Wilhelm Heinrich Riehl
Meister Martin Hildebrand
Wilhelm Heinrich Riehl

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IV. Fastnacht.

Köln ist immer eine lustige Stadt gewesen, namentlich aber in den Tagen meiner Wanderschaft. Die Bürger lebten herrlich und in Freuden und das übrige Volk bettelte gemütlich in den Kirchen und Straßen und fuhr auch nicht schlecht dabei. Die Schildwachen an den Thoren bettelten die einziehenden Reisenden an, und da die Stadt für eine Freistätte verdächtiger Personen aus den angrenzenden Ländern galt, so gab jeder den Löffelsoldaten gern ein Almosen, bald aus guter Laune, bald aus Furcht.

Ein ganzes Jahr hatte ich in Köln gearbeitet. Es hielt mir anfangs schwer, unterzukommen, da man die lutherischen Ketzer nicht gerne sah in der heiligen Stadt, wie wir auch zwei Stunden weit nach Mühlheim in die Kirche gehen mußten. Aber als ich einmal meinen Meister gefunden, ward ich bald heimisch bei ihm, und hatte dort gute Tage. Denn die reichen Kölner, für die wir arbeiteten, sind Leute, die's lang hängen lassen, wenn sie's lang haben, und nirgends bekam der Gesell und Lehrjunge ein so kavaliermäßiges Trinkgeld, als bei den Kölner Prälaten und Domherren. Da ging es denn hoch her unter dem jungen Handwerkervolk. Ja, eine lustige Zeit war sie doch, die gute alte Zeit! Wenn die Maurer damals den Grundstein eines Hauses legten und herkömmlicherweise eine Flasche Wein hineinmauern sollten, dann tranken die Gesellen flugs den Wein weg und mauerten die leere Flasche ein für künftige Geschlechter. Die neuen französischen Papiertapeten kamen eben in Mode in den reichen Häusern von Köln und das Aufkleben derselben ward von den Tapezierern für ein besonderes Kunststück und Geheimnis ausgegeben, und die Gesellen verlangten für jedes Zimmer fünf bis sechs Maß Wein, um ihn unter den Kleister zu mischen, der nach einem geheimen Rezept zusammengesetzt werde. Dann kamen wir Bauhandwerker alle zusammen bei den Tapeziergehilfen und tranken den Wein, indes der Kleister das nötige Wasser trank. O wie ist es verkühlt und verhärtet das glutflüssige, funkensprühende Erz meiner lustigen Jugendzeit!

Also ein ganzes Jahr hatte ich in Köln gearbeitet, und nun wollte ich fortziehen aus den alten Mauern. Da war es mir denn recht gelegen, daß vor Thorschluß noch die tolle Fastnacht kam.

»In drei Tagen geht es auf dem geraden Weg zurück nach dem Westerwald, die Wanderschaft hat ein Ende, und wenn ich einmal in unseren Bergen festsitze als Meister, dann gibt's für mich in zwanzig Jahren nicht wieder eine kölnische Fastnacht.« So dachte ich, als ich am Morgen des fröhlichen Tages meinen Bratenrock anlegte, nämlich den roten Rock mit den gelben bocksledernen Buchsen, worin ich konfirmiert worden bin, und mein seliger Vater war auch darin konfirmiert worden.

Da trat die Frau Meisterin zu mir, ein wohlgenährtes, rotbackiges echt kölnisches Kind, festlich aufgeputzt. Um den Kopf aber hatte sie über die Haube allezeit ein weißes Tuch gebunden, denn ob sie schon aussah wie das Leben, litt sie doch stark an der Kopfgicht.

Die gute Frau hielt große Stücke auf mich und vertraute mir manchmal ein Geheimnis. Schien es doch, als ob sie auch heute so etwas auf der Seele habe.

»Wie geht's mit der Kopfgicht, Frau Meisterin?« fragte ich wie alle Tage, so auch heute, zum Morgengruß.

Und jedesmal erwiderte sie: »Wie's Gott gefällt, aber doch herzlich schlecht.« So hatte sie mir ein ganzes Jahr lang jeden Tag geantwortet. Heute jedoch sprach sie: »Wie's Gott gefällt; aber es wird bald ein Ende haben. Das ist meine Fastnachtsfreude, Martin, daß endlich ein Mittel wider das heillose Uebel gefunden ist. Heute ist ein Tag gekommen, wo wir's anwenden können.«

Und sie zog mich in die Ecke und flüsterte: »Der Meister darf um nichts wissen; er ist hinausgegangen die Gecken zu sehen, und alle die anderen laufen gleichfalls auf den Gassen herum. Das Mittel läßt sich nur ganz geheim anwenden: – ich brauche Sympathie!«

»Nun, Frau Meisterin,« sagte ich, »und ich will meine Narrenkappe aufsetzen – das ist auch Sympathie – und mit den Gecken durch die Straßen fahren.« Im stillen wünschte ich aber der guten Frau, daß ihr die Sympathie nicht auch zur Narrenkappe werden möge. Denn sie war eine herzensgute Seele, aber viel Grütze hatte sie nicht im Kopf.

Auf der Straße begegnete ich dem Meister, der nahm mich mit in die Trinkstube der Zunft. Er wußte wohl, daß er einen rechtschaffenen Gesellen an mir gehabt hatte, drum führte er mich heute – es war zum erstenmal – nicht nur in die Trinkstube, sondern er bedeutete mir auch klar, wie hoch er diese Auszeichnung anschlage, denn seine Einladung schloß er mit dem feierlichen Wort: »Danach der Mann ist, danach wird ihm die Wurst gebraten.«

In der Trinkstube aber durfte ich mich an das unterste Ende des großen Tisches setzen; denn oben saßen die Meister, und einmal wurde mir sogar von meinem Meister über den ganzen Tisch hin zugetrunken, was großes Aufsehen erregte.

Danach trat der Meister zu mir und sprach ganz vertraulich: »Ich will dir noch eine Freude machen, Martin. Du sollst die kölnische Fastnacht recht gründlich gesehen haben, darum will ich dich nachher auf den Gürzenich mitnehmen. Zuvor aber gehe mit nach Hause, ich muß noch ein Stück Geld zu mir stecken für alle Fälle, und dann wollen wir's lustig treiben bis tief in die Nacht hinein.«

Als wir ins Haus traten, begegnete mir die Frau Meisterin auf der Flur.

»Wie geht's mit der Kopfgicht, Frau Meisterin?« fragte ich in herkömmlicher Weise.

»Wie's Gott gefällt, doch aber herzlich schlecht.« Das sprach sie laut; leise flüsterte sie mir dann zu: »Wann heute bei Sankt Aposteln die Vesperglücke läutet, dann fliegt die Kopfgicht zum Fenster hinaus.«

Der Meister war in die Stube gegangen, um das Geld zu holen.

Seh' ich doch noch leibhaftig das versteinerte, vergeisterte Gesicht vor mir, mit welchem der dicke ehrliche Mann zurückkam, ein Säcklein in der Hand schüttelnd, und es klang, wie wenn lauter Steine darin wären!

»Weib! ist das nicht unser Geldsäckchen? Wo ist das Geld?«

»Jesus, Maria und Joseph!« rief die Meisterin, in deren rundbackigem Gesicht nun auch die Versteinerung und Vergeisterung anfing, sprang hinzu, riß dem Meister das Säcklein aus der Hand – – da rollten lauter Steine auf die Erde, lauter schöne, glatte Rheinkiesel!

Das war zu viel für eine Fastnacht, selbst für eine kölnische. Mir kam die Verwechslung fast vor wie jene von Wasser und Wein bei den Tapezierergesellen.

Der Meister konnte eine Weile nichts weiter herausbringen als lauter »Hölle« und »Teufel«, und die Meisterin nichts erwidern als »Jesus, Maria und Joseph!«

Endlich fand sie gebrochene Worte, um zu bekennen, sie habe Sympathie als Mittel gegen die Kopfgicht gebraucht; – zwei Zigeunerinnen hätten ihr das Mittel zugerichtet – den Zauber gesprochen, – und zu dem Ende – hier kam das Bekenntnis nur noch tropfenweis in großen Pausen heraus – habe das Weib einen irdenen Topf gefordert, worin sie Kräuter abkochen wolle; – auf daß aber der rechte Zauber während des Kochens über die Kräuter gesprochen werden könne, müsse ein Säckchen – nämlich ein Säckchen mit wenigstens zwanzig Thalern gefüllt, in den Dampf des Gebräus gehalten werden; – das Säckchen solle nur für den Zauber hergeliehen sein. »O, nun hat der Teufel das Geld in Kieselsteine verwandelt. Ich wollte ja anfangs nicht volle zwanzig Thaler herleihen. Da sagte die junge kleine Hexe: Ihr Christen sprecht: danach das Geld, danach die Seelmess'; so sagt der Zigeuner auch: danach das Geld, danach der Zauber. Wollt Ihr bloß den schwachen, den kleinen Zauber, dann geht es auch mit dem kleinen Geld –«

»So sagte die junge, die kleine –« rief ich hinein –

»Ach ja, das kleine Weibsbild.«

»Mit dem pechschwarzen Haar und dem feuerfarbenen Tuch?«

»Ja, wie einen Turban um den Kopf gewunden –«

»Und die Alte hatte eine große Warze auf der Nase? –«

»Wie ein Groschenstück!«

»Und die Kleine hatte auch eine Nase – eine Nase –«

»Wie? Was? eine Nase –«

Ja, die Nase war es, die unheilvoll schöne Nase, die mich schon so oft verblendet hatte, und ich sah sie jetzt wieder in höllischer Klarheit und lief davon, als stürze das Hans brennend über meinem Kopf zusammen. Und ohne eigentlich selber zu wissen, was ich wollte, lief ich stundenlang die Straßen auf und ab, bis mir die Gedanken wieder ein wenig zur Ruhe kamen.

Erst in der Dämmerung kam ich wieder gegen das Haus des Meisters. Es war aber nahe der Stunde, wo von Sankt Aposteln die Vesperglocke läuten sollte.

Da sehe ich, daß mir jemand in einiger Entfernung nachfolgt. Ich bleibe stehen – die Gestalt nähert sich mir. Es war eine feine, vornehme Frauenmaske.

Als sie vor mir stand, nahm sie die Larve herunter. Jetzt kam das Versteinern und Vergeistern auch an mein Gesicht. Das war meine Elisabeth, wie sie leibte und lebte. Die Gestalt aber sprach mit der feinen Stimme, die mir schon seit länger als einem Jahre, seit ich das Zigeunerkind tot geglaubt, wie der verschwebende Orgelton aus einer Gespensterkirche im Ohr geklungen hatte: »Ist das Eures Meisters Haus?«

An dieser Stimme erkannte ich, daß es wirklich die Zigeunerin sei; denn das Dämmerlicht und das ordentliche christliche Kleid des Heidenmädchens hatten die täuschende Aehnlichkeit mit meiner Braut ganz vollendet.

Ich antwortete »Ja«, wie ein Schulbube im Examen.

Da zog sie zwanzig Thaler hervor und sprach: »Hätt' ich vorausgewußt, daß jenes Weib Eure Meisterin ist, ich würde sie um aller Welt Güter nicht bestohlen haben. Ich erfuhr es erst, als sie selber davon plauderte, und da war es zu spät. Nehmt das Geld und bringt es ihr zurück.«

Jetzt kam mir Verstand und Mut und die Sprache wieder.

»Wer sich des Stehlens getraut,« rief ich, »der muß sich auch des Galgens getrauen!«

»Wer am Galgen stirbt,« erwiderte sie, »der braucht nicht im Bette zu sterben!«

»Und weißt du nicht, daß Stehlen Sünde ist?«

»Den Fremden bestehlen ist keine Sünde. Den eigenen Stamm bestehlen ist schwere Sünde; diese habe ich verübt, aber nur dir zuliebe.«

»Und wo willst du hinaus mit dieser Liebe zu mir?«

»Du sollst das Pflegkind unseres Stammes werden, du sollst mit mir ziehen durch Wald und Heide, nach Nord und Süd, frei und flüchtig wie der Wind, der mit uns über die Heide braust, die Narren verachtend, die sich in Städten und Dörfern selber ihre Kerker bauen. Zum Wanderer bist du geboren, aber noch hast du nicht geschmeckt, wie selig der freie Wanderer ist, der Zigeuner!«

Kein Komödiant hat jemals schöner geredet und kein Pfarrer beweglicher. Denn es rieselte mir über den Rücken, als sie so gesprochen und in der Dämmerung verschwand, ich weiß nicht wie, und das Geld hielt ich auch in den Händen und wußte nicht, wie ich es gewonnen.

Aber stolz war ich doch, daß ich den Mut gehabt, dem verwahrlosten Mädchen den Text zu lesen über das Stehlen. Hätte ich nicht an dem Tage gerade den roten Rock getragen und die gelben bocksledernen Buchsen, worin ich und mein seliger Vater konfirmiert worden sind, ich hätte mich schwerlich so tapfer ins Zeug geworfen.

Als ich aber der Frau Meisterin das Geld wieder gebracht und Lob und Dank die Fülle von ihr und dem Meister gewonnen hatte, – denn sie glaubten, ich sei den ganzen Tag mit den Polizeidienern umhergelaufen, um die diebischen Weiber aufzuspüren – da fragte ich, nicht ohne einige Bosheit: »Nun, Frau Meisterin, wie geht's mit der Kopfgicht?«

»Mit der Kopfgicht?« fragte sie und besann sich und fühlte an den Kopf, als suche sie was und könne es nicht finden.

Da läutete die Vesperglocke von Sankt Aposteln: – die Kopfgicht war in der That zum Fenster hinausgeflogen. Im Schreck hatte sie die Frau verloren und vergessen.

Und sie rühmte ihr Leben lang die Sympathie der Zigeuner als den heilbringenden Zauber, wodurch sie der bösen Kopfgicht quitt geworden sei.


 << zurück weiter >>