Wilhelm Heinrich Riehl
Durch tausend Jahre - Erster Band
Wilhelm Heinrich Riehl

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Das Buch des Todes

1868

I.

Der Sturm hatte ausgetobt. Neugeboren, im reinsten Goldglanze entstieg die Morgensonne dem Meere, und auch das ganze Himmelsgewölbe leuchtete wie neugeboren, metallen blank, tiefblau, und nur fernab im Westen gegen Seeland und den Sund hinüber säumten lange Wolkenstreifen den Horizont, das verspätete letzte Gefolge des entflohenen Unwetters.

Es lag eine Burg am Steilrande der See, da, wo die breite Südspitze Schwedens gegen Norden sich umbiegt, eine Burg, zwar nur aus Holz erbaut, aber wind- und wetterfest aus Riesenstämmen gefügt, wie sie damals noch zu Tausenden im Schoße des unberührten Waldes ragten, der unabsehbar ringsum das Küstenland bedeckte, ein Meer der Wipfel zum Meere der Wellen niedersteigend. Das war in den Tagen, da, Karls des Großen Enkel im Frankenreiche herrschten und Ansgar, der Hamburger Erzbischof, kaum erst nach Schweden gekommen war, die heidnischen Normannen zu taufen.

Von der hohen Warte der Burg sah man Land und See weithin zu Füßen gebreitet, und wenn Erich, der Burgherr, seinen Blick, in die Ferne spähend, dem Zug der wilden Schwäne folgen ließ, dann dünkte er sich fast wie auf Odins Hochsitze in Asgard, der Götterburg, wo man die ganze Welt zu überschauen vermag.

Nicht Erich war es jedoch, der heute im Frühscheine nach der Wetternacht da oben an der Brüstung lehnte, sondern Gunild, sein einziges Kind. Sie stand wie eine Bildsäule, das Auge auf Wald und Meer geheftet, und das Meer brandete noch im Nachwogen der Sturmflut, während die Wipfel des Waldes regungslos ins lichte Blau ragten: – tiefer Friede bereits am Himmel, aber da unten noch schäumende See, wilder Wogenschlag bei Windstille.

Ein ähnliches Rätsel des Widerspruches lag auf Gunild: – keine Miene zuckte, kein Glied bewegte sich an der versteinerten Gestalt, nur im Innern wogte es und brandete. Auch hinter ihr lag eine Sturmnacht, die ihr Herz durchgerungen hatte, während draußen der wirkliche Sturm wütete, doch freilich den Sonnenschein hatte der Morgen ihrer Seele nicht wiedergebracht.

Sie starrte in die Flut und sah die Flut nicht; sie sah im Geiste den trotzigen Olaf Sigualdson, den sie gestern noch ihren Bräutigam genannt hatte. Sie blickte auf den Wald, in welchen der Sturm eingefallen war wie der Wolf in die Herde, aber sie sah die gebrochenen Bäume nicht, sondern dachte nur an ihre zerbrochene Liebe. Im Schloßhof schattete eine alte Linde, der Sturm hatte den stärksten Ast herabgerissen, daß der Stamm jetzt wie zerspalten stand; allein Gunild gewahrte nicht die traurigen Trümmer ihres Lieblingsbaumes, obgleich ihre Blicke am längsten auf demselben ruhten: sie gedachte, daß es gestern abend im Schatten dieses Baumes gewesen war, wo sich ihr und Olafs Herz kalt und zürnend voneinander wandten, wo sie beide sich getrennt hatten ohne Händedruck.

Olaf war ihr seit Jahren in verzehrender Liebe zugetan; sie erwiderte seine Liebe tief und ernst, doch zögernd, verschlossen. Ein jedes wollte das andere besiegen, je nach seiner Art, keines sich dem anderen besiegt geben; denn beide waren stolzen Sinnes und suchten und flohen sich wechselsweise in ihrem Stolze, der sie um so heftiger zueinander zog, je härter er sie abzustoßen schien. So war ihr Lieben ein steter Kampf, Steigen und Fallen, Jubel und Klage, Glück und Elend in qualvollem Wechselspiel. Sie erkannten zuletzt, daß nur ein rascher Ehebund die zerstörende Flamme ihrer Leidenschaft in die milde Glut befriedender Liebe verwandeln könne. Gunilds Vater war dem jungen Manne geneigt, und so konnte sie ihn klopfenden Herzens, doch hoffnungsfreudig gestern abend erwarten, daß er um ihre Hand werbe und auch gleich frischweg Hochzeitstag und Heiratsgut mit dem Alten beredete.

Olaf kam. Gunild saß mit dem Vater unter der Linde. Doch nicht schüchtern und bedenksam trat er herzu, wie man's wohl in solcher Entscheidungsstunde erwarten mag: er kam von der Eberjagd, den Speer in der Hand, berauscht vom Fieber des Kampfes. Und ohne jegliches Vorwort ergriff er die Rechte des Vaters und bat, als habe er zu fordern, um die Hand seiner Tochter. Hatte jemals einer so geworben?

Doch lieh der Alte lächelnd ihm ein williges Ohr, denn dem kühnen Manne verzeiht man wohl die überkühne Rede. Gunild aber erschrak, – es wallte und wogte in ihr. Sie war keines von den sanften Mädchen, die sich still dem Manne beugen; selber trutzig und stolz, hatte sie nur nach heißem Kampfe und doch in heißer Liebe den Entschluß sich abgerungen, sich diesem Manne zu eigen zu geben.

Der Vater blickt auf Gunild, als erwarte er von ihr die Antwort. Sie bleibt stumm. Allein in der Röte, welche das Gesicht übergießt, in dem Blick, der zornig funkeln will und doch verschämt sich senken muß, in den Tränen, die verhalten dennoch hervorbrechen, liest er das Ja, welches die Lippen versagen. Er willigt ein. Und wie im Traume läßt sie ihre Hand in Olafs dargebotene Rechte sinken.

Doch das Alter ist langsam, bedächtig; es heischt auch von der Jugend Bedacht und reife Prüfung: also fordert der Vater noch ein Jahr der Probe, bevor das lockere Band des Verlöbnisses zum unlösbaren der Ehe gefestigt werde.

Jetzt verstummt der kecke Werber, und wie der Vater vorhin fragend auf Gunild geblickt hatte, daß er das Ja von ihrem Munde nehme, so blickt Olaf jetzt auf sie, unmutvoll erwartend, daß sie des Vaters Willen wende. Und Gunilds gekränkter Stolz findet nunmehr die Sprache. Vor einer Stunde noch würde sie in den Vater gedrungen sein, alsbald die Hochzeit anzuberaumen, jetzt aber machte sich die Entrüstung Luft über Olafs herrisches Wesen, der mit dem Jagdspeer hergestürmt war, um sie wie ein Wild zu erjagen. Sie sah ihm fest ins Auge und sprach laut und fest: »Des Vaters Wunsch ist der Tochter Gebot!«

Solche Antwort hatte Olaf nicht erwartet. Er fuhr auf, wie vom Blitze berührt, und sein zürnender Blick fragte Gunild, ob sie ihr Wort nicht zurücknehme. Doch als sie nur in kaltem Schweigen antwortete, da brach sein lauter Zorn mächtig wie ein Strom hervor. Hatte sie nicht selber längst insgeheim zugestimmt, daß nur ein rascher Ehebund die steten Widersprüche ihrer Liebe lösen könne? Hatte ihn nicht gemeinsame Abrede deshalb hierher geführt? Und jetzt verleugnete sie ihren eigenen Willen! Immer war sie karg gewesen in jedem Wort und Zeichen der Liebe, und gerade wenn er das Höchste erwartete, hatte sie allezeit um so weniger geboten.

Das warf er ihr jetzt in harten Worten vor.

Gunild aber entgegnete: nicht ihr Wille sei heute ein anderer geworden, sondern ihre Erkenntnis; denn wenn selbst in diesem Augenblicke Trotz und Herrschsucht sein Gemüt befange, dann werde auch der rasche Ehebund ihre Widersprüche nicht versöhnen, sondern vielmehr schärfen und steigern zu endlos wachsendem Unheil.

So häuften beide wechselsweise Vorwurf auf Vorwurf, und der Vater, den sie hätten bitten sollen, daß er sie vereinige, bat die Kinder vielmehr, daß sie sich nicht entzweiten.

Aber vergebens. Sie trennten sich. Schon schüttelte der heranbrausende Sturm die Wipfel der Linde und verschlang ihre letzten Worte: es waren nicht Worte der Liebe gewesen, nicht einmal Abschiedsworte.

Gunild schritt, auf den bekümmerten Vater gestützt, zum Hause. Doch blickte sie noch einmal verstohlen zurück, ob Olaf nicht umkehre. Allein er eilte in ungestümer Hast zum Meere, wo ein Kahn am Strande lag, und bestieg das Schifflein, um auf dem kürzesten, aber gefahrvollsten Wege heimzufahren. Denn schon ging die See hoch, und als das schwache Fahrzeug in den Wogen verschwand, konnte man bald nicht mehr entscheiden, ob es von der Flut verschlungen oder ob es ihrer Meister geworden sei.

So war es gestern abend gewesen.

Gunild hatte die Sturmnacht in Sturmgedanken durchwacht, und jetzt, wo sie am stillen, klaren Morgen auf dem Hochsitze stand, war es in ihr zwar klar, aber nicht stille geworden; denn sie erkannte, stumm entsagend, daß der Sturm des unheilvollen Abends ihre Liebe in alle Lüfte verweht habe.

II.

Olaf war nach grausiger Fahrt daheim gelandet; Zorn und Verzweiflung gaben ihm die Kraft, welche sein Fahrzeug durch die Brandung zwang, die er bei ruhigeren Sinnen kaum hätte besiegen können.

Aber nun in der Stille des Hauses fühlte er sich erst recht leer in Geist und Herz; das Hauptziel, welches alle seine Gedanken in Atem gehalten, bestand nicht mehr, sein Leben deuchte ihm mit einemmal inhaltlos. Ihn dürstete, sich dieser unerträglichen Leere zu entschlagen; er hätte sich ins Gefecht stürzen mögen, allein es gab keinen Feind; er griff zu den Jagdwaffen, aber es schien ihm matt und reizlos, mit Bär und Wolf zu kämpfen; er hätte ins weite, tobende Meer hinausfahren mögen, allein er fürchtete sich vor der unendlichen Einsamkeit der Wasserwüste. Und doch war es ihm, als könne er nur im Taumel von Wagnissen und Abenteuern genesen.

So streifte er ziellos durch die Wälder.

Da begegnete ihm eine Schar von Männern aus der Nachbarschaft, die wohlbewaffnet leise und vorsichtig einherzogen, als suchten sie einen versteckten Feind. Sie riefen ihn an mitzugehen, denn eine lustige Jagd, einen seltenen Fang gelte es heute.

Olaf horchte auf.

Es war ein Aufstand des hier fast überall noch heidnischen Volkes ausgebrochen gegen die Corveyer Mönche, welche als Missionare in das Land gekommen waren und hier und da Bekenner des neuen Glaubens gewonnen hatten. Schon wurde in Sigtuna eine Kirche gebaut und ein Bischofssitz gegründet, als sich das Volk erhob und die Christen verjagte. Sie hatten sich in die Wälder geflüchtet, und dort suchte sie eben jene Schar, welcher Olaf begegnete.

Er zauderte, der Einladung seiner Nachbarn zu dem seltsamen Weidwerk zu folgen; denn die Mönche samt ihrem Bischof waren ihm höchst gleichgültig. Er lebte nach der Väter Weise und kümmerte sich nicht um den neuen Gott. Zudem schien es ihm wenig heldenhaft, über wehrlose Flüchtlinge herzufallen. Allein war auch die nächste Gefahr nicht groß, so lauerte vielleicht eine größere im Hintergrund: unter des Königs Schutze war der Bischofssitz gegründet, durch den König, ob er gleich selbst noch ein Heide, war den Mönchen frei Geleit gegeben worden; den Bischof und die Mönche verfolgen hieß sich also wider den König setzen.

Gerade dies gab jedoch für Olaf den Ausschlag: Trotz zu bieten aller Welt und den König und alle Welt herauszufordern, das gefiel jetzt seinem gärenden Unmute.

Darum stürmte er fast willenlos fort mit dem wilden Schwarm, und als er sich dann mit ihnen erst einmal recht hineingeredet hatte in Grimm und Haß gegen die feigen, psalmplärrenden Mönche, da war es ihm, als lindere sich sein Herzweh ein Stücklein, da schwand die Leere und Öde, welche ihn gequält: er hatte ein Abenteuer gefunden.

Am späten Abend ward das Versteck der Christen aufgespürt. Tiefes Dunkel lag schon auf dem Dickicht. Bei rotem Fackelschein, der die Wildnis grell durchflammte, rang man miteinander, jagte, verfolgte die Fliehenden von Busch zu Busch, von Baum zu Baum. Manche wurden erschlagen, der Bischof mit vielen anderen gefangen und gebunden; aber größer noch als die Beute an Menschen war die Beute an Gefäßen, Gewändern und allerlei Kirchengerät, an den Heiligtümern, welche die Christen mit sich geflüchtet hatten.

Weithin hallte der Jubel der Sieger, die den Raub teilten, indes die Gefesselten, mitten im Ringe gelagert und scharf bewacht, stumm ergrimmend zusehen mußten, wie der eine einen Abendmahlskelch auf der Götter Minne leerte, der andere ein Meßgewand über sein Bärenfell warf, der dritte ein Kruzifix als neuesten Zierat an seinem Schwertgehäng befestigte.

Olaf verschmähte allen Teil an den kostbaren Dingen, obgleich er am schärfsten gesucht, am wildesten dreingeschlagen und darum wohl das reichste Beutestück verdient hatte. Nur ein kleines Andenken wollte er sich von dem gleißenden Tande mitnehmen, und so ergriff er ein Ding, welches die anderen als ganz unbrauchbar beiseitegeworfen hatten, ein wunderliches Stück Hausrat: viele viereckige Blätter Pergament, hinten zusammengeheftet und mit zwei Deckeln von Elfenbein beschwert und gefaßt. Die Blätter aber wimmelten von den seltsamsten, unverständlichen Runenzeichen und Bildern, bald schwarz, bald in Gold und Farben ausgemalt. Keiner verstand, was das Ding bedeute, denn keiner hatte noch ein Buch gesehen.

Lächelnd band Olaf das Buch, welches er für ein Amulett hielt, an seine zur Brust niederfallende Halskette, und als er in der Morgenfrühe wieder nach Hause kam, unbefriedigt, daß der wilde Tag so rasch und glatt zu Ende gegangen, warf er das Buch verächtlich in eine Ecke, kümmerte sich auch weiter nicht mehr darum und versank aufs neue in seinen brütenden Unmut.

III.

Drei Tage war das Buch im Hause, da erkrankte Olafs Mutter. Vergebens rief er arzneikundige Frauen; sie wußten nicht Rat noch Hilfe und sagten, das sei eine ganz neue Krankheit, die ihnen noch niemals vorgekommen. Nach weiteren drei Tagen war die Mutter eine Leiche.

Olaf hatte sie so lieb gehabt, doppelt lieb, da er seinen früh verstorbenen Vater kaum gekannt hatte. Es war ihm, als ob er mit Gewalt, mit Schwert und Streitaxt dem Tod die Beute entreißen müsse; allein sein Ungestüm half so wenig als die ärztliche Weisheit der Frauen: er mußte stillehalten.

Und doch war dieser Verlust nicht sein höchster Schmerz; vielmehr wuchs ihm die Seelenqual gerade dadurch ins Unerträgliche, daß er sich nicht ganz in das eine Leid um die Tote versenken konnte. Es gibt eine Wollust des Schmerzes, der betäubend, ungeteilt sich in eine Tiefe verliert. Olaf aber konnte nicht ungeteilt die Mutter beklagen, die er doch so heiß beklagte; seine Gedanken schweiften vom Lager der Sterbenden immer wieder ab zu Gunild, wie sie unter der Linde stand, und obgleich er ihr im Innersten zürnte, ja sich glücklich pries, daß er jetzt ganz einsam sei, getrennt von ihr, sah er ihr zürnend klagendes Gesicht doch immer neben dem Leidensgesichte der Mutter, und als er die Leiche zum Scheiterhaufen geleitete, war es ihm, als schreite Gunild wie eine erhabene Trauergestalt dem Zuge voran. Er suchte mit Gewalt das Traumbild zu verscheuchen, es dünkte ihm so sündhaft, daß die verlorene Geliebte klarer, drängender vor sein Auge trat als die verlorene Mutter, – und doch vermochte er's nicht.

Da brachte schon der Abend desselben Tages neues Leid, welches das alte verschlang. Olafs Schwester, die Pflegerin der Verstorbenen, wurde von der gleichen Krankheit ergriffen, ein liebliches Mädchen, sanft, verständig, des älteren Bruders Trost und Freude. Sie hatte so oft seinen rauhen Sinn gesänftigt, sein unbedacht überschäumendes Treiben klug ins Maß zurückgeführt! Jäher, heftiger noch als die Mutter wurde die zarte Jungfrau von dem tückischen Übel gepackt, rascher noch ward auch sie die Beute des Todes.

Das war wohl Leids genug. Aber qualvoller als alle dies Leid peinigte es Olaf wiederum, daß er auch in diesen neuen Schmerz nicht ganz und rein sich verlieren konnte; erschreckender noch als beim Tode der Mutter verfolgte ihn abermals Gunilds Gestalt. Denn er sah sie jetzt nicht mehr zürnend, im Trauergewande, den Groll über das zerrissene Verlöbnis auf den Lippen, sondern sie stand ihm hochzeitlich geschmückt am Sterbebette der Schwester, und als er dann auch deren Leiche zum Brandhügel geleitete, war es ihm gar, als verwandle sich die zarte Gestalt der Entschlafenen in Gunilds mächtige Erscheinung, und Gunild erhob sich von der Bahre im weißen linnenen Brautgewande, mit dem schimmernden Halsbande geschmückt und blitzenden Steinen, das Haupt vom Schleier umwallt, und winkte ihm mit schwermütigem Lächeln, daß er durch Thors Hammer den Ehebund schließen und segnen lasse.

Das sinnverwirrende Doppelbild von Hochzeit und Leichenbegängnis, welches sich tiefer und tiefer in seine Seele wühlte, trieb Olaf zur Verzweiflung. Nicht nach Thors Hammer, der die Ehen segnet, hätte er denken sollen, sondern an den Hammer Thors, der unterm Donnerschlage zerschmettert und sieben Klafter tief in die Erde fährt. Er rief laut aus, daß dieser Hammer ihn treffen möge. Zugleich packte ihn heiße Angst um seinen jüngeren Bruder, das einzige noch übrige Glied der Seinen, einen frischen Knaben. Gewiß, auch ihn umringelte bald die Schlange der giftigen Seuche!

Jetzt erkennt Olaf die strafende Hand der Götter und sinnt, wie er den Tod wenigstens vom Haupte des Bruders abwende. Da geht ihm plötzlich ein helles Licht auf: er hatte Thor, den Schützer der Ehen und Verlöbnisse, beleidigt, als er das Band mit Gunild zerriß in dem Augenblicke, wo er's unlösbar knüpfen sollte. Darum verfolgt ihn der stete Gedanke an Gunild, darum verwandelt sich ihm selbst die Leiche der Schwester in das Trugbild der festlich geschmückten Braut. Immer tiefer denkt er sich in diese Überzeugung hinein: sie bricht zuletzt seinen harten Sinn. Soll er zu Gunild eilen, reumütig ihre Hand erfassen, weich wie ein Kind unter Tränen um Verzeihung bitten, wohl gar die Frist des Jahres zugestehen? Er wäre bereit, wenn ihm nur jemand Gewißheit schaffte, daß durch dieses Opfer sein Bruder wirklich bewahrt bliebe vor Thors strafender Hand.

Darum ging er, wie es Sitte war, zu einem Priester und Seher und fragte, ob er Thor oder einen anderen Gott beleidigt habe, daß ihm dieser zürne und so schwere Strafe über ihn und die Seinen verhänge.

Der Priester befragte das Los nach Brauch und Herkommen und sprach alsdann zu Olaf: »Thor und alle heimischen Götter sind dir gnädig, nur ein fremder Gott zürnet dir: der Gott der Christen.«

Olaf erstaunte und konnte den Worten nicht glauben; da fuhr der Priester fort: »Unsere Zeichen lügen nicht. Christus hat dich so zugrunde gerichtet, weil etwas, das ihm geweihet war, in deinem Hause verborgen liegt, und solange das teuflische Ding im Hause bleibt, wirst du deiner Leiden nicht ledig werden.«

Nun mit einemmal entsann sich Olaf des geraubten Buches, welches er in die Ecke geworfen hatte, und glaubte mit dem Priester, dies zauberhafte Amulett habe die Pest in sein Haus gebracht und ihm den Geist so schwer verwirrt. Er stand aber ratlos, was zu tun sei, und auch der Priester wußte ihm keinen Rat.

Sollte er das Zaubergeräte verbrennen oder ins Meer werfen? Wer bürgte ihm, daß dann der Christengott nicht dreifach zürne? Sollte er's verehren wie ein Heiligtum, wer sagte ihm gut, daß er dann nicht den Zorn der heimischen Götter herausfordere? So wagte er das Buch weder im Hause zu behalten, noch getraute er sich, es hinwegzuschaffen.

In dieser Not rief er die Nachbarn zusammen, fragte, was zu tun sei, und zeigte ihnen das Ding, welches der Weiseste unter den Versammelten als ein Buch erkannte, und sie nannten es: »Das Buch des Todes.«

Allein, obgleich sie lange hin und her sannen, fanden auch sie keinen Ausweg. Nur in ihrer Furcht vor dem unheimlichen Buche waren alle einig. Keiner wollte es zerstören, aber noch viel weniger behalten, und sie drangen in Olaf, daß er es ganz aus ihrem Gebiete hinwegschaffe.

So beschloß man dann endlich, das Buch auf ein langes Brett zu schieben und an die äußerste Grenze des Markwaldes zu tragen. Jenseits, in herrenloser Wildnis, befestigte man es sorgsam an den Stamm der ältesten Eiche und ließ in den auswärtigen Gebieten ringsum sagen, wer Lust habe, der möge sich das Buch holen.

Es hatte aber niemand Lust dazu.

IV.

Gunild hatte unter der Hand alles erfahren, was in Olafs Hause vorgegangen war. Aber niemand konnte wahrnehmen, daß sie diesen Nachrichten mit bewegtester Seele lauschte. Wie sie ihre Liebe in sich verschlossen hatte, so verschloß sie auch ihr Leid.

Als sie von der Teilnahme Olafs an dem nächtlichen Raubzuge hörte, sprach sie zu sich selbst: »Es war gut, daß ich mich von diesem Manne getrennt habe.« Und doch fragte sie sich nachher, ob denn Olaf unrecht getan, die fremden Eindringlinge, die Feinde der vaterländischen Götter, zu verfolgen.

Als man ihr von den zwei jähen Todesfällen erzählte, beklagte sie die armen Frauen und hätte für dieselben sterben mögen, zugleich aber schalt sie sich, daß sie in jenem Verhängnis weit mehr eine Zuchtrute für Olafs wildes Herz erkannte als ein mitleidwertes Unglück des einst Geliebten.

Als sie dann endlich von dem Buche des Todes vernahm und wie man es an den Baum in der Wildnis gehangen habe, wo keiner es zu holen wage, da ergriff sie eine unwiderstehliche Sehnsucht nach dem Buche. Sie wollte es sehen, und wär's auch nur, um über die feigen Männer zu spotten, die mit ihrem Todesmut im Taumel des Kampfes prahlen; aber vor einem Zauber, der leise, unsichtbar, unbesiegbar den Tod ins Herz senkt, scheuen sie zurück.

Unter dem Vorwande, Arzneikräuter zu sammeln, ging Gunild eines Tages hinaus in den Wald, nur von ihrer treuesten, verschwiegenen Dienerin begleitet. Seltsam schwer war es ihr diesmal gefallen, sich vom Vater zu verabschieden: heuchelte sie doch, daß sie Kräuter der Genesung suchen wolle, und sie suchte das Buch des Todes.

Auf weiten Umwegen kam sie zur Waldesgrenze, wo das Buch noch immer am Baume hing. Mit geheimem Grausen näherte sie sich. Aber sie faßte ein Herz, schritt rasch und fest zur Eiche, löste das Buch und nahm es herab.

Da fiel ihr die Dienerin in den Arm und beschwor sie, zu fliehen und das todbringende Buch am Ort zu lassen. Gunild aber sprach: »Die Männer haben sich vor dem Zauberbuche gefürchtet, daß sie es nicht zu behalten noch zu vernichten wagten; ich bin nur ein schwaches Mädchen, aber ich will das Buch dennoch mitnehmen und ins Meer werfen auf meine Gefahr, damit es den Männern nicht länger Angst und Sorge bereite.«

Und trotz des Warnens und Flehens der Dienerin barg sie das Buch in ihrem Busen und lenkte ruhig zum Heimwege.

Doch als sie so das Buch auf ihrem Herzen fühlte, überlief sie plötzlich ein kalter Schauer; die Knie wankten, sie mußte stillestehen und umschlang den Nacken der Dienerin. Hatte sie nicht wirklich jetzt den Tod in ihre Brust gesenkt?

Allein war es denn nicht schon Todessehnsucht gewesen, die sie so rätselhaft zu dem Buche gezogen? Und doch erzitterte sie jetzt an Leib und Seele bei dem Gedanken, daß sie nun unrettbar sterben müsse. Aber in diesem unsäglichen Bangen der Todesgewißheit fiel ihr zugleich ein Schleier vom inneren Gesichte, wie es licht wird vor dem Auge des Sterbenden. Sie riß das Buch hervor und vermochte doch nicht, es wegzuwerfen, sie hielt es gen Himmel und rief: »Ich will leben! leben nur noch eine kleine Frist, nur so lange, bis ich Olaf sagen konnte, wie lieb ich ihn gehabt!«

Dann fuhr sie plötzlich zusammen, als erschrecke sie vor ihrem eigenen Worte, als sei ihr ein Geheimnis entfahren, welches sie ewig hätte in sich vergraben müssen. Allein das Wort war heraus. Mit voller Gewalt war endlich die so lange verhaltene Liebe hervorgebrochen, alles Herzeleid, aller gekränkte Stolz, aller Widerspruch mit Olaf war aus ihrer Seele hinweggewischt. So hatten in dieses Weibes Brust die Schauer des Todes und verkannter Liebe miteinander gerungen, und aus dem Todesschrecken war ihr zum erstenmal die volle Liebessehnsucht aufgeblüht.

Wollte sie jetzt sterben, nachdem sie das Wort gesprochen, wollte sie leben? – sie wußte es selber nicht. Wie eine Träumende verbarg sie wiederum das Buch in ihrem Gewande und ging weiter durch die Waldeinsamkeit. So gelangten sie zum Strande, und Gunild staunte, daß ihre Augen das Meer noch sähen und die Sonne und die leichten Wolkenschatten, welche auf dem weiten Wasserspiegel tanzend verschwebten.

Sie wollte das Buch in der Flut versenken, aber sie wagte es nicht und hielt es schwankend in der Hand, abgewandten Auges. Doch mit dem Vollgefühle, daß sie lebe und leben wolle, erwachte auch ihr alter Mut; sie schämte sich, daß sie das Buch noch gar nicht fest anzublicken gewagt, und faßte es zum erstenmal klar ins Auge und schlug die Blätter auseinander. Da sah sie zwischen den rätselhaften Schriftzeichen schöne Bilder, Männer, Frauen und Kinder, und überall die hohe Erscheinung eines Mannes unter ihnen, der helfend, lehrend, segnend sie alle zu überragen und zu führen schien gleich einem Könige, ob er schon nicht Stab noch Krone trug. Allein sie verstand den Sinn der Bilder nicht.

Die Dienerin aber, aufatmend, als sie ihre Herrin wieder in so ruhiger Beschauung erblickte, trat schüchtern hinzu und sprach: »Der böse Zauber, welcher in dem Buche steckt, ist ein Zauber des Christengottes; unsere Priester konnten ihn nicht lösen, vielleicht vermag es ein Christ.« Und dann flüsterte sie der Herrin ins Ohr, daß sich einer der entronnenen Christen in den nahen Wäldern versteckt halte. Sie kenne ihn und wolle ihn morgen aufsuchen, damit er das Buch sehe und den Zauber hinwegnehme.

Gunild horchte auf bei diesen Worten, die sie wieder ganz zu klarem Nachdenken zurückriefen. Hatte sie gewagt, das Buch von der Eiche zu nehmen und in ihrem Busen zu tragen, hatte sie gewagt, es durchzublättern, dann wollte sie ihm jetzt auch auf den Grund kommen, sie wollte wissen, ob in diesen lieblichen Bildern das süße Gift des Todes schlummere.

Also gab sie nach kurzem Besinnen der Dienerin recht, verbarg das Buch unter einem großen Stein und ging zurück zum väterlichen Hause, gefaßt auf Leben oder Sterben.

Allein der Tod kam nicht.

So holte sie denn in den nächsten Tagen das Buch unter dem Steine wieder hervor, um sich in das Versteck jenes Christen führen zu lassen. Der Mann, ein vornehmer Sachse, welchen Lust an Abenteuern nicht minder als sein Glaubenseifer mit den Corveyer Mönchen nach Schweden geführt hatte, war durch die Dienerin bereits unterrichtet von der Absicht des Besuches.

Gunild zeigte ihm das Buch und fragte, ob es wirklich zu töten vermöge und ob er die böse Gewalt hinwegnehmen könne von dem Buche des Todes.

Der Sachse erwiderte: »Du nennst es das Buch des Todes, wir nennen es das Buch des Lebens; denn es ist ein Evangelienbuch. Aber jeder mag in seiner Weise recht haben.«

Darauf entgegnete Gunild: »Wie kann dieses Buch zugleich das Buch des Lebens und des Todes sein?«

Und der Sachse antwortete: »Glaubet ihr nicht auch, daß Thor mit demselben Hammer töte, mit welchem er segnet?«

Da der Mann solchergestalt Rätsel durch Rätsel erklärte, wollte Gunild die Runen und Bilder des Buches gedeutet wissen. Vielleicht, daß sie dann klarer sähe. Auf dem Deckel waren in Elfenbein geschnitzt Sonne und Mond und Okeanos, der Meergott, mit seiner Wasserurne und Tellus, die Erde, mit ihrem Füllhorn; über diesen allen aber thronte der Gekreuzigte. Der Sachse erklärte ihr, daß dies Christus, der Sohn Gottes, sei, zum Opfer für alle Welt am Kreuze getötet.

Wiederum fragte Gunild staunend: »Wie kann ein Gott getötet werden und doch herrschen?«

Der Sachse aber erwiderte: »Glaubet ihr nicht auch, daß Baldur, Odins Sohn, getötet worden sei? Und doch herrschet Baldur, bei dessen Tod alle weinten, Menschen und Tiere, Erde, Steine und Bäume, stärker in deinem Herzen als irgendein anderer Gott. Diesem Baldur ist Christus vergleichbar, fast wie ein Bruder.«

Und als er nun weiter von Christus erzählte, rief Gunild: »Fürwahr, das ist Baldur, der weise, beredte Gott, der schöne, leuchtende, welcher den Menschen Recht und milde Sitten brachte!«, und sie freute sich, daß ihr der schöne Christengott des Buches gar nicht so fremd sei, sondern vertraut und heimatlich.

Dann ließ sie sich weiter Bild um Bild deuten: wie Christus auf dem Berge lehrt, wie er bei der Samariterin am Brunnen sitzt, wie er Jairi Töchterlein erweckt und die Kinder zu sich kommen läßt. Diese Bilder aber freuten sie, weil sie so gar hell und leicht zu verstehen waren, während die anfänglichen Worte des Sachsen durch das Halbdunkel des Rätsels sie gefesselt hatten.

Schon sank die Sonne ins Meer und schickte ihren letzten Strahl über den Wald als einen Mahnboten zur Heimkehr, und doch waren sie mit den Bildern noch lange nicht zu Ende. Ein seliger Friede aber kam leise über Gunild, als sie so dem Evangelium des Friedens lauschte und von dem Könige und Gottessohn hörte, der sich freiwillig aller Hoheit entäußert hatte, in Demut gehorsam bis zum Tode, daß er in seinem Liebesopfer die ganze Welt besiege.

Noch vor wenigen Tagen hätte Gunild keinen Sinn gehabt für dieses Geheimnis, das so leise und stark an unsere Herzen pocht; jetzt aber seit dem Gang zur Eiche, wo sie im Schrecken des Todes ihre Liebe zu Olaf wiedergefunden, verstand sie die Botschaft vom höchsten Opfertod der Liebe. Geläutert in der irdischen Liebe des Weibes, ward sie reif für das Evangelium. Darum verdrängte die aufdämmernde, ahnende Erkenntnis auch nicht jene alte Liebe; sie ließ dieselbe nur um so heißer in ihrer Brust erglühen, aber auch um so reiner, und während Gunild neulich dem Tode hätte entrinnen und leben mögen, um Olaf in ihrer tiefen Liebe seine tiefe Schuld zu zeigen, sehnte sie sich jetzt, ihm ihre Liebe darzubringen im Verzeihen und Vergeben.

Zu Hause aber erzählte sie noch am selben Abende alles dem Vater und bat ihn, das Buch im Hause aufheben und den Sachsen zu gastlichem Besuche laden zu dürfen, daß er ihr die Bilder weiter erkläre.

Vor dem Sachsen hätte sich der Alte nicht gefürchtet, allein er erschrak vor dem Buche. Doch sollte er minderen Mut zeigen als das Mädchen? Zudem gewann er Zuversicht im Anblick der verklärten Freudigkeit, welche nach so vielen traurigen Tagen das Gesicht seiner Tochter umstrahlte, und sprach: »Mein Haus bietet Gastfreundschaft für jeden, der in guter Absicht kommt; so mag denn auch der Gott der Christen und sein Buch und auch der Sachse unter meinem Dach willkommen sein.«

V.

Inzwischen hatte sich das Gerücht verbreitet, daß Gunild es gewagt habe, das Buch vom Baume zu nehmen und in ihrem Hause zu verbergen. Auch Olaf hörte davon, und als man es ihm erzählte, sah er Gunild in ihrer königlichen Gestalt vor sich stehen, eine Heldin an Gang und Miene. Staunend über solche Kühnheit, rief er: »Das Mädchen hat uns alle besiegt!«

Und indem er ihren Mut bewunderte, schlug sein zielloses Grollen und Sehnen plötzlich um in die glühende Begier, die verlorene Braut wiederzusehen, und erschiene sie ihm auch diesmal wieder nur so stolz und kalt wie an jenem Abende der Trennung. Nicht als die Geliebte wollte er sie wiedersehen, nein! – mit der Liebe war es aus und vorbei, aber wie der Freund zum Freunde wollte er vor sie treten, um dem kühnsten Weibe das Lob des Mannes zu sagen, der im ganzen Gau für den kühnsten galt.

Im selben Augenblicke aber durchfuhr ihn brennende Angst. Stand nicht Gunilds Leben in Gefahr durch das zauberische Buch, zehrte das Gift der Seuche nicht vielleicht auch schon an ihrem Herzen? Er mußte hin zu ihr, das Buch ihr zu entreißen, und koste es ihm sein eigenes Leben! In diesem Ungestüm der Angst aber entschleierten sich ihm seine heimlichsten Gedanken. Nein, es war noch nicht aus und vorbei mit der Liebe! Die Todesangst für die Geliebte sagte ihm, daß es mehr als bewundernde Freundschaft sei, was ihn zu Gunild ziehe.

Der rascheste Weg war zur See längs der Küste. Olaf bestieg sein Boot und ruderte die gleiche Bahn, welche er einst an dem Sturmabend von Erichs Schlosse zurückgefahren war; allein, obgleich das Meer heute spiegelglatt gebreitet lag, griff er doch noch heftiger mit dem Ruder aus als damals, wo er wider Wind und Wogen um sein Leben rang. Galt es doch, um Gunilds Leben zu ringen!

Schon nahte er sich Erichs Schlosse, da sah er eine Frauengestalt am Ufer sitzen: – er hielt das Ruder an und spähte. Es war Gunild! Rasch wandte er das Boot zum Lande und trat hinzu. Gunild bemerkte ihn nicht, so tief versenkt war sie in die Bilder ihres Buches, welche sie hier an demselben Orte bedenksam wieder betrachtete, wo sie vordem das Buch hatte in die Flut versenken wollen.

Olaf rief: »Hinweg mit dem Buche, es bringt den Tod! Gunild, gib mir das Buch!«, und er suchte es ihr zu entwinden.

Gunild fuhr erschrocken auf, sprachlos den ungestümen Mann anstarrend, das Buch aber hielt sie fest. Dann sammelte sie sich und sagte: »Fürchte nichts, das Buch wird mir nichts zuleide tun.«

»Es hat mir die Mutter und Schwester getötet, es wird dich und uns alle töten; – wirf es von dir!«

Darauf entgegnete Gunild: »Es ist das Buch des Lebens, und deine Mutter und Schwester sind nicht an dem Buche gestorben. Dir selbst nur drohet Gefahr, daß du das Buch dir zum Buche des Todes machest.«

Freundlich, ruhigen Tones hieß sie ihn dann neben sich sitzen und begann dem willenlos Folgenden von dem Buche zu erzählen und deutete ihm das Elfenbeinschnitzwerk auf dem Deckel.

Olaf ward etwas gelassener und hörte zu, anfangs, weil es seine heiße Stirn wie kühlende Abendluft anmutete, Gunild so mild und sinnig erzählen zu hören, dann, weil ihn allmählich der Sinn ihrer Worte seltsam ergriff. Und als er dann auch nach seinem Verständnis dazwischenredete und sie in kindlicher Einfalt von hohen Geheimnissen sprachen, fügte sich's wie von selbst, daß eines des anderen Hand ergriff, und dann entsannen sich beide, daß sie wieder geradeso beisammen säßen, wie sie vordem so oft gesessen hatten; allein, obgleich sie eben erst kühn die dunkelsten Gedanken getauscht, wagte doch keines, diesen klarsten Gedanken auszusprechen.

Da endlich bat Olaf die Jungfrau, daß er sie zum Schlosse rudern dürfe; denn immer noch fasse er nicht ganz, was das Buch bedeute, auch dränge es ihn, nach so schwerer Zeit und da er nun doch einmal ihres Vaters Boden betreten habe, Herrn Erich wieder zu begrüßen.

Gunild willigte ein, und so bestiegen beide das Fahrzeug, sprachen übrigens nicht weiter von dem Buche, ja sie verstummten allmählich ganz, als ob die schweigende Meerflut auch ihnen Schweigen geböte, und Olaf führte das Ruder immer langsamer, als zögere er, ans Ufer zu stoßen.

Endlich landeten sie bei der Linde, und in ihrem Schatten saß der alte Erich und staunte, wie aus einem Traum erwachend, als er das Paar vom Schiffe kommen sah, und vollends von demselben Schiffe Olafs, auf welchem dieser am Sturmabend so trotzig davongefahren war.

Olaf aber sprach zum Alten: »Bei meinem letzten Besuche kam ich keck und übermütig von der Jagd, um Eurer Tochter Hand zu fordern; heute komme ich aus dem Heiligtum der Götter und bitte um Gunilds Hand. Und wünschet Ihr noch Jahresfrist bis zum Tage der Hochzeit, so wird das gut sein, damit ich inzwischen jene Geheimnisse der Demut und Liebe lerne, welche in dem Buche stehen.«

Da brach Gunild in helle Tränen aus, aber es waren nicht jene Tränen des kämpfenden Stolzes, welche sie damals hier unter der Linde geweint, und fiel dem Geliebten um den Hals und bekannte laut ihre Liebe. Und der Alte legte schweigend seine Hände auf das Paar.

Nach Jahresfrist segnete der Priester Olaf und Gunild zum Ehebunde, nicht mit Thors Hammer, sondern mit den Worten der Schrift: »Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.«

In der Gegend aber erzählte man Wunderdinge von dem Buche des Todes, welches zugleich ein Buch des Lebens sei und Zauber wirkend, denn es habe die zwei stolzesten und trutzigsten Herzen zuerst vor Gott und dann voreinander gebeugt – in Todesangst und Liebe.


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