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IV.

Mit einem Zuruf hatten MacKenney und Truckbrott sich verständigt. Der Schotte lief in die nahe Halle, sprang in seinen Wagen und jagte rücksichtslos durch die entsetzt ausweichende Menge der Unfallstelle zu. Kaum gelang es Truckbrott, sich in voller Fahrt aufzuschwingen. Laut rufend rannte Robertson hinterher, aber MacKenney beachtete ihn nicht.

»Auf den können wir verzichten.«

Die Hilfsmannschaften arbeiteten an der noch immer glühenden Masse, aber die kleinen Strahlen ihrer Löschapparate blieben der ungeheuren Hitze gegenüber machtlos, und allzu nah wollte niemand herangehen.

Als die Flieger herankamen, warnte man sie. »Die Benzintanks!«

Truckbrott schob das von sich, die Explosionsgefahr schien ihm vorüber, die Hitze stach nach ihm. MacKenney schüttelte den Kopf. »Nichts mehr zu machen.«

Und doch riß er einem der Löschmänner den roten Apparat aus den Händen und kämpfte sich neben Truckbrott an den völlig zertrümmerten Führerstand heran, in dem er eine menschliche Gestalt zusammengekauert zu erkennen glaubte. Surewski war tot.

Es gelang ihnen, das Vorderstück frei zu machen und den unglücklichen Piloten zu bergen. Jetzt kam auch die holländische Polizei.

»Die Maschine ist beschlagnahmt.«

Truckbrott murmelte vor sich hin. »Nun wird untersucht und geschrieben.« Er drehte sich kurz um und ging auf Wassily zu, der noch immer entgeistert am Boden saß. »Was ist Ihnen?«

»Nichts, Herr.«

Truckbrott wollte jetzt nicht in den Menschen dringen, aber der mußte reden, mußte sich freimachen von dem Erlebnis.

Es ist, als fiele manchmal ein Vorhang und trenne die Zeit. Das, was vor fünf Minuten war, und das Jetzt ist nicht mehr das gleiche. Wir sind andere Menschen geworden, ging es Truckbrott durch den Sinn. Weil einer von uns fehlt, weil uns ein Gedanke genommen worden ist, sind wir anders. Seine grauen Augen suchten in der Luft, als müßten sie den Riesenvogel da irgendwo entdecken, die Runde über Amsterdam mußte doch endlich beendet sein –

»Der Motor hat gekeucht, Herr«, klang es an sein Ohr. »So, als wäre ihm die Last zu schwer. Der linke, der, an dem wir die ganze Nacht gearbeitet haben. ›Pump', du Hund,‹ hat Herr Surewski geschrien, immer wieder, ›pump', Wassily.‹ Ich hab' gepumpt – und Herr Surewski hat Vollgas gegeben. Da hat's gefaßt, plötzlich, viel zu sehr. Der linke allein, deshalb hat der ›Leviathan‹ sich umlegen wollen. Und dann, Herr, mir war, als wolle er sich auf den Schwanz stellen, und dann wieder sah ich Boden vorn – nicht unter mir. Vorn, wo doch gar kein Erdboden sein kann. Und dann ein Krachen, ich bin wohl mit dem Kopf aufgeschlagen. Ich bin nicht abgesprungen, gestürzt bin ich. Bei meiner Seligkeit, Herr, gestürzt.«

Der holländische Beamte hatte zugehört. »Wir werden das zu Protokoll nehmen.«

Truckbrott: »Sie sehen doch, daß der Mann benommen ist.«

Und Wassily: »Lebt Herr Surewski?«

Truckbrott mochte nicht antworten. Aber der Russe las in seinen Augen. »Also Herr Surewski ist tot.«

Robertson sprach auf einen gleichgültigen Menschen ein. »Sie werden mir das bezeugen. Vergaserbrand. Ich mache die Motorenwerke haftbar – für alles –«

Im Zimmer des Flugleiters schlug Olga die Augen auf. Weil sie nicht aufschrie, sondern starr lächelte, prallte Barbara zurück. »Sie habe ich gestern gesehen – mit dem deutschen Flieger. Sind Sie seine Frau?«

»Nein – aber …«

»Sie sind nicht seine Frau – dann können Sie mich nicht verstehen. Nur wenn Sie einen Mann hätten, der in Lebensgefahr ist, wüßten Sie es.«

Barbara fühlte ein eisiges Rieseln im Rücken. »Frau Surewski, wir haben noch keine Nachricht.« Aber tonlos und starr die andere. »Ich brauche keine Nachricht, ich weiß, daß er tot ist. Seit gestern weiß ich das schon – nein, seit dieser Nacht erst. Aber er wollte mich ja nicht mitnehmen.«

»Weinen Sie doch,« schrie Barbara gequält, »Sie müssen weinen – es muß frei werden in Ihnen.«

»Warum?« Und dann geheimnisvoll: »Ich durfte nicht bei ihm sein, vorhin nicht. Jetzt darf ich es, solange ich will. Jetzt ist alles anders. Wenn Sie eine Frau wären, würden Sie mich begreifen. Da ist eins, das hat zwei Teile, er ist einer, und ich bin einer. Und in einem von uns muß die Idee leben. Die Männer meinen immer, sie hätten es schwerer, aber das ist nicht wahr. Wir Frauen sind die Erde, wir müssen alles in uns aufnehmen und begreifen, für uns begreifen, und dürfen doch nicht kämpfen. Nur warten – und warten ist auch ein Kampf. Wir müssen es unsern Männern zurückgeben und es vererben an unsere Kinder.« Sie schwieg, endlich tonlos: »Ich habe kein Kind.«

Barbara mußte etwas Banales, Alltägliches sagen. »Sie sind jung, Frau Surewski.«

Und sie wunderte sich, daß die andere aus ihrer Lethargie aufwachte. »Sind Sie nicht doch eine Frau? Sie verstehen ja.«

»Was denn?«

»Daß ich eine Idee bin. Ich stehe jetzt ganz allein.« Olga warf die Tücher, die man ihr auf die Stirn gelegt hatte, zu Boden und stand auf. »Ich will Sascha sehen.«

Barbara sah die gräßliche Feuersäule vor sich – den fliegenden Menschen. »Sie müssen hierbleiben.«

Im Nebenzimmer tönten schwere Schritte, gleichmäßig halblaute Stimmen, ein Ausstoßen, als würde etwas Schweres zu Boden gesetzt. Olga Surewski schritt zur Tür.

»Das ist Sascha.«

Den Mann, der sie hindern wollte, an die Bahre heranzutreten, schob sie zurück. Hob das Tuch und starrte auf den, der da lag. Ohne Worte, ohne Tränen.

Von draußen drängte sich der Amerikaner herein. Er erkannte die Russin. »Sie und der da, sie haben mich ruiniert!« Als ihn MacKenneys eiserne Fäuste an den Schultern packten und herausdrehten, wehrte er sich. »Lassen Sie mich mit der Frau reden!«

Der Schotte schloß die Tür hinter sich und dem Aufgeregten. »Sie werden kein Wort sprechen.«

»Ihr seid alle eins, ihr Phantasten, ihr Plänemacher! Zweihunderttausend Dollar, Mensch! Mein Geld, mein Vermögen!!«

MacKenney sah ihn verächtlich an. »Ein Wurm soll sich freuen, wenn er lebt.«

»Ihr hättet es ihm verbieten müssen, wenn ihr es gewußt habt! Euch alle mache ich verantwortlich.« Er sank in sich zusammen und murmelte Unverständliches vor sich hin.

Geheimrat von Gordon hatte auf Truckbrott gewartet und zog ihn beiseite. »Das Meeting ist abgesagt.«

Der nickte.

»Nur die Streckenflüge werden stattfinden.« Und dann ernst: »Lieber Truckbrott, es wird lange dauern, bis die Fliegerei sich nach diesem Mißerfolg das alte Vertrauen zurückerobert.«

Die Züge des Fliegers wurden hart. »Um der Sache willen muß man von dem Abenteurertum abrücken. Desperadopolitik macht keinen Fortschritt.«

»Surewski war Konstrukteur.«

»Man soll über Tote nicht sprechen, aber über die Idee muß man es. Ein Jahr später wäre der Flug gelungen.«

»So halten Sie das Unglück für keinen Zufall?«

»Ich habe gewarnt.«

MacKenney unterbrach ihn. »Frau Olga Surewski will mit Ihnen reden, Truckbrott.«

Drinnen in dem kahlen Geschäftszimmer standen sie einander gegenüber. »Ich will Ihnen einen Vorschlag machen, Monsieur.«

»Gnädige Frau, Ihr Mann –« Ihre Ruhe war ihm unheimlich.

»Man öffnet das Testament, wenn ein Mensch gestorben ist. Weil es Dinge gibt, die er nicht mitnimmt, die bleiben. Sie wurden ihm nur verliehen, auch wenn sie aus ihm selbst wuchsen. Ich muß ein Testament öffnen.«

»Sie sollten warten, Frau Surewski, drei, vier Tage, eine Woche. So lange, bis –«

»Bis sie meinen Mann begraben haben. Nein, ich darf nicht warten. Sein Vermächtnis ist eine Idee, die, für die er gestorben ist. Die gehört jetzt mir, die lebt. Fühlen Sie es?«

Truckbrott fror.

»Sie ist um uns, die lebendige Idee. Zu Hause in den Koffern liegen Pläne und Zeichnungen, der ganze ›Leviathan‹. der ja nur einen Fehler gehabt hat, der jetzt zutage getreten ist. Ohne diesen Fehler muß er noch einmal gebaut werden.«

»Kein Mensch wird sein Geld zum zweiten Male für dieses Projekt opfern«, sagte Truckbrott leise.

»Ich habe es das erstemal zusammengebettelt, ich will es noch einmal tun. Und wenn ich wieder tanzen sollte oder singen. Ich muß es tun, und Sie sollen mir helfen.« Ihre Augen verbrannten ihn.

»Das kann ich nicht.«

Sie hatte ihn gar nicht verstanden. »Monsieur, ich habe gelesen, in Indien, früher, da ließen sich die Witwen verbrennen. Ich habe eine Idee, eine Mission, die verbrennt mich. Und weil ich nur eine Frau bin, muß ich werben. Monsieur, ich bin jung – schön –«

Er wußte nicht, ob er sie schlagen oder bemitleiden sollte. Er trat dicht an sie heran. »Frau Surewski, seit einer Stunde ist Ihr Mann tot.«

Alles in ihr brach zusammen, aufschluchzend sank sie über den Tisch. »Sascha – Sascha!« Aber als er leise gehen wollte, sprang sie von neuem auf.

»Bleiben Sie.«

»Sie müssen sich fassen, gnädige Frau.«

»Ich bin bei Sinnen. Ich weiß, was ich tue. Ganz genau weiß ich es. Die Idee darf nicht mit ihm begraben werden. Ich halte etwas in meinen Händen von ihm, das ist ewig. Hier in meinen Händen.« Sie hielt sie vor sich wie eine weiße Schale, und ehe er es hindern konnte, kniete sie vor ihm. »Nehmen Sie es, bitte, nehmen Sie es!«

»Wir wollen später darüber reden«, beruhigte er.

Blitzartig wechselte der Ausdruck in ihrem Gesicht, aus den weichen Augen schoß etwas wie Haß. »Sie wollen nicht.«

»Nein.« Seine physische Kraft verließ ihn, er mußte ein Ende machen.

»Weil Sie selbst den Ruhm für sich haben wollen, weil Sie nicht teilen können, nicht vollenden.«

Er ging zur Tür. »Ich will Fräulein von Gordon bitten, bei Ihnen zu bleiben.«

Sie stand hoch aufgerichtet. »Ich brauche Ihre Hilfe nicht. Ich habe viele Jahre kämpfen müssen, ich werde wieder kämpfen – auch gegen Sie.«

»Ich bin nicht Ihr Feind.«

Aber Olga Surewski antwortete nicht mehr.

Auf dem Rasenplatz hielt ihn Barbara an. »Was ist Ihnen, Truckbrott, Sie sehen aus, als wären Sie einem Geist begegnet.«

»Frau Surewski hat mich für ihre Idee verpflichten wollen.«

»Und Sie?«

»Es ist keine Frage für mich, Fräulein von Gordon, mein Weg ist klar vorgezeichnet.«

Barbara schöpfte tief Atem. »Diese Frau hat eigenartige Dinge zu mir gesagt, Dinge, über die man nachdenken muß – und die man vielleicht doch erst später einmal ganz begreifen kann.«

»Sie ist von einer Idee besessen.«

»Aber deshalb sieht sie klarer. Mir scheint, Menschen, die etwas ganz Großes leisten wollen, müssen besessen sein.«

»Das Leben besteht aus Alltag und Feiertagen, Fräulein von Gordon, die Besessenheit ist ein Rausch, der den Alltag selten überdauert. Aber eben dieser Alltag leistet die Arbeit.«

»Haben Sie das der Russin auch gesagt?« fragte Barbara und betonte jedes Wort.

»Ich habe ihren Antrag abgelehnt.«

»Konnten Sie nicht barmherzig sein und eine Komödie spielen, sei's auch nur für Stunden und Tage?«

»Fräulein von Gordon, hier ging es um etwas Heiliges, für die Frau – und für mich. Ich durfte nicht spielen.«

Sie sah ihn kalt an. »Wir verstehen uns nicht, Herr Truckbrott.« Sie atmete auf, als sie ihren Vater sah. Der winkte.

»In einer Stunde fliegen wir nach Hamburg zurück, das Meeting ist aus.«

»Aber Papa, meine Sachen.«

»Die packt das Mädel im Hotel, es ist alles erledigt. Truckbrott, fliegen Sie mit uns?«

Der fühlte Barbaras Blick auf sich ruhen.

»Nein, Herr Geheimrat.«

»Du wirst doch Herrn Truckbrott nicht zwingen«, sagte Barbara kühl.

Erstaunt sah Gordon auf den Mann und die Tochter, aber er unterdrückte eine Frage. »Sie werden Gründe haben?« milderte er.

»Der Flugleiter ist in Verlegenheit. Einer seiner Piloten ist krank geworden. Für den springe ich ein und steuere die nächste Streckenmaschine.«

Wieder Barbara: »Herr Truckbrott ist ganz Pflicht.« Und als sie mit dem Vater allein war. »Du hättest es ihm befehlen müssen, diesem Querkopf.«

»Kennst du Truckbrott so wenig, Barbara?«

»Du bist der Leiter des Konzerns, sein Vorgesetzter. Und er ist schließlich nur ein Pilot von vielen.« Sie zuckte die Achseln. »Ideen wachsen in einem Hirn, aber sie brauchen viele Arme zur Ausführung. Kraft ist nicht genial.«

Gordon schüttelte den Kopf: »Kind, Kind, du bist ganz anders geworden.«


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