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XIII.

Inzwischen erwartete Julie mit steigender Ungeduld die von Haller beantragte Scheidung, welche jetzt eine weit längere Zeit in Anspruch nahm, als sie gehofft hatte. Endlich, nachdem der vorgeschriebene Sühneversuch erfolglos verlaufen war, wurde die Ehe vom Gericht auf Grund gegenseitiger unüberwindlicher Abneigung getrennt und der für beide Theile höchst aufregende Prozeß entschieden.

Während der Schlußverhandlung, zu der auf Anordnung des Gerichts die Parteien in Person erschienen, benahm sich Haller gegen die schuldige Frau so schonend und rücksichtsvoll, daß sie ihm ihre Achtung nicht versagen konnte und seinen Edelmuth anerkennen mußte. Fast gerührt dankte sie ihm für seine Nachsicht, und sichtlich ergriffen reichte sie ihm zum Abschied ihre Hand, die er nicht zurückzuweisen wagte.

Ihre ernste Stimmung wich jedoch bald wieder der Freude über die erlangte Freiheit und der Hoffnung auf eine dauernde Vereinigung mit Werner. Noch an demselben Tage schrieb Julie einen jubelnden Brief, worin sie ihm die erfolgte Scheidung und ihre baldige Ankunft anzeigte. Ohne ferne Antwort abzuwarten, reiste Julie in Begleitung ihrer Freundin Lilli, welche sich ihr gern anschloß, nach Rom, um Werner zu überraschen.

Kaum angekommen, eilte sie noch in den Reisekleidern nach seiner ihr bekannten Wohnung in der Nähe der Piazza Navona. Mit lautem Freudenruf stürzte sie in seine Arme, zu bewegt, um zu sprechen, während er seine Verwirrung bei ihrem plötzlichen Anblick kaum zu verbergen vermochte und ihre stürmische Zärtlichkeit nur gezwungen erwiderte.

»Nun ist alles gut,« rief sie aufgeregt, »da ich Dich habe und wieder bei Dir bin! Aber Du freust Dich ja gar nicht mit mir?«

»Kannst Du zweifeln?« versetzte er verlegen. »Ich bin nur von meinem Glück überrascht und weiß mich nicht zu fassen, da ich Dich nach Deinem letzten Brief nicht so bald erwartete.«

»Ich konnte es ohne Dich nicht mehr aushalten. Wenn der traurige Prozeß noch länger gedauert hätte, wäre ich vor Sehnsucht nach Dir gestorben!«

Ihrer Anmuth und Hingebung konnte auch Werner nicht länger widerstehen. Bald überließ er sich ganz seiner früheren Leidenschaft für die reizende Frau, an der er so viel verschuldet. Zwar trübte der Gedanke an die Gräfin die reine Freude des Wiedersehens, doch die Gegenwart der Geliebten mahnte ihn an sein Versprechen und bestärkte ihn von neuem in seinem Vorsatz, dem Verhältniß mit der Gräfin trotz ihrer älteren Rechte mit einem Schlage ein rasches Ende zu machen.

Zu diesem Zweck begab er sich am nächsten Tage zu der Gräfin, welche ihn mit gewohnter Freundlichkeit empfing, obgleich sie bereits durch seinen Diener, den alten Liebhaber ihrer italienischen Kammerfrau, die Ankunft ihrer Nebenbuhlerin erfahren hatte.

»Lieber Gott!« sagte sie mit einem spöttischen Blick auf seine ernste, gedrückte Miene. »Du machst ja heute ein wahres Leichenbittergesicht, als wäre Dir ein Unglück passiert oder als wolltest Du mir ein Todesurtheil verkünden.«

»Ich habe Dir allerdings,« entgegnete er stockend, »eine wichtige Mittheilung zu machen, die ich Dir nicht länger verschweigen darf. Du kannst mir glauben, daß es mir schwer genug fällt, Dir ein solches Geständniß zu machen.«

»Das klingt ja fürchterlich,« erwiderte sie scherzend. »Ich bin im höchsten Grade auf diese Bekenntnisse Deiner Mannesseele gespannt.«

Es kostete Werner in der That keine geringe Ueberwindung, der Gräfin die Wahrheit zu gestehen, daß er Julie liebe und sich verpflichtet fühle, der Frau, die seinetwegen ihren Mann verlassen, ihm Reichthum und Stellung geopfert, jetzt Wort zu halten und seine Hand zu reichen.

»Ich sehe ein,« schloß er ernst und bewegt, »daß ich schuldig bin. Aber ich kenne auch Deine Hochherzigkeit und hoffe, daß Du mir verzeihen und mir ferner eine Freundin bleiben wirst. Ich versichere Dich bei allem, was mir heilig ist, daß ich noch jetzt keinen anderen Wunsch habe, als Dir für immer anzugehören. Allein Du weißt am besten, daß sich unserer Verbindung unüberwindliche Hindernisse entgegenstellen. Julie hat mir die größten Opfer gebracht; sie steht allein in der Welt, nur auf mich angewiesen. Wenn auch ich sie verlasse, ist sie verloren. Dagegen kann Deine Stellung in der Gesellschaft nichts erschüttern. Darum bitte und beschwöre ich Dich, mache mich durch Deinen Zorn nicht noch unglücklicher, als ich bin. Ich kann ohne Deine Freundschaft nicht leben und werde Dir für diesen neuen Beweis Deiner Güte ewig dankbar sein.«

Niedergeschlagen, ohne sie anzublicken, stand Werner vor der Gräfin, demüthig, wie ein um Gnade flehender Sünder, von Furcht und Scham erfüllt, in Erwartung einer heftigen Scene, eines stürmischen Ausbruchs ihrer ihm nur zu gut bekannten Leidenschaftlichkeit. Um so größer war daher seine Ueberraschung, als sie mit bewundernswürdiger Ruhe seine Mittheilungen entgegennahm, ohne ihn zu unterbrechen oder ihre gerechte Entrüstung zu verrathen.

Auch nachdem er geredet hatte und verlegen schwieg, kam kein hartes Wort, kein Vorwurf, keine bittere Bemerkung über ihre feinen Lippen. Lächelnd reichte sie ihm die Hand und blickte ihn so sanft mit den grünlich schillernden Augen an, daß er eine wahre Erleichterung empfand und an ihrer Vergebung nicht zweifeln konnte.

»Soyons amis, Cinna!« sagte sie mit leichter Ironie. »Man muß gewisse Dinge nicht zu tragisch nehmen und alltäglichen Vorkommnissen reine allzu große Bedeutung beilegen. Ich bin keine Dido, welche den Scheiterhaufen besteigt, wenn der fromme Aeneas sie verläßt, noch weniger eine rasende Medea, die aus Rache an dem ungetreuen Jason Kindesmörderin wird, sondern eine sanfte, gute Christin, die dem Schuldigen vergiebt. In Gottes Namen heirathe Deine Julie und werde mit ihr glücklich; meinen Segen hast Du. Ich verzeihe Dir von ganzem Herzen, und zum Beweise, daß ich Dir nicht zürne, bitte ich Dich, mir die kleine Frau recht bald zuzuführen, damit auch ich sie näher kennen lerne.«

»Ada!« rief Werner, begeistert ihre Hand küssend. »Du bist und bleibst die erste, die beste, die hochherzigste Frau der Welt, mit der sich keine vergleichen kann. Je länger ich Dich kenne, desto mehr muß ich Dich bewundern und verehren.«

»Das genügt mir und gefällt mir besser, als die dumme Liebe, die uns nur unglücklich macht und sich wirklich nicht der Mühe lohnt. Also Freunde für immer!«

Hoch erfreut über diese kaum gehoffte Lösung, verließ Werner die Gräfin, von deren Großmuth er so entzückt war, daß Julie unwillkürlich eine leichte Eifersucht empfand, weshalb sie sich nur mit Widerstreben zu dem von ihm gewünschten Besuch entschloß und ihm nur mit schwerem Herzen zu der Gräfin folgte.

Während beide in dem glänzenden Salon warteten, fühlte sich Julie durch die sie hier umgebende Pracht förmlich geblendet und bedrückt. Diese peinliche Empfindung wurde noch durch die wahrhaft königliche Erscheinung der Gräfin gesteigert, welche ihr Zwar höchst liebenswürdig aber mit einer gewissen vornehmen Ueberhebung entgegenkam und sie durch ihre herablassende Freundlichkeit demüthigte.

»Ich freue mich,« sagte sie, nachdem sie Julie vom Kopf bis zu den Füßen scharf gemustert hatte, »die reizende Psyche meines Freundes bei mir zu sehen. Werner hat nur bereits viel von Ihnen erzählt und Sie mir besonders empfohlen. Es wird mir angenehm sein, Sie an meinen Abenden zu empfangen und Sie der Gesellschaft vorzustellen, die für Fremde schwer zugänglich ist.«

»Die gnädige Gräfin sind zu gütig. Ich möchte Sie indessen nicht bemühen, da ich mich noch von der Reise angegriffen fühle und einiger Zeit zu meiner Erholung bedarf.«

»Sie haben viel durchgemacht und sehen auch etwas leidend aus. Hoffentlich werden Sie sich bald erholen; ich rechne dann um so häufiger auf Ihre Gegenwart. Sie werden mir zu jeder Zeit willkommen sein.«

In der That hatte Julie, wie schon Werner zu bemerken glaubte, nicht ihren guten Tag. Sie war bleicher als sonst und erschien der stolzen, so sicher und ungezwungen sich bewegenden Dame gegenüber schüchtern und fast linkisch. Neben der hohen, üppigen Gestalt der Gräfin verschwand ihre zierliche Figur, und das zarte Kindergesicht verlor neben den scharfen, kräftigen Zügen ihrer aristokratischen Nebenbuhlerin seinen holden Reiz.

Auch ihre Toilette war nicht vortheilhaft gewählt. Mit dem ihr eigenen Takt hatte Julie ein leichtes, feines Gesellschaftskleid genommen und ihr Haar mit frischen, natürlichen Blumen geschmückt. Allein auf Werners Wunsch mußte sie die anmuthige Tracht mit einer schweren Atlasrobe und einem kostbaren Schmuck vertauschen, die zu ihrer graziösen Schönheit schlecht paßten und ihr ein ungeschicktes, überladenes Aussehen gaben.

Dazu kam noch die geistige Ueberlegenheit der Gräfin. Mit glänzendem Witz und sprudelnder Laune belebte diese die Unterhaltung, während Julie sich auffallend still verhielt, da sie verstimmt war und die Personen und Ereignisse, um welche das Gespräch sich hauptsächlich drehte, ihr fremd und uninteressant waren.

Mehr als alles aber quälte und schmerzte sie die Vertrautheit zwischen Werner und der Gräfin. Zwar überschritt das Gespräch beider niemals die Grenzen eines langjährigen freundschaftlichen Verkehrs, und doch verrieth hier und dort ein leidenschaftliches Wort, ein verständnißvoller Blick oder ein verstohlenes Lächeln die keineswegs erloschene Neigung.

Julie athmete erst wieder auf, als sie den Palast verließ und mit Werner allein war, welcher, noch ganz erfüllt von dem empfangenen Eindruck, mit Enthusiasmus von dem Geist, der Liebenswürdigkeit und Genialität der Gräfin sprach.

»Und wie gefällt sie Dir?« fragte er Julie, welche schweigend, in tiefen Gedanken neben ihm herschritt.

»Nicht besonders!« erwiderte diese auffallend ernst. »Sie erscheint mir unwahr und gemacht, interessant aber herzlos. Glaube mir, sie ist durch und durch falsch; sie schminkt ihr Gesicht und ihren Geist.«

»Wie kannst Du nur so hart und lieblos über eine Frau urtheilen, welche Dich so überaus freundlich ausgenommen hat!«

»Sie meint, mich zu täuschen, aber sie irrt sich. Ihre Zuvorkommenheit ist nichts als Heuchelei, und ihre Freundlichkeit eine Maske, hinter der sich Haß und Neid verbirgt. Sie gönnt mir Deine Liebe nicht und wird mir nie vergeben, daß Du sie um meinetwillen verlassen hast.«

»Aus Dir spricht kleinlicher Neid und blinde Eifersucht.«

»Ich bin weder neidisch noch eifersüchtig, aber ich kann Deine Vertraulichkeit mit ihr nicht vertragen. Wenn Du mit ihr sprichst, hast Du nur Augen und Ohren für sie. Sie beherrscht Dich vollständig; ein Wort von ihr gilt Dir mehr, als alle meine Wünsche und Bitten. Liebst Du mich wirklich, so lasse die gefährliche Frau, die Dein und mein böser Genius ist.«

»Wie oft,« entgegnete er ungeduldig, »soll ich Dir wiederholen, daß ich die Gräfin nicht aufgeben kann und will! Sie hat ein Anrecht auf meine Dankbarkeit, und ich bin ihr in jeder Beziehung die größte Rücksicht schuldig. Bei ihrem Rang und ihrer gesellschaftlichen Stellung ist der Verkehr mit ihr eine Nothwendigkeit für mich. Ihr Salon bildet den Mittelpunkt der aristokratischen Welt und ihr Einfluß reicht bis in die höchsten Kreise. Es wäre eine unverzeihliche Thorheit, mir eine so mächtige Gegnerin zu schaffen. Selbst mein Ruf, meine Existenz hängt zum Theil von ihr ab, da sie in allen Kunstsachen eine entscheidende Stimme besitzt und mir ebenso sehr nützen als schaden kann.«

»Ein großer Künstler wie Du bedarf keiner Protektion. Auch ohne die Empfehlung der Gräfin wird man Deine Bilder bewundern und kaufen. Du erniedrigst Dich selbst, wenn Du einer Frau, mag sie auch noch so hoch gestellt sein, einen solchen Einfluß zugestehst und Dich zu ihrem Sklaven machst.«

»Das verstehst Du nicht. Auch der erste Künstler kann den Schutz der Großen nicht entbehren und muß sich mit ihnen verhalten. Das Urtheil der Gräfin ist für ihre Standesgenossen maßgebend, und in ihrem Salon finde ich die Förderung und Anregung, ohne welche der Künstler nicht leben kann.«

»Ich sehe nur,« versetzte Julie in gereiztem Ton, »daß Dir die Gräfin noch immer näher steht als ich, und daß Du Dich nicht besinnst, Deinem Ehrgeiz und Deiner Eitelkeit meine Liebe zu opfern.«

»Und ich,« erwiderte Werner heftig, »finde Deinen Eigensinn und Deine Unvernunft unerträglich.«


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