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Das Ideal

Montaldo liebte es, den September in Paris zu verbringen, weil die Stadt dann etwas entvölkert ist. Als reicher, beschäftigungsloser Misanthrop, der er war, konnte er einer Dilettantenlaune von ganz besonderer Art zu dieser Jahreszeit am besten fröhnen. Es war dies das Flanieren, das er als eine Kunst betrieb, und zwar als eine sehr feine Kunst, wie er meinte, eine verwickelte und schwierige Kunst, die ihre Wonnen, Schrecken und unverhofften Funde hatte. Es hat seinen eigenen Reiz, die Vorübergehenden zu erraten, diesem Meer, diesem Wald von Passanten, die allein das wirkliche Meer, den wirklichen Wald ersetzen können und einem das Leben in den großen Städten überhaupt erträglich machen, sein Geheimnis abzulauschen. Es bereitete ihm also Vergnügen, auf seinen Spaziergängen die Gesichter zu mustern, in das Wasser der Augen hinabzutauchen und die Seelen zu erforschen. Es gibt so viele innere Dramen und Daseinsmysterien, so viele Gedanken, die nie Form annehmen werden und in die man sich heimlich mit der Dämmerung einschleicht, denn das Ende des Tages ist diesen kleinen geistigen Entdeckungen ebenso günstig, wie das Ende des Sommers.

Es bedarf tatsächlich einer gewissen Ebbe im Straßenverkehr, einer Ordnung im Wirrwar, einer Dosis Schweigen, damit man das Unverhoffte unter all den Eindrücken und Begegnungen überhaupt herauserkennt. Und darum pflegte Montaldo seine Spaziergänge stets zur Abendstunde zu machen, jetzt, in dieser Septemberzeit, wo ganz Paris auf dem Lande ist und die Stadt ihm doppelt lieb war. Er streifte durch die Avenuen, an den Quais entlang, über die Champs-Elysées, die jetzt nicht so sehr von Wagengerassel dröhnten und von den Ammen mit ihren schreienden Bandschleifen etwas weniger unsicher gemacht wurden. Ringsum edel gerundete Baumkronen, herbstlich gesprenkelte Blumenbeete und einzelne große Bäume, die sich bunt zu färben begannen. Und ziemliche Ruhe: wenig Kinder, ein paar Greise auf den Bänken, träumerische Frauengestalten, die wie Witwen aussahen, kurz alles, was sich nach diesen Inseln der Natur rettet, die hier und da aus dem Häusermeer auftauchen und wunde Seelen, denen der Lärm wehe tut, gastlich einladen.

Montaldo streifte planlos herum.

Plötzlich erblickte er vor sich eine Frau, die ihm vielleicht nicht aufgefallen wäre, wenn nicht etwas an ihr seine Aufmerksamkeit jählings auf sich gelenkt hätte. Aber ist es nicht immer eine Einzelheit, eine Schattierung, ein eigenes Merkmal, ein bestimmter Tonfall, kurzum, etwas Besonderes, dessentwegen einem eine Frau auffällt und sogar lieb wird? Diesmal war es das Haar dieser Unbekannten, das ihm ganz außerordentlich auffiel; es war rot, aber ein Rot ohnegleichen, das noch nie dagewesen und unwahrscheinlich wie ein Wunder, ein Rot, wie aus allen heroischen Farben gemischt, aus der Farbe des Löwenfells und des herbstlichen Rotbrauns der Wälder, aus brandigen Ähren, in die sich alle Glut der Sonne verwandelt hat, und dem Kupferrot der Schüssel, in der das Haupt des Täufers seit Jahrhunderten blutet ... Neben diesem Brandrot verblaßten die Haare auf den Bildern der alten Meister, die goldroten Flechten der Evas von van Eyck und der Venusse Tizians, die in ruhigen Fluten herabquellen. Und wieviel mehr noch die gewöhnlichen roten Haare der Passantinnen, die künstlich gefärbten!

Wie es sich um ihre Schläfen wand, so üppig und schwer, ein wildes Gesträhn, zum Schlangenknäuel geringelt!

Montaldo stand zunächst wie geblendet und bewunderte das Phänomen. Als seine Neugierde auf die Frau selbst überging, bemerkte er mit peinlicher Empfindung, daß sie höchst armselig gekleidet war. Das Haar war wie ein Feuerbrand! Und darunter ein klägliches Flickwerk von Kleidung, so traurig, wie ein namenloses Grab. Ihr dunkler Rock war verschlissen und ausgeblaßt. Er sprach vom Leiden der verschämten Armut, das am meisten schmerzt und am unheilbarsten ist, dieses Leiden, das mit der Nadel Stich für Stich kämpft, in den Einsätzen siegt und schadhafte Stellen mit Falten und Nähten verdeckt. Dazu klägliche, ausgetretene Schuhe, die im Gehen unter dem Rock klappten, aber nur bis an den Kleidsaum hervorsahen, als schämten sie sich, sich zu zeigen, und suchten sich stets wieder unter diese Glocke zu verkriechen. Das Trübseligste aber war der Hut über dem königlichen Haar, ein kleiner schwarzer Hut, mit verblichenen Rosen garniert, wie ein altes Nest, das ein empfindsamer Vogel in früheren Tagen mit Blumen geschmückt hat, und nun ist es lange verregnet.

Er mußte gleichwohl ins einzelne gehen und analysieren, um dies Elend definitiv festzustellen. Im ganzen genommen hatte sie durch sinnreiches Zusammenstoppeln und eine unermüdliche Geduld, die man wohl erriet, noch einen Schein von Würde und Anständigkeit gewahrt, zumal ein Hauch von Feinheit sie umschwebte und ihre traurige Kleidung verklärte. Übrigens trug sie sogar Handschuhe, die, wer weiß wie oft, mit Benzin gereinigt waren.

Montaldo empfand sofort das lebhafteste Interesse. Seine Streifereien hatten ihn heute einem edlen Wilde auf die Spur gebracht. Das Problem schien verwickelt. Er folgte ihr bereits, die Fäden verknüpfend und die Anzeichen vergleichend, um den Roman dieses Daseins zu rekonstruieren. Vielleicht war es ein unglückliches junges Mädchen, eine Waise, die den Schlägen des Geschickes Trotz bot und gegen unverhoffte Verelendung anrang. Er sah sie in ewiger Trauer und Keuschheit... Sie war noch jung, um die Mitte der Zwanziger, und von einem Reiz, den nicht nur ihr prachtvolles Haar und ihre Melancholie ausmachte. Sie besaß jenen einzigschönen Teint der Rothaarigen, der weniger an Haut als an das Mark des Schilfes gemahnt und an frischen Honig. Unter dieser zarten Haut schimmerten die Adern hindurch, ein blaues, verknotetes Netz. Sie blickte geradeaus, weit vor sich hin, über Raum und Leben fort, konnte man meinen.

So reizend sie war, mußte sie doch anständig geblieben sein, denn sie war ja arm! Welches Verdienst bei solcher Armut! Man erriet auch, daß sie Arbeit gesucht hatte, allerdings – und das war ihr natürliches Recht – in der Richtung ihrer Anlagen. Offenbar hatte sie nirgends Beschäftigung gefunden, wenigstens nicht soviel, um etwas besser zu leben und sich anders zu kleiden, als in die traurigen Überreste vergangener Jahre ...

Und jetzt streifte sie planlos und unbeschäftigt herum, in den blauen Septemberabend hinein, der in ihren großen Augen verlosch. Montaldo war unaufhörlich ihrer Spur gefolgt, wie magnetisch angezogen. Er empfand auch heute wieder die Angst und Unruhe des Jägers, der ein Wild verfolgt; auch er hatte es ja auf nichts weiter angelegt, als ein Leben zu erhaschen, ein Mysterium zu töten. Sie taten ihm leid, diese Schürzenritter, die ein weibliches Wesen, das ihnen gefällt, gleich bei der ersten Begegnung anreden. Er sprach nie eine an, er folgte ihr nur, damit sie sein Traum bliebe, seine vor ihm herwandelnde Sehnsucht.

Das Flanieren blieb für ihn also ein ungefährlicher Sport. Statt wie die anderen zu leben, begnügte er sich mit der stillen Freude, ihr Leben zu träumen. Er war ein Theoretiker... Das Rätsel zog ihn an. Er trieb Psychologie mit äußeren Anzeichen, wie wenn man mit ausgegrabenen Münzen Geschichte treiben würde.

Auch befleißigte er sich bei seinen platonischen Verfolgungen der größtmöglichen Zurückhaltung. Aber so wenig aufdringlich und dichtauf er auch war, die Rothaarige hatte ihn doch schnell bemerkt. Jede anständige Frau, die verfolgt wird, merkt dies auf der Stelle; es ist ein Gefühl der Kälte, wie wenn man plötzlich in den Schatten eines Turmes tritt. Sie war verwirrt und blickte drein wie ein guter Hund, dem man etwas tun will.

Doch Montaldo wußte nicht, daß er ihr lästig sein mußte. Gewohnt, sein Umherschlendern mit solchen kurzen Romanen, Nachforschungen und Monographien der Passanten zu würzen, blieb er auf ihrer Fährte, nur mit etwas größerem Abstand. Überdies geht man einer Frau, die man einmal verfolgt, ja bald mit mechanischer Beharrlichkeit nach, wie durch ein Fluidum, eine Art Hypnotismus angezogen. Man muß sich schon sehr zusammennehmen, auch wenn man keine galanten Absichten hat, um Halt zu machen, zu verzichten und einen anderen Weg einzuschlagen. Nachher ist es einem dann stets, als hätte man die Gelegenheit zu einem großen Glück nicht wahrgenommen ...

Montaldo folgte dieser seltsamen Frauengestalt lange nach. Sie war in die geräuschvollen Boulevards eingebogen und tauchte am Ende von Geschäftsstraßen für Augenblicke in der Ferne auf. Bald verlor sie sich in der Dunkelheit des hereinbrechenden Abends, tauchte dann plötzlich ganz deutlich im Lichtscheine der Läden auf, deren Gaslampen angezündet wurden; manchmal auch schien sie umzudrehen und ihm entgegenzukommen, aber es war nur ihr heller Widerschein in einer erleuchteten Spiegelscheibe...

Endlich bog sie in eine weniger belebte Straße ein. Montaldo beschleunigte seine Schritte, denn er fürchtete, sie in dem Gewirr dieser engen Gäßchen zu verlieren. Sie war indessen stehen geblieben und schien sehr verwundert, daß er ihr immer noch folgte. Sie wartete am Rande des Fahrdammes und machte einige Schritte auf und ab. Halt! Hatte er sich vielleicht getäuscht? Hatte sie ein Stelldichein in dieser Straße? Sie war also doch nicht tugendhaft? Es sah wirklich aus, als ob sie auf jemanden wartete. Dann war es wohl eine wirkliche Liebschaft ohne Selbstsucht, denn sie war ja so arm? Er lächelte skeptisch und war nahe daran, das Bild der keuschen, armen und stolzen Heldin, das er sich im tiefsten Herzen schon von ihr machte, flugs wegzulöschen. Er ärgerte sich über seine sentimentale Eselei. Der schlimmste Verdacht stieg in ihm auf. Er ging gleich ins Extrem und glaubte nur noch das Niedrigste und Schlechteste. Plötzlich schien sie einen Entschluß zu fassen; sie ging über die Straße und trat mit einer Miene, als wollte sie sich ins Wasser stürzen, in einen gegenüberliegenden Laden ein, auf dessen Scheiben in goldenen Lettern die Aufschrift »Haargeschäft« glänzte.

Montaldos Neugier wuchs von neuem. Der Fall, der so einfach schien, wurde kompliziert. Die Unbekannte war also nicht so arm, denn sie ging in einen Kaufladen. Was wollte sie kaufen? Vielleicht eine der Parfümflaschen, deren bunte Etiketten hinter der Scheibe prangten? Vielleicht um dem, auf den sie wartete, durch ein paar Tropfen Parfüm die Illusion des Wohlstandes zu geben? Die Liebe hat solche genialen und zarten Einfälle. Oder hatte sie vergessen, sich ein Kämmchen einzustecken? Jawohl, sie kaufte sich gerade eines, den unentbehrlichen Begleiter beim Stelldichein, um die dicken Haarflechten, wenn sie zerzaust sind, wieder zu glätten... Er zögerte noch in seiner Diagnose, als er sie schon herauskommen sah. Da sie ihn noch immer auf der Straße stehen und auf sich warten sah, warf sie ihm einen Blick zu, aber so voll Kummer, so verzweifelt und zugleich so flehend. Eine stumme Verständigung trat zwischen ihnen ein. Er begriff, daß sie eine neue Enttäuschung erlitten, eine Unglücksbotschaft mehr erhalten hätte und um eine große Hoffnung gebracht wäre, und daß es folglich unnütz, ja, grausam war, ihr weiter zu folgen. Er ließ sie also allein gehen und sah sie plötzlich wie zusammengesunken in einer der nächsten Straßen verschwinden. Sie wäre ihm jetzt noch armseliger erschienen, wenn ihr prachtvolles Haar nicht noch in der Ferne weitergeflammt hätte, wie ein Wappenschild auf einem Katafalk.

O Reiz aller Mysterien! Wer wird am Rande eines Geheimnisses stehen bleiben? Montaldo wollte um jeden Preis Bescheid wissen. Und da es ausgeschlossen war, sie zu verfolgen und sie in ihrem wortlosen Kummer anzusprechen, kam er auf den Gedanken, sich an den Friseur zu wenden, aus dessen Laden sie soeben gekommen war. Das Wie war nicht schwer: einen kleinen Toilettengegenstand zu kaufen und dann mit ein paar Worten auf sie überzugehen. Das Thema bot das Schaufenster selbst. Es strotzte förmlich von Haarfrisuren aller Art, die Schild und Spezialität des Ladens erklärten. Auf kleinen Zetteln von Goldpapier prangten pomphafte Aufschriften: »Zöpfe erster Qualität«; »falsche Haare in allen Farben«; »Frisuren«; »perfekte und unsichtbare Perücken«. Haare von allen Farben und Formen füllten die Glaskästen, Flechten, Zöpfe, Locken und offene Haare, die einen flachsig, hart und spröde, andere weich und lebendig, die wahren Mähnen, und schwere Perücken.

Er sagte dem Kaufmann ein paar Artigkeiten über die reiche Auswahl, lobte einen Zopf von besonders schöner Farbe, einem reinen, ungetrübten Blond.

»Die Dame, die eben herausging, hatte auch eine sehr schöne Haarfarbe,« fuhr er fort.

»Kennen Sie sie?« fragte der Kaufmann.

»Nein.«

»Ich auch nicht. Denken Sie sich, sie ist gerade gekommen, um mir ihr Haar zu verkaufen

Montaldo durchlief ein leichter Schauder. Ein Zipfel des Mysteriums war gelüftet. Eine Spur zeigte sich, und welche Spur? Am Rande der zunehmenden Finsternis ein fahler Schimmer! »Ihnen ihr Haar verkaufen«, wiederholte er, etwas bestürzt über die unverhoffte Antwort.

»Allerdings. Sie hat mich gebeten, es ihr abzunehmen. Ich handle mit Haaren, wie Sie sehen.« Damit wurde der Friseur gesprächig; er erzählte, daß er nicht selten auf diese Weise Haare kaufte, wenn sie fein und gut gepflegt wären. Er hätte seine Lieferanten, die aufs Land gingen, nach Savoyen und der Bretagne. Da machte man Jagd auf Haare. Für etwas bar Geld ließen sich die Frauen den Kopf kahl scheren. Man brauchte ihnen nicht einmal Geld zu bieten. Einer seiner Geschäftsfreunde wäre kürzlich mit allerhand Putz und Flitterstaat losgegangen und namentlich mit einer Ladung von Regenschirmen, die er im Ramsch gekauft hatte. Dafür hätte er die schönsten Haare bekommen. In manchem Dorf seien die Frauen nach seinem Aufbruch alle kahl gewesen, aber jede hatte einen neuen seidenen Regenschirm.

Der Händler sprach, gestikulierte und schwatzte fröhlich drauflos, nicht ohne einen starken, südlichen Akzent, wie eine Prise Knoblauch in den Speisen.

Montaldo war lebhaft interessiert. Er dachte an diese bizarre Ernte von Dorf zu Dorf. All diese armen kahlen und struppigen Schädel, wie Stoppelfelder! Er dachte an die Scheren mit ihrer Sichelkälte und wie man aus allen diesen abgemähten Haarschöpfen einen ganzen Getreideschober von Haaren hätte auftürmen können. Trotzdem vergaß er nicht den Hauptgrund seines Besuches: seine beharrliche Nachforschung nach der ihn plötzlich so fesselnden Unbekannten, die ihn hierher geführt hatte.

»Aber die Dame mit den unvergleichlichen roten Haaren, die eben Ihren Laden verließ?« fuhr er fort.

»Je nun, sie ist mittellos und hat daran gedacht, ihre Haare zu verkaufen. Der Fall ist nicht selten. Das gibt immer etwas bar Geld, wenn man stellenlos ist und auf der Straße sitzt. Es ist gewiß aller Ehren wert, daß sie auf dieses ehrbare Mittel verfallen ist, wo die anderen so leicht sind für eine Frau, namentlich, wenn sie nicht häßlich ist... Ihre Haare, wie Sie selbst sagen, sind unvergleichlich.«

»Also haben Sie sie ihr abgekauft«, fragte Montaldo, »und gut bezahlt?«

»Durchaus nicht. Gerade weil sie unvergleichlich sind, konnte ich sie nicht nehmen. Ich hätte ihr gern geholfen, der armen Person. Aber was soll ich? Ich halte im Haargeschäft nur gangbare Ware. Wären sie kastanienbraun, so konnte ich das Geschäft machen, auch bei blond und schwarz, selbst rot, aber ein gewöhnliches Rot, wie es häufig vorkommt. Für Haare von seltener Farbe habe ich gar keine Verwendung. Ich kann nur solche brauchen, die zu den Haaren meiner Kunden passen. Aber die von jener Dame sind unvergleichlich. Ich habe so etwas nie gesehen. Sie sind gewiß schön, aber eben zu schön. Halt, wollen Sie die ganze Wahrheit wissen? Sie sind nirgendwo anzubringen

Montaldo ging. Aber diese praktischen und richtigen Worte klangen ihm noch lange in den Ohren und immer noch sah er jene Erscheinung, die ihm nicht umsonst auf seinen Streifereien begegnet war. Er glaubte nicht an Zufall. Nichts ist von ungefähr. Die Passanten auf den Straßen streben einem Ziele zu, das sie nicht kennen... Und jedes Gesicht ist nur die menschliche Maske einer ewigen Wahrheit, die auf Erden wandelt. Montaldo hatte das Symbol begriffen, und er nannte die Unbekannte mit dem herrlichen Haar in seinem Herzen fortan mit dem wirklichen Namen des Schicksals, das sich ihrer bediente; er nannte sie die Originalität. Sie war es, die er hatte vorübergehen sehen, die er lange verfolgt hatte... Sie war es, die Muse der Genies, der Verkünder, der Gründer von Schulen, Gesellschaften und Religionen, die Muse aller Neuerer und Lichtbringer, kurz, aller, deren großes Glück auf Erden darin liegt, daß sie den anderen nicht gleichen.

Eine vertriebene, beschäftigungslose Muse, die ewig darbt, weil ihre edlen Gedanken, ganz wie die Farbe ihres einzigen roten Haares, eine zu seltene Schattierung haben und zu den gewöhnlichen Vorstellungen »nicht passen«, oder, wie der Kaufmann schließlich sagte, »nirgendwo anzubringen sind«...


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