Wilhelm Heinrich Riehl
Durch tausend Jahre - Erster Band
Wilhelm Heinrich Riehl

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Die vierzehn Nothelfer

1872

Erstes Kapitel

»Konrad Lenz, geboren 1513, gestorben um 1590, Schüler des Christoph Amberger, ausgezeichnet durch den warmen Goldton seiner Farbe, malte Historien und Legenden, auch Mythologisches auf Holztafeln in kleinem Format. Seine Bilder sind sehr selten.«

So ungefähr steht's gedruckt im Katalog einer Galerie, die ich augenblicklich nicht nennen kann.

Dieser merkwürdige Mann pflegte zu sagen: »Das Malen wäre die schönste Kunst, wenn die Bilder nur nicht fertig zu werden brauchten.« Denn er malte gern und gut, allein er wollte immer nur malen, wann er wollte, und das geschah oft nur einmal die Woche, öfters auch gar nicht. Den verabredeten Termin eines bestellten Bildes einzuhalten, war ihm ganz unmöglich. Hatte er's heuer auf Weihnachten zu liefern versprochen, so begann er zu Pfingsten übers Jahr die Tafel zu grundieren. Er grämte sich auch gar nicht über diese Eigenschaft, die offenbar mit der launischen Natur des Planeten zusammenhing, unter welchem er geboren war, sondern sprach: »Ich habe malen gelernt; die andern mögen warten lernen.«

Der leichtmütige Künstler zählte erst vierundzwanzig Jahre, als er einen großen Auftrag erhielt. Auf 14 schmalen Tafeln sollte er die vierzehn Nothelfer darstellen nebst erläuternden Szenen aus ihrer Legende im Hintergrund; Hauptbedingung aber war, daß das Ganze unfehlbar vollendet sein müsse binnen Jahresfrist, das heißt auf Leonhardstag 1538. Dann sollte der Künstler den hohen Ehrensold von hundert Goldgulden empfangen.

Der Besteller, Ritter Hans von Haltenberg, war vordem auf einer Fahrt von Genua nach Neapel in die Hände tunesischer Seeräuber gefallen. Während seiner Gefangenschaft flehte er zu den vierzehn Nothelfern und gelobte jedem derselben bis Leonhardi 1538 ein schönes Bild in seiner Burgkapelle, wenn er binnen zwei Monaten aus dem Kerker erlöst würde. Wirklich gewann er bald darauf die Freiheit wieder und säumte nicht, nach Deutschland heimgekehrt, sofort die Bilder zu bestellen und dem Maler das Gewissen zu schärfen wegen genauer Lieferzeit, damit er den Heiligen Wort halte.

Mit wahrem Feuereifer hatte sich Konrad Lenz in die Arbeit gestürzt. Die drei Frauen des hilfreichen Kreises, Sankt Katharina, Margaret und Barbara, malte er im Sturm, Tafel für Tafel binnen vierzehn Tagen, und sie gelangen vortrefflich. Dann machte er sich an Sankt Pantaleon, Veit und Eustachius. Da ging's schon etwas langsamer; er brauchte drei Wochen auf den Mann und malte so hin und her bald am einen, bald am andern.

Beim heiligen Blasius kam er wieder recht frisch in Zug; aber bei Papst Gregor wollte es um so weniger flecken. Volle zwei Monate schleppte er sich mit dem Bilde herum. Endlich biß er die Zähne zusammen. »Es muß sein!« hörte man ihn ein ums andere Mal laut in seiner Werkstatt rufen. Mit Todesverachtung griff er zu Pinsel und Palette, nahm den letzten Anlauf, und wirklich! in etlichen Tagen stand der Heilige vollendet.

Aber der Künstler war auch beinahe krank geworden vor lauter Selbstbeherrschung. Noch hatte er sechs Bilder vor sich. Sechs ist zwar die kleinere Hälfte von vierzehn, allein es schien ihm jetzt eine Riesenzahl, an die er gar nicht denken durfte, wollte er nicht das Gehirnfieber kriegen.

Darum trug er die fertigen Bilder auf den Speicher und die sechs leeren Tafeln dazu, damit er sie beileibe nicht mehr sehe, und trieb sich wochenlang müßig umher, als ob es gar keine Nothelfer jemals gegeben hätte.

Der Ritter, welcher zeitweilig von seiner Burg in das Reichsstädtchen herüberritt, um den Fortgang des Bilderwerks zu überwachen, entdeckte mit Schrecken diesen vollkommenen Arbeitsstillstand. Als er in die Werkstatt trat, saß Konrad Lenz am Hackbrett und spielte Tänze, die Staffelei war ganz leer, und auf der Marmorplatte zum Farbenreiben lag der Staub so dick, daß man mit dem Finger hineinschreiben konnte.

»Wenn ich musiziere, dann male ich eigentlich im Geist am allerbesten; mit den Farben wird sich's später schon finden«, – so rief der Maler lachend und war sehr erstaunt, als der alte Herr erstaunt und erzürnt war. Er bat ihn, noch etliche Schleifer und Hopser anzuhören, dann werde sich seine finstere Stirn gewiß entrunzeln.

Ein andermal war Konrad den ganzen Tag im Wald umhergestrichen, meilenweit von der Stadt. Da sah er den Herrn von Haltenberg mit seinem Hund seitab in den Tannen. Er hätte sich unbemerkt davonschleichen können. Doch das fiel ihm gar nicht ein; höchst treuherzig trat er vor den Alten, grüßte ihn und sprach: »Ihr jagt auf Hirsche, und ich jage auf Verse; sie schwärmen mir wie Bienen im Kopf und wollen nur eingefangen sein; seit Sonnenaufgang irre ich von Hag zu Hag und mache die schönsten Gedichte. Nirgends dichtet sich's besser als im Wald.«

Der Ritter fragte, ob sich's denn auch im Wald am besten male. »Malen?« wiederholte Konrad überrascht: – »das Malen kommt nachher ganz von selbst und geht dann um so besser.«

Allein der Herr von Haltenberg beruhigte sich nicht bei dieser Antwort. Er faßte den Maler fest am Arm, blickte ihm mit den kleinen braunen Augen so stechend ins Gesicht, als ob er ihn durch und durch sehen wolle und hielt ihm seinen Leichtsinn vor, durch welchen er nicht nur ihn erzürne, sondern, was noch viel schlimmer, sogar die Heiligen. »Und glaubt Ihr denn« – so schloß er –, »daß ein Maler nicht auch zuzeiten die vierzehn Nothelfer brauche? Sie werden Euch steckenlassen, wie Ihr mich jetzt steckenlaßt!«

Der Maler sah den Alten mit seinen großen blauen Augen anfangs so unschuldig an wie ein Kind, dann ward er purpurrot im Gesicht, senkte den Blick und rief: »Bei Gott! Ihr habt recht. Das ist ja entsetzlich, welch eine Kette von Unheil ich mit meinem Leichtsinn um uns schlinge.« Und er versprach, sofort die Arbeit eifrig wiederaufzunehmen, gleich heute noch, und lief im Sturmschritt heim, um ja die letzte Stunde vor Sonnenuntergang noch an der Staffelei zu stehen.

Zweites Kapitel

Es war eine Lust zu sehen, wie Konrad Lenz jetzt wieder malte; der Pinsel flog nur so übers Bild, rastlos, von früh bis spät. In wenigen Tagen war der heilige Nikolaus fertig bis aufs Firnissen, der heilige Erasmus untermalt, der heilige Ägidius fein aufgezeichnet, der heilige Georg samt seinem Lindwurm grob umrissen.

Ein wunderschöner Sommermorgen lachte zum Fenster herein, und die Sonne leuchtete goldig auf die gegenüberliegenden Dächer, wenn sie auch nicht in die Werkstatt selber schien; denn die hatte selbstverständlich Nordlicht. Der Maler setzte, bald singend, bald pfeifend, das höchste Rot – Bergzinnober! – auf den Mantel des heiligen Erasmus. Er freute sich kindisch über das fröhliche, rasche Gelingen. Fast tat es ihm leid, daß es bloß vierzehn und nicht achtundzwanzig Nothelfer gab, er hätte sie alle achtundzwanzig auf Leonhard fertigmachen mögen.

Gehoben von dieser ruhmvollen Gesinnung, schaute er einen Augenblick auf die Straße.

Da stand eine Matrone, von einem jungen Mädchen begleitet, vornehme Leute, wie es schien. Sie sprachen und deuteten lebhaft; augenfällig suchten sie eine Straße oder ein Haus und zweifelten, welchen Weg sie nehmen sollten. Es waren Fremde, denn Konrad kannte sie nicht, und er kannte doch alle Frauenzimmer der Stadt. Er legte die Palette hinweg und lugte und lauschte. Himmel! war das Mädchen schön, zwar höchst einfach gekleidet, aber wie edel, wie vornehm in jeder Bewegung!

Jetzt hörte der Maler ganz deutlich, daß die Frauen den Weg zum Katharinenkloster suchen. Die Straße ist ganz leer, kein Mensch weit und breit, der Auskunft gebe, also bleibt ihm als wohlerzogenem jungen Manne doch nichts anderes übrig, als hinauszueilen und sich höflich zum Führer anzubieten. Die Damen folgten ihm.

Er sagte der Alten so allerlei, was man eben zu sagen pflegt, wenn man Fremde führt, allein er wußte bald selbst nicht recht, was er sprach, denn er blickte fortwährend über die Achsel rückwärts nach der Jungen, die sich bescheiden einen Schritt weit hinten hielt. Sie war aus der Nähe noch viel schöner als aus der Ferne, und die paar Worte, welche sie manchmal sehr zurückhaltend mitredete, klangen wie himmlische Musik. Jugendfrisch in ihrer Schönheit, schien sie in ihrer demütigen Art und Sitte andererseits ganz aus der alten Schule.

Leider war das Kloster bald erreicht. Die Frauen dankten dem Führer; die Pforte öffnete sich. Da warf die Junge dem Maler noch einen Gruß zum Abschiede zu mit einem lächelnden Blick, so schelmisch, neckisch, vertraulich – – war das auch alte Schule?

Konrad Lenz stand vor der Türe, wie aus einem Traum erwacht. Im Grund hatte die Alte sehr herablassend gedankt, und nun vollends der unbeschreibliche Abschiedsblick der wunderschönen Kleinen! Er betrachtete sich von oben bis unten. Da entdeckte er erst, daß er in Pantoffeln und ohne Mütze aus seiner Werkstatt fortgelaufen war, eine Schürze vorgebunden, mit einem ganzen Regenbogen von Ölfarben bekleckst: er glich viel mehr einem Lackierer als einem Maler.

Langsam und verdrießlich schlich der arme Junge nach Hause. Überall forschte er, wer die Frauen gewesen, aber niemand kannte sie. Am Ende war das schöne Mädchen gar ins Kloster gebracht worden, um Nonne zu werden? Doch nein! Mit solchem Blick, wie sie ihm zugeworfen, geht keine auf ewig ins Kloster.

Das Bild des Mädchens ließ dem Maler keine Ruhe; den ganzen Tag sah er sie vor sich stehen und hörte ihre süße Stimme. Wie konnte er da den heiligen Erasmus fertig malen! Wenn es noch eine Erasma gewesen wäre, er hätte ihr das Gesicht der unvergleichlichen Jungfrau gegeben und hätte sich so seine Träume aus der Seele gemalt. Aber leider gibt es unter den vierzehn Nothelfern auf elf Männer nur drei Frauen, und die waren ja zuerst fertig geworden.

Konrad holte die drei Gemälde wieder herbei. Wie dünkten diese Frauengestalten ihm jetzt kalt und trocken; keine glich entfernt der Unbekannten! Aber die erste derselben hieß doch wenigstens Katharina, und das Mädchen, dessen Namen er nicht wußte, war im Katharinenkloster verschwunden. So sollte die heilige Katharina zum mindesten ihre Züge bekommen.

Er kratzte die Tafel ab und begann sie neu zu übermalen. Doch sein Pinsel erreichte nicht entfernt das Ideal seiner Seele. Fünf Tage lang setzte er Farbe auf Farbe, der Auftrag wurde immer plastischer und dicker, aber die Katharina wurde auch der Unbekannten immer unähnlicher.

Also goß er zum zweiten Male Spiritus über die Tafel und rieb sie wieder mit Bimsstein ab. Es waren nur noch die Füße der Heiligen und ihr halbes Marterrad sichtbar, als der Herr von Haltenberg eintrat, um zu sehen, was inzwischen gefördert worden sei. Er fand allerdings den heiligen Nikolaus fertig bis aufs Firnissen, aber dafür die heilige Katharina wieder ganz in Spiritus aufgelöst.

Rührend offenherzig beichtete Konrad dem erzürnten Ritter, daß er sich verliebt und seine unbekannte Geliebte spurlos verloren habe, alles binnen einer Viertelstunde. Nun tröste er sich in seiner Not, indem er die Verlorene wenigstens als Nothelferin festzuhalten suche. Ein Stein mußte Mitleid fühlen mit ihm. Aber der Alte blieb härter als ein Stein; gewiß hatte er sich niemals binnen einer Viertelstunde verliebt. Er fuhr nicht einmal fort zu zanken, sondern lachte dem Maler ins Gesicht und ging ohne Abschied dröhnenden Schrittes zur Türe hinaus.

Aber nach drei Tagen kam die Antwort. Der Torwart von Burg Haltenberg erschien mit dem gemessenen Befehl seines Herrn, den heiligen Nikolaus, mit oder ohne Firnis, samt allen andern fertigen Tafeln abzuholen. Sollte aber auch etwa Sankt Nikolaus wieder abgekratzt oder Sankt Katharina noch nicht wieder hinaufgemalt sein, dann war der Dienstmann angewiesen, solange bei dem Maler sitzenzubleiben und nicht von seiner Seite zu weichen, bis beide fertig wären. Denn man müsse den gar zu lebhaften Künstler vor Zerstreuung bewahren.

Zwischen dem Ritter und dem Maler ging es, wie man sieht, immer ganz ehrlich und offen zu: jeder sagte dem andern, was er dachte, geradeaus unter die Nase. Doch waltete dabei ein feiner Unterschied. Der eine war offen wie ein alter Recke, weil es ihm Pflicht und Gewissen gebot; der andere wie ein junger Maler, weil es ihm Spaß machte, auch hatte er noch gar nicht ordentlich lügen gelernt.

Der Maler fand das Mittel des Ritters, ihn durch Einquartierung zum Malen zu zwingen, ebenso neu als grob; wäre ihm der Ritter zuhanden gewesen, so würde er ihm die schönsten Grobheiten dafür zurückgegeben haben. Allein den Torwart durfte er's doch nicht entgelten lassen; der tat ja nur seine Pflicht und war überdies ein baumstarker Kerl, den man nicht so ohne weiteres vor die Türe warf.

Also bot er ihm einen Stuhl und setzte ihm einen Krug Wein und ein großes Stück kalten Rindsbraten vor; denn der Mann war heute schon drei Meilen weit geritten und hatte noch nicht gefrühstückt. Der Appetit war sehenswert, mit welchem derselbe lautlos den Braten verarbeitete.

Konrad tat, als grundiere er das abgekratzte Bild der heiligen Katharina, um nebenher seinen ungebetenen Gast zu beobachten. Da blitzte ihm ein Einfall durch den Kopf. War es nicht gescheiter, er malte dies echte greifbare Stück Natur, was da vor ihm saß, statt dem Luftgespinste eines Frauenbildes nachzujagen, welches er doch niemals mit dem Pinsel fassen konnte? Gesagt, getan! Ganz wie von selbst gestalteten sich ihm die verwetterten Züge des alten Torwarts auf der verdorbenen Tafel. Und als nur erst einmal die Umrisse feststanden, mischte er sich mit wütendem Eifer eine ganz neue Palette und begann naß in naß alla prima zu malen. Er befahl dem Torwart ganz fest sitzenzubleiben, und dieser tat es auch mit komischem Zwange; denn er glaubte, das gehöre mit zu seinem Auftrag. Dagegen war kein Wort aus ihm herauszubringen; sein Herr hatte ihm strenge eingeschärft, den Künstler nicht durch Unterhaltung zu stören.

Höchst naturgetreu brachte Lenz sein neues Modell auf die Tafel, nur verlängerte er dessen Ohren etwas eselartig, ließ ihm ein paar kleine Hörner zwischen dem wolligen Haare hervorschießen, verwandelte die engen Lederhosen in Bocksfüße und setzte hinten seitwärts ein allerliebstes Schwänzchen an. Und so hatte er bis zum Abendläuten einen frühstückenden Satyr fertig und war glücklich in dem Bewußtsein, doch endlich wieder einmal mit rascher Hand ein Bild vollendet zu haben.

Er erschrak gar nicht, als ihm im Augenblicke, wo er eben den Pinsel weglegte, der Ritter auf die Schulter klopfte. Vor lauter Schöpferjubel hatte er ihn gar nicht kommen hören.

»Ihr erscheint zur rechten Stunde!« rief er und zeigte ihm das neue Bild und versicherte, es gehöre zum Besten, was er je gemalt; nun werde der Herr Ritter doch gestehen, daß er auch rasch entwerfen und ausführen könne, wenn es gelte.

Allein der wunderliche Mann hatte gar kein Verständnis für diese Meisterprobe; er donnerte und wetterte und nannte den Maler einen Narren, der schon wieder einen Tag verloren und nun gar einen Waldteufel statt der heiligen Katharina gemalt habe.

Lenz mußte laut auflachen, die Tränen traten ihm in die großen blauen Augen, und er sah und lachte dem Ritter so herzlich ins Gesicht, daß dieser mitlachen mußte, obgleich er mit aller Gewalt den Mund zusammenbiß. Das verdoppelte nun des Künstlers Lachlust dergestalt, daß er auch den Torwart ansteckte, der sein Porträt mit so schallendem Gewieher begrüßte, als sei er ein wirklicher Satyr und eben aus Theokrits Idyllen davongelaufen.

»Ihr habt recht mit Eurem Schelten!« rief Konrad, da er endlich wieder zu Atem kam; »es ist eine wahre Schande, wie leicht ich mich verführen lasse! Aber warum habt Ihr mir auch einen so unwiderstehlichen Kerl vor die Staffelei gesetzt?«

Der Ritter meinte, nun gebe es nur noch ein Mittel, die Nothelfer rechtzeitig fertigzukriegen: der Maler solle mit allem Handwerkszeug auf seine Burg kommen. Da seien etliche abgelegene Zimmer, wo ihn nichts zerstreue; in tiefster Stille und Einsamkeit könne er dort die Bilder vollenden.

Der Maler fand den Vorschlag ganz prächtig und hoffte auf raschesten Erfolg. Nur fürchtete er, seinem Gönner lästig zu fallen.

Allein dieser beruhigte ihn darüber: er habe den Plan schon länger gehegt, ja bereits alles für denselben vorgekehrt. In der Tat hatte der Torwart vorsorglich ein Saumtier neben seinem Pferde mitgebracht und in die Schenke eingestellt, auf welches die Staffelei mit den Malgeräten und den fertigen und leeren Tafeln gepackt wurde.

So zogen sie zu dreien noch selbigen Abends aus, Konrad Lenz gleichfalls zu Roß, statt eines Spießes mit dem Malerstock bewehrt. Der alte Torwart aber ritt als Knappe hinterdrein, auf der rechten Hand als dextrarius das Saumtier führend, welches statt Schild und Rüstung die Staffelei und die Bilder trug.

Konrad fand den ritterlichen Aufzug so köstlich, daß er Lust hatte, ihn vor dem Aufbruch wenigstens mit etlichen Strichen zu skizzieren, aber der Ritter drängte, denn es galt noch einen scharfen Ritt, daß sie vor tiefer Nacht die Burg erreichten.

Drittes Kapitel

Am andern Morgen erwachte Konrad Lenz auf Burg Haltenberg nach einem höchst gesunden Schlafe; es war schon neun Uhr, und die Augustsonne brannte ihm heiß aufs Bett. Nachdem er sich erinnert, wo er sei und wie er hierhergekommen, sprang er frohgelaunt aus den Federn. Es war doch lustig, daß der Ritter gleich ihn selber aufgepackt, um der Bilder ganz gewiß zu sein.

Beim Anziehen der einzelnen Kleidungsstücke lief er so zwischendurch in der Stube herum, die Örtlichkeit genauer zu betrachten; denn vergangene Nacht hatte er wenig mehr gesehen, und sein unruhiger Geist duldete nicht, daß er ein Geschäft methodisch nach dem andern vornahm.

Also schlüpfte er auf den Strümpfen zum Fenster und erforschte den landschaftlichen Hintergrund, während er die Hosen nestelte. Da war freilich nicht viel zu finden. Eine hohe Mauer schnitt, etwas unverschämt nahe, den Horizont ab; hinter derselben sah man jedoch noch die Kuppe eines fernen Waldberges. Der mußte nächstertags erstiegen werden! Vorher wollte der Künstler übrigens die Damen des Schlosses kennenlernen und mit ihnen in näheren Verkehr treten; denn der Ritter sollte eine schöne Tochter haben, die er vor niemand sehen ließ. Wenn über solch erster Orientierung innerhalb und außerhalb der Burg auch vierzehn Tage vergingen, so schadete das nichts; Leonhard fällt anfangs November, folglich blieben noch gut zwei Monate Zeit für die leidige Malerei.

Unter diesen Erwägungen war der Künstler glücklich ins halbe Wams gekommen und durchschritt nun, indem er dasselbe vollends anzog, die geräumige Vorhalle, sein künftiges Atelier.

Dort sah es wunderlich aus. Ein Feuerherd mit großem überhangendem Kaminschoß stand an der Wand, daneben ein kleiner, seltsam geformter Ofen, Schmelztiegel und Töpfe aller Art, Flaschen und Destillierkolben auf Tischen und Simsen, altes, bestaubtes, zerbrochenes Geschirr. Die Staffelei mit den Bildern und Malwerkzeugen hatte man zwischen diesen Trödel mittenhinein gestellt.

Der Maler wollte eben seine Pantoffeln anziehen, um auch noch ein wenig ins nächstanstoßende Zimmer zu spähen, da erschien der Hausherr, gefolgt vom Torwart, welcher das Frühstück brachte.

Man begrüßte sich artig, und der Gast bezeugte dem Wirte seinen Dank, daß er ihn so malerisch quartiert habe; diese phantastische Halle zumal sei ganz wie für einen Künstler gemacht. Quintin Massys hätte sein Atelier nicht sinniger ausschmücken können mit angenehm unnützen Dingen, fast möchte er's gleich als Studie malen. Übrigens möge ihm sein freundlicher Wirt doch sagen, was dieser Herd und Ofen samt all den Flaschen und Kolben eigentlich bedeute.

Kurz und bündig antwortete der Herr von Haltenberg: »Mein Vater baute diese Halle für einen Alchimisten, welcher von ihm viel Gold erhielt und hundertmal mehr Gold damit zu machen versprach. Aber eines Tages ging der Goldmacher durch und ließ nichts zurück als etwas schwarze Wäsche. Darauf ließ mein Vater alle Fenster dieses Baues stark vergittern – wie Ihr seht –, die Türen mit schweren Schlössern und starken Riegeln verwahren – überzeugt Euch selber! –, ja sogar den Kamin von innen durch gute Eisenstangen sichern – blickt hinauf: durch den Schornstein aufs Dach zu klettern, ist ganz unmöglich. Er hoffte, den Goldmacher wiederzukriegen oder vielleicht auch einen andern, besseren, und dann war abermaligem Davonlaufen vorgebeugt. Aber der alte Goldmacher kam nicht wieder, denn er war inzwischen in Eßlingen gehängt worden, und ein zweiter fand sich auch nicht. So standen dann die Räume leer bis heute. Und also hat mein Vater Riegel und Gitter doch nicht umsonst gemacht; denn jetzt bleibt Ihr hier eingesperrt, bis alle vierzehn Nothelfer fertig sind. Ihr werdet während der Zeit weder mich sehen noch überhaupt einen Menschen außer meinem treuen Torwart, der Euer Schließer und Aufwärter sein wird. Sein Gesicht wird Euch nicht zerstreuen, Ihr habt es ja bereits gemalt. Guten Appetit zum Frühstück!«

Mit diesen Worten ging der Alte hinaus samt dem Diener, welcher äußerst hurtig die Türe schloß und riegelte.

Vergebens rief ihnen Konrad Lenz die feierlichsten Proteste nach gegen solche Gewalttat – zuerst durchs Schlüsselloch, dann durchs Fenster. »Ich bin Bürger der Reichsstadt, sie wird mich befreien und rächen! Ich bin Genoß der Malergilde, sie wird für mich bei Kaiser und Reich klagen!« Vergebens! Es hörte ihn niemand außer etlichen Spatzen vor dem Fenster, die sehr erschreckt davonflogen.

Viertes Kapitel

Konrads nächster Entschluß war, nunmehr erst recht keinen Pinsel anzurühren, dagegen alle List dahin zu richten, wie er etwa ausbrechen oder doch seinen Freunden Nachricht geben könne, daß sie ihn frei machten.

Aber alle Versuche scheiterten.

Die Zimmer waren hell und geräumig, gar nicht kerkerhaft, allein die Gitter und Riegel so fest, daß selbst ein Goldmacher, welcher doch in Spitzbubenkünsten geschulter ist als so ein unschuldiger Maler, schwerlich hinausgekommen wäre.

Der Torwart brachte nicht etwa karge Gefangenenkost, sondern treffliches Essen und den besten Wein und sorgte für alle Bequemlichkeit. Allein keine Überredungskunst verfing bei dem alten knurrenden Bullenbeißer, und solange er im Zimmer war, hielt eine unsichtbare Hand von außen die Türe verschlossen.

Die Räume lagen im Erdgeschoß, wie sich's bei der Teufelsküche eines Alchimisten von selbst versteht, und die Fenster gingen auf ein kleines, verwildertes Gärtchen, welches durch die hohe, von der fernen Waldkuppe überragte Mauer abgeschlossen war; irgendeinen benachbarten Teil der Burg oder gar einen Menschen konnte man nirgends erspähen. Und so blieb kein Kartäuser in seiner engen Zelle gründlicher vor den Zerstreuungen der Welt bewahrt als der Künstler in dem weitläufigen Gelaß.

Nachdem er acht Tage nichts getan, als laut auf den Ritter geschimpft und leise an allen Eisenstangen gerüttelt, ward ihm diese einfache Beschäftigung doch zu langweilig. Er betrachtete seinen gröbsten Borstpinsel und sprach: »Will mich der Herr von Haltenberg so gröblich zur Arbeit zwingen, so soll ihm auch nur mit diesem groben Pinsel gedient sein. Wie ein freier Mann malen kann, das habe ich ihm gezeigt; jetzt soll er einmal sehen, wie man in Banden malt!«

Und nun strich er mit dem Borstpinsel sämtliche noch ausstehende Nothelfer hurtig und geschwind auf die Tafeln: Sankt Erasmus, Georg, Ägidius, Christoph, Leonhard und zuletzt auch die heilige Katharina. Sie waren gezeichnet wie Lebkuchenmänner und koloriert wie Bleisoldaten. Darauf schickte er die ganze Gesellschaft dem Ritter mit dem Bemerken, hier erhalte der gnädige Herr seine Bilder, nun möge er ihm auch seine Freiheit wiedergeben.

Allein der Torwart brachte die Kunstwerke umgehend zurück mit der Antwort: wenn es dem Herrn Maler etwa an Spiritus und Bimsstein fehle, um die Tafeln wieder abzuwaschen, dann solle ein reitender Bote sofort genügenden Vorrat aus der Stadt holen.

Im hellen Zorn rückte Konrad die Staffelei ans Fenster, um die bunten Puppen der Reihe nach darauf zu stellen und noch einmal im besten Lichte zu betrachten und bei ihrem Anblick seinen Ärger hinwegzulachen. Er meinte, so ganz wertlos sei diese Arbeit doch nicht, denn er habe da die faustfertigen Heiligenmalerei recht gelungen travestiert. Nur schien ihm noch hier und dort ein besonders charaktervoller Stümperzug zu fehlen, und so griff er zum Pinsel und setzte immer drolligere Drucker auf die tollen Karikaturen.

Plötzlich ward es ihm aber doch etwas unheimlich zumut. Beging er nicht eine Sünde? Zwar wollte er zunächst des Ritters spotten, aber verspottete er nicht zugleich auch die Heiligen? Ein Meister aus der alten Schule hätte dergleichen gewiß nicht getan. Er hätte dem groben Ritter vielleicht noch viel gröber gedient; aber die Heiligen hätte er um Gottes willen so schön gemalt als nur immer möglich. »Und wenn mir nun die Nothelfer wirklich zürnten? Sie haben den Ritter aus dem Kerker der Türken befreit; können sie mich nicht ebensogut im Kerker des Ritters auf ewig steckenlassen?«

Bei diesem Selbstgespräch blickte er auf. Und wie erstaunte er! Gegenüber der Fensternische, wo er vor der Staffelei saß, hing ein Spiegel, und in dem Spiegel erschien mit einem Male ganz hell und klar das leibhaftige Bild der heiligen Katharina, nicht jener Katharina, die er anfangs gemalt und nachher wieder abgekratzt, sondern der anderen, schöneren, die er vergebens hatte malen wollen.

Eine Vision! Erschien ihm die Heilige strafend oder helfend? Im ersten Augenblicke glaubte der erschrockene Maler wirklich, es sei eine überirdische Erscheinung. Aber das liebliche Mädchengesicht war gar zu irdisch lebensfrisch und Konrad Lenz kein Maler mehr aus der alten Schule, sondern das humanistisch aufgeklärte Kind einer neuen Zeit. Darum sammelte er sich rasch, hielt sich ganz stille und malte mechanisch fort, indes er von unten herauf nach dem Spiegel schaute.

Und blitzschnell überlegte er: nach den Gesetzen der Perspektive mußte das Original des Spiegelbildes ganz nahe hinter seinem Rücken draußen vor dem offenen Fenster stehen, seine Arbeit belauschend. Schon vorgestern, da er vom Mittagsschlaf erwachte, war es ihm, als sei dieselbe Gestalt durch den Garten vorm Fenster vorbeigehuscht, doch weil er schlummernd eben von der schönen Unbekannten geträumt hatte, hielt er damals die fliehende Erscheinung für das wache Ausklingen seines Traumes.

Was war nun zu tun? Kehrte er sich um, dann würde sie sicher wieder davonlaufen. Für einen Gefangenen gelten die gewöhnlichen Regeln des Verkehrs mit Damen nicht. Also sprang er mit einem wahren Katzensprung vom Stuhle, ergriff in halber Wendung durchs Gitter die rechte Hand des auf die Fensterbrüstung lauschend gelehnten Mädchens und hielt sie fest.

Die Jungfrau, zum Tode erschreckt, schrie laut auf und rang, sich frei zu machen; allein es half nichts: im Nu hatte der Maler auch ihre Linke gepackt und hielt seine Gefangene nun mit beiden Händen. Um Hilfe zu rufen, wagte sie nicht; denn sie war ja selber auf verbotenen Wegen herbeigeschlichen.

Konrad Lenz aber sprach mit größter Artigkeit: »Verzeiht, edles Fräulein, daß ich Euch nicht wieder loslasse, bevor wir ein wenig geplaudert haben. Seit Wochen durfte ich mit keiner Menschenseele sprechen, und da fühle ich jetzt ein entsetzliches Bedürfnis nach mündlicher Mitteilung, zumal aus so schönem Munde.«

Das Mädchen aber klagte leise über ihre Neugier, die sie in diese Falle gebracht. Sie habe in der Burg gehört, daß hier wieder ein Goldmacher eingesperrt sei, und da hätte sie gar zu gern einmal erspähen mögen, wie Gold gemacht werde. Nun sehe sie aber, daß er gar kein Alchimist sei, sondern der freundliche Tünchermeister, welcher ihnen neulich in der Stadt den Weg zum Katharinenkloster gewiesen.

Bei dem Worte »Tünchermeister« fühlte sich Lenz wie von einer Natter gestochen, daß er die linke Hand des Mädchens unwillkürlich fahren ließ, aber die rechte hielt er dafür um so fester.

»Ich bin kein Tüncher«, rief er stolz, »ich bin ein Maler! ein Schüler des trefflichen Christoph Amberger, dieser aber war ein Schüler des unübertrefflichen Hans Holbein, und so stammt meine Kunst in gerader Linie und im zweiten Glied vom größten deutschen Meister ab.«

»Die Enkel sehen manchmal dem Großvater nicht besonders ähnlich«, sprach lächelnd das Mädchen und deutete mit der Linken auf die Tafel, an welcher Lenz soeben gemalt hatte.

Entsetzt blickte dieser auf die grobe Sudelei, allerdings eine verdächtige Urkunde seiner Meisterschaft, und stieß mit dem Fuße wider das Gestell, daß das Bild herunterfiel und glücklicherweise – wie Butterbrote pflegen – mit der fetten Seite auf den Boden.

»Nur aus Wut habe ich diese Spottbilder gemacht, weil man mich hier durch den Kerker zum Malen zwingen will. Der Burgherr verwahrt ganz andere Werke meines Pinsels, die werden Euch zeigen, daß ich kein Tüncher bin. Und glaubt Ihr denn, daß man mich wie einen Goldmacher einsperrte, wenn ich nur die Fratze machen könnte, welche hier am Boden liegt?«

Der letzte Grund leuchtete dem klugen Mädchen ein. Aber der Maler hörte kaum auf ihre Antwort. Er war so lange nicht zu Wort gekommen, er mußte den Augenblick festhalten und sich gründlich aussprechen. Aufs anmutigste beschuldigte er seine schöne Gefangene, daß sie schuld sei an seiner eigenen Gefangenschaft, und erzählte, wie ihr Anblick beim Gange zum Katharinenkloster seine Phantasie zu so hellen Flammen entzündet, daß er sie durchaus habe malen müssen, und zwar als heilige Katharina; allein so ganz frei aus dem Kopf sei das nun und nimmer gegangen, und dadurch seien die bestellten Nothelfer derart in Rückstand gekommen, daß ihn der Herr von Haltenberg zuletzt hier zur Zwangsarbeit eingesperrt habe. Nach Künstlerart wußte aber der Erzähler die ganze Geschichte so geschickt zu gruppieren und mit hochaufgesetzten Lichtern zu steigern, daß seine Schwärmerei für die Unbekannte zuletzt als die alleinige Quelle alles Unheils erschien.

Beim Beginn der Erzählung hielt er ihre Hand noch fest, doch im Verlauf konnte er sie ohne Gefahr loslassen; das Mädchen lief nicht mehr davon, sondern hörte gespannt bis zum Ende, und als er ihr dann die Hand noch einmal aus bloßer Freundschaft drücken wollte, zog sie die ihrige nur ein klein wenig zurück.

Sie schien recht bekümmert über den armen Mann, den sie so ganz unwissend in Not gebracht. Dem glückseligen Konrad ging aber jetzt eine helle Fackel auf: die Unbekannte konnte niemand anders sein als des Haltenbergers wunderschöne Tochter, die der Tyrann, gleich grausam gegen das Naturschöne wie gegen das Kunstschöne, vor aller Welt verborgen hielt. Darum bat er, sie möge doch in ihren Vater dringen, daß er die Türen dieses Kerkers öffne.

»Das kann ich nicht«, erwiderte sie, »und das darf mein Vater nicht. Er mag Euch hart behandeln; allein er tut eben nur, was ihm die Pflicht befiehlt.«

»Da haben wir ganz das Kind der alten Schule!« dachte der Maler. »Einen armen Maler martert man zu Tod, nur um den Heiligen auf Tag und Stunde Wort zu halten!«

Übrigens fragte er sich, ob es jetzt nicht nützlicher sei, wenn er noch etliche Wochen eingesperrt bliebe. Vielleicht bewog er das Fräulein, öfters in den stillen Garten zu kommen; sie sah ja schon recht teilnehmend aus. Wurde er in die Stadt geschickt, dann erblickte er sie niemals wieder, und arbeitete er frei in der Burg, dann versiegte wohl stracks der erste Quell der Zuneigung, welchen er bei dem schönen Kinde erschlossen – das Mitleid.

Darum spann er rasch einen entsprechenden Plan.

Er hielt ihr vor, daß er nur wieder frei werden könne, wenn er die Bilder pünktlich und schön vollende. In der tötenden Einsamkeit, ohne irgendeine menschliche Ansprache sei ihm dies aber ganz unmöglich. Zudem könne er die verdorbene heilige Katharina nie wiederherstellen, wenn sie nicht ihre schönen Züge zum Vorbild leihe. Sie brauche ja nur ein paarmal auf ein Viertelstündchen wiederzukommen; plaudernd und auf den Raub porträtiere man am allerbesten. Dazwischen fragte er, ob sie nicht etwa auch Katharina heiße. – Allein sie hieß Susanne.

Anfangs sträubte sie sich gegen den Vorschlag, ging dann aber doch darauf ein, – fast etwas geschwind, wie es hinterher dem Maler dünkte. Ihr Vater schien sie in der Einsamkeit zum unschuldsvollen reinen Naturkind erzogen zu haben.

Wie hatte die Erscheinung dieses Naturkindes unsern Maler wieder von Grund aus verändert! Er freute sich seines Gefängnisses; denn sie wollte morgen schon wieder ins Gärtchen kommen. Und malen wollte er jetzt die rückständigen Heiligen um der schönen Susanne willen so begeistert und so pflichtgetreu, wie es nur je ein alter Meister um Gottes willen getan!

Schon war es ihm undenkbar, daß er die Burg wieder verlassen könne, ohne mit Susannen verlobt oder noch besser gleich verheiratet zu sein. Hier aber kreuzten sich zwei grundverschiedene Gedankenzüge.

Er liebte Susanne so heftig, wie nur je so ein stürmischer Wildfang ein Mädchen lieben konnte, welches er bereits zweimal gesehen und gesprochen, und er wollte sie gewinnen, weil er sie liebte.

Er wollte sie aber auch gewinnen, um ihren Vater mit dem letzten Trumpf zu schlagen. Der Alte hatte ihn überlistet und eingesperrt, um ihm die Bilder abzuzwingen. Dafür überlistete jetzt der Gefangene den Alten und zwang ihm sein köstlichstes Kleinod ab, die so wohlverwahrte Tochter. Einen Goldmacher kann man hinter Schloß und Riegel setzen, aber wenn man einen jungen Maler und ein junges Mädchen einsperrt, dann befreit zuletzt der Maler sich selbst und das Mädchen dazu!

Mit diesem Doppel-Triumphlied der Liebe und der Rache begann er eine ganz neue Tafel für die heilige Katharina zu grundieren.

Fünftes Kapitel

Die hilfsbereite Susanne kam wieder und setzte sich zum Plaudern vor das Gitterfenster, welches sie nach klösterlicher Redeweise das »Sprechgitter« nannte. Da sich kein Mensch in der Burg dem verwilderten Gärtchen nähern durfte, damit der Maler vor Zerstreuung bewahrt bleibe, so war ihr Verkehr ganz sicher.

Die ersten Tage brachten warmes und heiteres Wetter; Susanne konnte stundenlang dasitzen, ohne sich zu erkälten. Konrad malte äußerst langsam an seiner Katharina, auf daß sie ja recht trefflich geriete. Im September dagegen kam Regen und Nebel. Für die nassen Tage hatte sich der Maler den heiligen Erasmus samt den andern Männergestalten aufgespart. Susanne erschien nicht. Aber der Regentage wurden ihm zu viele, und er entdeckte, daß er die Männer schlechter male, wenn ihn die Jungfrau nicht durch ihre anmutige Gegenwart begeisterte.

Notgedrungen mußte sie darum auch im Regen kommen. Ja, die Regentage wurden die allerschönsten. In ein großes Tuch verhüllt – Regenschirme waren noch nicht landesüblich –, schwang sich Susanne auf die Fensterbrüstung, denn sonst hätte sie unter der Dachtraufe gestanden, und drückte sich ganz hart ans Gitter, um nicht herunterzufallen. Da gab sich's dann sehr natürlich, daß ihr der Maler bei einem Platzregen den ersten Kuß raubte.

Sie war fast immer heiter, schalkhaft; ihre sonnige Laune paßte so recht für den fröhlichen Jüngling, und beide beteuerten sich bald gegenseitig, daß sie für einander geboren seien und einander verbleiben müßten immer und ewig; auch konnten sie sich's schon gar nicht mehr denken, daß es einmal eine Zeit gegeben habe, wo sie sich noch nicht gekannt.

Konrad hatte sich's im Grund etwas schwieriger gedacht, die Liebe eines so vornehmen Fräuleins zu gewinnen. Doch das kam wohl alles von ihrer abgesperrten Jugend; die Vögel, welche man am strengsten im Käfig hält, fliegen am liebsten davon. Und Susanne hatte noch gar nichts von der Welt gesehen als das benachbarte Reichsstädtchen; Konrad aber versprach ihr, sie weit in die Welt mitzunehmen, sogar über die Alpen bis nach Rom und Venedig.

Nur in einigen Dingen war sie gar altmodisch streng. Aus lauter Ehrfurcht wagte sie kaum von ihrem Vater zu reden; sie schien sich ihn vielmehr als ihren Herrn und die Mutter als ihre Gebieterin zu denken, so recht nach urväterlicher Sitte; sie nannte ihn mitunter geradezu den Herrn von Haltenberg, wie ja auch die Ehefrauen vordem ihren Gemahl als Herrn bei Titel und Namen zu nennen pflegten.

Nachdem die beiden am Sprechgitter ihre Liebe völlig ins reine gebracht, beredeten sie das Heiraten. Da verhehlte nun Susanne nicht, daß ihr Vater großes Bedenken gegen den Stand des Malers hegen werde; die Künstler stelle er nicht besonders hoch, und den hier im Alchimistenkäfig eingesperrten halte er für einen lockeren Vogel. »Das sind nun Standesvorurteile«, meinte Susanne, »über welche ich selber völlig erhaben bin.« Ja, es dünke ihr sogar ein feinerer Beruf, schöne, fromme Bilder zu malen, als eine alte Burg zu hüten, die seit Menschengedenken niemand angegriffen habe.

Der Maler war entzückt, daß das Fräulein so gescheit sprach, und bestärkte sie in ihrer erleuchteten Ansicht.

Inzwischen rückte der Herbst immer weiter vor; Konrad beschleunigte seine Arbeit, denn die Jahreszeit ward nachgerade etwas zu kalt für die künstlerischen Anregungen am offenen Fenster. Und so vollendete er denn die sämtlichen Gemälde wirklich noch vierzehn Tage vor dem Termin, und die letzten Tafeln waren schöner als die ersten, die heilige Katharina aber das weitaus schönste Bild von allen.

Der Tag des Triumphes und der Rache erschien. Am 22. Oktober ließ Konrad Lenz dem Herrn von Haltenberg sagen, der letzte Nothelfer habe den letzten Pinselstrich erhalten, und wenn sich der Ritter des Nachmittags in die Halle bemühen wolle, so werde er sämtliche neue Bilder im besten Lichte aufgestellt finden.

Auf den Vormittag hatte er noch eine Rücksprache mit Susannen verabredet. Leider fiel der Regen in Strömen, so daß sich das Mädchen auf die Fensterbrüstung setzen und ganz eng ans Gitter drücken mußte. Konrad wollte heute noch mit dem Geständnis ihrer geheimen Schwüre vor den Ritter treten. Dessen Standesvorurteile machten ihm jetzt freilich bänger denn je, darum redete er sich seine Beklemmung hinweg, indem er Susannen noch einmal vorerzählte, wie hochgestellt in gegenwärtigen Zeiten die großen Maler Italiens seien und wie seine Ahnen auch keineswegs aus den Zünften stammten, sondern aus den Patriziern der freien Reichsstadt Bopfingen. Als sein Urgroßvater von dort weggezogen, habe er aber das Patriziat aufgegeben, welches dem niederen Adel gleichgeachtet würde.

Zwischenbei unterbrach er diese schon öfters erzählte Geschichte durch mehr lyrische Ausrufungen und zwängte seinen Kopf mühsam durch die Eisenstangen, wobei er Susannens Mund etwas näher berührte, als fürs bloße Wortverständnis nötig war.

Nun hatte aber den Ritter die Neugier geplagt, die vollendeten Bilder sofort zu sehen; um das bessere Licht am Nachmittage kümmerte er sich wenig. Er war mit dem Torwart in die Halle getreten, dröhnenden Schrittes nach gewohnter Art, allein im Rausch der Gefühle und im Rauschen des Regens hatte ihn das Paar am Sprechgitter dennoch nicht gehört.

Er hörte eine Weile ruhig zu, wie der Maler seinen vornehmen Künstler- und Patrizierstand rühmte; als aber derselbe zum dritten Male seinen Kopf durchs Gitter zwängte, klopfte er ihm auf die Schulter.

Konrad wollte rasch zurückfahren, blieb jedoch stecken, denn nur langsam und mit feinem Bedacht war der Kopf wieder hereinzubringen. Susanne schrie laut auf und lief davon.

Der Künstler befand sich in einer kläglichen Lage. Er hatte dem Ritter so stolz und fest vor Augen treten wollen und steckte nun da – wie der Fuchs im Schlageisen. Und daß Susanne davongelaufen, war auch gar zu kindisch; sie hätte heldenhaft stehenbleiben sollen – trotz Regen und Ritter.

Doch das alles war nur ein Moment. Der Maler lachte laut auf, der Ritter lachte mit, und der alte Torwart lachte im Echo: da wurde der Kopf frei. Ein anderer als der Maler hätte keineswegs gelacht, trotzdem ärgerte es ihn fürchterlich, daß der Ritter mitgelacht hatte, statt zu toben und zu wüten, und dieser Ärger gab ihm seinen ganzen Stolz zurück.

Fest und feierlich trat er vor den alten Herrn. Er deutete auf die prächtigen Bilder und sagte geradeaus wie immer, diese Tafeln seien so gut und pünktlich zu Ende gediehen, nicht durch die Langeweile des Kerkers, sondern einzig und allein durch die Beihilfe der reizenden Susanne. Sie nur habe des Ritters Wort vor den Nothelfern gerettet. Die hundert Goldgulden begehre er nicht für eine durch Gewalttat erpreßte Arbeit; für das, was er frei getan, habe er bereits den höchsten Preis gewonnen, Susannens Liebe, – keine Macht könne ihre Herzen wieder auseinanderreißen, das stehe jetzt so fest und fertig wie sämtliche vierzehn Nothelfer. Und also bitte er ihn um Susannens Hand.

Der Ritter lachte abermals, daß es von den Gewölben widerhallte. »Susannen wollt Ihr heiraten? Nun, ich habe durchaus nichts dagegen, wenn ich auch als Herr von Haltenberg einigen Einwand erheben könnte. Allein Ihr solltet doch zuerst den Vater des Mädchens fragen!« und er deutete auf – den Torwart.

Dieser aber trat vor und sprach: »Wenn Susanne einmal heiratet, dann muß es ein Mann sein, der in ordentlichem Herrendienste steht und festes Brot hat, und kein windiger Maler, den man einsperren muß, damit er seine Schuldigkeit tut.«

Konrad wußte nicht, wie ihm geschah. Über und über errötend, vermochte er nur verworrene Fragen zu stammeln, welche der Ritter wiederum kaum begriff; nur faßte dieser zuletzt wenigstens so viel, daß er's für dienlich zum allseitigen Verständnis hielt, dem Maler zu erklären, Susanne sei keineswegs seine Tochter, sondern die Kammerjungfer seiner Frau und seines treuen alten Dienstmannes, des Torwarts, eheliches Kind.

Der hatte inzwischen das Mädchen herbeigeholt, um es unter harten Worten dem Maler wie zum Verhör gegenüberzustellen.

Aus tiefer Scham erwachte dieser jetzt zu kochendem Zorn. Er sah sich betrogen von Susannen, die vor ihm das Fräulein gespielt, vielleicht gar im Komplott mit seinen beiden Kerkermeistern.

Und als sich das Mädchen mit Tränen im Auge und doch fest und hoffnungssicher ihm näherte, stieß er sie hinweg und rief: »Ich glaubte, einem ehrbaren Fräulein Lieb und Treue geschworen zu haben; einer buhlerischen Dienstmagd gilt mein Wort nicht!«

Susanne hatte genug von dem Vorhergegangenen gehört, um den Sinn dieser Worte zu begreifen. Lautlos, totenbleich, mit zitternden Lippen, aber voll edlen Trotzes und Stolzes entfernte sie sich. Doch der Ritter holte sie zurück und trat vor den Maler. Scharf, streng und ruhig sprach er: »Ich bin ein Mann von der alten Art, und Ihr feinen jungen Herren wißt wohl besser zu leben wie ich. Eines aber sage ich Euch: Wenn ich mich verliebt hätte, dann wäre ich nicht so blind ins Zeug gegangen. Aber wenn ich einmal einem ordentlichen Mädchen mein Wort gegeben, dann hätt' ich's ihr auch gehalten, selbst wenn ich hinterdrein erfahren hätte, daß sie statt eines Fräuleins bloß eine Kammerjungfer wäre!«

Diese Rede brachte den Maler wieder zur Besinnung. Er blickte auf die arme Susanne, die größer und vornehmer dastand als er selber. Nein! Ein solches Wesen konnte ihn nicht so durchtrieben betrogen haben! Und zugleich fiel ihm ein, daß sie sich doch niemals des Ritters Tochter genannt, von ihm vielmehr immer nur als von dem Herren gesprochen hatte. Es wurde klarer vor seinen Sinnen. Er selbst hatte sich betrogen und im stürmischen Brausen seiner Leidenschaft völlig überhört, was ihn auf die richtige Spur leiten mußte. Nach Künstlerart hatte er sich ausgedichtet und ausgemalt, was er sehen wollte, nicht was er sah.

Nun aber durchzuckte ihn auch die Reue über das unsägliche Leid, welches er Susannen in dieser Stunde angetan.

Er begehrte, nur einen Augenblick mit ihr allein zu reden. Sie weigerte sich dessen anfangs, doch gab sie nach, und sie zogen sich zurück.

Der Ritter betrachtete inzwischen die letzten frisch gemalten Nothelfer. Bei einem Bilde schüttelte er den Kopf sehr bedenklich.

Als Konrad und Susanne wieder vortraten – der Augenblick hatte fast eine halbe Stunde gewährt –, da hielten sie sich Hand in Hand, nicht ganz so fest wie zum erstenmal am Sprechgitter und doch viel fester. Sogar dem alten Herrn ward es weich ums Herz, da er den beiden ins Gesicht blickte, und er legte selber Fürsprache ein beim Torwart, daß er sein Standesvorurteil gegen die Maler überwinde.

Was der Herr begehrte, das konnte der Diener nicht verweigern. Er legte seine knochige Hand oben auf die verbundenen Hände der Liebenden. Es war fast rührend anzusehen.

In den Romanen denken die Helden bei jedem Hauptmoment genau, was sie denken sollen. Im Leben aber ist das oft ganz anders. Als Konrad den segnenden Händedruck des unerwarteten Schwiegervaters fühlte, warf er trotz allen Sturmes der Empfindung einen vergleichenden Blick auf den Vater, welchen er als frühstückenden Satyr, und auf die Tochter, welche er als Heilige gemalt. Und er dachte bei sich: die längst verstorbene Mutter Susannens müsse wohl schöner noch wie eine Heilige, sie müsse geradezu engelschön gewesen sein, daß kraft ihres unendlichen Überschusses der Schönheitsgnade ein solcher Vater dennoch zu einer solchen Tochter habe kommen können. (Es ist manchmal gut, wenn man die Schwiegereltern erst nach der Verlobung kennenlernt, besonders für Maler.)

Nun aber kam der Ritter noch mit einem schweren Bedenken. Er hob die neue Tafel der heiligen Katharina gegen das Licht und rief: »Das ist gar nicht die rechte Katharina, sondern Jungfer Susanne – ganz aus dem Gesicht geschnitten! Die Tafel lasse ich nicht gelten! Soll ich unsere ehemalige Kammerjungfer meiner Familie und meinen Dienstleuten in der Burgkapelle zur Anbetung aufstellen? Hättet Ihr noch meine wirkliche Tochter mit dem Marterrad gemalt, so ließe sich darüber reden. Es ist noch vierzehn Tage bis St. Leonhard: Ihr müßt eine neue Tafel machen.«

Der Maler erklärte, daß er mit Freuden das Bild zurücknehme, sein bestes Gemälde, Frucht und Zeuge seiner seligsten Stunden. Und wenn der Ritter es durchaus wünsche, daß er seine Tochter unter die Nothelfer male, so wolle er ihm auch dies, aber auch nur dies noch zu Gefallen tun.

Doch der Herr von Haltenberg bereute bereits das Wort, welches er so unbedacht gesprochen. Es faßte ihn ein plötzliches Grauen vor der dämonischen Malerei. Wer stand ihm gut, daß sich seine wirkliche Tochter beim Sitzen nicht am Ende auch noch wirklich in diesen unwiderstehlichen Wildfang von Maler verliebte?

Auf ein drittes aber ging Konrad durchaus nicht ein. Er behielt das Bild und malte keine neue Heilige. Leonhardstag kam, der Künstler war gar nicht mehr zu haben; er rüstete sich eben in der Stadt zur Hochzeit, und um ein Haar wären es jetzt doch bloß dreizehn Nothelfer gewesen.

Da nahm der entschlossene Ritter kühnen Griffes jene mit dem Borstpinsel gemalte heilige Katharina, die noch unversehrt in der Ecke stand, und reihte sie zu den dreizehn andern in der Kapelle.

Spätere Geschlechter hielten dieses Gemälde wegen seiner abscheulichen Malerei für ein ganz uraltes und darum besonders weihevolles Stück, und so kam es in den Ruf eines Mirakelbildes und genoß der allgemeinsten Verehrung bei allem Volke. Die dreizehn feinen Bilder sind zur Revolutionszeit in verschiedene Galerien gewandert, aber die heilige Katharina hängt noch immer, von brennenden Kerzen umgeben, in der Burgkapelle.

Konrad Lenz lebte überaus glücklich mit seiner Susanne, und an ihrem goldenen Hochzeitstage schmückten blühende Enkel mit frischen Kränzen das Kunstheiligtum des Hauses, die andere Tafel der heiligen Katharina, das wundervolle Brautbild ihrer Großmutter.


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