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IX.

Draußen vor Berlin, mitten in der Eintönigkeit der märkischen Landschaft, zwischen dünnen Kiefernwäldern und weiten Sandflächen unterrichtete Truckbrott seine Schüler. Er hatte für sich selbst nie viel verlangt. Zwei Zimmer, in einem der niedrigen, rasch aufgebauten Häuser, die in Reihen wie Soldaten an der Straße entlang aufgestellt waren, bildeten sein Heim. Im einen das Bett, in dem andern der Schreibtisch mit den Zeichnungen und den vielen Büchern. Es war meist noch dunkel, wenn er aufstand. Junggesellenmäßig alles. Die weiße Kaffeekanne mit der abgeschlagenen Tülle, die beiden Semmeln auf dem Steingutteller, den ihm die Frau hinstellte, von der er die Wohnung gemietet hatte.

Dort lebte er ja auch nicht, dort schlief er nur. Mit dem ersten Frühlicht ging er hinüber in die mächtige Halle, in der die Maschinen eng ineinandergeschoben standen. Kleine, flinke Jagdzweisitzer neben Limousinen verschiedener Bauart, Hochdecker, Tiefdecker – daneben die neuen großen dreimotorigen Streckenmaschinen.

Dann kroch er unter den Tragflächen hindurch, blieb hier und da stehen, befühlte das gewellte Metall der Flügel, die leise vibrierenden Verwindungen, und ging in sein Büro in der äußersten Ecke, um die sich täglich wiederholenden Schreibarbeiten zu erledigen.

Seine Unterrichtsmethode war eigenartig. War der Tag schön, dann rollten die hohen Türen der Halle mit dem frühesten weit auf, der Tag kroch in alle Ecken, und die Maschinen wurden herausgezogen. Die zukünftigen Verkehrspiloten umstanden ihn, während er mehr für sich als für die andern sprach. Keine langen Erklärungen, Selbstgespräche. Von Wind, Wetter, Böen und Wolken.

Sein Fach war das lebendigste, interessanteste. Die andern Lehrer hatten die Hörsäle für sich. Da sprach man über Konstruktionen, lernte die Formeln der Aerodynamik auswendig, die Morsezeichen, die dem zukünftigen Flugzeug den Weg zeigen sollten, machte chemische und physikalische Versuche.

Hier war Praxis.

Eine Maschine nach der andern stieg auf, stets beobachtet und scharf kritisiert. Die grauen, hellen Augen ließen die jungen Leute nicht los. Wer lauerte oder seine Maschine nicht eisern in der Hand hatte, wer waghalsig und unüberlegt flog, wurde rücksichtslos zur Seite geschoben und tagelang nicht beachtet. Es bedurfte aller Kraft, um Truckbrotts Achtung wiederzugewinnen.

Einer der andern Lehrer befragte ihn deshalb. »Aus unserm Menschenmaterial dürfen wir nur das Beste auswählen, wenn wir an die Zukunft des Luftverkehrs denken. Hier bei uns liegt die Scheidung zwischen Monteuren, Funkpersonal und Piloten. Es gibt keine Rücksicht.«

Er ließ sie an den Maschinen arbeiten wie die einfachsten Schlosser, Motorteile ausbessern, Flugzeugkörper montieren, und schritt zwischen ihnen scheinbar achtlos herum. Und beobachtete doch jeden einzelnen.

Dann plötzlich wurde der Unterricht abgebrochen, und sie gingen über den grünen Flugplatz in die Montagehallen der Luftunion, in der die Verkehrsmaschinen überholt und verbessert wurden. Oft nur zehn oder zwölf Mann, während die andern weiterarbeiteten. Es war eine Ehre für die, die Truckbrott mitnahm. Dann saßen sie in der Kabine einer dieser großen Maschinen, die Tür zum Führersitz weit geöffnet, und flogen in die Zukunft. Worte zogen die Flügel auseinander, weiteten sie zu immer größerer Spannweite, alte Apparate wurden ausgemerzt, neue eingesetzt. Aus dem Zehnpersonenflugzeug wurde der hundert Menschen fassende Riese. Statt dreihundert Pferden warteten dreitausend, fünftausend.

»Jede einmal erkannte Gefahrenquelle muß beseitigt werden.«

Die zehn Schüler teilten sich ein in Maschinisten, Bordingenieure, in Funk- und Orientierungspersonal, in Piloten. Und einsam über allen der Eine, der Neue:

Der Kapitän.

Dem fünftausend Pferde gehorchten und der hundert Leben verantwortete.

»In allem, was Sie heute erkennen, dürfen Sie nur eine Entwicklung sehen, nie ein Ziel. Es gibt Etappen, aber kein Ende.«

Sie sprachen über Frachtlinien und Passagierlinien. Über Flugzeuge, deren Bauch mit hochwertigster Ware angefüllt war und die rasch und sicher über endlose Wüsten dahindonnerten.

»Europa ist unser großer Versuchsplatz, unser Feld jedoch ist die ganze Erde.«

Und vor den Augen der jungen Leute stieg eine neue Welt auf. Ein mit Kreuz- und Querstrichen überzogener Globus. Jede dieser schwarzen Linien war ein großer Gedanke, eine Verbindung, die Grenzen einriß und die neue Möglichkeiten schaffte.

»Die Fliegerei von heute mag noch Hindernisse kennen, die von morgen verlacht sie.«

Die eisige Unberührtheit der Pole verging, auftürmende Gebirge übersprang ein Anlauf der Motoren; Wüsten, durch die Kamelkarawanen sich keuchend wanden, wurden in Stunden durchquert.

»Wir werden ein Netz von Organisation auf den Erdball legen. Wetterstationen, Benzinlager, Reparaturstellen, ein Netz, das der Funke verbindet und verdichtet. Wir werden Ozeane verbinden und Einöden.« Die Augen stachen. »Sie, meine Herren, werden das sein, in Ihre Hand ist die nächste Zukunft gegeben, die der neuen Hansa.«

Wieder einmal würde der Handel die Welt regieren.

Truckbrotts Worte regten Dispute an. Mit seinem eisernen Willen schied er seine Schüler in Handlanger und zukünftige Meister. Nicht alle mochten folgen. Die böse Zeit belastete manchen. Nur mit Mühe hatten die Verwandten die hohen Unterrichtskosten aufgebracht, der Mensch wurde zur Kapitalsanlage, mußte verdienen, die Eltern erhalten, wenn sie alt wurden und nicht mehr schaffen wollten. Die Schwestern versorgen.

Sie redeten sich die Köpfe heiß.

»Ich will an einem Flughafen als Ingenieur angestellt werden, das ist sicheres Brot.«

»Es muß auch Leute geben, die zwischen Hamburg und Köln Kleindienst machen.«

Mancher beteiligte sich dann nicht, weil Truckbrotts Worte in seinem Innern fraßen. Der aber saß fast jeden Nachmittag in die Ecke seiner Dienstlimousine gedrückt und fuhr auf Berlin zu. Seit der Nacht in den schwedischen Schären gab es etwas, das ihn immer wieder zu Pia Linth zog, die in einem der vornehmen Pensionate des Berliner Westens wohnte. In der Nacht hatte es angefangen – oder war es am andern Morgen gewesen. Schon früh hatte er den Weg nach dem Flugzeug eingeschlagen, während der Monteur mit dem Fischer zur nächsten Poststation marschierte, um die Hilfsmeldung nach Stockholm aufzugeben.

Das Wetter war besser geworden, sanft schaukelte sich der Metallvogel auf den Wellen, die ihm während der Nacht keinen Schaden hatten zufügen können.

Da war Pia Linth gekommen, frisch und ausgeschlafen. Sie streckte ihm die Hand hin.

»Suchen Sie ein Schiff, das uns von der einsamen Insel befreit?« neckte sie.

Er antwortete nicht.

Sie trat dicht neben ihn. »Bedrückt Sie diese Kleinigkeit?«

»Nein, aber die Einsamkeit ist gut, um die Erkenntnis eines Fehlers zu durchdenken.«

Wie ein guter Kamerad setzte sie sich neben ihn. »Bisher habe ich nur dem Augenblick gelebt und mich an dem Romantischen gefreut, das er mir gebracht hat. Nun lassen Sie mich mit andern Augen sehen.«

Und er hatte von all den Menschen gesprochen, die den Luftverkehr ausmachen, von technischem Fortschritt, von der Betriebssicherheit und von den wirtschaftlichen Hemmungen.

»Wir müssen unsere Motorreserven vergrößern, damit Zwangslandungen unmöglich werden.«

Sie hatte gelacht. »O Sie Realist – und das Erlebnis?«

»Das gehört nicht in unsere Pläne.«

Lange hatten sie nicht warten müssen. Noch ehe der Monteur zurückgekommen war, donnerte die Hilfsmaschine von Malmö heran, glitt neben den Invaliden, brachte Mechaniker und Reserveteile mit. Und ein schwedisches Postflugzeug holte Truckbrott und seine Begleiterin ab. –

Das Auto glitt den hellerleuchteten Kaiserdamm entlang, bog am Knie in die Hardenbergstraße ein und hielt vordem eleganten Hotelbau. Der Boy riß den Schlag auf.

»Die gnädige Frau erwartet Herrn Truckbrott in ihren Zimmern.«

Er saß im Lift, ließ sich von der Zofe Hut und Mantel abnehmen und klopfte an der wohlbekannten Tür. Drinnen klangen Stimmen.

Pia Linth saß einem korrekt angezogenen Herrn gegenüber. Rasch schob die Hand die Papiere, die den Tisch bedeckten, zur Seite.

»Kommen Sie, lieber Freund.« Und auf seinen fragenden Blick: »Direktor Torsten Lynge, der Leiter meiner schwedischen Werke.«

Truckbrott fühlte blaue, fragende Augen auf sich ruhen, spürte den Druck einer festen Hand. Pia redete weiter: »Ich erzählte Ihnen von meinem Abenteuer auf der letzten Rückreise, Lynge, das ich mit Herrn Truckbrott teilte.«

Ein paar konventionelle Worte, dann wieder Pia: »Ich bedaure, daß Sie meine Tee-Einladung verschmähen, Herr Direktor. Lynge kommt wichtiger Konferenzen wegen nach Berlin.« Sie sah fast ungeduldig zu, wie der Schwede seine Sachen zusammenpackte.

Dann zuletzt: »Wir werden morgen weiterreden.«

»Und wann darf ich Sie auf Linthbakken erwarten?«

Ein versteckter, suchender Blick. »Auf Linthbakken? – Vielleicht bald.«

Als er gegangen war, fragte Truckbrott erschrocken: »Sie wollen reisen, Frau Pia?«

Heute hatte sie sich besonders schön gemacht, ein mattgraues Kleid umschloß die fraulich füllige Figur, die vollen Arme bis zur Achsel frei lassend. Um den Hals lagen doppeltgeschlungene Perlen. Sie lächelte. »Ich bin nun seit Wochen in Berlin, haben Sie vergessen, daß ich Pflichten habe?«

Daran hatte er nie gedacht. Es war so geworden, den Tag über arbeitete er an seinem Werk, aber die Abendstunden gehörten ihm und ihr. Und oft auch am Tage unterbrach ihre Stimme am Telephon seine Arbeit und plauderte hinein in die Nüchternheit des Büros.

»Ich habe nicht daran gedacht, daß Sie reisen würden.«

Pias Augen ließen ihn nicht los. »Lynge hat Erinnerungen in mir geweckt. Linthbakken ist ein alter Herrensitz, mitten zwischen Wald und grünen Hängen, die jetzt aber schon weiß sind vom nordischen Schnee. Eine große, weite Halle ist da, mit dunklem Deckengebälk und schweren hölzernen Säulen. Am Kamin stehen mächtige Sessel, und die Füße hüllt ein weißes Eisbärfell ein. Uralte geschnitzte Türen führen in Zimmer, von denen jedes ein Museum ist. Eins ist verwaist, in dem steht ein schwerer Schreibtisch, und Bücher türmen sich an allen Wänden. Linthbakken hat keinen Herrn mehr.«

»Und Sie?«

»Ich lebe zwei Leben. Jeder Mensch, der wirklich lebt, muß das tun, Truckbrott. Zwei Leben. Mitten in den Weltstädten zieht es mich in die Einsamkeit, bis der Drang übermächtig wird, bis ich reise. Dann hat Linthbakken wieder eine Herrin. Es ist ein fürstliches Leben oben bei uns im Norden. Mägde, soviel man braucht, eine Wirtschafterin, die das Haus besorgt, geschulte Zofen. Dann spinne ich mich ein. Jage im Schlitten über die unendlichen weißen Weiten, an Renntierherden vorbei, durch schlafende Dörfer. Überall da oben arbeiten sie für mich. Schlagen den Wald, pressen Zellstoff aus den Bäumen, graben nach Erz und Silber, weben die Wolle meiner Herden zu Stoffen. Und Lynge sitzt in Haparanda in einem alten Handelshaus und verlädt meine Waren auf Linthsche Schiffe, handelt für mich mit aller Welt. So schön es aber dort ist, aus der Einsamkeit wächst wieder das Leben. Dann sehe ich im Kaminfeuer bunte Bilder, höre ferne Musik, bis es übermächtig wird, und bis ich auf Monate wieder Europäerin werde. In Berlin, oder in Kopenhagen, oder in Paris. Die Welt wird ja immer kleiner, seit Sie und Ihresgleichen die Meilen zusammendrängen.«

»Wann werden Sie reisen?« fragte er.

Sie beantwortete seine Frage nicht. »Warum stehen Sie jeden Tag vor Schülern und tun Dinge, die mancher andre auch tun würde, Günter Truckbrott?«

»Es ist mein Beruf«, sagte er kurz.

»Belügen Sie sich nicht.«

»Wollen Sie mir nicht glauben?«

Ihr weißer Arm lag scheinbar achtlos auf der Lehne des Sofas, leuchtend in seiner Nacktheit. »Sie sollen nicht wie die andern reden, von Verhältnissen, die zum Erwerb zwingen. Von Ihnen will ich das nicht hören, es ist Ihrer nicht würdig.«

Er unterbrach sie. »Es sind andere Gründe. Sie wissen es.«

»Läßt Ihnen die Alltäglichkeit denn wirklich Zeit dazu, Ihre großen Pläne zu verwirklichen? Verlieren Sie sich nicht in Kleinarbeit? Sie erziehen und sitzen nachts über Zeichnungen, das weiß ich. Aber die Welt überholt Sie. Nicht nur in Deutschland wird gearbeitet – überall. Ein Mensch, der eine große Idee hat, muß in der aufgehen. Weisen Sie den Alltag von sich, vertiefen Sie sich in Ihre Konstruktionen und Versuche. Ruhen Sie aus und gewinnen Sie den großen, freien Blick wieder, der nicht durch Kleinlichkeiten gehemmt wird.« Sie stand auf und trat hinter ihn. »Sie haben neulich davon gesprochen, daß die Wintermonate für Sie nicht günstig sind. Kommen Sie mit nach Linthbakken, von dort aus werden Sie die Welt mit andern Augen sehen. Sie sollen alles mitnehmen, Ihre Konstruktionen. Da können Sie rechnen und versuchen.«

»Das geht nicht.«

»Günter Truckbrott, Sie haben mir von einer neuen Hansa erzählt, von einer neuen Welt, die Sie schaffen wollen. Bin ich Ihnen denn so wenig Kamerad geworden in diesen Wochen, daß Sie mich nun ausschließen? Ist denn mein Reichtum etwas, das uns trennen muß? Ich habe keine Verwandten, weder hier noch in Schweden. Nur um der Pflicht willen verwalte ich, was mein geworden ist, ich bin keinem Rechenschaft schuldig. Das Geschlecht meines Mannes hat ein Industriewerk geschaffen, das arbeitet nun. Aber das Kapital muß sich auf neue Zeiten umstellen, das meine ist herrenlos. Warum nehmen Sie es nicht?«

»Mein Ziel schiebt sich immer weiter, Frau Pia, ich darf mich nicht vergraben.«

»Das sollen Sie nicht. Sie sollen sich nur besinnen, auf sich, auf Ihre großen Aufgaben. Und Sie sollen die Hilfe einer Frau nicht verschmähen, die Ihnen ein Kleines gibt, um ein Großes dafür zu gewinnen.«

Er ging erregt auf und ab. »Pia, ich weiß, daß der Mann einen Kameraden braucht, der ihn fördert – und ich wollte mir keinen besseren Kameraden wünschen, wenn – wenn – wenn Sie nicht so ungeheuer reich wären.« Er beugte sich über ihre Hand. »Lassen Sie mich heute mit meinen Gedanken allein.«

»Und morgen?«

»Ich werde wiederkommen.«

Sie sah ihm lächelnd nach, als er hastig zur Tür schritt, den Mantel überwarf und die Treppe herabstürmte. Und Truckbrott plagte sich die ganze Nacht. Er hatte die Studierlampe angebrannt und versuchte sich in seine Rechnungen zu vertiefen, aber andere Dinge schoben sich dazwischen. Abende mit Pia, wie sie zuerst gewesen waren, als sie aus Schweden zurückkamen. Unten in der Hotelhalle, vor dem Konzert. Er hatte sie nur abgeholt und ihr eine Viertelstunde gegenübergesessen. Aber am nächsten Tage war er wiedergekommen – und immer wieder – immer wieder. Hatte nicht mehr in der kühlen Halle gesessen, hatte sich keinen Gedanken gemacht über den Luxus, in dem sie lebte, über die Flucht von Räumen, die sie bewohnte, hatte alles hingenommen wie eine Selbstverständlichkeit. Und er hatte ihr von Dingen erzählt, die er sonst mit keinem Menschen besprach. So war sie sein Kamerad geworden.

Barbara stand vor ihm, denn zwischen ihm und ihr war einmal dasselbe Wort gefallen. So wie in Schiphol und zuletzt in Hamburg sah er sie, kühl, überlegen, fordernd.

Pia forderte nicht, sie gab.

Früh am andern Morgen kam ein Anruf aus Berlin, Geheimrat von Gordon bat ihn zu einer dringenden Unterredung. Am Vormittag stand er ihm im Hotelzimmer gegenüber. Gordon war zuvorkommend wie immer.

»Ich hätte Ihnen den Weg gern erspart, lieber Truckbrott, aber Sie wissen selbst, daß es keinen gehetzteren Menschen gibt als den Kaufmann.«

Dieses Mal berührte ihn der Ton peinlich. Warum dachte Gordon nur an sich? Hinter aller Höflichkeit, mit der er ihn umgab, lag doch das Herrentum des hanseatischen Großkaufmanns, dessen Bitte ein Befehl war.

»Ich komme aus London«, fuhr Gordon fort. »Dort geschehen eigenartige Dinge. Sie erinnern sich der Frau des verunglückten russischen Konstrukteurs?«

Truckbrott nickte.

»Eine rassige Schönheit, eine eigentümliche Frau, Sie bot Ihnen ja damals die Idee des ›Leviathan‹ an. War's nicht so?«

»Die Idee ihres Mannes.«

»Es scheint so, als habe sie jetzt tatkräftige Hilfe gewonnen. Robertson ist ganz zurückgetreten, er war ein kleiner Mann, der nur eine augenblickliche Eitelkeit befriedigen wollte und dessen Kapitalkraft nicht ausreichte. Jetzt steht ein anderer dahinter. Macmorris.«

»Der Viscount?«

»Ebender. Frau Olga Surewski stand recht hilflos damals in Amsterdam, und Macmorris hat ihr seine Hilfe angeboten. Die Frau hat angenommen und soll die nächste Zeit in einem Badeort an der schottischen Küste ihre Nerven erholt haben. Offen gestanden, die schienen mir sehr gelitten zu haben. Dann ist sie nach London gekommen, hat sich von der Gesellschaft völlig zurückgehalten, was man ihr sehr hoch angerechnet hat. Auf Formen gibt man ja viel in England. Aber im freundschaftlichen Verkehr muß sie Macmorris umgestimmt haben. Und damit nicht genug, auch Ihr Kollege MacKenney interessiert sich plötzlich für das Projekt.« Der Geheimrat schwieg und sah gespannt aus sein Gegenüber.

»Die Engländer werden systematisch arbeiten«, sagte Truckbrott langsam. »Aus der Idee Surewski wird mit der Zeit eine Idee MacKenney werden, der dann wohl ein Rekorderfolg beschieden sein wird.«

»Nun, und wir?«

»Sie meinen, wie weit unsere Pläne gediehen sind? Wenn MacKenney den Ozeanflug oder irgendeinen andern Streckenflug gleicher Ausdehnung ohne Zwischenlandung mit Explosionsmotoren unternehmen will, wird er nichts anderes erreichen, als was ihm schon in Australien geglückt ist. Ein Versuch, aber kein Beweis. Surewski hat nur vergrößert, er hat nichts Neues gebracht. Das aber wollen wir.«

»Und die Versuche mit der Dieselmaschine?«

»Sie steht auf dem Bremsstand, aber das braucht Zeit. Man kann nicht plötzlich von zwanzig Meter Spannweite auf hundert gehen.«

»Dann müssen wir eine Zwischenmaschine konstruieren, ein Mittelding. Es handelt sich um den Weltluftverkehr. Und wer die Großstrecken zuerst befliegt, wird ihn gewinnen.«

»Wer sie zuerst mit brauchbaren Passagiermaschinen befliegt, Herr Geheimrat.«

Der wurde ungeduldig. »Man muß sein Tempo nach der Konkurrenz einstellen.«

»Früher haben Sie anders gesprochen«, entgegnete Truckbrott kühl.

»Die Lage hat sich geändert. Surewski habe ich nicht beachtet, an Macmorris und den Engländern kann ich nicht vorbeigehen. Wir werden später die Weltlinien teilen müssen, aber wir wollen keinen Vorsprung kampflos aufgeben.«

»Und was soll geschehen?«

»Sie und MacKenney sind befreundet. Reisen Sie nach London, sprechen Sie mit ihm, versuchen Sie, seine Pläne herauszubekommen.«

»Das riecht nach Spionage.«

Der Geheimrat zuckte die Achseln. »Wir dürfen nicht über einen Strohhalm stolpern.« Zum ersten Male sah Truckbrott etwas Herrisches, Rücksichtsloses in den Augen des Hamburgers. So mochten die Hanseaten geblickt haben, wenn ihnen etwas in den Weg trat, das sie zur Seite schieben mußten – in Bergen oder in Nishnij Nowgorod. Dann wieder liebenswürdig. »Oder wenn Sie einen andern Vorschlag haben?« Rein gesellschaftlich sprang er plötzlich auf ein anderes Thema über. »Mein Sohn Rainer ist aus Ostpreußen zurückgekehrt, er bat darum, mit Ihnen sprechen zu dürfen.«

Er ging zur Tür. »Jetzt kannst du kommen, Junge.«

Rainer stand mit leuchtenden Augen vor Truckbrott.

»Ich freue mich so, Sie zu sehen, Herr Truckbrott, ich habe Grüße zu bestellen von dem Hauptmann. Er meinte, Sie würden kommen.« Als Truckbrott nicht antwortete, stotternd: »Natürlich weiß ich, daß Sie wichtigere Dinge vorhaben, ich hab's ihm auch gesagt. Ich habe nun alle Prüfungen bestanden.«

Truckbrott sah immer in Barbaras Augen, während er den Jungen anblickte. Sie hatten etwas Gleiches, der Vater und die Kinder.

»Papa meint, ich könnte vielleicht draußen in Staaken …«

»Die Sportfliegerkurse sind vorbei, Herr von Gordon, und die Verkehrsschule kommt für Sie nicht in Frage.«

»Ich würde es gern sehen, daß Rainer einige Zeit, sagen wir als Hospitant, teilnehmen würde, ehe er seine Auslandreise antritt«, sagte der Geheimrat.

»Das entspricht nicht den Bestimmungen.«

»Auch nicht, wenn man einen Privatkursus einlegt? Ich lasse meinen Sohn nicht um einer Laune willen die fachliche Ausbildung vollenden, nachdem sie nun einmal begonnen wurde, Herr Truckbrott.«

»Man wird in Staaken Ihren Wünschen nicht entgegentreten, Herr Geheimrat.«

Rainer hatte die Gardine zur Seite gezogen und sah auf die Straße. Jetzt wandte er sich um. »Ich wollte gern bei Ihnen lernen.«

»Das wird kaum möglich sein.«

Der Junge wurde rot. »Und warum nicht? Hauptmann Wilhelmy sagt, ich wäre ein guter Segelflieger geworden, und das mit dem Motor würde ich auch bald lernen.«

»Das glaube ich Ihnen. Aber ich habe jetzt andere Ausgaben. Wir wollen im Weltverkehr nicht zurücktreten.«

Der Geheimrat lachte. »Also reisen Sie?«

»Ich werde Ihnen in wenigen Tagen meine Vorschläge machen.«


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