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In der Kirche

Die alte Kirche träumt in tiefer Ruh.
Ringsum in Schwermut liegt die tote Stadt.
Man spürt's, wie wenn man Kranke um sich hat.
Und alles deckt des Turmes Schatten zu.

Bang ist der Schwalben Zwitschern und Geschwirr
Im Hof. Halbtrauerzwielicht füllt den Bau.
Nur durch die Scheiben blickt das stolze Blau;
Bleich ist und welk der Jungfrau Spitzenzier.

Alt, welk ist alles! Sieh, es stehn die runden
Steinsäulen kahl, wie Stämme, rings behaun.
Und wie wenn Nägelmale blutig taun,
So quillt ein ferner, kranker Duft von Wunden,

Der fad, entnervend, sinnlich ist zu nippen.
Ja, Krankenduft ist alles, was hier webt.
Nach Lilien duftet's, welkem Stroh der Krippen,
Und Weihrauch, der im Dämmerschein verschwebt.

Goldkannen dünsten Wein. Die Kerze schwelt.
Von Sünderhand entflammt am Gottestische.
's ist alles Duft, doch welk und ohne Frische,
Des Altars Tuch, die Myrtenkränz' entseelt.

Ihr Hauch auch weht, die schon entschlafen sind.
Die, modernd hier, vor Gottes Richtstuhl standen
Mit Reueträn' und Angstschweiß ihrer Schanden –
O Duft, der träg' sich durch die Zeiten spinnt! ...

Und immer weiter stets, wie stets zuvor! ...
Denn alt ist diese Stadt; es strotzt von Leichen
So Chor wie Schiff, bedeckt von ihren Zeichen;
Und mancher Sarg schon kam durch dieses Tor.

Ja, tot ist alles oder wird es hier!
Der Weihrauch stirbt im Nichts, das Heut' im Gestern.
Verblaßt der Brüder Bilder und der Schwestern;
Nur Heil'genschrein und Knochen winken dir ...

      Rings herrscht der Tod, doch auch die Ewigkeit.
Tritt ein denn, zagendes Gemüte.
      Der Pforte Teufelslarven grinsen breit;
Doch drinnen atmet lauter Güte,
            Und durch die schwarzen Scheiben bricht's herein
            Wie Mondenschein ...

      Ja, allem Leben wendest du dich ab,
      O Seele, trittst du ein in dieses Grab,
Aus Tagesglut in diese stille Nacht,
Wo nur im Grund der Kerzen Schimmer wacht.
            Wie Lippen, die im Traume sich bewegen ...
             Weihwasser netzt die heißen Finger kühl:
      Dies ist, was du ersehntest, dein Asyl,
Die sichre Arche in der Sünden Flut.
            Die Taube trägt den Ölzweig dir entgegen.
Des Geistes Taube, der auf allen ruht ...

      Kalt weht der Grabeshauch umher.
      Der Sünder, der du warst, stirbt mehr und mehr
            Der Welt und sich.
            Wie Lazarus dereinst verblich –
            Doch Jesus weint, und neu erhebst du dich.

      Mit neuer Seele stehst du wieder auf;
            Nichts ist im Paradies dir mehr verboten.
      Was liegt nun an der Welt und ihrem Lauf?
            Was liegt nun an der Stadt, der toten?
Und ob der Regen an die Scheiben schlägt.
Ob Nacht die Welt in Witwenschleier legt:
      Hier nachtet's nicht.

            Im tiefen Chor
      Blinkt die Monstranz in goldenem Licht.
            Des Weihrauchs Schattenvorhang wallt empor ...
Du wärest tot – nun bist du neu belebt.
      Zum Licht erkoren, dem erflehten.
Du fühlst von Schwestern dich umschwebt,
      Fühlst, daß Marie und Martha mit dir beten ..

      Knaben preisen nun im Chore
            Glockenrein das Sakrament.
       Himmelan von der Empore
            Steigt's wie steinern Ornament.

Unstofflich sind die Klänge,
Wie wenn ein Sprudel spränge.
      Ein frischer Quell der steigt und sinkt.
Wie wenn ein Lichtmeer funkelt.
Bald aufflammt, bald verdunkelt.
      Ein Taubenschwarm sich auf und nieder schwingt.

Man blickt durch das Gewimmel
Der Flügel in den Himmel
      Und wie durch einen Edelstein – – –
Die Orgel summt bedächtig
Und breitet Schweigen nächtig
      Wie schwarzen Sammet über alles drein.
            Hold zu träumen
            Ist's in diesen stillen Räumen,
      Und ein Ave löst sich aus der Brust,
            Wie aus einer Linnenlade
      Veilchenduft,
      Wallt empor mit Weihrauchswolkenduft.
            Still in Nacht und Schweigen zu zergehen;
      Düfte wehen
            Wie von Totenblumen fade ...
      Tat sich auf der alten Zeiten Gruft?
Kaum Geräusch im stillen Kreise.
      Holz und Stein
             Knistert fein.
      Und das Tote atmet leise.

      Und wie du träumst und betest, kaum bewußt,
            Der Schatten wächst so trüb und schwer.
      O säh' ich Gott, so betet deine Brust,
            O wüßt' ich, wüßt' ich, zweifelt' ich nicht mehr!
Schon ist das hohe Schiff verdunkelt!
      Die Pfeiler schwinden allgemach.
Und nur im letzten Fenster funkelt
      Im Ringen mit der Nacht der letzte Tag.

      Du selbst versinkst in Nacht
Und irrst, verirrst dich in das Land der Träume.
Ging nicht ein Zeichen durch die stillen Räume
      Des himmlischen Verzeihns, eh du's gedacht?
            Du bist der Zeitlichkeit enthoben;
            Du fliehst, du fliehst, du bist zerstoben.
      Du sinkst, du sinkst – bis auf des Meeres Grund.
      Stets tiefer, kälter stets. Kein Ufer faßt den Schlund –

      Ob lange Zeit verstrich?
      Der letzte Schein verblich.
            Blaugrau spinnt alles ein.
            Du wähnst, in umgeschlagnem Schiff zu sein ...

Die Orgel präludiert mit leisem Säuseln,
Wie wenn ein Bach aus Wolken niederquillt,
Der Flor emporwallt, wenn er sich gestillt
Im Wasser, dessen Spiegel kaum sich kräuseln.
      Farblose Flut, dem Tastenwerk entwrungen.
      Von unsichtbarer Hände Druck entsprungen ...
Sie rinnt, sie schaudert, zaudert, stockt im Lauf,
Stürzt weiter dann und schwillt zum Gießbach auf,
Zum breiten Flutschwall, daß dem Ohre graust,
Wie's durch die Säulen schwemmt, den Hof durchbraust.
Sich schäumend zwängt wie durch ein Schleusentor;
Die Orgelpfeifen stehn wie Riesenrohr.

Der Kinder Glockentöne schmelzen jach
Dahin im Schwalle, wie im Strom ein Bach.
Ein plötzlich Schweigen, Inseln, die ihn spalten;
Dann wieder strömt's, und keiner kann es halten.

Es wechselt Tag und Nacht und Kraft und Milde,
Doch Milde nur, wie sie die Kraft verschönt.
Es strebt empor wie steinernes Gebilde,
Dem Felsen gleich, der sich mit Blumen krönt.
O Stimme du der himmlischen Gefilde,
Kein Menschengeist dich mehr zu meistern wähnt!
      O Donnerlied, im tiefsten Schacht erklungen,
      O Element, von Felsenkraft bezwungen!

O Hauch, der kosend bald die Gräser strähnt,
Bald niedermäht, wie Sensenstahl den Schwaden,
O Bach, der sich zum Fluß, zum Strome dehnt
Und niederstürzt in donnernden Kaskaden!
O Element, das Menschenwitz verhöhnt,
Dem jede Stimme dient, sich zu entladen.
      Früh aufzujauchzen, still des Nachts zu weinen
      Und Erdenlied mit Engelsang zu einen!

Bald droht es rauh, bald lispelt's Engelsgüte,
Ist ungestüm und wie aus Kindermund;
Und hat der Wettersturm zerknickt die Blüte,
So spannt ein Bogen sich zum neuen Bund.
Bald jauchzend Herz, bald schluchzendes Gemüte,
Bald schwarz, ein Katafalk im Herzensgrund,
      Bald ist es hell wie frommes Kinderlallen,
      Unendlich wie der Himmel über allen.


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