Wilhelm Heinrich Riehl
Meister Martin Hildebrand
Wilhelm Heinrich Riehl

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III. Auf der Grenze.

Dem Handwerksburschen ist in den Grenzstädten oft eine harte Prüfung vorbehalten – er muß sich über sein Reisegeld ausweisen. Der Grenzen aber gab's selbiger Zeit noch gar viele im heiligen römischen Reich, und überall ward ein anderes Reisegeld gefordert. Der Satz, daß guter Mut halbes Zehrgeld sei, galt nur selten vor den Bürgermeistern und Stadthauptleuten; sie wollten nur immer das ganze Zehrgeld sehen und kümmerten sich nicht um den guten Mut.

Solange ich mit meinem Kameraden, dem Holsteiner, gewandert war, hatten wir uns mit einem altüberlieferten Handwerksburschenkniff durchgeholfen. Wir thaten nämlich vor dem Amthause das gemeinschaftliche Vermögen zusammen, und so mochte die Summe für den einzelnen wohl genug sein. Standen wir dann auf der Polizeistube, so drängten wir uns recht dicht aneinander, der Holsteiner zählte die Summe zuerst vor, fing mit den Hellern an und hörte, sofern wir gerade so grobes Kaliber führten, mit den Kronthalern auf. Sowie er dann das Geld wieder wegnehmen durfte, reichte er mir's flink hinter dem Rücken zu, und zählte ich die gleiche Barschaft noch einmal auf den Tisch, fing aber mit den Kronthalern an und hörte mit den Hellern auf. Die Büttel und Scharwächter müßten rechte Schafsköpfe gewesen sein, wenn sie das Kunststück nicht gemerkt hätten; aber es war altes Handwerksburschenrecht, und das überlieferte Herkommen muß die Polizei nicht antasten.

Der gute alte Brauch würde uns aber jetzt in dem ersten hannoverschen Städtchen jenseits der Weser wenig geholfen haben. Denn dort sollte sich jeder über sechs Reichsthaler Zehrgeld ausweisen, und wie wir nun auch die gemeine Barschaft bei Heller und Pfennig zusammenzählen mochten, kamen doch niemals mehr als drei Reichsthaler heraus.

Vor dem Städtchen steht eine alte Linde mit dickem, knarrigem Stamm und rings um denselben zieht sich eine bequeme Steinbank. Dort saßen wir, zählten noch einmal und immer noch einmal, ob wir nicht die sechs Reichsthaler herauszählen könnten, allein es waren und blieben nur drei.

Das Wetter war zwar prächtig und der Weg, welcher zur Grenze herübergeführt hatte, wunderschön, aber eine vermaledeite Geschichte wäre es doch gewesen, wenn wir wegen mangelnder drei Reichsthaler binnen vierundzwanzig Stunden den wunderschönen Weg bei dem prächtigen Wetter wieder hätten zurückwandern müssen.

Mein Kamerad weidete sich eine Weile an meiner Verlegenheit. Da sagte er plötzlich mit bedeutungsvollem Lächeln: »Du hast in dem Wächterhäuschen tapfer geschlafen, Bruder, indes ich für uns beide gewacht habe. Nimm mir Ranzen, Stock und Kittel hier in Verwahrung, daß ich mich wie ein Spaziergänger durchs Stadtthor einschleichen kann, und in einer halben Stunde hoffe ich mit dem fehlenden Gelde wieder hier zu sein.«

Und ohne auf meine Fragen zu hören, sprang er davon. Aber seine Worte ließen mich schon ahnen, daß hier wieder die Zigeunerinnen im Spiel sein müßten.

Der Holsteiner brachte dann wahrhaftig nicht bloß die drei Reichsthaler herbei: er brachte ihrer neune mit, so daß wir beide diesmal nebeneinander unser Wandergeld gleichzeitig und vollzählig hätten auf den Tisch legen können.

Ich aber faßte den Kameraden am Rock wie der Scherg den Marktdieb, und nicht loskommen sollte er mir, bis er bekannt, wie er das Geld gewonnen. »Du hast es dem alten Weibe abgeschwatzt, während ich in der Hütte schlief, und ich rühre keinen Heller von dem Diebsgeld an!« –

– »Der Alten? Nein. Die ist zäh wie Lappleder. Sie hat uns ihren Dank bereits gezahlt, und wenn der Pfarrer nur einmal predigt für ein Geld, warum sollte eine Hexe zweimal uns dienen für eine Freundlichkeit? Aber die junge ist ein Prachtmädel. Höre, Westerwälder, nicht bloß das Glück kommt dir im Schlaf, sondern auch die Mädchen. Doch nun kein Besinnen! Nimm das Geld, und dann mit fliegenden Fahnen ins Städtchen eingezogen!«

Nun aber nahm ich das Geld erst recht nicht. Martin Hildebrand heiße ich nach zweien guten Kämpfern; darum wollte ich auch den guten Kampf jetzt tapfer zu Ende fechten.

Und unter dem Spott und dem zornigen Schelten meines Kameraden zog ich zum Thore hinein wie ein stolzer Sieger, und dennoch fiel mir auch das Herz bei jedem Schritt etwas tiefer gegen die Schuhe hinab; denn mein Siegerstolz war ja der eines Märtyrers, und die Ausweisung per Schub winkte im Hintergrund.

Der Thorwart rief Halt! Wir zeigten unsere Schreiben – Wanderbücher gab's dazumal noch wenige – und wurden sofort zur weiteren polizeilichen Behandlung aufs Amthaus geschickt.

Auf der Amtsstube schaute mich der Büttel zwar etwas grimmig und nachhaltig an; doch das ist man gewöhnt. Dann aber stellte er ganz höflich einen Stuhl hin und bedeutete mir schweigend, daß ich mich setzen möge. So viel Aufmerksamkeit hatte man mir noch auf keiner Amtsstube erwiesen, und ich freute mich im stillen darüber, wie auch, daß man meinem übermütigen Genossen keinen Stuhl geboten, obgleich mich doch auch wieder das geheimnisvolle Wesen des in Grobheit höflichen Büttels wunder nahm, der uns sofort allein in der Stube ließ.

Nach langem Harren erschien er wieder und zwar in Begleitung eines Bartscherers. Auch der sprach keine Silbe, zog sein Gerät hervor, seifte mich ein, und – jetzt ergriff ich den Sinn von des Büttels Höflichkeit: ich hatte den Schnurrbart ganz vergessen, den ich mir aus Ungarland mitgebracht! – Und der Barbier begann mir mit einem gräßlich stumpfen Messer den Schnurrbart herunterzuscheren.

Er war erst mit der einen Hälfte fertig, da war aber mein stolzer Mut schon ganz wegrasiert. Wenn einen in Kurhannover der Büttel schon um eines unschuldigen Schnurrbarts willen aufs Blut schinden lassen durfte, was wird man da erst mit einem Handwerksburschen anfangen, der kein vollzähliges Wandergeld hat?

Ich streckte darum, während der Bartscherer an des Schnurrbarts zweite Hälfte ging, ganz sachte die hohle Hand hinter den Rücken. Mein Kamerad verstand wohl das Zeichen, aber er ließ mich eine Weile zappeln, und erst als der Schnurrbart ganz herunter war, legte er mir die Thaler in die Hand. Als ich aber das kalte Geld fest packte, brannte es mich doch wie höllisches Feuer. Und ich zeigte es danach mit einem solchen rasierten Armensündergesicht vor, als hätten mir die Hühner das Brot gefressen.

Erst als wir das Amthaus im Rücken hatten, holte ich wieder Atem aus tiefster Brust. Und abermals faßte ich den Kameraden am Rock, und nicht eher sollte er wieder loskommen, bis er versprochen hätte, mich zu dem Zigeunermädchen zurückzuführen, daß ich ihr das Darlehen heimzahlte, und als Zins wollte ich ihr dann einmal gründlich und herzbewegend die Meinung eines treuen deutschen Handwerksburschen sagen.

»Das geht nicht an,« erwiderte der Schelm ganz gelassen. »Ich will dir reinen Wein einschenken. Heute nacht erwog ich, daß wir mit unserer Armut nicht einwandern könnten in den Kurstaat Hannover. Da trug ich mein christliches Bedenken der alten heidnischen Hexe vor; die aber hatte kein Geld mehr für uns. Allein die junge Hexe, die zwar den Mantel vors Gesicht zog, aber zwischen den Falten fortwährend nach dir hinüberschielte, hatte es gehört und nahm mich ganz verstohlen beiseite, da die Alte den Aufbruch rüstete, und verhieß mir Geld hier in der Stadt, wo die ganze Horde verborgen liegt. Doch mußte ich ihr mit Manneswort geloben, keiner Seele ihr Versteck zu verraten, daß nicht der ganze Schwarm ins Unglück komme, noch jemals die Rückzahlung des Geldes zu versuchen. Also sind wir quitt und das Hexengeld soll uns ebenso gut gedeihen, wie uns heute morgen der gestohlene und geschenkte Schinken geschmeckt hat.«

Da war vorerst nichts weiter zu machen. Ich aber schwur mir zu, das Geld nicht anzurühren. Die Dirne wird uns schon bald wieder begegnen, denn dieses Volk ist überall und nirgends, dann aber wollte ich ihr die Silberlinge vor die Füße werfen. Denn wer Martin Hildebrand heißt, der heißt nicht Judas Ischarioth, daß er seine Herrin und Meisterin um elendes Silber verraten sollte. – –

– – Auf der Amtsstube hatte man uns beiden ein rundes Stückchen Blech gegeben, darauf war die Ziffer II. eingeschlagen. Dieses Blechstück sollten wir auf der städtischen Rechnerei abliefern, dann würde man uns zwei Weißpfennige zur Wegsteuer darauf auszahlen. Es war das eine uralte Stiftung. Vor vielen hundert Jahren hatte nämlich ein reicher Zunftmeister ein Kapital niedergelegt, von dessen Zinsen jedem durchwandernden Handwerksburschen zwei Albus Zehrgeld auf den Weg gegeben werden sollen. Auf meine Frage, warum man denn dieses Geld durch ein Blechstückchen anweise, erwiderte man mir, das stamme aus einer Zeit, wo den Leuten das Schreiben noch nicht so gut abgegangen sei wie heutzutage. Auch sei die Anweisung in Blech ganz besonders bequem; denn mit zwanzig Blechzeichen, die an jedem Samstag auf der Rechnerei als eingelöst wieder zurückgeliefert würden aufs Amt, kämen sie das ganze Jahr aus, während für diese Frist tausend geschriebene Zettel nicht langten.

Mein Kamerad, der Holsteiner, den das Zigeunergeld übermütig gemacht, spottete über das gar geringe Zehrgeld und mehr noch über die blecherne Anweisung, weil sie genau so aussah, wie jene Blechmünze, die man den Hunden umhängt zum Zeichen, daß die Hundesteuer entrichtet ist. Und als uns des anderen Tages ein Pudel in den Wurf kam, hielt er ihn fest und band ihm das Blechstück um den Hals zum großen Jubel der Gassenbuben.

Ich aber dachte, man müsse doch das Gedächtnis des alten Zunftmeisters ehren, der die schöne Stiftung gemacht, und trug mein Blech auf die Rechnerei.

Dort mußte ich lange warten. Allein ich traf in der Vorstube den Büttel, der mich hatte rasieren lassen, der war nun ebenso zuthunlich gegen den Handwerksburschen mit glattem Gesicht, als er grob gewesen war gegen den schnurrbärtigen, und erzählte mir viel von der Last seiner Geschäfte.

»Denkt Euch, heute nacht um zwölfe mußte ich noch einmal heraus! Unter der Stadtmauer hatte sich eine ganze Zigeunerhorde gelagert. Einige Bürger aber, die gegen Mitternacht an jener Stelle vorbeigegangen, hörten ein so furchtbares Schreien, Streiten und Jammern, als ob's Mord und Totschlag gäbe, daß sie mir am Laden klopften und die Sache erzählten. Und wie ich dann mit der Scharwache an den Platz komme, da muß ich eine greuelhafte Geschichte sehen. Die wilden Kerle hätten ein schwaches, wunderschönes Mädchen beinahe erwürgt. Etliche aber nahmen Partei für das arme Ding. Und nun teilten sie sich, nach ihrer scheußlichen Art, Faustschläge aus; die Faust aber hatten sie dabei mit einem Tuch umwickelt, worin ihre zweischneidigen Messer verborgen steckten, so daß nach jedem Hieb das Blut hervorspritzte. Als wir aber einsprangen und die halbtote Dirne ihren Händen entrissen, sagten sie, das Schandkind habe ihr gemeines Geld veruntreut und neun Reichsthaler an einen Handwerksburschen weggeschenkt. Ein grimmiger alter Kerl aber, anzuschauen wie der Teufel selber, rief, nicht genug noch habe die Dirne an den blutigen Hieben; die Verräterin des Stammes müsse›Feuerspeise‹ heißen. Wißt Ihr, was das bedeutet? – Die zwei ärgsten Peiniger des geschlagenen Geschöpfes konnten wir auf der Stelle fassen. Die anderen liefen davon, und das Mädchen muß sich, wer weiß in welchen Winkel verkrochen haben, denn als wir wiederkehrten, war sie nirgends mehr zu finden. Die blutigen Spuren ihrer Mißhandlung könnt Ihr heute noch auf dem Platze sehen.«

Es wurde mir bald glutheiß, bald eiskalt über dieser Erzählung, und so wird mir's heute noch, wenn ich daran zurückdenke. Denn wie man sich erzählt, verbrennen die Zigeuner das Mädchen oder Weib, welches einem fremden Manne ihre Liebe zugewendet, und wen sie also dem Tode geweiht, den nennen sie »Feuerspeise«.

Auf der Lagerstätte unter der Stadtmauer habe ich ziellos stundenlang vergeblich gesucht und nichts gefunden als das zertretene Graf und die Blutspuren.

Wir wanderten weiter.

Ich mußte mich bald von dem Holsteiner trennen und sah und hörte nichts mehr von dem Zigeunermädchen.

Anfangs war mir's vor Zorn, Scham und Reue recht eigentlich, als müsse ich aus der Haut fahren. Im Kurfürstentum Hannover brauchten sie damals viel Geld wegen der alten Kriegsschulden und warben Soldaten für englischen Dienst in Ostindien. Da kam mir manchmal der Gedanke, meine Haut den Engländern zu verkaufen, das wäre schier so gut gewesen, als aus der Haut gefahren. Die vier Thaler tastete ich nicht an, obgleich mir mittlerweile manchmal der letzte Heller ausgegangen ist.

Endlich dachte ich: das Heidenkind wird wohl in selbiger Nacht totgeschlagen worden sein, und als ich – mir deucht, es war in Westfalen – eines Tages an einer Kirchhofskapelle vorüberkam, wo sie eben das Totengebet über dem Sarge einer Braut sprachen, warf ich die vier Thaler in den vor der Thüre aufgestellten Opferstock, kniete zu den anderen und betete für die Seele der armen Zigeunerin, die um meinetwillen totgeschlagen worden war.

Und wie ich des brennenden Geldes ledig geworden und für die Ruhe ihrer Seele gebetet hatte, kam auch meiner Seele die Ruhe wieder; ich konnte mir wieder rein und voll das Bild meiner Elisabeth malen, und der Teufelszauber war von ihrer wunderschönen Nase genommen.

So wanderte ich denn getröstet weiter.


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