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XIV.

Als Truckbrott eines Morgens aus dem Fenster sah, waren all die weißen Wattebäusche, die bisher die Zweige der Tannen niedergedrückt hatten, verschwunden, und der Wald lag dunkel vor ihnen. Über Nacht hatte der Südwind eingesetzt, und seinem warmen Atem hatten die Schneelasten nicht stand halten können.

Auf Tage waren sie nun von aller Welt abgeschnitten, die Wege wurden unergründlich, die Schlittenkufen schurrten immer wieder auf dem Boden, den Wagen und das Auto aber konnte man noch nicht benutzen.

Frau Pia hatte einen Berg von Zeitschriften um sich aufgetürmt. »In Stockholm ist jetzt Saison«, sagte sie. »Die Linth gehören mit zu den ältesten Familien in Schweden. Wenn wir jetzt nach Stockholm führen, würde man uns gut aufnehmen. Mich als Frau Linth – und dich.«

»Ich habe keine gesellschaftliche Stellung in Schweden«, wehrte er ab.

Sie wurde ungeduldig. »Du bist mein Verlobter und der spätere Leiter der Linthwerke, das gibt dir genug Hinterhalt für die Gesellschaft. Außerdem genügt dein Fliegername, dein Ruf als Konstrukteur, um dich sofort in den Mittelpunkt des Interesses zu stellen.«

»Ich bin kein Schaustück.«

»Ein Bär bist du, ein Eigenbrötler«, sie maulte. »Haben wir nun nicht lange genug in der Einsamkeit gesessen? Ich merke es schon lange, die alte Unruhe regt sich, das zweite Leben wacht auf. Ich fühle es bis in die Fingerspitzen, ich muß fort.« Sie lief zum Grammophon und stellte es an. »Komm, wir wollen tanzen.«

Er tat ihr den Willen, aber er war heute nicht bei der Sache. Da gab es eine Formel, an deren Lösung er seit Tagen arbeitete. Immer wieder hatte er neue Berechnungen angestellt, immer wieder hatte ihn der Fehler gehindert. Und jetzt plötzlich war es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen.

Sie merkte seine Zerstreutheit. »Günter, du bist wieder bei ganz anderen Sachen.«

»Entschuldige«, er tanzte. Aber brüsk ließ sie ihn los und stieß die Schalldose an, daß die Nadel kreischend über die Platte fuhr. »Ich mag nicht so eine Pause zwischen Arbeit und Arbeit sein.«

»Pia.«

»Ja, Pia, damit willst du mich fangen. Als ob ich eine alte Frau wäre und wir auf unsere silberne Hochzeit warteten und nicht auf die grüne.«

»Haben wir nicht Luftschlösser in Gedanken miteinander gebaut, Pia?«

Sie zuckte verächtlich mit den vollen Schultern. »Luftschlösser, in die immer Motorengeknatter hineintönte, immerzu Technisches. Du denkst ja an nichts anderes.« Sie trat dicht an ihn heran, daß er ihren warmen Atem spürte. »Aber ich bin ein Mensch, keine Maschine, ich will noch etwas vom Leben.«

»Pia, wir wollen es miteinander zwingen, oft genug haben wir es uns ausgemalt. Aber das alles sollen keine Phantastereien bleiben, ich will's zur Wirklichkeit machen, für dich und mich.«

Mit fraulicher Sicherheit fühlte sie den Widerstand, den er ihrem Willen entgegensetzte. »Du sollst kein Stubengelehrter werden, sie sollen von dir reden, dich bewundern. Und mich ein ganz kleines bißchen auch.«

»Närrchen.«

Wie eine Katze schnurrte sie. »Günter, nur auf vier Wochen.«

Er überlegte. »Wenn das Tauwetter uns nicht abgeschnitten hätte, wäre der Brief aus Malmö wohl längst hier. Ich hatte damit gerechnet, daß hier nicht mehr viel zu tun sei und wegen der Vornahme praktischer Versuche in Malmö angefragt.«

Nun konnte sie ihm einen Vorwurf machen. »Und davon hast du nichts zu mir gesprochen? Ist das Kameradschaft?«

»Es war so unbestimmt.«

»Nun, die in Malmö werden keine Eile haben. Natürlich muß dein großes Modell dahin gebracht werden, das braucht Zeit. Die Monteure versorgen es, und wir – wir machen Ferien in Stockholm.«

»Ich muß auf Antwort warten.«

»Aber nicht hier«, sie sprang auf. »Christa, Aust, es soll alles zurechtgemacht werden, Gesellschaftskleider – ach was, in den alten Fähnchen kann ich mich in Stockholm nicht mehr sehen lassen. Nur was für die ersten Tage gebraucht wird. In drei Tagen reisen wir.«

Der Gedanke beflügelte sie und machte sie duldsamer. »Und wenn du noch etwas berechnen mußt, Liebling, tu' das. Ich krame mit Christa – und, ja mit Lynge muß ich telephonieren, der kommt sonst im letzten Augenblick mit seinen geschäftlichen Dingen dazwischen.«

Als Truckbrott in den Konstruktionsschuppen trat, standen die Monteure mit neugierigen Gesichtern um das Modell, das grausilbern im Lampenlicht schimmerte.

»Ist's wahr, Herr Truckbrott, daß wir nun nach Malmö gehen?«

»Wahrscheinlich.«

»Es war ja sehr schön hier, aber auch einsam. Wir hätten sonst gern gewußt, wegen Urlaub.«

»Wenn Sie das Modell in Malmö abgeliefert haben, können Sie nach Deutschland gehen.«

»So war's gar nicht gemeint, die Arbeit ist ja ganz schön –«

Er warf den Kopf zurück. »Aber ich meine es so, Sie gehören zu den Sturmvogelwerken, die Modellarbeit ist aus.«

»Ja, wenn's so ist.«

Er wunderte sich selbst, daß er so scharf geworden war. Er fühlt sich allein, die Frau, die Kameradin, wollte tanzen, sie war mit ihren Gedanken weit fort. Und die beiden Männer, die da immer neben ihm gearbeitet hatten, und von denen er nicht viel mehr wußte, als daß sie tüchtige Monteure waren, denen war die Zeit auch zu lang geworden. Und zu Hause wartete doch auch nur Arbeit und Gleichförmigkeit auf sie.

Während er an dem Zeichentisch in der Ecke neue Linien in seine Risse eintrug, bastelten die beiden an den Verstrebungen. Er hörte, daß sie sich leise unterhielten.

Und vergaß wieder alles über der Formel, die nun endlich gefunden war. Setzte die Zahlen ein, verglich. Lief zum Modell und ließ die Änderung sofort vornehmen. Eine sinnreiche Konstruktion ermöglichte es, durch ein System von fein ausschlagenden Wagen jede Veränderung genau zu konstruieren.

Die Männer sahen auf den pendelnden Zeiger. »So ist's richtig«, sagte der eine.

Truckbrott verglich. »Und jetzt noch drüben die Schrauben los, es ist dieselbe Geschichte.«

»Herr Ingenieur, jetzt, wo alles bald fertig ist, werden Sie uns doch nicht fortschicken?«

Der Erfolg beflügelte ihn. »Sie wollten doch selbst …«

»Nee, nee. Bloß, Urlaub muß der Mensch sich auch mal gönnen, denke ich.«

Pia wollte für ihn und sich nichts anderes. Er überlegte, ob er von den Kameraden zuviel verlangt hatte. Er selbst stand mitten drin, aber sie – nein, so mit allen Fasern den Bau erleben konnte wohl nur ein Mensch, der Erfinder selbst. Die treusten Mitarbeiter mußten neben ihm nur Handlanger bleiben.

Am Abend hatte sie ein ganz neues Kleid angezogen und den Tisch besonders sorgfältig decken lassen. Sie erwartete ihn an der Tür des Speisezimmers.

»Wir feiern doch ein Fest heute.«

Das Werbende, das in ihrer Gestalt lag, umfing ihn und hüllte ihn ein. »Freust du dich so auf Stockholm?«

»Du Dummchen, ich war recht egoistisch heute nachmittag. Vorhin bin ich leise hinüber in den Schuppen geschlichen. Du warst nicht mehr da, nur die Monteure, und nun weiß ich's, worin ich dich mit meinem Kindskram gestört habe. Aber ich weiß auch, daß dich die alten Formeln nicht mehr plagen können, weil der Herr Erfinder sie gelöst hat. Du, und da bin ich an das Modell gegangen und hab' mit der Hand darübergestrichen, so –« sie streichelte seine Hand. »Als hätte ich ihm etwas abzubitten. Und dabei bin ich wieder ganz geduldig geworden und will nun warten.«

»Und nun ist's nicht mehr nötig.«

Sie senkte die Augen. »Wenn du jetzt doch mit mir reisen willst, komme ich mir ganz schlecht vor.«

»Soll ich nun als Anwalt vor deine Idee treten, Pia, soll ich das Aufatmen, das Sichumsehen verteidigen?«

»Du sollst mich nur liebbehalten.«

Am andern Tage hatte sich Lynge zu Pferde durch den Morast gekämpft. Er brachte eine Tasche voll Briefe mit, auch den aus Malmö.

Während Truckbrott las, hing Pia an seinen Augen. »Was schreiben sie denn?«

»Ich kann kommen.«

Und als sie mit Lynge allein war. »Was wollten Sie mit Ihrem Achselzucken, als mein Verlobter von Malmö sprach?«

»Ich kann nicht begreifen, daß ein Mensch, auf den ein Besitztum, wie die Linthwerke es sind, wartet, so an einer Idee hängt, die ihm doch nichts einbringen kann. Und ich verstehe nicht, daß eine Frau ihr Erbe einem Phantasten anvertraut.«

Ihre Augen blitzten. »Ich will nicht, daß Sie darüber reden.«

»Und wann werden die Ideen Herrn Truckbrott Zeit lassen, an die Hochzeit zu denken?«

»Sobald ich will.«

Er verbeugte sich. »Ich frage auch für mich. Man hat mir aus Kiruna günstige Angebote gemacht.«

»Was soll das, Lynge?«

»Unter dem neuen Herrn brauchen die Werke keinen Direktor mehr.«

»Sie setzen mir also die Pistole auf die Brust?«

Achselzucken. »Ich muß an mich denken.«

Frau Pia sprach ganz leise und ließ ihn keinen Augenblick mit den Augen los. »Und wenn nun diese Wochen in Stockholm eine Art Prüfungszeit für mich und ihn sind, wenn von ihrem Verlauf spätere Entscheidungen abhängen sollen?«

»Weiß das Herr Truckbrott?« Lynge atmete schwer.

In Gedankenschnelle war sie wieder abweisend. »Ich weiß nicht was Sie verstanden haben, Herr Direktor Lynge. Es wird sich in Stockholm entscheiden, wie wir unser zukünftiges Leben einrichten werden.«

»Ich habe verstanden, Frau Linth.«

»Und?«

»Ich werde bleiben.«

Sie lachte kokett. »Bis ich Ihnen kündigen werde –?«

Gesellschaftliche Verpflichtungen ließen sie in Stockholm kaum zur Besinnung kommen. Sie waren übereingekommen, daß von ihrer Verlobung nicht gesprochen werden sollte.

»Es ist lächerlich, als Brautpaar in der Gesellschaft angestaunt zu werden. Eine Freude, die man den jüngeren Mädchen gerne gönnen darf, auf die die Frau jedoch verzichtet.«

»Und wird man unsere Freundschaft nicht mißverstehen?«

Sie lachte über seine Kleinbürgerlichkeit, wie sie es nannte. »Durch unsere Heirat wird alles sanktioniert werden.«

»Die Leute sollen nichts Unwahres von dir denken.«

Sie wurde kokett. »Was denken sie denn? Daß ich deine Geliebte bin? Bin ich's denn nicht? Du liebst mich doch. Die Menschen müssen immer ihre Sensationen haben.«

»Man soll ihnen keinen Grund geben.«

»Bär!«

Zum ersten Male lebte Truckbrott mit Pia in der wirklichen Welt. In Berlin hatten sie sich abgesondert, auf Linthbakken eingesponnen. Hier suchte sich jeder den Kreis, der ihm gefiel.

Und es waren nicht die gleichen Kreise, in denen sie sich wohl fühlten.

Von Truckbrott hatten die Herren von der Regierung, die Großkaufleute, die Offiziere des schwedischen Fliegerkorps bald Besitz ergriffen. Er wurde in Klubs und technischen Gesellschaften eingeführt, man kam ihm mit großer Achtung entgegen. Und isolierte ihn, ohne daß er es merkte, von Pia.

Die hatte sich einen richtigen Hofstaat gebildet, der den ganzen Tag zu ihrer Verfügung stand. Hauptsächlich jüngere, elegante Herren und kaum Damen. Wenn Truckbrotts Zeit mit Konferenzen angefüllt war, saß sie in den Modesalons und ließ sich die letzten Pariser Modelle vorführen, wurde auf Tanztees gesehen, am Abend im Theater.

Lebte und genoß die Stadt in vollen Zügen.

Und merkte es kaum, als er eines Tages nach Malmö abfuhr. Sein Versprechen, bald zurückzukommen, genügte ihr.

Sie wußte nicht, daß er die Reise immer wieder herausgeschoben hatte, daß die Briefe immer dringender wurden, daß schließlich Telegramme kamen, weil die deutschen Werke auf die Fortsetzung der Versuche warteten.

Daß man endlich ein Flugzeug geschickt hatte, um ihn abzuholen.

Kurz vorm Theater sprach sie darüber. »Du wirst bald zurückkommen?«

»Vielleicht in drei Wochen.«

»Malmö ist eine langweilige Fabrikstadt, besonders jetzt im Vorfrühling. Du bist nicht böse, wenn ich hierbleibe, Günter?« Sie blätterte in ihrem Taschenbuch. »Sieh nur, was da alles noch steht: Ball beim amerikanischen Gesandten, Wohltätigkeitstee der Gräfin Löwengaard, da bin ich im Komitee und darf nicht fehlen, Hofball –«

»Du wirst dich nicht langweilen.«

Sie schmeichelte. »Und in drei Wochen holst du mich ab, oder noch besser, ich komme selbst nach Malmö, und wir fahren weiter nach Kopenhagen. Am Sund ist's im Frühling am schönsten. Und dann – in Linthbakken wird alles vorbereitet. Eigentlich ist so eine große Hochzeit in Stockholm ja schön, aber schöner ist's doch, wenn wir sie ganz für uns feiern. In der alten Holzkirche und mit Dorfmädels, die Kränze im Haar tragen. Und dann –«

»Pia, wir haben noch niemals darüber gesprochen, was dann werden soll.«

Sie fiel ihn um den Hals. »Ist's denn so schwer, einmal Herr auf Linthbakken zu sein?«

»Mein Vater schreibt mir, wenn die Versuche in Malmö abgeschlossen sind, wird die Luftunion über den Bau meines Riesenflugzeuges beraten.«

»Du bist ja dann selbst Industrieller und kannst dich beteiligen.«

»Pia, das ist's nicht allein.«

Sie lenkte ab. »Warum über Dinge reden, die jahrelang Zeit haben.«

Seit einem halben Jahr saß Truckbrott am andern Tage zum ersten Male wieder in einem Flugzeug. Neben dem Piloten, in der geschlossenen Kabine hielt er's nicht aus. Er mußte den Wind spüren, die Hand an die Steuerung legen, die Instrumente sehen, die die Seele des Flugzeugs waren.

»Es ist unsere neueste Maschine«, sagte der Pilot. »Ein guter Steiger.«

Der Himmel spannte sich klar und blau über ihnen. »Wir wollen einen Höhenflug machen.«

»Wenn Herr Truckbrott es wünscht«, lachte der Pilot.

Die Motoren brummten. Und Truckbrott sah vor sich, was er in langen Winterabenden erdacht hatte. Die mächtigen Flügel, Menschen, die auf ihn warteten, Menschen, die sich ihm anvertrauten.

Der Platzwächter winkte. »Starten!«

Und wie ein Vogel stieg das Flugzeug in die Luft.


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