Wilhelm Heinrich Riehl
Durch tausend Jahre – Dritter Band
Wilhelm Heinrich Riehl

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Revolutionszeit

Der Zopf des Herrn Guillemain.

1863

Wie hätte sich der Alte Fritz die Augen gerieben, wenn er vor fünfzig Jahren aus dem Grabe erwacht wäre und der Leipziger Völkerschlacht ein wenig hätte zuschauen dürfen! Oder was würde der alte Bonaparte sagen, wenn er heute nur auf einen Tag wiederkäme und seinen Neffen in kaiserlicher Politik hantieren sähe? Oder der alte Bach, wenn er eine Beethovensche Symphonie hörte? Oder unsere Urgroßmutter, wenn sie vom Himmel herunter einen Eilzug gewahrte, wie er gleich einer feuerschnaubenden Schlange durch die Landschaft zischt?

So hat schon mancher gefragt, und große und kleine Kinder plagen sich überhaupt gerne mit der Rätselfrage, was ein Verstorbener wohl sagen würde, der, plötzlich wiederkommend, die ganze Welt verändert fände. Ist inzwischen gar so handumgekehrt vieles neu und besser geworden, worauf jener bei Lebzeiten vergebens hoffte, dann denken wir: der Mann wird gehörig staunen und sich freuen und zugleich sich ärgern, daß er vor drei oder sechs Jahren hat sterben müssen; uns aber rechnen wir es fast als einen Ruhm an, daß wir so gescheit waren, noch etliche Jahre länger zu leben und die Sonne nach dem Nebel abzuwarten.

Ich erinnere mich aus meiner Jugend, daß einmal in meines Vaters Hause unter Freunden von solchen Dingen geredet ward. Mein Vater durchschnitt das ziellose Für und Wider mit der Frage, ob denn niemand den Herrn Guillemain von Mainz kenne, der sei ja fünf Jahre lang so gut wie verstorben gewesen und plötzlich wiedergekommen in eine neue Welt, die mittlerweile fast genau so geworden, wie er sich's gewünscht habe; der könne am besten erzählen, wie es einem da zumute sei.

Ich hörte das nur so im Vorbeigehen, denn als zwölfjähriger Bube lief ich nur eben im Zimmer ab und zu; aber die wenigen aufgefangenen Worte arbeiteten und wühlten in meiner Einbildungskraft, zumal ich noch vernahm, daß Herr Guillemain ein unglücklicher Mensch geworden sei durch die wunderliche Gnade, halbwegs sterben und dann wiederkommen zu dürfen, um eine neue Welt, welche er geträumt, plötzlich aufgebaut zu sehen wie das Kind am Weihnachtsabend den flimmernden Christbaum.

Als ich darum kurz nachher mit dem Vater wieder einmal nach Mainz kam, bat ich ihn, er möge mir heute eine rechte Merkwürdigkeit zeigen, und als er mich fragte, was ich denn sehen wolle, ob den Eichelstein oder die Martinsburg oder die Menagerie auf der Messe, antwortete ich: »Ich will nichts weiter sehen als den Herrn Guillemain.« Mein Vater erwiderte lächelnd: »Wenn's möglich ist.«

Nach manch ermüdendem Spaziergange, wobei ich jeden Begegnenden vergebens darauf ansah, ob er nicht etwa Herr Guillemain sei, kehrten wir ein in den »Drei Kronen«. Es ging dort sehr lebhaft zu, und wir fanden nur mit Mühe noch einen Platz am Wirtstische gegenüber einem munteren alten Herrn, der sich mit sichtbarem Behagen seinen Schoppen schmecken ließ. Er schien ein Stammgast des Hauses und hatte, redselig wie ein echter Rheinländer, meinen Vater bald in ein lebhaftes Gespräch über gleichgültige Dinge verflochten, von denen man spricht, um zu sprechen. Obgleich der Mann wie ein frischer Fünfziger dreinschaute, erfuhr ich doch nachgehends, daß er bereits tief in den Sechzigen stehe. Er war vornehm, doch etwas altmodisch gekleidet und hatte sein reiches schneeweißes Haar hinten in ein ganz kleines, bolzgerade hinaufstehendes Zöpfchen geflochten. Solch ein echter aus dem achtzehnten Jahrhundert herübergeretteter Miniaturzopf war damals – in der Mitte der dreißiger Jahre – längst die größte Seltenheit, und nur bei einem alten Gerbermeister in Bingen und einem pensionierten weiland nassau-usingischen Leibkutscher in Biebrich hatte ich noch seinesgleichen gekannt.

Als wir uns nach einer Stunde Rast wieder zum Aufbruche anschickten, flüsterte mir mein Vater zu: »Fasse den Mann mit dem Zopfe noch einmal recht genau ins Auge; das ist der Herr Guillemain, den du zu sehen begehrt.«

Ich war aus den Wolken gefallen und bedauerte innigst, daß ich die Menagerie nicht vorgezogen hatte. Denn den Herrn Guillemain, der fünf Jahre lang so gut wie gestorben und dann wiedergekommen war, um höchst unglücklich zu werden, hatte ich mir als einen Patriarchen mit langem Barte gedacht, den wir in irgendeiner Spelunke hätten aufsuchen müssen, wo er, auf dem Stroh gelagert, ein halb verschimmeltes Stück Brot und einen großen Wasserkrug zur Seite, von vergangenen und künftigen Tagen im Stile der Klagelieder Jeremiä mit hohen Worten gepredigt hätte.

»Und der Mann soll so gar unglücklich sein?« fragte ich auf der Straße recht ärgerlich den Vater. Dieser aber erwiderte: »Wann du älter geworden, dann wirst du erfahren, daß man mit seinem Rock und glattem Gesicht jeden Abend in den »Drei Kronen« sitzen, ein artiges Gespräch führen und ein gut Glas Wein mit Verstand trinken und dennoch ein höchst unglücklicher Mensch sein kann. Dann wird es auch Zeit sein, daß ich dir die Geschichte des Herrn Guillemain ausführlich erzähle; jetzt verständest du sie doch noch nicht.«

Ich vergaß bald meinen Ärger samt dem Herrn Guillemain, und erst nach vielen Jahren, als der alte Herr mit dem Zöpfchen längst zum zweitenmal und nicht bloß beinahe verstorben war, erfuhr ich die Geschichte. Seitdem aber gereute es mich gar nicht mehr, daß ich damals lieber den merkwürdigen Menschen, wenn auch mit dem Auge eines Kindes gesehen als die Menagerie auf der Messe.

Und so erzähle ich denn auch hier wieder Lesern, die keine Kinder mehr sind, jene einfache Geschichte, nachdem ich ihnen bis hierher den Mann ganz ebenso als ein unverstandenes Rätsel vorgeführt habe, wie er mir selber zuerst erschienen ist.

Erstes Kapitel

Joseph Guillemain war als junger Mann ein rechter Erzdemagog – soweit man dies nämlich zwischen 1780 und 1790 in Mainz und der Umgegend sein konnte.

Eigentlich aber war er Maler. Sein Sinn ging auf die hohe und ernste Kunst; er wollte nur Geschichte malen, wie er später Geschichte machen wollte; Michelangelo war sein Vorbild und Liebling, dann Rubens. Die frühesten Skizzen des Kunstjüngers sahen darum sehr »genialisch« aus, wie man es damals nannte: – gewaltige Motive, überkühne, oft verworrene Gruppen, eine Übernatur in Form und Farbe, welche die reiche, in Sturm gestaltende Phantasie verriet, aber des läuternden Schönheitsgefühles entbehrte. Er war ein Mann des großen Stiles, und seines Vaters großer Geldbeutel gestattete ihm so frei, wie er nur immer wollte, im großen Stile zu malen.

Als erstes Hauptwerk hatte er einen figurenreichen Karton begonnen, den Tod des Cäsar, welcher von Kennern mit hohem Lobe geprüft wurde, von Nichtkennern mit noch höherem, und es galt für ausgemacht, daß der Künstler nach Vollendung des Bildes mit dem Titel eines kurfürstlichen Hofmalers tax- und stempelfrei würde begnadet werden. Sein Vater, trotz des französischen Namens ein echter Kurmainzer, wartete mit Stolz auf diesen glücklichen Tag.

Neben all den Bewunderern des Bildes stand nur ein einziger wahrer Freund, der sein Urteil ganz ehrlich von der Leber weg sagte, Doktor Kringel, ein junger Arzt. Er meinte, mit solchen Mord- und Aufruhrgeschichten solle Guillemain sich doch nicht plagen, sondern friedliche und ansprechende Bilder malen, etwa eine badende Nymphe oder den heiligen Nepomuk; das seien ja auch historische Stoffe, wenn man sie sechs Fuß hoch anlege.

Guillemain verstand den Spott, denn er war selbst ein witziger Kopf, und wäre er dies nicht gewesen, so würde er vermutlich gar kein Demagog geworden sein. Begeistert für seine besondere Kunstrichtung, wußte er mit dem übermütigen Selbstgefühle der Jugend jede andere in Grund und Boden zu spotten. Hundert Epigramme, die er in flüchtigem Worte hingeworfen oder auch beim Weine in einen lustigen Reim gefaßt, durchliefen die Stadt. Und da die Kunst all sein Leben erfüllte, so wollte er auch, daß alles andere Leben in der ganzen Welt nach seinem künstlerischen Ideale umgewurzelt werde. Ganz Mainz und das übrige Europa war ihm viel zuwenig titanisch; ein echter Stürmer und Dränger, schlug er Pfaffen und Junker, Pedanten und Spießbürger, die ihm rings in die Quere liefen, mit der Geißel des Witzes. Die lebendigen Menschen sollten werden wie die gemalten auf seinen Bildern, und so ingrimmig freiheitsdurstig, so aufgequollen pathetisch, dazu so hochgestilt im stolzen Togawurf wie die Figuren seines Cäsarkartons, bewegten sich die Mainzer von 1785 allerdings eben nicht. Waren sie aber auch keine Gracchen und Brutusse, wie es Guillemain gewünscht, so verstanden sie doch einen Spaß besser als vermutlich jene alten Römer und jubelten dem jungen Maler Beifall zu, der so keck und lustig Hiebe nach rechts und links austeilte. Denn jeder einzelne glaubte sich selbst nicht getroffen, freute sich aber, daß sein Nachbar etwas abgekriegt habe. Guillemain war darum bald das Schoßkind der Mainzer Gesellschaft und wurde einmal sogar zu Wein und Butterbrot in ein adeliges Haus geladen, was zu selbiger Zeit in Mainz viel sagen wollte.

Unter Freunden sprach der Maler wie ein Prophet: »Das Deutsche Reich wird seine Revolution durchkämpfen so gut wie Nordamerika; es wird seinen Washington, seinen Franklin und Lafayette schon finden, ein neues, freies Leben wird erblühen!« Fragte dann aber Doktor Kringel, wann das alles geschehen werde, so antwortete Guillemain: »Heute und morgen schwerlich und vielleicht erst, wenn uns allen längst kein Zahn mehr wehe tut«. Und fragte Kringel, wie denn das verbesserte Reich ungefähr aussehen solle, so erwiderte jener, das wisse er nicht; denn wenn er's wisse, so sei es zu spät zum Prophezeien und die glückselige Zeit schon angebrochen.

Berauscht vom Erfolg, ging Guillemain mit seinen Satiren immer toller ins Zeug und machte eines Tages eine rechte Dummheit im deutschesten Sinne des Wortes. Als er nämlich einmal mit sehr jugendlichen und grünen Freunden nicht mehr beim ersten Schoppen saß, schnitt er sich zum Zeichen des Bruches mit allen bildlichen Zöpfen seinen eigenen natürlichen Zopf ab und legte ihn, begleitet von einer anonymen gereimten Epistel, in eine Schachtel, die er auf der Stelle wohlversiegelt an den Kurfürsten schickte.

Als der künftige Hofmaler des anderen Morgens beim stark verspäteten Frühstücke saß, trat Doktor Kringel ins Zimmer, zog einen falschen Zopf aus der Tasche und beschwor den Freund, sich doch diesen anzuheften, daß man ihn nicht sofort als den Absender der frevelhaften Schachtel entdecke. Guillemain sträubte sich und meinte, da hätte er dem Kurfürsten lieber gleich einen falschen Zopf überschicken und den echten behalten sollen; der Arzt dagegen suchte ihm zu verdeutschen, daß es freilich nur ein schlechter Witz sei, wenn man einen abgeschnittenen Zopf an einen Privatmann adressiere; sende man aber einen schlechten Witz an einen Kurfürsten, so sei das Majestätsbeleidigung.

Entrüstet stutzte Guillemain über dieses Wort; allein er hat nicht Zeit, lange zu stutzen, denn der Kapaunenstopfer des Kurfürsten trat herein, brachte die Schachtel samt ihrem Inhalte zurück und meldete, der gnädige Herr lasse danken für das zugedachte Geschenk und die Verse von wohlbekannter Hand. Neues habe er nicht aus denselben gelernt, denn daß Herr Guillemain einen Sparren zuviel im Kopf habe, sei ihm schon längst bekannt gewesen.

Der Maler stand wie ein begossener Pudel vor dem Kapaunenstopfer, der eine Weile wartete, als hoffe er auf ein Trinkgeld. Da raffte sich Guillemain plötzlich auf, gab ihm einen Louisdor, sagte: »Auf eine fürstliche Botschaft gehört fürstlicher Botenlohn«, packte ihn beim Kragen und warf ihn die Treppe hinunter.

Er war zunächst wütend darüber, daß der Kurfürst den schlechten Witz doch nicht für Majestätsbeleidigung genommen hatte; sechs Monate Festung wären ihm lieber gewesen als dieser verachtende Hohn. Dann hätte er grollen und klagen und über dem Zorn die Scham vergessen können, und jetzt war ihm gar nichts anderes übrig, als sich zu schämen. Nicht so sehr aber hatten ihn die Worte des Kurfürsten beschämt als der Bote, welchen man geschickt. Wäre noch der Hofmarschall oder ein Sekretär oder auch nur ein Kammerdiener oder Lakai gekommen, – aber der Kapaunenstopfer! ein versoffener Kerl, eine Karikatur, welcher alle Gassenbuben nachliefen! Noch mehr jedoch als der Bote beschämten ihn dann zuletzt seine eigenen Verse, da er sie nüchtern las. Es waren wirklich recht betrunkene Verse. Und diese Scham nagte am tiefsten.

Er machte sich Luft mit dem Ausrufe: »Es muß besser werden im Deutschen Reiche, und wenn nicht heute und morgen, so doch gewiß in Jahr und Tag!«

»Es muß?« fragte Kringel erstaunt, »und gar so bald schon? Sonst sagtest du immer: »es wird« und rücktest den Termin in die blaue Zukunft hinaus! Und wie wird es besser werden?«

»Das weiß ich nicht! Frage mich, wann ich Wein getrunken habe; wie kann man nüchtern ein Prophet sein!«

»Bist du wirklich nüchtern«, entgegnete lächelnd der allezeit nüchterne Doktor, »so freue dich wie gewöhnliche Menschen, daß dein trunkener Streich so glücklich abgelaufen ist.«

Allein gerade weil dieser Streich zunächst ohne schlimme Folgen blieb, ward er mittelbar erst recht folgenreich für Guillemains ganzen Lebensgang.

Als der junge Maler ohne Zopf wieder unter die Leute kam, bemerkte er gar bald den vollkommenen Umschlag der allgemeinen Gunst. Ehrsame Bürger gingen ihm aus dem Wege, vornehme Gönner kannten ihn nicht mehr; niemand tadelte ihn ins Gesicht, denn dazu war der Spötter zu gefürchtet, aber er konnte es mit Händen greifen, wie man hinterm Rücken über ihn loszog. Weil er diesmal wirklich taktlos gehandelt, so griff man zurück und entdeckte plötzlich in hundert lustigen Streichen, die man seit Jahren bewundert hatte, eine ganze Kette von Taktlosigkeiten. Und was der Mensch gesündigt, das ließ man dann auch den Künstler büßen: seine Bilder waren über Nacht bedeutend schwächer geworden.

Guillemain sagte täglich ein dutzendmal, daß er sich den Teufel kümmere um die Ungnade aller der Hofschranzen mit und ohne Livree. Sein Freund aber flüsterte ihm ins Ohr: »Du würdest das nicht so oft sagen, wenn es dich wirklich so wenig kümmerte.«

Tiefer schnitt bei dem jungen Künstler allerdings das strenge Urteil seines Vaters. Der alte Guillemain strafte den mutwilligen Sohn in harten Worten – die hatte Joseph erwartet und ließ sie stille über sich ergehen; als er aber merkte, daß sein Vater nicht bloß zürne, sondern zugleich von ganzer Seele betrübt sei, weil er ihn für einen verlorenen Menschen halte, da hätte er in den Boden sinken mögen vor Groll und Schmerz. Der Stolz des Vaters zu sein, war bis dahin für Joseph selbst der größte Stolz gewesen; er konnte es nicht ertragen, daß dies mit einemmal anders geworden durch eine reine Kinderei, welche höfischer Knechtssinn zur Freveltat steigerte. Jetzt erst erhielt die öffentliche Ungunst Bedeutung für ihn, denn sie hatte ihm das Vertrauen seines Vaters gestohlen.

Um Trost zu finden, ging er zu dem Freunde, mit welchem er ewig uneins war und den er doch so liebhatte. Der kam ihm diesmal in der Tat mit einem herrlichen Trost, wie er glaubte, entgegen: Der Kurfürst wußte bis zur Stunde noch gar nichts von der Schachtel; sein Sekretär hatte sie eröffnet und, da er Guillemains Handschrift erkannte, durch den Kapaunenstopfer zurückgeschickt; durch jenen Sekretär war dann allerdings der Vorgang stadtkundig geworden. Darum riet ihm der Freund, er möge ganz stille den Cäsar fertigmalen, daß er mit seinem Pinsel wieder gutmache, was er mit seiner Pinselei bei den Leuten verdorben habe. Trete er dann mit dem großen Werke sieghaft hervor, so sei die alte Zopfgeschichte begraben, und der Künstler stehe wieder rein an dem Platz, der ihm gebühre. Aber zu solchem Rate war es bei Guillemain viel zu spät. Also hatte er nicht einmal in der Gefahr des Martyriums oder wenigstens der allerhöchsten Ungnade geschwebt, und nur ein simpler Sekretär war es, der ihm einen Gegenstreich gespielt hatte! Und wegen eines solchen Spieles hatte er die Gunst der ganzen Stadt und das Herz seines Vaters verloren! Da sah man doch recht die Hohlheit unserer Gesellschaft, welche weder Spaß versteht noch Ernst und nur nach den kleinlichsten Rücksichten und Vorurteilen die Menschen und Dinge zu messen weiß!

Nachdem Guillemain diese und ähnliche Gedanken seinem Freunde ausgesprochen, erwiderte derselbe ironisch: »Du hast recht! Das sicherste Mittel, den Ärger über sich selbst zu vergessen, besteht darin, daß man sich über alle Welt ärgert. In dem großen Weltmeer eines stolz aufwogenden Zornes verschwindet dann spurlos das kleine Bächlein der Selbstbeschämung.«

Diese Worte nagten an dem Künstler, denn sie bargen Wahrheit. Der Freund hatte ihm sogar den Trost seines Ärgers genommen! Um die Lücke auszufüllen, spannte Guillemain nun doch den Karton seines Cäsar wieder auf; ihn hungerte nach Arbeit. Allein er erschrak über sich selbst und über sein Werk: es erschien ihm klein und unreif und hatte ihm doch früher so groß und fertig gedünkt. Er fand mit einemmal zuwenig Ideen in seiner Zeichnung, zuwenig Weltgeschichte; er hätte gern mit Frakturbuchstaben auf das Bild schreiben mögen, daß hier die alte Römerfreiheit siegt, um dennoch unterzugehen, und der Usurpator fällt, um in seinem Tode dennoch zu siegen. Aber wie sollte er das mit dem Pinsel seinen Figuren in die Gesichter schreiben?

Dem Freunde predigte er stundenlang von dem hohen Berufe der Kunst, den Mitlebenden die großen Mahnworte der Geschichte in die Seele zu donnern, und von neuen und kühnen Gedanken, welche ihm in diesem Sinne für sein Bild aufgegangen. Allein seine Predigt wimmelte von Fragezeichen und war seltsam sprunghaft und zerrissen, ohne ein abschließendes Wort. Doktor Kringel hörte die Reden anfangs mit wahrer Freundesgeduld als ein gutes Wahrzeichen, daß Joseph wieder mit ganzem Herzen zu seinem Werke zurückgekehrt sei. Dann aber stutzte er und fragte ihn trocken, ob er denn auch wirklich male.

»Törichte Frage!« erwiderte jener im Tone des Zornes und der Selbstironie, »ebendarum rede ich ja so viel über die Malerei, weil's mit dem Malen nicht flecken will!«

Der Doktor sagte: »Ich will dir ein Rezept verschreiben: Denke eine Zeitlang gar nichts mehr und wirf alle Kompositionen in die Ecke. Suche dir einen schönen Mädchenkopf und male ihn rein, wie er dir ins Auge schaut, oder einen alten Bettelmann oder einen hübschen Buben oder meinetwegen einen Pudel, wenn dir kein Mensch sitzen will, daß du wieder Blick und Hand für Form und Farbe gewinnest. Du mußt dir deine Grübeleien hinwegmalen, denn hinwegdenken kannst du sie doch nicht.«

»Da haben wir's!« rief Guillemain. »So urteilt ein gedankenreicher Kopf; wie soll nun der gedankenlose Pöbel urteilen?« Der gute Rat dünkte ihm die schwerste Beleidigung. So wenig hatte der Freund ihn verstanden, daß er ihn wieder in die Schule des Modellsaales zurückschickte! Bisher konnte Guillemain nicht mehr malen, aber er wollte es doch noch; jetzt wollte er es auch nicht mehr, er zeichnete zum Trotz nur noch in Gedanken. Wozu überhaupt noch zeichnen und malen? Die Welt muß erst einmal neu geworden sein, dann werden begabte Geister auch wieder Lust und Muße finden zu einer neuen Kunst. Bis dahin sind es nur die Feigen und Schwachen, die sich hinter die Kunst verstecken und wähnen, die Zeit stehe still, weil sie selber stillestehen. So ungefähr dachte der Künstler, und als ihn der Freund wieder einmal zur Staffelei treiben wollte, sprach er: »Ich habe die Kunst einem höheren Berufe zum Opfer gebracht, freudig und doch schweren Herzens, wie ich vorher die Aussicht auf Amt und Würde, die Gunst meiner Mitbürger, ja die Liebe meines Vaters zum Opfer brachte!«

»Und worin besteht denn dieser höhere Beruf?« fragte der unausstehlich klar denkende Doktor.

»Ich kenne ihn noch nicht genau, aber ich suche ihn«, erwiderte Guillemain geheimnisvoll. Allem Anscheine nach war es ihm noch nicht ganz deutlich, wie die versunkene Menschheit zu erretten sei, nur wußte er, daß die Fürsten nichts taugten und der Adel gar nichts, die Bürger sehr wenig und die Bauern nicht viel. Ja, sogar von sich selbst glaubte er mit unerbittlichem Humor, daß er geradeso schlecht sei wie alle die anderen. Allein er hatte den ernstlichen Willen, sich und die Welt zu bessern, und darum taugte er doch vergleichsweise noch am meisten. Verbittert und friedlos und dennoch gehoben von dem Bewußtsein eines reinen Strebens nach neuen und hohen Idealen, zog er oft wochenlang im Lande umher und ließ den Sturm seiner Seele in Wind und Wetter aufbrausen. »Ich studiere nach der Natur«, sagte er, »der Doktor hat es mir ja so dringend geraten; aber ich studiere die Menschen, wie sie inwendig sind, nicht wie sie in dem Trugbilde von Gesicht und Gestalt erscheinen.« Mit solchen Volksstudien verband er aber zugleich auch die Belehrung des Volkes. Er half den Bürgern die Zeitung lesen, und den Bauern brachte er sie mündlich mit. In Frankreich waren die Notabeln einberufen worden, sie hatten den Minister Calonne in die Flucht geschlagen; mächtig wuchs die Teilnahme des Volkes für die Opposition im Parlamente, auf der Straße schon ertönte der Ruf nach Generalständen. »Das sind die Vorboten einer großen Revolution!« weissagte Guillemain. In Holland war der Erbstatthalter vertrieben worden, die neuen Gedanken von Freiheit und Menschenrechten durchleuchteten die Köpfe, die Patrioten rangen mit den Anhängern des Statthalters. »Seht da!« rief Guillemain, »die Freiheit triumphiert wieder im alten Lande der Freiheit!« In Schweden gärte es unheimlich gegen den König Gustav, der für das Mittelalter schwärmte und Turniere und Ringelrennen hielt und sein Volk in die Zwangsjacke einer allgemeinen Nationaltracht stecken wollte. »Wen Gott vernichten will, den verblendet er«, predigte begeistert der Maler, »und auf das Turnier der Ritter wird das Turnier der freiheitskämpfenden Völker folgen.« In Polen schlich die Empörung heimlich einher, aber Guillemain sah sie schon offen ihre Blitze schleudern. In Belgien verweigerten die Bürger die Steuern und bewaffneten sich gegen die Reformen Josephs zum Kampfe für das Herkommen, und in Ungarn erhob sich der Adel, um für die Leibeigenschaft zu streiten. »Das ist eine niederträchtige Sorte von Revolution«, eiferte Guillemain, »aber die Leute haben doch wenigstens das Zeug, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben; sie wollen sich nicht wie Schafe regieren lassen, wenn auch vom besten Hirten, und das Volk wird von dem Adel lernen, wie man Revolution macht, und wird dann seinen Lehrmeistern auf die Köpfe schlagen. – In allen Winden steigen Wolken auf, sie werden sich zu einem furchtbaren Gewitter über unseren Häuptern sammeln: wohl dem, der sein Haus bereitet hat!« Einige spotteten über diese Predigt, andere ärgerten sich; mehrmals ward der Prophet auch aus den Wirtshäusern hinausgeworfen und geprügelt. Das kümmerte ihn wenig. Er verglich sich bescheiden mit dem Apostel Paulus, der auch viele Schläge erlitten, doch sagte er's nicht laut, weil Bibelzitate nicht im Geschmack der Zeit waren. Da er aber an seine eigenen Reden glaubte und sie in begeisterter Überzeugung vortrug, so bewunderten ihn auch manche und hingen ihm an.

Guillemain verbat es sich, daß man ihn noch einen Maler nenne; er sagte: »Ich bin ein Patriot, weiter nichts, und an diesem Berufe habe ich genug.« Doch merkte er in ruhigeren Stunden, daß dieser Beruf einer festen Form des Wirkens ermangele.

Endlich aber glaubte er auch diese gefunden zu haben. Doktor Kringel wünschte die neue Handhabe für den praktischen Beruf eines Freiheitsmannes zu sehen. Guillemain sprach: »Es ist nur ein Gedanke, eine Sentenz. Sie lautet: Die Freunde der Freiheit haben überall das gleiche Ziel, sie fechten für ein großes Recht, sie können einen Bund durch alle Länder schließen; die Unterdrücker des Volkes dagegen wollen hundert verschiedene Rechte verteidigen, sie liegen ewig mit sich selbst im Hader und bringen es nie zur durchgreifend gemeinsamen Tat. Eigennützige Herrschsucht ist vielgestaltig und entzweit; opferfähige Freiheitsliebe ist einheitlich und verbündet.«

»Sehr wahr!« sprach der Doktor. »Solange es gilt, die gar verschieden gefesteten Zwingburgen niederzureißen, sind alle Freiheitskämpfer einig. Das ist aber nur der erste Akt. Im zweiten soll darauf ein neuer freiheitlicher Staat an der Stelle des zerstörten aufgebaut werden, und ich glaube, dann werden die Befreier doch wieder geradeso uneins, wie es früher die Zwingherren waren. Und so zerfließt deine praktische Handhabe in einen ganz unbrauchbaren Gemeinplatz. Ihr seid nur darum einig, weil ihr überhaupt noch nichts seid und habt und bloß von der Luft des allgemeinen Gedankens zehret.«

Es war zum letztenmal, daß Klingel dem schwärmerischen Freunde so kalt und schonungslos Widerpart gehalten. Guillemain verfolgte seinen Gedanken. Er setzte sich in Briefwechsel und persönlichen Verkehr mit Revolutionären aus allen Ländern; er wollte einen allgemeinen Bund der Freiheitsfreunde gründen, der die wahre weltbürgerliche Brücke schlüge über jede Schranke der Nationalität und emporwüchse zu einer unwiderstehlichen Verschwörung der denkenden Köpfe und unabhängigen Charaktere; er reiste umher in Deutschland, Holland und Frankreich, gewann auch einige begeisterte Jünger und glaubte schon den festen Grund seines furchtbaren Geheimbundes gelegt zu haben. Da aber erfüllte sich die einzige Weissagung, welche ihm der sonst gar nicht prophetische Doktor öfters verkündet hatte: Joseph Guillemain ward im Jahre 1787 unversehens ergriffen und eingesteckt, ich weiß nicht mehr in welchem Reichslande. Man fand stark verdächtigende Briefe, durch welche sich der Faden einer weitgesponnenen Verschwörung zu ziehen schien. Das ganze Gewebe zu entwirren, war eine gar zu reizende Aufgabe für politische und kriminalistische Spürnasen; darum behielt man den jungen Mann in einsamem Gefängnis, denn Einsamkeit macht mitteilsam. Der Angeklagte aber blieb stumm und fest wie jeder echte Schwärmer, und es ist niemals ermittelt worden, ob er schwieg, weil er nichts sagen wollte oder weil er nichts zu sagen wußte.

So lag er denn jahrelang in strengster Untersuchungshaft trotz aller Bemühungen des Vaters und der Mainzer Freunde. Es wäre freilich bequemer gewesen, den Volksverführer rasch abzuurteilen oder kurzweg aus dem Lande zu weisen. Allein in den aufgegriffenen Briefen fand sich ein vornehmer, dem Fürsten des Ländchens nahestehender Mann mehrmals in bedenklicher Weise erwähnt; er schien sogar mit Guillemain korrespondiert zu haben. Der dirigierende Minister hatte jenen Günstling vergebens zu stürzen getrachtet; jetzt konnte er ihn wenigstens in steter Angst halten durch den verhafteten Maler, und das gelang auch vortrefflich. Solange also nicht entweder der Günstling gefallen war oder der Minister, hatte der Gefangene wenig Aussicht, seiner Haft ledig zu werden, und während er glaubte, er dulde als Opfer seines Freiheitsmutes, duldete er eigentlich nur als Opfer einer Hofintrige.

Ist aber einer erst einmal tot, dann gilt es ihm wohl ziemlich gleich, ob ihm seine Krankheit oder sein Doktor den Garaus gemacht; und Joseph Guillemain war tot und begraben für die Welt, und die Welt war abgestorben für ihn. Er sah nur den Schließer des Gefängnisses und in langen Pausen den Richter, der sich die Aufgabe stellte, ewig zu untersuchen und niemals zu richten. Briefe schreiben durfte er nicht, und aus den einlaufenden Briefen teilte man ihm nur etwaige persönliche Nachrichten nach Gutdünken mündlich mit.

Obgleich er aber so schauerlich einsam leben mußte, war er doch nicht allein: hundert Gestalten umschwebten ihn, und rastlos gärte und arbeitete es in seinem Geiste. Er hielt große, gewaltige Volksreden, indem er vor den Ofen trat, der ihm eine Volksversammlung darstellte, und verkündete den Sturz des alten politischen Babels kühner als je in freien Tagen, oder er unterhielt sich stundenlang mit dem Handtuch, welches hinter der Türe hing und ihm für seinen langen, nüchternen Freund Kringel gelten mußte, und machte sich selber alle die spitzigen Einwürfe, welche ihm der Freund gemacht haben würde, um sie samt und sonders zuletzt sieghaft zu widerlegen. Namentlich aber versicherte er dem Handtuch stets aufs eifrigste, daß er keinen Augenblick bereue, ja daß er stolz sei, den Weg gemacht zu haben, der ihn ins Gefängnis geführt, daß er nur um seines Vaters willen betrübt sei, aber einst mit Ehren aus dem verfluchten Loche zu kommen hoffe und daß er heilig glaube, er werde die neue Morgenröte im Aufgang noch mit eigenen Augen schauen.

Guillemain stand fest in seiner Schwärmerei, denn er war langsam und notwendig hineingewachsen. Es gibt keine geschiedeneren Leute als den Spötter und den Schwärmer. Allein der Spötter hatte sich geschämt über einen törichten Spott und im Ärger über sich selbst die Beschämung aus seiner Seele hinweggeärgert und dann im Weltärger den eigenen Arger erstickt; dem Arger über alle Welt entsproßte aber die Begeisterung für die Weltreform, und da kleine Verdrießlichkeiten und Opfer zu einem wirklichen Dulderlose sich gesteigert hatten, so brach aus der Begeisterung endlich die Schwärmerei hervor. Ein rasch aufflackerndes Strohfeuer erlischt auch rasch, aber die langsam genährte Flamme brennt tief und lange.

Hatte der Gefangene sich satt gepredigt gegen den Ofen und sich satt gestritten mit dem Handtuche, dann malte er – doch nicht wie gewöhnliche Maler beim hellen Tageslicht, sondern in den langen, dunkeln Abendstunden. In Gedanken entwarf er ein riesiges Bild: »Das Jüngste Gericht der Völkerfreiheit.« Cäsars Tod war ihm jetzt ein viel zu kleiner und dürftiger Stoff geworden, aber ein politisches Weltgericht, zermalmend groß nach Michelangelos Vorbild, das dünkte ihm ein begeisternder Gegenstand. Unser Herrgott selbst, halb Jehova, halb Jupiter, sollte richtend oben stehen; die blutigen Würgengel der Revolution schmetterten in die Posaunen. Schwarzes Nachtgewölk, von Blitzen fahl durchleuchtet, schattete zur Linken des Richters, wo die schlechten Könige in den Abgrund stürzten, statt des Kopfes eine hohle Krone auf dem Rumpf, von einem züngelnden Flammenmantel statt des Purpurs umlodert; wo die Diplomaten von Schlangen umringelt wurden, die ewig rückschreitenden Pfaffen von großen Krebsen zernagt, die Edelleute von ihren Wappentieren, von echt heraldischen Greifen, Löwen und Adlern zerfleischt oder unten im Abgrunde an vielästige Stammbäume als ihre eigenen Schildhalter aufgehängt; wo die blutsaugenden Reichen und Wucherer mit schweren Geldsäcken am Halse in bodenlosen Schlamm tiefer und tiefer versanken und vergebens den armen Lazarus, den gemeinen Arbeiter, der sich drüben aus seinen Lumpen erhob, anflehten, daß er ihnen das Zentnergewicht ihres Geldsackes abnehmen möge. Zur Rechten des ewigen Richters aber strahlte warmes Sonnenlicht vom blauen Himmel nieder, im Hintergründe sah man die gebrochenen Burgen und die rauchenden Schlösser der Tyrannen, überwölbt vom Regenbogen des ewigen Weltfriedens; Kinder warfen die Mordwaffen des Krieges hinüber in den Abgrund und zerrissen die Urkunden historischer Rechte und Unrechte, daß sie in den Lüften zerflatterten; der Bauer im Kittel, der Handwerker mit dem Schurzfell schwebten aufwärts; halbnackte Bettler und Fürsten, die ihre Krone beizeiten in die Tasche gesteckt hatten, daß sie nur noch ein klein wenig hervorsah, umarmten sich brüderlich; die Herolde der Nationen legten ihre Fahnen voreinander nieder zum Zeichen der Völkerbrüderschaft und des allgemeinen Weltbürgertums, und dem aufsteigenden Zuge der Befreiten voran wallten die Märtyrer der Freiheit, Brutus, Hus, Rienzi, die Gracchen, Wullenweber, Savonarola und viele andere, mit dem Bürgerkranze von Eichenlaub gekrönt und die Palmen des Friedens und der Verklärung in den Händen.

Immer klarer in Form und Aufbau, immer glühender in der Farbe, trat das ungeheuere Bild vor die Seele des Gefangenen, daß er die Gestalten im Kerkerdunkel mit Händen greifen konnte, und manchmal lief es ihm kalt den Rücken herab, so sehr erschrak er vor dem fürchterlichen Gesicht des rächenden und sühnenden Gottes der Freiheit, und er fuhr wohl gar zusammen, weil er schon den ersten Schall der Posaune zu hören glaubte, und es war doch nur das Knarren des Schlüssels und der Angeln, wenn der Wärter die Türe seines Gefängnisses öffnete. Und dann blieb alles wieder stille wie im Grab.

Aber draußen, jenseits des Kerkers, war es derweil nicht stille geblieben. Das Jahr neunundachtzig war gekommen, ein Stufenjahr der Weltgeschichte; – im Sturm flogen die Ereignisse: – jene blutigen Würgengel der Revolution, welche der Gefangene im Traumgesichte seines Bildes sah, schmetterten in Frankreich wirklich in die Posaunen, und ganz Europa fuhr aus dem Schlummer empor; – nur der arme Maler des Jüngsten Gerichtes der Freiheit blieb im Kerkerschlaf gebannt, er ahnte nicht, daß die Völker jetzt schon mit leiblichem Auge schauten, was er bloß dem Auge des Geistes als eine ferne Weissagung vorzudichten gewagt.

Gar oft sprachen die Freunde in Mainz bei den ungeahnten und erschütternden Botschaften, die jeder neue Tag brachte: Was würde Guillemain dazu sagen, wenn er's hörte! wie würde er aufjauchzen! wie würde er uns triumphierend zurufen: Habe ich nicht recht gehabt? Kommt nicht alles, wie ich's prophezeite?

Allein für Guillemain schlich eine Stunde so öde und langsam dahin wie die andere; das Jahr neunundachtzig war ihm ein ganz gemeines Jahr von dreihundertfünfundsechzig Tagen, wenn's nicht zufällig ein Schaltjahr gewesen ist, und die Zeit deuchte ihm so unergründlich still, als sei das Tausendjährige Reich des allgemeinen Weltfriedens bereits angebrochen mit seiner ganzen unergründlichen Langeweile.

Zweites Kapitel

Kurz vor Weihnachten 1792 erhielt Guillemain unerwartet seine Freiheit; die Untersuchung wegen der Mitverschworenen wurde niedergeschlagen, und für die fünfjährige Haft konnte er sich als eine gnädige Strafe seiner Umtriebe bedanken. Im Grunde aber ließ man ihn aus politischen Rücksichten frei, wie man ihn aus politischen Rücksichten so lange festgehalten hatte, und befahl ihm auch zum Überflusse noch, binnen vierundzwanzig Stunden das Land zu räumen; – Guillemain wäre schon von selbst gegangen.

Ja, er ging nicht, sondern er lief zum Lande hinaus, obgleich es ihm sauer ward und schwindelte vor der frischen Luft und der ungewohnten Bewegung. Aber die Stadt, die Häuser waren ihm zu enge, er wollte wieder einmal ein recht großes Stück Himmel sehen und Wald und Feld, Berg und Fluß; nur in Gottes freier Natur konnte er sich ja wieder ganz als ein freier Mann fühlen. Leider trugen seine Beine diesen Freiheitsrausch nicht lange, sie mußten erst wieder gehen lernen, und der arme Guillemain kam vom Laufen bald ins Schleichen und hinkte recht erbärmlich und doch überselig die menschenleere Landstraße entlang und wußte gar nicht recht, wohin er eigentlich hinke; er hinkte nur so im allgemeinen in die Freiheit hinein.

Um Waldessaume stieß ein fein frisiertes Männlein zu ihm und blickte ihn staunend und lächelnd an, denn Guillemain sah in der Tat gar seltsam aus. In den fünf Jahren war keine Schere über sein Haar, kein Messer über seinen Bart gekommen, und die langen Locken fluteten wild auf Brust und Schulter herab, und da sein Rock zudem etwas verschabt und sein Gang so jammervoll war, so konnte er wohl für einen Stromer vom echtesten Schlage gelten.

»Schönes Wetter!« rief ihm der andere zu, »und schöne Haare tragt Ihr, wunderschöne Haare«, und prüfte sie mit Kennerblick. »Vor einem Jahre noch hätte ich Euch sechs Batzen für Euer Haar geboten, aber jetzt sind schlechte Zeiten; die Leute fürchten sich fast, Zopf und Perücke zu tragen, und seit in Paris die Köpfe so wohlfeil geworden, gehen die Menschenhaare im Preise herunter wie die Assignaten.«

Der fein frisierte Mann war augenscheinlich ein Perückenmacher. Guillemain sah ihn fragend an und sprach: »Also kommen die Zöpfe aus der Mode?«

»Freilich! und auch der Puder. Seit die Ohnehosen in Mainz hausen, beginnt die Unnatur des ungepuderten Kopfes sogar auf dem rechten Rheinufer erschreckend um sich zu greifen.«

Guillemain staunte wie ein Kind über alle die unverständlichen Worte: – Ohnehosen – wohlfeile Köpfe – Assignaten. »Die Ohnehosen?« fragte er, »was sind das für Leute?«

Jetzt sah ihn der Perückenmacher an, als verstehe er ihn nicht. »Nun, die Sansculotten, wenn Ihr's auf deutsch hören wollt, – die Franzosen meine ich, die freien Neufranken; denn alles hat jetzt neue Namen.«

»Wie!« rief Guillemain erschrocken, »die Franzosen in Mainz?«

Nun kam aber die Reihe zu erschrecken auch an den Perückenmacher, »Das wißt Ihr nicht?« fragte er mit verdächtigem Seitenblicke auf das wilde Gesicht und den starrenden Blick des Fragers. »Man meint, Ihr seiet von gestern!« und er begann allgemach seinen Schritt zu beschleunigen.

Aber Guillemain hielt ihn am Rockzipfel. »Nicht von gestern, Freund, ich bin von fünf Jahren her. Aber erzählt mir doch! Also führt der König von Frankreich Krieg mit dem Reiche?«

»Der König von Frankreich? Nein! Der ist ja längst unter Vormundschaft gestellt.«

»Ist er wahnsinnig geworden?«

»Nein! Aber sein Volk ist wahnsinnig geworden; darum läßt es sich die Haare wachsen ungepudert und steckt seinen König ins Gefängnis und hält Gericht über ihn, und man sagt, der König könne bald um einen Kopf kürzer werden wie so viele andere.«

Guillemain ließ den Rockzipfel des Perückenmachers los und hob die Hände empor wie zum Gebet. »Also ist das Jüngste Gericht der Völkerfreiheit wirklich angebrochen! Es war kein bloßer Traum, den ich in Gedanken malte. Wie Sterbende fernen Freunden erscheinen in der Sterbestunde, so erschien mir der richtende Gott der Tyrannen in der Stunde, da er wirklich seinen Stuhl bestieg!«

»Pfui Teufel, Ihr seid auch so ein Jakobiner!« platzte der Perückenmacher heraus, erschrak aber sogleich über sein eigenes Wort und fügte begütigend hinzu: »Doch sage ich immer, die Jakobiner sind großenteils besser, als man sie malt; Marat zwar trägt seine Haare wild und struppig um den Kopf, aber Danton hat doch wenigstens noch eine Phantasielocke über jedem Ohre behalten, und Robespierre läßt sich zierlich frisieren und schmückt sich sogar mit einem kleinen Haarbeutel. Ich sage immer, Robespierre ist ein feiner Mann, und er meint es ernst mit dem Volkswohle. Ihr solltet Euch doch auch wenigstens die zwei Locken Dantons über die Ohren ringeln lassen.«

Diese Worte aber verhallten ungehört, denn Guillemain stürmte atemlos mit Fragen auf den Perückenmacher. Er sollte geschwind erzählen, wie das alles gekommen sei in Frankreich und wie es in Deutschland stehe und ob es noch einen Römischen Kaiser gebe und Kurfürsten und Herren und Diener überhaupt und ob der Papst noch in Rom sitze und hundert ähnliche Kleinigkeiten mehr.

Der Perückenmacher erwiderte: »Beantwortet mir doch erst eine einzige Frage gegen so viele: wie kommt es, daß Ihr allein nicht wisset, was alle Welt weiß?«

»Das ist bald gesagt. Ich habe fünf Jahre im Zuchthaus gesessen und komme eben geradenweges aus dem verdammten Loche.«

»Entschuldiget: ich muß jetzt seitab gehen; da drüben ist eine Holzversteigerung«, rief der Perückenmacher und lief, was er laufen konnte, quer in den Wald hinein. Er hatte bisher nur geglaubt, dem Manne rappele es ein wenig im Kopfe; jetzt sah er einen Verbrecher vor sich, einen Räuber, einen Mörder.

Allein Guillemain sprang ihm nach, würde ihn jedoch schwerlich eingeholt haben, wenn der Flüchtling nicht mit seiner Frisur wie Absalom an einem hochwüchsigen Wacholderbusche hängengeblieben wäre.

»Ich bin kein Räuber«, sprach Guillemain und packte den zitternden Haarkräusler fest beim Arme; »nehmt meine Uhr, nehmt meine Börse als Pfand, daß ich Euch nicht ausplündern will. Aber Ihr müßt mit mir gehen und mir erzählen. Ein anderer würde sich an edlem Weine erquickt haben nach fünfjähriger Qual und Entbehrung: Eure Worte sind mir ein erquickender, berauschender Wein; ich will erzählt haben, wie die Welt sich verjüngt hat, so erzählt, erzählet nur!«

»Der Mann ist wirklich kein Räuber«, dachte der andere jetzt, »er ist zu verrückt für eine so solide Profession.« Und also folgte er ihm und erzählte, was er wußte, bunt durcheinander wie Kraut und Rüben: von den Septembermorden und von Freiheit und Gleichheit, vom Staatsbankerott und »Krieg den Palästen, Friede den Hütten«, von Emigranten und Nationalkokarden, vom Veto und den Menschenrechten, von den Klubbisten und dem Herzog von Braunschweig, und warf die Notabeln, das Parlament, die Nationalversammlung, den Konvent und den Munizipalrat in grausamem Wirrsal durcheinander. Und während er so berichtete, warum der König sitze und warum so viele andere gesessen hätten und geköpft worden seien, wollte er zwischendurch immer wieder erforschen, warum denn nun eigentlich sein Begleiter gesessen habe; dieser aber schnitt ihm jede Abschweifung vom Grundtext sofort am Munde ab und trieb ihn zur Revolution zurück, und als sie endlich im nächsten Dorfe sich trennten, da war dem Perückenmacher der Atem und der Redestoff vollständig ausgegangen, was ihm außerdem nie in seinem Leben begegnet sein soll.

Unserem Freund Guillemain aber brauste der Wein, den ihm der Perückenmacher eingeschenkt, dergestalt im Kopfe, daß er notwendig ins Wirtshaus gehen und eine wirkliche Flasche daraufsetzen mußte, um Feuer durch Feuer zu bändigen. Es war die wonnigste Stunde seines Lebens, seine ganze Seele Jubel und Jauchzen; er hätte den Hausknecht und die Kellnerin umarmen mögen, da gerade kein anderer Mensch im Zimmer war; allein die letzten fünf Jahre hatten ihn Verschlossenheit und Zurückhaltung gelehrt.

Es brauchte lange Zeit, bis er seine Gedanken von Frankreich, Europa und der Menschheit wieder auf sich selbst zurücklenkte und sich fragte, wohin denn nun eigentlich sein Weg gerichtet sei. Er beschloß, sofort nach Mainz zu gehen und später nach Paris, wobei er freilich geradeaus wieder umkehren mußte, denn er war bisher nur seiner Nase nach gelaufen und zufällig in die ganz entgegengesetzte Richtung geraten. Allein wer so lange gesessen hat, dem schaden ein paar Stunden Umweg nichts.

Also brach er auf nach der befreiten Vaterstadt.

Wie ein Träumender zog er seine Straße, und was er anfangs von den Welthändeln weiter vernahm, das steigerte nur den Taumel seines Geistes. Allein nichts macht auch allmählich gedankenklarer als ein strenger Fußmarsch in schneidender Dezemberluft. Je mehr Guillemain Mainz sich näherte, um so schärfer durchdachte er alle Nachrichten. Da stiegen ihm denn manche trübe Zweifel auf. In Paris ging es doch recht polnisch zu, am Rhein entbrannte ein Krieg von sehr Ungewissem Ausgang, und im übrigen Reiche war noch alles beim alten. Guillemain hatte sich das Gericht der Völkerfreiheit doch etwas anders gedacht.

Geteilt zwischen Begeisterung und Zweifeln, kam er gegen Mainz. Da hörte er, die Franzosen ließen wohl jeden hinein in die Stadt; um aber wieder herauszukommen, bedürfe es besonderen Ausweises, der nicht immer erteilt werde. Seltsame Freiheit! Sie erinnerte ihn stark an sein Gefängnis, wo er auch so leicht hinein und so schwer wieder herausgekommen war. Er stutzte; und während er früher überall so ungestüm ins Zeug gerannt, wurde er jetzt auf einmal vorsichtig, weil er schon meinte, daß die Leute denn doch mit der Revolution etwas zu ungestüm ins Zeug gerannt seien.

In Hochheim rastete er darum vorläufig einen Tag und schickte einen Boten zur Stadt an den Doktor Kringel. Der kam alsbald heraus. Welches Wiedersehen! Der sonst so kritische Kringel weinte wie ein Kind; Guillemain schien etwas ruhiger, und doch wogte und tobte es in ihm, daß er kaum reden konnte. Seine erste Frage waren die Worte des alttestamentlichen Joseph, da er seine Brüder wiedersah: »Lebt mein Vater noch?«

»Er lebt!« erwiderte der Freund, etwas betroffen, daß man in solcher Zeit zuerst nach einem Vater fragen könne. »Er lebt und ist wohlauf, aber er lebt so insgeheim; wir Patrioten hingegen leben nur noch öffentlich. Wir sind frei! O mein Freund, hörst du das himmlische Wort? Wie Großes ist geschehen, seit wir auseinandergingen! – wie ganz erfüllte sich, was du einst vorhergesagt! – wie fehltest du uns! – wie oft sprachen wir: wenn du nur wiederkämest, wenn du nur nacherlebtest, was wir vorerlebt haben!«

»Nacherlebtest?« fragte Guillemain, – »vielleicht habe ich in meinem Kerker mehr vorerlebt, als ihr jemals nacherleben werdet. Es ist auch gar nicht alles so gekommen, wie ich es gewünscht und gehofft. Doch das ficht mich nicht an, euch aus vollem Herzen zuzujubeln, und ich freue mich auf den Anblick eures freien Gemeinwesens wie ein Kind auf Weihnachten.«

Der Doktor fand diese Worte etwas kühl. Allein um so rascher mußte man Guillemain in den vollen Strom hineinschleudern. Also mahnte er zum augenblicklichen Aufbruch nach Mainz.

Unterwegs hätten sich beide in aller Freundschaft beinahe die größten Grobheiten gesagt, und zwar über einen französischen Vorposten, dem sie begegneten. Kringel, der sich fortwährend einen Patrioten nannte, forderte von dem Freund, er solle sich freuen, daß er jetzt die ersten Franzosen auf Reichsboden sehe. Guillemain sagte: »Im Gegenteil, ich bin so frei, mich darüber zu schämen.« Der Doktor schwieg. Nach einer Weile deutete er auf die starken Schanzarbeiten, zu welchen die Bauern der Umgegend von den Franzosen gezwungen wurden, und sprach: »Die Deutschen drohen zwar, Mainz zurückzuerobern, aber wir Patrioten sind wohlgerüstet und fürchten den Feind nicht.«

»Das ist eine neue Welt!« rief Guillemain. »Was für ein Patriot bist du denn eigentlich, wenn du die Deutschen Feinde nennst?«

»Ich bin ein Patriot im Lande der Freiheit, und alle Knechte sind unsere Feinde.«

Guillemain erwiderte: »Da ist nun die Sache wieder etwas anders gekommen, als ich gehofft hatte. Kann man die Bürger frei machen, indem man die Völker unterjocht? Die Franzosen werfen uns die Freiheit an den Kopf unter Sengen und Morden, ganz wie die alten Despoten die Knechtschaft. Ich dachte, freie Völker sollten sich nur im Frieden verbünden und nach freier Wahl. Mit dem Erobern hört ja die Freiheit von selber auf.«

»Das verstehst du nicht«, unterbrach ihn Kringel. »Zuerst muß der Schrecken der Freiheit kommen, dann kommt der Weltfriede. Urteile überhaupt nicht zu vorschnell. Du siehst eine fertige neue Zeit; wir erlebten die Geschichte, wie sie erwuchs, und eben diese Geschichte, die du im Kerker verschlafen, hat selbst mich, anfangs den nüchternsten Gegner des Völkersturmes, widerstandslos mit sich fortgerissen.«

Guillemain dagegen meinte: Umgekehrt! er sei Schritt für Schritt durch alle Stufen des großen und kleinen Martyriums zum wahren Jünger der Freiheit durchgedrungen, darum urteile er jetzt besonnen, Kringel hingegen vorschnell, denn dieser sei plötzlich kopfüber in ein neues Leben hineingestürzt und folglich fanatisch wie alle Konvertiten.

Hiemit war das erste Scheltwort gefallen, und bald flogen die beleidigenden Trümpfe herüber und hinüber, wie wenn sich zwei Knaben mit Schneeballen werfen, aber die Ballen waren in Eiswasser gehärtet und mitunter auch Steine darin.

Zum Glück kamen die Freunde gerade an die Rheinbrücke, als der Zwist zum offenen Bruche umzuschlagen drohte. Der Anblick der Vaterstadt, wie sie im Abendlicht so königlich stolz an dem großen Strome sich erhob, griff dem heimkehrenden Verbannten so mächtig ans Herz, daß er kein Ohr mehr für die bösen Worte behielt und dem Freunde statt aller weiteren Gegenrede schweigend die Hand drückte. Der Doktor aber verstand, was in der Seele des anderen vorging, und als sie über die Brücke schritten, waren sie wieder versöhnte Leute: das natürliche Heimweh hatte ihren spitzigen Widerstreit über den Patriotismus gelöst, das dunkle Gefühl die klaren Gedanken verschlungen.

Guillemain wollte sofort in das Haus seines Vaters, doch Kringel hielt ihn zurück. Nur eine Stunde möge er vorher der heiligen Sache der Freiheit widmen. Der Klub der Freiheitsfreunde war eben jetzt versammelt. Es mußte höchst dramatisch wirken, wenn Guillemain so, wie er ging und stand, mit den langen, ungekämmten Haaren, bestaubten, abgetragenen Kleidern, todmüde und doch aufs heftigste erregt, in die Versammlung geführt wurde, ein Opfer politischer Verfolgung, wie es eben ganz frisch aus dem Kerker kam.

Der Wiedererstandene wollte sich vorher wenigstens kämmen und bürsten. Kringel widersprach. »Meinetwegen«, sagte Guillemain, »ich bin noch immer Künstler genug, um zu wissen, daß Schmutz und Unordnung meist malerischer sitzen als eine saubere Toilette.«

»Lieber Freund!« rief Kringel heftig, »aufs Malerische kommt es gar nicht an; wozu überhaupt jetzt noch die Malerei? Aber republikanischer siehst du aus, ungekämmt und ungebürstet, dazu auch etwas märtyrerhafter. Nur eines Schmuckes bedarfst du noch, der jeden anderen aufwiegt, – der blauweißroten Kokarde, des Wahrzeichens der Freiheit.«

Kringel trug ein ungeheuer großes Exemplar dieses Wahrzeichens an seinem Hute.

»Ich bin ein Freiheitskämpfer«, erwiderte Guillemain, »also will ich auch mit Stolz die Kokarde tragen, nur bitte ich um ein kleineres Format als das deinige.«

»Das darfst du nicht!« fuhr Kringel dazwischen. »Die heimlichen Royalisten tragen kleine Kokarden: du würdest verdächtig erscheinen.«

»Verdächtig!« wiederholte Guillemain mit tief ironischem Nachdruck. »Das Wort ist ja vorrevolutionär, und ich glaubte, die entflohenen Despoten hätten es unter ihrem anderen Plunder mitgenommen. Aber ich bin kein heimlicher Royalist, also hinweg mit der kleinen Kokarde: ich will eine recht große, doppelt so groß wie die deinige.«

»Das sähe aus wie Spott und Hohn«, rief Kringel, »und die Franzosen im Klub würden dir's besonders übel vermerken; sie sind verteufelt empfindlich für das Lächerliche.« »Aber was gehen mich die Franzosen an!« entgegnete jener. »Ich will die Freiheit haben, frei zu wählen. Quälst du mich doch mit deiner republikanischen Etikette, als ob wir zu Hofe gehen wollten! Doch das sind Spielereien, mir ist die Sache heilig und jede Kokarde recht. Nenne mir lieber jetzt noch die Haupthelden eures Klubs, bevor wir hingehen.«

Der Doktor nannte Georg Forster – »er war doch nur erst als ein Dilettant von einem Weltumsegler bekannt«, bemerkte Guillemain, »zur Zeit, da ich schon als ein fachgemäßer Weltverbesserer gestritten und gelitten hatte«, – Hofmann und Böhmer – »zwei unbedeutende Schulmeister, die sind also jetzt Meister des Volkes geworden!«, – Dorsch – »der Pfaffe?« fragte Guillemain. »Er war ein Priester«, entgegnete Kringel, »allein er hat den Aberglauben abgeschworen und ein Weib genommen.« – »Das war etwas vorschnell«, fiel Guillemain ein. »Auch Luther wäre klüger gewesen, wenn er seine Käthe nicht gar zu geschwind geheiratet hätte. Ehrlich gestanden, mir gefällt es nicht, daß ich fort und fort nur neue Namen höre, die über Nacht wie Pilze aufschießen in Mainz wie in Paris. Es ist unerträglich, sich überall von Helden umringt zu sehen, die seit ein paar Monaten erst aus dem Ei geschlüpft sind.«

Es schien in der Tat fast, als hätten die beiden Freunde in den fünf Jahren ihre Seelen ausgewechselt und Kringel sei Guillemain geworden und Guillemain Kringel. Und doch waren sie die gleichen geblieben, nur daß Kringel die Revolution schrittweise miterlebt hatte und Guillemain dieselbe mit einemmal fix und fertig aus dem Boden gewachsen fand. Der schwärmerische Maler prüfte und verneinte, weil alle Welt ihm mit einer unerhörten Schwärmerei unheimlich fremdartig gegenübertrat; der nüchterne Arzt dagegen schwärmte, weil die Schwärmerei ja ganz unvermerkt Mode geworden war.

Nach den letzten Ausrufen seines wiedergefundenen Freundes aber bereute er beinahe, daß er ihn so unvorbereitet hatte in den Klub führen wollen. Doch da war jetzt nichts mehr zu ändern; sie gingen hin, Guillemain befangen in zweifelnder Erwartung, Kringel nicht minder befangen in heimlicher Furcht.

Allein diese Furcht schien grundlos gewesen zu sein. Der weiland verfolgte, jetzt wie vom Tode erstandene Maler wurde von den versammelten Freiheitsfreunden mit wahrhaft brüderlichem Willkomm begrüßt, und obgleich es ihn anfangs sichtlich belästigte, daneben wie ein Wundertier angestaunt zu werden, so schien er doch bald heimisch in dem Kreise. Übrigens befremdete es ihn, hier überhaupt nur wenig alte Bekannte, dagegen viele neue Leute zu finden, ein buntes Gemisch von Deutschen und Franzosen.

Kringel atmete wieder auf, denn Guillemain benahm sich ja ganz gut. Und doch war es dem Doktor immer, als müsse es heute abend noch einen rechten Skandal geben; darum hütete er den Freund wie ein kleines Kind und wachte über jedem seiner Worte. Doch Guillemain schien nur zu beobachten, sein glühendes Auge folgte gespannt den Rednern, aber kein Zeichen von Beifall oder Mißfallen spielte um seine Lippen; sein Benehmen im Gespräch zeigte durchaus den bescheidenen Gast, der achtsam zuhört und teilnehmend eingeht auf fremden Meinungstausch, ohne die eigene Ansicht irgend vordringlich geltend zu machen.

Da kamen Guillemains Nachbarn in vertraulichem Geplauder auf einen Gegenstand, welcher ihn sichtbar zu packen schien; man sah, er zitterte, er spannte darauf, einzuspringen mit schlagendem Wort, so recht von innen heraus. Kringel erschrak; – »Sollen wir jetzt nicht nach Hause gehen zu deinem Vater?« flüsterte er ihm ins Ohr.

»Jetzt nicht! Widmen wir der Freiheit noch eine Stunde!«

Die Leute redeten von der Konstituierung des linken Rheinlandes als einer neuen Provinz der Freiheit und vom freiwilligen Anschluß derselben an das große Mutterland Frankreich. Guillemain aber merkte bald, daß hierüber unter den Freiheitsfreunden selber eine heftige Parteiung bestand und daß zudem die meisten Mainzer Bürger nicht recht anbeißen wollten, ihre eigene Stadt dem Reichsfeind auf dem Präsentierteller anzubieten.

»Man muß sie in ihr Glück hineinängstigen«, sagte halblaut ein Klubbist, »man muß sie mit verbundenen Augen aus dem Feuer führen«, fuhr ein anderer fort.

»Wie die Ochsen, wenn der Stall brennt«, vollendete Guillemain trocken und mit erhobener Stimme. »Geradeso sprachen vordem auch die alten Fürsten.«

Alle horchten auf und staunten. Das war eine fremde Tonart.

Kringel aber flüsterte dem Freunde zu, um das Gespräch wieder etwas enger und persönlicher zu machen: »Hast du nicht selbst gar oft gesagt, wie es besser werde in der miserablen Welt, das sei dir ganz gleich, wenn es nur besser werde?«

»Habe ich das gesagt«, rief Guillemain, der schon nicht mehr zu halten war, »so habe ich eine Dummheit gesagt, wofür ich jetzt täglich neue aufklärende Ohrfeigen bekomme.«

Und alsbald war er mitten im heißesten Wortgefechte mit den andern und verwies ihnen ihr gewaltsames, undeutsches Vorgehen. Man widerlegte und überschrie ihn, verspottete ihn, warnte und drohte. – Alles vergebens: – Die Schleusen waren durchbrochen, und Guillemain ergoß jetzt im vollen Strome alle den Tadel über die Sünden und Schwächen der Revolution, der sich seit dem Gang mit dem Perückenmacher in seinem Geiste angesammelt hatte.

Umsonst rief Kringel entschuldigend dazwischen: »Der Mann hat so lange im Dunkel gesessen, daß ihm jetzt die Augen tränen beim Sonnenglanze der Freiheit!« und dann wieder: »Er kennt die Verkettung der Tatsachen nicht, er hat ja fünf Jahre verschlafen, die ein Jahrhundert aufwiegen!« Guillemain ließ sich nicht irren, und die anderen fielen immer wütender aus gegen den seltsamen Märtyrer, der aus lauter Freiheitsidealismus zum besten Anwalte der Reaktion wurde.

Als aber immer wuchtigere Drohworte hereinplatzten und andererseits einige den überkühnen Sprecher freundschaftlichst an die Gefahr mahnten, der er sich preisgebe, da war Guillemains Zorn gar nicht mehr zu bändigen. Wie ein Donner im Sturm dröhnte seine Stimme in den Tumult hinein: »Ich fürchte keine Gefahr, und die neuen Gewaltsherren schrecken mich sowenig als die alten! Darum erkläre ich: hier wie in Paris herrscht eine kleine Minderzahl kraft des Schreckens, mit welchem sie die Bürger bannt, nicht kraft des Volkswillens; hier wie in Paris – – –«

Die weiteren Worte wurden verschlungen von dem Sturme des Unwillens, der jetzt den Donner der einzelnen Stimme völlig überbrauste. Allein Widerspruch steigert den Widerspruch, und der tosende Lärm wirkte auf den zornglühenden Redner wie ein Trommelschlag auf einen Soldaten: er entflammte das echte Schlachtenfieber. Als darum der Lärm endlich so weit nachließ, daß man schreiend sein eigenes Wort wieder verstehen konnte, sprach Guillemain:

»Man hat mir erzählt, es liegen in dieser Stadt zwei Bücher auf, ein rotes und ein schwarzes« – der Redner machte eine Pause, und die ganze Versammlung ward still und lauschte –; »in das rote Buch schreiben sich die Anhänger der neuen Ordnung, in das schwarze sollen sich die Gegner derselben einzeichnen. Viele Namen stehen bereits, so sagt man, in dem roten Buche, kein einziger in dem schwarzen. Aber viele müßten sich nach ihres Herzens Meinung wohl in das schwarze Buch schreiben, so sagt man, doch keiner wagt es. Nun höret! Ich habe vor Jahren als der erste in Mainz gewagt, für die Freiheit der Bürger die Freiheit meiner Person einzusetzen. So wage ich denn auch heute das gleiche, ja ich wage sogar meinen Kopf für diese Freiheit: ich schreibe meinen Namen als der erste in das schwarze Buch! Und wenn ihr mir entgegnet: durch das schwarze Buch sprichst du zugleich den Wunsch nach Rückführung der alten Zustände aus, so antworte ich als freier Mann: Die alten Zustände waren herzlich schlecht, aber die neuen sind noch viel schlechter.«

Guillemain schwieg, aber auch die anderen schwiegen. Durch starres Schweigen spricht der höchste Unwille wie der höchste Beifall; nur hier und da vernahm man ein halblautes: »Pfui!« Aber Doktor Kringel, der treue, wenn auch allezeit gegnerische Freund, erkannte, daß Guillemain jetzt wirklich in persönlicher Gefahr schwebe, denn mit Custine und seinen Franzosen war nicht zu spaßen. Darum ergriff er den Freund, der nur vom Platze aus gesprochen, am Kragen und riß ihn auf die Rednerbühne.

»Sehet hier«, rief er auf französisch, »das Opfer der Tyrannei! Fünf Jahre einsamen Kerkers haben den sonst so klaren Geist verwirrt, daß er wie im Wahnsinn redet, ja er ist ein Wahnsinniger! Der von Folterqualen gebrochene Körper eines solchen Opfers würde schon euer Mitleid erregen und euern tiefsten Grimm gegen seine Peiniger: wieviel tieferes Mitleid weckt uns aber dieser von Folterqualen gebrochene und verwirrte Geist! Bürger! Sprecht euer Mitleid aus für meinen unglücklichen Freund in einem Fluch auf seine Kerkermeister und Folterknechte!«

Die theatralische Szene wirkte. Guillemain mit dem wildflatternden Haare, dem totenbleichen Gesicht, den rollenden Augen, den gekrampften Händen sah in der Tat einem Wahnsinnigen ähnlich genug, und sein vergeblicher Protest, daß nicht er verrückt sei, sondern höchstens sein mitleidiger Freund, der ihn für verrückt erkläre, steigerte noch die naturwahre Täuschung des Eindruckes. Die anwesenden Franzosen zumal glaubten, der Mann sei wirklich wahnsinnig, denn der deutschen Sprache nur halb mächtig, hatten sie die genügend klaren Reden Guillemains ohnedies nicht recht begriffen; desto überzeugenderen Eindruck machte ihnen die Gruppe auf der Rednerbühne und die französischen Worte des Arztes. Die Deutschen dagegen waren froh, daß man den Unruhestifter mit so guter Manier für ihn und andere unschädlich gemacht, sie umringten ihn und halfen dem Arzte, seinen zur Unzeit wiedererstandenen Freund endlich mit heiler Haut aus dem Saale zu bringen.

Draußen überhäuften sich die beiden noch eine Weile mit Vorwürfen: Kringel den Guillemain, weil er ihn so schändlich bloßgestellt, Guillemain den Kringel, weil er ihn öffentlich für verrückt erklärt habe.

Die Stille der kalten, klaren Nacht mit ihrem wie zum ewigen Frieden leuchtenden Sternenhimmel brachte Guillemain wieder zu ruhigeren Sinnen. Er schwieg und sammelte sich aufs Wiedersehen seines Vaters; der Arzt aber ließ ihn nicht eher los, als bis sich die Türe des elterlichen Hauses geöffnet hatte, und stand noch eine Weile Schildwacht auf der Gasse, denn er fürchtete immer, sein Freund möge wieder in den Saal zurücklaufen und sich als nicht wahnsinnig ausweisen.

Der alte Guillemain erschrak, indem er den verwilderten Mann mit der großen Kokarde ins Zimmer treten sah; denn als ein schweigender Gegner der Revolution fürchtete er schon lange, mißhandelt oder aufgehoben zu werden. Als er aber in der verdächtigen Gestalt den Sohn erkannte, vergaß er alles Herzeleid, das er seinetwegen ausgestanden, und allen Widerwillen gegen die dreifarbige Kokarde und fiel ihm um den Hals und weinte und hatte nur noch ein Herz für den wiedergefundenen Sohn.

Wie innig wohl tat es Joseph, daß er nach so vielen Jahren zum erstenmal wieder rein menschlich von einer mitfühlenden Menschenseele, vom Vater, den er so tief betrübt, sich angesprochen fühlte. Er hatte dieses Wiedersehen oft gar rührend sich ausgemalt und vorgeträumt, aber auch hier war die Erfüllung ganz anders als das Phantasiegebilde der Hoffnung: der selige Augenblick war unendlich rührender und schöner, als er ihn je hatte vorempfinden können, und der altmodisch gesinnte Vater fragte ihn gar nicht, wie er denn schon so geschwind zu der großen Kokarde gekommen und ob er auch gleich wieder ein Revolutionär neuen Stiles geworden sei. Er sprach bis tief in die Nacht hinein als der Vater mit seinem Kinde und ließ es sich nicht einmal merken, wie schweren Kummer ihm dieses Kind gemacht.

Am anderen Morgen griff Joseph Guillemain vor allen Dingen zum Rasiermesser und ließ sich das Haar schneiden und einen Zopf flechten. Er sagte: »Man hat mir verwehrt, meinen Namen in das schwarze Buch zu schreiben; so will ich denn in anderer Form öffentlich Zeugnis geben von meinem ungebrochenen Freiheitsmute. Als alle Welt Zöpfe trug, schnitt ich den meinigen ab; jetzt, wo die Zöpfe verpönt und mißachtet sind, kehre ich wieder zum Zopfe zurück. Der rechte Freiheitsmann handelt und duldet immer mit der Minderheit, denn bei der großen triumphierenden Masse ist und war die Freiheit niemals.«

Da man nun aber Herrn Guillemain über Nacht wohlfrisiert und mit einem Zopfe erscheinen sah, so gewann der Glaube, daß er verrückt geworden, auch unter den Deutschen in Mainz bedeutend an Festigkeit. In der Tat jedoch bekundete der Mann mit dem Zopfe seinen klaren Verstand vor anderen darin, daß er seine eigene Ohnmacht angesichts des Weltsturmes bald genug begriff, sich grollend in sich selbst zurückzog und Mainz zur rechten Stunde verließ, um erst wiederzukommen, als die Deutschen die Stadt zurückerobert hatten.

Trotz aller Wechsel der Mode und der Politik trug er fortan seinen Zopf, nicht als den Zopf des Rückschrittes, sondern als den Zopf des Eigensinns. Unzufrieden mit jedem bestehenden Zustande, hegte und veredelte er zwar getreulich sein Ideal einer besseren Zeit, allein niemals gelang es ihm, dasselbe der gegebenen Weltlage anzupassen; es fehlten ihm eben fünf Jahre erlebter Geschichte, in welchen der Schlüssel für die ganze nächste Zukunft lag. Er kehrte zurück zum Epigramm, womit er begonnen; er blieb ein politischer Kopf und obendrein ein Republikaner, aber er hatte kein Herz mehr für die tatsächliche Politik.

So blieb er auch in Gedanken ein Maler, aber er malte nicht mehr. Er redete oft von seinem neuesten Karton, dem Völkergerichte der Freiheit, doch nie entschloß er sich, auch nur das Papier zum ersten Entwurf über den Holzrahmen ziehen zu lassen.

Wie aber die erste Periode seines Lebens durch den unvollendeten Tod des Cäsar bezeichnet war und die zweite durch das niemals begonnene Jüngste Gericht, so hatte auch die dritte ihr neues symbolisches Kunstwerk gefunden. Er sprach nämlich viel von einem philosophisch-politischen Roman, mit welchem er sich trage. Eine Schar der wütendsten Jakobiner, die beim Sturze der Schreckensherrschaft der Guillotine entrann, war nach Cayenne verbannt worden. Dorthin kommt nachgehends auch eine Anzahl später geächteter Royalisten. Zwei der entschiedensten Charaktere aus diesen beiden Lagern begegnen sich in der mörderischen Fiebereinöde, wo sie gemeinsam leben und arbeiten müssen. Der Jakobiner erfährt von dem Todfeinde, wie trotz des Sturzes seiner Gegner, den er gehofft und geweissagt, dennoch die rote Republik nicht gesiegt hat; die Geschichte ist ihren eigenen Weg gegangen, weitab von der Linie, welche er ihr im Geiste gezeichnet. Der Royalist hofft noch und entwirft kühne Bilder vom Wiedererstehen des Königtums und lebt in giftigem Zwiste mit dem bereits stumpf entsagenden Jakobiner. Als aber nun die Botschaft auch zu dem fernen Lande hinüberdringt, daß Napoleon den Stuhl seiner Kaiserdespotie auf die Trümmer der Republik gestellt habe, da erkennt auch er, wie alle Traumbilder von künftiger Gestaltung der Völker und Staaten eitel und unwahr sind, und er reicht dem Jakobiner die Hand als dem einzigen Wesen, welches sich mit ihm wenigstens bis aufs Blut zu zanken und also auch menschlich mit ihm zu empfinden vermag, und beide, die über der Politik vergessen hatten, daß sie Menschen waren, finden zuletzt Versöhnung und Sühne in menschlich-brüderlichem Gemeinleben, ja sie einigen sich auch politisch wenigstens darin, daß sie die ganze europäische Politik möglichst weit hinwegwünschen von dem Lande, wo der Pfeffer wächst; – denn in diesem Lande lebten sie ja selbander.

Es war der tragische Roman seines eigenen Lebens, den Guillemain solchergestalt in fremder Szenerie sich auszudichten unternahm.

Berühmter aber als durch dieses ungeschriebene Buch und die ungemalten Bilder war und blieb er durch seinen wirklich ausgeführten Zopf. Der wurde zum Sprichwort in der ganzen Umgegend. Und wenn die Leute so manchmal wahrnahmen, daß ein Altliberaler, von dem man gehofft, er werde sich an die Spitze einer neuen Bewegung stellen, verstimmt in sich selbst zurückkroch, weil alles anders gekommen, als er's erwartet hatte, dann achselzuckend und verneinend gegen die neuen Volksführer auftrat und zuletzt gerade im Vollbewußtsein seines Freisinnes das Banner der alten Zeit ergriff, – so sagten sie: das ist der Zopf des Herrn Guillemain.


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