Wilhelm Heinrich Riehl
Meister Martin Hildebrand
Wilhelm Heinrich Riehl

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II. Beim Wildhüter.

Von Witzenhausen zieht sich ein mächtiger Wald gegen Kassel hinüber. Es müssen stolze Stämme dort stehen und dichtverschlungenes Gebüsch; denn als wir in der stillen Mitternacht durch die langgedehnten Forste wanderten, konnten wir kaum den Pfad unter unseren Füßen erkennen, obgleich der Himmel ganz sternenhell war, und stießen bald wider die Aeste, bald wider die Wurzeln, so tief dunkel schattete das Laubwerk. Der Tag war schwül gewesen, und hätten uns nicht die ungastlichen Witzenhäuser zum Nachtmarsch gezwungen, so würden wir diesen wohl erquicklich gefunden haben; denn ein Gewitter hatte inzwischen die kochende Luft gekühlt. Das Graf war noch naß, und wenn ein Luftzug ging, schüttelte er schwere Tropfen von den Blättern, sonst aber ist's wieder ganz still und feierlich geworden über das weite Land hin, und hier und dort hat sich sogar ein verspätetes Johanniswürmchen, das den Juni und Juli überlebte, nach dem Regen hervorgemacht und leuchtete freundlich aus dem dunklen Grase.

Mein Kamerad, der Holsteiner, war in der Gegend wohlbekannt, denn er hatte früher einmal hier in Arbeit gestanden. Er wußte rechts und links Bescheid und konnte fast von jedem Plätzchen eine Geschichte erzählen, bald traurig, bald lustig, wie sie in den Spinnstuben von Mund zu Mund gehen. Gedenk' ich jetzt solcher Schnurren und Wandergeschichten, dann geht mir das Herz auf, wie's einem alten Fuhrmann durch alle Glieder zuckt, wenn er mit der Peitsche klatschen hört; aber damals verwünschte ich die Historien des Holsteiners, denn ich hatte meine eigenen Gedanken im Kopf, denen ich nachhängen wollte. Besonders kam mir das Zigeunermädchen nicht aus dem Sinn. War mir's doch, als ob ich sie schon einmal gesehen hätte, – ich glaub' im Böhmerwalde, wo sie mit einer Truppe zog, die in den Scheunen für Geld Kunststücke machte. Jetzt aber hatte ich eine merkwürdige Aehnlichkeit entdeckt zwischen ihr und der Schaufflerin, meinem Schatz, namentlich war es die Nase des Heidenkindes, die mich erschreckte, denn sie war der Nase meiner Anna Elisabeth gleich wie ein Ei dem anderen. Und dann ergrimmte mich's wieder recht bis in die Eingeweide hinein, daß man den hungrigen Wanderern nichts zu essen gegeben und uns allesamt geprügelt und vor die Thüre geworfen hatte. Solch ein Schimpf war mir noch in keiner Herberge widerfahren.

Mein Kamerad hatte eben ein erbauliches Nachtstück von einem benachbarten Galgen erzählt, den er ganz allein um Mitternacht erklettert hatte, um von dem dörrenden Gerippe eines dort aufs Rad geflochtenen Diebes die Finger zu stehlen (denn ein Diebesfinger ist zu mancherlei Dingen nütze); und als wir an Kauffungen vorbeigingen, hatte er von diesen Fingern einen ganz natürlichen Uebergang gefunden zu den Fingern jener Nonne von Kauffungen, die dreißig Jahre lang deutlich abgedrückt zu sehen waren auf dem Backen der Aebtissin ihres Klosters, nämlich infolge einer ungeheuren Ohrfeige, welche die Nonne ihrer Aebtissin gegeben, weil dieselbe über dem Mittagessen allezeit Messe und Prozession versäumte. Da fügte es sich denn auch wieder ganz natürlich, daß mein Kamerad von dieser Ohrfeige auf die feuerfesten Großallmenroder Schmelztiegel zu reden kam, denn von fernher schimmerten uns eben die Lichter des fleißigen Ortes entgegen.

Plötzlich aber hielt er an.

»Habt Ihr nicht eine dunkle Gestalt da vorn über den Hügel schleichen sehen?« fragte er, als wir an ein Plätzchen gekommen waren, wo der Wald sich lichtete.

Ich hatte nichts gesehen.

Aber der Kamerad hatte genug gesehen, um sogleich wieder eine neue Geschichte daran zu knüpfen. »Der Hügel,« sprach er, »ist mir wohl bekannt. Wenn ich früher an Sonntagsnachmittagen nach Allmenrode ging, führte mich der Fußpfad darüber hin. In den sechziger Kriegsjahren warf dort ein hessischer Grenadierlieutenant einen französischen Reiterhauptmann im Scharmützel nieder. Als der Franzose am Boden lag und die Degenspitze des Hessen auf seiner Brust spürte, rief er jämmerlich um Pardon. Da zog der Hesse seinen Degen zurück, der Franzose aber raffte sich auf, zog sein Pistol und schoß den Mann, der ihm eben erst das Leben geschenkt, von hinten meuchlings durch den Kopf. Doch sollte ihm der Frevel keinen Gewinn bringen, denn am anderen Tage ward er von den Lucknerschen Husaren niedergemacht. Jetzt reitet der Franzose nachts um in diesem Wald, manchmal bin ich ihm begegnet« – und er zog seine Korbflasche und nahm einen herzhaften Schluck Branntwein und beteuerte: »Dieser Trunk soll Gift sein, wenn ich dem Franzosen nicht begegnet bin« – und fuhr dann fort: »Oben auf dem Hügel ist ein kleiner Stein, darauf steht die ganze Geschichte zu lesen. Vor ein paar Jahren war er halb versunken und bereits mit Moos überwachsen. Da machten wir uns – ein paar Allmenroder Patrioten und ich – eines Sonntags früh auf, zogen mit Hacke und Stemmeisen heraus, richteten den Stein wieder gerade und kratzten das Moos ab, damit dem verräterischen Reitersmann seine Schande auch für die Zukunft nicht geschenkt sei.«

Während der Holsteiner noch erzählte, brach ein Lichtschimmer durch die Zweige, der uns stutzig machte. Es war, als ob ein Feuer auf dem Hügel lodere, ungefähr bei dem Denkstein. Bei meinem Kameraden aber war der Teufel los, als er den rätselhaften Feuerschein sah, denn er hatte Courage im Leib, war wirklich mitternachts allein auf den Galgen gestiegen, und wohl dürstete kein zweiter Schreinergesell im heiligen römischen Reich gleich ihm nach Abenteuern. Er blies sofort zum Angriff. Denn daß das Feuer kein irdisches sei, sondern mit dem französischen Reiter zusammenhänge, schien sonder Zweifel. Wir legten unsere eisenbezwingten Knotenstöcke ein, als seien es Lanzen, und brachen durchs Dickicht, den Hügel hinan, als säßen wir hoch auf dem Streitroß.

Oben auf dem freien Raume des Hügels angekommen, fanden wir nur ein verlassenes, schon verglimmendes wirkliches Feuer, welches keinerlei Spur höllischer Bestandteile zeigte, dessen Rauch aber allerdings durch einen besonderen Geruch ausgezeichnet war: es roch nämlich, als ob in der Asche Kartoffel brieten.

Seitwärts stand ein Wildhüterhäuschen. Von dorther hörten wir eine Weiberstimme. Da entbrannte dem Schreiner aufs neue die mannhafte Lust am Abenteuer. »Den Wildhüter kenne ich,« rief er, »wer zum Teufel mag die Dirne sein, die er sich bei Nacht in seine Hütte eingethan? Hallo! Hallo!« – und er blies durch die hohle Hand ein Jagdsignal – »dem Wildhüter wollen wir sein Wild aufscheuchen!«

Tollen Mutes sprangen wir hinzu. Ich kam ihm vor und stieß mit dem Knotenstocke wider die schiefe Thür der Hütte. Es war eigentlich nur, um anzuklopfen; allein im Sturm hatte ich den Stoß so übermütig geführt, daß er zugleich die Thür aus allen Fugen riß.

Ein altes Weib mit einer Laterne sprang hervor und zog einen gewaltigen Stock zum Streiche aus. Aber als sie zu gleicher Zeit mir mit der Laterne ins Gesicht leuchtete und scharf mir Aug' in Auge geschaut, ließ sie den Prügel sinken.

»Ihr seid es?« rief sie erstaunt und änderte die streitgerüstete Stellung. »Ihr sollt mir allezeit freundlich gegrüßt sein, auch wenn Ihr Euch unfreundlich anmeldet!«

Es war die alte Zigeunerin, und das Mädchen mit dem feuerfarbenen Tuch saß in der Hütte.

»Tretet ein,« fuhr die Alte mit einer Artigkeit fort, die nicht ohne Würde war. »Vorhin wolltet ihr euer Mahl mit uns teilen, jetzt teilen wir das unserige mit euch.«

Das ließen wir uns nicht zweimal sagen, und drückten uns in das Innere der Hütte, wo kaum Platz war, daß sich vier Personen lagern konnten.

Diese Wildhüterhäuschen sind ganz wie Indianerhütten gebaut in Gestalt eines Zuckerhutes, dessen Spitze ein großer Schirm von Flechtwerk, mit Lehm bekleidet, überragt, um das Einschlagen von Wind und Regen in den Rauchfang zu verhindern. Mit Lehm und Rasenstücken ist dann auch der ganze übrige Bau bedeckt. Innen ist höchstens eine Feuerstatt und eine Bank. Zu Zeiten schlägt der Wildhüter dort sein Lager auf, um von Stunde zu Stunde mit Schreien, Schießen und dem Gebell seiner Hunde das Hochwild zu verscheuchen, wenn es zur Atzung scharenweis in die angrenzenden Saatfelder zieht. In eine solche verlassene Hütte hatten sich also für heute nacht die beiden Zigeunerinnen einquartiert.

Unsere Wirtinnen teilten vor allen Dingen zur Besiegelung der Freundschaft ihr Mahl mit uns. Es waren Frühkartoffeln, die sie vermutlich am Wege gestohlen und dann in dem geheimisvollen Feuer gebraten hatten, und breite Schnitten eines köstlichen Schinkens, den sie wohl auch nicht gekauft, gefunden oder geschenkt erhalten haben mochten.

Die alte Hexe trug meinem Kameraden das Mahl auf. Der schüttelte sich ein wenig, als er den Schmutz der Alten und der Hütte sah, murmelte aber dann das Sprüchlein, welches bei solchen Gelegenheiten herkömmlich ist: »Besser eine Laus im Gemüs als gar kein Fleisch« – und griff tapfer zu.

Mir aber legte das niedliche Mädchen die Speisen so anmutig und reinlich vor, daß mir's köstlicher schmeckte, als hätte ich an des Fürsten Tafel gegessen.

Diese Zigeunerinnen – sonst so mißtrauisch und verschlossen gegen jeden, der nicht ihres Stammes ist – waren gegen uns zuthunlich und liebreich geworden. Ihre freundliche Dankbarkeit deuchte mir wie die eines herrenlosen Hundes, dem man Brot gegeben hat, und der uns dann die Hand leckt und wedelnd hinter uns drein läuft. Und damit will ich nichts Schlimmes gesagt haben; im Gegenteil, es soll ein großes Lob sein. Ich meine, die Dankbarkeit dieser Zigeunerweiber erschien so hingebend mit Leib und Seele, wie man das leider nur noch bei den Hunden findet.

Besonders erzeigte mir das Mädchen mit dem feuerfarbenen Tuch im pechschwarzen Haar jeden erdenklichen Liebesdienst, redete mir so freundlich zu und schaute mich stets so dankbar an mit den großen glühenden Augen, daß mir das braune Heidenkind fast so schön wie das schönste Christenmädchen erscheinen wollte, besonders weil ihr die Nase meiner Elisabeth zwischen den funkelnden Augen saß.

Als wir satt gegessen hatten, faßte sie mich am Arm und sprach: »Ich will Euch die Schicksale Eurer Wanderfahrt prophezeien,« und begann in den Linien meiner Hand zu lesen. Weil sie nun den Linienzug bis zur Handwurzel verfolgen wollte, so streifte sie mir den Rockärmel – es war am linken Arm – ein wenig zurück, und ihr scharfer Blick gewahrte das in den Arm geätzte Herz mit den Buchstaben A. E. S.

»Was bedeuten die Buchstaben?« fragte sie hastig.

Ich aber erwiderte mit besonders festem Nachdruck: »Das ist der Name meines Schatzes, der Anna Elisabeth Schaufflerin, daheim aus dem Westerwalde.«

Und es war mir im Augenblicke, als sei das Herz mit den drei Buchstaben ein lichtstrahlender Engelschild, vor dem der Teufel zurückweichen müsse, und das heidnische Hexlein stand da, als ob sie wie verblendet sei von den drei Buchstaben, schlug die Augen nieder und sprach kein Wort.

»Aber du hast mir ja nichts prophezeit?« fragte ich.

»Ihr habt mich verwirrt – ich kann es jetzt nicht!« rief sie und ihre Stimme zitterte, daß ich erschrak. Sie fing hell zu weinen an, setzte sich in die hinterste Ecke des Raumes, verhüllte ihr Gesicht und redete kein Wort mehr.

Der Holsteiner hatte sich inzwischen so festgefahren bei der Alten, daß ich um guter Kameradschaft willen den Gedanken schon aufgeben mußte, heute nacht noch weiter zu wandern. Die Zigeunerin erzählte ihm nämlich die seltsamsten Historien und Abenteuer, wie sie nur solches Volk an der Straße auflesen kann. Das war dem Schreinergesellen eine gemähte Wiese. Nie in seinem Leben hat er dem Pfarrer so andächtig zugehört wie der Hexe, und er sammelte in dieser einen Nacht Vorrat genug, um damit ein ganzes Jahr lang in allen Herbergen den lustigen Patron zu spielen.

Ich legte mich in einen Winkel und versuchte zu schlafen. Da erhub sich ein großer Kampf in meiner Seele. Vor meine Augen trat meine Elisabeth. Aber seltsam genug, wenn ich mir recht lange und getreu ihre Züge vorbildete, dann verwandelten sich dieselben, von der schönen Nase anfangend, allmählich in die Züge des Zigeunermädchens. Dann schalt ich mich selbst einen Esel, faßte mich, riß die Augen weit auf, schaute fest in die Ecke, wo das Kind saß. Sie hatte ihr Gesicht verhüllt, ich konnte die Nase nicht sehen, und der Spuk war vorbei. Ich dämmerte wieder ein, und das Blendwerk begann von neuem. Dergleichen hat noch kein Mensch erlebt. Denn wenn wir uns Gestalt und Gesicht einer abwesenden Braut oder des fernen Weibes recht getreu in der Seele vorbilden, dann ist dies sonst die kräftigste Stärkung der Treue, ja ein solches Bild ist ein wahrer Schild wider die Anfechtung. Solange wir uns dieses Bild noch recht klar ausmalen können, sind wir noch gar nicht reif zur Treulosigkeit. Nun hatte ich's gerade umgekehrt: je schärfer ich mir das Bild der Braut auseinanderlegte, um so gewisser ward mir, daß diese Zigeunerin ja ganz die gleichen Züge habe, und was allen anderen ein Schild wider die Anfechtung, das ward mir ein Zauberspiegel der Versuchung. Und immer hub die teuflische Gaukelei wieder bei den verschwisterten Nasen an. Da begann ich meine Gedanken anders zu wenden. Wie sonst schlaflose Leute zwölfmal das Einmaleins sprechen, so wollte ich so lange und so genau meine ganze Liebesgeschichte mit der Schaufflerin noch einmal durchdenken, bis ich darüber eingeschlafen oder des verhexten Zigeunergesichtes gänzlich quitt geworden wäre.

Also fing ich bedächtig von vorn an.

Elisabeth war die Tochter des fürstlichen Amtmannes Johannes Schauffler – das klingt gar hoch – und ich war nur ein Schlossergesell. Aber ich war guter Leute Kind, und der Amtmann hatte zwölf Kinder, und wo – ohne weiteren Vergleich – der Spanferkel viele sind, da fällt das Gespülicht dünn. Trotzdem ging die Sache, wie zu erwarten stand. Der alte Amtmann war teufelmäßig dazwischen gefahren, als er etwas von der Freundschaft zwischen seiner Tochter und dem Schlossergesellen verspürte. Denn er gehörte zur Dienerschaft und mein Vater zur Bürgerschaft; das war so gut als adelig und bürgerlich. So ward uns aller weitere Verkehr gewehrt.

Aber ein Schlossergesell läßt sich nicht so leicht aus dem Feld schlagen. Reden konnte ich nun nicht mehr mit meinem Schatz; wir konnten uns nur noch verstohlen und aus mäßiger Entfernung sehen, am Fenster, im Garten. Aber kann man nicht auch mit dem Mund zum Auge reden? Ich machte mir so meine eigenen Gedanken darüber. Der Mund spricht in doppelter Weise. Innen bildet er die Tonformen des Wortes aus, aber zugleich spiegelt sich in dem fein abgestuften Gestaltenwechsel der bewegten Lippen auch außen sicherlich die Tonform. Wer taub ist, der sieht's den Leuten am Mund an, was sie sprechen. Und meint ihr, die Leidenschaft, welche unsere Sinne nicht nur wunderbar verwirren und trüben, sondern auch ebenso wunderbar schärfen kann, vermöchte dem Auge nicht die Kraft zu geben, daß es, auch ohne einen Laut zu hören, dem Geliebten dennoch jedes Wort am Munde absieht?

So sprachen wir fast täglich geisterweise miteinander. Elisabeth stand am Fenster, schaute in die Landschaft hinaus oder begoß ihre Blumen; ich aber hatte mich in unverdächtiger Entfernung an einem alten Baumstamme aufgepflanzt und die Zwiesprach begann sofort mit Hand und Lippe.

Die stumme Sprache war uns in kurzem so natürlich, so wert geworden, daß wir beide im stillen dachten, nur dies könne die einzig echte Redeweise der Liebe sein.

Solches stellte ich mir nun recht lebhaft vor, um das Bild der Elisabeth rein und treu in meinen Sinnen zu halten und zur Abwehr des Zigeunergesichts. Aber was hatte denn das braune Kind zu mir gesprochen? Doch nur wenige, bedeutungslose Worte. Und doch hatten auch wir geisterweise viel Tieferes zusammengeredet. Nicht ihre Worte, nein, die dankbare Ergebenheit ihres Blickes, das Zittern ihrer Lippen, die stumme Sprache war es gewesen, womit auch sie mir es angethan. Dort saß sie in der Ecke, – das unstete Licht der verglimmenden Kienspäne zitterte über ihre traumhafte Gestalt, – sie verhüllte das Haupt und schwieg. – Wie viele Herzenspein mochte dieser Mantel decken, darein sie sich hüllte! Wie viele Worte mochten in dem bloßen Zittern dieser Lippen verborgen liegen! – An wessen Lippen dachte ich? – Mit ihrem Schweigen richtete sie – die Zigeunerin nämlich – mir all die Marter an, daß ich hätte aus der Haut fahren mögen. Wenn ich nur ihre verteufelt schöne Nase wieder sehen könnte, nur um des Vergleichs halber? Wessen Nase? der Elisabeth oder der Zigeunerin? –

Da war ich wieder bei der Nase angekommen, und durch den neuen Spruch, womit ich das Gespenst bannen wollte, hatte ich es abermals erst recht heraufbeschworen.

Ich legte mich auf die andere Seite, schloß die Augen fest und führte meine Gedanken mit Gewalt wieder zurück zur echten Elisabeth.

Die stumme Zwiesprach genügte nicht auf die Dauer. Also mußten Briefe geschrieben werden. Das war leicht, aber sie zu besorgen war schwer.

Das Amthaus befand sich im alten Schlosse, welches weiland mit Wall und Graben tüchtig befestigt gewesen. Jetzt hatte sich freilich Mauerwerk und altes Geröll zu hohen Haufen im tiefen Graben angesammelt und den Wall bedeckte wucherndes Buschwerk. Das Fenster von Elisabeths Kämmerlein ging auf den Graben. Wenn man aber nicht vorn über die alte Zugbrücke zum Thor des Amthauses gelangte, dann war es immer noch sehr mühselig, ja gefährlich, dicht unter die Mauern des Gebäudes zu steigen. Doch das sollte meinen verliebten Mut nicht schrecken.

Ich bin zu Hause, im elterlichen Hause, ganz gewiß, nicht in der verzauberten Wächterhütte. Mitternacht ist vorüber. Ich hatte mich bisher in den Kleidern auf meinem Lager gewälzt, und ob ich gleich nach dem heißen Tagewerk der Ruhe gar sehr bedurft hätte, doch kein Auge zuthun können. Jetzt bläst der Nachtwächter ein Uhr: – das längst erwartete Zeichen. Ich springe auf; zum Fenster geht's hinaus und über die Hofmauer hinüber auf die Straße. Dort ist's jetzt totenstill. Das dumpfe Getute des Nachtwächters verhallt in der Ferne. Nur ein Brunnen rauscht emsig in der einsamen Nacht. Kennt ihr diesen wundersamen Ton, das leise Gemurmel des Wassers im tiefen mitternächtigen Schweigen? Es klingt, als ob uns selber ein altes halbverklungenes Lied melodisch durch die Brust rausche.

Das alte Schloß ist rasch erreicht, der Wall rasch erklettert. Ich weiß genau, wo ich an den gefährlichen Stellen den Fuß einzusetzen, wo ich mich an einer Wurzel, wo an den Aesten zu halten habe. Das Dunkel der Nacht kann mich nicht hemmen, denn ich habe mir den Pfad noch nie anders als unter ihrem Schutze gebahnt.

Aus den Thälern ringsum dampfen, Gespenstern gleich, die weißen Nebel auf, am Himmel ist kein Mond, kein Stern zu sehen, dickes, molkiges Gewölk hängt schwer über der Stadt und dem Walde.

Das alte Schloß ist ein unheimlicher Bau! wohl wenige würden sich in dieser Stunde allein hierher wagen. Seht ihr dort oben am Dache den Vorsprung mit dem kleinen Fensterchen? Glitzert da nicht etwas ganz matt? Vielleicht ist's nur ein neuer blanker Blechbeschlag, vielleicht auch faules Holz. Aber es ist ein unheimliches Fenster. Vor hundert Jahren wohnte droben ein verführtes und verlassenes Mädchen. In der stillen Nacht, vielleicht gerade jetzt zu dieser Stunde, überkamen das arme einsame Weib jene Schmerzen, unter denen sich ein neues Leben dem alten entwindet, und als sie gegen die Morgenfrühe in ihrer Verzweiflung das Kind im Schoße wimmern hörte, erwürgte sie es und schleuderte den Körper durch jenes Fenster in den Graben herab. Hätten wir Mondschein, ihr würdet drüben am Waldsaume den alten steinernen Galgen sehen können. – Das Dachstübchen ist, seit hundert Jahren unbewohnt, in demselben Zustande verblieben, worin es war, da die Kindsmörderin zum Verhör und zum Galgen geführt wurde; es sieht grauslich aus in dem engen Kämmerchen.

Allein was kümmert mich dieses Nachtgespenst? Wohnen doch da unten hinter Elisabeths Fenster alle guten Engel.

Jetzt habe ich unter diesem Fenster festen Fuß gefaßt. Ich werfe mit einem Kieselsteinchen ganz leise wider die Scheiben. Gutes Zielen thut not, denn nebenan schlafen sechse von des Amtmanns zwölfen. Das Fenster öffnet sich; ein herabgelassener Bindfaden wird die Briefe befördern. Seht, jetzt erscheint sie selber am Fenster, kaum schattenhaft erkennbar in der dunklen Nacht. Aber das um den Kopf gewundene feuerfarbene Tuch sieht man doch ganz deutlich! – Das feuerfarbene Tuch? Der Zigeunerin? Ja wahrhaftig, und der Galgen da drüben paßt ganz lustig zu ihrer Erscheinung.

Und fort ging's abermals im wilden Taumel der Gedanken auf dem betretenen Pfad. Elisabeth und die Zigeunerin flossen aufs neue in eine Gestalt zusammen, und zwischendurch grinste mich das Gespenst der armen Sünderin an, die ihr Kind in den Schloß graben schleudert. Es war die rechtschaffene Liebe, die da kämpfte mit wüstem Liebesrausch und Treubruch, dazu aber war es auch das Bild der göttlichen Rache, das drohend herniederschaute aus dem öden, grauslichen Dachstübchen.

Dieser Gedanke packte mich plötzlich mit furchtbarer Gewalt. Und abermals schalt ich mich einen Esel und sprach zu mir: Martin Hildebrand heißest du. Das sind zwei tapfere Namen. Martinus schrieb sich Doktor Luther, der kampfgerüstete Gottesmann, der dem Teufel das Tintenfaß an den Kopf warf; Hildebrand war ein großer Held in alten Ritterzeiten, der auch nicht den heidnischen Zigeunermädchen nachgelaufen sein wird. Ei, wer so ritterliche Namen trägt, muß selber auch ein guter Ritter sein. Und siehe, mit dem Segen meines Namens bannte ich das Trugbild und fühlte mich wie der Erzengel Michael, da er den Teufel unter seinen Füßen hat.

Da wachte ich auf.

Hell leuchtete die Morgensonne durch die Thür und den Rauchfang in die Hütte. Tief schlafend lag mein Kamerad neben mir. Aber die Zigeunerinnen waren verschwunden.

Ich weckte den Holsteiner, und wir rüsteten uns zum Aufbruch. Da fanden wir auf unseren Ranzen noch zwei gewaltige Stücke von dem Schinken liegen, den uns die Frauen zurückgelassen.

»Es ist doch noch Tugend bei diesen Spitzbuben,« sagte der Schreiner, indes er den Schinken in den Ranzen schob, »und wenn gestohlene Katzen am besten mausen, dann wird uns gewiß auch dieser gestohlene Schinken als das köstlichste Frühstück schmecken.«


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