Alexander Roda Roda
Der Schnaps, der Rauchtabak und die verfluchte Liebe
Alexander Roda Roda

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Silhouette.

Jüngst begegnete mir Oberst von Zinztorff in der Elektrischen.

»Hören S',« sagte er, »Sie müssen doch eigentlich so . . . Beziehungen mit die Kunstkreise haben. Können S' mir net einen guten, aber wirklich guten Silhouettenschneider verraten?«

Ich nannte ihm Böhmeke, zu erfragen im Café Zuchthaus.

Gestern traf ich den Obersten wieder.

»Na, hören Sie,« rief er aufgebracht, »was Sie mir da für an Menschen empfohlen haben! Ich hab das Bild gar nicht angenommen – der Kerl hat mich ja total schwarz gemacht.« 234

 

Der Kavalier.

Fräulein von Toronyi, die Tochter des Stadtkommandanten, ging in der Dämmerung auf dem Donaukai spazieren.

Plötzlich sprach ein dicker fremder Herr sie an.

Fräulein von Toronyi war beschämt, verlegen und wütend zugleich. Sie würdigte den Fremden keines Blickes.

Er aber wurde immer zudringlicher.

In diesem Augenblick kam ein Husarenleutnant des Wegs. Fräulein von Toronyi faßte Mut und bat ihn um ritterlichen Schutz.

Der Dicke verschwand sofort.

Der Husar war nicht mehr wegzubringen. 235

 

Verdeutschung.

Der Generalmajor a. D. von Ledermann ist der Redaktionsgeneral der Täglichen Nachrichten.

Unlängst schrieb er in einem Artikel über das Gefecht von Trautenau:

»An der Queue entwickelte sich eine Melée.«

Im Blatt stand:

»An der Quelle entwickelte sich eine Allee.«

Ledermann verlangte eine Richtigstellung des Druckfehlers.

»Entschuldigen Sie,« sagte der Chef, »das war kein Druckfehler. Ich habe die Änderung selbst veranlaßt – unser Publikum wünscht keine Fremdwörter.« 236

 

Die Geschichte.

So oft ich nach Wien komme, begegne ich ihm auf dem Kärntnerring dem alten Hauptmann. Nur heißt er jedesmal anders.

»Oh, grüß dich Gott,« ruft er, »wo steckst denn immer? Du mußt an wahnsinnigen Urlaub haben – i sieg dich scho a paar Wochen net in der Garnison.«

»Ich leb seit Jahren in Deutschland.«

»Was d' net sagst! Un von was lebst du? – Richtig, du stellst ja Artikeln für die Zeitungen zsamm, hör ich. – Ja. – Alsdann: früher hab ich, zum Beispiel, aa manchesmal so allerhand zsammgestellt – an Sprachunterricht für böhmische Rekruten – und so. Aber es zahlt si ja net aus. Ma hat mehr Unkösten davon, als was es aam einbringt. – – Richtig . . . du, sag amaal: rückst du net hie un da in die Witzblätter ein? Alsdann, waaßt, Freunderl, da waaß i dr a Gschicht, die m–u–ß–t unbedingt ins Witzblatt einrücken. Also so was komisches – – wann da d' Leut net lachen? . . . Alsdann: aamaal ham mir in der Menasch Speckknödeln, un die Ordonnanz, dös Viech, Walaschek haaßt er, der bringt dir a Schüssel Speckknödeln herein – no waaßt, so – faustdick. Auf aamal stolpert er, waaßt, un dö Knödeln, i lüg dr net, die fliegen dir – also so was komisches – die fliegen dir im ganzen Menaschlokal herum. Also – wann da d' Leut net lachen . . .? Die Gschicht m–u–ß–t un–be–dingt in a Witzblatt hineinschreiben.« 237

 

Die Beleuchtung.

Wir saßen im Restaurant Trocadero – Leutnant Melichar, Riesebein und ich.

Plötzlich sagte Riesebein:

»Was is denn mit der verdammten Beleuchtung? Man sieht ja die Hand vor den Augen nicht.«

»Zünd einfach die Kerze an«, schlug Melichar vor.

Da nahte auf samtnen Sohlen ein diskreter Kellner und lächelte:

»Pardon – die Kerzen dürfen nur von Herrschaften angezündet werden, die Sekt trinken.« 238

 

Der Sport.

Die Benzigerdragoner haben einen Obersten, ein fabelhaftes Untier. Wenn er einen Offizier im schlichten Gewand des Bürgers erwischt, gibts keine Gnade.

Eines Tages ließ sich der Oberst den armen Schoderer vorschleifen und höhnte ihn an:

»Herr Leutnant, Sie sind gestern im Hotel Bristol in Zivil gesehen worden. Wissen Sie nicht, daß das Anlegen von Zivilkleidern nur in Ausübung eines Sportes erlaubt ist?«

»Jawohl, Herr Oberst. Ich melde gehorsamst, ich habe einen Sport ausgeübt.«

»So?? Ah!! In Smoking –? Im Hotel Bristol –?«

»Jawohl, Herr Oberst, Ansichtskartensport«, sprach Schoderer warm und zuversichtlich. 239

 

Korporal Huhn.

Korporal Huhn war eine Schlafmütze. »Er hutscht sich am Gaul wie a Laus auf die Pajes«, pflegte Rittmeister Baron Härtel zu sagen und meinte mit den Pajes die Schläfenlocken des Kantineurs Leib Wolf Eitersack.

Wenn Jakob Huhn es beim Militär gleichwohl so weit gebracht hatte – bis zum Korporal – so verdankte ers ganz allein seiner schönen Handschrift. Ihr verdankte er überhaupt alles: die schonungsvolle Behandlung, die Kommandierung in die Brigadeschule, die Verwendung in der Kanzlei, das Ansehen bei hoch und nieder; und seine Hämorrhoiden. Auch die hatte er – statt, wie sichs für Kavalleristen schickt, auf der Reitschule – in der Kanzlei erworben.

Quälende, nichtswürdige Hämorrhoiden – als wäre Korporal Huhn ein Kaderkommandant. Manchmal kam er sich wie zugenäht vor. Das verdüsterte sein Gemüt und ließ in ihm niemals jene Lust am Kriegshandwerk aufkommen, die im Punkt 10 des Dienstreglements, erster Teil, dem Soldaten auch für mißliche Verhältnisse ausdrücklich vorgeschrieben ist. – Korporal Huhn war heimlich für Abrüstung.

»Jainkew Huhn,« pflegte Härtel jeden Morgen zu fragen, »woran denken Sie?«

Huhn schlug die kalbledernen Lider auf und sagte müd und lächelnd:

»Herr Rittmeister, ich bitt gehorsamst, Se wissen doch: an meiner Prifung.«

»An wos fir einer Prifung, Jainkew Huhn?« 240

»Herr Rittmeister, ich bitt gehorsamst, Se wissen doch: an der Geometerprifung. Ka Vatern hab ach nischt, ka Mutter hab ach nischt, hab ach doch aach kä Geschäft. Möcht ach wern Zivilgeometer.«

»Jainkew, wann wollen Se machen der Prifung?«

»Im März, Herr Rittmeister, mit Gottes Hilfe.«

»Na güt; lernen Se nur fleißig, Jainkew Huhn.«

Und er lernte. Tag und Nacht. Die Schreibarbeiten der Brigadeschule ließen ihm Zeit – die Zeit benützte er redlich.

Eines Morgens trug er, wie gewöhnlich, den Frührapport in den Stall – da pflegte ihn Härtel auf einer leeren Krippe zu unterschreiben. Und an diesem Morgen wars soweit.

»Herr Rittmeister, ich bitte gehorsamst um Urlaub, ach hab der Prifung am 18. März.« – Er zitterte und stammelte dabei, denn er wußte: der Urlaub wird kaum zu haben sein.

Und richtig sagte Härtel:

»Sie, mir scheint, Sie saan da oben net ganz richtig. Urlaub –? Wo i d' halbe Mannschaft im Bett liegen hab mit roter Ruhr?«

»Waaß ach doch, Herr Rittmeister, ich bitt gehorsamst. Aber as ach doch hab studiert äs ganze Jahr ün endlich hab ach gekriegt mit Mihe dem Termin? Hab ach mr gedocht, der Herr Rittmeister wern hoben ä Einsehn mit en armen Menschen ün wern mr doch doch ja geben dem Urlaub.«

»Tja . . . Hm . . . Gott, ja . . . Aber, Huhn, das müssen S' doch um Himmels willen begreifen: wann 241 die rote Ruhr in der Schul is, kann man do kan Menschen rauslassen? Ich dank! Wann Sie mir die Epidemie verschleppen –? Naa, naa, mein Freund – die Verantwortung nimm i net auf mich. I net.«

Huhn hob eines seiner Lider – nur eins – und das Auge darunter stand voll Wasser wie ein Aquarium.

»Herr Rittmeister, ich bitt gehorsamst, es handelt sach doch da um meiner Exestenz. Denn worüm? En andern Termin wern se mr doch nischt mehr geben, de Herren af Krakew.«

»Waas? Nach Krakau? Das auch noch? – Blank ausgeschlossen. Sie könnten mir ja die ganze Stadt anstecken.«

Härtel drehte sich auf dem Absatz um und klirrte davon.

Wenn er aber gemeint hatte, nun Ruhe zu haben, irrte er sich gründlich: Korporal Huhn wollte Urlaub haben – und wenn er ihn nicht laut zu fordern wagte, tat ers mit stummen, hündischen, klagenden Blicken.

Am dritten Tag wurde es Härtel zuviel. Er überlegte, ob er seinen Schreiber einsperren oder den Urlaub bewilligen sollte, und entschied sich für einen Mittelweg.

»Wissen S' was, Huhn,« sagte er, »ich wer Seine königliche Hoheit fragen.«

Seine königliche Hoheit, das war der Kommandant des 10. Ulanenregiments, die Brigadeschule war ihm unterstellt und er ausnahmsweise nicht in Monte.

Härtel trug also Huhns Bitte Seiner Hoheit vor und erinnerte den Prinzen auch gleich an den Einwand – das mit der Ruhr – denn Seine Hoheit pflegten 242 Kleinigkeiten des militärischen Lebens gern zu übersehen. Und Härtel wußte zu bewirken, daß Seine Hoheit nicht selbst entschieden (denn das hatte noch immer zu ungeahnten Verwickelungen geführt) – sondern bei der Brigade mußte der Prinz »unter warmer Befürwortung des Urlaubgesuches bittlich werden.« – Das alles tat Härtel. Nur um Huhns sterbenden Blick nicht länger genießen zu müssen.

»Jainkew, Sie wern zu Ihnerer Prifung fahren därfen. Schon weil i an Rappen in Krakau kauft hab. Den müssen S' mir auf m Rückweg mitbringen. Sie kriegen Ihnern Urlaub. Verlassen S' Ihnen drauf!«

Verlassen –. Du lieber Gott! Huhn kannte das. Der Herr Rittmeister hatte schon mehr als einmal Dinge versprochen, die er dann nicht halten konnte. Huhn, der Kanzleimensch, kannte die Götter, die das Schicksal lenken, und wußte ihre Macht nach Gebühr einzuschätzen.

Indessen lief das Dienststück »Bittet um Urlaub für den Korporal Huhn« bei der Brigade ein, und der Herr Generalmajor, rasend vor Zorn, weil er dem Prinzen ja nicht sagen konnte – wegen der Ruhr – und nein erst recht nicht – wegen der Hoheit – leitete die Geschichte an die Division. Damit entschwand die weitere Entwicklung den Blicken der Menschheit, so nicht auf den Höhen wohnet.

Nach acht Tagen – prinzliche Bitten reisen schnell – kam eine Korpskommandoverordnung:

»Eine Kommission, bestehend aus einem Stabsarzt bzw. Oberstabsarzt als Vorsitzenden und zwei 243 Regimentsärzten als Mitgliedern (sämtlich seitens der Division namhaft zu machen), hat allsogleich zusammenzutreten, die Exkremente des Bittstellers, Korporals Jakob Huhn, auf die Ungefährlichkeit derselben zu prüfen, und wird die Kommission nach dem Ergebnis des Augenscheins auf Abweisung oder Bewilligung des Urlaubgesuches zu beantragen haben.«

Die Kommission kam.

»Was nun, Herr Huhn?« fragte Härtel. »Haben Sie eine Bescherung vorrätig?«

Korporal Huhn verfärbte sich. – Jetzt? Gleich? – Nicht zu machen.

»Herr Rittmeister, ich bitt gehorsamst, könnt ach nischt in der Frih? Ich bins eso gewohnt.«

»Machen S' kaane Geschichten und kacken S',« rief der Stabsarzt. »Ham me heut noch was andres zu tun.«

Huhn setzte sich demütig auf die Schüssel und versuchte sein Glück. Energisch. Sehr energisch. – Es ging nicht.

»Wo mr alle zusehn, scho gor nischt«, winselte er.

»No, was soll me jetzt, meine Herren? Vertag me uns, kummt ihm Geburt, wann me nicht da sein – gilt nix. Oder der Jud is imstand und macht er Kindesunterschiebung.«

»Aber wir können doch nicht Wache stehn und warten, bis er geruht . . .?«

Also beschloß man, um sechs noch einmal zusammenzutreten.

»Huhn, daß Sie bis dahin jedenfalls warten!«

244 Huhn wartete. Die Kommission kam.

Nichts.

Der Herr Stabsarzt, die Mitglieder – alle waren aufs höchste empört.

Härtel fand die Blamage seiner Unterabteilung zwar groß, Huhns Benehmen aber immer noch verständlich. »Sie,« sagte er, »Sie haben behauptet, in der Früh gehts. Gut. Wir kommen in der Früh. Aber das sag ich Ihnen: Punkt sieben Uhr haben Sie geladen zu sein, das ist Dienst–be–fehl.«


Drei Stunden später lag Korporal Huhn auf seinem Kommißstrohsack und schwitzte. – Wie wärs, wenn er was einnähme – es gibt doch so viele Mittel? – Ja, dann kommt er in den Verdacht der Ruhr und kriegt seinen Urlaub erst recht nicht. – Und ohne nichts? Obs morgen gehen wird? – Kaum.

Er kannte seine Natur: wenn sie soll, mag sie justament nicht. Hingegen beim Karabinerschießen hatte er schon des öftern unerwartete, heftige Dränge verspürt.

Er wickelte sich in die Decke, so hart und rauh sie war, sann nach und schwitzte kalte Bäche.

Die Nacht verstrich zwischen Wachen und Träumen. Er sah sich bei der Prüfung, sphärische Trigonometrie. In jedem Winkel des Dreiecks an Stelle des griechischen Buchstaben die Schüssel. Er sollte was hineinschreiben und konnte nicht. Er bemühte sich aus Leibeskräften. Er drückte, er krümmte sich, er krampfte sich zusammen, da . . .

. . . Die Prüfung bestanden. 245

Und er wach.

Himmlischer Herrgott! Es ist geschehen.


Sieben Uhr. – Huhn stand da, als hätte er über Nacht im Herbarium gelegen.

»Korporal,« sprach der Rittmeister, »tun Sie gefälligst!«

Huhn würgte seine Tränen und blieb tatlos stehen.

»Hören Sie, Korporal? Ich hab Ihnen gestern abend befohlen – ich befehle Ihnen wieder: nieder mit Ihnen und vorwärts!«

Huhn rührte sich nicht.

»No, wie lang soll me warten?« mahnte der Stabsarzt. »Wirds?«

Huhn brach in halbersticktes Weinen aus. Wozu versuchen? Er weiß ja doch, daß es nicht geht.

»Korporal, bringen Sie mich nicht zum äußersten!«

»Aber, Herr Rittmeister, möcht ach denn nischt . . .?« heulte Jakob Huhn.

»So ein Fallot! – Wann haben Sie zum letztenmal gemistet?«

»Ha . . . ha . . . heunte nacht.«

»Sooo? – Aaah! Urlaub wollen Sie haben? An Dreck! Nichtbefolgung eines wiederholten Dienstbefehls? Renitenz? Insubordination? Warnungskonstitut, sieben Tage Einzelarrest! Sieben Tage Einzelarrest!«

»Abe zerscht,« sagte der Stabsarzt, »muß 'r in Isolierbaracken – Beobachtung auf Ruhr. Die Geschicht mit heut nacht kummt mir nicht ganz sauber vor.« 246

 

Dienstschule.

Ich hörte dem Wachtmeister Redelstein zu – er hielt Dienstschule mit seinen Leuten.

»Baden,« sagte er, »därf ma nur in Schwimmhosen. Erschtens is das beziehungsweise anständig, un zweitens: eine Hosennaht muß der Mensch für den Fall von Vorgesetzten haben.« 247

 

Die Preisausschreibung.

Danzers Armeezeitung hatte einen Preis ausgeschrieben für die kürzeste Bearbeitung des Themas:

»Was hat unsre Infanterie aus dem russisch-japanischen Kriege gelernt?«

Die kürzeste, preisgekrönte Antwort lautete:

»Nichts.« 248

 

Der Fluß.

Voriges Jahr bei der Hauptprüfung für die Kriegsschule zog ein Husarenoberleutnant die Frage:

»Soworows Feldzug 1799.«

Und er begann:

»Als der Soworows über den großen Fluß in Oberitalien hinübergegangen war . . .«

»Herr Oberleutnant,« unterbrach der Präses, »Sie werden doch wohl wissen, wie der große Fluß heißt –?«

»– – – –«

»Denken Sie doch mal nach. Er durchströmt ganz Oberitalien von Westen nach Osten.«

»– – – –«

»Nun, Herr Oberleutnant! Die Hälfte eines gewissen Körperteils . . .«

»Weiß ich schon, Herr General: die Aar.« 249

 

Kontrolle.

Wir lösten zwei Perronkarten und wollten auf den Bahnsteig hinaus – Herr von Kossow und ich.

Am Schranken verlangte der Portier die Karten.

Da wurde Herr von Kossow aber wild.

»Jestatten Sie: Kammerherr von Kossow, Leutnant der Reserve. Vermuten Sie versuchten Betrug?« 250

 

Kameradschaft.

»Kameradschaft ist eure erste Pflicht«, predigte unser Hauptmann in der Dienstschule. »Kameradschaft um jeden Preis – bis in den Tod. Nehmen wir gleich ein Beispiel: Infanterist Kowalsky – Sie stehen mit Ihrem Kameraden Doppelposten vor dem Feind – in eiskalter Winternacht. Da merken Sie, daß er einzuschlafen beginnt. Was werden Sie tun?«

»I ruf eahm an.«

»Gut. Er ist aber vom Frost schon überwältigt und hört Sie nicht mehr. – Was tun Sie als Kamerad?«

»I hau eahm aane in die Goschen.« 251

 

Die Zeitschrift.

Vor vier Jahren, im Frühling, gründete mein Freund Köllermann die Österreichische Marinezeitschrift, wurde aber alsbald undicht und lief noch im August damit auf Sand.

Unlängst traf ich ihn – er war neu kalfatert und seine Frau in großer Flaggengala.

»???«

»Danke bestens, ganz gut«, sagte er. »Ich lebe von meiner Zeitschrift.«

»Na, hör mal – die erscheint doch gar nicht mehr?«

»Eben darum. Ich habe meinen Abonnentenstamm – fünfzehn Erzherzöge zu fünf Exemplaren, Marinekasino in Pola – zehn Exemplare, der Erzbischof von Wien – zwei, Fürsten und Grafen, die alle noch nicht gemerkt haben, daß die Zeitschrift ausbleibt. – 120 Abonnenten à 24 Gulden – und nicht die geringste Regie? Ich rechne auf ein sorgenloses Alter.« 252

 

Der Krieger.

Der Kanonier Puntschikar war in seinem Heimatsort gestorben – ich mußte als Vertreter des Regiments zu seinem Begräbnis.

Der Veteranenverein war aufmarschiert – also hieß es, die gewissen leutseligen Worte richten . . . an den Mann mit dem größten Bart natürlich.

Der Mann trug fabelhafte Dekorationen.

»Ah – 1866 –?«

»Jawohl – Nachod, Königgrätz.«

»Und 1878 – Okkupation Bosniens?«

»Ebenfalls. – Banjaluka, Sarajewo.«

»Gratuliere –. Dabei immer noch so rüstig?« . . . Und so weiter.

Später auf dem Bahnhof holte mich der Mann wieder ein.

»Gnä Herr,« sagte er, »daß S' es wissen: i hab über haupt nöt beim Militär dient.«

»Aber? Woher dann die Tapferkeitsmedaillen?«

»Dö hat mir der Verein kaaft, daß bei dö Paraden wer Stoanalter da is – für die Herrschaften zum Ansprechen.« 253

 

Quecksilber.

Voriges Jahr im Sommer fanden Erdarbeiter unterhalb der Budapester Sandhügel starke Spuren von Quecksilber.

Sofort gründete mein Freund Attila Janoschhazy die »Hydrargyrum-Aktiengesellschaft« und erwarb das Schurfrecht für die umliegenden Höhen.

Doch mit dem erträumten Millionenreichtum war es nichts. Es war nur ein Militärfriedhof. 254

 

Das Fassungskommando.

Zu Neunerulanen war ein Leutnant ausgemustert worden, der sollte tausend Mündungsdeckel aus dem Ersatzdepot holen.

Er ließ einen vierspännigen Leiterwagen anspannen, nahm sechs Mann Bedienung mit und ritt hin.

Dort übergab man ihm die tausend Mündungsdeckel: die Schachtel war einen Finger lang. 255

 

Oberst Ispirescu.

Als ich noch in Klausenburg diente, setzte Oberst Ispirescu eines Tages Regimentsrapport an und ließ sich einen Kanonier vorschleifen.

»Sie, Kanonier,« sagte er, »Sie haben sich zum viertenmal ohne Erlaubnis aus der Garnison entfernt. Laut Kriegsartikel V, »Von der Desertion«, Punkt 2, gebührt Ihnen dafür die Todesstrafe. Außerdem haben Sie nach Punkt 4 die Deserteurs-Taglia, sowie den Schaden für enttragenen ärarischen Sorten zu ersetzen. Alles weitere werden Sie hören. – Abtreten!«

Über diese Szene entspann sich gleich darauf im Offizierszimmer der Kantine eine hocherregte Unterhaltung. Der Adjutant sagte, Oberst Ispirescu habe formell recht gehabt; unser Hauptmann aber rief: es sei ein blöder Witz gewesen, und übrigens treffe nicht Artikel V zu, sondern Artikel VI, »Von der eigenmächtigen Entfernung«, und der Kanonier werde Arrest oder strengen Arrest kriegen, höchstens sechs Monate.

Nachmittag stürmte der Major auf den Formierungsplatz – wir sollten um Himmels willen rasch die Sanitätsschüler beistellen. Der Oberst habe den Kanonier richtig zum Tod verurteilt und wolle ihn schlachten lassen.

Oberst Ispirescu hatte die Tobsucht.

Im Juli wurde er als kriegsdienstuntauglich, auch zu jedem Landessturmdienst ungeeignet in den wohlverdienten Ruhestand versetzt.

Im August war er rumänischer Abgeordneter. 256

 

Der Kaplan.

Es war am Morgen bei Doboj, das Gefecht schon lebhaft im Gang. Die Wittelsinfanterie stand als Divisionsreserve gedeckt hinter den Felsen und sollte alsbald eingreifen.

»Herr Oberst,« sagte der Kommißkaplan, »ich bitte gehorsamst, eine kurze Andacht abhalten zu dürfen, um die Mannschaft durch das Wort Gottes zu stärken.«

Gut, es geschah.

Als es geschehen war, trat der Kaplan zu den Herren des Stabes und sagte:

»So, die Mannschaft ist gestärkt. Nun stärken auch wir uns.«

Und reichte eine Flasche Kognak um. 257

 

Einquartierung.

Wir hatten Quartier auf einem Meierhof und erholten uns von den scheußlichen Manövern. Der Hauptmann zu Bett, alle Pferde lahm, gedrückt und mager.

Ich führte »ad interim« das Batteriekommando.

Da brachte man mir einen geharnischten Brief des Hofpächters: die Kanoniere stehlen ihm fortwährend Heu, und er werde die Batterie anzeigen.

Ich wußte nicht, was tun, und schickte den Brief dem Herrn Hauptmann ins Krankenzimmer.

Der Herr Hauptmann antwortete auf einem kleinen Zettel:

»Sobald Pferde genügend aufgefüttert, schuldtragende Kanoniere strengstens bestrafen.« 258

 

Die Hauskapelle.

Unser Militärkaplan war ein netter, kluger Herr – ich verstand mich sehr gut mit ihm. So vorgeschritten er in seinen Anschauungen war – er wußte einem manche Notwendigkeit klar zu machen, an die man nie gedacht hatte.

Täglich gegen fünf holte ich ihn zum Spaziergang ab.

»Famos,« rief er jedesmal, »ich komme schon. Erlaub mir nur eine kurze Andacht in der Hauskapelle.«

Das gefiel mir an dem Mann besonders. Wenn einer schon Priester ist, dann soll er voll des Glaubens sein.

Eines Tages, als ich ihn holen wollte, zog er sich wiederum zur Andacht zurück. Kam aber rasch hervor und schrie:

»Agnes, was is denn das für eine Wirtschaft? Schon wieder kein Papier draußen.« 259

 

Alles rechtzeitig.

In Brünn wirkte einmal ein Korpskommandant, Durchlaucht und Landkomtur des Deutschen Ritterordens, ein sehr hohes Tier.

Der pflegte seine Offiziere immer zu ermahnen:

»Meine Herren, alles rechtzeitig, wenn ich bitten därf, nix aufschieben! Wieviel Blut hätten die Preißen erspart, wann s' die Höhen von Spichern schon im Frieden besetzt hätten!« 260

 

Der Raseur.

Ich war nach Karlstadt kommandiert und sollte mich sofort beim Obersten Dunst melden.

Sonntag. Kein Friseurladen offen. Und ich stoppelbärtig wie ein Kaktus.

Was tun?

Halt, ein Gedanke: ich gehe in die Kadettenschule – einer vom vierten Jahrgang wird schon rasieren können.

Richtig, einer konnte es. Drei Zöglinge knieten mir auf der Brust, und er rasierte.

Er hieß Hugo Pohlidal und hat nachmals ein elendes Ende genommen.

Als ich zum Regiment zurückkehrte, wurde ich eingesperrt – auf Grund einer Anzeige des Obersten Dunst – »wegen unrasierten Erscheinens vor einem Vorgesetzten.« 261

 

Alimente.

Der alte Prohaska saß mit verkniffenem Gesicht in der Ecke.

»Na, Herr Oberstleutnant –?« fragte ich. »Wieder einmal etwas wütend?«

Er knurrte und spuckte und knurrte und sprach endlich:

»Dö verdammten Alimenten! Erscht heut han i wieder fümwuvierzig Kronen wegschicken müssen.«

»Ich verstehe, Herr Oberstleutnant«, sagte ich lächelnd. »Dreimal fünfzehn Kronen.«

»Naa,« rief er, »fuchzehn mal drei Kronen.« 262

 

Das Theater.

Als Essegg noch eine große Festung war, gabs dort ein Garnisonstheater. Ein Fürst Dietrichstein hatte es einmal gestiftet – anno 1776 – »dem Vergnügen der Garnison«.

Jetzt gibts längst kein Theater mehr, das Haus dient als Stabsoffizierswohnung.

Aus den Fenstern blickt Frau Major-Auditor Maschke.

Und darüber steht noch immer:

»Gewidmet dem Vergnügen der Garnison.« 263

 

Das Abendmahl.

In Reichenberg war ein Militärintendant, der war Kalviner.

Als sein Töchterchen eingesegnet werden sollte, ging der Alte mit in die Kirche.

Der Pastor reichte ihm das Abendmahl. Der Alte nippte ein wenig und sprach:

»Hm. Ein leichter Vöslauer.« 264

 

Leutnant Spannagel.

Leutnant Spannagel, Viererjäger in Weißkirchen – was sollte er in Weißkirchen anfangen? Er fing ein Verhältnis an.

Sie hieß Leni und war Kaffeehauskassierin.

Ein treues Mädchen, ein liebes Mädchen – aber nach einer Woche mußte Spannagel ins Spital.

Sie kam ihn besuchen.

»Leni,« sagte er, »du hast furchtbar gemein an mir gehandelt. Jetzt tu mir den einzigen Gefallen und fang ein Gspusi mit mein Obersten an.« 265

 

Das Wochenrepertoire eines Prinzen.

Montag:

Eröffnung der Kaninchenausstellung.

Dienstag:

Vormittag: Grundsteinlegung zu einem neuen Seitentrakt des Gesellenheims katholischer Handwerker in Niederösterreich.

Nachmittag: Festvorstellung zur Jahresfeier des Vereins katholischer Handwerksgesellen in Niederösterreich.

Mittwoch:

Rout bei Seiner Eminenz, dem Nuntius. Vortrag von P. Benno Straubinger S. J. – »Aufgaben und Ergebnisse der Missionstätigkeit am Zambesi.«

Donnerstag:

Fahnenweihe des k. und k. Infanterieregiments, Freiherr von Hess. Besichtigung der Kaserne des Regiments.

Nachmittag: Probe zur Assistenz bei der Fußwaschung der zwölf ältesten Männer Wiens.

Freitag:

Besichtigung der Geflügelausstellung in der Markthalle; hierauf: Beerdigung des verewigten Feldmarschalleutnants a. D. von Huber.

Samstag:

Matinee des Vereins »Freundinnen christlicher junger Mädchen«: »Beim Osterhasen«, Märchenspiel in dreizehn Bildern mit einem Prolog und zwei Choreinlagen.

Nachmittag: Tee bei der 86jährigen Erzherzogin Adelgunde von Modena. 266

Sonntag:

Messe. Predigt des Dompropstes von Marschall über Ev. Luc. 16, 19:

»Es war ein reicher Mann, der kleidete sich mit Purpur und lebte alle Tage herrlich und in weltlichen Freuden.«

 


 


 << zurück