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Das Blut Schamyls.

Es war ein trüber Dezember-Abend, das Sternen-Gewölbe durch düstere Schneewolken verhüllt, die der Wind am hin und wieder mit mattem Glanz durchbrechenden Mond vorüberpeitschte, – als durch eine lange, straßenähnliche Lichtung am Saume eines der ungeheuren Urwälder, die noch große Flächen der Ukraine und Volhyniens bedeckten, ein auf polnische Art bespannter dreispänniger Schlitten über die Schneedecke flog. Eine dürftige Spur zeigte allein an, daß die Reisenden noch auf einem gangbaren Wege sich befanden, obschon dieser wenig genug benutzt werden mochte und meilenweit den Fahrenden kein lebendes Wesen begegnet war.

Im Schlitten saßen zwei Personen, ein alter Mann von straffer, militärischer Haltung mit noch jugendlich feurigem Blick trotz des weißen Haares, das unter der dicken Pelzmütze hervorquoll, neben einem jungen Mädchen von liebreizendem Antlitz, so weit es aus den Kragen, Tüchern und Hüllen heraus zu sehen war.

Auf dem Vordersitz des Schlittens, neben dem Postillon, saß ein Diener, ein Mann von mittleren Jahren und kühnem, verständigem Aussehen in der polnischen Tracht, die weiße baranken-besetzte Mütze über die Ohren gezogen.

»Das Wetter will mir wenig gefallen, Herr Graf,« sagte, sich umwendend, der Diener; »ehe eine Viertelstunde vergeht, werden wir volles Schneetreiben sehen, und dieser Wald scheint kein Ende zu nehmen.«

»Hast Du den Postillon gefragt, wie weit wir noch bis zum Schloß des Fürsten haben?«

»Volle drei Stunden. Wir werden vor elf Uhr in keinem Fall ankommen, wenn – wir überhaupt ankommen.«

»Wie meinst Du das, Bogislaw?«

Der Diener schwieg einige Augenblicke, dann sagte er auf Deutsch:

»Die Schneefälle sind gefährlich in diesen Wäldern, Herr Graf, auch wäre es leicht, daß wir auf Wölfe stoßen könnten. Die ganze vorige Woche war harter Frost und das bringt die Bestien von den Karpathen herauf und aus den Sümpfen her.«

Graf Lubomirski, – der Reisende im Schlitten war der alte Offizier, dem wir in der ersten Szene unseres Buches und dessen Namen wir zuletzt in Petersburg begegnet sind, – beugte sich besorgt vorwärts.

»Ich habe selbst schon bedauert,« sagte er in der gleichen Sprache, von der er wußte, daß sie der jungen Dame an seiner Seite nicht geläufig war, »nicht in Owrucz geblieben zu sein. Doch hatte ich dem Fürsten zu heute meine Ankunft angezeigt, um morgen mit ihm das heilige Christfest zu begehen. Es bleibt uns nichts übrig, als so rasch wie möglich vorwärts zu kommen. Frage den Postillon, ob es denn keinen Halteplatz gibt bis zum Schloß des Fürsten?«

Nach einer kurzen Unterredung berichtete Bogislaw, daß zwar ein Gehöft, ein Krug für die Holzfäller, eine Meile weiter seitab im Walde liege, doch sei es besser nach der Meinung des Postillons, den geraden Weg zu verfolgen.

»Was fürchten Sie, Oheim?« fragte die junge Dame. »Sollten wir uns vielleicht verirrt haben?«

»Nein, mein Kind,« beruhigte der Graf, »es ist kein Grund zur Besorgnis vorhanden, der Weg führt geradeaus durch die Lichtung und ist kaum zu verfehlen.«

Ein furchtbarer Windstoß, der die riesigen Stämme zu entwurzeln schien, strafte seine Beteuerung Lügen. Er schien das Signal zu sein zum Beginn des Unwetters, denn alsbald entluden sich die Wolken in einem dichten Schneegestöber und binnen weniger Minuten waren die Reisenden und ihr Fuhrwerk in einen dichten, weißen Mantel eingehüllt. Die Flocken fielen so gedrängt, daß man rechts und links die dunkle Baumwand nicht zu sehen vermochte. Man mußte den Lauf der Pferde ihrem Instinkt überlassen.

Das tolle Wetter dauerte ungefähr eine halbe Stunde, von einzelnen heftigen Windstößen unterbrochen, dann begann es nachzulassen und sich aufzuklären – es verzog sich so rasch wie es gekommen war. Trotz aller Anstrengungen der Pferde hatten die Reisenden während des Wetters doch nur geringe Fortschritte gemacht, und das Schlimmste von allem war, daß nach kurzer Zeit der Postillon erklärte, er sei nicht ganz sicher, ob sie auch noch auf dem rechten Wege wären, da das Schneegestöber jede Spur eines solchen verdeckt hatte.

Vor ihnen breitete sich im Mondenschein, der wieder klar und hell vom Himmel strahlte, noch immer eine Lichtung aus, doch war es fraglich, ob es die rechte sei.

Dem Zweifel und der Beratung wurde ein kurzes Ende gemacht, – ein entfernter, klagender, heulender Ton ließ sich hören, bei dessen erstem Laut die ermüdeten Pferde die Ohren spitzten und ohne Antrieb von Zügel und Peitsche sofort sich wieder in Galopp setzten.

»Haben Sie gehört, Oheim?« fragte die Dame. »Wir sind den Wohnungen nahe, das war das Heulen eines Hundes.«

Der Graf antwortete nicht; aber er nahm unter der Decke des Schlittens zwei dort gesicherte Jagdgewehre hervor und reichte das eine dem Diener.

»Ehe zehn Minuten vergehen, werden wir die Bestien auf dem Halse haben,« sagte dieser, diesmal auf Polnisch.

»Um Gott, Oheim, was gibt es?«

»Nichts von Bedeutung, Wanda; einige Wölfe, die vielleicht auf unsere Spur kommen. Wir werden sie mit blutigen Köpfen zurückschicken.«

Die Dame war eine Polin, und obschon in Warschau erzogen, kannte sie doch durch Erzählungen hinreichend die Gefahren der Wälder ihres Vaterlandes.

»Wir sind verloren, Onkel, wenn uns die Wölfe in dieser Wildnis erreichen!«

Gleich als solle ihre Furcht bestätigt werden, erscholl dicht zur Seite des Schlittens, der am Waldrande dahinflog, ein durchdringendes Geheul, und ein dunkler Körper schoß plötzlich aus dem Schatten der Bäume über die helle Fläche des Schnees und sprang dem linken Handpferde an die Kehle. Im nächsten Augenblick erfolgte ein Knall, und der Wolf stürzte tot zurück. Bogislaw war beim Anblick der Gefahr vom Schlitten gesprungen und hatte dem Wolf den Kopf zerschmettert. »Vorwärts! vorwärts!« rief er, indem er sich schnell wie der Gedanke auf seinen Sitz zurückschwang, und die Pferde, die scheuend vor dem unerwarteten Angriff kaum einen Augenblick angehalten hatten, jagten aufs neue davon.

Ein lautes Geheul erklang jetzt hinter ihnen drein, und als der Graf sich umwandte, sah er in der Entfernung von einigen Hundert Schritten eine dunkle, bewegliche Masse sich auf der Schneefläche hinter ihnen her wälzen. Feurige, hüpfende Punkte glühten gleich Johanniskäfern aus dem dunklen Knäuel.

»Lade schnell das Gewehr, Bogislaw, indeß ich sie in Respekt halte,« befahl der Graf. »Ich habe so manches mal in längst vergangenen Zeiten meine Flinte auf die Bestien im Bialowitzer Walde abgefeuert, daß ich wohl auch heute noch mein Ziel halten werde.«

Die Gräfin Wanda barg ihr Gesicht in dem Pelzkapuchon, das ihren Kopf bedeckte, um die Gefahr nicht zu sehen. Wenige Augenblicke darauf knallte neben ihrem Ohr die Büchse des Oheims und ein Schmerzensgeheul aus dem Rudel, das sich auf etwa hundert Schritt schon dem Schlitten genähert hatte, verkündete ihr, daß ein Verfolger weniger war.

»Sie werden einige Minuten anhalten, um ihren Gefährten zu verzehren,« sagte der Diener. »Ich kenne das Geschmeiß und habe oft mit ihm zu tun gehabt, als ich noch Büchsenspanner und Jäger beim seligen Grafen war.«

Die Voraussage bestätigte sich; nach kurzer Zeit waren die Wölfe wieder auf der Fährte des Schlittens und jagten kaum fünfzig Ellen hinter ihm drein.

Noch zwei mal schoß der Graf mit gleichem Erfolg das Gewehr ab, das der Jäger ihm reichte; aber der Fall der getroffenen Wölfe vermochte jetzt nur wenig Augenblicke die Verfolger aufzuhalten und zurückzuscheuchen.

Während die Männer die Blicke und ihre Aufmerksamkeit nach jenen gewandt hielten, schrie plötzlich die junge Gräfin laut auf: »Jesus Maria, ich sehe Licht!«

Wie ein elektrischer Schlag durchfuhr der Rettungsstrahl die Gefährdeten.

»Es ist das Schloß oder ein Gehöft, in einer Viertelstunde sind wir dort. Hölle und Teufel, was ist das?«

Der Diener Bogislaw, der es rief, beugte sich vorwärts.

»Die Bestie hat das Pferd dennoch verletzt – es stürzt – herunter, Postillon! rasch, rasch! Schneide die Stränge los, ehe sie uns einholen, es gilt Tod und Leben!«

Er hatte den Zitternden fast mit Gewalt hinabgestoßen und ihm das Messer in die Hand gedrückt, während er selbst bemüht war, die Zugstränge des Handpferdes zu lösen, das, an einer Halsarterie verletzt, nur von der Furcht getrieben so lange ausgehalten hatte und jetzt zusammengestürzt war und wild um sich schlug.

»Den Vordersten, Herr Graf, den Vordersten!«

Wieder knallte die Büchse und der Leitwolf stürzte zusammen, aber an ihm vorbei jagte die Meute, denn sie wußte, daß in wenigen Minuten ihr die Beute entgangen sein würde. Rechts und links am Schlitten vorüber sprangen zwei große Wölfe und einer derselben am Vordersitz empor. Die wie feurige Kugeln glühenden Augen, der weit geöffnete Rachen mit der lechzenden Zunge, aus dem der heiße Atem dampfte, waren schrecklich anzuschauen.

Laut auf klang der Schrei des gefährdeten Mädchens, während der Greis mit dem Büchsenlauf die Bestie vom Rücken des Schlittens zurückzuhalten suchte.

In diesem Augenblick war es den beiden gelungen, die Stränge abzuschneiden, und im selben Moment, als sie sich von der hemmenden Last befreit fühlten, sprangen die beiden Pferde vorwärts und rissen dabei den noch an ihrem Vorderzeug beschäftigten Postillon zu Boden. Bogislaw hatte kaum Zeit, sich auf die Deichsel zu schwingen und festzuklammern, als der Schlitten zwei schwere Rucke erhielt, wie über hindernde Körper hinwegschnellend, daß die Insitzenden fast hinausgeschleudert wurden, und dann wieder über die Fläche dahin sauste. Zugleich gellte ein wilder Angst- und Schmerzensruf, dem alsbald das wütende Geheul der Bestien antwortete.

Die ganze Sache war so gedankenschnell vor sich gegangen, daß erst jetzt der Graf und Bogislaw den Wolf bemerkten, der sich halb erschrocken noch immer an dem Schlitten festklammerte, ohne jedoch durch die rasche Fahrt und seine hängende Lage zu einem Angriff kommen zu können. Die Faust des früheren Jägers, noch mit dem langen Messer bewaffnet, fuhr im Nu nach dem Rachen der Bestie und man hörte das Knirschen des Stahls an dem harten Kiefer und den Zähnen; der Wolf ließ los und stürzte rücklings in den Schnee.

Die beiden Pferde jagten wie toll dem rasch sich nähernden Lichtschein entgegen. Es dauerte eine Weile, ehe es dem tapfern Diener gelang, mit den Zügeln, die er zum Glück um die linke Hand geschlungen gehabt, ihrer wieder Herr zu werden.

Erst jetzt erholte sich die junge Dame so weit von dem Entsetzen der eben erlebten grausigen Szene, um zu bemerken, daß eine der Personen auf dem Schlitten fehlte. »Um Gotteswillen, Oheim, Bogislaw – der Postillon?«

Die beiden Männer antworteten nicht, und Bogislaw peitschte nur wütend auf die Pferde. Das bebende Mädchen brach in einen Tränenstrom aus; das Zurückbleiben der Wölfe und ihr Geheul gaben ihr die Ahnung, welchem entsetzlichen Opfer sie die einstweilige Rettung verdankten.

Aber diese sollte vollständig werden; denn von jenem Lichtschein aus, den sie in der Ferne gesehen, und der, wie sie näher kommend schon bemerken konnten, aus einem Gehöft mitten im Walde kam, bewegten sich mehrere Feuer über die dunkele Fläche, Kiehnfackeln, von Menschen getragen, und lautes Geschrei und Rufen verkündete die Nähe von Helfern in der Not.

Einige Augenblicke darauf waren sie in der Mitte einer Gruppe von Männern wilden Aussehens, die mit brennenden Kiehnsplittern, Stangen und Äxten bewaffnet, herbeikamen, Bewohner des düstern Waldes, die auf das wiederholte Schießen sich von dem wärmenden Herd in der elenden Waldherberge losgemacht hatten, an deren Hoftor jetzt der Schlitten hielt.

Wenige Worte genügten, um das schreckliche Ereignis zu melden; das entfernte Heulen der Bestien, die sich außer dem Lichtkreise der Fackeln hielten, verkündete ihre Wut, daß ihnen der größte Teil ihrer Beute entgangen war.

Es war offenbar ganz nutzlos, Menschenleben zu gefährden in einem Versuch, den armen Postillon noch zu retten. Ehe der Schlitten noch den dritten Teil des Weges von der verhängnisvollen Stelle bis zum schützenden Hause zurückgelegt hatte, mußte jedes Glied von ihm in tausend Stücke zerrissen sein.

Dennoch, als der Graf mit seines Dieners Hilfe kaum die noch immer zitternde Dame in den großen Raum getragen, welcher Flur und Küche des ärmlichen Gebäudes bildete, und sie am Herde niedergelassen hatte, wandte er sich auf ihre Bitte sogleich an die Leute, die mit stumpfer Neugier umherstanden, nahm eine Hand voll Silber aus seiner Börse und bot es ihnen mit der Aufforderung, sich mit Fackeln und Waffen aufzumachen, um wenigstens die Reste des Verunglückten zu suchen.

Als die Männer das Silber sahen, welches der Graf mit so unvorsichtiger Freigebigkeit ausstreute, waren sie alsbald zu dem Gange bereit und machten sich, drei an der Zahl, mit frischen Kiehnspähnen und ihren Äxten auf den Weg. Nur der Wirt des Hauses, eine grobe, vierschrötige Gestalt mit all' dem finster tückischen Ansehen der niedersten Slavenrasse, blieb im Hause bei den unerwarteten Gästen.

Erst jetzt kamen diese dazu, sich in dem Raume umzusehen, der ihnen zu einer Zufluchtsstätte diente.

Die Hütte, ein mit Sumpfbinsen gedecktes einstöckiges Gebäude von Lehm und Holz, bot das traurigste Bild von Dürftigkeit, Unordnung und Schmutz, wie man es in den polnischen Provinzen so häufig findet. Sie war ausnehmend lang, der größte Teil für Pferde, Rinder- und Schweineherden eingerichtet, welche die Hirten der Gegend hierhin zur Sicherung gegen Kälte und Raubtiere trieben. Für diese und die Holzschläger, ein wüstes, wildes Geschlecht von Leibeigenen, war ein Teil des Hauses zum Krug (Schänke) eingerichtet. Ein halbverfallener Bretterzaun umgab das Hauptgebäude und ein oder zwei ähnliche für die Aufbewahrung der Futtervorräte. Der Raum, der die Küche bildete, nahm den größten Teil des einen Flügels des Gebäudes ein und war rechts und links von Verschlägen oder, wenn man sie so nennen will, Gemächern begrenzt.

In dem großen Kamin brannten riesige Kloben von Holz und verbreiteten Licht und Wärme, was um so nötiger war, als der traurige Zustand der Wände durch zahllose klaffende Spalten dem Luftzug freien Eintritt sicherte. Diese träge Vernachlässigung inmitten aller Hilfsquellen und alles Materials ist eine charakteristische Eigenschaft der polnischen Rasse. Während der Deutsche mit dem zehnten Teil der Arbeit, die jener darauf verwendet, das Holz zum Brennen herbeizuschaffen, das Haus dauernd in festen, wohnlichen Stand setzen würde, läßt der Pole ruhig seine Hütte verfallen, bis ihr gänzlicher Einsturz ihn endlich zwingt, eine neue zu bauen. Wie in den unteren Ständen, so herrscht auch in den oberen eine gleiche Vernachlässigung, ein gleichgiltiges Verkommenlassen und von Ordnungssinn ist keine Spur in dem Volke. In dieser Beziehung unterscheidet sich scharf der polnische und russische Charakter.

In einem großen Kessel auf dem Feuer kochte das Abendbrot der Gesellschaft: Speck und Grütze, und zwei Frauenzimmer, Mutter und Tochter, waren dabei beschäftigt und bequemten sich erst auf eine handgreifliche Ermahnung des Vaters zum Dienst der Dame.

Jener war, wie erwähnt, ein finster und trotzig blickender Mann von robusten Formen, der volle Typus des verkommenden Volkes, im schmutzigen Schafpelz, die fettglänzende Mütze bis über die Ohren heruntergezogen. Dennoch lag bei aller Wildheit und Roheit seines Wesens eine gewisse kriechende Höflichkeit gegen den vornehmen Gast darin, ein Belauern jeder Bewegung, die er machte.

Bogislaw hatte aus dem Schlitten die Decken und Mäntel herbeigeschafft und nach dem durch einen starken Holzverschlag von der Küche getrennten Raume gebracht, der das Ende des Hauses bildete und der von den Weibern auf das Verlangen des Dieners schnell von einigem alten Gerät und Holz gereinigt worden war, denn hier war man wenigstens entfernter von dem Schmutz der Tiere auf der anderen Seite. An ein Weiterkommen in dieser Nacht war nicht zu denken gewesen, da die Pferde zum Tode erschöpft durch den rasenden Lauf sich zeigten, und sie, nach der Versicherung des Wirtes, von der rechten Straße ab und auf einen Nebenweg geraten waren, von dem aus man im Dunkel der Nacht unter zwei Stunden das Schloß des Fürsten Lubienski nicht zu erreichen vermocht hätte, selbst wenn man der Gefahr durch die umherstreifenden Wölfe hätte trotzen wollen.

Es blieb demnach nur übrig, den Tag hier, so gut es gehen wollte, zu erwarten.

Während die junge Gräfin am Feuer sich wärmte, und Bogislaw aus den im Gepäck befindlichen Vorräten Tee kochte, wobei das glänzende Silbergeschirr wieder die gierige Aufmerksamkeit der Hüttenbewohner erregte, suchte der Graf von dem Manne Nachricht über die Bewohner der Gegend, die Ansichten und Stimmung des Volkes zu erhalten, stieß aber auf ein hartnäckiges Ausweichen, von dem er nicht ermitteln konnte, ob es Trotz und Verstellung oder angeborene Stupidität war, so daß er endlich die unnütze Mühe aufgab.

Nach einer Stunde etwa kehrten die ausgeschickten Männer zurück – es waren zwei Söhne des Wirts und ein fremder Holzschläger – und brachten die Nachricht, daß man von dem unglücklichen Postillon nur traurige Knochen- und Kleiderreste gefunden hatte, so vollständig war von den Wölfen das gräßliche Werk getan.

»Aber die Büchse? ich verlor im letzten Kampf das Gewehr und es muß sich auf dem Platz gefunden haben?« fragte Bogislaw.

Die Männer schauten einander verlegen an, verneinten aber insgesamt die Frage. Einer meinte, die Wölfe würden die Büchse vielleicht unter den Schnee gestampft haben, oder sie sei später vom Schlitten gefallen und man werde sie morgen bei Tageslicht leichter finden. Dieser Meinung trat auch der Graf bei, obschon sein Diener bedenklich den Kopf schüttelte und erklärte, er wisse ganz gewiß, daß er das Gewehr bei dem augenblicklichen Halt, den das Stürzen des Pferdes notwendig gemacht, verloren habe.

Die Männer setzten sich in einem Winkel der Küche zusammen, um ihr Abendbrot zu verzehren, zu dem der Graf eine Flasche Rum aus seinem Vorrate gefügt, und schienen von der Gegenwart der vornehmen Gäste bedrückt, denn sie sprachen wenig und nur flüsternd unter einander. Dagegen bemerkte Bogislaw mißtrauisch, daß hin und wieder einer oder der andere auf einen Wink des Wirtes das Haus verließ, und draußen eine Unterredung mit ihm zu pflegen schien.

So war eine zweite Stunde vergangen, und die Reisenden machten sich bereit, ihr improvisiertes Nachtlager aus Pelzen und Mänteln einzunehmen, als plötzlich am Eingang des Gehöfts ein Ruf erscholl und Pferde hörbar wurden. Mit finsterem Gesicht fuhr der Wirt empor und zur Tür: » Niech cie djabli wezma! (der Teufel mag Dich holen!) ich kann keine Leute mehr beherbergen, sie müssen weiter!« aber schon waren auch der Graf und sein Diener an die Tür getreten und vor derselben, in die Mäntel gehüllt, hielten zu Pferde zwei Militärs, ein Ulanen-Offizier mit seiner Ordonnanz. Der erstere, ein noch junger Mann von hoher, schlanker Figur mit edlem, stolzen Gesicht, sprang sogleich vom Pferd, indem er den Zügel einem der Männer zuwarf und mühsam in polnischer Sprache befahl, ihm behilflich zu sein, seinen Begleiter aus dem Sattel zu heben, der bei einem Sturz den Fuß gebrochen habe. Vergeblich erklärte der mürrische Wirt, er könne kein Herberge mehr geben, man möge weiter reiten; der Offizier, an den Umgang mit dem Volk gewöhnt, kümmerte sich wenig darum und drohte nur mit dem Kantschuh, der statt der Reitgerte an seiner Faust hing. Zugleich erklärte der Graf menschenfreundlich, daß er sich gern jede Unbequemlichkeit gefallen lassen werde, um Hilfe zu schaffen und die Reiter nicht aufs neue dem drohenden Schneewetter auszusetzen, und wenige Worte, aber derbe Püffe des Jägers Bogislaw brachten den Wirt und seine Söhne alsbald dazu, Hand anzulegen und den Soldaten in den Küchenraum zu tragen, wo er auf einem von Stroh bereiteten Lager niedergelegt wurde.

Nachdem er die Pferde sicher untergebracht hatte, und den Schnee vom Mantel geschüttelt, folgte der Offizier gleichfalls, und begrüßte höflich und erstaunt die junge Dame, die sich bereits mit dem Leidenden zu schaffen gemacht und ihn mit einer frischen Tasse Tee erquickt hatte. Auf die Einladung des Grafen nahm der Offizier am Feuer Platz und es entspann sich alsbald in französischer Sprache eine Unterhaltung, aus der sich ergab, daß der Neuangekommene, zur Garnison des Städtchens Olewsk gehörend, gleichfalls auf dem Wege zum Schloß des Fürsten Lubienski begriffen war, um auf die Einladung des reichen Grundbesitzers mit einigen bereits vorausgegangenen Kameraden die Festtage dort zuzubringen. Der Dienst hatte ihn verhindert, eher als am späten Nachmittag aufzubrechen, das Schneewetter ihn gleichfalls im Walde betroffen, und ein Sturz über eine Baumwurzel seinen Burschen so unglücklich vom Pferde geworfen, daß derselbe den Fuß gebrochen hatte und der Offizier gezwungen war, nachdem er ihn mühsam wieder in den Sattel gebracht, ihn langsam weiter zu geleiten, bis er in die Nähe des ihm von Ansehen bekannten Kruges gekommen war.

Mit Verwunderung hörte zugleich der Graf, daß dieser gar nicht weit ab von der Straße zum Schloß des Fürsten und deren Vereinigung mit dem Wege von Olewsk gelegen sei, und daß sie morgen in Zeit von einer starken Stunde an ihr Ziel gelangen könnten. Die Wirtsleute des Kruges hatten sie also absichtlich getäuscht.

Obschon der fremde Offizier seinen Namen nicht genannt hatte, zeigte ihn doch das ganze Gespräch als einen Mann von Bildung und Erziehung, und eine zufällige Bemerkung ergab, daß er erst seit etwa drei Monaten hier in Garnison stand. Ein Zug von Ernst, ja Schwermut, der über das ganze Wesen des jungen Mannes ausgegossen war, erhöhte das Interesse, das seine männliche Schönheit erregte. Nur die Begeisterung, mit der er des Kaisers erwähnte, machte den Polen mißtrauisch und zurückhaltend.

Nach einer längeren Unterhaltung mußte man endlich an die Ruhe für die Nacht denken, da die junge Dame offenbar sehr erschöpft war. Der Wirt schlug vor, daß der junge Offizier den Verschlag zur Linken der Küche einnehmen sollte: da dieser jedoch von Schmutz aller Art strotzte, erklärte jener, daß er es vorzöge, in seinen Mantel gehüllt die Nacht am Herdfeuer zuzubringen wobei ihm der Jäger Bogislaw Gesellschaft leisten wollte.

Die Anordnung schien dem Eigentümer des Hauses wenig zu behagen, und er gab sich mehrfache Mühe, den Fremden die Kammer oder den mit Stroh und Heu angefüllten Boden anzupreisen, der über den größten Teil des Gebäudes lief. Als er endlich sah, daß sie auf ihrem Willen bestanden, fügte er sich mürrisch und trieb die Weiber in die Kammer, während er, wie er sagte, mit seinen Söhnen und dem fremden Holzhauer die Nacht im Pferdestall zubringen wollte.

Es war etwas in dem Wesen der Familie was dem aufmerksamen Diener nicht gefiel und sein Mißtrauen erregte. Dennoch lag kein Grund vor, dasselbe zu äußern, und nachdem er für sich und den Offizier, so gut es ging, zu beiden Seiten des Herdes ein Lager bereitet und alle anderen den Raum verlassen hatten, streckten sich beide zur Ruhe nieder.

In wenig Minuten war der junge Offizier in festem Schlaf, Bogislaw aber blieb, seine Pfeife rauchend, auf dem Lager wach.

Ein eigentümliches Geräusch hatte seinen Verdacht aufs neue erregt; ihm war, als hätte er einen Reiter vorsichtig den Hofraum verlassen und draußen davonjagen hören.

Bald darauf öffnete sich leise die Tür der Kammer und die Wirtin des Hauses streckte vorsichtig den Kopf herein, um nach den Schläfern zu lauschen. Sie schreckte eilig zurück, als sie die glänzenden Augen Bogislaw's auf sich gerichtet sah.

Noch immer hatte sich nichts ereignet, was genügend gewesen wäre, den Verdacht des Jägers zu rechtfertigen, und dennoch wurde derselbe von Minute zu Minute stärker, bis Bogislaw endlich beschloß, sich auf jeden Fall Überzeugung zu verschaffen.

Die Glut des Heerdes warf nur ein mattes Licht über den weiten Raum, und da sein Lager sich im tiefen Schatten des Vorsprunges befand, gelang es ihm leicht, seinen Plan auszuführen. Indem er den weiten Pelz scheinbar zusammengeballt liegen ließ, als ruhe ein Körper darunter, wand er sich geschickt daraus hervor und erreichte die Leiter, die an der linken Seitenwand zum offenen Eingang des Bodenraumes führte. Diese stieg er mit katzenartiger Vorsicht hinan und war gleich darauf im Dunkel des Raumes verschwunden.

Zur selben Zeit saßen in dem entgegengesetzten Flügel des Gebäudes am Ende des Stalles, der an fünfzig kräftige ukrainer Pferde, außer denen der Fremden, enthielt, der Wirt mit einem seiner Söhne und dem Holzfäller um eine dürftige Lampe in eifrigem Gespräch.

Den zweiten Sohn hätte der Blick eines Lauschers vergeblich gesucht.

»Ich sage Dir, Stenko,« sprach der Holzfäller, »Deine Vorsicht wird alles verderben. Warum den Segen, den uns die heilige Mutter von Czenstochau in unsere Armut geschickt, erst mit den anderen teilen? Der Kranke zählt nicht und mit den dreien wären wir allein fertig geworden.«

»Du redest, wie Du's verstehst, sobaczy synu!« (Hundesohn), entgegnete der Wirt. »Der Teufel könnte sein Spiel haben und einer entkommen, und dann wären wir alle verloren. Überdies sind sie bewaffnet und würden sich scharf wehren. Die Freunde, die Jarkow herbeiholt, werden mit der Heiligen Hilfe hier sein, ehe der Tag graut, und dann liegen die Edelleute gerad' im tiefsten Schlaf. Auch brauchen wir jene, um den Schlitten und die Pferde hinweg zu führen, damit wir alle zu Hause getroffen werden und kein Verdacht auf uns fällt.«

»Es war gut, Vater,« meinte der junge Bursche, »daß wir die Büchse bei Seite gebracht haben. Die Narren glauben sie dort unterm Schnee, während sie hier wohl aufgehoben ist.«

Er brachte das Gewehr zum Vorschein, das er unter der Spreu verborgen hatte und besah es von allen Seiten.

»Verflucht, daß wirs nicht brauchen können,« grollte der Alte. »Es ist eines von den neuen Dingern, wie sie die Jäger des Herrn haben, ohne Schloß und Stein, aber unsereins versteht damit nicht umzugehen. Schande, daß uns der Herr die Flinten weggenommen, und uns bloß die Äxte und Messer zu unserer Verteidigung gelassen hat.«

»Eine Axt ist ein schönes Ding,« meinte der andere, »wo sie hinschlägt, trifft sie sicher. Die Brüder sagen, der russische Kaiser habe es befohlen, daß die Armen keine Flinten mehr besitzen sollen. Hei! was war es für ein ander Leben, als wir vor vier Jahren Büchse und Säbel hatten und die Schlösser der Edelleute plünderten mit unseren Brüdern in Galizien und die Köpfe der stolzen Herren einschlugen, als wäre der Donner des Himmels über sie gekommen!«

»Du warst ein wilder Teufel, Jankowitsch, es war gut, daß sie Dich nicht fingen. Sie hätten Dich an dem ersten Baum aufgeknüpft.«

»Ei, ich weiß, daß Du nicht besser warst, als Du bei den Weißmützen standest unter Uminski. Boris hat mirs oft genug erzählt.«

» Tysiac byci maé mordowalo! (Mögen die Teufel Deine Mutter quälen! – ein gebräuchlicher polnischer Fluch.) Sollten wir unser Leben denn für die Edelleute opfern, wenn es dabei nicht etwas zu plündern gegeben hätte. Ein Herr ist wie der andere und drüben in Rußland haben sie's wahrscheinlich noch besser als wir hier. Müssen wir nicht Holz fällen und das Vieh hüten in den Sümpfen Jahr aus, Jahr ein? Und haben die Wölfe oder Bären ein Stück zerrissen, muß es unser Rücken nicht entgelten? Ich habe mir sagen lassen, drüben in Weißrußland ließen viele Herren ihre Leibeigenen lernen, zu was sie Geschick haben, und sie kämen in den großen Städten zu Ehren und Reichtum. Wo ist dies je einem der unseren geschehen? Ich war einmal mit dem Herrn in Kiew, um Pferde zu Markt zu treiben und habs wohl gemerkt. Die Bauern des Kaisers drüben sind reiche Leute gegen uns!«

»Ob Boris mit den Jungen kommen wird?«

»Warum sollt' er nicht? Ein solcher Fang findet sich selten, und er läßt einen Freund nicht im Stich, wenn er auf seine Faust und sein Messer rechnet. Reich mir die Wotkaflasche, Michael.«

Der Branntwein machte die Runde.

»Nun legt Euch aufs Ohr und schlaft,« sagte der Wirt, »vor dem zweiten Hahnenkräh können die Bursche unmöglich hier sein, und ich wüßte nicht, weswegen wir den Schlaf verlieren sollten. Wir haben morgen in der Früh genug zu tun, um alle Spuren zu tilgen und das Gut fort zu schaffen. Jarkow wird uns schon wecken, wenn er kommt.«

Er warf sich auf die Streu und die beiden anderen folgten seinem Beispiel. –

Das Feuer des Heerdes war im Verlöschen, der Raum fast dunkel, als eine Hand leise die Schulter des jungen Offiziers berührte und dieser, an rasches Erwachen gewöhnt, auffuhr und im selben Augenblick nach dem neben ihm ruhenden Säbel griff.

Doch die Hand legte sich rasch auf seinen Mund und eine Stimme flüsterte an sein Ohr:

»Stille, es gilt unser Leben!« Der Offizier erkannte im Halbdunkel den Jäger Bogislaw, der sich lang an seine Seite kauerte. »Bleiben Sie still auf Ihrem Lager« flüsterte dieser »und hören Sie mich an, denn jede Bewegung könnte uns zu früh verraten, ich traue den Weibern da drinnen nicht.«

Der Offizier tat, wie der Jäger verlangte, und horchte aufmerksam auf die Mitteilung desselben.

»Wir sind einer Bande jener mörderischen Schurken in die Hände gefallen,« sagte Bogislaw, »die bei dem Aufstande von 49 an der galizischen Grenze raubten und plünderten. Der Wirt hat seinen Sohn nach anderen Genossen ausgeschickt, uns zu bewältigen. Wie viele ihrer kommen, weiß ich nicht. Ich habe sie belauscht und erfahren, daß wir Zeit zu unseren Vorbereitungen haben. Sie gedenken uns erst im Morgenschlaf zu überraschen.«

»Es soll den Schuften nicht gelingen,« sagte der junge Mann. »Sie werden sich blutige Köpfe holen. Aber was hindert uns, ihnen zuvorzukommen? Wir sind drei gegen drei und gut bewaffnet. Sie vermögen nicht, uns aufzuhalten.«

»Sie vergessen den Wald und die Wölfe. Ohne Führer werden wir uns schwerlich bei Nacht zurechtfinden und den Mördern vielleicht in die Hände laufen. Auch hindern uns die Gräfin und der arme Bursche dort an der Flucht, der jetzt im Wundfieber stöhnt und den wir doch nicht ihrem Messer überlassen können.«

»Aber was ist zu tun? – wir wollen den Grafen wecken.«

»Noch nicht, Herr. Wir müssen erst unseren Verteidigungsplan entwerfen. Ich weiß nicht, ob die Weiber da drinnen schlafen und jede Bewegung könnte uns verraten. Ich sehe, Sie haben Ihre Sattelpistolen bei sich.«

»Sie sind geladen, und auch die meines Burschen. Aber wir haben keine Patronen bei uns.«

»Tut nichts. Drinnen beim Grafen liegt Pulverhorn und Kugelbeutel, und die Jagdflinte des Herrn. Meine Büchse haben die Schurken gestohlen, aber sie nutzt ihnen nichts, und da sie weiter kein Schießgewehr haben, sind wir im Vorteil. Ich denke, wir lassen den Grafen und die junge Gräfin noch ein paar Stunden ruhen und halten abwechselnd Wache, Herr, und wecken Sie mich in zwei Stunden, oder wenn Sie das geringste verdächtige Geräusch hören. Vielleicht kommt mir im Schlaf ein guter Gedanke.«

Er schlich zurück zu seinem Lager, nachdem er noch vorsichtig die Leiter abgehoben, die zum Boden führte, und sie leise quer vor die Kammertür geschoben hatte; der Offizier, der zu seinem bedächtigen und mutigen Gefährten volles Vertrauen gefaßt, beschloß, sich ganz seiner Einsicht zu fügen. Die Pistolen im Bereiche der Hand, stützte er den Kopf auf den Arm und versank in tiefes Nachsinnen.

Wohin führten ihn seine Gedanken? Wohin wanderte seine Phantasie?

Bilder seiner Kindheit erhoben sich umher, der mächtige Felsenhorst, auf dem der Adler nistet, wilde abenteuerliche Gestalten im blitzenden Silberpanzer, – Waffen, – brausende Bergströme, – das Getobe des wilden Kampfes, – Ströme von Blut, – und er als Knabe emporgehoben von den Armen eines hohen, blassen Mannes mit langem, dunklen Bart und blitzendem Auge! – Dann Nacht um ihn her, gerötet vom Flammenschein brennender Häuser, das wilde Geheul der Stürmenden, blitzenden Bajonette, donnernde Salven, – Dampf, Rauch, Blut, Feuer, – Tod und Gefahr ringsum! –

Und wiederum aus der frühesten Kindheit liebliche, seltsame Bilder: Frauen in dichte Schleier gehüllt, die Brust von dem weichen Leder des Berghirsches eng umschlossen, blitzende Steine und Geschmeide um Haar und Hals; – am dunkeln Felsenhang die Ziege kletternd, – und von den hohen Bergwällen der Blick des spielenden Knaben hinabtauchend auf Fels und Tal und weit darüber hin die silberglänzende Fläche des weiten Meeres! –

Dann kamen die Erinnerungen seiner späteren Jahre: die Erziehung im Korps zu Petersburg, das Bild der Jugendfreunde und Kameraden, die jetzt weit zerstreut waren über das unermeßliche Reich – die leuchtende Gestalt des kaiserlichen Herrn, den er so oft geschaut, dem er Treue geschworen, er, der – –

Und nun vielleicht hier unrühmlich, ohne Namen, ohne Taten zu enden unter dem Beile eines Mörders; vergessen zu werden unter dem Leichenhügel des Schnees, zerrissen von den gierigen Bestien des Waldes, die seine Leiche aus der heimlichen Gruft gescharrt!

Dazwischen tauchte ein lichtes, schönes Bild auf, vor wenigen Stunden zuerst geschaut, verlockend, reizend vor seinen Augen stehend, – Wanda, die junge Gräfin, für die er sein Blut vergießen, die er zu retten versuchen, oder mit der er sterben wollte.

Eine wilde, energische Kraft strömte durch seine Adern; er fühlte, daß das dunkle, schwärmerische Auge des Mädchens ihn zu jeder Tat und Anstrengung begeistern könne. –

Die Stunden vergingen; es war Zeit, den Jäger zu wecken, und er tat es. Im Augenblick war der Pole munter und bat ihn, nun seinerseits der Ruhe zu pflegen.

Aber der Geist des jungen Mannes war zu aufgeregt, als daß er Schlaf zu finden vermocht hätte. Er überließ zwar seinem Begleiter, ohne sich einzumischen, alle Vorbereitungen, doch schaute er ihnen wach und aufmerksam von seinem Lager aus zu.

Bogislaw horchte erst aufmerksam an dem Eingang, der zu der Kammer führte, in der die Weiber schliefen. Dann untersuchte er sorgfältig die Haustür.

Sie war zum Glück ziemlich fest, aber ohne Verschluß, nur ein ziemlich starker Querbaum in Haspen konnte davor gelegt werden.

Die Türen beider Kammern öffneten sich nach der Küche, sie konnten demnach verrammelt werden.

Es blieb noch der Eingang von der Bodenluke her.

Die Dispositionen des Jägers waren schnell getroffen. Er hing den großen, hölzernen Riegelbaum vor die Tür und begann vor der Kammer der Frauen von den in der Küche aufgetürmten großen Holzstücken einen förmlichen Wall zu bauen, der bald halbe Manneshöhe erreicht hatte und die Bretter der Tür festhielt.

Darauf schob er ein neues Scheit in das Feuer und fachte dieses wieder an.

»Es wird eben so gut sein,« sagte er leise nach allen diesen Vorbereitungen, »wenn wir meine Herrschaft schlafen lassen, bis die Gefahr erscheint. Der Graf ist ein alter Soldat und wird auf dem Platze sein.«

Die Uhr des Offiziers zeigte die vierte Stunde, als draußen ein leises Geräusch sich hören ließ und Bogislaw seinem Gefährten winkte.

»Sie kommen; machen wir uns bereit, sie zu empfangen, und möge die heilige Jungfrau uns schützen. Halten Sie die Bodenluke im Auge, ich werde die Tür nehmen. Nieder mit jedem, der herein zu dringen wagt!«

Jeder von ihnen hatte ein Paar der Kavallerie-Pistolen an sich genommen; der Offizier faßte an der Wand, gegenüber der Bodenluke, Posten, der Jäger an der Tür, an deren beiden Seiten zwei kleine Fensterchen, wie sie in polnischen Hütten üblich sind, sich befanden, groß genug, um Licht und Luft herein zu lassen, aber zu eng, um zu einem Einsteigen Gelegenheit zu geben. Beide waren von außen mit Läden verschlossen, die kleinen Fensterscheiben zerbrochen und mit Papier ausgeflickt.

Auch die Öffnung des Bodenraumes war zum Glück nur so groß, daß ein Mann gebückt hindurch passieren konnte. Da mit der Seitenwand der Küche der Boden aufhörte und der Raum über derselben bis zu den Dachsparren frei war, lag der Zugang in der Wand ziemlich hoch, von der Erde aus mindestens in doppelter Mannshöhe, die Luke war jedoch offen und ohne Tür.

Der Jäger hatte absichtlich nur spärlich das Feuer wieder aufgefrischt und ein schwaches Licht verbreitete sich über den Raum, das jedoch stark genug war, um den im Inneren Befindlichen den nötigen Überblick zu gewähren.

»Wenn ich nur wüßte,« flüsterte der Diener, »wie viele ihrer sind! Es ist zu dunkel draußen, um sie zu zählen, und ich darf es nicht wagen, sie nochmals wie vorhin zu belauern.«

Das Geräusch hatte sich verstärkt, man konnte deutlich hören, daß mehrere Personen, jedoch vorsichtig, in das Gehöft eintraten und an dem Hause entlang schlichen. Der unter den Sohlen ihrer Stiefeln knisternde Schnee verriet sie.

Dann war wieder alles still. – –

Die kühnen Wächter harrten. Ihre Mäntel lagen auf den verlassenen Lagerstätten, so daß sie in dem matten Lichte in einiger Entfernung leicht ein fremdes Auge täuschen konnten. Sie selbst standen in dem dunklen Schatten verborgen, so daß sie nicht leicht bemerkt werden konnten.

Wiederum knisterte der Schnee und die leisen Schritte mehrerer Männer schlichen heran und hielten an der Tür des Hauses still. Zugleich ließ sich ein leises Geräusch auf dem Boden vernehmen. Wenige Augenblicke darauf erschien den scharfen Augen des jungen Mannes ein Gesicht in dem dunklen Raume, eine Gestalt wurde erkennbar – der Wirt des Hauses, und der Offizier konnte sehen, daß seine Hand mit einem kurzen, schweren Beile bewaffnet war. Die andere tastete nach der Leiter umher.

Sie suchte vergeblich. Der Kopf des Mannes bog sich vor aus der Luke, um zu schauen, ob sie nicht an Ort und Stelle sei. Das Blut des jungen Ulanen fieberte, seine Hand spannte sich um den Kolben der Pistole. Aber er fühlte, daß Ruhe und Vorsicht hier mehr galt, als Mut und Tapferkeit.

» Przekleçie! Die Hundssöhne haben richtig die Leiter weggenommen,« flüsterte oben eine Stimme. »Bleibe Du hier, die Weiber sollen uns öffnen. Die beiden liegen am Feuer.«

Der Kopf verschwand. Wiederum war eine lange Pause. Dann hörte der Jäger an das Fenster der Kammer klopfen und eines der Weiber aufstehen und herankommen. Es folgte ein kurzes Flüstern, darauf machte die Frau den Versuch, ihre Türe zu öffnen, und als sie dies zu ihrer Verwunderung nicht konnte und die Verrammelung bemerkte, teilte sie dies eilig den Männern draußen mit.

Ein wilder Fluch, – eine kurze Beratung folgte.

Gleich darauf erschien der Wirt aufs neue an der Bodenluke, schaute sich um und schickte sich an, herabzuklettern.

Der Augenblick des Handelns war gekommen.

»Zurück da! Bleibe dort oben oder ich schicke Dir eine Kugel durch den Kopf!«

»Mögen die Teufel Deine Mutter quälen! Bin ich Herr in meinem Hause oder nicht? – Setzt die Leiter an, ich muß hinunter!«

»Bleibe ruhig, wo Du bist, Schurke,« sagte ruhig der Jäger, »wir wissen, was Du willst und welche Gesellschaft Du bei Dir hast. So wahr ich an Gott und die Heiligen glaube, jeder, der diesen Raum vor vollem Tageslicht betritt, ist ein Kind des Todes! Also troll' Dich und laß uns in Frieden.«

»Ist's so gemeint, Hundssohn? – Her mit der Leiter Michael, wir wollen doch sehen, ob sie, die wir von den Wölfen gerettet haben, uns aus dem eigenen Hause zu jagen wagen.«

Eine zweite Gestalt wurde sichtbar und schob eine Leiter durch die Luke. Der Krugwirt half.

»Jetzt hinunter, Michael; ich will sie von Deinen Pferden zerreißen lassen, wenn sie es wagen, Dir ein Haar zu krümmen. Hinunter, Junge, sag' ich!«

Der junge Mann setzte den Fuß auf die erste Stufe der Leiter, ein dritter zeigte sich hinter ihnen.

Ruhig und kaltblütig hob der Offizier, der bis jetzt im Schatten gestanden und sich bei seiner geringen Kenntnis des polnischen nicht in die Verhandlung gemischt hatte, die Pistole; im nächsten Moment fiel der Schuß, der junge Bauer öffnete die Arme, stieß einen Schrei aus und stürzte schwer von der Höhe der Leiter herab und auf die Tenne des Küchenflurs. Gleichzeitig mit dem Schuß war mit einem raschen Sprung der Jäger von der Tür her unter der Luke und entriß mit kräftigem Griff die Leiter den Händen, die sie oben hielten und die im Schreck über die rasche Tat sich öffneten.

»Verfluchte, Ihr habt mein Kind erschossen!«

Die kurze, schwere Axt, von der Hand des Vaters geschleudert, flog durch die Luft, aber Bogislaw war außer dem Bereich seiner Hand und der Offizier machte eine rasche Seitenbewegung, daß sie unschädlich an ihm vorbeisauste und an die Kammertür zur rechten schlug, die eben rasch von innen geöffnet wurde. Der Graf, seine Pistolen in der Hand, erschien in derselben, hinter ihm, bleich, verstört und aus dem tiefen Schlaf geweckt, die Gräfin Wanda.

Zugleich erscholl das Gekreisch der Weiber in der Kammer, wildes Lärmen der Männer draußen, die ihr Werk verraten sahen, und ihre Axtschläge donnerten gegen Tür und Läden.

Stenko, der Wirt, war im Begriff, in seiner Wut hinabzuspringen, als sich bedächtig der Arm des jungen Offiziers mit der zweiten Pistole hob und nach ihm zielte.

»Zurück!«

Der dritte, der mit dem Kneipenwirt auf dem Boden war, riß diesen von der Luke zurück:

»Hinunter zu den anderen!« Sie verschwanden.

Die Gräfin in der Kammer wies zitternd, erregt auf den blutenden Mann, der sich am Boden krümmte.

»Um Gotteswillen, ein Mord! was ist geschehen?«

Mit der Hochherzigkeit weiblicher Natur flog sie zu dem Verwundeten, um Hilfe zu leisten.

»Was bedeutet das alles, Bogislaw?« fragte der Graf. »Werden wir angegriffen?«

»Mein Verdacht hat sich bestätigt,« sagte der Jäger rasch und kurz. »Wir sind in diesem Hause in der Falle, und der Wirt hat seine Mordgenossen herbeigerufen. Wahren Sie uns den Rücken dort nach dem Boden zu, Herr Graf! Hierher, Herr Leutnant!«

Die kräftigen Axtschläge draußen zerschmetterten die Läden der Fenster und donnerten gegen die zum Glück starke Tür. Stenko hatte den Genossen die Gewißheit gebracht, daß sie entdeckt waren und ihre Wut versuchte einen allgemeinen heftigen Angriff.

Der junge Offizier war an das Fenster zur rechten gesprungen. Durch die zerbrochenen Scheiben langte eben ein Arm nach dem Riegel, um ihn aus den Haspen zu heben.

»Sparen Sie den Schuß. Den Säbel, den Säbel!«

Der Offizier hatte bereits die Pistole fallen lassen und die eindringende Faust gefaßt. Aber die Kraft derselben, die ihn zugleich packte, war stärker als die seine, sie zog seinen linken Arm aus dem Fenster fast bis an die Schulter hinaus und zwei, drei Hände faßten draußen an den Arm. Er war in einer völlig wehrlosen Lage.

In dem Augenblick entriß eine Hand der seinen den blanken Säbel und die Klinge fuhr dicht an seinem Kopf vorbei durch das Fenster auf die Gegner. Der Stoß, den der alte Graf geführt hatte, mußte getroffen haben, denn ein wilder Aufschrei erfolgte, der Arm des Offiziers wurde losgelassen, und schnell zog er ihn zurück. Zugleich knallte aus dem anderen Fenster ein zweiter Pistolenschuß, und die Vorsicht und Ruhe des Jägers war Bürge, daß er ihn nicht ohne sicheres Ziel abgefeuert hatte. Die wilden Verwünschungen, das Schmerzensgestöhn draußen bewiesen, daß der Angriff blutig empfangen worden, – die Tobenden zogen sich eilig zurück aus dem Bereich der Schußwaffen.

Jetzt erst gewann der Diener Bogislaw Zeit, seinen Herrn näher von den Vorgängen zu unterrichten. Die Männer fühlten, daß sie eilig ihre weiteren Vorbereitungen zu treffen hatten, da offenbar der Angriff wiederholt werden würde.

Bogislaw sprang nach der Kammer, um aus dem Gepäck seines Herrn die Pulverflasche zu holen und neu zu laden.

» Przekleçie! Ich kann sie nirgends finden, die Weiber müssen sie gestohlen haben, als sie in der Kammer hantierten. Doch haben wir noch Ihre Flinte und Pistolen, Herr Graf, sie sind geladen. Wer nimmt den Posten in der Kammer ein, um zu verhindern, daß die Schurken hier durch das Fenster brechen?«

Es war hier die wenigst gefährdete Stelle; aller Augen wandten sich auf die Gräfin, die in stillem Gebet noch immer an der vorigen Stelle kniete. Das Gebet galt einem Toten. Der kräftige, junge Körper des Verwundeten hatte wild gegen den Tod gekämpft, den die innerliche Verblutung rasch herbeiführte, denn die Kugel hatte quer durch die obere Brust geschlagen, und während des Kampfes an den Fenstern streckte sich zuckend der Leib und lag dann still und starr.

Der Oheim hob das Mädchen empor und führte sie nach der Kammer. Es war keine Zeit zu Erörterungen und zur Schonung der Gefühle. Er konnte sie nur kurz bedeuten, daß sie auf das geschlossene Fenster achten und, wenn es erbrochen würde, um Hilfe rufen solle.

Dann trugen Bogislaw und der Offizier den von dem Kampf aus seinem Fieberschlaf erwachten Soldaten an die Wand gegenüber der Bodenluke und befahlen ihm, diese fest im Auge zu behalten.

Der Jäger stand schon wieder auf seinem Posten und rekognoszierte durch eines der zerbrochenen Fenster. Die Räuber hatten sich zurückgezogen und waren unsichtbar. Die Nacht lag noch immer finster um das Haus, nur durch die weiße Fläche des Schnees gemildert. Auf ihr, nahe dem zweiten Fenster, erkannte man eine dunkle Gestalt regungslos ausgestreckt: der Angriff hatte bereits ein zweites Menschenleben gekostet.

So verging eine längere Zeit, während der nur wenige Worte gewechselt wurden. Es schien fast, als ob die Banditen das Grauen des Morgens abwarten wollten, um ihre Gegner besser zu sehen. Die Weiber in der Kammer, die mehrfach versucht hatten, die Tür zu öffnen, waren seit einiger Zeit ganz still geworden. Dagegen vernahm das scharfe Ohr des Jägers ein Geräusch, gleich dem eines vorsichtigen Arbeitens an einer Wand, und traf danach seine Vorbereitungen.

Plötzlich donnerten wütende Axtschläge an die Eingangspforte und zugleich suchten ähnliche aus dem innern der Kammer die Tür derselben zu sprengen; in wenigen Augenblicken flog sie in Stücke.

Aber Bogislaw hatte ähnliches erwartet, die Tür zersplitterte, aber öffnete sich nicht, denn vor ihr bis zur Manneshöhe lagen jetzt eine Masse schwerer Gegenstände aufgehäuft, die aller Anstrengung des Fortdrängens spotteten.

Durch die Zwischenräume der Verschanzungen streckte der Graf mit der ganzen Kaltblütigkeit eines alten Soldaten sein Jagdgewehr und zielte auf die beiden dunklen Gestalten, die hier den Eingang zu erzwingen suchten, aber der Hahn fuhr nieder auf das Piston, ohne daß ein Schuß erfolgte. Er warf die Flinte zu Boden und drückte eine der Pistolen durch die Öffnung ab, – der Erfolg war derselbe. Dem Stoß eines durch die Öffnung funkelnden langen Messers entging er nur durch eine rasche Seitenbewegung.

Ein Schrei der Dame verkündete auch auf ihrem Posten Gefahr – der Offizier war mit einem Sprunge an ihrer Seite und sah die Gestalt eines Mannes, bemüht, durch die enge Fensteröffnung einzubrechen. Einige Stöße des Säbels trieben ihn zurück, – fast gleichzeitig knallte ein Schuß des Jägers durch ein Fenster und wiederum brach einer der Banditen zusammen und schleppte sich stöhnend zur Seite. Zum zweiten Male wichen die Räuber, doch diesmal nur aus dem Bereich der Fenster und eine kurze, heftige Beratung wurde gepflogen.

»Wir müssen zu Ende kommen,« sagte der Krugwirt unter gräulichen Verwünschungen, »der Tag graut und es darf keiner von ihnen leben, sonst sind wir verloren. Mein Michael ist erschossen, Stephanowitsch tot, Boris verwundet, wir müssen Rache haben, und sollte es unser letztes Blut kosten. Drauf Kameraden!«

Er wollte aufs neue zur Tür, doch Boris, der Verwundete, riß ihn zurück.

»Zum Boden! Die Garben hinunter und dann über sie her, ich und Sarko halten die Tür.«

Die Mörder begriffen, sie eilten nach dem Aufgang, der in den Ställen zum Boden führte.

»Es sind ihrer noch immer sechs mit dem Kerl, den ich gezeichnet,« sagte ärgerlich der Jäger. »Der Bursche wandte sich gerade um und bekam die Kugel nur ins Fleisch. – Doch, Herr, jetzt glaub' ich, wird es Ernst und es gilt fürs Leben zu fechten.«

Graf Lubomirski hatte das Gewehr und die Pistolen untersucht. Eine aus den Läufen tropfende Feuchtigkeit belehrte ihn, daß die Weiber die Gelegenheit benutzt haben mußten, bei dem aufschlagen des Nachtlagers in der Kammer Wasser in die Läufe zu gießen, wobei sie zugleich die Pulverflasche gestohlen hatten. Er bewaffnete sich mit dem Säbel des armen Ulanen, der machtlos dem Kampfe zusehen mußte.

»Das Tageslicht dämmert herauf,« sagte der Offizier, »wenn wir uns noch eine Stunde zu halten vermögen, kann ein Zufall Rettung bringen. Sie werden es nicht wagen, den vollen Tag abzuwarten –«

Ein Ruf des Soldaten unterbrach ihn – er zeigte nach der Bodenluke. Sie war gefüllt mit einem großen Bunde von Schilf und Schobenstreu, von denen der Boden voll lag; während das Bund von unsichtbarer Hand hinabgestoßen wurde, drängten sich von der Seite bereits ein zweites und drittes schützend vor die Öffnung.

Rasch fuhr die Pistole des Offiziers in die Höhe, der Schuß krachte, aber ein wildes Hohngelächter belehrte sie, daß die Räuber das Mittel gefunden, den Schuß unschädlich zu machen, und daß die Kugel nicht durch den dicken elastischen Schirm der Garbe zu dringen vermocht habe. Wiederum, rasch hintereinander, fielen zwei Bunde herunter und andere drängten sich oben.

Die Gefahr war dringend, alle begriffen den Plan der Elenden und dessen sicheres Gelingen. Noch einige Bunde und die Räuber konnten sich unbesorgt herabstürzen und sie im Handgemenge angreifen.

Da, während der junge Soldat wie schützend vor die halb ohnmächtig in der Tür knieende Dame trat, die Faust fester um den Säbelgriff gespannt, durchfuhr ein glücklicher Gedanke des Jägers Seele. Im Nu war er zum Heerde gesprungen, sein Fuß stieß die noch glühende Asche auseinander und seine Hand suchte einen halb verkohlten Brand, und noch ehe die nächste Garbe den Boden erreichte, flog er in die geöffnete Luke. Rascher als das Wort es zu erzählen vermag, folgte ein zweiter gleicher Brand, und der wilde Fluch ihrer Feinde verkündete, daß das unerwartete Auskunftsmittel seinen Zweck erreicht hatte. Flammen knisterten in der Luke auf; ehe eine halbe Minute verging, schlug schon die volle Lohe empor, – das Feuer hatte die Schoben und das Gestreu, das die Banditen gerade um die Luke gehäuft, erfaßt, und vergeblich waren alle Anstrengungen, die Flamme zu ersticken, die wie eine züngelnde Schlange durch die trockenen Vorräte des Bodens hin lohte. Kaum daß sie Zeit hatten, sich eilig über denselben zurückzuflüchten, bis zu dem Ausgang, der in die Ställe führte, so erfüllte schon Qualm und Dampf den langen Raum, dessen feuchte Schneedecke vor Glut von unten her schmolz. Während die Mörder noch flohen, war Bogislaw, die anderen zu Hilfe rufend, schon beschäftigt, die heruntergeworfenen Streugarben fortzuräumen, damit die aus der Luke sprühenden Funken diese nicht entzünden möchten. Es gelang, sie rasch bei Seite zu schaffen.

Der frische Morgenwind hatte unterdes das Feuer immer weiter verbreitet und nach kaum einer Viertelstunde stand fast das ganze Dach des langen Gebäudes, trotz der Nässe, in hellen Flammen. Die Verwirrung und der Lärm war groß, denn die Pferde und das Vieh, die in den Ställen untergebracht waren, rissen sich bei dem herabfallenden Feuerregen los und stürzten durch die von den Räubern offen gelassenen Türen ins Freie. Sie sprangen im Gehöft, vor dem lodernden Brand scheuend, wild umher, oder durchbrachen die Einhegung und flohen in den Wald.

Die Wut und Verzweiflung der betrogenen Mörder, die sich jetzt für verloren halten mußten, da der Brand Aufmerksamkeit erregen mußte, und ihnen zugleich die Beute entriß, war groß. Bei dem immer mehr sich verbreitenden Morgenlicht, konnten die Belagerten sehen, wie sie umher tobten zwischen den stampfenden Pferden, nicht an Rettung denkend, ratlos und nur herüber drohend zu den Verwegenen, die ihrer Überzahl so glücklich getrotzt.

Aber deren eigene Lage wurde jetzt auch immer gefährdeter und verzweifelter. Obschon der mit Streu gefüllte Boden nicht über den Küchenflur weglief, sondern mit einer Wand abschloß, so war doch diese zu schwach und selbst brennbar, um lange das Feuer aufzuhalten, und auch der Dachstuhl über der Küche geriet bereits in Flammen, so daß nur wenige Augenblicke noch ohne Lebensgefahr in dem Raume zu verweilen war.

Unter diesen Umständen gab es nur einen Entschluß, den: mit bewaffneter Hand sich Bahn durch die Gegner zu brechen. Die Ausführung war natürlich um so schwieriger, als die drei Männer, wenn auch kühn und tapfer, doch jetzt ohne Feuerwaffen, einer doppelten Anzahl zur Wut gebrachter Feinde gegenüber standen und noch die Dame und den armen Kranken zu schützen hatten. Der Augenblicke der Überlegung waren nur wenige, aber jetzt bei hellem Tageslicht übersah der Adlerblick des jungen Soldaten die Gefahr und erkannte rasch den einzigen Ausweg, der Hoffnung ließ. Gerade dem Hause gegenüber, nahe am Eingang des Gehöfts, lag ein halb offenes Schuppengebäude, in dem auch der Schlitten der Reisenden untergebracht war. Konnte man dieses erreichen, so vermochte man wenigstens sich mit größerer Sicherheit weiter zu verteidigen.

Der Plan war bald gemacht, einige Worte genügten zur Verständigung. Der Offizier und das junge Mädchen erklärten mit Festigkeit, daß sie den armen Soldaten nicht den Flammen überlassen wollten. So wurde dieser denn aufgerichtet und die junge zarte Gräfin legte selbst seinen Arm um ihren Nacken und stützte ihn, daß er auf dem gesunden Fuß und einem improvisierten Stock sich langsam fortbewegen konnte. Zur Linken des Paars trat der alte Graf, mit dem Säbel des Soldaten bewaffnet, zur Rechten der Offizier, dessen ernster, entschlossener Blick sagte, daß nur der Tod die Bahn zu ihr öffnen werde. Der Jäger Bogislaw stand an der Tür, die Hand am schirmenden Holzriegel, die Büchse des Grafen zur Seite, das Messer, das die Kehle des Wolfes durchschnitten, im Gürtel.

Ein donnerndes Krachen beschleunigte ihren Entschluß, – hinter ihnen brach bereits ein Teil des Daches zusammen und die Trümmer begruben die Leiche des jungen Räubers.

Wilder Jubel der Männer und Weiber erscholl draußen, sie glaubten die Reisenden verloren.

Bogislaw riß den Riegel hinweg, die Tür flog auf, über die Schwelle sprangen der alte und der junge Soldat, von gleicher Energie beseelt, – hinter ihnen drein schwankte das Mädchen mit dem Kranken und der Jäger mit hochgeschwungener Büchse deckte ihnen den Rücken.

Das offene Gebäude, das sie zu ihrer Zuflucht ersehen, war kaum vierzig Schritt von dem brennenden Hause entfernt, – dennoch aber war der kurze Weg ein Kampf um das Leben.

Einen Augenblick lang blieben die Räuber bestürzt über den kühnen Streich, dann, auf Stenko's, des Wirtes gellenden Ruf, stürzten sie von allen Seiten herbei und machten einen wütenden Angriff auf die kleine Schar. Der Wirt selbst sprang auf den Offizier los und führte einen furchtbaren Schlag mit der Axt nach ihm, der den Säbel, mit dem dieser parierte, mitten durchbrach, während ein anderer sich zwischen den Offizier und seine Schutzbefohlene stürzte und diese von ihrem Begleiter riß, der vergebens einen Schlag mit dem Stock nach ihm führte und zu Boden geworfen wurde. Der Mann, den seine Genossen Boris genannt hatten und der an der linken Schulter verwundet war, hatte bereits mit einem Gefährten den Grafen angegriffen und Bogislaw, der Jäger, wehrte sich tapfer mit dem Kolben gegen die beiden letzten Feinde.

Von allen dreien verteidigte sich der Graf mit dem besten Glück, denn ein scharfer Hieb seiner alten, einst kampfgewohnten Faust hatte im ersten Augenblick schon den rechten Arm seines zweiten Bedrängers gelähmt und seine scharfen Hiebe und Stöße hielten den riesigen Räuber Boris in Entfernung.

»Zum Teufel,« rief der Graf, »das Gesicht kenn' ich! Will ein Pole seinen Obersten morden, unter dem er bei Grochow und Ostrolenka gekämpft hat?«

» Niech cie djabli wezma!« (Möge der Teufel Dich holen), fluchte der Bandit, einen kräftigen Streich führend. »Ich habe Dich längst erkannt, aber Verderben über Euch Edelleute, die Ihr uns zu unserm Unglück verlockt habt! Nieder mit Dir, alter Rebell!«

Er unterlief den Greis und umschlang ihn, beide rangen wütend gegen einander, der eine geschwächt durch die Zahl seiner Jahre, der andere durch die Wunde.

Weiterhin schlug sich noch immer Bogislaw mit den beiden Männern.

Der Offizier hatte seine zersplitterte Waffe von sich geworfen, sich auf seinen Angreifer gestürzt und ihn umfaßt. Auch dieser ließ das Beil fallen und rang mit ihm. Ein Todesschrei hielt die fliehende Gräfin auf – sie sah, wie das Beil des jungen Räubers, der sie von dem Soldaten gerissen, den Kopf des Gefallenen spaltete, und sank, die Augen vor dem grauenhaften Anblick mit den Händen verhüllend, in die Knie. Im nächsten Augenblick war der blutige Mensch an ihrer Seite und schwang die noch triefende Axt.

Ein Blick zur Seite hatte dem jungen Offizier die Gefahr gezeigt, in der die Dame schwebte. Mit einer wütenden Anspannung jeder Muskelfaser schleuderte er in gewaltiger Kraft den starken Wirt von sich und war mit einem Sprunge, gleich dem Tiger, der sein Junges verteidigt, in der Gräfin Nähe. Seine Linke fing den Stiel der Mordaxt auf und hielt sie fest im gewaltigen Griff, indes die Rechte die im Kampfe aufgerissene Uniform faßte und mit Gewalt einen Gegenstand losriß, der darunter um den Hals geschlungen schien. Im nächsten Augenblick flog eine kleine stählerne Scheide auf den Schnee und eine kaum handlange, blaugraue Klinge tauchte sich im kräftigen Stoß bis an die Faust in das Herzblut des Räubers, daß dieser lang den Boden maß. Wie ein Sturmwind hatte der junge Mann die Gräfin erfaßt und sie halb schleifend zu dem Schuppen getragen, vor dessen Eingang er jetzt wie ein Cherub mit seiner kurzen, unzureichenden Waffe stand.

Es war der zweite Sohn des Wirts gewesen, den sein Dolchmesser von gewundener, altertümlicher Form zum Tode getroffen; – heulend, wie der grimmige Wolf seiner Wälder, stürzte der Vater auf ihn zu, rücksichtslos gegen das eigene Leben. » Przekleçie! Du hast meine Söhne gemordet. Du mußt sterben!« Der Stoß des Dolches streifte seine Wangen und riß sie blutig, aber er achtete der Wunde nicht, und im nächsten Moment hatte er den jungen Mann gefaßt und zu Boden geworfen. Er kniete auf seiner Brust, bestrebt, die Faust mit dem langen Mordmesser, die der Offizier umklammerte, loszureißen. Alle Furien des Hasses und der Wut triumphierten in den flammenden Augen, in den fletschenden Zähnen. Die losgerungene Faust holte weit aus zum Todesstoße – –

»Main! Djemala-Din! Retten Sie Herrn Djemala-Din!« Eine fremde Stimme in jüdischem Dialekt dicht neben den Kämpfenden rief die Worte.

Das Messer des Wirts fuhr nieder – – eine rasche Bewegung des jungen Offiziers wendete den Stoß, die spitzige Klinge durchbohrte nur den linken Unterarm – im nächsten Augenblicke spritzte Blut und Gehirn über den Liegenden und mit zerschmettertem Schädel stürzte der Pole über sein Opfer weg. Ein Fußstoß warf die blutige Leiche bei Seite und eine kräftige Hand half dem so unerwartet Geretteten empor. Neben ihm standen zwei fremde Männer in weitem jüdischen Talar, unter dem eine seltsam fremde Tracht hervorschimmerte, beide lange, mit Silber und Elfenbein ausgelegte Pistolen in den Händen, von denen die eine noch von dem eben getanen Schuß dampfte. Starke gebogene Nasen unter dunkel blitzenden Augen, schwarze, sorgfältig gepflegte Bärte zierten beide Gesichter von fremdartigem, aber majestätischem Schnitt – einige Schritte hinter ihnen stand ein dritter Mann, gleichfalls in jüdischer Tracht, deren Berechtigung jedoch seine Physiognomie und die Angst und Furcht, die sich auf ihr ausprägten, deutlich verkündete.

Die Augen der Männer waren fragend, freudig, begeistert auf den jungen Mann gerichtet.

»Bist Du wirklich Djemala-Din, des großen Imam Sohn?«

Die Frage ward in einer Sprache an ihn gerichtet, die das Ohr des jungen Mannes seit 16 Jahren nur selten und ausnahmsweise vernommen; dennoch schlugen diese Klänge, in denen er die ersten Laute gestammelt, wohltuend und verständlich an sein Ohr und er antwortete in derselben Sprache: »Schamyl ist mein Vater! – Aber seht! – helft!« – er eilte trotz der Wunde dem treuen Jäger zu, der hart bedrängt war, – im Nu standen die seltsamen Fremden an seiner Seite und stürzten sich auf die noch kämpfenden Räuber, die bei der unerwarteten Verstärkung zu entrinnen suchten. Aber nur dem kühnen Boris gelang die Flucht, indem er sich auf eines der Pferde warf und, in dem Glutregen des einfallenden Daches davonjagend, das Tor und den Wald gewann; die anderen Drei, von denen zwei verwundet waren, wurden nach kurzem Widerstand überwältigt, zu Boden geworfen und gebunden. Die beiden Weiber schienen sich schon während des wilden Kampfes geflüchtet zu haben. – Auch der Graf und der Jäger bluteten aus leichten Wunden und atmeten dankend auf über die unverhoffte Rettung.

Während der Graf mit des Offiziers und des Juden Hilfe das von dem Schrecken tief erschütterte Mädchen aus der Nähe des brennenden Gehöfts geleitete, war Bogislaw mit den Fremden beschäftigt, die wildgewordenen Tiere abzuwehren, und wenigstens den Schlitten der Reisenden aus dem Brande zu retten. Auch das gelang nur mit Mühe, alles andere war unter den Trümmern des Hauses begraben. Da bereits auch die dürftigen Nebengebäude von den Flammen ergriffen wurden, mußte man die gefangenen Räuber an die nächsten Bäume binden.

Die Gräfin war zu einem in der Nähe des Gehöfts auf dem vorbeiführenden einsamen Wege angebundenen Gefährt der Fremden gebracht und in den Schlitten gehoben worden. Erst jetzt bemerkte sie, daß ihr Retter verwundet war und das Blut stark aus seinem Arm hervordrang und ihn zu entkräften drohte. Während sie ihr Tuch fest um die Wunde schlang und die Blutung zu stillen suchte, kamen auch der Jäger und die Fremden herbei. Die letzteren stürzten sich sogleich auf den Offizier, küßten den verwundeten Arm und übernahmen das Geschäft des Verbindens der Wunde, in dem sie geschickt und erfahren schienen. Dann kamen auch der Graf und der Jäger an die Reihe.

Während dessen fand eine kurze Beratung statt, was man zunächst beginnen wolle. Der Offizier hatte einige Worte mit den Fremden in ihrer unbekannten Sprache gewechselt und führte darauf den Grafen bei Seite.

»Mein Herr,« sagte er, »das Schicksal hat uns seltsam zusammengeführt und schwere Gefahren gemeinschaftlich bestehen lassen. Der glückliche Zufall unserer Rettung ist mir selbst noch unklar, aber ich habe eine Bitte an Ihre Ehre, es ist die, wenn Sie das Schloß des Fürsten mit jenem Gespann, das ich zu Ihrer Disposition stelle, erreichen, daß Sie in der dort versammelten Gesellschaft nicht näher der beiden Männer erwähnen, die unsere Rettung bewirkt haben, und die hier mit mir zusammenbleiben werden.«

»Sie müssen mit uns gehen,« entgegnete bestimmt der Graf. »Sie bedürfen von uns allen zuerst besserer Hilfe, und mein Jäger und unsere fremden Retter können hier zurückbleiben, bis wir Beistand senden können, der vielleicht schon auf dem Wege ist, da man sicher den Brand bemerkt hat.«

»Es ist unmöglich, Herr, ich habe mit diesen Männern zu sprechen.«

»So sind sie Ihnen bekannt? Ich hörte Sie in fremder Sprache mit Ihnen reden und einen Namen, der mir nicht unbekannt ist. Sie sind …«

»Ich bin Djemala-Din, des Iman Schamyl ältester Sohn und russischer Offizier.«

»Sie waren noch diesen Sommer im Kadettenkorps zu Petersburg? Verzeihen Sie diese Frage.«

»So ist es!«

»Dann kennen wir Sie schon lange, nicht blos durch Ihr unglückliches Schicksal, das Sie in die Hände Ihrer Feinde geliefert, sondern auch durch die Freundlichkeit und den Schutz, den Sie meinem Enkel, dem einzigen Kinde meiner einzigen Tochter, erwiesen haben. Der Knabe – Michael von Lasaroff ist sein Name – war mit Ihnen in dem Korps und hat uns oft von Ihnen geschrieben.«

Er reichte ihm mit sichtlicher Freude die Hand. Der junge Mann nahm sie zögernd und mit einem Erröten an, das sein vom Blutverlust bleiches Gesicht färbte.

»Ich kenne den Knaben und liebe ihn,« sagte er, »aber Sie irren, mein Herr, wenn Sie sagen, daß ein unglückliches Schicksal mich in die Hände von Feinden geführt hat. Der Zar ist mir ein Vater gewesen, dem ich mehr verdanke, als meinem Erzeuger in den Schluchten des Elbrus, und nie wird meine Treue und Dankbarkeit für ihn enden.«

Er sprach dies mit einer Festigkeit und Energie, die offenbar den bestimmten Entschluß eines kräftigen Herzens zeigen und jede weitere Berührung dieses Gegenstandes zurückweisen sollte.

»Mißverstehen Sie mich nicht Herr Graf,« fuhr er fort, »wenn ich Sie dennoch bitte, von meiner Zusammenkunft mit jenen Männern, von der Sie der Zufall zu Zeugen gemacht, zu schweigen. Ich spreche zu einem Mann von Ehre, und sage Ihnen daher unverhohlen, daß es Leute meines Volkes sind, die mein Vater mit einer Botschaft an mich gesandt zu haben scheint. Das weitere weiß ich selbst noch nicht, – doch ist es oft geschehen, auch in Petersburg, daß ich auf ähnliche Weise Kunde erhielt von meiner entfernten Familie. Aber es könnte mir und jenen nur von Gefahr sein, wenn unsere Zusammenkunft argwöhnischen Spähern bekannt würde.«

Der Graf reichte ihm nochmals die Hand.

»Nehmen Sie mein Wort, Herr Leutnant, für unser aller Vorsicht. Bogislaw, mein Diener, ist ein treuer Mann und wird Sie nicht genieren, indem ich ihn hier zu Ihrem Beistande zurücklasse. Nach der Versicherung des Juden, der Ihre Freunde hergeführt, können wir in einer Stunde im Schlosse meines Freundes sein und Ihnen alle Hilfe senden. Dort sprechen wir mehr von Ihnen.«

Die weiteren Anordnungen waren rasch getroffen. Der Jude sollte mit seinem Schlitten, der nur Raum für zwei Personen bot, den Grafen und die Dame zum Schloß des Fürsten bringen, wobei jetzt beim Tageslicht keinerlei Gefahr mehr war, und mit dem Gefährt und weiterer Hilfe zur Abholung des Offiziers und der Gefangenen zurückkehren, Bogislaw aber bis dahin bei den letzteren bleiben.

Als der Offizier sich dem Schlitten näherte, streckte ihm die Gräfin die zierliche Hand entgegen und ihr Auge ruhte mit Innigkeit auf ihm.

»Ich höre von meinem Oheim, mein Herr,« sagte sie, »daß Sie selbst noch mehr Ansprüche auf unsere Dankbarkeit haben. Kommen Sie ja recht bald uns nach, Herr Djemala-Din, damit ich Ihnen besser als hier sagen kann, wie tief wir Ihnen verpflichtet sind.« –

Der junge Offizier beugte sich errötend über ihre Hand und küßte sie; der Graf empfahl ihm noch besonders, auf seine Wunde acht zu haben und dahin flog der Schlitten.


Es war eine seltsame Gruppe, die sich jetzt um die dampfenden Trümmer des Hauses versammelt hatte, deren noch fortglimmender Brand Schutz gewährte gegen die Kälte des Wintermorgens. Auf einem halb verkohlten Mantel saß – in den zurückgelassenen Pelz des Juden gehüllt – der junge Offizier, bleich von dem Blutverlust und der Aufregung seines Innern, vor ihm auf dem Boden kauerten die kräftigen Gestalten der beiden Tschetschenzen, die Boten des mächtigen Häuptlings, seines Vaters. In einiger Entfernung hatte sich der Jäger Bogislaw eine warme Stelle gesucht, und bewachte mit finsterm Blick die drei gebundenen Polen, die Flinte für jeden Angriff neu geladen zwischen den Knieen, da er an der Leiche des Wirtes das gestohlene Pulverhorn wieder gefunden hatte. Dicht daneben lagen die Körper der drei im letzten Kampfe Erschlagenen, während die beiden anderen unter den Trümmern des Hauses begraben waren.

Über dem allem wölbte sich der jetzt ungetrübte blaue Winterhimmel, so heiter und rein, als ahnte er nicht, welche Kunde von Schrecken und Mord der dunkel qualmende Rauch ihm zuführte.

»Du hast uns gesagt, o Herr,« begann der älteste der Tschetschenzen, »daß Du Djemala-Din, der älteste Sohn und Erbe des heiligen Mannes bist, der das Volk der Mirditen beherrscht und zum Kampfe führt gegen die Feinde seiner Freiheit. Kannst Du uns ein Zeichen geben, an dem wir erkennen mögen, daß der, welcher das Gewand unserer Feinde trägt, wirklich vom Blute Schamyls stammt?«

Der junge Mann zog ruhig den kleinen Dolch hervor, mit dem er das Herz des Räubers durchbohrt und zeigte ihn den beiden. Auf der blaugrauen Klinge war ein Spruch des Korans eingegraben.

»Das ist das einzige, was mein Vater mir gab, ehe er sich von der Felsenwand Achulgo's in den Strom warf, der ihn aus der Gewalt seiner Feinde trug.«

Die beiden Tscherkessen empfingen mit Ehrfurcht das Zeichen, besichtigten es genau und drückten es dann auf Brust und Stirn.

»Wir sehen die Chiffre des Imam,« sagte der vorige Redner, »und glauben Dir, o Jüngling. Djemala-Din, Sohn des unbesiegbaren Fürsten des Kaukasus, nimm den Gruß Muhrad Ben Hassan's und Ali's des Ossethen.«

Sie neigten beide knieend das Haupt vor dem jungen Mann und führten seine linke Hand an Stirn und Brust.

Nach dieser Zeremonie zog der ältere der Boten aus dem Futter seines Rockes ein mit seidenem Band umwickeltes Schreiben, küßte dasselbe und legte es in die Hand des jungen Mannes.

»Der Imam,« fuhr er fort, »hat zu zweien seiner Tapferen gesprochen: ›Es ist Zeit, daß der Erstgeborene meines Samens kehre in das Land seiner Väter und stehe an der Seite seiner Brüder in dem großen Kampfe, der sich bereitet. Geht und bringt ihn vor mein Angesicht.‹ – Deine Diener sind zur großen Stadt Odessa gekommen, wo dem Imam ein treuer Mann lebt, der über der Hoffnung der Tschetschenzen stets ein offenes Auge gehalten. Von ihm erhielten wir Kunde, daß der Zar der Moskows Dich von seinem Antlitz gewiesen und in dieses Land der Wälder geschickt hat. Die Männer des Elbrus bargen sich in fremde Tracht und wandten sich nach Kiew, wohin uns Briefe wurden an vertraute Männer aus jenem verachteten Volk, das bestimmt ist, Handel zu treiben über die ganze Welt. So kamen wir gestern heimlich nach der Stadt, in der Du lebst mit Deinen Kriegern. Aber wir hörten, daß Du sie verlassen, und säumten nicht, uns aufzumachen, lange, ehe die Schatten der Nacht gewichen waren, um Dir nachzufolgen und keinen Augenblick zu verlieren. Der Prophet hat es gnädig gewollt daß der Flammenschein dieses Hauses uns vom Pfade ab zur Stätte gerufen hat, wo der Sohn des Fürsten in Not war. Wir segnen den Propheten, daß er uns erlaubte, Djemala-Din aus der Hand der Mörder zu erretten, die seiner Tapferkeit zu viele waren.«

Der Offizier reichte bei der Erzählung beiden die Hand.

»Ich danke Euch, meine Edlen, und werde dieser Stunde nimmer vergessen, komme auch, was da wolle!«

Er nahm das Schreiben seines Vaters, löste das Band und entfaltete es. Dasselbe war in russischer und türkischer Sprache abgefaßt; während er las, bedeckte eine düstere Falte die männlich freie Stirn.

»Mein Vater schreibt mir,« sagte er endlich finster, »daß ich seinen Boten folgen soll, sobald ich dieses Schreiben erblickt, bei Tag und Nacht. Mein Vater vergaß, daß sein Wort verpfändet ist dem großen Zaren dieses Reiches.«

»Der Imam hat nichts vergessen,« entgegnete der Mirdite, »aber der Geist hat ihm verkündet, daß die Zeit um sei, da sein Sohn als Geißel dienen mußte dem fremden Herrn, und daß er das Recht habe, ihn an seine Seite zu rufen.«

»Dann möge mein Vater seinen Erstgeborenen zurückfordern von dem Zaren.«

»Es ist nicht die Zeit und Gelegenheit dazu. Große Dinge bereiten sich im Osten und die Herrschaft der Moskowiten an den Küsten unseres gesegneten Meeres ist ihrem Ende nahe. Dein Vater befiehlt, und es ist an Djemala-Din zu gehorchen.«

»Wenn der Fürst der Mirditen auch sein Wort gelöst glaubt,« sagte der junge Mann ernst, »so möge er doch bedenken, daß Djemala-Din dem Zaren das seine als Krieger verpfändet hat, und daß er es nur als gelöst erachten kann wenn der Zar selbst ihn seines Schwures entläßt. Ich wiederhole es, mein Vater möge mich von seinen Feinden zurückfordern, wie er mich ihnen als Geißel gegeben, und Djemala-Din wird dem Willen seines Erzeugers freudig gehorchen. Er kann nicht, wie ein Dieb in der Nacht, sich aus diesem Reiche stehlen, oder wie ein feiger Verräter seinen Posten verlassen.«

Ali sprang vom Boden empor:

» Beim Barte Schamyls!« rief er wild, »Du wirst uns folgen zur Stelle, wie uns der Imam befohlen. Hier ist Gold, hier ist ein Kleid für Dich, auf Dein Haupt komme die Gefahr, wenn Du Dich weigerst!«

Der russische Offizier hatte sich gleichfalls erhoben und riß das blutige Tuch seines Verbandes von seinem Arm.

» Beim Blute Schamyls, das aus diesen Adern rinnt, und das ein höherer Schwur ist, denn der Deine! ich werde nicht gehen, bis der Kaiser, dem mein Schwur verpfändet ist, mich selber freigegeben. Bringe dies Wahrzeichen meinem Vater und sage ihm, sein Sohn sei bereit, alle Bande zu zerreißen, die sechszehn lange Jahre hier geknüpft, und in sein Haus zurückkehren, aber nimmer wolle er seine Ehre opfern als flüchtiger Verräter!«

Der Tschetschenze hatte zornsprühend die Hand an den Handjar im Gürtel gelegt, wie, als wolle er seine Drohung mit der Waffe durchsetzen, doch sein Gefährte Muhrad Ben Hassan legte die Hand auf seinen Arm.

»Halte ein, o Ali, mein Bruder,« sagte er, »denn der Prophet verbietet Zorn und Streit unter den Kindern des Volkes. Du aber, Jüngling, sage uns, welcher Eid Dich bindet?«

»Ich schwor dem Kaiser der Moskowiten Treue und Gehorsam als Soldat.«

»So tust Du Recht, Dich zu weigern, denn der Koran sagt, daß ein freier Eid ein heilig Ding sein müsse dem Gläubigen, auch gegen den Feind. Der Imam wußte nicht, daß Du schon der Fahne des schwarzen Zaren geschworen. Er wird traurig sein, daß sein Auge den Sohn nicht sieht, aber er wird ein Mittel finden, ihn aus der Knechtschaft zu lösen. Lebe wohl, Sohn des Fürstenstammes, – denn mein Ohr vernimmt das Nahen fremder Männer und Rosse, und soll uns nicht in Deiner Nähe finden. Möge der Prophet Dich schützen, bis wir uns wiedersehen in den Schluchten des Elbrus.«

Er legte die Hand an Haupt und Brust im morgenländischen Gruß und barg das blutige Tuch in seinem Gewande. Dann verließ er mit Ali den jungen Mann und setzte sich entfernt von ihm neben den Jäger.

Sein scharfes Gehör hatte den Bergbewohner nicht getäuscht; ehe eine Viertelstunde verging, nahten Menschen und Gefährte von der Seite her, wohin der Schlitten des Juden den Grafen und seine schöne Nichte geführt hatte. Sie waren auf dem Wege bereits Leuten vom Schlosse begegnet, die der Fürst auf den Schein des Brandes ausgeschickt hatte. Der Graf sandte mit ihnen den Schlitten des Juden zurück und hatte in einem Schlitten vom Schlosse die Fahrt fortgesetzt.

Djemala-Din verweilte so lange auf der Brandstätte, bis die verkleideten Tschetschenzen mit dem Juden ihren Rückweg angetreten hatten und seinen Blicken entschwunden waren. Nicht sein Herz begleitete sie zur fernen Heimat – es flog den nächsten Stunden entgegen, nach einer anderen Seite hin. Mit dem wackeren Jäger sprengte er gleich darauf, den Schmerz der Wunde nicht achtend, auf den vom Schloß gekommenen Pferden dahin, den Reitern und ihren Gefährten überlassend, die Gefangenen nachzubringen.


Das heilige Weihnachtsfest war vorüber – die Gäste hatten das Schloß des Fürsten verlassen, nur Graf Lubomirski mit seiner Nichte war bei dem alten Freunde zurückgeblieben und Leutnant Djemala-Din ebenfalls dazu gezwungen worden, da seine Wunde sich durch die Kälte und den scharfen Ritt verschlimmert hatte, so daß ein heftiges Wundfieber eingetreten war und er mehrere Tage darniedergelegen hatte.

Das altertümliche Schloß des Fürsten, noch zur Zeit Augusts des Starken erbaut, lag mitten im Walde, fern fast von der Zivilisation und dem Verkehr der Welt; nur einmal alljährlich verließ es sein Eigentümer, um in Warschau oder Moskau einige Wochen zuzubringen. Er beobachtete streng diese Besuche, um sich dort den Gewalthabern zu zeigen und so jeden Verdacht gegen sich zu beseitigen, da er, als einer der Führer des Aufstandes von 1831, nur durch die Gnade des Kaisers Amnestie und die Erlaubnis erhalten hatte, auf seinen Gütern in Volhynien zu leben. Aus diesem Grunde und mit der dem hohen polnischen Adel eigenen unbeschränkten Gastfreiheit, selbst gegen den Unwillkommenen, ja, den Gegner, unterhielt er auch fortlaufenden Verkehr mit den Offizieren der nächsten Garnisonstädte, die bei jeder Gelegenheit heitere Gäste auf dem fürstlichen Schlosse waren.

Die kleine Gesellschaft war in der altertümlichen, ziemlich großen Speisehalle im Parterre des Schlosses versammelt. Die dunkle eichene Täfelung der Wände, die Stuckatur an der Decke, die Waffen und Jagdtrophäen an den vier Wänden und die beiden großen, stubenartigen Kamine an den Enden der Halle gaben ihr ein ehrwürdiges, altertümliches Ansehen. Unter den Waffengruppen befanden sich selbst mehrere slavische Rüstungen früherer Jahrhunderte und eine Menge Trophäen und türkischer Waffen aus der Heldenschlacht Sobieski's vor dem erretteten Wien.

Eine große, eichene Tafel in der Mitte der Halle lief fast zur Hälfte derselben entlang. Sie war jedoch jetzt – der Abend dämmerte bereits – noch unbenutzt, und von den Anstalten für die Abendmahlzeit noch nichts zu bemerken. In den beiden Kaminen dagegen flammte und brannte es lustig von mächtigen Eichenkloben, eine angenehme, behagliche Wärme durch den weiten Raum verbreitend. Von Zeit zu Zeit hob einer der Diener, die am Eingang der Halle sich aufhielten, den großen, den Zugang verschließenden türkischen Teppich, schlich mit leisem, katzenähnlichen Tritt durch das Gemach und schürte das Feuer, oder verrichtete irgend eine andere Hilfsleistung. Das Gespräch in den beiden Gruppen, die den Saal belebten, wurde französisch geführt, und sein Gang daher nicht durch das Kommen der Diener unterbrochen.

Am Kamin, zunächst des Einganges, saßen der Graf und sein Wirt, letzterer ein Fünfziger mit weißem Haar und klugem, aufgeweckten Gesicht. Beide waren im Schachspiel begriffen, während dessen sie sich in langen Pausen unterhielten.

»Sie haben mir selbst zugestanden, lieber Graf,« sagte der Fürst, »daß in dem Augenblick der Gefahr, als Sie mit dem Schurken Boris kämpften, nach dem ich vergeblich habe fahnden lassen, die Verwünschung des Soldaten gegen Sie, seinen alten Führer von Grochow und Ostrolenka her Sie überrascht, ja fast gelähmt hat. Doch ich wiederhole es Ihnen, dies war nicht die Stimme eines einzelnen Mannes, es ist leider die Stimme des Volkes! Ich habe vielfach Gelegenheit gehabt, sie zu prüfen, und hauptsächlich durch die Resultate, die ich da fand, bin ich zu anderen Ansichten in der Politik bekehrt worden. Die Revolution von 1813 hat dem Volke, wie dem Adel nur verderbliche Folgen gebracht. Der gemeine Mann, dem die einfache aber scharfe Auffassung selbst auf seiner niedrigen Kulturstufe nicht abzustreiten ist, meint, er habe sein Blut nur für den Ehrgeiz des Adels vergossen, im besten Fall nichts zu hoffen gehabt und sei jetzt schlimmer daran wie zuvor. Er gibt – und Sie wissen selbst, nicht mit Unrecht – dem Adel die Schuld, daß wir unterlagen, und ist, gerade heraus, der ewigen Aufreizungen müde, die ihn hindern, an sein materielles Wohl zu denken. Dem Volk, lieber Freund, ist es ziemlich gleich, ob der Zar sein Herr heißt, namentlich wenn es in dem einen Herrn einen Schutz gegen die Vorrechte der vielen findet. Wir sehen das schlagende Beispiel an den Kronbauern in Rußland. Die Leute revoltierten dort und ließen sich totschlagen, weil der Kaiser sie nicht kaufen wollte, oder konnte. Das wahre Element zur Fanatisierung der Massen war nicht das Nationalgefühl, die russische Tyrannei, die kein Jota härter war, als sie's früher hatten, sondern die Religion, die Kirche. Wo diese Hand in Hand mit der politischen Propaganda ging, waren große Erregungen und Erfolge gesichert.«

»Und ist der katholische Glaube weniger gefährdet in der Gegenwart, droht die orthodoxe Kirche weniger mächtig als vor zwanzig Jahren? Sind nicht vielmehr gerade ihre Übergriffe und Forderungen ein Fundament des Krieges, welcher bestimmt ist, Europa eine andere Gestalt zu geben?«

Lubienski lächelte bedächtig.

»Ich weiß wirklich nicht, lieber Graf, ob ich annehmen soll, daß ein Mann wie Sie, der tief in das Räderwerk des politischen Getriebes und der sozialen Entwickelung geschaut zu haben scheint, für einen der Hauptfaktoren blind gewesen sein sollte?«

»Wie meinen Sie das, Fürst?«

»Ich meine, daß seit zwanzig Jahren sich ein wesentliches Element der Volkserregung geändert hat, der Glauben an das Heilige. Unsere Revolutionäre seit 1789 haben ihr eifrigstes Bemühen darauf gerichtet gehalten, die religiöse Gläubigkeit und Ehrfurcht im Volke mit Füßen zu treten und zu vernichten. Der Liberalismus hat geglaubt, zu seinem Halt zunächst die Geister von den Fesseln der Religion befreien, seine sogenannte Aufklärung in die Herzen der Jugend pflanzen zu müssen. Was ist seit 1830 von den Propaganden in Paris und London anders geschehen, als schonungslose Malträtierung der religiösen Gefühle der Völker? Die heranwachsende Generation lohnt dies Bestreben. Mit der Religiosität des Volkes schwindet unbedingt auch das Nationalgefühl. In Spanien, wo man die Kirche ihrer Güter und Würden beraubt hat, wird kein Heldenkampf mehr stattfinden wie 1809, als die Priester, das Kreuz in der Hand, dem Volke voran gingen. Woran scheiterten die Bewegungen von 48 in Polen, Ungarn, Deutschland, Italien? – Doch nur daran, daß es an einer erhebenden Idee fehlte, welche die Masse belebte. Alle ihre Revolutionen und Revolutiönchen sind im Grunde nur tausend einzelne Intriguenspiele und Kämpfe der einzelnen individuellen Interessen geworden. Die Fähigkeit zur Revolution haben unsere Revolutionäre selbst erstickt.«

»Sie haben nicht ganz Unrecht, Fürst,« entgegnete nachdenkend der Graf, »aber wie wollen Sie diese Theorie auf ein Volk wie das unsere anwenden, dessen Masse die geistige Selbständigkeit fehlt?«

»Um so mehr, lieber Graf. Glauben Sie wirklich, daß die Herabwürdigung der Kirche in Rom, die Vertreibung des Papstes, die österreichische und französische Okkupation des Kirchenstaates so spurlos an der Masse des Volkes, an dem Priestertum und selbst an den Gebildeteren vorübergegangen sind? – Ich nicht! – Die Heiligkeit, das Ansehen unserer Kirche hat gerade durch die liberalen Revolutionen in den durch und durch katholischen Ländern überall verloren. Sie werden schwerlich mehr die Geistlichkeit an der Spitze einer polnischen oder französischen Revolution sehen! Gerade durch das religiöse Prinzip und das streng von oben herab aufrecht erhaltene Ansehen der orthodoxen griechischen Kirche ist Rußland stark, und wir werden vielleicht Gelegenheit haben, Wunder von Aufopferungsfähigkeit der Massen in diesem Kriege zu schauen, wenn das eintrifft, was Sie mir mit solcher Bestimmtheit angekündigt haben, die Aufnahme des Krieges gegen Rußland durch Frankreich und England.«

»Die religiöse Apathie kann aber immer nur ein einzelner Grund sein.«

»Sie haben Recht, aber ein wichtiger. Der Liberalismus hat das Volk selbst denken gemacht. Das Denken führt den Zweifel herbei und ist der Tod jedes Enthusiasmus, dessen Mutter allein das Gefühl ist. Man will jetzt einen Nutzen sehen, teils individuell, teils im ganzen. Man traut den Leuten nicht recht, die sich an die Spitze stellen. Unsere Polen, gerade heraus gesagt, trauen dem polnischen Adel nicht mehr, sie haben keine Lust mehr, um unseres Ehrgeizes, unserer Interessen willen das zu opfern, was sie sicher haben.«

»Pfui, Fürst, so gäbe es keinen Nationalstolz, kein Volksgefühl mehr!«

»Die Revolutionäre in Paris arbeiten ja gerade darauf hin, dies auszurotten in der allgemeinen Gleichmacherei. Ich gehe aber keineswegs so weit, das zu behaupten, namentlich in unserem Falle nicht. So lange es Haß und Liebe gibt in der Welt, so lange Sprachen und Gewohnheiten die Völker scheiden, wird es auch ein Nationalgefühl, einen nationalen Ehrgeiz geben. Aber er muß richtig verstanden und geleitet werden. Seien wir aufrichtig, Freund. Sie sagen mir: in diesem Kriege, der sich bereitet, und der nach Ihren Intentionen ein europäischer werden soll, – ist die günstige Gelegenheit gekommen, die Selbständigkeit unserer Nation wieder zu erlangen. Ungarn und Italien sollen sich gleichfalls erheben, Frankreich und England werden uns unterstützen. Aber, mein Freund, wollen wir etwa selbständig, oder, wie Sie es nennen, frei werden, – leerer Name, der reiche Mann ist es überall! – um uns von Intriganten und Ehrgeizigen unserer eigenen Klasse dominieren zu lassen? Selbst damit einverstanden, welche Aussicht auf Erfolg haben wir? Frankreich und England machen wahrhaftig keinen Krieg um unsrer Nationalität willen. England will einfach das in Asien und am Bosporus für seine eigenen Interessen immer gefährlicher werdende Rußland schwächen, und der Kaiser Napoleon hat eine alte Scharte und persönliche Beleidigung auszuwetzen und außerdem durch einen solchen Krieg Gelegenheit, seine sehr schwankende Position als Eindringling unter den Fürsten Europas zu einer befestigten und mächtigen zu machen, so wie sich Heer und Land durch gloire und Interesse zu sichern. Er hat denselben Ehrgeiz, wie sein Oheim, nur ist er schlauer und versteht seine Zeit. An eine Unterstützung Polens und Ungarns um ihrer selbst willen, denkt keine der beiden Mächte. Man wird uns wieder als Soldaten brauchen, als Legionäre, ja als Rebellen, aber man bekümmert sich um unser Geschick gerade so wenig, wie das Recht des Sultans in Wahrheit die Ursache des Krieges ist. Sie versprechen einen europäischen Krieg, – ich zweifle daran. Es wird einfach ein Turnier einiger Herausforderer sein, – die in ihrem Interesse nicht gefährdeten Staaten werden sich frei halten und dafür sorgen, daß das freilich vielleicht etwas blutige Turnier nicht zu sehr überhand nimmt, sondern in den soliden Grenzen einiger Abzapfungen bleibt. – Ich wiederhole Ihnen meine aufrichtige Meinung, jede revolutionäre Schilderhebung Polens gegen Rußland bei diesem Kriege würde zwecklos, nutzlos und ein Unglück für unser Vaterland sein!«

»Ich finde Sie verändert und umgewandelt in all' Ihren Gefühlen und Ansichten,« sagte der Graf finster, »daß ich kaum wage, fortzufahren. Sie, einer der kühnsten und bewährtesten Führer der polnischen Armee, der hundertmal sein Leben im Freiheitskampfe wagte, – Sie geben Polen, unser Polen auf?«

Der Graf sah ihn groß an.

»Wer sagt Ihnen das, Kamerad? Was gibt Ihnen das Recht zu zweifeln, daß ein Lubienski sein Vaterland geringer liebe als Sie? Mein Weg, mein Hoffen und Wünschen sind nur andere geworden, wie die ihren. Nicht in Rußlands Fall, sondern in Rußlands Sieg sehe ich die Hoffnung unseres Volkes. Wer ein echter Pole ist, sollte nicht mit den Franzosen, den Engländern und Deutschen gegen den Zaren fechten, sondern mit ihm: – So allein gelingt zuletzt die Gründung eines großen sarmatischen Reiches, eines Walles und Sieges gegen das Germanentum, das uns gefährlicher und verhaßter ist, als das stammverwandte Rußland.«

Der Graf ihm gegenüber atmete tief auf bei dieser Erklärung, es war, als sei ihm eine Bergeslast vom Herzen gefallen.

»Das ist also Ihre Meinung, Fürst?« sagte er nachdenklich und reichte dem alten Freunde die Hand. »Mir war in der Tat ganz Angst um Ihr polnisches Herz geworden bei den Sophismen, mit denen Sie die Revolution bekämpften. Zwar, Aufrichtigkeit gegen Aufrichtigkeit, ist unser Ziel und Zweck nicht derselbe; denn ich arbeite und wirke für die Befreiung aller Völker vom Joche der Bevorrechteten, und die Erhebung unseres Vaterlandes ist mir nur ein Glied in dieser Kette. Sie aber wollen seine Erhebung als einziges Ziel und durch die Benutzung der Macht, die es unterdrückt. Ich müßte kein Sohn Polens sein, wenn ich nicht auf Ihrem Wege ihm den Sieg wünschte. – Schach Ihrem König!« – er tat einen raschen Zug in dem vernachlässigten Spiel.

Der Fürst lachte.

»Ich nehme dafür Ihren Springer und stelle die Ordnung wieder her. Halten Sie sich an das reelle, auch im Plänemachen, lieber Graf, prüfen Sie das erreichbare und die Mittel dazu. Ohne Winkelzug, die Propaganda in Paris, oder wer sonst Ihnen die Mission an einen alten Freund gegeben, hat sich getäuscht. Ich sehe in einer selbständigen neuen Schilderhebung Polens kein Glück, würde mich unter keinen Umständen ihr anschließen und ihr sogar entgegentreten. Die Ansichten meiner jüngeren Jahre haben zwanzig Jahre vollständig umgewandelt. Uns fehlen alle Aussichten auf Erfolg, ja selbst die Männer; denn dem Prahler Mieroslawski werden Sie doch wohl keine Rolle zugedacht haben. Unsere alten Freunde aber sind tot und zerstreut. Bem's Grab ist zur Schmach unserer Nation auf dem türkischen Friedhofe zu Katuhija Stadt in Kleinasien, 15 Meilen von Brussa. Bem trat bekanntlich in Widdin zum Islam über; sein treuer Begleiter und Diener, der Artillerie-Sergeant Janek, der Wächter seines Grabes, erzählt den Reisenden, daß er als guter Katholik gestorben. mit dem Turban geschmückt, Graf Pac ruht wenigstens auf christlichem Kirchhof zu Smyrna. Wo die Nordstürme sich am roten Felsen von Helgoland brechen, schläft unser Freund Pradzynski, Chlopicki, der uns ins Unglück gebracht hat, hat das Ende seines Ehrgeizes in der Gruft eines Freundes bei Krakau gefunden. Szembeck und Chlapowski sind getreue preußische Untertanen und gründen Familienfideikommisse, Krasinski machts wie ich, Skrzynecki trauert in Brüssel, Chrzanowski, Dembinski, Rybinski und Dwernicki ließen sie als gebrochene Greise in Paris – wen wollen Sie noch? Geächtet und zerstreut über die Erde hat uns die Revolution – ich will mein Haupt wenigstens im Vaterland zur Ruhe legen. Ich habe mich mit der Gewalt versöhnt, und wiederhole Ihnen, nur in ihr blüht die Hoffnung unseres Vaterlandes.«

»Und Ihr Sohn?«

»Er ist Offizier in des Kaisers Garde mit meiner Bewilligung und denkt wie ich.«

Der alte Propagandist erhob sich finster, doch sein Wirt zog ihn freundlich auf den Sessel zurück.

»Ich habe absichtlich vermieden, mit Ihren Plänen näher bekannt zu werden. Sind wir auch verschiedener Ansicht geworden, so ändert das doch nichts an der Freundschaft der alten Schlachtgefährten. Bedenken Sie, daß Ihr einziges Kind sich gleichfalls einem Russen verband, Ihr Enkel russische Erziehung genossen hat. Machen Sie den Frieden, den Sie scheinbar mit der Regierung geschlossen, zu einem wirklichen und wenden Sie die großen Mittel und Quellen, die Ihnen zu Gebote zu stehen scheinen, dazu an, mit Rußlands Hilfe in diesem Kriege ein neues Slavenreich erstehen zu lassen, das von der Donau bis zur Ostsee reicht.«

Der Graf hatte das Haupt sinnend in die Hand gestützt.

»Der Gedanke ist uns nicht neu und, wie ich hier die Verhältnisse finde, wohl einer ernsten Überlegung wert. – Vielleicht, Fürst, daß unsere Wege dennoch zusammentreffen? Lassen Sie uns weiter spielen.« – – –

Am anderen Ende der Halle, so entfernt, um nicht zu stören und gestört zu werden, wurde eine Propaganda in verführerischerer Form betrieben, als unter den beiden alten Herren. Gräfin Wanda saß dort, mit einer weiblichen Arbeit beschäftigt, am Ruhebett, auf dem der junge Offizier, Schamyls Sohn, noch bleich und angegriffen, den Arm in der Binde, lehnte, aus einem Buche der Dame vorlesend.

Gräfin Wanda hatte sich mit dem elastischem Geist der Polinnen von der Angst und Gefahr rasch erholt. Ein Eindruck jedoch schien stärkere Wurzel in ihrem Gemüt, ja selbst in ihrem Herzen gefaßt zu haben: die Teilnahme für ihren Retter vor dem Beil des Mörders, und das seltsame Schicksal des jungen Mannes diente nur dazu, den Wert der ritterlichen Tat noch zu erhöhen. Ohne Ziererei und Zurückhaltung, aber eben so entfernt von Unweiblichkeit und Unzartheit, gab sie sich frei und ungezwungen ihren Empfindungen für ihn hin und zeigte ganz offen den Vorzug, den sie dem jungen Mann vor seinen Gefährten gab. Sobald er das Krankenlager wieder verlassen hatte und im Gesellschaftssaal erschienen war, hielt sie sich unbefangen in seiner Nähe und zeigte ihm durch alle jene Aufmerksamkeiten ihren Dank, durch die ein weibliches Wesen so wohl des Herzens Empfindungen auszudrücken versteht.

Die junge Gräfin war der volle Typus der eigentümlichen polnischen Frauenschönheit. Von kaum mittelgroßer Gestalt, war ihr Gliederbau voll und zierlich gerundet. Das Gesicht zwischen den schwarzen Locken zeigte ein längliches Oval und jene volle Bildung von Nase und Mund, jene matte, seidenartige Farbe, die den polnischen Damen so eigentümlich ist. Braune und bewegliche Augen, deren Farbe mit der Seelenregung ein lichteres und tieferes Dunkel anzunehmen schien, belebten ihr Gesicht. Die kleine Hand und der zierliche Fuß sind Nationalschönheiten der Polinnen.

»Sie sind ermüdet, Herr Leutnant,« sagte die Gräfin, – »brechen Sie ab und fahren Sie morgen in der Lektüre fort. Lassen Sie uns plaudern und erzählen Sie mir von Ihrer Heimat.«

»Was können die Erinnerungen eines Knaben von einem wilden, traurigen, öden Lande, die ihm ohnehin nur dunkel vorschweben, Gräfin Zerbona interessieren?«

»Liegt nicht in dem Charakter und Kampf unserer beiden Völker eine gewisse Ähnlichkeit? Haben sie nicht einen gemeinsamen Feind, gegen den sie für ihre Freiheit kämpfen? Sind die Söhne beider Länder nicht geborene Sieger – hängen sie nicht mit jeder Fiber ihrer Seele und ihrer Hoffnungen an der Heimat, für die sie so oft ihr Herzblut vergossen haben?«

Das aufsteigende dunkle Blut färbte die Stirn des jungen Offiziers, die Gräfin bemerkte zu spät, daß sie ihn verletzt, und legte ihre Hand freundlich auf die seine.

»Wir beide, Herr Djemala-Din,« sagte sie, »dürfen uns nicht mißverstehen. Sie haben nicht selbst Ihren Weg gewählt, und wenn Sie auch gewiß gleiche Liebe zu dem Lande, das Sie geboren, hegen, wie ich zu dem meinen, muß es Ihnen doch ferner stehen, da sich nur wenige Erinnerungen daran knüpfen, da Sie sein Leiden und Kämpfen nicht selbst geschaut. Mein Volk ist ein gebeugtes, besiegtes, ach – bei aller Begeisterung im Herzen fühle ich es tief! – unwiederbringlich gebrochenes – das Ihre ein unbezwungenes, freies, im Heldenkampf begriffen um die teuersten Güter, und siegreich unter der tapferen Hand Ihres Vaters! Sie brauchen nicht seine Freiheit zu wünschen und zu beweinen, denn es hat sie nie verloren!«

Der junge Mann lächelte trübe.

»Wissen Sie auch, Gräfin, was die Freiheit in einem Lande, wie das meine, bedeutet? wissen Sie auch, was Freiheit im Orient ist?«

Sie sah ihn groß an.

»Frei ist das Volk, das nicht das schimpfliche Joch eines anderen trägt, das nur dem selbst gewählten Führer gehorcht. Frei ist das Volk, wo jeder sein Recht hat, wo das Recht eines jeden geehrt und nicht von Fremden mit Füßen getreten wird; wo Sprache, Gewohnheit und Glaube Eigentum des Volkes sind; wo die Einrichtungen seiner Väter ihm ungekränkt geblieben; wo der Bewohner nicht der Sklave des Unterdrückers ist, sondern wo er sein Blut und seinen Schweiß für den eigenen Herd vergießt!«

»Wissen Sie auch, Gräfin, daß wir dennoch einen fremden Oberherrn haben, – den Sultan in Konstantinopel?«

»Der ist fern – nur ein Schatten!«

»Aber er nennt sich unsern Herrn, – auch der Zar wohnt in Petersburg. Ich habe wenig Erinnerungen an meine Heimat, und doch könnte ich Sie mit dem wenigen widerlegen. Der Mächtige, der Reiche, Gräfin, herrscht überall, auf den Höhen des Kuban, wie in den Steppen Ihres eigenen Vaterlandes, wo – wie uns die Geschichte lehrt, – der Bauer der unterdrückte Sklave des Edelmannes war. Der Fanatismus schwingt in meiner Heimat seine Geißel blutiger als irgendwo und verfolgt seine Gegner. Da gibt es Edle und Knechte, wie hier, und die Kluft zwischen beiden ist noch schärfer. Halten Sie das Volk für frei, das seine eigenen Töchter und Söhne an seine sogenannten Oberherren in Stambul als Sklaven verkauft, ihren Lüsten zu dienen und ihren Befehlen zu gehorchen? Glauben Sie wirklich türkische Despotie leichter als die Herrschaft des russischen Kaisers? Sollten wir wirklich für die eine kämpfen, gegen den anderen?«

»Spricht das der Fürstensohn eines freien Volkes?«

»Er spricht es, Gräfin – sein Vater gab ihn fort und sechszehn lange Jahre hat er keine Heimat gehabt als das Haus des Kaisers, kein Eigentum, als das Kleid des Zaren.«

»Und wenn Schamyl, Ihr Vater, Sie wieder forderte, wenn er Sie riefe zum Kampfe an seine Seite?«

Der junge Mann sah sie finster an.

»Er tat es – jene Männer, die uns beide gerettet, waren seine Boten!«

»Und darf ich wissen, was Schamyl's Sohn dem Ruf eines freien Volkes erwidert hat?«

»Der Offizier antwortete, was seine Pflicht war, – der Fürstensohn, was seine Ehre gebot. Herz und Seele würden ja dennoch zurückbleiben.«

»Dann ist mir ein große Freude versagt,« lächelte Wanda, »ich träumte mirs so schön, Sie auf jenen Felsenhöhen mir gegenüber zu wissen, wie der Adler horstend und herabstoßend auf silberumpanzerten Roß. Wie stolz wäre ich gewesen, Ihren Namen täglich zu hören, als den gefürchtetsten Helden des Gebirges.«

»Sie, Gräfin – wie meinen Sie das?«

»Ei, nun, daß ich vergeblich harren werde, daß Djemala-Din, der kühne Führer der Mirditen, in einer wolkenumdüsterten Nacht hervorbricht über den Kuban nach unserem armen Schloß und Wanda davonführt aus der Gewalt der schmutzigen Kosaken.«

»Sie spotten meiner, Gräfin!«

»Wie, wissen Sie wirklich nicht, daß ich nach dem Kaukasus gehe? Sie können mir Empfehlungsbriefe geben an Ihre Vettern und Onkel, da Sie mich doch einmal nicht selbst schützen wollen!«

»Gräfin Wanda nach dem Kaukasus? Ich beschwöre Sie, enden Sie den Scherz!«

»Ich scherze nicht und glaubte, mein Oheim hätte Sie davon unterrichtet. Eine so gute Polin, wie ich bin, besitze ich doch noch eine ältere Stiefschwester, die es nicht ist. Sie ist die Gattin des Obersten, Fürsten Tscheftsawadse, und wohnt mit ihm im russischen Grenzgebiet am Kuban, wo er kommandiert. Ich bin auf dem Wege dahin, da meine bisherigen Verhältnisse sich geändert; mein Oheim begleitet mich bis Odessa, von wo mein Schwager mich abholen läßt. Begreifen Sie nun, daß ich hoffte, von Ihnen dort zu hören?«

Der junge Tschetschenze war bleich wie der Tod geworden, seine gesunde Hand zuckte krampfhaft nach dem Herzen – sein großes, dunkles Auge rollte wie irr über das Mädchen, während er sich auf dem Sofa emporgerichtet hatte.

»Sie nach dem Kaukasus – und ich hier? – Großer Gott, ich glaubte, Sie kehrten nach Warschau zurück!«

»Was ist Ihnen, mein Freund? – Fassen Sie sich – man wird auf uns achten.«

Er blickte wild um sich.

»Was kümmert mich Ihr Oheim – was der Fürst! Ich Tor, der ich war, – fort, ihnen nach, daß sie meinem Vater sagen: sein Sohn ist bereit! – Und meine Ehre – mein Eid – –«

»Sie sind ganz außer sich – was kümmert Sie ein elternloses Mädchen, das in Ihrer Heimat, die Sie nicht mehr lieben, eine Zufluchtsstätte finden soll?«

»Ich, Djemala-Din, mein Vaterland nicht lieben, wo Sie sind, – ich Sie nicht wiedersehen – Sie, Wanda?« Er preßte krampfhaft die Hände in einander und gegen die Brust, daß der Verband des Armes sich löste und ein purpurner Strom herausschoß – beim Blute Schamyls weigerte ich meinem Vater den Gehorsam! Beim Blute Schamyls! Wanda, am Elbrus sehen wir uns wieder!« und ohnmächtig sank er zurück auf das Ruhebett. – –


Der Aufruhr.

Während der Schlachtendonner bereits an der Donau und an den Küsten Kleinasiens tobte, trieb die europäische Diplomatie noch immer ihr listiges Spiel, gleich, als gälte es, nicht nur die Völker, sondern sich selbst zu täuschen. Jeder Einsichtsvolle in ganz Europa fühlte und wußte, daß der Krieg zwischen den Westmächten und Rußland unvermeidlich sei, daß er das Ziel aller Einmischung und aller Intriguen, der Zweck aller Vorbereitungen war, und dennoch flogen täglich die Kuriere nach allen Richtungen, dennoch wurde Projekt auf Projekt, Vorschlag auf Vorschlag gehäuft für Ausgleichung und Frieden, und die Höfe von Berlin und Wien schwelgten in Vermittelungen.

Zwei Männer allein in Europa wußten, was sie wollten: der Kaiser Louis Napoleon in Paris und Lord Palmerston in London; denn auch dem Giganten des Nordens, dem Zaren Nikolas, begannen die Ereignisse über das hochgetragene Haupt zu wachsen: sein Glück, sein Stolz und seine Diplomatie hatten ihn getäuscht. Nur das Vertrauen auf sich selbst und sein Volk und der unbeugsame Mut wankten nicht.

Wir haben den Gang der politischen Verhandlungen am Schlusse unseres ersten Bandes bis zum Ende des Monats Oktober geführt, und nehmen sie dort zu kurzem Überblick wieder auf.

Noch immer tagte die Wiener Konferenz. – Die englische Regierung hatte am 1. und 2. November das österreichische und preußische Kabinett aufgefordert, daß, unter Beseitigung der anderen Vorschläge, die Großmächte sich über einen von Lord Stratford am 21. Oktober mit den anderen Gesandten in Konstantinopel aufgestellten und abgesandten Notenentwurf vereinigen möchten, da man annehmen könne, daß dieser der Pforte annehmbar erscheinen werde. In der Konferenz der vier Gesandten in Wien am 3. wurde dieser Entwurf vorgelegt, der österreichische, preußische und französische Bevollmächtigte erklärten jedoch diese Vorschläge bei der veränderten Sachlage nicht mehr für geeignet, und Rußland hielt nach der Kriegserklärung und Eröffnung der Feindseligkeiten zur Beendigung des Streiks einen feierlichen Friedensvertrag für nötig.

Dagegen lehnte die französische Regierung einen vom Grafen Buol am 25. Oktober gemachten Vorschlag ab, welcher eine Verständigung zwischen Rußland und der Pforte über Wien intendierte.

Graf Buol schlug nun unterm 6. vor, daß die Konferenz eine Note entwerfen möge, auf Grund der Olmützer Verhandlungen. Diese Note würde die Pforte auffordern, zu verhandeln und selbst anzugeben, unter welchen Formen und Bedingungen. Zugleich müsse Waffenstillstand verlangt werden. Die englische und französische Regierung erteilten auch bis zum 11. November ihre Genehmigung zur Abfassung einer solchen Note. Ehe es aber zu derselben kam, hatte das österreichische Kabinett die auf ein früheres Projekt (vom 6. Oktober) von Rußland gemachten, von den Westmächten aber nicht genehmigten Gegenvorschläge an seinen Gesandten nach Konstantinopel geschickt, mit der Instruktion, sie bei der Pforte zu unterstützen.

Unterdeß tat der englische Gesandte das Gleiche mit einem ihm unterm 24. Oktober übersandten Plan seines Kabinetts, dem auch Frankreich zugestimmt hatte. Redschid-Pascha erklärte, daß er vor zwei Monaten noch annehmbar gewesen, jetzt aber nicht mehr.

Man sieht hieraus, daß nicht weniger als vier Ausgleichungsprojekte in demselben Augenblick sich kreuzten:

die russischen Vorschläge vom 17. Oktober, von Österreich in Konstantinopel abgesondert unterstützt;

der Vorschlag des österreichischen Kabinetts vom 6. November;

der ältere von Lord Stratford (unterm 28. September und 1. Oktober) vorgeschlagene, von den Westmächten unterm 24. Oktober genehmigte Plan;

der neue Entwurf von Lord Stratford bei der mißglückten Verschiebung der Feindseligkeiten unterm 21. Oktober, von Konstantinopel aus gemacht.

Sie alle ergingen sich hauptsächlich über die Art und Form der Ausgleichung und schadeten natürlich einer dem anderen, wie viele Köche immer den Brei verderben.

Unterdeß waren die Flotten in den Bosporus eingelaufen und die Schlachten bei Oltenitza und Gümri geschlagen und ungünstig für die Türken ausgefallen.

Frankreich stimmte möglichst allem und keinem zu und wartete ruhig des Augenblicks. An Stelle des französischen Gesandten in Konstantinopel, de Lacour, war General Graf Baraguay d'Hilliers seit dem 12. November gekommen.

Die englische Regierung trat nunmehr mit einem fünften Projekt vom 16. November auf, dem die anderen Großmächte beistimmten. Die Wiener Konferenz adoptierte dasselbe und die Gesandten in Konstantinopel legten die neue Erfindung vor, welche die wichtige Mitteilung machte, daß der Bestand der Türkei innerhalb der ihr von den Verträgen bezeichneten Grenzen eine der notwendigsten Bedingungen des europäischen Gleichgewichts sei! Redschid-Pascha – in Angst gesetzt durch den Schrecken von Sinope – hatte nichts Eiligeres zu tun, als unter der Hand seine Zustimmung zu geben.

Aber gerade das Unglück von Sinope war der Wendepunkt, auf welchen man lauerte, um in den Augen Europas mit einigem Anstand und Gewissen den tätigen Protektor der Türkei spielen zu können. Gleich am Tage nach dem Eintreffen der Schreckenskunde – während Haufen der griechischen Bevölkerung durch die Straßen von Pera und Galata rasten mit dem Rufe: »Es lebe unser Kaiser Nikolaus!« – am 3. sandten die Vertreter Englands und Frankreichs zwei Schiffe des vereinigten Geschwaders, die »Retribution« und den »Mogador« nach Sinope ab, um weitere Kunde zu bringen. Sie kehrten mit der Nachricht der völligen Niederlage und etwa 150 Verwundeten – dem Rest von fast 5000 Mann, zurück. Das türkische Ministerium hatte bereits am 4. die Gesandten ersucht, die alliierte Flotte ins Schwarze Meer einlaufen zu lassen. Während dieselben auf der einen Seite sich dazu bereit erklärten, sprachen sie auf der andern wieder ihre Ansicht dahin aus, daß die Türkei das Unglück durch ihr Vorgehen selbst verschuldet habe. Man wußte ja noch nicht, wie man in Paris die Sache aufnehmen werde! Hier aber glaubte man die Zeit gekommen, und eine energische Aufforderung an die englische Regierung (vom 13.) verlangte, daß die Admirale dem Kommandanten von Sebastopol erklären sollten, daß jedes russische Kriegsfahrzeug durch die Flotten nach den russischen Häfen zurückzufahren genötigt und jeder Angriff auf türkisches Gebiet oder Truppen mit Gewalt zurückgewiesen werden würde. Wir werden später sehen, welche wichtige Klausel sich das Kabinett der Tuilerien dabei bewahrte.

Unterdeß, da die Beschlüsse von Paris und London in Konstantinopel noch nicht bekannt sein konnten, hatten die Gesandten dort nicht umhin gekonnt, auf Oesterreichs und Preußens Drängen die Verhandlungen über den letzten Vermittelungsvorschlag fortzusetzen, und der große Rat der Pforte beschloß ganz unerwarteter Weise, daß auf Grundlage der von den Gesandten proponierten Bedingungen die Friedensunterhandlungen eröffnet werden sollten. Dies geschah, wie wir später sehen werden, am 18. und 19.

Werfen wir, ehe wir weiter gehen, noch einen kurzen Blick auf die augenblickliche Stellung auf dem Kriegsschauplatze an der Donau.

Während der Zar die allgemeine Mobilmachung der Armee befohlen, war die Türkei bereits zur Aushebung des zweiten Aufgebots in Rumelien genötigt. Der Sultan hatte erklärt, im Frühjahr selbst ins Feld ziehen zu wollen, und es wurden Anstalten für ein großes Lager bei Adrianopel getroffen. Aus Egypten und Syrien, aus Albanien und Bosnien strömten fortwährend Zuzüge irregulärer Truppen, die sogenannten Baschi-Bozuks, herbei und bildeten in babylonischer Verwirrung Elemente der türkischen Armee, die kaum durch die eifrigsten Bemühungen der unteren Führer, fast sämtlich polnische, ungarische und andere Renegaten und Flüchtlinge, zu einiger Ordnung und Verwendung gebracht werden konnten. Von Disziplin war natürlich fast gar nicht die Rede und man sah sich genötigt, die regulären Truppen möglichst von diesen Freischaren zu sondern.

Um die Mitte des Dezember begann sich das Korps des General Dannenberg der kleinen Walachei zu nähern, und es zeigte sich deutlich, daß ein Angriff auf Kalafat beabsichtigt war.

Von Bukarest waren zwei Scharfschützen-Bataillone und die Brücken-Equipagen gegen Braila abgegangen, um die dort zwischen beiden Ufern befindlichen Donauinseln zu besetzen.

Gegen Matschin hatte am 13ten ein verunglückter Angriff der Russen mit Kanonenböten unter General Lüders stattgefunden. Desgleichen waren zwischen dem 15ten, 16ten und 17ten auch bei Silistria bereits wiederholt kleine Vorpostengefechte vorgekommen, indem das russische Feuer die türkischen Transportschiffe an der Truppenbeförderung nach den Häfen verhinderte. Die Kosakenpikets setzten wiederholt über die Donau und streiften bis in die Nähe der Festung.

Die Stellung der beiden Armeen an der Donau war demnach gegen Ende Dezember folgende:

Das Hauptquartier des türkischen Generalissimus befand sich in Rustschuk, das fleißig verschanzt wurde. Hier konzentrierte sich das Zentrum des Heeres. Die Festung selbst, unter Befehl von Said-Pascha, hatte 3400 Mann Besatzung. An ihrer Südseite, noch im Bereich der Kanonen, befand sich ein befestigtes Lager mit 5000 Mann Nizam unter Mahmud-Pascha und 2000 Mann Redifs. Unmittelbar an diesem Lager kampierten 4000 Arnauten unter Selim-Pascha, die Kavallerie auf der Straße von Rustschuk nach Hesargrad, wo die 29 000 starken Reserven des Zentrums standen. – Den äußersten linken Flügel bei Kalafat bildeten zirka 50 000 Mann, von denen 20 000 in Kalafat selbst unter Achmet-Pascha, 10 000 auf der Donauinsel Smurda postiert waren. Selim-Pascha Ein andrer Selim als der Kommandant der Arnauten bei Rustschuk. Die türkischen Namen wiederholen sich sehr oft. befehligte in Widdin.

Die Kommunikation der Insel mit dieser Festung war längere Zeit durch das Treibeis verhindert. Die Verbindung zwischen Rustschuk und Widdin bildeten 18 000 Mann in Lom, Rahova und Nicopolis. – Den rechten Flügel kommandierte Halil-Pascha, von Silistria bis Matschin zirka 45 000 Mann. Den Trajanswall von der Donau bis ins Schwarze Meer verteidigte Ismael-Pascha.

Die Stärke der Türken auf der weit ausgedehnten Donaulinie betrug somit zirka 123 000 Mann, ohne die bei Schumla aufgestellten Reserven.

Die russische Donauarmee war zur Zeit nicht viel schwächer, dagegen Herr der Situation und zur Offensive bereit. Dem rechten Flügel der Türken stand jetzt General-Leutnant Lüders in Braila mit 23 000 Mann gegenüber und bedrohte den Übergang bei Matschin. Das Zentrum mit 45 000 Mann stand unter dem Oberbefehlshaber Fürsten Gortschakoff, der noch immer sein Hauptquartier in Bukarest hatte, und den linken Flügel, etwa 43 000 Mann, kommandierte jetzt, mit den Divisionen der Generale Fischbach und Dannenberg, von Krajowa aus General-Leutnant Anrep, der Kommandant der russischen Avantgarde beim Einrücken in die Fürstentümer. Somit betrug die russische Macht etwa 112 000 Mann. Das Einrücken des dritten Osten-Sacken'schen Korps, um die Positionen in der Moldau und der Walachei einzunehmen, hatte bereits begonnen.

Diese beiderseitige Situation und Machtentwicklung war offenbar nur die eines Vorspiels und konnte zu keiner wirklichen Entscheidung führen. Die russische Armee war, – wenn ihr das Meer versperrt wurde, viel zu schwach, um über den Balkan gegen Konstantinopel vorzudringen, denn die Erfahrungen von 1828 belehrten sie, daß ein solcher Sieg zu teuer erkauft werde, und das türkische Heer befand sich offenbar in einem Zustande, daß es auf einer so ausgedehnten Linie auch die Defensive nur durch große Terrainbegünstigung halten, an eine Offensive aber nicht denken konnte. Der türkische Soldat der Neuzeit ist trefflich zur Verteidigung, – schlecht und unbeholfen zum Angriff.

Wir haben bereits erwähnt, daß der große Rat der Pforte sich für die Vorlage der Gesandten ausgesprochen. Derselbe – der Divan oder die Staatskanzlei (Menachbie divinie) steht außerhalb des Ministerrats, der Regierung und des Reichskonseils, und umfaßt diejenigen oberen und unteren Beamten, die man Kalamice (von der Feder) nennt. Die im Divan sitzenden Beamten zerfallen in fünf Rangklassen, deren obere mit Ferik (Divisionsgeneral) rangiert. Am Divan nehmen auch die Exminister und Würdenträger und die gerade in Konstantinopel anwesenden Paschas Teil. Er entscheidet nicht, sondern teilt bloß seine Ratschläge mit. – Der Divan hatte im Oktober die Kriegserklärung beraten; jetzt nach dem Unglück von Sinope und den Nachrichten aus Klein-Asien war er von Redschid-Pascha berufen, um über die Friedensunterhandlungen seine Meinung abzugeben.

Als Grundlage derselben wurde von der Note der Gesandten aufgestellt:

1. Möglichst schnelle Räumung der Donau-Fürstentümer.

2. Erneuerung der alten Verträge.

3. Neue Garantieen für die erlassenen Fermane in Betreff der christlichen Bevölkerung an die Gesamtmächte.

4. Sicherung der Arrangements über die heiligen Orte in Jerusalem.

5. Waffenstillstand und Ernennung eines türkischen Bevollmächtigten zur Unterhandlung mit Rußland unter Mitwirkung der Mächte und in einer von diesen zu bestimmenden neutralen Stadt.

6. Wiederholung der Zusicherungen der Mächte bei dem Vertrage vom 13. Juli 1841 über die Integrität der Türkei.

7. Versprechen der Pforte, ihre innere Verwaltung den Zeitverhältnissen und den Rechten ihrer Untertanen angemessen zu ändern.

Diese Punkte entsprachen zwar keineswegs den ursprünglichen Forderungen Rußlands, enthielten aber auch nichts, was der Aufnahme von neuen Verhandlungen entgegengestanden hätte. Das schärfere Auge konnte darin nur die Absicht der Diplomatie, zu lavieren, erblicken. Dies Mittel galt natürlich bloß den Augen der Menge, es war ein Schauspiel, das man Anstands halber aufführte, um die schwache, schwankende Regierung des Sultans über die wirklichen Absichten zu täuschen. Die Rollen in dem Drama waren bereits verteilt und die bewegenden großen Faktoren: die revolutionäre Propaganda, die persönlichen Pläne des Kaisers der Franzosen und die englische Eifersucht auf Rußland, reichten einander die Hände zum Bündnis.

Der türkische Fanatismus wurde vorläufig zum Mittel bestimmt, die geheimen Zwecke zu verfolgen und den Sultan gefügig zu machen. Es war dringend notwendig geworden, zu einem solchen Eklat zu greifen.

Der Leser hat am Anfang dieses Bandes einen Einblick getan in die Intriguen des Harems und deren Wirkung auf den Gang der türkischen Politik. Der Sultan, von Anfang an ein Gegner des Krieges und eben nur durch die Einwirkungen des englischen und französischen Gesandten hin und wieder zu einem entscheidenden Entschluß gezwungen, neigte sich offenbar im Geheimen zur Verständigung mit Rußland. Unter seinen Vertrauten war der alte Chosrew-Pascha, dieser in seinem Mannesalter einst so berühmte Intriguant. Um ihn schloß sich daher jetzt auch fester die Friedenspartei.

Redschid-Pascha, dieser Mann aller Fraktionen, der französierte Türke und das gefügige Werkzeug der Machthaber im entscheidenden Augenblick, zugänglich allen Eindrücken und von keinem bestimmten Entschluß und Plan geleitet, hatte auf das energische Drängen des österreichischen Internuntius, Freiherrn von Bruck, nicht vermeiden können, den großen Rat zu versammeln, um über die mehrerwähnte Vorlage der Gesandten zu verhandeln. Es war dies am 17. geschehen, und die Kriegspartei, den Seraskier und den ältesten Schwager des Sultans, Mehemed Ali, an der Spitze, rechnete mit Sicherheit auf einen Beschluß, ähnlich dem am 26. September, welcher sich für die Kriegserklärung entschied.

Baron von Oelsner hatte jedoch seine Zeit nicht verloren.

Die Sitzung am 18. war stürmisch, und der Seraskier fand einen unerwarteten Widerstand in Chosrew und seinem Anhang.

»Man wirft mir vor, daß ich ein Russenfreund sei,« rief der alte Veteran des Kabinetts und der Schlachten. »Wohl, ich bin für den Frieden. Aber wenn mein Bart nach russischem Pulver riecht, so duftet der Eure nach französischen Salben!«

Der Divan ging auseinander, ohne zu einem Entschluß gekommen zu sein. – –

An diesem Abend warteten die Sultana und Nausika, die Odaliske des Sultans, die Tochter des Janos, vergebens auf das Erscheinen des Großherrn.

Es war bereits zehn Uhr abends, also etwa vier Uhr nach türkischer Zeitrechnung, als vom Goldenen Horn her ein großes Kaik seinen Weg nach Tschiragan nahm und eine ziemliche Strecke weit über den Palast hinaus anlegte. Drei in kurdische Mäntel gehüllte Personen stiegen aus und schienen von einem Offizier der schwarzen Eunuchen des Sultans am Ufer erwartet zu sein, denn ein solcher verbeugte sich alsbald tief vor ihnen und schritt dann vor ihnen her nach den Höhen zu, die sich hinter dem Palais erheben und die Gärten desselben bilden, den einzelnen Wachen ein Losungswort zuflüsternd, das sie ungehindert passieren ließ. Der Weg führt hinter Tschirigan auf Arnaudkoi zu; terrassenartig steil in die Höhe geht man zwischen Felswänden, oft zwischen 30 Fuß hohen Mauern, welche die Gärten des Sultans vor jedem fremden Blick schützen. Erst auf der Höhe kann der Blick sich weit und frei entfalten und umfaßt den unteren Bosporus bis rechts nach Skutari hin und links zum Turm von Anatoli Hissar, dem asiatischen Schloß.

Auf der Höhe dieses Berggipfels steht ein in italienischem Stil gebautes, ziemlich großes, elegantes Haus. Die Stürme des Pontus und die linden Zephyre des Südens umspielen seine Mauern, und die feurige Sonne des Orients brennt auf seine Balkone. Es liegt auf einer der schönsten Stellen von Gottes schöner Erde und war die Wohnung zweier Deutschen, des Obergartendirektors des Sultans und seines Substituten, beides geborene Bayern. Auch die Posten der Gehilfen und Untergärtner waren meist von jungen Deutschen bekleidet.

Das Haus steht in einem gleichfalls von einer hohen Mauer umgebenen, aber möglichst nach europäischer Art eingerichteten Garten, der unmittelbar an den des Großherrn stößt. Eine gleiche Mauer, durch welche ein einziges, schmales Pförtchen führt, zu welchem nur der Obergärtner und sein Stellvertreter den Schlüssel haben, trennt sie.

In dem Augenblicke, wo wir die vier hier hinauf begleiten, lag freilich nicht der Glanz des hellen Sonnenscheins, des Frühlings oder Herbstes über jener herrlichen Aussicht, aber deshalb war sie nicht minder reizend im bleichen Lichtstrahl des Mondes, der ohnehin die Eigenschaft hat, die Farben aufzuzehren, um desto großartiger die Formation und Plastik in Licht und Schatten hervortreten zu lassen. Ein weißer Reif, auf den Felsenplateaus selbst eine dünne Schneedecke, lag über dem ganzen Bilde und der schmale Wasserspiegel, nach Stambul hin sich öffnend, glänzte gleich einem Silberband.

Doch war es nur einer von der Gesellschaft, der diesem herrlichen Anblick einige Augenblicke widmete, der bereits mehrfach erwähnte deutsch-französische Baron, der sich auf der Höhe des Plateaus umwandte und, seine Gefährten weiter gehen lassend, die Augen über dies Eden der Nacht schweifen ließ. Dann folgte er ihnen rasch, denn die egoistischen Gedanken des Ehrgeizes, des Interesses und der Sorge in der eigenen Brust machen den Menschen gleichgiltig für die Herrlichkeiten des Allmächtigen um ihn her.

Das Haus mit seinen Umgebungen war still und öde; am Zugang hatte ihnen der Obergärtner selbst das Tor geöffnet, wieder geschlossen und war dort zurück geblieben. Der Eunuch führte sie quer über den Platz zu dem Pförtchen, das sich in die Gärten des Großherrn öffnete und klopfte in eigentümlicher Weise an dasselbe. Sogleich wurde es geöffnet; sie traten ein und fanden sich dem Tschannador-Aga gegenüber, der sie mit einer schweigenden Verbeugung empfing und vor ihnen herschritt. Die Pforte wurde von dem Eunuchen wieder geschlossen und er lehnte sich, den Säbel ziehend, außen an dieselbe, um jede Annäherung zu verhindern.

Der Aga ging vor der schweigenden Gesellschaft durch die seltsamen, gewundenen Gänge des Gartens her, und sie stiegen mehrere Terrassen hinab. Obschon der Winter die Vegetation erstarrt, die Bäume entblättert hatte, konnte man im hellen Lichte des Mondes doch die eigentümliche Ausstattung und Einrichtung des Ortes um so mehr sehen, als das sonst so belebende Grün in den türkischen Gärten eben nur Nebensache ist, und der Baron – der zum ersten Mal diesen unzugänglichen Ort betrat – benutzte die Gelegenheit zum Umschauen. Auf dem natürlichen Felsen der Bergwand waren vielfach künstliche Felsgruppen in seltsamen phantastischen Formen angebracht; große Marmorbecken fingen in der besseren Jahreszeit Kaskaden von Wasser auf oder bildeten die bei den Türken so beliebten Springbrunnen. Pagoden und wunderliche in Arabesken und Schnörkeln verlaufende Tiergruppen, bunt bemalt, standen überall. Wo der Wind den Reif und Schnee von den Gängen und Rabatten hinweggefegt, sah man diese mit bunten Steinen, Muscheln und Porzellan eingefaßt, zahlreiche Grotten, Kiosks, Tempel, chinesische Dächer und Pavillons in den barocksten Formen mit reicher Vergoldung und Malerei waren ziemlich ordnungs- und geschmacklos angebracht.

Nach einem der letztern von größerem Umfange wendete die Gesellschaft die Schritte. Zwei Tschannadors hielten die Wache am Eingang, durch welchen jetzt die Fremden das Innere betraten: ähnliche dunkle Gestalten bewegten sich um das Gebäude. Sie befanden sich hier in einem erleuchteten und von Kohlenpfannen erwärmten Vorgemach, wo sie die Mäntel ablegten und sich der Stiefel entledigten, um nach türkischer Sitte die Füße mit weichen Pantoffeln zu bekleiden.

Die beiden Begleiter des Barons zeigten sich jetzt als zwei Moslems, der eine ein Greis mit langem, grauem Bart, listigen Augen und kühn hervorspringender Nase, der andere als ein stattlicher Mann von einigen dreißig Jahren mit geistreichen und lebendigen Zügen.

Nach kurzer Zögerung für die Toilette der Eintretenden verschwand der Aga durch den Vorhang der gegenüberliegenden Tür, erschien dann aufs neue und gab den Harrenden den Wink, sich zu nähern. Er selbst blieb im Vorgemach zurück.

Das Gemach, in das sie traten, füllte, mit Ausnahme des kleinen Vorzimmers, die ganze Rundung des Pavillons. Es war von einer Kristallkrone erleuchtet und gleichfalls von silbernen Kohlenbecken durchwärmt, aus denen zugleich der leichte Duft einer wohlriechenden Essenz durch das Gemach strömte. Die Jalousiefenster waren sorgfältig mit dicken turkomanischen Teppichen verhängt, damit kein Lichtstrahl nach außen dringen konnte. Rings um die Wände liefen Divans und gegenüber der Tür ruhte auf einem solchen die schlaffe Gestalt des Sultans, zu seinen Füßen ein stummer Mohrenknabe auf dem Boden knieend, der das Nargileh des Großherrn in Brand erhielt und mit seinen großen braunen Augen auf jeden Wink des Gebieters lauschte.

Der Sultan und der stumme Knabe waren allein in dem Gemach.

Die Hände auf die Brust gekreuzt, nahten sich die beiden Türken dem Herrscher, warfen sich in einiger Entfernung vor ihm nieder und verharrten in dieser Stellung mit zu Boden gehefteten Augen. Der Baron machte eine tiefe Verneigung und blieb in gebeugter Haltung am Eingang stehen, bis der Großherr das erste Wort gesprochen.

Dieser hatte sich halb aufgerichtet auf dem Divan, das kostbare Mundstück des Rohres zur Seite gelegt und streckte beide Hände nach dem Jüngsten der Knieenden.

»Khosch dscheldin (Seid willkommen), mein Bruder Halil. Ich hoffe, Eure Laune und Eure Gesundheit sind gut und Ihr werdet es dem Großherrn, Eurem Schwager, nicht nachtragen, daß er Euch noch nicht öffentlich empfangen konnte, wie es einem gebührt, der mit einer Tochter aus dem Hause Omars das Lager teilt.«

Halil-Pascha, der jüngere Schwager des Sultans, durch die Intriguen des Seraskiers aus Konstantinopel verbannt und von jeder Beteiligung an Staatsgeschäften entfernt, war erst vor zwei Tagen auf eine Botschaft Chosrews, denn dieser war sein Begleiter, nach Stambul heimlich zurückgekehrt. Er war als Russenfreund bekannt, früher längere Zeit in St. Petersburg Gesandter gewesen und hatte dort viele Auszeichnungen genossen. Er gehörte mit Chosrew zu den entschiedensten Gegnern des Krieges, und dessen Beförderer hatten ihn daher auf alle Weise vom Sultan fern gehalten; dem schlauen alten Großwessir war es aber dennoch gelungen, ihm diese heimliche Audienz zu verschaffen.

»Möge Dein Schatten lang sein, o Zuflucht der Welt, und die Sonne Deiner Gunst neu auf den Getreuesten Deiner Diener fallen,« antwortete ehrerbietig der Pascha, indem er, ohne die Hände des Padischah zu berühren, den Zipfel seines Rockes an Stirn und Brust führte. »Meine Gesundheit ist gut und wird noch besser sein, wenn sie sich im Strahl Deiner Nähe sonnen kann. Du bist der Herr, Du befiehlst und unser Wille ist nichts!«

»Ne apalun, was kann ich tun?« fragte der Sultan. »Ich bin von Verrätern umgeben, die mich in diesen Krieg stürzen. Ich habe so vieles anhören müssen, daß mein Kopf wirr ist. Wie befindet sich die Fatimé Sultana, meine Schwester?«

»Die Küsten Asiens erscheinen ihr schwarz, seit sie die Zenanah des Großherrn nicht mehr betreten darf.«

»Desto öfter hab' ich den Teufel von Adilé dort,« murrte der Sultan; »ich bin nicht Herr mehr in meinen eigenen Gemächern und diese Weiber lachen in meinen Bart. Sei willkommen, Wessir, Du bist einer der Getreuen meiner Mutter und kennst mein Herz. Nehmt Platz an meiner Seite, ich gestatte es Euch. Wer ist der Franke?«

»Schatten Gottes,« sagte der alte Wessir, indem er mit seinem Begleiter Kissen vom Divan nahm, sie unfern des Sultans auf den Boden legte und darauf niederhockte, »erinnere Dich, daß Du mir erlaubt hast, ihn vor Dein Antlitz zu bringen. Er ist ein treuer Mann und ein Vornehmer in den Ländern der Franken. Er sehnte sich, Deinen Schatten zu küssen, und ich wollte, wir hätten vor acht Monden sein Anerbieten angenommen, das er vom Zar der Russen brachte.«

Der Sultan rieb sich verlegen die Stirn.

»Was meinst Du, Vater?«

»Erinnere sich Deine Majestät,« sagte Halil, »daß es die Flotte von jener Festung Sebastopol war und hunderttausend Mann guter Truppen, die uns der Zar zur Hilfe senden wollte, um die Dardanellen zu sperren.«

»Ich bin wie ein Ball zwischen zwei Händen,« sagte der Sultan finster. »Ist der Padischah bosch, nichts, daß er das Erbe seiner Familie nicht mehr selbst verteidigen kann? Diese Franken machen uns zu Weibern, und sie haben gezittert vor dem Hauch meiner Väter!«

Die beiden Pascha's schwiegen verlegen, – sie wußten, wie recht der arme Sultan hatte.

»Lasset den Franken näher treten.«

Auf einen Wink Chosrews näherte sich der Baron mit ehrfurchtsvollen Verbeugungen. Der gewandte Abenteurer und Unterhändler war ein Mann von stattlicher Persönlichkeit und äußerst gewandtem Benehmen, was ihm überall einen guten Empfang sicherte. Obschon der türkischen Sprache ziemlich mächtig, redete er doch den Großherrn in französischer an, die der Sultan jedoch nur sehr mittelmäßig spricht.

»Möge Eure Majestät geruhen, meine Huldigungen und meinen Dank anzunehmen für die Erlaubnis, das Antlitz des Großherrn zu sehen. Möge Eure Majestät auch nachträglich meinen Dank empfangen, für die Gnade, daß Sie aus der Hand eines Franken durch die Vermittelung meines Freundes Ali-Pascha ein demütiges Geschenk seiner Ergebenheit nicht verschmähten.«

Der Sultan sah den in ehrerbietiger Haltung vor ihm Stehenden überrascht an.

»Sie sind willkommen, Herr,« sagte er freundlich, »aber ich verstehe Sie nicht ganz.«

»Eure Majestät wollen verzeihen, wenn ich sage, daß ich es war, der die Ehre hatte, eine Sklavin durch den Pascha von Brussa Eurer Majestät als Dienerin vor etwa Jahresfrist zu übersenden.«

Das Auge des Sultans funkelte.

»Wen meinen Sie, Herr? ihr Name?«

»Mariam, eine Mingrelierin.«

Der Schlag war geradezu geführt; die Hand des Sultans zuckte unwillkürlich nach dem Herzen, dann ließ er sie sinken und erwiderte traurig: »Ich danke Ihnen, mein Herr, für das Geschenk – die arme Mariam liegt noch immer schwer darnieder an einer ansteckenden Krankheit.«

»Mariam ist tot,« sagte ernst der Baron.

Der Großherr beugte sein Haupt.

»Inshallah! Wie Gott will! Sie ist also dennoch gestorben an den schwarzen Blattern. Es tut meinem Herzen leid, diese Kunde von Ihnen zu bekommen, wo Sie dieselbe auch her wissen mögen.«

Er wandte das Gesicht nach Mekka und begann ein leises Gebet zu murmeln.

»Verzeihen Euer Majestät, daß ich Ihre Andacht unterbreche, aber Mariam, die Mingrelierin, ist nicht an den Blattern gestorben, denn sie hat die Krankheit nie gehabt.«

Der Sultan sah ihn groß und fragend an.

»Mariam,« fuhr ruhig und langsam der Baron fort, »ist in der Nacht zum 10. November im Serail zu Stambul grausam durch die Martern der Folter ermordet worden. Ihr letztes Wort war der Name Eurer Majestät.«

Der Beherrscher der Moslems fuhr mit einem Sprunge gleich dem des verwundeten Löwen in die Höhe. Er vergaß alle Etikette des türkischen Hofes so weit, daß er, – der nur von den höchsten und vertrautesten Dienern des Harems angerührt werden darf, – mit beiden Händen den Arm des Fremden erfaßte.

»Dschaur! bei dem Propheten, Du lügst!«

Der Wessir und Halil waren ruhig sitzen geblieben. – Beide waren auf die Szene vorbereitet.

»Möge die Zuflucht der Welt ihrem Sklaven das Wort gestatten,« sagte der Schwager des Großherrn; »der Dschaur ist ein vornehmer Mann in seinem Lande und sein Mund redet keinen Kot, sondern die Wahrheit.«

Der unglückliche, betrogene Großherr sank auf die Kissen zurück und bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen.

»Wer? wer?« stammelte er kaum hörbar.

»Die Bujek-Sultana und meine Schwägerin, Adilé Sultana,« sagte Halil-Pascha, »haben der Tat beigewohnt. Sie ließen die Odaliske martern, um für ihre Freunde, die Inglis und Franzosen, Geheimnisse des Großherrn zu erpressen. Unser guter Freund Fuad-Effendi, den der Ministerrat vor acht Tagen als Bevollmächtigten zum Sirdar, seinem Genossen, an die Donau geschickt hat, leitete die Marter. Ich habe gesprochen, auf mein Haupt komme es.«

Abdul Medjid schaute wild – mit funkelnden Augen umher und sie fielen auf den greisen Chosrew.

»Du bist der Todfeind Fuad's und der Sultana,« sagte er hastig zu Halil, »ich kann Dir nicht glauben! Rede Du, Chosrew, der Lehrer und Schützer meiner Jugend!«

»Halil und der Dschaur reden die Wahrheit. Das Weib Deines Herzens ist gemordet worden, aber sie hat standhaft geschwiegen und sich der Zuneigung des Großherrn würdig gezeigt.«

Der Sultan erhob sich; seine Augen flammten, wie einst die seines Erzeugers, das bleiche Gesicht rötete sich dunkel.

»Beim Barte Mahmuds, meines großen Vaters, ich will nicht umsonst Hunkiar der Bluttrinker heißen, denn sie soll gerächt werden an meinem eigenen Blut! Hinaus, Knabe, und rufe den Aga.«

Der greise Wessir war aufgesprungen und hatte sich dem wütenden Herrn in den Weg geworfen.

»Halt ein, Padischah! Um des Propheten willen, bedenke, was Du tust und höre den Rat Deiner Freunde!«

Der Großherr faßte die Hände der beiden.

»Ich weiß es, Ihr seid dem Sohne Mahmuds treu und ich darf auf Euch zählen. Sie sollen sterben, sterben alle drei, die diese Tat an meinem Herzen vollbracht haben, das sie liebte. Einmal hab ich es bezwungen, als die Hand meines Vaters grausam auf mir lag; jetzt bin ich der Herr und wehe dem Schuldigen!«

Er war außer sich und selbst der intriguenvolle, nur seinen Interessen folgende Abenteurer sah mit aufrichtigem Bedauern auf den jungen Monarchen, der, der Herr von Millionen, der Herrscher in drei Weltteilen, mit all' seiner Macht nicht vermocht hatte, ein schwaches Weib zu schützen, das er liebte.

Der Aga war in das Gemach getreten und stand harrend am Eingang, während der Greis und Halil-Pascha den Sultan zum Divan zurückführten und ihn auf die Kissen nötigten. Auf den Wink Halil's war Théifur-Aga, der Chef der schwarzen Eunuchen, näher gekommen. Die Verbündeten wußten, daß er ein bitterer Feind und Neider des Kislar-Aga war und zu ihrer Partei gehörte.

»Höre mich an, o Schatten Gottes,« sagte der greise Staatsmann. »Wir alle fühlen, daß Deiner Macht und Deiner Seele ein Wehe geschehen, aber was getan ist, ist getan und läßt sich nicht ändern. Unsere Feinde sind mächtig und wir müssen mit ihnen kämpfen mit der Klugheit der Schlange, denn diese Franken haben die Oberhand.«

»Aber der Padischah ist der Herr,« warf Halil giftig ein. »Soll er sich in den Bart lachen lassen von seinen Knechten?«

»Hört mich wohl an,« sagte bedächtig der Greis, »und laßt mein Wort nicht in den Wind fallen. Die Partei des Seraskiers im Ministerrat ist stark und wir müssen sie schwächen, ehe wir den Streich auf das Haupt aller unserer Feinde fallen lassen. Der Scheik ul Islam hat sich für den Krieg erklärt und die Hälfte der Diener des Palastes hängen Mehemed Ali an, und leicht würde er das Volk zu den Waffen rufen können. Aber das Volk ist jetzt auch erbittert auf Mahmud, den Kapudan-Pascha, seinen Schützling, und sagt, daß die Vernichtung unserer Flotte seine Schuld sei. Ihn kann der Großherr ohne Gefahr entfernen.«

»Er falle!« sagte der Sultan. »Wer soll an seine Stelle kommen?«

»Möge die Sonne Deiner Gnade Riza-Pascha bescheinen.«

»So sei es. Fertigt den Ferman aus, daß ich unterzeichne.«

Der schlaue Chosrew zog ein Papier aus seinem Busen, das bereits die Entlassung des Großadmirals enthielt und in das nur noch der Name seines Nachfolgers eingezeichnet zu werden brauchte. Er nahm das Schreibzeug von seinem Gürtel und der Sultan unterzeichnete hastig seinen Namenszug.

»Es ist nicht möglich, die künftige Sultana Valide zu strafen oder eine Tochter aus Mahmud's Blut um einer mingrelischen Sklavin willen. Es würde einen Aufstand im Palast erregen. Der Kislar-Aga ist ihr geheimer Freund, aber wenn Théifur-Aga an seine Stelle kommt, wird er die Weiber im Zaume halten und kann die Sultana nach dem Burnu-Serail führen und Deiner Schwester den Eintritt in den Harem weigern. Er wird das Paradies des Großherrn von unnützen Geschöpfen säubern.«

Das breite Gesicht des Mohren glänzte vor freudiger Erwartung, denn der Posten des Kislar-Aga steht dem Range nach zunächst am Großwessir und ist durch seine Stellung einer der einflußreichsten.

Der Sultan bedachte sich einige Augenblicke, dann zog er rasch den Siegelring vom Finger und reichte ihn dem Eunuchen.

»Du bist der Kislar-Aga und mögest treuer als Dein Vorgänger meine Befehle erfüllen.«

Der Schwarze warf sich zu Boden und berührte dreimal mit der Stirn die Erde. Dann erhob er sich freudestrahlend und blickte auf Chosrew.

»Wenn es dem Padischah gefällt,« sagte dieser, »so möge die Veränderung im Palast bis morgen früh verborgen bleiben und erst zur Stunde der Divansitzung laut werden, damit wir unsere Feinde auch auf allen Seiten überraschen. Die Artillerie, welche die Brennibors (Brandenburger – die preußischen Instruktoren) gebildet haben, ist treu und möge die Wachen beziehn. Sie liebt weder den Serakier, noch Mehemed Ruschdi, den Kommandeur der Garden.«

Der Sultan schüttelte das Haupt, – in der Türkei das Zeichen der Bejahung.

»Es ist notwendig, daß wir im Ministerrat mindestens eine gleiche Stimmenzahl auf unserer Seite haben,« fuhr der Greis fort. »Wenn der Schatten Gottes die Verbannung aufheben und den Gatten seiner Schwester wieder in den Rat berufen will als Beistand, würde unsere Stärke wachsen.«

Er reichte dem Sultan einen zweiten, gleichfalls bereit gehaltenen Ferman und Abdul-Medjid unterzeichnete; Halil küßte den Zipfel seines Rockes.

Der Großherr blickte sie jetzt alle der Reihe nach finster an.

»Mashallah,« sagte er mit erzwungener Energie, »ich habe jetzt allen Euren Willen getan, nun will ich den meinen und Rache für Mariam haben. Die Sklaven sollen sterben, welche die Hände an ihren Leib gelegt haben, und das Weib, das man mir für sie gegeben, beleidige nicht länger meine Augen.«

Die Werkzeuge sollten für die Schuld der Hohen büßen, – türkische Gerechtigkeit, die sich oft genug im zivilisierten Europa wiederholt.

Der alte Chosrew machte das Zeichen der Zustimmung.

»Pek äji! Es kann ohne Gefahr geschehen und sie mögen sterben. Wofür ist Théifur-Aga da? Er möge seine Ohren auftun und kein Esel sein. Ist es dem Großherrn jetzt genehm, zu hören, was dieser Franke von unseren Freunden, den Russen, zu sagen hat?«

Der Sultan, von der vorhergegangenen Aufregung erschöpft, war auf dem Divan wieder in seine frühere apathische Haltung gesunken; die Röte des Schmerzes und des Zornes hatte der gewöhnlichen krankhaften Blässe Platz gemacht und er bejahte stumm, indem er dem Knaben winkte, ihm das Rohr des Nargilehs wieder zu reichen, und dem Baron, auf dem Divan Platz zu nehmen.

»Eure Majestät,« begann dieser, »sind in einer schlimmen Lage, indem Sie sich von Ihrem natürlichen Freund und Verbündeten, dem Zaren abgewandt haben. Ihre Armee ist an der Donau zurückgedrängt und in Asien besiegt; in Serbien, Montenegro und Griechenland drängt das Volk zur Ergreifung der Waffen gegen das Reich Eurer Majestät. Persien rüstet zum Kriege. Die Flotte ist zur Hälfte vernichtet, die Finanzen des Staates sind so erschöpft, daß ohne eine schwer zu realisierende Anleihe die nötigsten Bedürfnisse nicht zu bestreiten sind und das Heer zum Teil seit vierzehn Monaten keinen Sold erhalten hat. Die griechische Bevölkerung in Anatolien, Rumelien und auf den Inseln ist zum offenen Aufruhr geneigt, selbst die türkische Einwohnerschaft ist schwierig, man hat den Fanatismus aufgeregt und erhöht auf diese Weise die gegenseitige Feindschaft.«

»Inshallah,« sagte der Großherr, »was können wir tun? Wir sind nicht schuld an dem Unheil.«

»Eure Majestät möge dem Zaren, Ihrem wahren Freunde, vertrauen. Der Divan und der Ministerrat mögen sich morgen bereit erklären, auf die Friedensverhandlungen einzugehen, welche die vier Mächte vorgeschlagen haben, und man wird den Engländern und Franzosen damit den Vorwand nehmen, sich weiter einzumischen. Was haben sie bis jetzt getan, als ihre Flotten hierher gesandt, die Konstantinopel bedrohen, ohne nur eine Kanone zum Schutz der Türkei gelöst zu haben? Ich bitte Eure Majestät, zu bedenken, daß, wenn die Türkei sich Frankreich und England übergibt, ihre Selbständigkeit aufs höchste gefährdet ist; daß sie französische und englische Schutztruppen kaum je wieder los werden wird, welches auch der Erfolg des Krieges sei; daß die Kosten eines solchen das Land vollends ruinieren und wahrscheinlich einiger seiner besten Provinzen berauben werden; denn Österreich wird auch seinen Anteil verlangen und England ist schon längst auf Kandia, Cypern und Unter-Egypten lüstern.«

Er machte eine Pause, – der Sultan – der Beherrscher eines Gebietes von mehr als 30 000 Quadratmeilen – hatte ihm finster zugehört, denn er kannte die Wahrheit dessen, was der Unterhändler ihm aufzählte, und gedachte traurig der Macht seiner Väter, vor denen Europa noch vor 150 Jahren gezittert hatte. Aber mit der, den Orientalen in diplomatischen Verhandlungen eigentümlichen Schlauheit und Zähigkeit sagte er:

»Die Inglis und Franzosen haben von mir noch nichts gefordert und erklären, mein gutes Recht unterstützen zu wollen. Mein Bruder, der Zar, aber hat gegen alle Verträge zwei meiner Provinzen genommen und mich gezwungen, den Krieg zu erklären. Es ist nicht das erste Mal, daß ein russisches Heer mein Reich bedroht.«

Der Baron war zu gewandt, um den Streich nicht zu parieren.

»Eure Majestät wollen sich erinnern,« sagte er, »daß der Zar sich durch die Minister der Pforte beleidigt glaubt und die Donau-Fürstentümer nur als Pfand für die Erfüllung alter Verträge in Besitz genommen hat. Er wird sich nicht weigern, sie bei einem neuen und festen Bündnis sogleich herauszugeben. Euer Majestät werden zugeben, daß Rußland das natürliche und erste Anrecht auf die Bundesgenossenschaft der Türkei hat, und daß es in letzter Zeit am Hofe von Stambul durch die englische und französische Partei sehr verdrängt und benachteiligt worden ist. Euer Majestät wollen ferner sich erinnern, daß der Kaiser Nikolaus sich nie als Eroberer gezeigt und im Frieden von Adrianopel sofort alle Eroberungen herausgegeben, ja die stipulierten Kriegskosten erlassen hat;« – er warf bei diesen Worten einen scharfen Blick auf Chosrew, dessen großes Vermögen von jener Zeit datierte: »daß der Kaiser ferner in dem Kriege gegen Mehemed-Ali und Ibrahim-Pascha sich als uneigennütziger Verbündeter zeigte, gegen dasselbe Egypten, dessen Horden Eure Majestät jetzt gegen Rußland senden.«

Es entstand eine längere Pause, Chosrew, dessen schwache und empfindliche Seite die Erinnerung an Ibrahim-Pascha war, der ihn wiederholt besiegt hatte, brachte geschickt das Gespräch in eine andere Phase.

»Allah bilir, es ist ein Unglück, daß die Franken ihre Schiffe vor unsere Stadt gelegt haben, sonst könnte alles gut werden. Was befiehlt der Padischah?«

Der Großherr blickte ärgerlich auf den alten Intriganten.

»Ich erwarte Rat von meinen Wessiren.«

»Wenn es dem Vater aller Herrscher gefällt,« meinte Halil, »so habe ich zahlreiche Freunde im Divan, und einige Beutel werden das übrige tun, daß man morgen für die Friedensverhandlungen stimmt.«

»Vielleicht hat unser fränkischer Freund einen weiteren Vorschlag,« meinte der greise Großwessir, mit einem listigen Augenzwinkern nach dem Baron.

»Ich glaube, Euer Majestät die nötigen Vorschläge machen zu können, sobald Allerhöchstdieselben ernstlich zu einem Schutz- und Trutzbündnis mit Rußland entschlossen sind. Der Kaiser stellt noch immer seine Flotte und eine Armee von hunderttausend Mann zum Schutz der Dardanellen zur Verfügung.«

»Aber wie wäre das auszuführen?«

»Durch die Anknüpfung von Friedensverhandlungen würden die Westmächte jedenfalls verhindert werden, Landtruppen nach dem Orient zu senden. Eine Scheindiversion russischer Schiffe auf die anatolische Küste könnte Gelegenheit geben, die verbündeten Flotten ins Schwarze Meer zu locken, wo sie sich jetzt bei der jetzigen Jahreszeit unmöglich zusammen halten können. Rußland ist bereit, sofort nach dem Abschluß des geheimen Traktats die Fürstentümer zu räumen, und wird seine Truppen an der Donaumündung und in Odessa konzentrieren, von wo sie leicht nach Varna oder Burgas gebracht werden können. Wenn nach der Bereitschaftserklärung zu Friedensverhandlungen die Flotten nicht sofort aus dem Bosporus und den Dardanellen entfernt werden, wird Rußland die Forderung stellen, eine Anzahl von Kriegsschiffen hier gleichfalls stationieren zu dürfen. Entweder sind dann die Flotten der Westmächte in dem Schwarzen Meere abgesperrt, und in unserer Hand ein Unterpfand, oder, die russische Flotte in Verbindung mit der türkischen und egyptischen und den Kastells der Ufer, wird vollkommen genügen, jene im Zaume zu halten oder zu vertreiben. Euer Majestät Armeekorps, die der Zar zur Disposition stellt, werden hinreichen, die Küsten von Rumelien zu sichern.«

Der kühne gewaltige Plan, – der so leicht beim Beginn des Kampfes auszuführen gewesen wäre und dem Schicksal Europas eine andere Gestalt gegeben hätte, wenn Kaiser Nikolaus mehr auf die rasche Tat als auf seinen politischen Einfluß vertraut hätte, – erschreckte den bleichen Großherrn und seine Augen schweiften verlegen und ängstlich auf Chosrew und seinen Schwager. Der letztere legte beistimmend die Hand auf das Herz, während der greise Diplomat den flehenden Blick seines Herrn und Schülers nicht zu bemerken schien und anscheinend kein Auge von dem Unterhändler verwandte.

»Adschaid! Wunderbar!« sagte endlich der Sultan. »Ich weiß nicht, was ich tun soll, und bin wie ein Mann zwischen zwei Schwertern. Wenn ich Dir auch Gehör geben wollte, o Franke, – wie würden wir uns ausreden können vor der Macht der Ungläubigen, ehe die Hilfe des Zaren in der Nähe ist, um uns vor ihrem Zorn zu sichern?«

Chosrew erhob ruhig das Haupt; der alte, in tausend Schlangenlisten bewanderte Diplomat hatte das Mittel längst vorbedacht.

»Wir werden einen Aufruhr in der Stadt erregen,« sagte er gelassen. »Der Rajapöbel von Stambul wird eine Revolution machen und wir werden sagen können, daß uns die Christen gezwungen haben zu dem Bündnis mit Rußland.«

Der Sultan überlegte, – die türkische Geschichte bietet so viele ähnliche Szenen und Intriguen, daß ihm der Plan keineswegs so unausführbar vorkommen mochte.

»Es ist unser Kismet,« sagte er endlich. »Wird alles bereit sein und werde ich sicher bleiben, oder muß ich mich auf eines meiner Schlösser in Anatolien begeben?«

»Euer Majestät werden ganz sicher sein unterm Schutz der Artillerie. Auf mein Haupt komme es. Morgen Mittag ist der Frieden gesichert und am nächsten Tage wird der Padischah den Fuß auf den Nacken seiner Feinde setzen.«

»Ich willige ein,« sagte der Großherr und gab ermüdet und abgespannt das Zeichen der Entlassung.

Die drei Verbündeten verabschiedeten sich unter den gebotenen Zeremonien und wurden vom neuen Kislar-Aga wieder bis an die Pforte der Gartenmauer zurückbegleitet. Während Halil und der Baron bereits den Garten verlassen, verweilte der greise Chosrew noch einige Augenblicke bei dem neuen, durch seine Intriguen eingesetzten Würdenträger.

»Höre, Freund Théifur-Aga,« sagte er mit einschmeichelnder Freundlichkeit, »Du wirst die griechische Sklavin morgen aus dem Harem entfernen?«

»Der Padischah hat befohlen. Sie mag das Wasser des Bosporus trinken.«

»Ein Weib ist gewiß ein großes Übel,« meinte der Pascha; »aber warum sie töten, wenn sie noch jung ist? Der Padischah hat es nicht ausdrücklich bestimmt und ich will Dir einen Ausweg sagen. Bana bak! Das Mädchen soll schön sein, – gib sie mir, Deinem Diener, für seinen Harem – sie wird verschwinden für immer.«

Der Eunuch schielte ihn von der Seite an. Er wußte sehr gut, daß es um den Harem des geizigen alten Intriganten sehr jämmerlich bestellt war und er das Mädchen nur aus Habsucht verlangte, um sie mit möglichstem Vorteil zu verkaufen; aber er wagte nicht, nach dem Dienst, den jener ihm so eben geleistet, die Bitte abzuschlagen und antwortete daher:

»Pek äji, sehr wohl; Du redest Weisheit. Das Boot mit dem Weibe wird morgen Abend um die fünfte Stunde (zwischen 10 und 11 Uhr) mit den Stummen des Harems, gegenüber der Moschee von Auni-Effendi, Deines Boten harren. Er möge drei Mal den Namen Allahs nennen und man wird sie ihm übergeben. Behalte mich in Deiner Gunst, o Pascha.«

Die beiden schieden, und während bald darauf das Boot seinen Rückweg nach Stambul nahm und Halil mit dem Franken leise und eifrig über die Vorbereitungen für den nächsten Tag verkehrte, berechnete der alte Geizhals bereits den Gewinn, den er aus dem Verkauf der griechischen Tänzerin zu ziehen gedachte.


Die Beratung, die am Montag, den 19., im Divan, im Gebäude der Hohen Pforte, gehalten wurde, war eine überaus stürmische und der Schlag, welcher der Kriegspartei durch die Verkündigung der Absetzung Mahmud-Pascha's, des Großadmirals und die Ernennung Halil's – der früher bereits zweimal Marine- und Kriegsminister gewesen war, zum Minister ohne Portefeuille mit Stimme im Conseil, beigebracht wurde, ein ganz unerwarteter. Die alttürkische Partei des Seraskiers und des Scheich ul Islam war damit ihres Übergewichtes beraubt und in ihrem Einfluß hart bedroht.

Durch die Bemühungen der Freunde des Großwessirs, Chosrews und Halils, zeigte sich im Divan eine Majorität für die Friedensunterhandlungen. Nur mit Mühe vermochten Mehemed-Ali und seine Freunde es durchzusetzen, daß der Endbeschluß bis zum nächsten Tage verschoben blieb. Sämtliche Minister sollten dem Rate beiwohnen.

Es lag eine schwüle Stille über der großen Stadt und jedermann fühlte das Nahen einer bedeutenden Krisis. Die Beratung des Divans hatte an beiden Tagen volle fünf Stunden gedauert und erst am Nachmittag geendet. Eine Audienz, die der Seraskier bei dem Sultan, seinem Schwager, verlangte, wurde abgelehnt unter dem Vorwande eines Unwohlseins. Der Großherr hatte sich in die inneren Gemächer seines Selamliks zurückgezogen. Die Ernennung des neuen Kislar-Aga und die Verweisung des früheren nach Brussa war erst am Nachmittag bekannt geworden und hatte den ganzen Harem in Bestürzung versetzt. Auf die eilige Botschaft der Sultana war die Schwester des Sultans nach Tschiragan gekommen, aber der Großherr weigerte sich, den Harem zu betreten und sie mußte, vor Zorn und Furcht bebend, den Palast wieder verlassen und hatte noch den Ärger, dem Kaïk des Großwessirs Mustapha und Halil's, ihres Schwagers, zu begegnen und beide in Tschiragan empfangen zu sehen.

Wie der politische Himmel so begann sich auch der wirkliche zu trüben und schwere Wolkenmassen lagerten am Abend über dem ganzen Horizont. Der Gang unserer Erzählung führt uns an verschiedene Stellen, und wir müssen eilen, ihn bei einem Manne wieder aufzunehmen, der seit dem Tage von Sinope die drückende Lage schwerer Gefangenschaft getragen hatte, vermehrt durch das Bewußtsein, dem Todfeinde gerade in der Stunde der Rache erlegen zu sein.

Gregor Caraiskakis, der einzige Gefangene, der bis jetzt auf dem Meere in die Hände der Türken gefallen, hatte auf der eiligen Überfahrt der Dampffregatte Taif alle Schmach und alle Leiden zu dulden gehabt, welche die Erbitterung der Moslems über ihre Niederlage auf ihn häufte. Selbst die Bemühungen des englischen Baronets vermochten nicht, ihn vor der schimpflichen Last schwerer Ketten und roher Mißhandlungen zu schützen, und nur der Wunsch, einen Gefangenen den Machthabern in Konstantinopel vorzuführen und ihm vielleicht wichtige Nachrichten zu erpressen, veranlaßte den Kapitän des Schiffes, wenigstens sein Leben zu schützen.

Bei der Ankunft im Bosporus hatte der türkische Befehlshaber seine Hiobspost sogleich an den Großadmiral überbracht und dabei auch des Gefangenen erwähnt; der Schrecken über die Unglückskunde war jedoch so groß, daß man eines einzelnen Gefangenen wenig achtete, um so weniger, als es nur ein Grieche war. Der Kapitän erhielt einfach die Anweisung, ihn vorläufig auf seinem Schiffe zu bewahren. So lag denn Caraiskakis seit beinahe drei Wochen vergessen und nur von dem Hasse der türkischen Schiffsmannschaft im Gedächtnis behalten, in dem unteren Deck der Fregatte, die am Schloß von Asien ankerte. Die Leiden seiner Gefangenschaft verdoppelten die Besuche des Briten, dessen Bemühungen, ihn als einen persönlichen Gefangenen zu behandeln und in die Haft der englischen Gesandtschaft zu bringen, zwar an der Hartnäckigkeit der Türken gescheitert waren, der aber fast einen um den anderen Tag erschien, um ihn mit Bitten zu bestürmen, ihm das Kind herauszugeben, für das er eine eigensinnige Liebe gefaßt zu haben schien. Aber vergebens – der Sohn des Helden vom Pyräus antwortete auf das Anerbieten der Befreiung und des britischen Schutzes nur mit verächtlichem Schweigen oder dem Ausdruck tötlichen Hasses.

Im stillen aber war der Grieche nicht untätig gewesen. Unter den Seesoldaten, die in seinem Deck häufig Geschäfte hatten, war ihm ein junger Mann aufgefallen, der ihn öfter mit Teilnahme betrachtete. Eine Anrede bei günstiger Gelegenheit, als sie allein waren, überzeugte ihn, daß er einen von den Türken zum Schiffsdienst gepreßten Griechen vor sich habe, und er bewog ihn leicht, einen mit Bleistift geschriebenen Zettel bei seinem nächsten Urlaub an Land zu bestellen.

Der Brief war an den Baron Oelsner von Montmarquett und enthielt die Nachricht von seiner Gefangenschaft. – –

Am Nachmittag war der Baronet wiederum auf dem Taïf erschienen und hatte den Gefangenen bestürmt, ihm eine schriftliche Vollmacht zur Aushändigung des Kindes auszustellen, da er jetzt nach England zurückzukehren beabsichtige. Er versprach, das Kind zu adoptieren, die Heirat mit Diona anzuerkennen und den Knaben zum Erben seines Namens und seines Vermögens zu machen.

Caraiskakis schaute ihn finster an.

»Wenn Sie mir die Schätze der vereinigten Königreiche böten,« sagte er mit Hohn, »und den Sohn Diona's – die Sie feig verläugnet haben – zum ersten Edelmann des mächtigen Englands machen könnten, würden Sie den Knaben doch nicht erhalten, so lange es von mir abhängt. Seine Spur will ich vor Ihren Augen verwischen, und nie soll er den Namen seines Vaters hören, sondern ein Grieche werden mit jeder Faser seines Herzens, der nur Haß atmet gegen das falsche Land seines Erzeugers!«

»So habe, was Du willst und beklage Dich nicht über Dein Geschick. Der Kapudan hat bereits darüber bestimmt und mit dem nächsten Schiffe gehst Du auf die Galeeren nach Kreta. Ich aber schwöre Dir, daß ich nicht ruhen und rasten will, bis ich mein Kind gewonnen, und Edward Maubridge wird dies Land nicht eher verlassen, bevor er seinen Zweck erreicht hat, so wahr er ein Brite ist!«

Caraiskakis lächelte verächtlich, – so schieden sie.

Die Vorgänge des Tages hatten auch über das Geschick des Griechen entschieden. Es war am Abend gegen die zehnte Stunde, als von Tophana her ein Boot an der Seite der Fregatte Taïf schoß und ein Mann in der Kleidung eines türkischen Offiziers auf den Anruf der Wache »Befehl des Großadmirals« antwortete und an der Schiffswand emporstieg. Auf dem Deck fragte er nach dem Kapitän und händigte diesem eine versiegelte Depesche ein. Es war die Ordre des neuen Kapudan Riza-Pascha, den bei Sinope gefangenen Griechen dem Überbringer angesichts des Schreibens zu überliefern.

Baron Oelsner hatte die erste Gelegenheit benutzt, den Verbündeten zu retten. Caraiskakis wurde sofort aus dem Gefängnis geholt und dem Boten übergeben, indem seine bisherigen Wächter und er selbst nicht anders glaubten, als daß er in ein anderes Gefängnis an Land gebracht oder verhört werden solle.

Von seinen Fesseln befreit, statt deren ihm die Hände auf dem Rücken zusammengebunden waren, stieg Gregor in das Boot, der Offizier setzte sich neben ihn und die schwarze Wand der Fregatte war bald hinter ihnen im Dunkel verschwunden.

Nach einigen Minuten, während das Boot im Schatten der asiatischen Ufer hinlief und die zwei Ruderer scharf zu arbeiten hatten, um es bei dem heftigen Winde und den hochgehenden Wellen im Strom zu halten, schnitt der Offizier die Stricke von den Armen des Gefangenen und sagte zu ihm:

»Ich bin ein Bote des Signor Oelsner und habe Ihnen mitzuteilen, daß Sie frei sind. Die Ordre zu Ihrer Überführung nach der Stadt war eine der ersten, die der neue Großadmiral unterzeichnete. Ich begrüße in Ihnen meinen Landsmann, denn diese Kleidung ist natürlich bloß angenommen, um den türkischen Kapitän zu täuschen. Der Baron hat in dieser Nacht wichtige und viele Geschäfte und er hat mir daher aufgetragen, Sie in ein sicheres Versteck im Fanarioten-Quartier zu bringen.«

Caraiskakis dankte dem Landsmann, der sich Geurgios nannte, und er hörte von diesem die wichtigen Neuigkeiten des Tages.

Sie befanden sich jetzt dem Sommerpalaste von Beschiktasch gegenüber und wandten sich nur quer über den Meeresstrom nach dem Grabmal Hayraddins und der Moschee von Auni-Effendi, um auf der europäischen Seite des Bosporus die Fahrt nach dem Goldenen Horn fortzusetzen, als aus dem Schatten des Ufers von Tschiragon ein großer, schwarzer Kaïk, von sechs weißgekleideten Ruderern getrieben, hervorschoß. Geurgios gebot sofort den Seinen zu halten, um den fremden Kahn vorbei fahren zu lassen und flüsterte dem Griechen zu:

»Die Eunuchen des Harems – bei Ihrem Leben, keinen Laut, Freund, was Sie auch sehen mögen.«

Zu seiner Verwunderung jedoch kam der Kahn statt weiter hinaus in den Bosporus zu fahren gerade auf sie zu und hielt in kurzer Entfernung von ihrem Bord. Im Hinterteil des fremden Kaïks stand ein bewaffneter Eunuch.

»Eure Loosung?« fragte der Schwarze.

Der Grieche zauderte einen Augenblick, dann glaubend, daß der Frager wissen wolle, ob er einen Ungläubigen vor sich habe, antwortete er rasch mit den Worten des türkischen Gebets: »Allah la illaha illaha.« Sogleich gab der Schwarze ein Zeichen und das dunkle Fahrzeug schoß an die Seite ihres Kahns. Schon glaubten die Griechen sich verloren, denn die berüchtigten Haremswächter machten wenig Umstände mit den zufälligen Zeugen ihres geheimnisvollen Treibens und die Hand des Geurgios faßte nach den Terzerolen in seiner Brusttasche, – aber zu seiner Verwunderung begrüßte sie der Offizier der Eunuchen mit einem kurzen »Khosch dscheldin! – Nehmt!« – zwei der bewaffneten Ruderer hoben vom Boden des Kaïks einen großen, ungestalteten Gegenstand, gleich einem Sack und warfen ihn achtlos in den Nachen der Griechen, daß dieser von dem Stoß schwankte und umzuschlagen drohte; im nächsten Augenblick schoß das Haremsboot an ihnen vorüber, wandte und kehrte zu dem Ufer zurück.

Die beiden Griechen und auch die Ruderer, die mit den Geheimnissen Stambuls sehr vertraut schienen, atmeten frei auf, als sie auf so schnelle Weise der Gefahr wieder entgangen waren, und die Ruder senkten sich mit doppelter Eile in die dunklen Wogen, daß der leichte Kahn gleich einem Pfeil dahin flog und bald in die ruhigeren Gewässer des Horns einbog.

Noch hatte keiner der Männer die seltsame Last, die ihnen so unverhofft geworden war, zu untersuchen sich Zeit genommen, und nur die konvulsivischen Bewegungen der Hülle und ein leises, unterdrücktes Ächzen und Stöhnen bewies ihnen, daß ein lebendes Wesen darin verborgen war. Erst als sie die zweite Brücke passiert hatten und am Ufer des Fanarioten-Quartiers hinfuhren, deutete Geurgios auf den Sack und fragte:

»Was machen wir damit? werfen wir die Last in das Horn? Hier sind wir sicher vor Spähern.«

Aber Gregor faßte abwehrend seinen Arm.

»Um der Heiligen willen, laßt uns nicht unmenschlicher handeln, als diese Moslems. Es scheint ein Weib in diesem Sack zu sein, und wir wollen die Unglückliche retten.«

»Bah, irgend eine alte Hexe, die im Harem gekeift und sich unnütz gemacht hat! Aber wie Ihr wollt – bei Sankt Demeter, Ihr mögt das Geschenk der schwarzen Burschen dafür zu eigen nehmen und Euch mit der Last beladen.« –

Unweit der Kirche von St. Basil, zwischen dem Balat-Balat-Kapussi (Palasttor) und dem Haivan-Seraï Kapussi – dem Tor der Menagerie, – von dem benachbarten Amphitheater so genannt, wo die Kämpfe der wilden Tiere stattzufinden pflegten, landete das Boot unter einem überhängenden Kaïkschuppen und Geurgios geleitete den Befreiten durch den Ausgang, der am Ende desselben hinauf in ein ziemlich großes griechisches Haus führte, wohin die beiden Ruderer auf seinen Befehl das geheimnisvolle Bündel ihm nachtrugen. Man schien sie erwartet zu haben, denn auf der Veranda waren, trotz des stürmischen, kalten Wetters, mehrere Männer versammelt, und in dem oberen, wohlerleuchteten Gemach, wohin man Caraiskakis führte, brannten wärmende Kohlenpfannen und ein Tisch war mit dem lieblichen Brussawein und dem feurigen schwarzen Rebensaft vom Olymp, den man selbst in Konstantinopel selten echt bekommt, nebst Speisen und Erfrischungen besetzt. In einen Winkel des Gemaches legten die Bootsleute ihre Last, über die Geurgios gegen die Augen der Neugierigen seinen Mantel gebreitet hatte, worauf er ihnen bei Gefahr ihres Lebens anbefahl, auch gegen die Hausbewohner das strengste Schweigen zu beobachten. Dann, als sie allein waren, machte er mit Gregors Hilfe sich daran, den Sack mit einem Dolch aufzuschneiden.

Der Anblick, der sich ihnen zeigte, war überraschend. Ein junges, bildschönes Mädchen, die in reiche türkische Tracht gehüllten Glieder mit einem kostbaren Shawl zu einem Klumpen zusammengeschnürt, lag vor ihnen. Der Mund war ihr durch einen Knebel verschlossen und die Unglückliche offenbar durch die lang andauernde Todesangst in Ohnmacht gefallen. Während Geurgios die Knoten des Shawls löste, befreite sie Gregor von dem Knebel und rieb ihr Stirn und Schläfe mit Wein. Endlich schlug die Schöne die Augen auf, tiefe Seufzer hoben ihren Busen und ihr Blick fuhr wirr und ängstlich umher über die fremden Männer und die unbekannte Umgebung. Dann schrie sie laut auf und warf sich auf die Knie.

»Mordet mich nicht,« rief sie; »für was habe ich meinen Glauben abgeschworen und alles hingegeben, was meiner Jugend teuer war, wenn ich so jung schon geopfert werden soll? Was hab' ich getan – bin ich nicht die gehorsame Tänzerin des Padischah, die Gefährtin seiner Freuden? Hab ich nicht treu der Sultana gedient, meiner Herrin? O, habt Erbarmen, laßt mich leben – es ist so süß und schön zu leben im Glanz der Herrlichkeit, die ich nie gekannt.«

Die schöne Nausika – denn sie war es, die durch den Sultan als Sühne für die geopferte Mariam aus dem Harem verbannt und von dem Kislar-Aga für seinen Gönner Chosrew bestimmt, durch einen Zufall in die Hände der Griechen gekommen war – sah in ihrer reichen Tracht und trotz ihrer Blässe und Todesfurcht, die ihre Wangen bedeckte und das große blaue Auge aus dem Antlitz zu drängen schien, kaum weniger reizend und verlockend aus, als damals, als sie im kurzen Gazegewand als Tänzerin vor den Sultan trat. Die feinen, weichen Hände mit den hennahgefärbten Nägeln über der wogenden, halbentfesselten Brust, lag sie vor den beiden Männern und flehte für ein Leben, das dem Genuß in jeder Fiber stürmisch entgegenklopfte.

Erst als Gregor ihr wiederholt beteuert hatte, daß sie nichts mehr zu fürchten habe, daß sie errettet sei vor der schrecklichen Exekution des Harems, – daß aber Verborgenheit und Geheimnis das Werk der Rettung vollenden und sichern müsse, gewann sie Glauben daran, umfaßte seine Knie und beschwor ihn, sie nicht zu verlassen, indem sie versprach, jedem seiner Winke Folge zu leisten. Eine kurze Beratung zwischen Caraiskakis und seinem Wirt führte den Beschluß herbei, die Odaliske noch ferner vor den Augen der Hausbewohner verborgen zu halten, und sie zu dem Zweck in dem Zimmer, in dem man sich befand, zu lassen, bis es gelungen sei, ihr weniger auffällige Kleidung zu verschaffen, und sie an einen noch verborgeneren Ort zu bringen. Geurgios erklärte dem Landsmann, daß, da auf seinen besonderen Wunsch die Fremde gerettet worden, er auch die Pflicht übernehmen möge, für sie zu sorgen und gern war Caraiskakis dazu bereit, denn das Mädchen hatte schnell einen so wunderbaren Eindruck auf sein bisher nur von anderen Gefühlen entflammtes Herz gemacht, daß er sich jeder Gefahr für sie unterzogen hätte. Er beschloß, den Baron von Oelsner für seinen Schützling zu interessieren und versprach dem Mädchen, als er jetzt einer Aufforderung seines Wirtes folgte, so bald als möglich wiederzukommen, und schloß sie sorgfältig ein.

Geurgios, ein Mann von einigen vierzig Jahren, führte den neuen Bekannten in den unteren Raum des Hauses, wo mehrere Griechen versammelt waren und geschäftig ab- und zugingen. Geurgios schien ihr Haupt, denn ihm wurden alsbald verschiedene Berichte erstattet und Botschaften mitgeteilt. Er machte Caraiskakis mit den Anwesenden bekannt, die er ihm alle als gute Patrioten und treue Anhänger des russischen Zaren und Mitglieder der Hetäre bezeichnete, und Gregor fand bald, daß sie eben so aufgeregt und energisch für den allgemeinen griechischen Traum, die Wiederherstellung des byzantinischen Reiches, schwärmten, wie die Griechen auf den Inseln und dem anatolischen Festlande. Zugleich bemerkte er auch, daß sie sämtlich nur untergeordnete Werkzeuge höherer Leitung und für die Erregung der Massen tätig waren, denn alle wußten zwar, daß in den nächsten Tagen etwas von Bedeutung geschehen solle, ohne jedoch zu erfahren, wo und was. Bei dem Feuer und der lebhaften Phantasie des griechischen Charakters wogte das Geschwätz darüber hin und her.

Nur Geurgios wußte offenbar mehr, und nachdem er verschiedene Mitteilungen angehört, nahm er einzelne bei Seite, sprach mit ihnen eifrig und sandte sie mit Aufträgen fort, so daß bald nur noch drei oder vier Männer zurückgeblieben waren. Ihnen befahl er, aufs neue einen Kaïk zur Fahrt bereit zu machen und wandte sich dann an Gregor.

»Ich habe Sie mit diesen Männern näher bekannt gemacht, was der Signor Baron früher versäumt zu haben scheint, damit, wenn sich irgend eine Gefahr ereignet, Sie Hilfe und Beistand haben. Die Leute, die Sie hier gesehen, haben die meisten Anhänger in der Fanarioten-Stadt und sind in diesem Augenblick bereits bemüht, das Volk für den morgenden Tag vorzubereiten. So viel ich selbst weiß, wird eine Demonstration zur Unterstützung unserer Freunde im Divan stattfinden. Signor Oelsner hat mich wissen lassen, daß ich ihn in Tophana treffen soll, und ich gehe sogleich dahin. Sie werden besser tun, hier zu bleiben, bis ich Ihnen weitere Nachrichten bringe; das Haus ist zu Ihrer Disposition, – die Frauen sind in ihren Schlafgemächern und wissen, daß sie dieselben nicht zu verlassen haben. Zwei meiner Leute bleiben hier zurück und werden für Ihre Sicherheit sorgen. Am besten wird es sein, Sie ziehen sich in Ihr Zimmer zurück, das Sie freilich noch einige Stunden mit unserer unwillkommenen Gesellschaft werden teilen müssen, da ich dieselbe der Schwatzhaftigkeit der Weiber nicht anvertrauen mag, und erst geeignete Kleider mitbringen werde, um sie fortzuschaffen. Gegen Morgen bin ich zurück.«

Damit verließ ihn der Fanariot und bald darauf kehrten zwei der Männer zurück und schlugen ihr Lager auf dem Boden des Zimmers auf.

Caraiskakis beschloß, sich nach dem seinen zu begeben, teils, um seinen seltsamen Besuch zu beruhigen, teils, um selbst einen Ort der Ruhe und Erholung zu suchen. Er fand die Odaliske wach und ganz verändert. Der Schreck und die Furcht waren von ihrem Antlitz verschwunden, und mit dem Gefühl der Sicherheit hatte sich auch Leichtsinn und Gefallsucht wieder eingestellt, denn das Leben des Harems hatte bereits unwiederbringlich die Seele des einst so einfachen und armen Mädchens umstrickt. Sie hatte die Zeit der Abwesenheit der Männer benutzt, um ihren Putz möglichst vorteilhaft wieder herzustellen und ihre Haare zu ordnen. Als Caraiskakis eintrat, saß sie in türkischer Manier auf den Kissen des Divans und naschte von den Erfrischungen.

Der Grieche setzte sich neben sie und begann ein Gespräch mit ihr. Die Naivetät ihrer Hingebung, die kein Gefühl der Zurückhaltung und Scham kannte, ohne doch niedrig und gemein zu sein, überraschte ihn.

Nausika zählte jetzt achtzehn Jahre, ein Alter, in dem bei den Frauen des Orients die üppigste Blüte der Reize eingetreten ist, denn später werden sie häufig zu voll und ungeschickt. Ihre Augen und Lippen strahlten Koketterie und Genuß, der Busen atmete üppige Sinnlichkeit. Aus dem armen griechischen Mädchen hatten zwei Jahre türkischer Erziehung die vollkommenste Odaliske gemacht, die sich bemühte, jede Erinnerung ihrer Vergangenheit zu unterdrücken.

Vergeblich fragte sie daher Caraiskakis nach dieser Vergangenheit; – die Eitelkeit des Mädchens ließ sie sich für eine Georgierin ausgeben, und da sie sich von Anfang an nur der türkischen Sprache bedient und mit nichts verraten hatte, daß sie das griechische Gespräch der Männer wohl verstanden, war es ihr leicht, ihren neuen Beschützer zu täuschen, indem sie ihm andeutete, daß sie zwar als Christin geboren, jedoch schon vor vielen Jahren als Sklavin nach Stambul gekommen sei und den Islam habe annehmen müssen. Über die Ursache, die sie so plötzlich aus der Gunst des Großherrn und in die Gefahr des Säckens gebracht hatte, erzählte sie, der Wahrheit gemäß, daß ihr dieselbe ganz unbekannt sei.

Für die Fragen welche der Grieche getan, richtete sie hundert andere an ihn. Sie hatte genug von dem Leben des Harems gesehen, um zu wissen, daß sie keine Aussicht habe, je wieder das Serail zu betreten, und die Todesfurcht, die sie ausgestanden, ließ auch einen solchen Wunsch gar nicht aufkommen. Dagegen ging all' ihr Sehnen und Denken bereits auf die Mittel, sich auf andere Weise ein Leben voll jener Genüsse, die sie kennen gelernt, mit möglichster Freiheit verbunden, zu verschaffen, und als Caraiskakis ihr die Versicherung gab, daß er sie von Konstantinopel wegführen und für sie sorgen werde, schloß sie scharfsinnig, daß es ihm auch an den Mitteln dazu nicht fehlen könne, und setzte alle Künste der Koketterie in Bewegung, sein Herz zu erobern und seine Sinne zu bestricken.

Ihre Hand schenkte ihm den feurigen Wein des Olymp in den Becher, ihr reizender Mund plauderte ihm von jenen seltsamen, lüsternen Geheimnissen des Harems, die das Blut wallen machen. Dem Manne, der eben dem scheußlichen Aufenthalt eines türkischen Schiffsgefängnisses entronnen, noch die schweren Fesseln an seinen Gliedern zu fühlen glaubte, der wochenlang nichts als die gröbste ekle Kost genossen, nur das finstere Antlitz fanatischer Moslems gesehen, – däuchte es wie ein Traum, jetzt hier im wohldurchwärmten, mit Teppichen belegten Zimmer zu sitzen und die Blicke in die glänzenden Augen der schönen Odaliske zu tauchen, – so schön, – so schön, wie er noch nimmer ein Weib gesehen; von ihrer weichen Hand berührt zu werden, den feurigen Wein aus demselben Becher zu schlürfen, den noch eben ihre purpurnen Lippen berührt hatten.

Der finstere, ruhige Mann, der Patriot, dessen Herz nur dem Unglück des Vaterlandes schlug, der so viel für sein Idol schon gelitten, – wo blieb die Erinnerung an Kampf und Sieg vor dem vernichtenden, verzehrenden Hauch der Leidenschaft, die sein Inneres so plötzlich, so gewaltig erfaßt? Wo blieb die katonische Tugend vor dem Sirokko des aufgeregten Blutes, das so lange Jahre unterdrückt, jetzt die Bande sprengte und tyrannisch durch seine Adern tobte?

Er erhob sich, – er wollte das Gemach verlassen, um bei den beiden Fanarioten sein Lager zu suchen, – aber er bedachte, daß das ihre Aufmerksamkeit und ihren Verdacht erregen müsse. Die Odaliske flog nach der Tür und schob den Riegel vor, sie flehte ihn an, sie in dieser Nacht der Gefahr und Angst nicht zu verlassen, und Gregor Caraiskakis, der starre, tugendhafte Patriot, lauschte den Worten des schönen Weibes und blieb. Mit koketter Geschäftigkeit bereitete ihm das Mädchen an einem Ende des Divans das Lager und führte ihn dahin. Dann häufte sie für das ihre die Kissen und Polster auf der entgegengesetzten Seite.

Die beiden Kerzen auf dem Tische löschte ihr Hauch – bald hörte der Grieche nur noch die schweren wogenden Atemzüge seiner Gefährtin.

So verging eine Zeit, – trotz der körperlichen Erschlaffung vermochte auch er nicht die Ruhe zu finden. Ein tiefer, sehnsüchtiger leidenschaftlicher Hauch schwellte seine Brust und drang über seine Lippen.

Da faßte eine weiche sammetne Hand seine fieberglühende, ein üppig runder Arm umschlang ihn, und der süße Atem eines heißen Mundes flüsterte dicht an dem seinen:

»Warum verschmäht mein Herr und Retter seine Sklavin? Soll das Herz allein ihm gehören und nicht der Leib? Möge mein Gebieter seine Dienerin nicht verachten!«

Und die buhlerischen Künste des Harems umstrickten ihn, die heißen, glühenden Lippen sogen auf den seinen, weiche, üppige Formen drängten und schmiegten sich an ihn – Vaterland – Freiheit – alles war vergessen in dem entzückenden Rausch.

Der Todfeind der Moslems ruhte wonnetrunken an dem Busen der verbannten Odaliske des Großherrn, der Gerettete und Befreite schwelgte in den wollüstigen Reizen der Tochter des Mannes, welcher kaum vor zwei Monden vorher für ihn, für seine Freiheit und Zukunft das Haupt dem Yatagan des türkischen Henkers geboten hatte, – Gregor Caraiskakis im Arm, am Busen von Nausika, der Tochter des Janos!

Auch der zweite der tapferen, der edlen Brüder, die den Heldenkampf begonnen, war der Versuchung erlegen, der eine im Harem zu Skadar, der andere im Fanariotenhause zu Stambul.

Was will alle Kraft der erhabensten Empfindungen, alle Begeisterung der Tugend und Ehre gegen die Katarakten des erregten Blutes und den Samum der Leidenschaft.


In einem streng nach türkischer Sitte eingerichteten großen Gemache des Seraskiats waren an diesem Abend die Mitglieder der Kriegspartei im Ministerrat und seine Vertrautesten um Mehemed Ali zu einer ernsten Beratung versammelt: Arif-Hikmet-Bei, der Scheik ul Islam des Reichs, Mahmud-Pascha, der bereits abgesetzte Großadmiral, Mehemed-Nudschi, Hayreddin-Pascha und Safeli-Pascha, der neue Finanzminister. Auf einem Ehrenplatz des Divans, mitten zwischen den Moslems saß ein Mann in europäischer Kleidung von mittleren Jahren, dessen langgestrecktes, schmales Gesicht, rötlich blondes Haar und wasserblaues, kaltes und beobachtendes Auge den Briten verriet. Es war Master Alison, der orientalische Sekretär der britischen Gesandtschaft in Konstantinopel, die rechte Hand des Viscount de Redcliffe, und durch seine Gewandtheit und Kenntnis der orientalischen Verhältnisse zur Zeit eine der einflußreichsten Personen in Konstantinopel.

Jeder, der mit den Geheimnissen der türkischen Diplomatie einigermaßen bekannt war, wußte sehr wohl, daß bis jetzt sämtliche Antworten und Noten der Pforte aus der Feder Master Alison's gekommen waren.

Die Beratung war ziemlich stürmisch und die Stimmung noch erbitterter, als der britische Sekretär, durch seine Dragomans – diese unübertrefflichen britischen Spione und Agenten bei der Pforte – aufs genaueste unterrichtet, ihnen mitteilte, daß der Großherr bereits die Fermans unterzeichnet habe, welche auch Ruschdi-Pascha sofort vom Kommando der Garden und Hayreddin vom Amt des Polizeiministers enthoben und letzteren als Inspektor der Armee nach Asien sandten.

Der Seraskier sah sehr wohl ein, daß der nächste Schlag gegen ihn selbst gerichtet sein und daß sein Todfeind Halil damit nicht säumen werde.

Von ihm, oder vielmehr durch ihn von der Sultanin Adilé, war daher auch der erste Gedanke des bewaffneten Widerstandes und einer gewaltsamen Demonstration angeregt worden, bei deren Beratung sich Master Alison jedoch jeder Einmischung enthielt, indem er erklärte, daß seine diplomatische Stellung ihm die Billigung einer Auflehnung gegen den Willen des Großherrn verbieten müsse, während er auf der anderen Seite geschickt durch ein hingeworfenes Wort den Gang der Beschlüsse zu leiten verstand.

Nur als der wilde Mehemed, von seiner Erbitterung hingerissen, von dem geistlichen Vorstande des Reichs verlangte, daß wenn der Großsultan Abdul-Medjid bei der Neigung zu ihren Gegnern verharren sollte, er ab- und Abdul-Aziz, sein Bruder, an seine Stelle gesetzt werden müsse, erklärte der Brite sehr energisch, daß die verbündeten Mächte, denen der schwankende leitbare Charakter des regierenden Padischah's sehr passend war, die Ausführung eines solchen Planes nicht dulden und die Flotten sofort einschreiten würden. Ebenso sprach er sich gegen eine Militär-Revolution aus, die Ruschdi-Pascha vorschlug, der sich der Garden versichert glaubte.

An eine Palast-Revolution war bei der Stellung der Parteien nicht mehr zu denken, es blieb nur noch das Volk, – dessen Demonstration um so bedeutender sein mußte. Außerdem hat das Volk einen breiten Rücken und man konnte der Gerechtigkeit gegen dasselbe später freien Lauf lassen, ohne sich selbst zu schwächen, ja im geeigneten Moment gegen den erregten Sturm wieder auftreten und das Verdienst gewinnen, den Thron gerettet zu haben.

Man beschloß demnach, an das Volk zu appellieren und die Meute in Bereitschaft zu halten. Das Volk wird vom Fanatismus regiert, und der Scheik ul Islam erhielt daher den Auftrag, seine Armee wieder in Bewegung zu setzen.

Während man noch über die Art und die Zeit des Aufruhrs stritt, erschien einer der vertrauten Tschokadars des Seraskiers, um zu melden, daß ein Grieche dringend Hayreddin-Pascha zu sprechen wünsche. Der Polizeiminister verließ das Gemach und ließ den Mann in eins der nächstliegenden bringen, da ein mit verschiedenen Merkmalen bezeichnetes Goldstück, das der Grieche der Botschaft hinzugefügt, ihm zeigte, daß der Fremde einer seiner Spione in der Hauptstadt war.

Es ist eine Tatsache, daß, während auf der einen Seite unter den Griechen die todesmutigste Aufopferung und Hingebung an ihre National- und Glaubensinteressen herrschte, auf der anderen auch die nichtswürdigste Feigheit und Gesinnungslosigkeit sich kundgab und schändlicher Verrat in jeder Weise geübt wurde. Nur in dieser Entartung des Volkes, der kriechenden Demut und Feigheit der Masse ist die Ursache zu suchen, daß die türkische Herrschaft so drückend seit Jahrhunderten auf diesem Lande lasten konnte.

Der Polizeiminister hatte seine zuverlässigsten Spione unter der griechischen Bevölkerung und war von den Vorgängen und Bewegungen unter derselben stets aufs beste unterrichtet. Die Kunde, die er soeben empfing, überraschte ihn jedoch, da sie ganz unerwartet kam und die Verschworenen der Friedenspartei rasch und vorsichtig zu Werke gegangen waren. Die Nachrichten waren freilich nur unvollständig, da Baron Oelsner, als der Leiter der Demonstration, die Unzuverlässigkeit der Griechen zu gut kannte, um seine Pläne vor der Zeit zu enthüllen, doch waren sie immerhin genügend, ihre Bedeutung und die drohende Gefahr ermessen zu lassen. Der Pascha sandte den Griechen zurück, um nach weiterer Kunde zu spähen, und erteilte dem Khawaß-Aga, der ihn zum Seraskiat begleitet hatte, einen Befehl, ehe er aufs neue zu der Beratung der Minister zurückkehrte.

»Mashallah,« sagte er, seinen Bart streichend, »ich habe wichtige Nachrichten für das Ohr meiner Freunde. Die Teufel von Anhängern der Moskows sind nicht müßig und wollen uns zuvorkommen. Die Griechen im Fanarioten-Quartier und in Demetri werden auf morgen zusammenberufen, und sollen sich auf dem Okmeidan versammeln. Haiwan der, es sind Tiere, aber ihre Zahl ist groß. Wir wissen nicht, was sie vorhaben.«

Die Nachricht war von Wichtigkeit und rief eine neue Besprechung hervor. Dem Scharfsinn des Briten und der bedächtigen Schlauheit der Orientalen konnte es nicht verborgen bleiben, daß die Bewegung der griechischen Bevölkerung gemacht und bestimmt war die Maßregeln der Friedenspartei zu unterstützen, und daß eine offene Demonstration zu Gunsten Rußlands in der Hauptstadt bei den schlimmen Nachrichten, die täglich aus den rumelischen Provinzen über die Stimmung der Bevölkerung eingingen, die Geneigtheit des Großherrn zum Friedensschluß nur verstärken und seine Besorgnis erhöhen mußte.

Zum ersten Male mischte sich der englische Sekretär direkt in die weitere Beratung.

»Ich sehe keine Gefahr,« sagte er ruhig, »wenn rasch gehandelt wird. Was auch der Divan morgen beschließen möge, die Sitzung des Ministerkonseils wird allein die Entscheidung geben. Man möge dieselbe nicht im Palast von Tschirigan oder in der Pforte halten, sondern im Seraskiat. Ich kenne Seine Hoheit den Seraskier zu gut, um nicht zu wissen, daß hier die Entscheidung nach seinen Wünschen ausfallen wird.«

Der funkelnde Blick des Kriegsministers gab ihm die Versicherung.

»Unserm Freunde Hayreddin-Pascha wird es ein leichtes sein, die Griechen einzuschüchtern und ihre Aufmerksamkeit nach einer anderen Richtung zu leiten. Er wird nicht ohne Freunde sein unter der griechischen Bevölkerung.«

Hayreddin machte das Zeichen der Zustimmung.

»Wenn man die griechische Bewegung auf das Ufer jenseits des Goldenen Horns beschränkt, werden die Moslems die Herren in Stambul bleiben. Es liegen vier unserer Kriegsschiffe vor der Stadt; die Gesandten werden noch einige andere von Beykos kommen lassen. Das Geschwader wird stark genug sein, um nötigenfalls eine Auflehnung nach jeder Richtung hin in Schranken zu halten.«

Die türkischen Minister schauten einander an; sie begriffen sehr wohl, was der Brite mit dem Ausdruck »nach jeder Richtung« meinte.

»Die Zusammenrottung der Griechen,« fuhr dieser ruhig fort, »wird die beste Veranlassung geben zu einer Demonstration von Seiten der alttürkischen Partei. Es wird ihre Sache sein, zu bewirken, daß die russischen Sympathien nicht den Sieg davontragen, und zu dem Ende wird es gut sein, wenn man sich der geheimen Agenten versichert, deren Umtriebe man bisher in so unverantwortlicher Weise geduldet hat.«

»Allah sende ihnen Unglück!« meinte der Polizeiminister; »ich habe Nachricht erhalten, wo meine Leute zwei derselben finden können, und wir werden nicht säumen, so lange der Kopf auf unseren Schultern sitzt. Auf meine Gefahr komme es!«

Der Engländer entfernte sich hierauf aus der Versammlung, deren Teilnehmern die weiteren Verabredungen überlassend. Eine Stunde später schieden auch die anderen Mitglieder, und Hayreddin-Pascha kehrte in seine Behausung zurück, die unfern der Hohen Pforte belegen war. Dort erteilte er einige Befehle und verließ dann, in einen weiten, kurdischen Mantel gehüllt, und nur von einem neben seinem Pferde hergehenden Diener begleitet aufs neue das Haus. Sein Weg führte zur Moschee der Sultana Walide, der nächsten an der Brücke von Galata. Hinter derselben, nach dem großen Bazar zu, findet sich ein freier mit Platanen besetzter Platz, an dessen Zugang der türkische Minister vom Pferde stieg, das er der Obhut seines Dieners anvertraute. Als ein vorsichtiger Mann überzeugte er sich nochmals, daß der Griff zweier Pistolen unter dem Mantel zur Hand war, und indem er die Kapuze über den Kopf zog, betrat er den Platz und schritt auf die Terrasse der Moschee zu. Auf den oberen Stufen des Rundganges, im Schatten der hohen Mauern, fand er zwei seiner harrende Personen, den Khawaß-Aga, den er mit einem Auftrage aus dem Seraskiat abgesandt und einen fremden Mann. Es war Kahvedschi aus dem Malthesergäßchen in Galata, in dessen Hause Fuad-Effendi vor etwa zwei Monaten den ungarischen General aufgesucht. Die Abwesenheit des fähigen und schlauen früheren Ministers des Auswärtigen, gerade in diesem Augenblicke der Gefahr, war von den Führern der Kriegspartei bei ihren Beratungen schwer empfunden worden, während ihre Gegner dieselbe eifrig benutzten.

Der Pascha flüsterte seinem Untergebenen einen Befehl zu, worauf dieser, die Hand am Säbel, in einige Entfernung zurücktrat, so daß er das Gespräch nicht hören konnte. Hayreddin ließ sich auf einer der die Balustrade des Aufgangs bildenden Marmorquadern nieder und winkte dem Mann, heran zu treten, bis dieser in der Entfernung von drei oder vier Schritten von ihm war, wo ihm der Pascha – durch die Balustrade von ihm getrennt und gesichert – befahl, stehen zu bleiben.

»Du bist Demetrio, der Kahvedschi aus der Malthesergasse?« fragte er.

»Wie Euer Exzellenz befehlen.«

»Vor drei Tagen sind in Deinem Hause zwei Galiandschi (Matrosen) von den Schiffen der ungläubigen Inglesi, ermordet worden?«

»Bei der Seele meines Vaters!« schwor der Grieche, »Ihr seid falsch berichtet, o Effendi mou. Ich weiß von keiner solchen Tat.«

»Willst Du in meinen Bart spucken, ungläubiger Hund?« zürnte der Pascha, »ich kenne Dich und Dein Haus, es ist das berüchtigtste von ganz Stambul, und meiner Nachsicht hast Du es zu danken, daß die Mordgrube geduldet wird. Aber tue Deine Augen auf, Mann und höre, was ich Dir zu sagen habe. Die Inglis sind eine Nation, die nicht mit sich spielen läßt, und bei der ersten neuen Klage werde ich Dir den Kopf vor die Füße legen.«

»Sen ektiar der – Ihr seid der Herr, was kann ich tun,« winselte der Grieche. »Es gibt viele schlimme Häuser diesseits des Horns und es fehlt nicht an Räubern und Mördern in Konstantinopel. Wie soll ich verhindern, daß ein Franke beraubt und erschlagen wird?«

»Bosch! was geht mich das an? In Deinem Hause sind die Galiandschi ermordet worden, und ich habe den Beweis und schicke Dich vor den Kadi, wenn Du nicht tust, was ich Dir befehle.«

Der Grieche spitzte die Ohren.

»Ich küsse den Staub Eurer Exzellenz, ich bin der Sklave Ihres Wortes.«

»Wie viel Männer zählst Du in diesem Augenblick zu Deiner Bande?«

»Euer Exzellenz sind im Irrtum …«

»Pesevenk (Schurke), antworte!«

»Wenn Euer Exzellenz nicht anders wollen,« sagte entschlossen der Mann, »es sind sechsundzwanzig.«

»Und wieviel vermagst Du bis morgen Abend zusammenzubringen?«

»Das ist nicht schwer, mindestens zweihundert.«

»Das genügt. – Es wird morgen eine Versammlung von Griechen auf dem Okmeidan stattfinden.«

»Ich habe davon gehört.«

»Wohl! Laß Deine Freunde sich nicht in die Sache mischen und ihre Hand fern davon halten.«

»Das wird schwer halten,« meinte der Grieche; »es sind Teufel, die sich nicht zügeln lassen.«

»Nun, bei meinem Bart, wenn sie Teufel sind, so will ich sie zu Azraël, dem Höllenfürsten, senden; ich bin nicht hierher gekommen, daß Du mir in den Bart lachst, Hund von einem Kahvedschi! Du weißt daß Du mit einem sprichst der die Macht hat zu befehlen und Euch alle aus Stambul zu jagen. Ich habe andere Arbeit für Dich und Deine Freunde.«

»Das ist etwas anderes Exzellenz; wir werden gehorchen.«

»Du weißt in der Fanariotenstadt Bescheid?«

»Ich bin dort geboren Exzellenz.«

»Bana bak! Du wirst dafür Sorge tragen, daß morgen Abend um die zweite Stunde eine große Feuersbrunst in dem Quartier entsteht.«

»Es ist ein Leichtes. Wie viel befehlen Euer Exzellenz, daß wir anzünden sollen?«

Der Pascha lachte, indem er sich den Bart strich.

»Ein Hund ist ein Hund, wenn man ihn auf die Fährte bringt. Es wird genügen, zwei oder drei Häuser anzustecken, der Wind wird das übrige tun. Kennst Du das Haus des Fanarioten Geurgios?«

»Jawohl, Effendi.«

»Pek äji, sehr gut. Wenn der Lärm am größten ist, wirst Du mit einigen Gefährten in das Haus dringen. In dem oberen Gemach nach der Wasserseite sollen sich zwei Personen verborgen halten. Es wird gut sein für Dich, wenn ich nicht mehr von ihnen höre.«

»Es soll geschehen, wie Ihr befohlen, Effendi.«

»Inshallah, ich habe nichts dawider, wenn Ihr auch einige Häuser dieser Schurken von Fanarioten plündert, aber es muß ein Ende haben. Du verstehst mich!«

Der Kaffeewirt lachte.

»Lassen Euer Exzellenz uns machen. Gibt es nichts für uns zu tun in den Quartieren jenseits des Horns?«

»Bakalum, warte. Unter den Schweinen seid Ihr Griechen die klügsten. Ich erlaube Euch, in Demetri und Cassim-Pascha zwei oder drei Häuser zu plündern, aber bei meinem Bart, ich lasse Deine Eingeweide den Hunden vorwerfen, wenn Ihr mehr tut als das und einen Brand in den Frankenstädten macht. Die Dschaurs dürfen nicht beleidigt werden. Jetzt kennst Du meinen Willen, Sohn eines Juden und einer Teufelin. Haltet Euch fern von allem, was morgen sonst in Stambul geschieht; Du bürgst mir dafür mit Deinem Kopf.«

Der Kahvedschi verbeugte sich.

»Es ist ein böses Stück Arbeit,« sagte er, »was Ihr mir auftragt. Wer bezahlt uns dafür?«

»Hund, Sohn eines Hundes, was erfrechst Du Dich?« schnaubte der Pascha. »Ist es nicht genug, daß ich Dein Leben schone, da ich in jedem Augenblick Deinen Kopf zwischen Deine Beine stellen lassen kann?«

»Euer Exzellenz mögen ein mächtiger Mann sein,« sagte der Grieche demütig, »aber ich kenne Sie nicht. Meine Gefährten sind nur mit Gold zu leiten.«

»Du wirst hundert Ghazis erhalten übermorgen, auf dieser Stelle und zu dieser Stunde, wenn Du Deinen Auftrag gut erfüllt hast. So wahr ich ein Muselmann bin. Geh'!«

Der Grieche – der Bandit und Räuber – vertraute unbedingt dem Worte des Moslems und entfernte sich.


Um elf Uhr vormittags am nächsten Tage begann die Divansitzung im Palast der Hohen Pforte. Bereits am Morgen war dem Seraskier die Absetzung Mehemed Ruschdi's vom Kommando der Garden und der Befehl zugegangen, seinen Nachfolger einzuführen; Mehemed Ali verzögerte jedoch unter dem Vorwande überhäufter Geschäfte die Ausführung der Ordre. Für Hayreddin-Pascha war unglücklicherweise ein abwesender Nachfolger ernannt, und er mußte bis zum Eintreffen desselben sein Amt behalten. Die Friedenspartei hielt sich jedoch ihres Sieges gewiß, da sie keine Ahnungen von den energischen Vorbereitungen der Gegner hatte und diesmal der Beständigkeit des Sultans vertraute.

Bereits bei Beginn des Divans begannen die Griechen des Fanarioten-Quartiers und der Vorstädte nach den ausgegebenen Ordres, auf dem Okmeidan, dem Pfeilplatz, auf der Frankenseite des Horns, in Gruppen sich zu versammeln. Der Platz, oberhalb des Arsenals und der großen Schiffswerfte von Terschana gelegen, diente in früheren Zeiten zur Belustigung der Sultane im Bogenschießen, und Hunderte von Steinen zeigten die Stellen, bis zu welchen die Geschosse der Herrscher getrieben worden. Jetzt war der Platz öde und vereinsamt, aber ein Lieblings-Versammlungsort der Griechen, die sich hier freier bewegen konnten, als unter der dicht gedrängten türkischen Bevölkerung von Stambul selbst. Es war jetzt unter den Griechen kein Geheimnis mehr, daß nach dem Siege im Rat ein großer Zug zum Palast des Sultans stattfinden sollte, um von ihm die Ausführung des Divanbeschlusses und den Frieden mit Rußland zu verlangen. Die Masse der Bittsteller mußte dieser Demonstration ein drohendes Gewicht geben.

Im Divan wurde die Beratung stürmisch. Da Redschid-Pascha die bestimmtesten Weisungen erhalten hatte, konnte er nicht anders, als sich der Partei des Großwessirs und Chosrews anzuschließen und für den Frieden zu reden. Das Gold und die Versprechungen Halils hatten ihre Wirkung getan, und die Majorität, die sich bei der endlichen Abstimmung nach langem und heftigem Streit für die Einleitung der Friedens-Verhandlungen auf Grund der Note der vier Großmächte erhob, war eine bedeutende.

Nur die Ulema's und Karaskier's mit dem Scheik ul Islam an ihrer Spitze, und die persönlichen Freunde und Vertrauten des Kriegsministers stimmten dagegen.

Das Resultat durch rote und weiße Kugeln war kaum bekannt, als der Seraskier und mit ihm Arif-Hikmet, der Scheik ul Islam und Großmufti des Reichs, sich erhoben und in zornigen Reden erklärten, daß sie sich dem Beschlusse nicht fügen, sondern sofort an das Volk appellieren würden, da der Islam nur durch einen Sieg über seine Feinde gerettet werden könne. Sie verließen sofort mit ihren Anhängern den Divan und begaben sich nach der Aia-Sophia.

Dies war nachmittags um fünf Uhr.

Eine Menge Volkes hatte sich um den Palast der Hohen Pforte versammelt und wie ein Lauffeuer drang die Kunde durch die weite Stadt.

Die ausgestellten Boten brachten die Nachricht nach dem Okmeidan; sie war das Signal zur Demonstration. Fahnen mit den Inschriften: »Frieden mit Rußland!« »Bürgerliche Rechte den Rajah's!« »Es lebe der Kaiser Nikolaus, unser Beschützer!« – bunte Laternen mit ähnlichen Devisen und Karrikaturen auf die Westmächte tauchten überall wie durch Zauberei auf und Redner erhoben sich auf den Denksteinen umher und redeten das Volk an.

Der Gang der Bewegung war offenbar genau vorher bestimmt. Die Menge, die sich aus den griechischen Quartieren hier versammelt hatte, belief sich auf mehr als zwanzigtausend Menschen und behauptete den Platz und seine Umgebungen trotz des stürmischen Wetters, das bereits den ganzen Tag über getobt hatte. Unter dem Grollen des Donners und dem Leuchten der Blitze, – eine in Konstantinopel in dieser Jahreszeit ungewöhnliche Erscheinung – begann der Zug sich zu ordnen, der noch an demselben Abend seinen Weg nach Tschiragan nehmen und eine Bittschrift an den Sultan übergeben sollte.

In diesem Augenblicke erst verbreitete sich die Nachricht von der Gegendemonstration, welche die türkische Bevölkerung auf der anderen Seite des Horns in Stambul vorbereitete, und erregte schon durch das Unbestimmte der Nachricht großen Schrecken unter den Griechen.

Der Scheik ul Islam mit dem Kriegsminister und seinen Anhängern hatte sich, wie bereits erwähnt ist, in die Aia-Sophia begeben. Mehrere mit ihren Führern darin befindliche Christen, meist Offiziere, wurden höflich ersucht, dieselbe zu verlassen und die Moschee ward hierauf abgesperrt. Zu gleicher Zeit versammelten sich die Softas, die Studenten der türkischen Theologie und Rechtswissenschaft, deren Zahl in Konstantinopel über dreitausend beträgt, in der Moschee des Sultans Achmed am Hippodrom, und das Volk füllte den ungeheueren Platz.

Einen dritten Heerd der Bewegung – gefährlicher noch als die beiden genannten Orte – bildete die Mahmudje, – die Moschee (Dschami) Sultan Mahmud II., des Eroberers von Konstantinopel. Sie steht in der Nähe des Fanarioten-Quartiers, auf der Stelle, wo einst einer der schönsten Tempel des christlichen Byzanz prangte: die Kirche der heiligen Apostel. In den Totengrüften ruhten von Konstantin an die Gebeine der meisten morgenländischen Kaiser in kostbaren Sarkophagen, bis die Lateiner unter Balduin und Dandolo sie der heiligen Stätte entrissen. Mahmud baute die Moschee, die nach seiner Ansicht die Sophia überragen sollte, und weil sie das nicht tat, ließ der Tyrann dem Baumeister Christodolus beide Hände abhauen. Die Moschee mit ihren Säulengängen und Vorhöfen, in denen unter hohen Cypressen die Fontaine plätschert, ist die Hochschule der Softa's und hat in ihren Anbauten über 360 Zellen als Wohnungen. Von hier aus war die Masse zwar zur Achmetje (Moschee des Sultans Achmed) gezogen, dagegen eine Anzahl vertrauter Schüler zurückgeblieben, um die sich versammelnde Bevölkerung der inneren Stadtteile zu bearbeiten und mit der erregten Masse die griechischen Quartiere zu bedrohen.

Die drei Sammelpunkte des Aufruhrs standen durch Boten fortwährend in Verbindung und mit Genugtuung hörten die Leiter der Bewegung, wie die Zahl und Aufregung der Masse in der Mahmudje und auf dem Atmeidan oder Hippodrom fortwährend schwoll. Dieser Platz des Kaisers Sever, einst die Schaubühne der Rennen und Spiele, durch berühmte Kunstwerke geschmückt, ist jetzt eine elende Stätte von kaum noch 250 Schritten Länge und 150 Breite, während er im Altertum wohl viermal so groß war. Die Achmetje und schmutzige Häuser und Hütten haben ihn beengt, und wo sonst die Statue des Herkules Trihesperus kniete, oder die Wölfin des Romulus stand, das eherne Nilpferd, Scylla und Charybdis und das reizende Bild der griechischen Helena, wallendes Haar um den liebepredigenden süßen Leib; – wo einst die Wagen in der siebenmaligen Runde vor dem Cäsar um den Platz donnerten und auf dem Turme die vier goldenen Rosse prangten, die ihren Weg auf die Marcuskuppel von Venedig gefunden haben – da hält jetzt nur ein schmutziger türkischer Kaffeewirt unter einsamer Sykomore oder Platane seine traurige Boutique aufgeschlagen. Welche Taten und Geschicke hat dieser Platz gesehen, welche Ströme von Blut getrunken! Alle Revolutionen des alten und neuen Byzanz gingen von ihm aus; hier wurde Gratianus Augustus durch die Meuchler ermordet; da an der Achmetje, mit ihren goldenen Kandelabern und smaragdenbesetzten Ampeln, im Totengarten der prächtigen Moschee, ruhen neben den Gebeinen ihres jungen Erbauers die Leichen seiner Söhne, Sultan Osmans II., der seine frühe Regierung mit dem Morde des Bruders begann und nach achtzehn Jahren selbst von den Janitscharen erschlagen wurde, – die Leichen Murats IV. und seiner von ihm gemordeten Brüder Bajazet und Suleiman! Auf dem Atmeidan entfaltete der Großwessir unter dem vorigen Sultan die Fahne des Propheten und führte die Meute zum Mordsturm auf die Kaserne der Janitscharen.

Und dennoch waren es gerade die Manen dieser, die man rachedrohend gegen den Sohn ihres Vernichters heute heraufbeschwor. Die Pforten der Achmetje öffneten sich und von den Treppen und Terrassen hielten die Softas feurige Reden an das Volk. Überall unter der Menge tauchte zugleich der Turban der Janitscharen auf, das grüne Band, ihr gefürchtetes Wahrzeichen flatterte vom Sturm gepeitscht, über den Köpfen der Menge. Der Ruf nach Krieg mit den Dschaurs, nach Entfaltung der Fahne von Mekka, nach Absetzung des Sultans, scholl aus hundert Kehlen, und die Menge heulte es nach und der Name Abdul Aziz', als des neuen Padischahs, klang schon, trotz der Beteuerungen der Minister gegen Master Alison, tausendfach in die drohende Gewitternacht. – –

Vor Tophana lagen zwei Schiffe der vereinigten Flotten, die »Queen« von 120 Kanonen und der Zweidecker »London«, ihre gähnenden Breitseiten gegen die Stadt gerichtet. In den Docks von Thersana lag, außer einer preußischen Korvette, die durch einen unglücklichen Zusammenstoß im Bosporus beschädigt worden, die englische Fregatte »Tiger« zur Reparatur. Sie war bei der Einfahrt ins Marmormeer auf einen verborgenen Fels gestoßen und hatte ein starkes Leck erhalten. Eine Menge Offiziere und Matrosen des bei Beykos und Bujukdere ankernden Geschwaders befanden sich außerdem auf Urlaub in Konstantinopel.

Am Vormittage hatte die Fregatte »Tiger« zwei Boote nach dem Ufer der Fanariotenstadt gesandt, um aus einem der griechischen Magazine, die sich dort befinden, Schiffsvorräte in Empfang zu nehmen. Während der Deckmeister Adams mit den Matrosen die Gegenstände abnahm und verlud, trieben sich die beiden, den Booten beigegebenen Midshipmen, Frank Maubridge und Gosset, in der Umgebung der Magazine umher oder streiften neugierig durch die Gassen, das ihnen neue Leben und Treiben beschauend. Von Zeit zu Zeit mußte freilich einer von ihnen zum Magazin, wenn der alte Deckmeister eine Ladung zu Schiffe brachte, um während der Zeit die Aufsicht über Mannschaft und Vorräte zu halten; im ganzen aber waren sie bei dem Willen, den der alte Adams ihnen ließ, ziemlich frei, wie sich Midshipmen immer zu machen wissen, und der Kaufherr, welchem die Magazine gehörten, bewirtete sie mit der seiner Nation eigentümlichen Geschmeidigkeit reichlich.

Eben war die Reihe umherzustreifen an Frank – einem hochaufgeschossenen Burschen, der, obschon erst 17 Jahre, doch bereits durch das Seeleben ein männliches Aussehen hatte, während der kleine, zu jeder Teufelei geneigte Gosset mit gekreuzten Beinen und einem seine doppelte Länge messenden Nargileh zwischen den Zähnen prahlerisch auf einem Teppich im Vorhause des Magazins saß und den unvermeidlichen Kaffee schlürfte. Frank Maubridge zog in der Nähe des Wassers umher durch die engen Straßen und kleinen bis ans Horn laufenden Höfe. Es war Mittagszeit und der Stadtteil bereits öde und verlassen, denn alle, die nicht Geschäfte zurückhielten, zogen sich nach dem Okmeidan hin, und die Kaïks kreuzten mit Zuströmenden fortwährend über die Meeresfläche.

Ein griechisches Haus, größer als die anderen und nahe dem Wasser, war dem jungen Manne schon am Morgen aufgefallen; Tür und Jalousien waren verschlossen, aber als er aufmerksam umherspähte, um womöglich etwas von den interessanten Geheimnissen der Frauengemächer zu erlauschen, öffnete sich wirklich eine der Jalousien und ein junges Weib in reicher Tracht von wunderbarer und verführerischer Schönheit schaute heraus, – Nausika, die Odaliske.

Während das schöne Mädchen am Morgen noch im träumenden Schlummer auf den Kissen ruhte, hatte Gregor Caraiskakis sich erhoben, betäubt, unzufrieden mit sich selbst, und dennoch von Glück und Liebe berauscht, wenn sein Blick auf die süße Gestalt fiel, die an seinem Herzen geruht. Leise, ohne sie zu wecken, verließ er das Gemach und suchte seinen bereits in der Nacht zurückgekehrten Wirt auf, den er von den Anstrengungen des Abends gleichfalls noch in tiefem Schlummer fand. Als er endlich erwachte, gab er Gregor eine Botschaft des Barons, der ihn eiligst zu sprechen wünschte, und brachte ihn selbst zu diesem, nachdem Gregor sein Äußeres mit Hilfe des Wirts möglichst verändert und sich in den weiten schwarzen Talar eines Armeniers gesteckt hatte. Der geheime Agent freute sich aufrichtig des Wiedersehens und machte ihm alsbald eine genaue Mitteilung der Vorgänge und Aussichten. Er war bereits durch Geurgios von den Ereignissen bei der Flucht des Griechen von der türkischen Fregatte unterrichtet und seine Kombination hatte ihm gesagt, daß die Fremde die durch den Zorn des Sultans aus dem Harem entfernte Odaliske sein müsse, wenn er auch das Rätsel nicht lösen konnte, wie die Stummen des Kislar-Aga dazu gekommen waren, die offenbar dem Tode Geweihte dem fremden Boote zu übergeben. Es war jedoch keine Zeit, sich jetzt mit der Lösung dieser Frage zu beschäftigen, und da es ihm wichtig schien, das Mädchen selbst zu sprechen und von ihr vielleicht über die Anschläge der Sultana weitere Auskunft zu erhalten, wurde beschlossen, daß sie vorläufig noch in dem Hause des Fanarioten verborgen bleiben und erst später über ihr weiteres Schicksal entschieden werden sollte.

Während Caraiskakis bei dem Baron blieb, ihn in seinen Anstalten zu unterstützen, kehrte Geurgios nach dem Fanar zurück und machte seiner schönen Gefangenen die Mitteilung, daß sie um ihrer aller Sicherheit willen an ihrem jetzigen Zufluchtsorte still und einsam verborgen bleiben müsse. Er versorgte sie mit allen Bedürfnissen reichlich und schloß sie dann aufs neue ein. Dem leichtsinnigen, eitlen Mädchen, das die Todesangst des vorigen Abends längst überwunden, war die Gefangenschaft und Einsamkeit wenig willkommen, und je länger sie dauerte, um so drückender wurde sie ihr. Die Kenntnis des griechischen Lebens versprach ihr ohnehin wenig Genuß und Zerstreuung für die Zukunft, wenn sie eingesperrt blieb, und schon dachte sie daran, wie sie sich von diesen neuen Fesseln befreien könne. Daß ihr Retter und neuer Liebhaber ein Grieche und nicht ein Franke war, wie sie anfangs gehofft hatte, behagte ihr wenig, denn von dem freien und genußreichen Leben der fränkischen Frauen haben die orientalischen Weiber einen ausschweifenden Begriff und sind daher auch stets geneigt, gerade mit Fremden ein Liebesverhältnis anzuknüpfen.

Von Geurgios hatte sie erfahren, daß ihr neuer Beschützer vor dem späten Abend nicht zurückkehren werde, und die Langeweile und das Bedürfnis der Zerstreuung trieb sie daher an die Jalousien, die nach dem Horn und nach einer einsamen von Mauern gebildeten Gasse zeigten. Hier hatte sie schon am Vormittag die umherstreifenden englischen Midshipmen bemerkt, und als sie am Mittag aufs neue Frank gewahrte, konnte sie die Eitelkeit und Lust der Intrigue nicht unterdrücken und zeigte sich ihm an den geöffneten Jalousien.

Der junge Mann blieb, entzückt von so viel Reizen, stehen.

»Schöne Dame,« sagte er galant und mit allem Aufwand orientalischer Poesie, dessen er fähig war, »der Strahl der Sonne ist nichts im Vergleich mit Euren glänzenden Augen, Eure Lippen sind wie aufgeblühte Rosen und ich bringe Euch meine Huldigung über solche vollendete Schönheit.«

Das Mädchen lachte, obschon sie von der unsinnigen Begrüßung nichts verstanden hatte. Sie machte ihm durch Zeichen deutlich, daß sie von seinem Englisch nichts begriffe, und fragte in der lingua franca, ob er diese oder griechisch verstehe.

Der wackere Frank war in letzterem freilich nicht bewandert; aber da er ein Jahr lang auf der Station in Malta zugebracht, kannte er genug von der Sprachenmelange und vom Italienischen, um sich verständlich zu machen, und so wiederholte er sein Kompliment in der angedeuteten Mundart, wenn auch nicht ganz so zierlich.

»Wer bist Du?« fragte die Odaliske.

»Der Teufel soll den ›Tiger‹ holen, das alte Rattennest!« sagte Frank wohlgefällig, »wenn ich nicht einer seiner Offiziere bin. Jedenfalls aber, schöne Dame, bin ich britischer Gentleman.«

»Bist Du reich?« lautete die weitere Frage.

Der Midshipman fand sich durch den Zweifel gekränkt, und um den britischen Ruf zu bewahren, griff er in die Tasche und konnte, da die Güte seines Bruders ihn noch am Tage vorher reichlich versehen, eine stattliche Hand voll Sovereigns und Kronenstücke der Schönen vorführen.

»Wenn Du ein Franke bist und reich und ein Offizier,« sagte mit einem überaus zärtlichen Blick die Kokette, »so möchte ich wohl mit Dir entfliehen. Du würdest mich beschützen, nicht wahr?«

»Potz Haifisch!« murmelte der junge Mann, »das geht rasch hier zu Lande! Wer bist Du denn eigentlich, schöne Dame,« fragte er.

»Ich heiße Nausika und bin Odaliske des Großherrn,« erzählte die leichtsinnige Schöne. »Aber ich bin hier eine Gefangene und wer weiß, welches Leid mir noch geschieht. Wenn Du mich retten willst, werde ich Dein Glück machen. Du gefällst mir und ich habe immer gehört, daß die Inglis alles in diesem Lande tun dürfen, was die Türken nicht wagen.«

Eine Odaliske des Großherrn! – Der Gedanke verwirrte vollends das ohnehin von abenteuerlichen Bildern und Unfug strotzende Gehirn des Mids, und er beschloß auf alle Gefahr hin, den Ritter bei der Schönen zu spielen.

»Wenn Du mich lieben kannst, reizende Sultana,« sagte er emphatisch, »so soll ich gekielholt werden, wenn ich nicht Blut und Leben für Deine Befreiung dran setze. Sage mir nur, wie es zu machen ist, denn der Teufel soll mich holen, wenn ich es weiß.«

Nausika, die an der Bekanntschaft großen Gefallen fand, und ihrer Reize gewiß, über ihre Zukunft wenig Besorgnis hegte, war mit den Vorschlägen gleich bei der Hand.

»Kannst Du des Abends, im Dunkel, um die dritte Stunde, wieder unter meinem Fenster sein, schöner Offizier?«

Der Midshipman schnitt ein Gesicht; er wußte nur zu gut, daß das auf dem rechten Wege nicht möglich war; da aber die Benennung »schöner Offizier« zu unwiderstehlich war und da ein Mid selten um eine Lüge oder um eine Prahlerei verlegen ist, bejahte er dreist die Frage und verständigte sich dann mit der Schönen über den Unterschied der Schiffsglocken und der griechischen Zeitrechnung.

»Ich werde an diesem Fenster ein Tuch aushängen, wenn ich allein bin. Dann gib mir ein Zeichen, indem Du dreimal in die Hände klatschest, und ich werde die Jalousieen öffnen. Hast Du ein Mittel, mir heraus zu helfen?«

»Zum Henker,« sagte Frank, »wofür gäbe es denn Strickleitern in der Welt?«

»Gut. Geh' jetzt, damit wir nicht Verdacht erregen. Lebe wohl, schöner Franke, ich zähle auf Dich!«

»Heute Abend!« schwor der würdige Midshipman, indem er die Hand beteuernd auf's Herz legte – »bin ich zur Stelle und entführe Euch, schöne Miß!«

»Den Teufel werdet Ihr tun!« sagte eine grobe Stimme neben ihm. »Mid's Schwüre sind keinen Penny wert, und Ihr tätet besser, Master Frank, Ihr machtet Euch zu den Booten, um die Rechnung abzuschließen, statt hier dem ungläubigen Weibsvolk nachzuspüren.«

Mit einem leichten Schrei flog die schöne Odaliske vom Fenster und schlug die Jalousieen zu, Master Frank aber wandte sich ärgerlich zu dem alten Adams, der mit der Seelenruhe eines britischen Matrosen vor ihm stand und mit dem einen Auge ihn, mit dem anderen das Fenster anschaute, in welchem das schöne Mädchen verschwunden war.

»Die Haifische sollen meinen Leichnam bekommen,« sagte der würdige Deckmeister, »wenn ich nicht geglaubt habe, Ihr würdet meiner Erziehung mehr Ehre machen, als der Baronet, Euer Bruder, aber ich seh', es ist einer aus Eurem Geschlecht so toll wie der andere. Der Unterrock ist eine böse Flagge, Master Frank, und vollends in diesem Lande, wie ich mir habe sagen lassen.«

»Laß mich zufrieden mit Deinen Predigten, altes Seeungetüm,« erwiderte ärgerlich der Midshipman, indem er bemüht war, den unwillkommenen Aufpasser von dem Platze fort zu manöverieren. »Was zum Henker bringt Dich in mein Kielwasser?«

»Es tut mir leid,« meinte der ältere, indem er seinen Zögling durch die Gassen und Gäßchen, auf die er ein scharfes Auge gerichtet hielt, zu dem Magazin zurückgeleitete, »daß Ihr diesmal mein vorgesetzter Offizier seid. Als solchem hab' ich Euch zu rapportieren, daß die Ladung vollständig ist, und daß Meister Gosset nur auf Euch wartet, um dem Kaufmann zu quittieren und abzustoßen. Der junge Hallunke wollte Euch selbst aufsuchen, aber dann hätten wir wahrscheinlich das Nachschauen nach zweien gehabt.«

Frank antwortete nicht auf die höflichen Redensarten des Deckmeisters, um die er sich herzlich wenig kümmerte, und brütete über andere Dinge. So kamen sie zum Magazin, wo Gosset den Kameraden mit einigen solennen Verwünschungen über sein langes Ausbleiben empfing, wegen dessen sie wahrscheinlich des warmen Mittagessens an Bord verlustig gehen würden. Unsere Midshipmen hatten zwar fast den ganzen Vormittag noch nichts anderes getan, als gegessen, getrunken und umhergelungert, wann aber würde je der Magen eines echten Mid's gesättigt?

Nachdem die Rechnungen des Kaufmanns unterschrieben waren, begab sich die Gesellschaft in die Boote und zum Ärger des argwöhnischen alten Matrosen wußte Frank es einzurichten, daß er mit seinem Kameraden in dem zweiten saß. Der Verdacht des würdigen Deckmeisters steigerte sich noch höher, als er sah, wie die beiden jungen Herren eifrig die Köpfe zusammensteckten, und Frank mit seinem Busenfreunde eine große Beratung hielt. Der alte Matrose witterte Unheil, wie eine Möve den Sturm, denn er kannte seine Leute, aber er war außer Stande, es zu verhindern.

»Höre, Frank,« sagte der liebenswürdige Jüngste der Mid's-Kajüte, »die Geschichte ist Goldes wert. Auf mein Wort, ich helfe Dir, wir entführen dem Sultan seine Geliebte vor der türkischen Nase weg, und wenn wir dabei auch arg in die Klemme kommen sollten. Sie hat gewiß einen ganzen Schatz von Diamanten und sonstigen Edelsteinen bei sich, und das beste ist, wir machen uns mit ihr ganz und gar aus dem Staube und werden irgendwo Pascha's.«

Frank fiel zwar die gierige Frage seiner Schönen ein, ob er reich sei? indeß sein Stolz litt es nicht, die Sultana, von der er geprahlt, selbst herabzusetzen. Überdies hatte er ja die Tasche voll Geld. – »Aber wo bringen wir sie hin?« – Die Frage machte den beiden Burschen einiges Kopfzerbrechen, aber bald wurden sie darüber eins, irgend einen beliebigen jüdischen Kommissionär, wie sie deren zu Hunderten in Konstantinopel umherlaufen, dafür sorgen zu lassen.

Das nächste und wichtigste von allem war, wie sie von dem Schiffe fortkommen sollten, und Frank übernahm dies Geschäft, während Gosset versprach, einige Schiffspistolen und Munition bei Seite zu schmuggeln. Beide wußten sehr gut, daß die scharfen Augen des Deckmeisters auf sie gerichtet waren und daß sie vor allen Dingen ihn täuschen mußten, damit er ihnen nicht einen Querstrich durch die Rechnung mache. Sie ließen deshalb näher zum anderen Boot hin anlegen und begannen eine gleichgiltige Unterhaltung, bis sie an den Docks des Arsenals landeten, an deren äußerem Eingang die Fregatte bereits ausgebessert lag.

Während der erste Leutnant die Rechnungen des Kaufmanns abnahm und der Deckmeister damit beschäftigt war, die Ladung an Bord zu bringen, gelang es Frank, der auf der Lauer lag, an den Kapitän zu kommen, der als ein alter Seewolf es verschmäht hatte, auf dem Lande sein Quartier zu nehmen. Der Midshipman brachte bescheiden sein Gesuch vor um Urlaub für sich und Gosset für den Abend und die Nacht unter dem Vorwande, daß sein Bruder, der Baronet, sie in das Hotel d'Angleterre zu sich eingeladen, und da der Kapitän zufällig wußte, daß Frank einige Zeilen von seinem Bruder erhalten hatte, auch die Geschäfte der Midshipmen besorgt waren, gab er dem ersten Leutnant Anweisung, sie zu beurlauben.

Zu dem ganzen Manöver hatte – das Mittagessen im Stich lassend – das würdige Paar wohlweislich die Zeit gewählt, wo Meister Andreas unter Deck beschäftigt war. Der Alte war daher nicht wenig erstaunt, als er die beiden Bursche bald darauf in ihre Regenmäntel gehüllt und offenbar mit allerlei Vorrat darunter bepackt, aus der Midshipmans-Kajüte kommen und gemütlich in eines der Kaïks steigen sah, die überall zum Gebrauch bereit standen. Er rief ihnen zu und fragte, wohin sie wollten, die jungen Hallunken beeilten sich aber, den Bord zu verlassen, und als sie erst im Kaïk saßen, streckten sie als Zeichen ihres Sieges die Zunge heraus, während der Kaïkschi seine Ruder einsetzte und davon fuhr.

Der Deckmeister brummte verschiedene nicht sehr schmeichelhafte Verwünschungen hinter ihnen drein, als der erste Leutnant, der zufällig in seine Nähe kam, und, wie der Kapitän, große Stücke auf den alten Seemann hielt, nach dem Grunde seines Ärgers fragte. Der Matrose zeigte ihm die Davonfahrenden.

»Gott verdamme meine Augen, Sir,« sagte er, »wenn die Bursche nicht irgend einen Streich vorhaben. Ich habe so was schon heute morgen am Ufer gemerkt, und als sie in die verdammte Nußschale kletterten, sah ich, wie dem Master Gosset aus dem Mantel eine Schiffspistole fiel. Er ist der größte kleine Taugenichts auf Ihrer Majestät Flotte.«

Das wußte der erste Leutnant sehr wohl.

»Gebt ihnen ein Signal zur Rückkehr. Wo ist der Feuerwerker?«

Master Hunter, der Feuerwerker, mußte aber erst gesucht werden und es vergingen mehrere Minuten, ehe er vor dem Leutnant erscheinen konnte.

»Haben Sie den Midshipmen Maubridge und Gosset Pistolen gegeben?«

»Ja, Sire! Master Gosset bat mich um zwei Paare und sagte, sie hätten die Erlaubnis vom Kapitän, auf dem Bosporus Möven zu schießen.«

Er verschwieg weislich, daß ein Kronenstück Franks der Bitte den gehörigen Nachdruck gegeben hatte.

»Sie sind selbst eine Möve, Sir,« sagte aufgebracht der erste Leutnant, »daß Sie sich von zwei jungen Laffen zum besten halten lassen. Gehen Sie zum Henker mit Ihrer Gutwilligkeit, ich werde es dem Kapitän melden. Haben die Bursche beigelegt?«

Daran dachten aber die beiden nicht, vielmehr hatten sie, als sie den ersten Leutnant im Gespräch mit dem Deckmeister sahen, die Gefahr wohl erkannt und trieben den Kaïkschi eifrig an, sich so rasch als möglich davon zu machen, indem sie mit stoischer Ruhe der Fregatte den Rücken kehrten und für alle Winke blind und taub blieben.

»Da gehen sie hin, die jungen Hallunken,« sagte der Leutnant, als ihm der alte Matrose berichtete, daß alle Bemühungen vergeblich gewesen, und auf den Kaïk wies, der bereits zwischen den anderen Schiffen verschwand. »Es ist zu spät, um sie einzuholen, und ich wette einen halben Monatssold, daß sie irgend ein Unheil angezettelt haben, ehe sie wieder an Bord kommen. Im ganzen ist es gut, daß sie wenigstens bewaffnet sind.«

»Aber sie sind zu jung, Sir, und können ein Unglück haben unter diesem fremden Volk,« wandte der alte Matrose ein.

»Bah! Unsinn, Mann. Midshipmen und Katzen kann man vom Kirchturm werfen, und sie kommen immer auf die Füße zu stehen. Außerdem ist nichts an ihnen verloren.«

Mit diesem geistreichen Trostspruch, der wirklich viel wahres an sich hatte, wandte sich der erste Leutnant wieder zu seinen Geschäften und überließ es dem alten Matrosen, mit der Sorge um seinen jungen Zögling selbst fertig zu werden.

Die beiden Mid's hatten sich unterdeß in Galata landen lassen und in einem Kaffeehause ihr Quartier aufgeschlagen. Sie bemerkten wohl, daß eine große Bewegung und Unruhe unter der Bevölkerung herrschte, kümmerten sich aber darum herzlich wenig, sondern verfolgten ihre eigenen Zwecke. Das Resultat der angestellten Beratung war, – da Master Frank einiges von den Affären seines Bruders, des Baronets, in Smyrna hatte munkeln hören und sich dies zum Muster zu nehmen beschloß, – daß man erst eine abgelegene Wohnung in irgend einem fernen Quartiere auftreiben müsse, wohin man die Schöne am Abend bringen und wo man in Muße den weiteren Fluchtplan besprechen und einleiten könne. In der Tat gelang es auch den Burschen, einen jüdischen Kommissionär aufzutreiben, welcher für eine goldene Guinee versprach, eine solche Wohnung sogleich zu finden und sie an einer bestimmten Stelle des diesseitigen Hornufers zu erwarten. Durch seine Vermittelung und ein tüchtiges Pfandgeld gelang es ihnen auch, von einem der griechischen Handelsschiffe ein kleines Boot zu leihen, das sie selbst regieren konnten. Als diese wichtigen Vorbereitungen getroffen waren, machten es sich die abenteuerlustigen Midshipmen in einem oberen Gemach des heute leeren Kaffeehauses bequem, luden ihre Pistolen und warteten schwatzend die ihnen bezeichnete Stunde ab.

Inzwischen war Caraiskakis in der Wohnung des Barons beschäftigt gewesen und als dieser ausgegangen war, erschien ein türkischer Soldat, der den Baron sprechen wollte. Es war derselbe, den Gregor als Boten vom Schiff benutzt hatte und dessen getreuer Bestellung er hauptsächlich seine Befreiung durch den Baron zu danken hatte.

Der junge Grieche war sehr erfreut, den früheren Gefangenen hier wiederzufinden, nach dem er, einen Urlaub der Mannschaft benutzend, sich bei dem Baron erkundigen wollte. Er erzählte Caraiskakis, daß am Vormittag wieder der Engländer an Bord gekommen und sehr erstaunt und erzürnt gewesen sei, ihn nicht mehr zu finden. Dabei kam es denn heraus, daß er auf einen Gegendienst für seine Bemühungen zur Befreiung Gregors hoffte, und daß er beabsichtige, zu desertieren, indem ihm der Dienst, zu dem er gewaltsam gepreßt, täglich unerträglicher wurde.

Eine glühende Sehnsucht nach der Heimat schien das Herz des jungen Mannes zu verzehren, und bittere Tränen rollten über seine Wangen, als er sein trauriges Schicksal erzählte. Man hatte ihn mit Gewalt und ohne daß er eine Ahnung seines Unglücks hatte, plötzlich aus seinem stillen Leben und von seinem kleinen Eigentum in Anatolien gerissen, als er eben im Begriff war, ein geliebtes Mädchen zu heiraten. Mit Erstaunen über die seltsamen Fügungen des Schicksals entnahm Caraiskakis aus seiner Erzählung, daß der arme Soldat Vaso, der erwählte Eidam seines treuen Freundes und Schützers Janos des Wegweisers, der Bräutigam Nausikas war, der von der Willkür des Musselim von Tschardak unter die Redifs gesteckt und später zum Schiffssoldaten gemacht worden war. Einige Fragen gaben ihm die volle Gewißheit, und der junge Mann umfaßte weinend seine Knie, als er hörte, daß der Mann, dem er in seiner Gefangenschaft freundliches Wohlwollen bewiesen, ein Freund seines Schwiegervaters war und bereits sein Unglück kannte. Die Teilnahme Gregors war durch diese Entdeckung natürlich verdoppelt, und er versprach dem Soldaten, ihm auf alle Weise zu seiner Flucht behilflich zu sein. Da er es für das beste hielt, ihm nichts von dem Geschehenen zu verschweigen, enthüllte er dem Unglücklichen nach und nach auf seine stürmischen Fragen das ganze Unheil, das die Familie seit der Zeit ihrer gewaltsamen Trennung betroffen hatte. Die Augen des jungen Anatoliers funkelten vor Schmerz und Rachedurst, als er vernahm, daß seine Braut mit Gewalt hinweggerissen und ihr Geschick unbekannt war, daß Janos ihre und seine Schmach blutig an dem Musselim gerächt und eben so blutig geendet hatte, und ein gewisser Stolz kam ihm bei seinem Leide zu Hilfe in dem Gedanken, daß der berühmte Räuber, von dem er so viel gehört, ohne zu wissen, daß er ihm so nahe stand, der Mann war, der ihn zum Eidam gewählt hatte.

Caraiskakis überließ den Flüchtling seinem Schmerze, und als er sich mit der Leidenschaftlichkeit seines Volkes ausgeklagt, suchte er ihn zu beruhigen und versprach ihm, daß er bei ihm bleiben und ihn in einigen Tagen begleiten solle auf dem Wege nach Norden.

Als der Baron zurückkehrte, wurden rasch einige andere Kleider für den Burschen herbeigeschafft, und da bereits Nachricht eingegangen war, daß die Griechen sich auf dem Okmeidan versammelten, begaben sich alle drei dorthin.

Gregors Seele hatte keine Ahnung, daß die schöne Odaliske, in deren Armen er die Nacht geruht, die geraubte Braut seines neuen Schützlings, die Tochter Jani's war, von der jede Spur verloren gegangen schien.

Es war jetzt abends um die achte Stunde, und die Nacht zu dieser Jahreszeit bereits eingetreten. Die Blitze zuckten am Horizont und der ferne Donner grollte über die Marmara, der heftige, sturmartige Wind aber jagte die Wellen ins Horn und peitschte die Fahnen des langen Zuges, der vom Pfeilplatz aus sich durch Cassim-Pascha und hinter den großen Begräbnisplätzen fort nach der Straße wenden sollte, die am Ufer von Tschiragan hinunter führt.

Die Natur selbst schien sich gegen die Demonstration der Griechen verschworen zu haben, und von verschiedenen Seiten war bereits der Vorschlag gemacht worden, den Zug auf den anderen Morgen zu verschieben. Überall sah man angsterfüllte Gesichter, als die Kunde sich verbreitet hatte, daß auch die Türken in der Sophia, in der Achmetje und Mahmudje sich versammelt hätten und die Fortsetzung des Krieges erzwingen wollten. Viele schon hatten sich rechts und links in die dunklen Seitengassen verloren, und nur mit Mühe noch gelang es den Führern, den Zug zusammenzuhalten und vorwärts zu bringen, denn sie begriffen sehr wohl, daß, wenn erst einmal die Demonstration heute aufgegeben worden, schwerlich Aussicht vorhanden war, so bald wieder die feige und uneinige Bevölkerung zusammenbringen zu können.

Dennoch sollten alle Bemühungen fruchtlos sein. Als die Spitze der Kolonne zu der Höhe von Cassim-Pascha in der Nähe der Artillerie-Kaserne, von wo ein freier Blick durch die Berghänge sich nach dem gegenüberliegenden Stambul öffnet, emporgestiegen war, brach auf einmal ein wilder Schrei des Schreckens aus hundert Kehlen und verbreitete sich durch die lang dahin gedehnte Volksmasse. Vom Feuerturm des Seraskiats erglänzte nämlich das rote, eine Feuersbrunst verkündende Licht, und deutlich konnte man von der Höhe des Berges schauen, wie in dem Griechenquartier, in der Nähe der Karagumruk-Moschee, deren schlanke Minarets deutlich im Flammenschein sichtbar waren, eine Feuerlohe in die Höhe stieg.

Noch ehe die Erschreckten einen Entschluß gefaßt, loderte eine zweite Feuersbrunst am Tore von Edrene in den finstern Nachthimmel empor, und das eilig heraufziehende Gewitter tobte mit langen Blitzesstrahlen dazwischen.

Die Verwirrung, der Schrecken waren unbeschreiblich. An und für sich sind die Orientalen gegen die großartigen Kraftäußerungen der Natur sehr empfindlich. Der Glaube aber, daß ihre ewigen Feinde, die Moslems, die Gelegenheit ihrer Abwesenheit benutzten und mit Feuer und Handjar in ihre Quartiere einbrechen würden, verdoppelte diese Schrecknisse für die Griechen. Im Nu war der ganze Zug aufgelöst, die Fahnen und Laternen wurden fortgeworfen und die ganze, noch immer mehrere Tausende betragende Menschenmasse stürzte sich in die engen Gassen, die hinunter zum Horn oder in die diesseitigen Griechenquartiere führen, schreiend, zeternd in unbeschreiblicher Verwirrung, Kinder und Frauen zu Boden tretend – ein alles vor sich niederwerfender Strom. Zum Glück teilte sich bald dieser Strom nach den beiden Schiffsbrücken am Arsenal und den Stadtmauern, und Hunderte von Kaïks kreuzten in kurzer Zeit, trotz des Sturmes und der hochgehenden Wellen, das Horn.

Aber es war auch Eile von Nöten, die Gefahr dringend, denn ehe die Fanarioten das jenseitige Ufer erreichten, gingen bereits noch an zwei anderen Stellen die Flammenzeichen in die Höhe.

Auch die Verwirrung auf dem Horn war schrecklich. Boote rannten aufeinander und wurden umgeschlagen, Menschen stürzten ins Wasser und plätscherten umher, einen Gegenstand zu erfassen, mit dem sie sich retten konnten, – Geschrei, Verwünschungen, Zorn und Schrecken überall.

Die Führer der Friedenspartei hatten bei der plötzlichen Auflösung des Zuges den Kopf verloren, und waren größtenteils von der Besorgnis um ihr Eigentum ergriffen, mit fortgerissen worden. Nur wenige, darunter Caraiskakis und Geurgios, fanden sich zusammen und eilten zu dem geheimen Leiter des ganzen, der sich natürlich von der offenen Teilnahme an dem Zuge ferngehalten hatte. Der kühne und umsichtige Geist des Barons hatte im Augenblick auch schon nach den Mitteln gesucht, die so unerwartete Niederlage der Demonstration wenigstens noch in irgend einer Weise für seine Zwecke auszubeuten, und er erkannte sie darin, den Konflikt zwischen den Griechen und Moslems zu befördern und die ersteren zu einem offenen Widerstand mit den Waffen in der Hand zu ermuntern. Die Nachricht von einem Kampfe zwischen der christlichen und türkischen Bevölkerung der Hauptstadt mußte im ganzen Lande widerhallen und konnte zu allgemeinem Aufruhr führen, eine Sache, die von den russischen Agenten mit allen Mitteln angebahnt wurde.

Dem Baron mit seinen Begleitern gelang es, am Ufer von Galata die Barke eines Kauffahrers zu finden. Sie warfen sich selbst mit an die Ruder und das Boot flog durch die dunkeln, schäumenden Wellen nach der Fanariotenstadt.

Drüben in Stambul tönte wüster Lärm, der Platz um den Palast der hohen Pforte glänzte im Fackelschein.

Als sie durch die zweite Brücke fuhren, kamen sie in das Gewühl der noch immer zum anderen Ufer strömenden Menge. Der grelle Schein der auflodernden Feuersbrunst, das Flackern der Blitze erhellte die Gesichter voll Angst und Schrecken, Zorn und Rachedurst rings umher. Mit Gewalt brachen sie sich Bahn durch die Kaïks und das Boot, von Geurgios' Hand gelenkt, schoß in den Bootschuppen seines Hafens.

Geschrei, Angstgekreisch der Frauen, das Mordio der wilden Banden von Mördern und Mordbrennern, die durch die Straßen tobten, durchheulte die Luft, eine Szene grauenhafter Verwirrung. Gregors Herz schlug hoch erregt, wenn er an die Gefahr der Odaliske dachte. Während die Freunde sich, nachdem sie sich überzeugt, daß das Haus noch nicht gefährdet war, in die nächsten Gassen warfen und die vorübereilenden Fanarioten zu sammeln suchten, um den Flammen Einhalt zu tun und den Moslems mit den Waffen in der Hand entgegenzutreten, übernahm es Caraiskakis, das Haus zu schützen. Indem er im Dunkel noch vergeblich den Auf- und Eingang suchte, waren der Baron und Geurgios bereits verschwunden. Plötzlich erschreckte ihn das Hilfsgeschrei von Frauen und der Ruf von Männern, die gegen die äußere Pforte tobten. Das Haus war angegriffen und wenige Augenblicke darauf sah er den neuen Feuerschein eines nahe belegenen Gebäudes rings umher alles erhellen. Er hatte den Eingang zum Hause endlich gefunden, stieß die schwache Tür nieder und stürmte in das Innere. Vaso, der bei ihm zurückgeblieben, folgte ihm. –

Die beiden Busenfreunde Master Frank und Gosset hatten indeß verschiedene Tassen Kaffee und Gläser Liqueure vertilgt und durch einige Pfeifen des duftenden Tabaks von Latakia den Zustand ihres Gehirns keineswegs klarer gemacht. Endlich schaute Frank auf seine Uhr und streckte den Kopf aus der Tür des Hauses, um als echter Seemann das Wetter zu prüfen, ehe sie ihre ehrenwerte Unternehmung begannen.

»Wir werden eine verteufelt schlechte Fahrt haben,« meinte er, »und unsere Sultanin wird mit einigem Spritzwasser eingeweicht werden. Der Wind stürmt und überall stehen Gewitter. Man weiß in diesem verteufelten Lande nie, wie man dran ist. Allons, Gosset! Auf, Faulpelz! Wir müssen an Bord unserer Jolle.«

Mit einigen Püffen wurde der Jüngste endlich mobil gemacht und beide eilten ans Ufer, wo sie an der bestimmten Stelle die bestellte und bezahlte Barke des Handelsschiffes in Empfang nahmen, wobei der Padrone im stillen herzlich wünschte, daß sie mit samt den Midshipmen zum Teufel gehen möge, damit er das gute Pfandgeld in der Tasche behalten könne.

Die Mid's, die Verstand genug besaßen, um es für besser zu halten, bei einem solchen Unternehmen keine Bootsführer ins Vertrauen zu ziehen, ergriffen die Ruder und arbeiteten sich bald in den freien Strom. Da sie beide an die See gewöhnt waren, machten sie sich aus Wind und Wellen herzlich wenig und die Arbeit und das Spritzwasser ernüchterten sie bald völlig, so daß sie in bester Beschaffenheit endlich am Ufer der Fanariotenstadt ankamen. Dagegen fanden sie in dem Aufsuchen einer passenden Landungsstelle und des Hauses, in dem die Odaliske eingeschlossen war, allerlei Schwierigkeiten, so daß eine geraume Zeit verging, ehe sie die Straße wieder erreichten. Endlich glaubten sie auf der richtigen Spur zu sein, denn an einer der Jalousieen peitschte wirklich der Wind ein angeknotetes Tuch. Rasch gab der Midshipman das Zeichen, und die Odaliske, die in der Langweiligkeit des Tages vor Ungeduld und übler Laune bald vergangen war, öffnete die Jalousieen und zeigte sich an dem dunklen Fenster. In der Entfernung vernahm man bereits den beginnenden Tumult.

»Schöne Sultanin, Perle aller orientalischen Frauen,« sagte der Mid in möglichst hochtrabendem Tone, »Dein Ritter und Befreier ist mit seinem getreuen Schildknappen zur Stelle. Eine Strickleiter haben wir zwar nicht auftreiben können, aber habe die Gewogenheit, einige Augenblicke von diesem Fenster zurückzutreten, und ich werde sogleich ein Knotenseil hineinwerfen, das Du oben festmachen willst und an dem ich Dich in meinen Armen herabtragen werde.«

Gosset hörte mit offenem Munde der zierlichen Beredsamkeit seines Kameraden zu und erhielt jetzt die Anweisung, den vorbereiteten Strick hervorzulangen und dann in der Straße auf Posten zu bleiben. Mit geschicktem Wurf schleuderte Frank das Ende des Taues, an dem ein Haken befestigt war, in das Fenster und Nausika klammerte es fest, worauf der tapfere Seezögling mit der Behendigkeit eines Affen an dem Strick emporstieg und sich über die Brüstung ins Zimmer schwang.

»Der Teufel soll unsere besten Stangen holen und der Kapitän alle Tage sämtliche Mid's mit echtem Portwein regalieren,« schwor er, »wenn ich Euch in dieser Kajüte sehen kann, so dunkel ist es in ihr. Warum steckt ihr keine Lampe oder kein Licht an, schöne Sultanin, damit ich wenigstens Eure Schönheit bewundern mag?« –

Eine weiche Hand faßte die seine und drückte sie, worauf der Mid seinem Anspruch auf Männlichkeit nicht anders zu genügen glaubte, als indem er die Odaliske umfaßte und ihr einen herzhaften Kuß auf die Lippen drückte. Die Dame hatte jedoch jetzt andere Gedanken, als leere Liebeständeleien, und wünschte vor allem, ihren bisherigen Aufenthalt zu verlassen.

»Hast Du nichts vernommen, schöner Franke? – es scheint Tumult in der Stadt, das Feuerzeichen des Seraskiats leuchtet, ich fürchtete schon, Du würdest nicht kommen.«

»Bah,« sagte der Midshipman, »was kümmert mich der Brand von ganz Stambul, ein Engländer hält sein Wort. Aber nun laßt uns keine Zeit versäumen, schöne Sultanin, nehmt Eure Sachen und vergeßt die Diamanten nicht, damit wir uns davon machen können.«

Während die Odaliske, die schon bei Tage in ihrem Zimmer zusammengeräumt, was des Mitnehmens wert und transportabel war, dies in ein Bündel zusammenband und Frank das Tau im Inneren besser befestigte, hörte man plötzlich Lärmen in der Straße und im nächsten Augenblick erschien der Kopf, dann die schmächtige Gestalt des Midshipmans Gosset über der Fensterbrüstung und seine werte Person sprang gleichfalls in das Zimmer.

»Pest,« sagte der hoffnungsvolle Jüngling, sich den Angstschweiß von der Stirne wischend, »da draußen scheint der Boden für uns zu heiß zu werden, und ich wollte, alle Odalisken und Sultaninnen des Großherrn lägen auf dem Grund des Bosporus und wir säßen bei Tee und Schiffszwieback in der Kajüte des ›Tiger‹. Es ist ein Mordlärmen in der Stadt, Frank, Feuerschein ringsum und eine Menge Leute sind auf den Beinen und rennen durch die Gassen, so daß ich nichts besseres tun konnte als Dir zu folgen.«

Frank bog sich vorsichtig zum Fenster hinaus und fand die Besorgnis seines Kameraden mehr als bestätigt. Das Licht der nahen Feuersbrunst war hinreichend, die Umgebung des Hauses wenigstens so weit zu erhellen, daß an ein unbemerktes Entwischen aus dem Fenster vorläufig nicht zu denken war. Frauen und Männer liefen schreiend durch die Gasse, überall wurden Lichter angezündet, Türen geöffnet, und Frank war froh, daß er das im Winde schlagende Seil, ihre Brücke zur Flucht, noch geschwind und unbemerkt in das Fenster ziehen konnte.

Auch im Hause wurde es laut, man hörte mehrere Personen ängstlich umherrennen und die Tür aus dem Innern des Hauses wurde zu öffnen versucht, aber durch den Riegel, den die Odaliske vorgeschoben, festgehalten. Der zweite Ausgang nach dem Flur und der Treppe war von Geurgios von außen verschlossen worden.

Nausika zitterte in Angst und Furcht und war ratlos, und auch den beiden Midshipmen war gerade nicht sehr wohl bei der Sache zu Mute. Sie sahen sich, wie man zu sagen pflegt, in einer Mausefalle und wußten, daß sie sich noch sehr glücklich schätzen konnten, wenn sie mit einer tüchtigen Tracht Schläge davon kamen.

Indes ein Mid verliert nie den Mut und die Hoffnung, sich aus der Klemme zu bringen, in die er sich selbst gesteckt hat, so lange noch Atem in seinem Leibe ist. Nach kurzer Beratschlagung kamen die beiden zu dem Resultat, daß sie am besten an dem Orte, wo sie sich einmal befanden die weitere Entwickelung oder die Wiederherstellung der Ruhe abwarten könnten. Die Wahl machte ihnen freilich keine Schwierigkeit und während die Odaliske weinte und klagte, setzten die jungen Burschen ihre Waffen für alle Fälle in Bereitschaft und rekognoszierten durch Fenster und Schlüsselloch. –


Es war bereits dunkel, als Edward Maubridge, der Baronet, um Neues über die Bewegungen in Konstantinopel zu hören, sich nach Tershana rudern ließ. Er gelangte eben an Bord des »Tiger«, als der Kapitän mit den anwesenden Offizieren auf dem Hinterdeck der Fregatte stand, um die auf dem andern Ufer in der Fanariotenstadt ausgebrochene Feuersbrunst zu beobachten und wurde aufs freundlichste von Allen bewillkommnet.

»Die Gesellschaft der jungen Bursche,« meinte der Kapitän, »scheint Ihnen nicht lange zugesagt zu haben. Ich hoffe jedoch, Sie haben sie sicher untergebracht, damit sie in dem Lärm, den diese Leute auf allen Seiten erheben, nicht auch ihre Nase stecken und zu Schaden kommen.«

»Ich verstehe nicht, was Sie meinen, Kapitän,« erwiderte der Baronet. »Wo ist Frank?«

»Nun, zum Teufel, wo soll er sein, als bei Ihnen! Er und der junge Schlingel Gosset. Sie haben ja selbst ihn eingeladen.«

Der Baronet sah ihn groß an.

»Ich verstehe kein Wort davon. Ich komme eben, um Sie und Frank zu besuchen, denn im Gesandtschaftshotel steht alles auf dem Kopf und kein Mensch hat Zeit zu einem vernünftigen Wort.«

»So soll das Wetter doch gleich in meinen besten Mast schlagen, wenn die jungen Hallunken mich nicht da gründlich belogen haben. Ihr Bruder, Sir, wies mir eine schriftliche Einladung von Ihnen vor und erbat sich darauf für diese Nacht Urlaub.«

»Ich dachte nicht daran, aber wo mögen diese vertrackten Bursche hin sein in diesem Gewühl? Sie werden verunglücken.«

»Da blicken Sie hin,« schrie der Kapitän, indem er auf den Menschenstrom wies, der sich von der Höhe der Vorstädte zum Horn drängte; »die jungen Hallunken haben den Tumult gewittert und sitzen sicher mitten drinnen.«

Der erste Leutnant erzählte jetzt, was er von Adams gehört, und der Deckmeister wurde eilig herbeigerufen und näher befragt. Seine Erzählung erweckte ernstlich die Besorgnis des Kapitäns und des Baronets.

»Wenn die Unbesonnenen sich in irgend einen tollen Streich eingelassen haben, wo Frauen im Spiel sind, so sind sie verloren,« sagte der letztere; »kannst Du den Ort wiederfinden, wo Du den jungen Narren heute betroffen?«

»Hm,« meinte der Alte, »ich müßte kein Seemannsauge für eine Landmarke haben, wenn ichs nicht könnte! Diese Dinger, die sie Häuser nennen, sind zwar hier einander verteufelt ähnlich, aber ich witterte gleich Unheil, und hab mir die Fahrt gemerkt.«

»Wollen Sie mir ein Boot geben, Kapitän, und einige zuverlässige Leute?«

»Die sollen Sie haben, Edward, eine ganze Bootsmannschaft und ihren Offizier dazu. Den zweiten Kutter ins Wasser und die Leute bewaffnet hinein. Der Teufel scheint dort drüben los, denn ein Feuer nach dem andern geht in die Höhe. Ich mache mir Vorwürfe, daß ich die Bursche so leichtsinnig fortgelassen habe, da doch schon der Tumult in der Stadt war. Fort, Jungens, sputet Euch!«

Der erste Leutnant trieb die Mannschaft an; ehe fünf Minuten vergangen, war der Kutter bereit und die Matrosen sprangen hinein mit Enterbeilen und Kurzsäbeln bewaffnet; der zweite Leutnant saß bereits in dem Boot. Maubridge, der eilig die Pistolen des Kapitäns geholt hatte, und der Deckmeister folgten.

»Abgestoßen!«

Die sechs Ruder tauchten in die Wellen und das Boot schoß in das Dunkel des Horns. – – –

Die Tür des Hauses von Geurgios krachte unter den Schlägen der Brecheisen in den Händen der Banditen Geronimo's. Über die zusammenbrechende stürzten die wilden Gestalten in das Innere und ihr Mordio gellte durch das Haus hinter den flüchtenden und zeternden Weibern drein!

»Nach oben, nach oben!« herrschte Hassan, der Führer, seine Genossen an. »Ihr wißt, was der Kneipenwirt uns aufgetragen. Dann ist's Zeit zum plündern.«

Der Arnaut mit vier Gefährten sprang die enge Treppe hinauf; Schemel, Stühle, Tische, alles, was sich werfen ließ, flog ihnen jedoch entgegen auf die Köpfe und trieb sie wieder zurück.

»Lahnet bi Scheitan!« fluchte der wüste Mörder; »hinauf Memmen!« und sein Pistolenschuß knallte die Treppe hinan, die bereits halb gefüllt war mit einer Barrikade von Möbeln und Kissen jeder Art.

»Gibs ihnen brav, Frank!« schrie der kleine Gosset, »immer die Vordersten! Der Grieche kann mir das Pistol zurückreichen!«

Die Kugel des kecken Midshipman traf einen der Banditen in die Schulter, so daß er blutend und fluchend zurücktaumelte.

Während die Mids noch unentschlossen auf den Lärm am Eingang des Hauses gelauscht hatten und Nausika in Todesangst in einem Winkel des Gemaches auf den Knieen lag, bald christliche, bald türkische Gebete jammernd, flogen rasche Tritte von außen zur Tür, ein Schlüssel wurde ins Schloß gesteckt, und ehe noch die Midshipmen Widerstand zu leisten vermochten, ward die Tür aufgerissen und Gregor Caraiskakis, gefolgt von Vaso, stürzte herein.

Erstaunt und starr blieb er stehen, während die Odaliske sich Hilfe suchend in seinen Arm warf, denn der Schein der nahen Feuersbrunst erhellte jetzt genügend das Gemach und zeigte ihm die beiden jugendlichen Offiziere, die Pistolen in der Hand.

»Was soll das heißen? Wie kommen die Fremden hierher?«

Aber der Sturm draußen an der Haustür verschlang des Mädchens Antwort und die verlegene Ausrede der Engländer. Es war keine Zeit zu Nachfragen und Erklärungen.

»Wenn Sie Männer von Ehre und Herz sind,« rief der Grieche, »so helfen Sie mir dies Haus und die Frauen darin gegen das mörderische Gesindel verteidigen, das den Eingang stürmt. Ich sehe, Sie sind bewaffnet, lassen Sie uns die Treppe zum oberen Stock halten!«

Ein Säbel, den er in einem der Gemächer gefunden, war seine einzige Waffe. Frank reichte ihm sogleich eine der Pistolen. Die drängende Gefahr hatte die peinliche Situation des jungen Mannes aufgehoben, und die Aussicht auf den Kampf im Nu alle Torheiten und allen Leichtsinn verscheucht. Sein Mut und seine Entschlossenheit zeigten das gute Blut in seinen Adern.

»Vorwärts, Sir, ich helfe Ihnen. Gosset, lade die Pistolen und schütze unsere schöne Sultanin!« und eilig schleppte er die Möbel, die er ergreifen konnte, zur nahen Treppe, denn eben brach unten die Tür unter den Händen der Banditen.

Aber die Odaliske hatte bereits einen anderen Freund und Beschützer gefunden. Aus weit aufgerissenen Augen hatte Vaso die ehemalige Braut einige Momente angestarrt, dann sprang er auf sie zu und riß sie gewaltsam in seine Arme.

»Nausika, Tochter Jani's, bist Du es wirklich, meine Braut, mein Weib? Du hier in Byzanz?«

Mit einem fast mit Entsetzen gemischten Erstaunen hatte Caraiskakis die Worte des Soldaten gehört, und ein Blick auf die Verwirrung des schönen Mädchens überzeugte ihn, daß sie wahr. Die Odaliske, die sein Herz und seine Sinne so zauberschnell umstrickt hatte, in deren Armen er die Nacht verschwelgt, – die Tochter Jani's, dessen Haupt für ihn gefallen? Und so, mit dem Schimpf des Mädchens hatte er das blutige Opfer vergolten?! Seine Gedanken wirbelten, da rief ihn der Schuß des Banditen und die Stimme des Midshipman zum Bewußtsein und zu seiner Pflicht zurück, und im nächsten Augenblick stand er an dessen Seite und schleuderte die schweren Geräte nach den Angreifern.

»Hurrah für Alt-England!« schrie der kleine Mid, während er am Fenster das abgeschossene Pistol lud. »Drauf, Frank, und pfeffere sie tüchtig, ich muß auch einen Schuß auf sie tun!«

Und sein Ruf fand ein Echo, denn aus der Gasse herauf donnerte es aus zehn Kehlen über den Lärm der Feuersbrunst und das Geschrei der Griechen: »Hurrah für Alt-England!« und die Matrosen des »Tiger,« von Adams und dem Baronet geführt, stürzten herbei und jubelten hoch auf, als sie die Stimme des Knaben hörten.

»Hurrah, Frank! brav gehalten! Es kommt Ersatz; unsere Tiger sind da, Adams und Dein Bruder Baronet! Hierher, Männer! greift sie von vorn an und bringt die Hallunken zwischen zwei Feuer!«

Aber es tat auch Not, daß Hilfe kam, denn wie Teufel, der Hölle entsprungen, stürmten die Banditen die Treppe, während ihre zahlreichen Kameraden sich bereits mit dem Volke vor der Tür herumschlugen.

»Das Seil! das Seil!« rief der wackere Frank seinem jungen Kameraden zurück. »Denk an das Seil, Gosset, und rette das Mädchen!«

Der kleine Mid hörte den Ruf seines Gefährten und mit Vaso's Hilfe schleppte er die halb ohnmächtige Schöne zum Fenster, schlang den Strick um sie und ließ sie hinabgleiten, wo die Arme des Baronets sie auffingen. Kaum war das Tau am Boden, so hatte es auch der alte Deckmeister erfaßt und schwang sich mit der Gewandtheit eines Seemannes, der im Sturm die Tauwand erklimmt, hinauf in das Gemach. Andere folgten ihm.

»Hurrah, Master Frank! Die Tiger sind da!«

Aber es war auch die höchste Zeit. Hassan voran, stürmten die Banditen des Khawedschi wie rasend die Treppe, über die Möbel und Gegenstände kletternd, mit denen Frank und Caraiskakis sie gefüllt. Einen zweiten der Stürmer schoß der Grieche nieder, doch den beiden anderen Kugeln wichen die Männer aus und zum Laden war keine Zeit mehr. Über die Barrikaden hinweg wurden sie handgemein, doch auch die schwache Schutzwehr riß die starke Faust der Stürmenden bald zur Seite und ihre Handjars und Dolche klirrten gegen die Säbel und den Kurzdegen der Verteidiger. Gregor sprang zur Tür des Gemaches zurück und rief seinem tapfern jungen Gefährten zu folgen, aber der Midshipman, von einem leichten Dolchstoß in die Seite getroffen, strauchelte und fiel, und im Augenblick war Hassan, der Arnaut neben ihm und erhob den blinkenden Yatagan zum Todesstoß.

Frank war verloren!

Aber Caraiskakis hatte den Fall des jungen Mannes gesehen – im Nu sprang er vorwärts mitten unter die Angreifer und sein Säbel fing, zersplitternd am Gefäß, den schweren Yataganhieb auf. Dann den Griff dem Banditen ins Antlitz schmetternd, faßte er mit der linken den Jüngling und suchte ihn fortzuschleppen.

»Brav gemacht, Mann! Heran, Jungens!« schrie eine Stimme hinter ihm und der kräftige Schwung des Enterbeils deckte den Griechen gegen die erhobenen Waffen seiner Bedränger. »Drauf auf die Schufte und gebt's ihnen!«

Die kräftige Gestalt des alten Deckmeisters sprang in die Gruppe, zwei Matrosen folgten im nächsten Moment und die unverhoffte Hilfe wendete im Nu den Kampf. Die drei Banditen stürzten Hals über Kopf die Treppe hinab und aus dem Hause, an dessen Eingang ihre Kameraden sich mit den Fanarioten und einigen Matrosen schlugen.

Adams half dem Midshipman empor.

»Da habt Ihr die Bescheerung, toller Bursche,« sagte er ärgerlich. »Kein Unterrock in der ganzen Welt ist wert, daß ein wackerer Seemann sich dafür ein Loch in den Leib rennen läßt, durch das der Wind hineinpfeift. Wie geht's Euch, Master Frank? redet! Ich hoffe, es ist nicht so schlimm, und der brave Mann hier ist nicht zu spät gekommen!«

»Ich glaube nicht,« murrte der Midshipman, »aber Zeit war's. Ich bin in die Hüfte gestochen und der erste Leutnant wird's vorerst bleiben lassen müssen, mich in den Mastkorb zu schicken. Aber wo führt Dich der Henker zu so glücklicher Zeit her, alter Seewolf?«

»Dazu gibt's nachher Zeit, jetzt laß uns machen, daß wir zu unseren Burschen kommen!« entgegnete der alte Matrose, indem er den jungen Mann empor hob und mit Gregors Hilfe die Treppe hinabtrug. »Goddam!« rief er plötzlich, als unten der Feuerschein hell auf das Gesicht des Griechen fiel und er dieses erblickte. »Ich sollte meinen, wir kennen uns; seid Ihr nicht der Mann von Smyrna?«

Caraiskakis schaute ihn finster an bei der Erinnerung.

»Ich weiß nichts von Euch.«

»Glaub's wohl,« meinte der alte Matrose, »aber ich kenne Euch desto besser, und es freut mich um Master Franks willen, daß ich Euch damals mit dem Schießprügel nicht durch den Kopf geschossen, als Ihr Sir Edward Eure Schwester abjagtet und uns klopftet. Wir waren auf schlechtem Wege und fochten für keine gute Sache, aber es ist brav von Euch, Freundchen, daß Ihr des Baronets Bruder so wacker beigestanden habt.«

Der Grieche ließ den Jüngling fallen.

»Dies ist der Bruder des Lord Maubridge?« fragte er wild.

»Nun ja, Mann, was tuts zur Sache? Ein braver Mann hilft dem andern gegen das Gesindel. Hierher, Hodges! Dick! helft mir den jungen Mann zum Boot tragen.«

Der Grieche faßte des Matrosen Arm, während die Gerufenen herbeisprangen und den Midshipman aus dem Getümmel schleppten.

»Wo ist das Mädchen, das Weib, das wir im Hause verteidigten?«

»Ei, zum Henker, wo wird die verteufelte Landnixe sein? In die Arme Sir Edwards fiel sie, gerade aus dem Fenster herab. Schaut, da läuft sie in der Mitte unserer Leute, und die Haifische sollen mich fressen, wenn der Baronet nicht schon seitlängs von ihr liegt.«

Die Szene umher hatte sich geändert, – die Mordbrenner aus dem Malthesergäßchen hatten die Übermacht der von allen Seiten zum Löschen des Brandes und zur Verteidigung ihrer Habe herbeieilenden Fanarioten erkannt und sich nach allen Seiten durchgeschlagen und zerstreut; die Griechen waren bemüht, das Feuer zu dämpfen, und die Engländer, jetzt Frank und die von dem Baronet geführte Odaliske in ihrer Mitte, drängten sich durch die Menge nach ihrem Boote hin.

»Nausika – Mädchen – Tochter Jani's!« schrie Caraiskakis und warf sich in die Menschenwoge, die sich wieder um die Matrosen geschlossen. »Zu mir, Freunde, das Mädchen ist die unsere!«

Aber wer kümmerte sich in der eigenen Bedrängnis und Not um das Weib, vor deren türkischer Tracht ohnehin jeder Grieche zurückgeschreckt wäre. Gosset hatte mit einigen verwirrten Worten dem Baronet berichtet, daß es eine vornehme türkische Dame wäre, die hier gefangen gehalten worden und die Frank habe befreien wollen. Die Odaliske, von der augenblicklichen Gefahr befreit, begriff schnell ihre Lage und die günstigste Gelegenheit für ihre Wünsche.

»O, Effendi, rettet mich aus dieser Not! Ich bin eine Gefangene und ein armes Weib, verloren ohne Euch,« schmeichelte sie in fränkischer Sprache zum Baronet, dessen Arm sie unterstützte. Sie waren bereits nahe am Boot, in dem zwei der Matrosen zurückgeblieben waren, als Caraiskakis endlich die Engländer erreichte und das Auge des Baronets mit Erstaunen und Erbitterung plötzlich seinen Todfeind vor sich sah.

»Das Weib, Mylord!« herrschte der Grieche ihm zu. »Sie haben kein Recht auf sie, das Weib ist das meine!«

Der Baronet stieß ihn hohnlachend zurück.

»Ist dies Weib das Ihre, so nehme ich es, wie Sie mein Kind geraubt. Nur für dies Lösegeld sollen Sie diese Frau haben! Ins Boot mit ihr!«

Gosset zog die willige Odaliske fort, mit einem Sprunge war der Grieche bei dem Baronet und faßte ihn an der Kehle.

»Mädchendieb!«

»Der Teufel hole das Gewürm, nieder mit dem Schuft!« schrie der mit Adams herbeikommende zweite Leutnant und der Hieb seines Kurzdegens sauste schwer auf den Schädel des Griechen nieder, daß dieser bewußtlos zu Boden stürzte wie ein gefällter Baum. »Fort mit Ihnen, Maubridge, wir haben, was wir wollen und hier nichts mehr zu tun.«

Der Deckmeister hatte sich über den Niedergestreckten gebeugt.

»Ist er tot, der Unglückliche?« fragte nicht ohne Teilnahme der Baronet.

»Ich denke! Schade um den Mann; es war nicht viel besser als ein Mord,« murmelte der alte Matrose, »und das alles um eines verdammten Weiberrockes willen.«

Der besonnene Leutnant zog sie fort zum Boot, denn ein Haufe Fanarioten mit Geurgios an der Spitze stürmte herbei.

Das englische Boot stieß hinaus in das Horn – jammernd am Ufer rannte Vaso umher, den die Matrosen zurückgetrieben, als er der Wiedergefundenen folgen wollte.


Es war am dritten Morgen nach den Szenen des Aufruhrs, als Gregor Caraiskakis aus einem tiefen Schlafe auf ärmlichem Lager in einem griechischen Hause der Vorstadt Ejoub erwachte. Sein Kopf war mit Binden umwickelt, an seinem Lager saß in trübem Sinnen Vaso, der entflohene Schiffssoldat.

Der Hieb des Leutnants hatte ihn absichtlich nur flach getroffen und durch seine Wucht betäubt zu Boden geworfen. Als er wieder zu sich kam, fand er sich am Orte seines jetzigen Aufenthalts, wohin ihn Geurgios hatte bringen lassen. Doch war ihm Ruhe nötig und außerdem hatte ihm der Fanariot Verborgenheit anbefohlen, denn in Konstantinopel hatten die Nacht und der nächste Tag eine neue Wendung der Dinge gebracht.

Während im Fanar die Feuersbrunst, – wie es hieß, vom Blitzstrahl entzündet, – in die Wolken flammte und an 100 Gebäude verzehrte, hatte sich der Strom der fanatischen Moslems, an der Spitze die Softas und Ulemas, nach dem Platz der hohen Pforte gewendet und umgab drohend und tobend beim Schein der Fackeln und dem Unwetter trotzend den Palast, die Auslieferung Reschid-Paschas fordernd.

Aber Reschid hatte sich bei dem ersten Anzeichen des Sturmes nach Tschiragan geflüchtet, wohin ihm der Großwessir folgte. Vergeblich erwarteten die hohen Würdenträger hier die Demonstration der Griechen; statt deren stieg jeden Augenblick der Triumph ihrer Gegner und die Aufregung unter der türkischen Bevölkerung Stambuls.

Am Morgen erließ der Großwessir den Befehl, daß alle Moscheen, die Hauptversammlungsorte des Aufstandes, an denen die Softas fortwährend das Volk bearbeiteten, geschlossen werden sollten. Dem Befehl wurde entsprochen, aber die Masse versammelte sich jetzt auf den öffentlichen Plätzen und nahm eine noch drohendere Haltung an.

Jetzt erhielten die Garden den Befehl, einzuschreiten und mit Gewalt den Aufruhr zu unterdrücken, der bereits so ausgedehnt war, daß Lord Redcliffe zur Beruhigung eine Proklamation an die britischen Untertanen erlassen mußte, worin er Aufnahme und Schutz auf den britischen Schiffen verhieß.

Die Garden rückten zwar von ihren Kasernen aus und besetzten das Serail, die Pforte und die Suleimanje, wo die Schätze der ganzen Nation gleich wie in einem großen Pfandhause in Koffern aufbewahrt werden, aber sie weigerten sich, das Volk anzugreifen ohne Befehl Ruschdi-Paschas, ihres bisherigen Kommandanten.

Ruschdi-Pascha aber befand sich im Seraskiat, wohin Mehemed einen Ministerrat berufen, um scheinbar über die drohende Gefahr zu verhandeln, ohne daß der Genosse oder Reschid hier zu erscheinen wagten.

An verschiedenen Stellen, wo das Volk versammelt war, begannen die Softas während des Tages bereits ganz offen die Thronerhebung Abdul-Adiz' zu proklamieren. Die griechische Bevölkerung – feig und unentschlossen – wagte sich nicht mehr zu rühren – sie zitterte seit den Vorgängen des letzten Abends für ihr Leben und ihre Habe.

Die Regierung befand sich buchstäblich am Morgen des 22. nur noch im Seraskiat und in den Händen Mehemed Alis.

Bei dem schwachen und ängstlichen Charakter des Sultans fühlte die Friedenspartei, daß in dem gegenwärtigen Augenblicke nichts zu machen und ein Nachgeben nötig sei, um nicht allen Einfluß zu verlieren. Chosrew-Pascha selbst riet dazu, und als daher am Vormittag Adilé, die Schwester des Großherrn, nach Tschiragan kam, fanden ihre Worte beim Sultan ein williges Gehör.

Am Mittag hatten Lord Redcliffe und General d'Hilliers eine längere Audienz bei dem Sultan, in welcher sie ihm zeigten, daß nur ein unbedingtes Eingehen auf die Intentionen Frankreichs und Englands die Türkei und seinen Thron zu sichern vermöchte. Eine Stunde darauf erschien der Seraskier im Palast, seiner Sache so sicher, daß er ohne alle Begleitung kam, und als er nach einer längeren Unterredung sich entfernte, geschah es mit dem Schritt des Triumphators.

Er vergaß, daß in dem Herzen eines Orientalen das Gefühl einer Beleidigung nie stirbt und unter der trügerischen Blumendecke der Freundschaft und Versöhnung die Schlange des Hasses ruhig lauert, bis sie ihren Giftzahn in das Opfer schlagen kann.

Der Padischah war gedemütigt, – der Padischah wartete seiner Zeit.

Noch an demselben Tage hatte Reschid-Pascha vom Bord der »Queen« aus, an den er sich geflüchtet, seine Entlassung eingereicht, aber der Sultan hatte dieselbe, auf den Rat des englischen Gesandten, nicht angenommen. Dagegen durfte der Seraskier unbehindert eine scharfe Verfolgung aller Russenfreunde beginnen, und eine Menge Führer der Griechenpartei wurden eingekerkert.

Das waren die Nachrichten, die am Abend vorher Geurgios, der sich gleichfalls von seinem Hause entfernt hielt, dem Griechen gebracht hatte. –

Auf seine Fragen hörte Caraiskakis von Vaso, daß Geurgios heute noch nicht in Ejoub gewesen sei. Als dieser endlich kam, erkannte er leicht, daß die Neuigkeiten, die er brachte, noch schlimmer als die früheren waren.

»Es freut mich, Sie so weit wieder hergestellt zu sehen,« sagte der Fanariot, »denn es wird gut sein, wenn wir noch diese Nacht Konstantinopel für einige Zeit verlassen. Der Baron ist auf Betrieb der englischen Gesandtschaft von der türkischen Polizei als russischer Agent verhaftet worden und hat mir selbst diesen Wink gegeben. Mehemed Ali, um seinen Frieden mit dem Padischah zu machen, hat nach türkischer Weise verräterisch an den eigenen Werkzeugen seiner Intrigue gehandelt und an 400 Softas aufgreifen lassen, um sie als Rebellen auf die Galeeren nach Kreta zu schicken. Der Todfeind unseres Glaubens unterhandelt bereits mit den beiden Gesandten wegen der Einschiffung eines Hilfskorps.«

»Aber der Baron – sollen wir ihn feig im Stich lassen?« fragte der Grieche.

»Signor Oelsnero,« lachte der Fanariot, »hat der Mittel zu seiner Sicherheit mehr in Händen als wir und wird sich schon zu befreien wissen. Wir werden ihm am Balkan bessere Dienste leisten als hier.«

»Und das Mädchen – Nausika – die Odaliske?«

»Bei Sankt Demeter, was kümmert sie uns? Wollen wir eines Weibes wegen den Kopf in die Schlinge stecken? Diese Teufel von Türken haben keine Eingeweide; sie schneiden einem Christen den Kopf ab und stellen ihn zwischen seine Beine, ehe er ein Kreuz schlagen kann, wenn es ihre Weiber gilt. Überdies ist für Sie der Boden von Konstantinopel doppelt gefährlich, wenn Ihr Name entdeckt würde, und ich traue meinen eigenen Leuten nicht mehr.«

»Wie meinen Sie dies?«

»Lesen Sie. Ihr Bruder, der Kapitano Caraiskakis, hat die Fahne des Kreuzes in Thessalien erhoben, und die Griechen strömen von allen Seiten ihm zu. Mögen die Heiligen ihnen besseres Gelingen geben, als uns hier!« Der Fanariot warf ihm eine Nummer der Elpis und eine Proklamation in griechischer Sprache zu, wie in diesem Augenblick Tausende als Flugblätter durch Griechenland und das südliche Rumelien selbst nach Konstantinopel hin verbreitet wurden. »Ich habe beides soeben durch einen Bundesbruder erhalten.«

Gregor sprang empor; alle Schwäche, alle Gedanken an seine eigenen Verhältnisse waren verschwunden, als er den berühmten Aufruf seines kühnen und tapfern Bruders in der Hand hielt. Derselbe lautete:

» An die geknechteten Griechen von Thessalien, Macedonien, Thracien und Epirus, Klein-Asien, Candia und allen Inseln des Archipelagus.

Brüder und Landsleute! Zu den Waffen, zu den Waffen! Seit vier Jahrhunderten seufzt Ihr unter türkischem Joch. Die glückliche Stunde ist gekommen. Erhebt Euch und verliert keine Zeit; der Halbmond verschwinde vor dem Kreuz! Eure Sache ist eine heilige, und der Allmächtige wird Euch beistehen. Denkt an den Ruhm Eurer edlen Ahnen und errötet über Eure Entwürdigung. Fürchtet nicht die Bluthunde des Sultans noch seine glaubensabtrünnigen Freunde; es sind wilde, aber feige Horden, die Ihr schnell besiegen und zerstreuen werdet. Erhebt Euch, kämpft und laßt Euer Schwert nicht einen Augenblick rasten, bis Ihr es dem letzten Moslem ins Herz gestoßen! Nieder mit den Barbaren, den Plünderern Eures ruhmvollen und klassischen Vaterlandes, den Mördern Eurer Brüder von Chios und Kydonia. Eure nordischen Glaubensbrüder vergießen ihr Blut an den Ufern der Donau für Eure Sache. Seid ihnen und ihrem edlen Kaiser dankbar, aber laßt sie nicht allein vollbringen, was zu leisten Eure Pflicht ist. Bald wird jener mächtige Strom die gänzliche Vernichtung der Türkenscharen sehen. Euer Kriegsgeschrei sei ›religiöse Unabhängigkeit!‹ und Ihr werdet gewiß die barbarischen Moslems überwinden. Traut den Franken nicht und hofft nichts von ihnen für Eure Freiheit; sie sind Eure bittersten Feinde und die Freunde Eurer Unterdrücker. Erinnert Euch, daß die Engländer Parga an die Türken verkauften. Bedenkt, daß die Kanonen der Engländer wegen des verächtlichen Juden Pacifico die Häuser Eurer Landsleute im befreiten Griechenland bedrohten. Und noch schlechter als die Engländer sind die lateinischen Franzosen. Verachtet sie alle – zielt wohl auf den Feind! Gott ist mit Euch, und bald werdet Ihr frei sein.

Athen, den 10. (22.) November.
Anastasius Caraiskakis

»O, daß ich bei ihm sein könnte, daß wir Schulter an Schulter unser Blut für die Befreiung des Vaterlandes einsetzen dürften!«

»Seine Kampfstätte ist am Pindos – die Ihre am Balkan. Dorthin ruft Sie das Vaterland.«

»Treffen Sie Ihre Anstalten,« sagte mit stolzer Fassung der Sciote, » sein Ruf wird mich immer bereit finden!«

Im Schatten der nächsten Nacht verließ zum zweiten Male mit Geurgios und Vaso Gregor Caraiskakis die Hauptstadt des türkischen Reiches auf dem Wege zur Donau.


(Schluß des zweiten Bandes.)

 


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