falmouth sein.

10. August. Heute vor einem Jahr fuhr ich von Bremen ab. – Es sieht nicht aus, als kämen wir bald heim, es ist flau; wir schaukeln in der sanftesten Dünung und gehen eben nur noch durch das Wasser. Wir sind jetzt in der Sargasso-See; Sargasso ist Seetang; feingefiedert und rotbraun durchleuchtet, schwimmt es in Menge auf dem tiefblauen Wasser.

Einer der Matrosen kommt heute zu mir: »Sie waren so freundlich, uns Ihren Katalog zu geben, ich wollte um den Xenophon bitten,« – die Uebersetzung natürlich.

Es wird mit Macht geölt und gemalt und immer von frischem geseift und geschrapt. Der Steward seift und streicht die Pantry und Kajüte; dabei wird eine Razzia auf die Schaben gehalten. Die kleinen Ameisen, die nach Vanille riechen, vermehren sich wieder; ich kann meine Cakesdose nicht mehr vor ihnen bergen; ich rieb sie über und über mit Petrol ein; wickelte sie in Papier, hängte sie an petrolierten Stricken an die Decke, alles war umsonst; jetzt habe ich noch den Nagel mit Petrol bestrichen und das scheint zu helfen.

12. August. Jürgen weckt mich aus meinem Morgenschlaf durch die Meldung, ein Dampfer wäre in Sicht, er habe signalt und nun käme er an. So schnell ich konnte, eilte ich hinauf. Der Dampfer, ein großes, breites Ding mit rundem Vorderteil, kam direkt auf uns zu; Jürgen bat um seine Länge, die der Dampfer an ein schwarzes Brett schrieb und uns zeigte: 28.40. Er kam so nah, daß man sich anrufen konnte, Hüteschwenken und artiges Brüllen von beiden Seiten und fort war er. Als nun Jürgen die Länge näher ansah, erklärte er sie für unmöglich. Der Dampfer müßte sich verschrieben oder die Breite angegeben haben, was aber sozusagen unbegreiflich wäre, denn darüber würde man hier nicht im Zweifel sein. Indem begann der Dampfer zu pfeifen und wirklich drehte er, kam zurück, hatte den Fehler bemerkt und berichtigt und schrie es uns noch zum Ueberfluß zu – es war uns allen leid, daß er es sich so viel kosten ließ; er ist englisch, der »St. Clears«, nach Mexiko unterwegs.

Ich habe mir eine Nachttasche aus Segeltuch gemacht und mit einem letzten Stückchen roten Inletts eingefaßt, wobei Jürgen nicht ermangelte, zu zitieren: »Frau Magdalis weint auf ihr letztes Stück Rot.«

14. August. Meeresstille und also keine glückliche Fahrt. Der Himmel ist nun wieder der nördliche, mit Sternen übersäte, die Sternbilder, die im Süden »auf dem Kopfe stehen« und fremd scheinen, haben wieder ihr gewohntes Ansehen. Der Mond nimmt wieder mit dem Gesicht nach links zu und liegt nicht mehr abends auf dem Rücken und morgens auf den Hörnern wie eine ausgegossene Schale. Das Kreuz ist versunken.

Neulich rief mich Jürgen nachts, um einen großen Viermaster zu sehen, der ganz nahe vorüberkam. Das mächtige Schiff sah herrlich aus, wie es so unter all seinen Segeln in der stillen Nacht langsam seine Bahn zog.

19. August. Wir müssen jetzt mit dem Petrol sparen und brennen nachts keines mehr.

Eine Menge Schiffe, heute früh zehn, die alle nach Norden streben.

22. August. Hohe See. Ich saß auf dem oberen Deck und konnte mich nicht satt sehen; ich hatte die Wellenkämme in Augenhöhe und der Schaum flog hoch über Bugspriet und Back.

27. August. Die Meerfarbe ist entschieden schon grünlich und das Wasser voller Quallen, wahre Monstra; geringelte Schlangen, armdick mit Fühlern, gelbbraune Ringel von der Länge eines Fingers bis zu der Größe von mehreren Fuß, greulich fleischfarbene Gallertgeschöpfe, gigantischen Engerlingen vergleichbar, Wulste mit Stengeln und Trompeten; einmal trieben vier aneinander gewachsene Kruken aus Milchglas vorbei mit orange Mäulern. Es sah manchmal genau aus, wie recht zerfetzte Fleischfasern unter dem Mikroskop, in das Riesenhafte vergrößert. Ich hätte gern einiges näher gesehen, aber sie lassen sich nicht unversehrt aufziehen, sondern laufen in schleimigen Fäden durch die Maschen des Kätschers.

30. August. Sehr hohe See, konträrer Wind. Morgens ein Dampfer, Jürgen läßt die Flagge aufziehen in der Hoffnung, reported zu werden. Der Dampfer muß ein altes Ding sein, er kommt gar nicht vorbei und weiter voraus scheint eine losgerissene Bake zu treiben. Plötzlich sagt Jürgen: »Es ist ein Kabelschiff!« und nun sah man auch die Rolle unter dem Heck und noch eine auf dem Hinterdeck, das tief einsank; vorn stieg es hoch heraus und ging so langsam, daß man die Bewegung kaum wahrnehmen konnte; es brachte wohl ein zerrissenes Kabel in Ordnung. Ich gedachte des »Faraday«, und vor meinem geistigen Auge stand jene Sitzung der Berliner Akademie, in der Werner Siemens zum ersten Male seinen Platz in der Reihe der Unsterblichen einnahm. »Deine Kabelschiffe befahren den Ozean,« klang mir wieder im Ohr, Aus der Begrüßungsrede seines Freundes du Bois-Reymond. während ich das einsam arbeitende Schiff auf den Wellen steigen und sinken sah. Wie viele fehlen seitdem schon von den einst so wohlbekannten Charakterköpfen und nun wandelt auch er bereits unter den Schatten.

4. September. Nach grauen Tagen, in denen wir nach Norden getrieben wurden, endlich besseres Wetter und günstiger Wind. Hätten wir ihn eher gehabt, so wären wir jetzt in Falmouth, wenn nicht schon zu Haus. Jetzt, so nah am Ziel, packt einen Unruhe und Ungeduld, mehr als auf der ganzen Reise. Das Meer phosphoreszierte in dicken Klumpen und leuchtenden Kämmen; es war fast graulich anzusehen. Heute früh war Jan so artig, mir in einer alten Zinndose eine Qualle zu überreichen, die übergespült war.

Während des Südwindes war alles feucht, jedes Stück Wäsche; die Stiefel beschlugen; die Handtücher trockneten nicht mehr, alles Papier faßte sich lappig an.

5. September. Kam ein Vogel geflogen, war groß und grau und ich traute meinen Augen nicht, aber es war und blieb eine Schnepfe. Das arme Tier zitterte, seine langen Beine knickten vor Erschöpfung, und es sah uns mit verängstigten Augen an – trotz meiner Bitten erschoß ihn Jürgen; ich begriff nicht, wie er das Herz haben konnte, mußte ihm aber schließlich Recht geben, denn da er nicht leben bleiben konnte, war es so am besten. Irland ist das nächste Land; über 300 Meilen mußte er wenigstens in gerader Richtung geflogen sein. Nachher kam Eberhard und brachte mir die zwei äußersten Flügelfederchen, als die feinsten Pinsel, die es gäbe; wenn man bei ihnen zu Hause eine Waldschnepfe schösse, würden immer diese zwei Federchen für seine malende Tante zurückgelegt. Uebrigens muß ich gestehen, daß mir die Schnepfe zu Mittag sehr mundete. Jürgen warf mir vor, wenn ein gestopfter Puter an Bord flöge, würde ich auch verlangen, daß er leben bliebe.

8. September. Englands Küste winkt herüber; wir eilen mit steifem Wind auf Kap Lizard zu. Prächtige lange Wellen rauschen schäumend auf, Vögel fliegen vor uns her, Schiffe, gleich uns homeward bound, kommen in Sicht. Jürgen kam die Nacht über nicht zum Schlaf, immer wieder wurde er gerufen oder die Unruhe trieb ihn auf; die Leute sind augenscheinlich erregt, jedem steht sein Stückchen Heimat vor der Seele. Es wird fieberhaft alles Messing geputzt und noch geseift und geölt.

Und Poseidon war uns gnädig und Aeolus günstig und jagte uns mit Sturmeseile durch Kanal und Nordsee bis an die niedrige Küste der Weser, an all den bekannten Seezeichen vorbei, bis die Dächer von Nordenham und die Turmspitze von Bremerhaven vor uns auftauchten.

Doktor und Weserlotse kommen an Bord. Es geht in den Hafen. Da steht der Hafenmeister mit der roten Mütze und winkt, von allen Seiten sieht man Freunde und Bekannte herbeieilen. Jetzt rasselt der Anker in die Tiefe, – das Schiff ist am Platz.


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