Auguste Rodin
Die Kunst
Auguste Rodin

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Vorwort

Die Anhöhe über dem Dörfchen Val Fleury, das zu Meudon gehört, wird von einer Gruppe malerischer Gebäude gekrönt.

Man ahnt, daß sie einem Künstler gehören, denn sie entzücken das Auge. Es ist der Wohnsitz Auguste Rodins. Ein Gartenhaus im Stile Louis-treize aus roten Backsteinen und Quadern mit hohem Giebeldach dient ihm als Wohnung.

Daneben erhebt sich ein geräumiger Rundbau, den man durch eine Säulenhalle betritt. Diese Halle 10 beherbergte im Jahre 1900 die Sonderausstellung der Werke Rodins neben dem Pont de l'Alma. Da sie ihm gefiel, ließ er sie hier wieder aufbauen, und jetzt dient sie ihm als Atelier.

Etwas weiter, dicht am Rande der Böschung, die den Hügel abgrenzt, erblickt man ein Schloß aus dem achtzehnten Jahrhundert oder vielmehr nur eine Fassade, ein schönes Portal mit dreieckigem Giebel und einem schmiedeeisernen Gitter.

Alle diese Gebäude heben sich von einem idyllischen Garten ab.

Die Lage ist sicher eine der schönsten in der Umgebung von Paris. Die Natur hat den Ort ungemein lieblich gestaltet, und der Bildhauer, der sich hier niedergelassen, war seit mehr als zwanzig Jahren unentwegt bemüht, ihm alle Verschönerungen angedeihen zu lassen, die sein Geschmack erfand.

* * *

Vor einem Jahre, am Abend eines leuchtenden Maientags, vertraute ich Auguste Rodin, als ich mit ihm unter den schattigen Bäumen seines anmutigen Hügels spazieren ging, meinen Wunsch an, nach seinem Diktat seine Betrachtungen über die Kunst niederzuschreiben. Er lächelte: 11

 

Sie sind ein Original! Sie interessieren sich also noch für Kunst. Das ist eine Beschäftigung, die heute kaum zeitgemäß ist.

Heute machen die Künstler und ihre Freunde den Eindruck fossiler Tiere. Stellen Sie sich ein durch die Straßen von Paris wanderndes Megatherium oder einen Diplodocus vor. So ungefähr müssen wir auf unsere Zeitgenossen wirken.

Unsere Epoche gehört den Ingenieuren, den Großkaufleuten und Fabrikbesitzern, aber nicht den Künstlern.

Das moderne Leben richtet sich ganz und gar auf den Nutzen: man bemüht sich, das Dasein in materieller Hinsicht zu bessern, die Wissenschaft hat täglich Erfindungen auf dem Gebiet der Nahrungspflege, der Kleidung oder der Verkehrsmittel zu verzeichnen, sie wirft billige und schlechte Erzeugnisse auf den Markt, die der großen Menge nichts als verfälschte Genüsse bieten; allerdings verdanken wir ihr auch wirkliche Vervollkommnungen, die alle unsere Bedürfnisse zu befriedigen imstande sind.

Nach Geist, Gedanken, Träumen fragt man nicht mehr. Die Kunst ist tot.

Kunst ist Vergeistigung. Sie bedeutet die höchste Freude des Geistes, der die Natur durchdringt und in ihr den gleichen Geist ahnt, von dem auch sie 12 beseelt ist. Sie ist ein Genuß für den Verstand, der mit offenen Augen ins Universum schaut und es dadurch von neuem erschafft, daß er es mit Bewußtsein erleuchtet. Die Kunst ist die erhabenste Aufgabe des Menschen, weil sie eine Übung für das Denken ist, das die Welt zu verstehen und sie verständlich zu machen sucht.

Heute glauben die Menschen die Kunst entbehren zu können. Sie wollen nicht mehr nachsinnen, betrachten und ihre Phantasie anregen: sie wollen nur noch physischen Genuß. Die erhabenen und tiefen Wahrheiten sind ihnen gleichgültig; es genügt ihnen, ihre leiblichen Gelüste zu befriedigen. Die Menschheit ist tierisch und roh geworden; sie weiß mit den Künstlern nichts anzufangen.

Der Denker von A. Rodin.

Kunst ist ferner Geschmack. Alle Dinge, die ein Künstler bildet, müssen vom Reflex seines Gefühls getroffen werden. Das Lächeln der menschlichen Seele muß Haus und Hausgerät verraten. Der Reiz geistiger Arbeit und gefühlvoller Anteilnahme muß mit allem, was den Menschen dient, untrennbar verbunden sein. Aber wieviele Zeitgenossen empfinden die Notwendigkeit, ihr Haus und ihre Wohnung geschmackvoll zu gestalten? Einst, im alten Frankreich, gab es überall Kunst. Die bescheidensten Leute, selbst 15 die Bauern, gebrauchten nur Dinge, deren Anblick erfreute. Stühle, Tische, Kochtöpfe und Bratspieße waren hübsch. Jetzt ist die Kunst aus dem täglichen Leben vertrieben. Was nützlich ist, sagt man, braucht nicht schön zu sein. Alles ist häßlich; man verfertigt es in Eile und plump mit öden, fühllosen Maschinen. Die Künstler sind die Feinde!

Mein lieber Gsell, Sie wollen die Träumereien eines Künstlers aufzeichnen? Lassen Sie sich anschauen: Sie sind wahrhaftig ein seltener Mensch!

 

Ich weiß wohl, erwiderte ich, daß die Kunst die geringste Sorge unserer Zeit ist. Aber ich wünsche von ganzem Herzen, daß dieses Buch eine Verwahrung gegen die Ideen von heute sein möge. Ich wünsche, daß Ihre Stimme unsere Zeitgenossen erwecken und sie begreifen lehren möge, welch ein Verbrechen sie auf sich luden, als sie sich das beste Teil unseres nationalen Erbes entgehen ließen: die glühende Liebe für Schönheit und Kunst.

 

Die Götter hören Sie! antwortete Rodin. 16

* * *

Wir gelangten zur Rotunde, die ihm als Atelier dient. Unter dem Säulengang haben verschiedene Antiken ein Obdach gefunden. Gegenüber einer kleinen halbverschleierten Vestalin steht ein ernster in die Toga gehüllter Redner, und nicht weit davon reitet ein Amor tyrannisch ein Seeungetüm. Inmitten dieser Gestalten erheben sich zwei entzückend graziöse korinthische Säulen aus rosigem Marmor. Alle diese kostbaren Trümmer verraten die Verehrung meines Gastfreundes für Griechenland und Rom.

Auf dem Rande eines tiefen Wasserbeckens ruhen schlaftrunken zwei schöne Schwäne. Als wir vorüber gehen, heben sie ihren langen Hals in die Höhe und lassen ein zorniges Fauchen vernehmen. Ihr unfreundliches Wesen veranlaßte mich zu der Bemerkung, daß diese Vögel doch gar keinen Verstand besitzen.

 

– Sie besitzen eine Intelligenz der Linien, das ist doch genug, versetzte lachend Rodin.

 

Unter dem schattigen Laubdach sieht man mehrere kleine zylindrische Marmoraltäre, die mit Ochsenschädeln und Laubgewinden geschmückt sind. In einer Laube, die das Astwerk eines Sophora bildet, opfert 17 ein junger Mithra ohne Kopf einen geweihten Stier. An einem runden Platz schläft ein Eros auf einem Löwenfell: der Schlaf hat den bezwungen, der die wilden Tiere zwingt.

 

Erscheint nicht auch Ihnen, sprach Rodin, das grüne Laub als der geeignetste Rahmen für antike Skulpturen? Könnte man z. B. diesen kleinen schlummernden Eros nicht für den wahren Gott dieses Gartens halten? Seine runden und vollen Formen sind gleichsam die Geschwister dieses lichten und üppigen Blattwerks. Die griechischen Künstler hatten eine so 18 große Liebe zur Natur, daß ihre Werke sich darin wie in ihrem ureigenen Elemente baden.

 

Man beachte den feinen Unterschied: Gewöhnlich stellt man Statuen in einen Garten, um ihn zu verschönern. Rodin tut es, um die Statuen zu verschönern. Für ihn bleibt die Natur stets die unumschränkte Herrin und die höchste Vollendung.

Eine griechische Amphora aus rotem Ton, die wahrscheinlich Jahrhunderte lang auf dem Meeresgrunde gelegen hat, denn sie ist mit einer Menge reizender korallenartiger Gebilde inkrustiert, ruht an einen Buchsbaumrand gelehnt am Boden. Sie scheint dort achtlos vergessen worden zu sein, und doch könnte sie sich dem Auge kaum reizvoller darbieten, denn das Natürliche ist das Geschmackvollste.

Etwas weiter erblickt man den schönen Torso einer Venus. Ihre Brüste sind unter einem auf dem Rücken geknoteten Tuch verborgen. Unwillkürlich denkt man an einen Tartüff, der aus Schamgefühl solche ihm zu aufregend erscheinenden Reize verdecken zu müssen geglaubt hat:

»Auf solchem Anblick lastet Gottes Fluch!
Das könnte sündige Gedanken wecken.
«
                          (Deutsch von L. Fulda.) 19

Mein Gastfreund jedoch hat, wie ich versichern kann, nichts gemein mit dem Schützling Orgons. Er belehrte mich über den Beweggrund, der ihn bei dieser Verhüllung geleitet hat:

 

Ich habe den Busen der Statue deshalb bedeckt, weil gerade dieser Teil weniger schön ist als alles übrige.

 

Nun ließ er mich durch eine Tür, deren Riegel er bei Seite schob, auf die Terrasse treten, wo er die Fassade aus dem achtzehnten Jahrhundert errichtet hat, von der ich bereits sprach.

In der Nähe wirkt diese vornehme Architektur imposant: man sieht einen majestätischen Portikus, zu dem acht Stufen hinaufführen; im säulengetragenen Giebel befinden sich Skulpturen: eine Themis mit Amoretten.

 

Unlängst noch, sagte Rodin, stand dieses schöne Schloß auf einem sanft abfallenden Hügel im benachbarten Issy. Ich konnte es oft bewundern, wenn ich zufällig vorüberging. Da wurde es eines Tages von Terrainspekulanten gekauft und abgebrochen.

 

Bei diesen Worten blitzte es zornig in seinen Augen auf.

 

Sie können sich nicht vorstellen, fuhr er fort, welch 20 ein Abscheu mich beim Begehen dieses Verbrechens ergriff. Solch ein herrliches Bauwerk niederzureißen! Das wirkte auf mich, als ob diese Übeltäter vor meinen Augen eine schöne Jungfrau qualvoll hingemordet hätten.

Eine schöne Jungfrau! Rodin betonte diese Worte mit einer tiefen Frömmigkeit. Ich fühlte, daß der weiße und kräftige Körper des jungen Weibes für ihn das Meisterwerk der Schöpfung, das Wunder aller Wunder ist. Er fuhr fort:

Ich bat diese Tempelschänder, die Teile nicht mehr zu zerstückeln, sondern sie mir zu verkaufen. Sie gingen darauf ein. Ich ließ alle Steine hierher bringen und so gut als möglich wieder zusammenfügen. Leider habe ich, wie Sie sehen, nur eine Mauer aufrichten können.

 

In seinem Bestreben, sich ungesäumt einen unmittelbaren künstlerischen Genuß zu verschaffen, hat Rodin auf ein Verfolgen der gewöhnlichen und logischen Methode, die alle Teile eines Bauwerkes gleichzeitig fördert, verzichtet. Er hat bis jetzt nur eine Seite seines Schlosses wieder hergestellt, und wenn man einen Blick durch das Gitter des Eingangs wirft, sieht man nur festgestampfte Erde und darauf mit 21 Steinen bezeichnete Grundrisse, die den Plan des wieder zu errichtenden Bauwerks angeben. Es ist nur ein Schloß für die Augen . . . . das Schloß eines Künstlers!

– Diese alten Architekten, murmelte Rodin vor sich hin, waren in der Tat stolze Menschen! . . . . Besonders, wenn man sie mit ihren unwürdigen Nachfolgern von heute vergleicht!

Bei diesen Worten zog er mich an einen Punkt der Terrasse, wo ihm das Profil der Steinfassade die schönste Wirkung zu haben schien.

Wie harmonisch diese Silhouette den silberglänzenden Himmel durchschneidet, sagte er, und wie kühn sie das reizende Tal beherrscht, das sich dort unter uns hinzieht.

Er war ganz in Entzücken versunken. Wie ein Verliebter streifte er mit einem innigen Blick den Bau und die Landschaft.

Von dem hohen Punkte, wo wir standen, konnten unsere Blicke einen unermeßlichen Raum umspannen: In der Ebene zieht die Seine, worin lange Reihen hoher Pappeln sich spiegeln, als ein silbernes Band in einem großen Bogen durch das Land und verliert sich bei der schwerfälligen Brücke von Sèvres . . . . Von fern grüßt der weiße Kirchturm von Saint-Cloud, 22 an einen grünen Hügel gelehnt, herüber; dann tauchen die bläulichen Höhen von Suresnes auf, und ganz in der Ferne verschwimmt der Mont Valérien in einem zarten Nebel.

Zur Rechten dehnt sich Paris aus, das ungeheure Paris, bis zum äußersten Horizont mit seinen unzähligen Häusern, die bei der Entfernung so klein erscheinen, daß man glaubt, sie in der hohlen Hand halten zu können: Paris! von hier aus eine ungeheure und erhabene Vision, ein kolossaler Tiegel, worin Vergnügungen, Lüste, Schmerzen, wirksame Kräfte und ein fieberhaftes Jagen nach dem Ideal unaufhörlich bunt durcheinander brodeln.

Eva von Rodin.

 


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