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Erste Fahrt.
Geestemünde – Cardiff.

1. Oktober – 9. November.

 

Denn nichts hält der Phäaken Geschlecht auf Köcher und Bogen
Aber Mast und Ruder und gleich hinschwebende Schiffe
Lieben sie, freudigen Muts grauschimmerndes Meer zu durchsegeln.

Homer.

 

Der »Regulus« ist wieder nach Rangoon bestimmt und soll zunächst in England Kohlen laden. Bis dorthin ist mir gestattet, die Reise mitzumachen. Sie nimmt mit dem Segelschiff durchschnittlich etwa zehn Tage in Anspruch, indessen zählt der Aufenthalt daselbst doch auch noch mit und schiebt die unvermeidliche Trennung immerhin um einige Wochen hinaus.

So umfriedigt pflegt eine Dame aufzuwachsen, daß sie das wirkliche Leben, Handel und Wandel meist nur aus Büchern oder von Hörensagen kennt, und nun darf ich zum erstenmal mit eigenen Augen etwas von der Poesie des Welthandels erblicken, ein wenig, sozusagen hinter die Kulissen gucken und einiges von dem Räderwerk seiner vielen Zwischenstufen ineinander greifen sehen.

Da ist zuerst der ungeahnte Umfang der Zurüstungen vor der Abfahrt, mit den immer steigenden Anforderungen der letzten Tage. Vieles muß naturgemäß bis zuletzt bleiben, und was vergessen oder versäumt ist, läßt sich nicht nachholen. Es ist ein »Treiben« in jedem Sinn, denn tritt der gute Wind ein, so soll er unverzüglich benutzt werden, und Handwerker und Lieferanten haben es ihrerseits bei weitem so eilig nicht.

Zunächst hat das Schiff Ballast, Sand und Steine, einzunehmen. Der arme Ballastlieferant tut mir leid, so sitzt ihm der Kapitän auf dem Nacken, auch versteckt er sich offenbar, wenn einer der heilig versprochenen Kähne zu lange ausbleibt und läßt sich weder zu Hause finden, noch an einem der Orte sehen, »wo man ein paar andere trifft«. Dagegen habe ich die Freude eines längeren Besuchs, während der Kapitän, die Papiere in der bekannten Messingkapsel, in Bremen die Konnossemente zeichnet.

Natürlich biete ich dem geplagten alten Herrn die ortsübliche Höflichkeit einer Zigarre, indem ich die Hoffnung ausspreche, eine gute Sorte ergriffen zu haben, worauf er mir anvertraut, die Zigarre wäre ihm in seinen geschäftlichen Beziehungen ein unschätzbarer Fingerzeig. Auf ein schlechtes Kraut hin gäbe er sich keine Mühe, da wäre doch nichts zu holen, »aber wer mir eine gute gibt, der hält auf mir, da ist etwas zu machen, da lasse ich nicht locker«.

So verstreicht die Zeit, ohne Rast, ohne Ruh. Die Mannschaft kommt an Bord; es scheint solch ein kleines Häufchen, wie sie so in ihren Sonntagskleidern mittschiffs zusammenstehen; in weißer Mütze und Schürze, mit pechschwarzem Bart, hebt sich der Koch von den übrigen ab; der Segelmacher, ein kleiner Kerl mit scharfem Vogelgesicht, der schon mit dem Schiff gefahren hat, begrüßt den Kapitän in breitem Danziger Platt und klagt, daß er nach zweijähriger Abwesenheit kaum einen Monat bei seiner Familie hätte sein können. Auf meine Frage nach seinen Kindern, erzählt er von drei Töchtern, zwölf, acht und fünf Jahre alt, »je nach meinen Reisen«; die Kleinste besonders ist eine »dralle Marjell, ganz vierkant«. Nun werden die letzten Rechnungen eingetrieben unter der Drohung, sie unbeglichen zu lassen, das letzte Fleisch und Gemüse kommt, der Bäcker schickt die Waggonladung Brot, das in eisernen, mit Sprit ausgesprengten Tanks verstaut wird, vom Shipchandler wird die letzte Sendung gebracht, darunter zwei »Politikusse«, – Löffel, – ein »Muck«, – Kelle, eine Rattenfalle, die alles Dagewesene in diesem Gebiete übertreffen soll, nur – muß immer eine Ratte darin sein, »so stark ist der Geselligkeitstrieb dieser Tiere«! – endlich hat der liebenswürdige Prokurist noch eine Flasche Eierpunsch hinzugefügt, mit seinen Empfehlungen »für die Frau Kapitän, gegen die Seekrankheit«.

Ist das nun alles? – Himmel, die Wäsche! Man läßt der Wäscherin sagen, sie müsse sie, lebend oder tot, noch heute liefern – sie bringt sie, zum Glück lebend, und seinerseits erscheint pünktlich Herr Ehrlich selbst mit den beiden Chronometern, die er sorgsam in ihre gefütterten Kästen stellt.

Zu allerletzt fehlte noch die Katze, die der Stauer zu besorgen übernommen hatte. Eine Katze an Bord ist nicht allein auf's innigste zu wünschen, sondern auch Vorschrift, – auch diese wird noch in einem Sacke angebracht und eingeschlossen, damit sie nicht wieder entschlüpft, und nun endlich, am Abend, findet der gehetzte Kapitän die nötige Muße, sich an die letzten Rechnungsabschlüsse und Briefe zu setzen. Auf Nachtruhe ist ohnehin nicht zu rechnen, denn von Zeit zu Zeit muß doch nach dem Wetter gesehen werden, auch glaubt man kaum eingeschlafen zu sein, als die erregte Stimme des Steuermanns zur Kammer hinein meldet, daß der Lotse an Bord ist und der Dampfer, der das Schiff aus dem Hafen bringen soll, eben längsseit kommt. Es ist noch stockdunkel, nur das elektrische Licht der Hafenlaterne fällt durch die kleinen Scheiben. Bald hört man das Taktsingen der Matrosen, die die Leinen einholen, die Pfeife des kleinen Dampfers, die laute Stimme des kommandierenden Lotsen, das Auf- und Ablaufen und antwortende: »Ay! ay!« der Leute; man passiert die Schleuse, man ist unterwegs. O welche Wohltat, nun ruhig im warmen Bett zu bleiben! Welches Glück, nicht, wie voriges Mal, allein und verlassen hinaus zu müssen in den kalten dunklen Morgen, es nicht ansehen zu müssen, wie das stattliche Schiff unaufhaltsam davonzieht und gleich einem Phantom im Herbstnebel verschwimmt! Die Qual solcher Augenblicke brennt sich einem unauslöschlich in die Seele. – »Ob ich noch einen letzten Blick auf Bremerhaven werfen wolle?« fragt Jürgen. Das will ich denn doch nicht versäumen, springe auf und sehe durch die Luke. Da liegt es im ersten Tagesgrauen mit seinen Türmen und Masten und noch mit all seinen nächtlichen Feuern. Der Hafenlotse hat schon dem Weserlotsen Platz gemacht, ein kleiner untersetzter Mann, dessen trüber Ausdruck und Wortkargheit gar nicht in das rote joviale Gesicht zu passen scheint. Jürgen erfährt denn auch bald, was ihn drückt. In Abwesenheit seines Schwiegersohnes, der auch Kapitän ist, wohnt die Tochter mit drei kleinen Kindern wieder bei ihnen, den Eltern. Zwei von den Kinderchen waren eben an Diphtherie gestorben, und er fürchtete, auch das Kleinste nicht mehr am Leben zu finden. Wie oft habe ich an diese Leute zurückgedacht und gehofft, daß ihnen dieses Kind erhalten geblieben sein möchte.

Langsam verliert man das niedrige Weserufer aus den Augen, Baken und Bojen bezeichnen den Weg, bis der starke kurze Wellenschlag des Meeres einsetzt und von weitem der Lotsenkutter auftaucht, von dem man das Boot, das den Lotsen holen soll, abstoßen und wie eine Nußschale auf den Wellen tanzen sieht. In Eile werden die letzten Grüße in die Heimat geschlossen, die der Lotse in die Brusttasche schiebt. Der Kapitän gibt einen Befehl. »Nicht doch, Kapitän, es geht ganz gut!« – »O, bitte, das macht ja gar nichts!« – Ich begreife nicht, worauf sich diese Artigkeiten beziehen und sehe dann mit Ueberraschung zum ersten Mal, wie das Schiff durch Umstellen der Segel zum Stillstand gebracht wird. Der Lotse schwingt sich über die Brüstung, steigt die Schiffsleiter hinunter und läßt sich in das eben steigende Boot gleiten, sein Oelsack wird ihm nachgelassen, noch ein Hüteschwenken und die letzte Verbindung mit dem Lande ist gelöst.

Bis Mittag ging alles gut; ich aß mit Appetit, mußte dann aber dem Neptun einen Tribut darbringen. Seitdem legte ich mich nach jeder Mahlzeit eine Weile hin und habe keine Unbequemlichkeit wieder gespürt. Wirklich krank bin ich nicht gewesen, und weiß nichts von dem so oft beschriebenen jämmerlichen Zustand, in dem Mütter etwas vom Tisch fallen hören und apathisch fragen: »War das Fritzchen?!« – So zogen wir guten Muts mit frischer Brise unsere Straße, doch mit des Geschickes Mächten ist bekanntlich kein Bund zu flechten, geschweige denn mit dem Winde, der auch bald nach West umsprang und uns die Einfahrt in den Kanal hartnäckig verweigerte.

Am 8. Oktober hatten wir Bremerhaven verlassen und am 18. sind wir nach beständigem Auf- und Abkreuzen nochmals auf der Breite von Newcastle. Je länger wir so umhergetrieben werden, je ängstlicher wird die Fahrt, denn dem Kanal zu sammeln sich in weitem Umkreis Fahrzeuge aller Art und immer wieder kommen wir über die Gründe, auf denen Hunderte von Fischerbooten, denen man ausweichen muß, vor ihren Netzen liegen. Nachts sieht man manchmal von allen Seiten ihre warnenden Lichter. Solch ein Netz ist ein Kapital, und es muß eine schwere, lange Arbeit sein, es auszulegen. Wie groß diese Netze sind, sieht man an den unglaublich weit abliegenden Bojen, die ihre Richtung und Endpunkte bezeichnen.

Es hat mich oft ergriffen, mitten in der erregten See solch ein einsames Boot mit niedergelegtem Mast wie einen Kork auf den wogenden Wassern steigen und dann wieder so tief sinken zu sehen, daß es manchmal schien, als gingen die Wellen darüber hin. So breit und ungefüge und doch so seetüchtig dabei, müssen, denke ich, die Fahrzeuge gewesen sein, in denen vor Alters Normannen und Skandinavier eben diese See befuhren; wie manches uralte Gewaffen und goldene Schmuckstück mag hier noch auf dem Meeresgrunde liegen.

Niemand geh' zur blauen
Ran mit leerer Hand«,

sagt Frithjof.

Einmal wurde mir Besuch gemeldet; eine Menge Sperlinge waren an Bord geflogen, blieben aber nicht lange. Ich fand einen toten Finken und sah einen ganz zerzausten Star ankommen. Jürgen hielt ihm den Schnabel in den Trinknapf des Hundes und setzte ihn in die Lotsenkammer, wo er übernachtete und auch einige Schwaben und Fliegen fing; später sah ich ihn plötzlich die Flügel breiten und im Südwest davon fliegen. Im vorigen Jahre war ihnen eine Schnepfe zugeflogen, erzählte Jürgen, die ganz zahm wurde und ihnen die Schaben aus der Hand fraß, während die Schnepfe doch sonst ein scheuer Vogel ist. Sie hatten sie wochenlang, bis sie eines Tages durch einen Raubvogel geholt wurde.

Wir bekamen nun sehr schweres Wetter, und da wir uns in der Nähe des Kanals befanden, machte Jürgen Kehrt und ging wieder in die Nordsee hinauf. Gegen Abend wurde der Sturm sehr heftig. Stundenlang lag ich auf der Bank, nach beiden Seiten angestemmt, dann, da ich doch nicht aufsitzen konnte, ging ich zu Bett, mußte mich aber an den Pfosten klammern, um nicht aus der Koje geschleudert zu werden. An Schlaf war nicht zu denken bei dem Lärm und Gerassel rings umher. In der Badestube schien eine wildgewordene Scheuerfrau zu hausen, so schrapte der Rest des abgelassenen Bades in der Wanne, alle Bürsten und Bretter sekundierten; was in der Lotsenkammer stieß und flog, ahnte man nicht, denn alles übertäubte das Knattern und Kleingewehrfeuer in der Pantry, wo Steingut, Blechzeug, Flaschen, alles, mit einem Wort, was nicht niet- und nagelfest war, aufeinander prasselte; man konnte nicht treten, so schwamm es darin. Der ärgste Höllenbreughel aber war in unserer Kammer. Vier Pulsschläge zählte ich zwischen jeder Schwankung, das macht bei meinem phlegmatischen Blut zwanzig in der Minute. Ebenso oft rasselte das große Emaille-Waschbecken wie eine Pauke unter dem Sofa hin und her, rollte der Zinneimer mit klapperndem Deckel auf und nieder; der Kasten unter dem Bett war locker und enthielt Flaschen. Bei jeder Senkung »entrollte mit Donnergepolter der tückische Marmor«, um vier Sekunden darauf mit gleicher Wucht zurückzuschurren. Gegen Morgen kam Jürgen und legte sich, um gleich bei der Hand zu sein, unausgekleidet nieder; nach einer Stunde etwa wacht er auf. »Dauert der Radau schon lange?« – »Ja«, sagte ich, froh der endlichen Abhilfe, »schon die ganze Nacht.« – »Oh!« sagt er erstaunt, dreht sich um und – schläft weiter.

Nach jedem Guß, nach jeder Pause hoffte man, der Wind würde herumgehen, aber umsonst.

21. Oktober. Der arme Hund ist tot; es war ein häßliches junges Tier mit langen Beinen und dicken Füßen, das von Gehorchen keine Ahnung hatte, immer hinter uns herlief und beharrlich dachte, wir wollten mit ihm spielen. Vor einigen Tagen bekam er Blutdurchfall und als eine Dosis Opium, die ihm der Steward in den Hals schob – »da hast du was Feines!« –, nicht half, so war er am nächsten Morgen verschwunden. Trotzdem hatten wir Konzert. Die Leute hatten schwere Arbeit gehabt und Jürgen ließ ihnen Branntwein geben, den sie sonst nicht bekommen. Statt zu schlafen, machten sie nun Musik; Harmonika, Triangel, Trompete und eine selbstkonstruierte Pauke vollführten einen wahren Jahrmarktslärm.

23. Oktober. Heute sind wir vierzehn Tage in See und noch läßt sich kein Ende absehen. Für mich persönlich wäre das ja ein besonderer Glücksfall, indessen muß ich doch etwas Sympathie für Jürgen aufbringen, der mehr und mehr die Hoffnung auf eine schnelle glatte Reise schwinden sieht, und immer bedrückt auch mich die Vorstellung, mit wie banger Sorge das Ausbleiben des Schiffes und das böse Wetter im Kanal die Unseren daheim erfüllen muß.

Eben ziehen die Matrosen unter »A – ho! – hä – hä! – hoho – ho! – äh – i!« die Segel wieder auf. Seit ich das bei so schwerem Wetter ganz nahe hörte, habe ich immer dabei den Eindruck der Anstrengung, die den Ruf manchmal in heiseren Aufschrei verwandelt; wenn aber das Großmarssegel aufgezogen wird und der Segelmacher vorsingt, so schrecklich falsch und mit unerschütterlichem Ernst, daß die Jungen sich kaum vor Lachen halten können, ist es unwiderstehlich komisch. »Sah ein Knab' ein Röslein stehn« und den »Jungfernkranz« hätte ich freilich so nicht zu hören erwartet.

Der »Jungfernkranz« soll übrigens bei der Marine eine besondere Bedeutung haben. Macht sich einer der Leute den andern unleidlich oder läßt sich allerhand zu Schulden kommen, das sich zur offiziellen Anzeige nicht eignet, kleine Diebereien u. dergl., so wird die Gelegenheit wahrgenommen, wo kein Vorgesetzter in der Nähe ist, ein Kreis um den Delinquenten geschlossen und ihm unter kräftiger Absingung von »Wir winden dir« das Zugedachte verabfolgt. Die Offiziere, die von weitem hören, daß sich irgendwo der Jungfernkranz abspielt, bleiben dem Tatort weislich fern. Mit Rührung hörte ich auch einmal beim Drehen des Gangspills das wohlbekannte:

»O jerum! jerum! jerum!
O quae mutatio rerum.«

Als ich aber näher kam, lauteten die Worte etwas anders:

»Ich bin wie der verlo–o–or'ne Sohn,
Mein Geld hab ich verju–u–ubelt schon.
Ade! ade! ade! schrumm! schrumm!
Ich glaub, ich hab's Delirium!«

Besonders die letzte Zeile, langsam, mit Nachdruck, im tiefsten Baß gesungen, ist von überraschender Wirkung.

Das Barometer ging heute auf, bereute aber gleich wieder die gute Regung und fiel.

Es sammeln sich auf's neue eine Menge Schiffe; ein großes zeigt seine Flagge, die »Elisabeth« aus Bremen. Es ging so nah hinter uns vorbei, daß wir einen Hund bellen hörten; der Kapitän winkte mit der Mütze und wir grüßten wieder.

Ein Dampfer kam uns entgegen und war schon ganz nah, als der Steuermann gerade noch zur Zeit bemerkte, daß er drei Bälle heißte, und den Anker fallen ließ, also plötzlich manövrierunfähig geworden war; er mußte die Welle gebrochen, ein Fischernetz sich in seine Schraube verwickelt oder sonst einen Unfall gehabt haben.

Heute Nacht wurden wir geweckt, der Wind ginge nach Ost; sobald aber ein Segel mehr beigesetzt war, glitt er schleunigst wieder zurück. Ebenso ging es Nachmittag; kaum war das Großsegel auf, als es anfing, so zu wehen, daß von beiden Seiten ein blaugrünes Wehr vorbrach und der Schaum bis zu den Rahen aufflog. Der »Regulus« galoppierte förmlich. Jetzt hat es sich etwas beruhigt, aber auf wie lange?

Vorhin kam ein kleiner Star, der sich ganz erschöpft in eine Ecke duckte und sich nicht einmal rührte, als Jürgen über ihn fortschritt; ich ging gar nicht in seine Nähe, um das arme Tier nicht zu beunruhigen, die kleine schwarze Katze aber schlich auf ihn zu, er flog nicht auf und einen Augenblick später rollte sein Köpfchen über das Deck.

Was nun das Essen anbelangt, diesen Hauptfaktor menschlichen Wohlbefindens, so macht der Koch seine Sache recht gut und wir haben Abwechselung genug mit Hilfe von Konserven, Cakes, kondensierter Milch usw. Morgens um halb acht ist erstes Frühstück mit Schinken und Weißbrot, das der Koch zweimal wöchentlich vortrefflich bäckt. Später halten die Herren Leib und Seele durch ein Glas Grog zusammen, ich bekomme zu diesem Zweck Rotwein mit heißem Wasser und Zucker. Um zwölf Uhr, nachdem die Höhe genommen ist, Mittagbrot, wie auf allen Schiffen, mit Ausnahme der feinen Passagierdampfer. Beiläufig bemerkt, sind die Seeleute die einzigen, die wirklich nach der Sonne um zwölf Uhr Mittag machen, während die übrige Menschheit sich mit der konventionellen Uhrzeit begnügen muß, geschweige denn der Reisende zu Lande, der sich bei der jetzigen Einheitszeit im Westen des Vaterlandes volle dreiviertel Stunden zu früh an die Tafel setzt, an unserer Ostgrenze dagegen sich um ebensoviel länger zu gedulden hat.

Um halb acht gibt es warmes Abendbrot mit Tee, den man im Henkelbecher, »Kroß«, bekommt.

Bei Tische geht es behaglich zu; in den beiden Steuerleuten haben wir liebenswürdige Gefährten, eine große Annehmlichkeit, wo so wenige Menschen ganz auf einander angewiesen sind. Wie überall Studien- und Dienstzeit, so ist auch hier die Schifferschule und das Jahr auf der Marine ein nie versiegender Gesprächsstoff, und das Examen spielt seine Rolle, wobei hauptsächlich die alten Kapitäne herhalten müssen, die hinzugezogen werden, um der praktischen Seite Rechnung zu tragen.

Da kommt denn manchmal Ergötzliches zu Tage; so fragte einer dieser alten Seehelden den Prüfling: »Wat makst du toerst, wenn du an Bord kommst?« Er wünschte zu hören, daß der Steuermann sich vor allem über die Beschaffenheit der Pumpen unterrichten müsse, bekam aber auf seine »praktische Frage« die unerwartet praktische Antwort: »Wenn ik noch Geld hew, sett ik min Kist in die Kamer und gah wedder an Land.«

Hierher gehört auch eine der vielen Geschichten, die der bekannte Navigationslehrer Breusing in Bremen zu erzählen pflegte. Er hatte die Anschaffung einiger Instrumente zur Erläuterung der Lokalattraktion beantragt und der Senat befragte einen alten Kapitän als Sachverständigen um seine Ansicht. Mit Würde erklärte der alte Herr: »Ich habe vierzig Jahre die See bedient, aber von Lokalattrakschon habe ich mein Lebtag nie nichts gehört!«

Ein anderes Mal sprachen wir über den Dichter und Maler Fitger, von dem die Fresken in der Bremer Börse herrühren. »Besonders schön«, sagte der erste Steuermann, Herr Pauly, »wäre das eine der Bilder: »Neptun, ein Schiff einbringend.« Das Schiff läge sehr natürlich über den einen Bug, das Großmarssegel wäre schon herunter und man sähe, wie sie eben im Begriff wären, die Fock aufzugeien – eine nautische Würdigung, mit der der Maler wohl zufrieden sein würde und die mich an Onkel Bräsigs berühmte Kritik des Pferdes auf dem Denkmal des alten Fritzen erinnerte.

Immer wieder überrascht mich die Menge der englischen Bezeichnungen und Kommandos. Jürgen meint, es seien viele davon nicht eigentlich englisch, vielmehr stammten sie wohl noch aus den Zeiten, wo die Umwohner der Nordsee eine Sprache hatten und wenn man jetzt zu energisch verdeutschte, liefe man Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten und als fremd auszumerzen, was unserem ureigensten Boden entsprossen sei. Ein Beispiel solch einer falschen Verdeutschung ist die Bezeichnung »Pferde«, die die Marine für »Perde« angenommen hat. Perde oder Perten sind Taue, die schlaff unter den Rahen hinlaufen, um bei den Arbeiten an der Rah als Stützpunkt zu dienen. Das Wort ist niedersächsisch, kommt von petten oder perren, treten, hat also mit Pferden nichts zu tun.

In allem, was die Schiffahrt betrifft, kann man mit Aenderungen gewiß nicht langsam genug vorgehen, denn nirgends kann eine solche verhängnisvoller werden, schiene sie auch noch so verständig oder geringfügig.

So z. B. bedeutete eine Zeitlang auf der Marine das Kommando: »Steuerbord« und »Backbord« das Gegenteil von denselben Befehlen auf der Handelsflotte. Diese Unzuträglichkeit ist nun durch »links« und »rechts« auszugleichen gesucht und dadurch noch ein drittes geschaffen. Die meisten und vorzüglichsten unserer Seeleute aber kommen von unsern Küstenstrichen, wo seit Jahrhunderten der Vater den Sohn von klein auf mit ins Boot nimmt, wie ich selbst einen kaum dreijährigen Schelm auf offener See in einem Fischerfahrzeug sitzen sah, in einem kleinen, aber sichtlich auf Zuwachs berechneten Oelanzug, den Südwester auf dem Flachskopf und die väterliche Tabakspfeife im Munde. So wächst der Junge in Seemannsart und -brauch hinein, ohne zu wissen, wie. Da das Boot mit der Pinne regiert wird, so hat er in der Tat nach steuerbord zu drehen, wenn er nach links will und umgekehrt, und daß es so sein müsse, geht ihm in Fleisch und Blut über. Nun kommt er auf die Marine und mit Not und Mühe wird ihm dort das Gegenteil beigebracht; kehrt er dann auf ein Kauffahrteischiff zurück, so fährt ihn wieder Kapitän oder Steuermann an und verbittet sich die neue Mode.

Für gewöhnlich kommt es nicht sehr darauf an, aber nun nehme man einen Augenblick der Gefahr, wo alles von schneller und sicherer Ausführung des Kommandos abhängt; so entgingen wir einmal nur durch fast mit dem Kommando gleichzeitige Drehung des Rades dem Unglück, ein großes Fischerfahrzeug zu übersegeln, – eine Sekunde des Zögerns, und es wäre verloren gewesen.

Die erste seefahrende Nation der Welt ist nicht umsonst die konservativste.

23. Oktober. Heute früh kam uns ein holländisches Fischerboot ganz nahe. Im Rahmen des Fensterchens sah es genau aus wie ein »Bild auf der Ausstellung«, mit seinen goldbraunen Segeln im Strahl der Morgensonne, der blau und roten Wäsche, die lustig im Winde flatterte, den charakteristischen Gestalten und wetterharten Zügen der Leute, zwischen denen, etwas erhöht, der Schiffer stand und lachenden Gesichts zwei große silberglänzende Fische in die Höhe hielt.

24. Oktober. Herrlich windstiller Tag mit blauester See; eine ganze Flottille von Fischerbooten mit weißen und braunen Segeln; ich zähle hundertsechsundzwanzig auf einmal; dazwischen größere Schiffe und ein Viermaster, der aussieht, wie der »Peter Rickmers«, der mit uns im Dock lag und vor uns hinausging. Der Steuermann glaubt, einen hellen Fleck vor dem Bug zu erkennen, der wohl die weiße Figur des Herrn Peter sein könnte.

Abends milde Luft mit Wasserverneinung, wie Goethe sagen würde; die Segel waren alle auf, um zu trocknen, das Meer grau-blau-lila, glatt wie ein Spiegel und der mächtige »Peter Rickmers«, der auch all sein Zeug lüftete, schwamm gegen den dämmernden Himmel wie ein weißes Abendwölkchen.

Sonntag, 25. Oktober. Nordostwind! Der »Regulus« peitscht durch die milchig-grüne Flut, daß der Schaum fliegt; es ist fast zu viel des Guten für die beängstigende Gegend, der wir zueilen. Nach Tisch hatten wir uns eben etwas hingelegt, als der Steuermann das Feuerschiff meldete; ich kam gerade noch zur Zeit, um das rote Schiff mit der weißen Aufschrift »Outer Gabbard« an uns vorbeifliegen zu sehen. Bald darauf hörten wir die Heultonne, die beim Schwanken greuliche Töne ausstößt. Nun das zweite Feuerschiff »Galloper«, das seinen Namen mit Recht trug, dann brach die Dunkelheit herein und es begann der aufregendste Teil der Reise, die Einfahrt in den Kanal.

Jürgen und beide Steuerleute blieben an Deck, ich stand im Windschutz gegen die Kajütstür gestemmt, der Steward war ebenfalls oben, auch den Leuten merkte man die Spannung an. Zu beiden Seiten kochte die See, im Schaum trieben phosphoreszierende Flocken. Sobald der Mann auf dem Ausguck an die Glocke schlug, um ein Feuer oder Fahrzeug zu melden, einmal für rechts, zweimal für links, dreimal für vorauf, wandte man sich nach der betreffenden Seite und der Nachtgucker ging von Hand zu Hand. Da tauchten nun, eins nach dem anderen, die farbigen Lichter und verschiedenen Blinkfeuer auf, da kamen uns Dampfer entgegen, überholten wir Schiffe. Eine helle Stelle – das war eine ferne Stadt, zwei große, hochgelegene elektrische Lichter, die Forelandfeuer, – dann Dover, eine helle Linie, die sich durch das Glas in Reihen glänzender Punkte auflöste, aufsteigende Straßen, der höher liegende Platz vor dem Schloß deutlich in punktiertem Umriß.

Auf der französischen Seite erschien das große Feuer von Calais, das stundenlang in Sicht blieb, das weiß und rote Blinkfeuer von Griznez, dann wieder rechts die Lichtreihen von Folkestone, wo eben Hunderte von Menschen warm und behaglich um ihren Tee- oder Mittagstisch saßen, – nun das rote Licht der Varne, der gefürchteten Sandbank und endlich das große Licht mit dem kleinen Funkenfeuer von Dungeness, wo Jürgen als Steuermann vor Jahren mit der »Estafette« auf Grund kam und die Mannschaft erst am Morgen, nach einer schlimmen Nacht auf dem zertrümmerten, halb überfluteten Schiffe, gerettet werden konnte.

Als wir auch dort glücklich vorüber waren, atmeten wir auf und ich ging zur Koje.

27. Oktober. Atlantischer Ozean. Jürgen kam erst gegen acht Uhr zu Bett und ich blieb mit Kopfschmerz liegen, raffte mich aber nach Tische auf, um die englische Küste anzusehen. Wir waren gegenüber Start Point, einem felsigen Vorgebirge, darüber bewaldete und bebaute Hügelwellen, etwas im Nebel leider, doch nah genug, um die Wege zwischen den Feldern zu unterscheiden. Ein schönes Vollschiff glitt unter all seinen Segeln vorüber, eine Menge Fischerboote machten das Fahren ängstlich, sahen aber wunderhübsch aus. »Es ist noch gar nicht lange her«, sagt Jürgen, »seit die Schiffe alle rechts eine grüne, links eine rote Laterne führen müssen.« Es ist dies auch eines der vielen Eier des Kolumbus, denn auf diese Weise sieht man auf den ersten Blick, ob der Herr Nachbar kommt oder geht und vor allen Dingen, wie er zu vermeiden ist.

»Green to green and red to red,
perfect safety, go ahead!« Rot zu rot und grün zu grün, ruhig kannst du weiter ziehn!

Wie einen leichten Strich sah man noch den Leuchtturm von Eddystone durch den Nebel, auch den Stumpf des abgetragenen und den Höhenzug dahinter. Während ich dann mein Kopfweh verschlief, jagten wir mit tüchtigem Nordost außen um die Scilly-Inseln, traurigen Andenkens, da Jürgen es nicht geraten fand, zwischen ihnen und dem Festlande durchzugehen, nachts und bei so hartem Wind.

So sind wir also in sechsunddreißig Stunden mitten aus der Nordsee durch den Kanal gestürmt, nun aber verkehrt sich der gute Wind, der uns so wacker vorwärts gebracht hat, in sein Gegenteil und versperrt uns wieder die Einfahrt in den Kanal von Bristol. Jürgen und der Steuermann jammern um die Wette, daß ihnen der schöne Ost so ungenützt über den Köpfen fortweht, den sie nachher zum Hinausgehen so nötig brauchen. Leider zeigt mir der Ozean ebenso wie die Nordsee ein unfreundliches Gesicht; der »Regulus« stampft und schlingert, Schiffe sind nicht mehr zu sehen, und die Sonne kam nicht heraus. Ein paar Möven leisten uns Gesellschaft und einige schwarze Vögel mit spitzen Schwänzen; wir füttern sie mit Speck und sie kommen ganz nahe.

Mit unserer Wäsche geht es auch bald zu Ende, dann wird der Steward waschen müssen. Zuerst gedachte ich allerhand selbst zu tun, aber das verbietet sich schnell, wenn man sich kaum auf den Füßen halten kann, und ich mußte mich bald damit vertraut machen, auch in unserer Kammer ein männliches Faktotum hantieren zu sehen. Die Geschicklichkeit, mit der er beim ärgsten Schaukeln aufträgt und einem im gegebenen Augenblick den Kroß in die Hand schiebt, bewundere ich immer aufs neue.

Manchmal ist es geradezu eine Kunst, auf dem schrägen Deck zu gehen, doch gewöhnt man sich an das Schwanken. Ich bin öfter trotz Regen und Wind den größten Teil des Tages oben gewesen und habe erst bei den Mahlzeiten an dem Schurren der Schüsseln und Teller bemerkt, wie stark es wehte.

Es geht uns hier nun ebenso, wie in der Nordsee – nachts fahren wir nach Nord, tags nach Süd, bis wir abends wieder die Feuer von Bishop Rock in Sicht haben. Dann wird der »Regulus« auf den anderen Bug gelegt und es geht wieder zurück. Dieses Wenden macht mir immer Spaß; Jürgen steht dann selbst am Ruder, und jeder seiner kurzen Befehle schmettert über das Deck wie das Aufbrüllen eines Löwen und wird von allen Seiten wiederholt bis vorn zum letzten fernen Echo. Jeder springt auf seinen Posten und auf das Kommando: »Hal see –! geht von allen Seiten unter Taktsingen das Loswerfen der Schoten und Ziehen der Taue an, die schweren Rahen schwingen herum und langsam sieht man das große Schiff sich wenden und eine mächtige Kurve um sich selbst beschreiben. Ich muß dann das Rad eine Weile halten und habe die größte Lust, es anders zu drehen und zu sehen, was der »Regulus« dann tun würde?!

30. Oktober. Heller schöner Tag; zum ersten Mal geht die Sonne klar unter mit lebhaftem Farbenspiel, nachts der erste Sternenhimmel, seit wir unterwegs sind, doch weht es steif, und obwohl Schiffe vorübersegeln, kein Dampfer, der uns reporten könnte.

Wenn Ihr nur in einem Zauberspiegel sehen könntet, wie ruhig und behaglich wir hier leben, im Sonnenschein lustwandeln und jeder etwas anderes »brummend vor sich singet!« Ich für mein Teil könnte mir nichts besseres wünschen, aber solch ein Verschollensein ist nachgerade kein Vergnügen.

Einen Spaß hatten wir übrigens heute mittag oder vielmehr ein Unglück; es gab Graupensuppe mit Rosinen, der Jürgen mit etwas Rotwein aufzuhelfen pflegt. Heute nun vergriff er sich in der Flasche, und ehe er sichs versah, hatte er einen gehörigen Schuß Kognak in die Suppe gegossen. Ich bekam einen anderen Teller aus der Kombüse, die Herren aber löffelten unentwegt ihre Kognaksuppe, und der an Worten karge Steuermann erklärte auf die Frage, wie er es fände, lakonisch: »besser«.

Solch ein beständiger Ost soll eine Seltenheit sein, und ich bekomme zu hören, wie weiland Ladice vom König Amasis: »Weib, du hast Zauberkünste gegen uns gebraucht und verdienst des schmählichsten Todes zu sterben« – auch wird mir freundlich angedeutet, wenn der Wind nicht bald herumginge, würde man den Walfisch bestellen.

1. November. Unser dritter Sonntag in See. Die frischen Kartoffeln sind zu Ende, ebenso der Pumpernickel. Jürgen erinnert sich, daß er statt des üblichen Konfekts einige »Klaben«, in Hamburg »Klöben«, bei uns in Sachsen »Stolle« genannt, bestellt habe; sie werden gefunden und sind vortrefflich, noch nicht »Osterstolle«.

2. November. Der Tag ist grau, aber der Untergrund der Luft mild; ich habe mein wärmstes Zeug an und von Frieren ist keine Rede. Viele Möven, aber sonst nichts zu sehen, bis gegen abend ein fernes Segel. Jürgen fragt den kleinen Schiffsjungen Ferdinand, wie ihm die Seefahrt gefiele? »O, ganz gut,« sagt er, »aber natürlich, zu Anfang ist es immer ein bißchen häßlich.«

Montag, wie Sonntag.

Dienstag, wie Montag.

Mittwoch, wie Dienstag.

Donnerstag, wie Mittwoch. Immer Sonnenschein und harter Wind. Wir sind wie gebannt, gleich dem Gespensterschiff in Hauffs Märchen, das nachts mit vollen Segeln fliegt und alle Morgen auf derselben Stelle ist. Jürgen schoß einen kleinen Raubvogel an und brachte ihn mir herunter in die Kajüte, wo er mit wilden, scheuen Augen um sich sah. Da ihn der Schuß nur gestreift hatte, ließ ihn Jürgen wieder fliegen.

Der Steuermann hat zweimal nachts Delphine gesehen, leider bekam ich keinen zu Gesicht.

5. November. Wir ließen zur Abwechselung die zwei Schweinchen mittschiffs umherlaufen; eins ist so klein und so munter wie das andere, und wäre nicht das eine gefleckt und das andere rosa, so erinnerten sie an die zwei bekannten Neger, die sich so erstaunlich glichen, »besonders aber Pompejus«.

Drei kleine Schwalben machen Station bei uns und ein Rotkehlchen flog zu, doch wissen wir nicht, wo es geblieben ist. Ein Dampfer geht vorüber; Jürgen läßt die Flaggen aufziehen, allein der Dampfer ist hochmütig oder faul und antwortet nicht. Morgen sind wir vier Wochen unterwegs und der Wind bläst aus Ost, wie angenagelt.

7. November. Wind flauer, aber so unbeständig, daß immerfort gewendet wird und die Brise die Richtung ändert, ehe das Schiff herumkommt. Der Himmel ist grau, die See bleifarben, außer ein paar Vögeln nichts zu sehen; plötzlich ein schweres Aufklatschen, Jürgen ruft: »Walfisch!« und ich sehe eben noch etwas Großes, Schwarzes unter aufwirbelndem Wasser verschwinden. Nach einer guten Weile kommt er in ziemlicher Entfernung wieder herauf und man sieht seinen schwarzen Rücken und breiten Schwanz, ehe er aufs neue taucht. Er mochte vierzig bis fünfzig Fuß lang sein. Abends ruft mich Jürgen eiligst herauf, die Walfische schnaufen zu hören. Man konnte die Hand nicht vor den Augen sehen, aber man hörte ganz nahe die Bewegungen der Kolosse und das Tuten, mit dem sie den Atem wieder einziehen. Wie vermißte ich Professor L. d. Z., der gewiß gleich ein Magnesiumlicht aus der Tasche gezogen und den nächsten Walfisch angeleuchtet hätte, wie in Wagners Trilogie der elektrische Strahl den »Wanderer«.

8. November. Der Wind ist herum! Jürgen ließ Gläser bringen, holte einen Pfefferkuchen und teilte ihn in vier Teile, und wir stießen mit den Steuerleuten auf den guten Wind an.

Vier Dampfer auf einmal, der eine kam nah genug, um ihm unsere Flaggen zu zeigen. Nicht lange, so zog er ebenfalls Signale auf; als Jürgen nachschlug, hieß es: »Wir haben Ihr Signal nicht verstanden, obwohl wir Ihre Flaggen erkannt haben«. Voll Verdruß ließ Jürgen seine Flaggen wieder einholen. Bald darauf kam ein kleiner Dampfer, »Royal Briton«, gerade auf uns zu. Er hatte nur vier oder fünf Mann Besatzung, von Kohlenstaub schwarz wie die Neger, auch der Kapitän, der an Bord kam und anbot, den »Regulus« zu schleppen, was bei dem unbeständigen Wetter sehr erwünscht sein mußte. Jürgen bot ihm etwas Branntwein an. »O no!« sagte der Mann mit Würde, »I never touch liquor!« »Ich rühre niemals geistige Getränke an.« Dann, als Jürgen ihm zuredete, »well, to do you a favour!« »Nun, Ihnen zu Gefallen!« und goß selbst ein Wasserglas voll Branntwein bis an den Rand. Er verlangte achtzehn Pfund, Jürgen bot ihm zehn (zweihundert Mark). »Da verdiene ich nichts,« sagte der Schiffer. Das wisse er wohl, sagte Jürgen, aber es wäre entweder – oder. Zu meiner Ueberraschung nahm der Mann das Angebot nun ohne weiteres Parlamentieren an. Ich erfuhr nachher, daß der Dampfer, der das Schiff einholt, es auch wieder aus dem Hafen schleppt und so doch noch sein Schäfchen ins Trockene bringt.

Die Mannschaft hatte der Verhandlung mit Spannung zugesehen; als nun Jürgen die Stahltrosse bereit machen hieß, wurde der Befehl mit lautem Jubel wiederholt und nach einer Stunde dampfte der kleine Schlepper mit uns entlang. Auf dem »Regulus« werden die Segel festgemacht und es geht auf Cardiff zu mit sieben Meilen die Stunde.

Sie freuen sich alle, nur für mich ist es der Anfang vom Ende! –


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