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Ein Getreuer.

Um vier Uhr morgens, am Donnerstag, den 13. Oktober, donnerte eine kräftige Faust an das Tor des Konak Ismaël-Paschas, des neuen Gouverneurs von Smyrna, und der Klopfende verlangte den Einlaß.

Schlaftrunken und scheltend über den Lärm erhoben sich die Wache habenden Khawassen und öffneten die Pforte, durch welche drei in Mäntel gehüllte Männer in den Hofraum schritten, der Eine das Gesicht tief in die Falten verborgen, alle bis an die Zähne bewaffnet.

»Weckt zur Stelle den Gouverneur,« sagte einer der Fremden; »Jani Katarchi will ihn sprechen.«

Die Khawassen und Tschokadars lachten.

»Du Jani? Mashallah, seht diesen Sohn eines Schweins! Meinst Du, Du könntest einem Moslem in den Bart lachen? Du bist ein Esel und Deine Väter waren Esel. Wir spucken auf ihr Grab und sprechen: Delhi der! es sind Tolle.«

»Jani,« höhnte ein anderer, »wird sich selbst in die Höhle des Löwen wagen? Woher kommt Ihr, daß Ihr solchen Kot redet?«

Da warf der Verhüllte den Mantel von sich und mit donnernder Stimme rief er:

» Ich bin Janos! – Geht!«

Zugleich legten alle Drei ihre Waffen auf das Pflaster des Hofes und standen ernst und unbeweglich da. In die Diener des Paschas aber kam Leben, als sie diesen Mann sahen; der Schlaf und der Zweifel wich aus ihren Augen und sie beeilten sich, die seltsame Kunde ihrem Herrn zu bringen. In kurzer Zeit erschien der Kiaia Bey (Stellvertreter des Paschas), bald darauf der Gouverneur selbst.

Bis dahin hatte Janos auf keine der an ihn gerichteten Fragen geantwortet. Erst als Ismaël-Pascha, ein Moslem von strenger, Achtung gebietender Haltung erschien, faßte er die Hand eines seiner Begleiter und ging mit diesem auf den Pascha zu.

»Du hast diesem Manne versprochen, den jungen Griechen, der auf Verlangen des Inglis Konsul in Deine Haft gebracht worden, freizugeben und unbelästigt ziehen zu lassen, wenn Janos, der Kameeltreiber in Deine Hand gegeben würde. Wohl! Ich bin Janos und stelle mich selbst. An Dir ist es, Dein Wort zu halten.«

Der Pascha strich sich den dunklen Bart, indem er aufmerksam den so eifrig Verfolgten anschaute. Dann sagte er ruhig: »Khosch dscheldin! – Ihr seid willkommen! – Dschidelim! Laß uns gehen!« und damit wandte er sich nach der Tür des Selamlik und schritt voran, gefolgt von Janos und seinen beiden Gefährten.

In der großen Halle des Konak, die zugleich zu den Gerichtssitzungen dient, nahm der Pascha auf dem Divan Platz und lud die Fremden ein, ein Gleiches zu tun, indem er sie fortwährend als seine Gäste behandelte. Auf seinen Befehl erschien alsbald der Divan-Effendi (Schreiber eines Paschas) und setzte eine Schrift auf des Inhalts: »Nachdem Janos, genannt Katarchi, Räuber und Wegelagerer im Gebiet des Paschaliks von Smyrna, Seiner Hoheit dem Gouverneur Ismaël-Pascha seinen Leib zur freien Verfügung angeboten, wenn der in Haft Seiner Hoheit wegen Teilnahme an räuberischem Überfall und Brandstiftung befindliche Gregor Caraiskakis jeder Strafe frei und ledig entlassen werde, hat Seine Hoheit der Pascha diesen Vorschlag angenommen und ist darüber dieser Vertrag geschrieben und unterzeichnet worden.«

Der Räuber nickte, als diese Schrift verlesen wurde, dann nahm er die von dem Schreiber ihm angebotene Feder und malte in rohen Zügen zwei sich kreuzende Messer darunter, als sein Zeichen, wobei er eine Abschrift verlangte, die der Gouverneur gleichfalls unterschrieb.

Von diesem Augenblick an war Janos nach türkischer Sitte für drei Tage ein Gast in dem Konak des Pascha. Man brachte ihm alsbald Tschibuk und Kaffee und der Gouverneur unterhielt sich lange mit ihm über seine Taten und die Mittel und Wege, durch die er bisher allen Nachforschungen entgangen war. Der Räuber erzählte offenherzig und mit einem gewissen Stolz von seinen Handlungen, hütete sich jedoch sorgfältig, Namen zu nennen, wodurch seine Anhänger in der Stadt kompromittiert werden konnten. Er bat den Pascha, den Gefangenen Caraiskakis bis zur Beendigung seines eigenen Prozesses in Ungewißheit über das Geschehene und in Haft zu lassen, und für den Fall, daß während des Tages ein Knabe sich zeigen und nach ihm verlangen solle, auch auf diesen die Gastfreundschaft auszudehnen. –

Wie ein Lauffeuer durcheilte am Morgen die Kunde von der Tat des berühmten Räubers die Stadt. Das Volk sammelte sich vor dem Tor des Konaks, und eine Menge der vornehmsten und reichsten Griechen Smyrnas besuchten ungescheut ihren Helden in seinem Asyl, jammerten über seinen Entschluß und hielten lange Unterredungen mit ihm. Janos bewegte sich unterm Schutz der türkischen Sitte unbehindert in dem Umkreis des Konaks und jeder seiner Wünsche wurde gleich einem Befehl erfüllt. Mehrmals ließ ihn der Pascha zu sich kommen, um ihn den neugierig zum Besuch eingetroffenen fremden Konsuln zu zeigen, und alle unterhielten sich voll Teilnahme mit ihm. Im Laufe des Tages hatte sich auch der Knabe Mauro eingefunden und bediente fortan seinen Herrn und Oheim.

Es ist ein eigentümlicher Zug im orientalischen Leben, daß trotz wütenden Nationalhasses zwischen Türken und Griechen, beide heilig auf ein unter gewissen Bedingungen gegebenes Wort bauen. Ismaël-Pascha mußte die freiwillige Überlieferung des berüchtigten Bandenführers um so willkommener sein, als er sonst wenig Aussicht hatte, seiner habhaft zu werden. Denn obschon er weit energischer als sein Vorgänger im Amte auftrat und es seinen Maßregeln auch bereits gelungen war, einen Teil der Bande des Janos von den Khawassen überraschen und niedermetzeln zu lassen, so verhieß doch die politische Färbung, die jetzt diese Banden anzunehmen begannen, ein weit drohenderes Ungewitter. In Smyrna, Sardes und Ephesus organisierten sie offen den Aufstand und suchten die Unzufriedenen an sich zu ziehen und die griechische Bevölkerung zur Erhebung aufzureizen. Janos galt zugleich als der verwegenste und gefährlichste Führer, und es war den Türken sehr wohl bekannt, daß gerade zu ihm die griechische Bevölkerung, als zu dem geeignetsten Leiter einer Empörung, aufsah.

Da, zu Anfang Oktober, wurde plötzlich auf einem Dampfer, der in Dardanelli an seiner Wunde krank liegende Caraiskakis in Fesseln an den Gouverneur von Smyrna abgeliefert. Den eben Genesenen hatte mitten in seinen Nachforschungen nach der entflohenen Schwester und deren Verführer der dortige englische Konsul durch die türkischen Behörden verhaften lassen. Der Vize-Konsul von Smyrna hatte – offenbar auf Veranlassung des Baronets – eine Klage gegen ihn auf Teilnahme an dem räuberischen Überfall und dem Niederbrennen seines Landhauses erhoben.

Der Banditen-Chef schien seine Spione selbst im Konak des Paschas zu haben; denn alsbald hatte er erfahren, daß der Sohn seines alten Herrn in dem türkischen Gefängnis lag und wahrscheinlich verurteilt und ins Bagno nach Rhodus gebracht werden würde. Zwei Tage vor dem seltenen Ereignis, das jetzt alle Zungen von Smyrna in Bewegung setzte, war daher ein Fremder im Konak des Paschas erschienen und hatte diesem das Anerbieten der Selbstauslieferung des Räubers gemacht. Wir haben den Fortgang der Verhandlung gesehen.

Am zweiten Tage, als Janos nochmals zum Gouverneur gerufen worden, machte dieser ihm den Vorschlag, als Renegat in seinen Dienst zu treten und das Amt eines Khawaß Baschi zu übernehmen, ein Posten, der in der Türkei sehr häufig das Ende einer Räuberlaufbahn ist. Aber Janos verweigerte trotz aller Vorstellungen, was sonst seiner harrte, standhaft die Annahme des Vorschlags.

So verging auch der dritte Tag unter den Vorbereitungen, die der Pascha zu dem Gericht über den Räuber treffen ließ.

Am Nachmittag hielt Janos noch eine längere Unterredung mit mehreren angesehenen Griechen aus Smyrna und schien seine Verfügungen getroffen zu haben. Als die Sonne im Westen in dem prachtvollen Golf von Vurla verschwand, und ihre letzten Strahlen den Pagus färbten, traten die Khawassen des Paschas zu Janos und seinen zwei Gefährten, die sein Schicksal teilen wollten, und legten ihm schwere Fesseln an. Die drei Sonnen der Gastfreundschaft waren vorüber, die nächste sollte über dem Gericht aufgehen. Zugleich öffnete sich das Gefängnis des Konaks, die noch von dem schweren Krankenlager erschlaffte Gestalt Gregors wurde herausgeholt, und der Kiaia-Bey verkündete ihm seine Freilassung mit dem Bemerken, daß er Smyrna spätestens am morgenden Tage zu verlassen habe.

Das Wiedersehen des Hellenen mit dem gefesselten Freunde seiner Kindheit war ergreifend. Er ahnte nichts von dem heldenmütigen Opfer des Räubers und glaubte ihn auf einem seiner Streifzüge von den Leuten des Gouverneurs gefangen, und mit keinem Laut verriet der Bandit sein Geheimnis. Gregor warf sich – unbekümmert um das blutige Handwerk des Mannes – wie ein Freund in seine Arme und beklagte, das eigene vergessend, sein Schicksal. Auf den ausdrücklichen Wunsch des Räubers hatte Ismaël-Pascha gestattet, daß der Freigelassene bis zur herannahenden Katastrophe in seiner Gesellschaft bleiben durfte, und beide verbrachten die Nacht mit dem Knaben Mauro allein in der Zelle des Gefangenen.

Hier erst hörte Janos mit stummem Grimm die neue Entführung des Mädchens, das Duell des Griechen mit Sir Maubridge und die Quelle seiner Verhaftung. Aus seinem Munde dagegen erfuhr Caraiskakis, daß bereits am andern Morgen, noch ehe er selbst Smyrna verlassen werde, das Schicksal des Klephten (Wegelagerers) entschieden sein würde. Janos täuschte sich keinen Moment über dasselbe, und alle seine Worte hatten das ernste Gepräge des letzten Vermächtnisses an einen Freund vor dem schweren Gange zur Ewigkeit.

Seine Rede, der der Mann und der Knabe aufmerksam während der Nacht lauschten, atmete in jedem Laut den tiefen Haß des griechischen Volkes gegen seine Unterdrücker und Tyrannen. Sie mahnte Gregor an den Heldentod des Vaters, an die teuren Gelübde, die er der Befreiung seines Volkes und seines Glaubens beim Eintritt in den Bund von Elpis geschworen, und Mann und Knabe wiederholten das Gelöbnis eines nur mit dem Leben endenden Hasses und Kampfes gegen den Halbmond.

Erst gegen Morgen legte sich der Palikare zum Schlaf – es sollte der letzte sein, von dem er auf dieser Erde wieder erwachte.

Der Kawaß-Baschi, dessen Nachfolger zu werden er verschmäht, weckte ihn und führte ihn, begleitet von seinen beiden Genossen und Mauro, in die große Halle des Konaks, die für die öffentlichen Gerichtssitzungen diente. Hier waren bereits der Gouverneur mit seinen beiden Schreibern, dem Kiaia-Bey, der Kadi-Askar (Oberrichter) Smyrnas und eine Anzahl Mullahs und Muftis (Rechtsgelehrten) versammelt, desgleichen mehrere europäische Konsuln und ein zahlreiches Publikum, meist Griechen.

Ismaël-Pascha präsidierte selbst der Gerichtsverhandlung und es wurden zahlreiche Zeugen vernommen, die sich teils selbst in der Gewalt der Wegelagerer befunden, teils Freunde oder Verwandte mit schweren Summen ausgelöst hatten. Auch mehrere Mordtaten wurden dem Gefangenen nachgewiesen und der englische Vizekonsul beharrte gleichfalls auf seiner Klage wegen Einbruches und Mordes. Das Antlitz des Räubers blieb kalt und teilnahmslos bei all den Anklagen und sich häufenden Beweisen. Er versuchte mit keinem Wort seine Taten zu beschönigen, sondern beschränkte seine Verteidigung einzig auf die Erklärung, daß er nur gegen die Feinde seines Glaubens und seines Volkes also gehandelt habe. Desgleichen weigerte er sich auch jetzt, die Namen seiner Zuträger und Freunde in Smyrna zu nennen und suchte möglichst alle Schuld seiner beiden Gefährten auf sich zu nehmen.

Unter diesen Umständen konnte der Ausgang des Prozesses keinen Augenblick zweifelhaft sein und die Verhandlung wurde nach der Dauer von kaum zwei Stunden geschlossen. Der Rat der Mullahs fällte das Urteil, daß Jani – genannt Katarchi – als überwiesener Mörder und Wegelagerer die Strafe von fünf Yataganhieben zu erleiden habe. Seine beiden Gefährten wurden zu lebenslänglicher schwerer Galeerenstrafe verurteilt, und nachdem der Gouverneur das Urteil bestätigt hatte, verkündigte es ein Ausrufer von der Schwelle des Gerichtssaales und in den Gassen der Stadt.

In der Türkei folgt die Vollstreckung des Urteils dem Ausspruch gewöhnlich auf dem Fuße, und von den Tschauschi's und Khawassen umgeben, wurde der Verurteilte alsbald nach seiner Zelle zurückgebracht, um sich in der kurzen Frist, die ihm noch gegönnt war, zum Tode vorzubereiten.

Eine rasche Vollstreckung des Urteils schien dem Pascha um so notwendiger, als sich bereits während der Verhandlungen unter der zahlreichen griechischen Bevölkerung Smyrna's eine große Aufregung kund gegeben hatte, die einen gewaltsamen Versuch zur Befreiung ihres Helden und Palikaren fürchten ließ. Die Besetzung Smyrna's war zur Zeit wegen der allgemeinen Truppensendungen nach Rumelien und zum Heer unter Selim-Pascha bei Tortum und Batum sehr schwach. Der Gouverneur ließ daher das Tor des Konaks schließen und befahl, die Hinrichtung im Hofe desselben vorzunehmen, während dergleichen sonst in den Straßen der Stadt zur öffentlichen Warnung zu geschehen pflegte. Es war Gebrauch, die Leichname der Gerichteten eine Zeit lang am Orte der Hinrichtung liegen zu lassen, bis sie den Freunden oder Verwandten überlassen wurden.

Als Janos in die Zelle zurückkam, verkündete sein Auge dem harrenden Freunde, den man wegen der Anwesenheit seines eigenen Anklägers nicht zum Gericht zugelassen hatte, das Bevorstehende. Obschon ein eifriger Feind des Glaubens des Propheten, hatte der Wegelagerer doch längst jene Gleichgiltigkeit gegen das Leben angenommen, die den Orientalen im allgemeinen eigen ist, und er unterwarf sich dem Tode, mit einer Ruhe und Würde, die das erhabene seiner Aufopferung noch erhöhte. Er selbst beruhigte den Tieferschütterten und sprach ihm Mut ein, indem er ihm zugleich das Versprechen abnahm, für den Knaben Mauro zu sorgen und ihn zu seinem Rächer zu erziehen. Der Knabe selbst, der, ohne eine Miene zu verziehen, dem Gericht des Pascha's beigewohnt hatte, hielt stumm die Hand seines Oheims. Nur die keuchende Brust und das wild, ja mörderisch flammende Auge, wenn es sich durch die offene Tür auf die Khawassen richtete, zeigte den Sturm leidenschaftlicher Gefühle in seinem Inneren.

So war die Mittagsstunde herangekommen, die bestimmte Zeit, und ein kurzer Trommelwirbel der aufgestellten Soldatenabteilung verkündete den Beginn der furchtbaren Handlung.

Beim ersten Schlag der Trommel richtete sich der Räuber, der mit Gregor zum Gebet niedergeknieet war, in die Höhe und schlug das griechische Zeichen des Kreuzes. Dann trat er auf den Mann zu, den er einst als Kind aus den Händen der Moslems gerettet und jetzt wieder von Schmach und Kerker mit dem eigenen Leben lösen wollte.

»Gregor Caraiskakis,« sagte er ernst, »der dreieinige Gott mit seinen Heiligen und den seligen Geistern derer, die für das Kreuz gestorben, schaut auf uns herab in dieser Stunde. Auch Dein Vater ist unter ihnen und ich hebe meine Hand auf zu ihm und hoffe, daß er Fürbitte einlegen wird für meine Sünden, denn treu und fest bis zum Tode habe ich meinen Schwur gehalten, sein Blut zu retten und zu schützen. – Ich bin alt, mein Weg ging abwärts, der Deine hinauf – der morsche Eichbaum sinkt vor den drohenden Stürmen, der kräftige junge Stamm wird ihnen trotzen. Lebe wohl, Gregor Caraiskakis, und vergiß des gerechten Hasses nimmer, so wahr Dir und mir der Gott unserer Väter barmherzig sein möge!«

Die Gewehre der Wache rasselten auf dem Pflaster, die Khawassen traten in den Eingang der Zelle, als sich Gregor mit männlichen Tränen an die Brust des Verurteilten warf. Auch über dessen braune Wangen rollten große Tropfen als letzter Scheidegruß an das Leben, dann riß er sich kräftig los.

»Sollen wir Weiber sein vor diesen Moslems in der Stunde des Todes nach einem Leben voll Kampf und Rache? Fluch und Haß ihnen bis zum letzten Hauch! Und Du, Knabe, der Du die Geschichte meiner Jugend mit erregtem Herzen angehört: wenn der Todesengel die Hand auf mich legt, gib mir den Ruf mit hinüber, dessen Erinnerung so oft mir die Brust gehoben: Gott und die Heiligen – Chios und Tschesme

Der Knabe drückte ihm krampfhaft die Hand, – keine Träne stand in dem dunkel glühenden Antlitz des Kindes; – als Gregors Blicke darauf fielen, schämte auch er sich des Schmerzes und starr und finster nahm er die andere Hand des Räubers, der in ihrer Mitte ruhig und stolzen Blickes hinaus schritt in den Hof.

Wo der Türke den Henker macht, sind der Vorbereitungen wenige nötig – das furchtbar feierliche Gepränge, das bei uns die Akte der menschlichen Gerechtigkeit umgibt, ist dort gänzlich unbekannt.

Am Fenster des Selamlik stand der Pascha, umgeben von seinen Offizieren und rauchte ruhig seinen Schibuk. Wachen der Redifs hatten das Tor und die Ausgänge besetzt. In der Mitte des Hofes bildeten die Khawassen und Tschauschi's einen weiten Kreis, in dessen Inneren die beiden zur lebenslänglichen Galeerenhaft verurteilten Gefährten des kühnen Räubers standen; neben ihnen, in kurze braune Mäntel gehüllt, die beiden Khawassen, die das Amt des Nachrichters versehen sollten.

Hierher wurde Janos geführt – noch ein Händedruck und der Mann und der Knabe mußten am Eingang des Kreises zurückbleiben.

Mit festen Schritten betrat der Klephte die Mitte, während die letzten Genossen seines wilden Lebens sich trotz der Fesseln an ihren Gliedern auf ihn stürzten und seine Hände und Kleider mit Küssen bedeckten. Die Tschauschi's rissen sie von ihm und auf einen Wink des Khawaß-Baschi kniete der Räuber, das Zeichen des Kreuzes schlagend, auf dem Boden nieder, indeß einer der Tschauschis seine gefesselten Hände schnell auf dem Rücken zusammen band.

Ein letzter Blick – ein letzter Gruß – streifte Gregor, den Knaben, die treuen Genossen, die ihrem Führer zum Kerker gefolgt waren, und das schöne Licht der Sonne!

»Gott und die Heiligen!«

Die helle Stimme des Knaben rief es schneidend in den stillen Kreis – die beiden Khawassen neben dem Knieenden warfen die kurdischen Mäntel ab, – in ihren Händen blinkten die schweren Yatagans mit dem bleigrauen Glanz der echten Klingen.

Ein letztes Zeichen des Baschi's, die Trommel wirbelte und der eine der Khawassen führte den ersten Streich.

Das Urteil der fünf Yataganhiebe ist nur eine Formel, – die Henker der Türkei sind ihres fünften Hiebes sicher. Vier mal hob sich der Yatagan und fiel auf den Nacken des Klephten, kaum die Haut blutig ritzend, dann sprang der Khawaß zurück und der Zweite im selben Moment herbei.

» Rache für Chios! – Flammen von Tschesme

Der schrille Ruf der Knabenstimme übergellte laut den Trommelwirbel und das Zischen des Hiebes – – weit von dem Nacken rollte das Haupt auf den Boden hin. Krampfhaft öffnete und schloß sich der Hals, Ströme von Blut ausspritzend, – dann fiel der Leib des Gerichteten schwer vorn über auf die Erde.

Durch den Kreis der Khawassen, der sich rasch löste, brach der Knabe Mauro und warf sich mit wildem Geschrei auf den blutenden, noch lebenswarmen Leichnam seines Schützers und Verwandten. Der kühne Trotz war gebrochen, die leidenschaftliche, griechische Natur machte sich geltend, in ihrer vollen Heftigkeit und Schrei auf Schrei durchgellte die Luft, vermischt mit wilden Klagen und Verwünschungen gegen die Moslems.

Neben ihm und der Leiche kniete Gregor Caraiskakis im stillen Gebet.

Ohne sich um die Tränen und Verwünschungen zu kümmern, nahmen die blutigen Diener der türkischen Justiz das Haupt des Gerichteten und befestigten es an einer eisernen Spitze über dem Tore. Zugleich wurden die Pforten geöffnet und das Volk strömte unbehindert in den Hof und zur Richtstätte.

Der Pascha hatte sehr richtig gerechnet, die Vollziehung des Urteils hob jede Gefahr auf und brach die Aufregung des Pöbels. Wohl erging sich derselbe in Geschrei und bitteren Verwünschungen, indeß auf solche achtet der Türke nicht: in der Türkei herrscht unbedingte Redefreiheit, und wo der Haß und der Schmerz Worte findet, wird er selten zur Tat.

In dem Gebet an der Leiche des Getreuen störte Caraiskakis eine Hand, die sich auf seine Schulter legte, eine Stimme sagte leise zu ihm:

»Im Namen und Auftrag Jani's des Palikaren soll ich Euch mit mir führen von dieser Stätte, die Euch Gefahr droht. Ich habe gelobt, für Eure Sicherheit zu sorgen.«

Als Gregor emporschaute, sah er einen alten Mann in dem fliegenden schwarzen Gewande der Armenier vor sich. Fast willenlos gehorchte er der Aufforderung und erhob sich. Er sah, wie ein anderer Mann den Knaben Mauro an die Hand nahm und folgte dem Unbekannten, nachdem ihm dieser versichert hatte, daß für die passende Beerdigung der Leiche bereits gesorgt worden sei.

Sein Führer geleitete ihn durch die Gassen der Türkenstadt und nach dem fränkischen Quartier und hier in eines der Häuser, deren Hof bis ans Ufer des Meeres stößt. Hier wurde ihm eine kurze Erholung gegönnt, und da er jede Erfrischung von sich wies, bestiegen die vier alsbald ein Boot, das sie zu dem auf der Höhe des Hafens ankernden Lloyd-Dampfschiff führte, das binnen zwei Stunden seine Fahrt nach Konstantinopel fortsetzen sollte.

Der Greis in armenischer Kleidung hatte für Paß und Passagierbillet gesorgt. – Alles schien bereits vorbereitet. Auf dem Verdeck nahm der Alte die Hand des Griechen und führte ihn an eine einsame Stelle des Bollwerks, von der sie hinüberschauen konnten nach der ausgedehnten Stadt.

»Ich bin Ihr Landsmann und Glaubensgenosse, Herr,« sagte er, »und habe dies Gewand nur angelegt, um weniger beachtet zu werden. Mein Auftrag ist erfüllt und ich habe Ihnen jetzt nur noch wenige Worte zu sagen und einiges zu übergeben. Wenn auf Ihrer ferneren Laufbahn Ihr Gedanke oder Ihr Blick nach jener Stadt zurückkehrt, dann erinnern Sie sich, daß dort ein Grab ist, das für Sie geöffnet worden. Janos, der Kameltreiber ist für Sie gestorben, und diese Schrift, mit seinem Lebensblut bespritzt und nach seinem Befehl von der Brust seiner Leiche genommen, wird Ihnen Kunde davon geben. Janos war von uns zu hohen Dingen bestimmt, er hat uns auf Sie verwiesen, als jünger und geeigneter für den großen Kampf, der sich bereitet. Wir wissen, daß Sie mit Ihren Brüdern der Elpis angehören und nie im Kriege gegen unsere Unterdrücker nachlassen werden. Was Janos besaß – kein Tropfen griechischen Blutes, kein Para griechischen Geldes klebt daran, – hat er bei uns niedergelegt und zu einem Vermächtnis für Sie bestimmt, auf daß Sie es im Kampfe für unsere heilige Sache und zur Verfolgung Ihres Feindes verwenden mögen. Die Griechen der Hetäre von Smyrna haben das fehlende hinzugetan, und ich überliefere Ihnen hier hunderttausend Piaster in drei Wechseln auf Konstantinopel, Varna und Odessa. Möge der heilige Demetrius Sie schützen und segnen, Sie und diesen Knaben.«

Er reichte dem von der unerwarteten Kunde zu Boden Gedrückten die Hand, wehrte die stürmischen Fragen des Griechen ab, ihn auf den Knaben verweisend, und bestieg die Barke, die ihn nach Smyrna zurücktrug.


Das war es, was Gregor Caraiskakis dem Freunde am Morgen nach der blutigen Tat an Paduani erzählte, indem er ihm zugleich das heilige Dokument seiner Befreiung zeigte. Eine finstere, entschlossene Ruhe, ein noch strengerer Ernst, als er schon früher gezeigt, schien sich über das ganze Wesen des Griechen gelagert zu haben, ganz gegen die Gewohnheiten seiner Nation. Nur zuweilen funkelte sein dunkles Auge, und ein unheimliches Leben schien darin zu kochen und zu walten.

Gleich ihm stumm und verschlossen zeigte sich auch der Knabe, alles beobachtend, was er hörte und sah, und fast nie von der Seite seines neuen Schützers weichend. Er schien bereits alle Gefühle und Neigungen des Knabenalters von sich geworfen zu haben.

Beide waren am Tage vorher mit dem Dampfboot von Smyrna angekommen und hatten in einer der hinteren Straßen von Pera Quartier gefunden. Gregor hatte gehofft, in den Kaffeehäusern am Campo eine Kunde von dem Doktor zu erhalten, da er, schon verhaftet, dessen letzte Nachricht in Dardanelli nicht mehr empfangen hatte. Auch ihn fesselte der schöne Abend im träumerischen Sinnen bis zur Mitternachtstunde, und so war er zufällig auf dem Heimweg der Retter des Freundes geworden.

Mit Recht glaubte er in Konstantinopel zunächst am sichersten die Spur des Briten Maubridge und seiner Schwester erforschen zu können, und wollte deshalb hier einige Zeit verweilen. Für Welland, der eine immer innigere Zuneigung zu dem Griechen empfand, war dies eine sehr willkommene Nachricht, und er versprach, ihn nach Kräften in seinem Forschen zu unterstützen.

In der Tat gelang es ihm auch, und zwar durch Baron Oelsner, der zufällig den Griechen bei ihm getroffen, schon in den nächsten Tagen zu erfahren, daß Sir Maubridge sich längere Zeit in Konstantinopel aufgehalten hatte und dann nach Varna gegangen war, um das türkische Lager zu besuchen. Eine Gewißheit, ob er diesen Weg allein oder in Begleitung einer Dame gemacht, vermochten auch die reichen Hilfsquellen des Barons nicht zu ermitteln, jede Spur von Diona schien verschwunden.

Dagegen bemerkte Welland mit Erstaunen, daß sich alsbald ein sehr vertrautes Verhältnis zwischen dem Baron und seinem Freunde entsponnen hatte. Er traf wiederholt den ersteren in der Wohnung Gregors und beide in eifrigem Gespräch, das bei seinem Erscheinen abgebrochen wurde. Auch machten sie häufig Gänge, zu denen er nicht abgeholt wurde.

So waren mehrere Tage vergangen, als an einem Morgen ein Brief in Wellands Wohnung abgegeben wurde, der, mit dem geheimnisvollen Zeichen versehen, dem er zu gehorchen sich verpflichtet hatte, ihn aufforderte, zu einer späten Stunde des Nachmittags an der Fontaine Mahmuds I. sich einzufinden.

Es ist dies ein Bauwerk, das Welland seiner eigentümlichen Schönheit und Arabesken-Architektur wegen schon oft bewundert hatte, ein viereckiges, hohes Gebäude mit plattem, aber hervorragendem und von einem Geländer umgebenen Dach, dessen weiße Marmorwände von eingehauenen Devisen und Sprüchen aus dem Koran bedeckt sind. Der Bau erhebt sich mitten auf dem Markt von Tophana und spendet nach allen Seiten hin den umlagernden Menschen und Tieren köstliche, erfrischende Labung. Der Deutsche hatte erst kurze Zeit hier geharrt, als er die hohe, soldatische Gestalt des Mannes auf sich zukommen sah, den wir als Bewohner der Herberge im Malthesergäßchen mit der Benennung »General« gefunden haben. Beide schienen bereits Bekannte und grüßten sich als solche, der Arzt mit einiger Befangenheit.

»Das ist schön, daß Sie pünktlich sind, Doktor,« sagte der General, »nachdem ich Sie so lange ohne Nachricht gelassen. Indessen die Zeit ist da, wo Ihre Tätigkeit voll in Anspruch genommen werden soll. Sie werden wissen, daß ein Kurier bereits die Nachricht von dem Beginn des Angriffs an der Donau gebracht hat.«

»Ich habe davon gehört.«

»Ihr Gesuch um Anstellung beim Seraskiat ist unterstützt und ich hoffe, Sie werden eine Stelle unmittelbar im Gefolge des Muschirs erhalten. Vorerst aber sollen Sie uns hier einige Dienste leisten. Haben Sie Ihr Besteck bei sich?«

Der Arzt bejahte.

»So haben Sie die Güte, mich zu begleiten.«

Der General führte ihn nach dem Ufer und mietete dort einen vierruderigen Kaïk, der sie schnell über den Bosporus nach der asiatischen Seite trug, an dieselbe Wasserseite in Kandili, in welcher in der Nacht des 21. die Khanum Omers zu der geheimnisvollen Unterredung gelandet war.

Die Diener führten beide in ein Zimmer des Erdgeschosses und brachten Kaffee und Pfeifen; bald darauf verließ der General das Gemach und der Doktor blieb allein. Nach kurzer Zeit kam ein Diener, der Welland zu folgen bat und ihn in ein mit europäischem Luxus eingerichtetes Zimmer des oberen Stockwerkes führte. Hier fand er den General in Gesellschaft des Hausherrn wieder, der ihn höflich einlud, sich zu setzen.

Auf einen Wink entfernte sich der Diener und die drei waren allein.

»Doktor,« begann nach einer Pause der General, »ich habe Sie hierher gebracht, weil der Herr hier, einer unserer Freunde, mich ersucht hat, ihm einen zuverlässigen europäischen Arzt zuzuführen, dem er bei einem traurigen Geschäft vertrauen kann. Ich brauche Sie nicht daran zu erinnern, daß Ihr Eid Ihnen unbedingten Gehorsam auferlegt, und Sie wissen bereits, daß ich einer von denen bin, die ihn zu fordern haben. Aber ich teile Ihnen zugleich mit, daß von Ihrem Benehmen und Ihrer Willfährigkeit Ihre Zukunft und Ihre zukünftige Stellung in diesem Lande abhängen wird, die leicht Ihre kühnsten Hoffnungen und Wünsche übersteigen dürfte. Die Sache, um die es sich handelt, ist jedoch ernster Natur und – es gehören starke Nerven dazu, um nicht kindisch zurückzubeben.«

»Und was ist meine Aufgabe dabei?«

»Das werden Sie später erfahren. Vor allen Dingen handelt es sich um Ihr Schweigen und Ihre Bereitwilligkeit.«

»Das Schweigen,« entgegnete Welland ernst, »wäre die Pflicht des Arztes, selbst wenn ich ohnehin nicht durch meinen Eid gebunden wäre. Was meine Bereitwilligkeit betrifft, so werde ich meine Kunst oder meine Tatkraft nie verweigern, wo es irgend mein Gewissen und meine Ehre gestatten.«

»Wir verlangen weder die Prüfung Ihrer Ehre, noch Ihres Gewissens,« sagte herrisch der General, »sondern einfach Ihren Gehorsam, und haben Mittel in Händen, denselben zu erzwingen.«

Welland richtete sich mit männlicher Festigkeit auf, der Hausherr selbst aber kam dem Ausbruch eines Streites zuvor und faßte beruhigend die Hand des Offiziers.

»Überlassen Sie mir die Sache,« sagte er vermittelnd; »ich glaube, ich kann die Angelegenheit diesem Herrn, da wir seiner einmal bedürfen, von einem Gesichtspunkt darlegen, der sein Gewissen beruhigen wird.«

Der Doktor verbeugte sich erwartend.

»Sie dürfen,« fuhr der Effendi fort, »die Dinge und Vorgänge, denen Sie beizuwohnen berufen sind, natürlich nicht von dem Standpunkt der europäischen Einrichtungen und Zivilisation beurteilen. Sie befinden sich hier in der Türkei, einem, ich gestehe es zu, noch ziemlich wilden Lande, in dem das Leben und das Blut eines Menschen fast wertlose Dinge sind. Die Sache, um die es sich hier handelt, ist, einen überwiesenen Verbrecher, der nach türkischen Gesetzen unbedingt den Tod verdient, in einer höchst wichtigen, für das Wohl und Wehe des ganzen Staates wesentlichen Angelegenheit zum Geständnis seiner Helfershelfer und der Mittel seines Verrats zu zwingen. Bis hierher, werden Sie zugeben, sind wir, auch nach europäischen Begriffen, vollkommen in unserem Recht.«

Der Arzt verneigte sich zustimmend.

»Bei Ihnen,« fuhr der Moslem fort, »verliert man viel unnütze Zeit mit geistigen Daumschrauben, – bei uns wendet man die wirklichen an. Es existiert bei uns noch die Tortur, die, wie ich gehört habe, früher bei allen christlichen Völkern Europas im Gebrauch war und selbst jetzt noch von der aufgeklärtesten Nation, den Engländern, häufig in ihren Besitzungen in Indien angewendet wird. Ich wiederhole es, bei Völkern, die sich auf einer Stufe der Kultur befinden, wie das meine, sind grausame und blutige Strafen und Mittel nicht zu vermeiden.«

Welland schwieg – er konnte dem gewandten Unterhändler nach allem, was er bereits in diesem Lande erfahren hatte, nicht ganz Unrecht geben.

»Der Dienst, den wir von Ihnen verlangen, besteht nun darin, einer solchen notwendig gewordenen Tortur im Nebenzimmer beizuwohnen und sie wissenschaftlich in der Art zu überwachen, daß Sie nach dem Puls der verurteilten Person das Stadium angeben, in dem wirkliche Lebensgefahr eintritt. Ich bemerke Ihnen, daß, wenn die Person bekennt, sofort inne gehalten und ihr selbst alle weitere Strafe geschenkt werden soll.«

Der Deutsche war bleich geworden bei dem schrecklichen, mit solcher gleichgiltigen Ruhe ihm gemachten Vorschlag. Dennoch fühlte er, daß er als Arzt und in der eigentümlichen Stellung, in der er sich befand, schwerlich sich der schaurigen Pflicht entziehen könne. Den blutigen, grausamen Sitten des Landes mußte der Widerwille des menschlichen Gefühls sich beugen.

»Der Verbrecher ist wirklich zum Tode verurteilt?«

»Ich gebe Ihnen mein Wort und schwöre es Ihnen auf den Koran, die Person muß des begangenen Verbrechens halber sterben, das Geständnis ist ihre einzige Rettung. Ich wünsche sie zu retten, – aber – sie muß bekennen, es muß sein, und wenn jedes Glied ihr stückweis vom Leibe geschnitten werden sollte!« Der Fanatismus des Orientalen durchbrach bei dieser Drohung den falschen Firnis der pariser Tünche, das Auge des vornehmen Mannes flammte wie das eines Tigers. »Unsere eingeborenen Ärzte sind Esel und zu nichts zu brauchen, darum wenden wir uns an Sie, den mit der türkischen Sprache Unbekannten, denn dies ist, bei der Wichtigkeit des Staatsgeheimnisses, eine der Bedingungen. Selbst wenn die Person halsstarrig ist und von der Tortur stark mitgenommen werden sollte, kann Ihre Kunst dazu dienen, ihre Wiederherstellung zu sichern. Jetzt ersuche ich Sie, zu erklären, ob wir auf Ihre Begleitung rechnen dürfen? Bedenken Sie wohl, die Folterung geht in jedem Fall vor sich, auch ohne Sie! Ihre Weigerung raubt der Person die Aussicht auf Rettung.«

Der Arzt fühlte, wie der Blick des Generals drohend und finster auf ihm lag; er empfand ganz das furchtbare seiner Lage und der Wahl. Nach kurzem Kampfe sagte er endlich:

»Ich bin bereit!«

»Ihr ewiges Schweigen ist sicher – was Sie auch erblicken, welche Geheimnisse Sie zufällig auch erfahren mögen?«

»Sie haben mein Wort!«

»Wohl, so ist unsere Verhandlung geschlossen. Das Dunkel des Abends beginnt sich auf den Bosporus zu senken, in einer halben Stunde können wir abfahren.« Er klatschte in die Hände. »Cave Smarla!«

Die Diener traten sofort ein und Welland schauderte, als er sah, mit welcher Ruhe seine beiden Gesellschafter trotz der bevorstehenden furchtbaren Szene den unvermeidlichen Kaffee und Schibuk nahmen.

Die Sterne blinkten am Himmel, und Ufer und Stadt waren bereits in das rasch einfallende Dunkel gehüllt, als der Exminister erklärte, daß es Zeit sei und alle drei am Wassertor der Villa den harrenden Kaïk bestiegen, der mit der Strömung rasch nach dem Goldenen Horn führte. Hier bogen die Ruderer auf einen Befehl des Herrn nach der Serailspitze, umfuhren diese und landeten auf der Seeseite an einer Pforte, die aus der rings das Serail umgebenden Mauer zum Wasser führt. Eine Wache stand an der Tür und öffnete sie auf ein Losungswort des Ministers.

Der General hielt seinen türkischen Freund hier zurück.

»Ich glaube, Hoheit,« sagte er mit einem gewissen Schauder, der Welland nicht entging, »es wird nicht nötig sein, daß ich das Serail mit betrete. Mein Geschäft ist hier beendet, Doktor Welland wird seine Pflicht tun und – gerade heraus, ich bin Soldat, aber weder Arzt noch – Moslem. Das Resultat erfahre ich morgen aus Ihrem Munde.«

Der türkische Staatsmann lächelte.

»Tun Sie ganz nach Ihrem Belieben, General,« sagte er, » ich habe den Doktor, und das ist vorläufig genug. Mein Kaïk steht Ihnen zur Disposition. Auf Wiedersehen morgen.«

Obschon die Erwartung der Szene, die da kommen sollte, das Gemüt des Deutschen erfüllte, konnte er doch nicht gleichgiltig sein gegen die historischen Erinnerungen, die sich ihm bei dem seltsamen Eintritt in diesen geheimnisvollen Ort aufdrängten, den Europa noch immer mit einer gewissen Scheu betrachtet und dessen Namen es mit dem Begriff reizender und furchtbarer Geheimnisse verknüpft, die diese Mauern mit dem Schleier aus Tausend und Einer Nacht, mit Glanz und Purpur und Gold, mit all' der orientalischen Wunderpracht und den Schatten blutiger Historie umweben, – der Glanz des Thrones, das Geheimnis reizender Odalisken ist verschwunden, seit Mahmud seine Residenz aus diesen Mauern verlegt hat. Jetzt leben hier, von den Eunuchen und Kapidschi's (Torwächter) bewacht, nur noch die abgedankten Kadinen und Odalisken des Harems des verstorbenen und gegenwärtigen Großherrn, und in den weiten äußeren Räumen einige Würdenträger des Reiches mit ihrer eigenen und einem Teil der Dienerschaft des Sultans. Dennoch ist das Serail-Burnu auch jetzt noch nicht ohne seine tiefumschleierten Geheimnisse und bei Lebzeiten der Sultanin Valide, die hier ihren Wohnsitz hatte, spannen sich von hier aus gar oft die wichtigsten Fäden der Geheimnisse des Reichs.

Durch den mit hohen Cypressen und Platanen besetzten, sonst aber öden und wüsten Garten führte der Minister den Arzt nach dem gegenüberliegenden Eingang. Links zur Seite blieben die großen Ställe des Sultans, die für 1000 Pferde Raum haben, rechts der Kiosk des Padischah, nach dem Bosporus hin, auf Bogen gebaut mit vergoldeten Kuppeln; in einiger Entfernung nach der Stadt zu liegt ein zweiter, mit der Aussicht auf den Hafen. In dem ersten hielten sich früher während des Tages die Herrscher mit ihren Weibern und Stummen auf. Die Kais und das Serail sind mit Artillerie ohne Lafetten besetzt, die meisten Geschütze in der Höhe des Wassers. Bei den öffentlichen Festlichkeiten donnert diese Artillerie, unter der sich die große Kanone befindet, durch die nach der Sage Babylon gezwungen ward, sich Sultan Murad zu ergeben. Ein anderer Mörser befindet sich in der Ecke des ersten Hofes – in ihm sollen die aufrührerischen Ulema's zu Tode gestampft worden sein.

Das Serail-Burnu wurde von Mahomed II. erbaut und bildet auf der Landspitze zwischen dem Horn und dem Marmarameer eine Art Dreieck, dessen längste Seite sich nach der Stadt hin erstreckt, nach welcher sich auch die Tore und Höfe des Zugangs befinden. Es ist ein Conglomerat von je nach der Laune der Sultane und Sultanas erbauten Gebäude der verschiedensten Bestimmung, in deren Innern zum Teil alte orientalische Pracht, das heißt Vergoldung und Stukkatur, eingelegte Arbeiten in Gold und Azur, Marmorbecken, Bäder und Springbrunnen, die unbesorgt auch im ersten Stockwerk angebracht sind, noch vorhanden sind.

Die Eintretenden schienen erwartet zu sein, denn zwei Kapidschi's traten alsbald zu ihnen und gingen vor ihnen her bis zu einer zweiten, in die Gebäude sich öffnenden Tür, an der wieder zwei Schwarze die Wache hielten. Hier übernahm ein harrender Eunuch, in bunte, schreiende Farben gekleidet, ihre Führung und geleitete sie durch einen kleinen Hof und verschiedene gewundene Gänge, in deren Richtung Welland ganz irre wurde, zu einem hell erleuchteten Divan-Hane, in dem an den Wänden mehrere schwarze Sklaven standen, der Sprache und der Mannheit beraubte Geschöpfe, willenlose Werkzeuge der Willkür ihrer Gebieter.

Hier mußte Welland auf einen Wink seines Begleiters sich niederlassen, während dieser durch einen Vorhang in das anstoßende Gemach verschwand.

Alles war Schweigen um ihn her, – ein unheimliches Schweigen schon während des ganzen Ganges durch das weitläufige Gebäude. Das dauerte auch hier lange Zeit, bis er endlich eine leise, flehende Stimme in einiger Entfernung zu vernehmen glaubte – schaudernd, denn er fühlte, seine Aufgabe begann jetzt.

Er lauschte, – doch nur einzelne Laute drangen zu ihm herüber, dazwischen klang es zuweilen wie eine scharfe, kräftige Frauenstimme, zuweilen auch glaubte er die seines Begleiters zu vernehmen. Dann war wieder alles still, – die menschlichen Bildsäulen um ihn her rührten sich nicht.

Plötzlich wurde der Vorhang gehoben und der Minister trat heraus, sein schönes Gesicht war bleich, das Auge funkelte zornig, und der Mund war wie in festem Entschluß zusammengekniffen.

Ohne Laut winkte er dem Arzt, ihm zu folgen.

Welland betrat ein zweites großes Gemach, – fensterlos, nur von einer Lampe düster erhellt – aber leer – kein Bewohner zu sehen. Im Hintergrunde öffneten sich, durch schwere Vorhänge geschlossen, zwei Türen.

Zu der rechts führte ihn der Effendi und hob den Vorhang; das Gemach war dunkel, nur durch die Spaltenöffnungen der einen Seitenwand schienen einzelne helle Lichtstrahlen hereinzubrechen. Als sein Auge sich an das Dunkel gewöhnt hatte, sah er, daß sie durch die Öffnungen eines Vorhanges kamen, der in dicken, schweren Falten einen Eingang zum Nebengemach schloß.

Nach dieser Seite geleitete ihn der Moslem, und bedeutete ihn, sich auf dem Divan niederzulassen. Dann hob er ein Tuch von einem Gegenstand, der unter den Falten des doppelten Vorhanges hervor auf den Divan gestreckt war, und bedeutete ihn, denselben zu fassen.

Der Arzt legte die Finger darauf – es war eine warme Menschenhand, – die Weiche der Haut, die zarte, volle Form zeigte ihm eine Frauenhand, die in der seinen zuckte, offenbar jenseits des Vorhangs durch eine Einzwängung des Armes in dieser Lage festgehalten.

»Lassen Sie mich fort, Herr, das ist ein Weib, um keinen Preis der Welt mag ich Teilnehmer der Handlung sein, die sich hier vorbereitet.«

Der Minister drückte ihn zurück auf den Sitz.

»Schweigen Sie, und tun Sie Ihre Pflicht,« sagte er mit verhaltener dumpfer Stimme, »oder Sie sind selbst das Opfer. Die Personen hinter jenem Vorhang sind nicht gewohnt, mit sich spielen zu lassen. Weib oder Mann, das Verbrechen ist dasselbe, ebenso die Strafe. Hier ist die Klingel, mit der Sie ein Zeichen zu geben haben, wenn die äußerste Gefahr eintritt, – doch nur dann! – Sie wissen, was allein hier Rettung bringen kann.«

Ehe Welland sich fassen, ehe er antworten konnte, war sein Führer verschwunden, er hörte das Gemach von außen durch einen Riegel verschließen.

Wieder trat einige Augenblicke tiefe Stille ein, dann erklang durch die Falten des Vorhangs ein tiefer, stöhnender Seufzer.

Er hatte die Hand der Unglücklichen erfaßt, sie war weich und sanft und mußte einem noch jungen, vielleicht sehr schönen Wesen angehören. Er drückte sie leise, zum Zeichen, daß eine teilnehmende Seele in ihrer Nähe sei.

Der Seufzer schien ein Echo zu wecken; ihm war, als halle er in dem dunklen Gemach wieder, in dem er selbst sich befand, dicht neben sich.

Aber er hatte keine Zeit, darauf zu achten!

Ein leichter Kohlenrauch schien durch die Spalten des Vorhanges zu dringen und gleich darauf zuckte die Hand scharf in der seinen – –

Die Marter hatte begonnen!

Ein brandiger Geruch wie von verkohlendem Fleisch zog durch die Luft, rascher und krampfhafter wurde das Zucken der Hand.

Er hörte im Nebengemach das Flüstern mehrerer Stimmen, dann eine lautere Frage, ein Stöhnen als Antwort – er entnahm daraus, daß der Unglücklichen ein Knebel den Mund verschloß.

Sie mußte durch ein Zeichen verweigert haben, Antwort zu geben, denn der Brandgeruch dauerte fort und verstärkte sich.

Kalter Schweiß perlte auf der Stirn des Arztes, – zehn Mal wohl griff die Hand nach der Schelle, um das Halt gebietende Zeichen erschallen zu lassen, aber die Vernunft sagte ihm, daß es der Dulderin nur einen kurzen, unnützen Verzug bringen werde.

Er ließ die Hand los und begrub das Gesicht in die seinen.

Da störte ihn ein heiseres, tückisches Lachen, und ein tiefes, jammerndes Wimmern folgte – dem wiederum jenes seltsame Echo neben ihm zu antworten schien.

Er faßte rasch nach der Hand, sie war krampfhaft geschlossen – er fühlte, daß die Leidende in heroischem Trotz gegen die Martern kämpfte. Sein Finger suchte den Puls – er schlug rasch und wogend, aber noch immer kräftig.

Ein wildes Kreischen der Wut schien eine verneinende Geberde der Leidenden zu erwidern, dann kam der herrische Befehl einer Weiberstimme. Er vernahm die seines Führers dazwischen sprechen, aber der Befehl wurde gleich heftig wiederholt.

Plötzlich fühlte er die Hand und den Arm, so weit er vor ihm lag, krampfhaft erbeben und ringen, wie als wollten sie sich gewaltsam befreien – minutenlang dauerte die schreckliche Bewegung – eine grauenhafte, entsetzliche Tat schien auf Armeslänge von ihm vor sich zu gehen, und rasch faßte seine Hand die Klingel, um auf jede Gefahr hin der Marter ein Ende zu machen.

Da streckten sich der Arm und die Hand – das wilde Ringen hörte auf, mehrere Personen schienen um die Gemarterte beschäftigt, die Frauenstimme sprudelte Verwünschungen aus, wie er nach einzelnen ihm bereits verständlichen Worten zu schließen vermochte. Darunter hörte er wiederholt die Benennung: Moskow. Eine zweite Frauenstimme mischte sich drein und zugleich die des Effendi, dann schwieg der Lärm und eine schwache, selbst in ihren gebrochenen Tönen noch süße Stimme sagte einige Worte.

Wiederum fragte der Effendi dazwischen.

Die Stimme sagte noch einiges – dann stockte sie und verstummte endlich ganz.

Die Frage wurde dringend wiederholt, auch die Weiberstimmen mengten sich hinein. –

Welland glaubte dazwischen, dicht neben seinem lauschenden Ohr ein lateinisches Gebet, – das Ave murmeln zu hören. Er spannte alle Nerven an, um zu hören, sich zu überzeugen –

Totenstille!

Zwei Worte, schneidend, befehlend, unterbrachen sie.

Diesmal schien der Henker es verschmäht zu haben, der Leidenden den Knebel erst wieder einzuzwängen. Ein Nerven und Mark erschütternder Ton wie von zermalmenden Knochen – zugleich ein herzzerreißender wilder Schrei, ein zweiter – Welland ließ wie wahnsinnig die Klingel ertönen, aber die gellende Stimme eines Befehls fuhr dazwischen und Schrei auf Schrei erscholl fort in ersterbendem Jammer.

Mit beiden Händen hatte der Deutsche die Vorhänge gefaßt und riß die befestigten gewaltsam auseinander: das schreckliche Schauspiel bot sich jetzt seinen zornfunkelnden Blicken dar.

Auf einem Ruhebett, dicht an seiner Seite, lang ausgestreckt, lag die nackende, kaum über den Hüften mit einem Tuch bedeckte Gestalt einer jungen, selbst in der Entstellung des Schmerzenskampfes noch schönen Frau. Aschblonde, wild umherfallende Haare umgaben das blasse Gesicht, aus dem die schwarzen, halbgebrochenen Augen auf ihn emporstarrten.

Wer sie gesehen, die junge reizende Odaliske, als sie vor wenigen Abenden noch an der Brust des Großherrn ruhte, Liebe spendend und empfangend – Mariam, die Beneidete des Harems, die Gebieterin des Gebieters in drei Weltteilen – wer hätte das schreckliche Schicksal ahnen mögen, das ihr der finster schleichende Haß bereitete!

Die Anklage auf den gefundenen Brief hatte ihr Ziel nicht verfehlt, der Großherr hatte die Geliebte aus seiner Nähe verbannt.

Aber ahnte er wohl, während er vielleicht im selben Augenblick in den Armen Nausikas, der verlockenden Tochter des Rächers von Chios, schwelgte, ahnte er wohl, wie verstümmelt der süße Leib, der sein Lager geteilt, in den Zuckungen grausamer Schmerzen sich wand?

Nimmermehr!

Ein Blick genügte dem Arzt, die furchtbare Marter zu ermessen, die das zarte Weib mit Heldenmut ertragen hatte. Von den halbverkohlten Fußsohlen stieg noch der widrige Geruch empor, die Mitte der Brust zeigte ein tiefes Brandmal, in dem noch die dunkle Asche der verglühten Kohlen lag. Die zwei schwarzen Henker an der Seite der Unglücklichen – Stumme mit teuflisch grinsenden Mienen, waren eben mit jener einfach höllischen Maschinerie beschäftigt, dem Knebel, der zwischen Holzstücken die Gelenke der Glieder zermalmt. Auf dem Divan gegenüber, Furien, der Hölle entstiegen, saßen, in ihre Yaschmaks verhüllt, zwei reich gekleidete türkische Frauen, in den Augen grausamen, teuflischen Triumph; in kurzer Entfernung von ihnen mit finsterem, bleichem Gesicht, wie einer furchtbaren Notwendigkeit gehorchend, der türkische Würdenträger, die Feder in der Hand, das Papier vor sich auf dem Schooß, um die Geständnisse der Unglücklichen aufzuzeichnen.

Mit einem Sprung war der deutsche Arzt über das Schmerzenslager der Gemarterten hinweg, und schleuderte die schwarzen Henkersknechte zur Seite. Sein flammender Blick scheuchte den Tschannador zurück, der nach dem Handjar im Gürtel griff.

»Mörder, blutdürstige Mörder, die Ihr seid! – Seht Ihr nicht, daß diese Frau stirbt in den wahnsinnigen Martern, die Ihr derselben bereitet?«

»Nieder mit dem Djaur! Schlagt ihn zu Boden!« schrie die eine der drei Frauen den drei Verschnittenen zu, doch der Effendi warf sich zwischen sie und vor den Arzt.

»Haltet ein, Sultana! Dieser Ungläubige wird das Weib vom Tode retten, und Du weißt, daß dies notwendig ist. Ihr Tod könnte uns doppeltes Verderben bereiten.«

Sein Befehl wies die Henker aus dem Gemach, nach einigem Widerreden fügten sich auch die Frauen, ihnen zu folgen, während Welland bereits mit der Unglücklichen, Bewußtlosen beschäftigt war und sie zum Leben zurückzurufen suchte. Zum Glück hatte er eine jener kleinen tragbaren Apotheken bei sich, welche die Ärzte auf Reisen mit sich zu führen pflegen; ein flüchtiges Salz regte die Lebensgeister der Gemarterten wieder an, und er versuchte, alsbald einen Verband auf ihre Wunden zu legen.

Seine Erfahrung belehrte ihn jedoch bald, daß das Leben des armen Wesens in höchster Gefahr schwebte und ihre Kraft immer mehr ermattete. Um ihr wenigstens Ruhe zu sichern, bedeutete er energisch den Effendi, welcher besorgt an dem Lager stand, die Kranke müsse wenigstens einige Stunden ungestörte Ruhe haben und er selbst werde bei der aufs äußerste Gefährdeten wachen. Nach einigem Zögern fügte sich der Staatsbeamte mit der Erklärung, er wolle im Vorzimmer bleiben.

Der Vorhang der Tür fiel hinter ihm, Welland befand sich mit dem Opfer grausamer Verfolgung jetzt allein.

Er betrachtete wehmütig, schmerzlich das schöne blasse Gesicht mit den in Lethargie geschlossenen Augen, auf das der Todesengel bereits seine grauen Schatten zu breiten begann. Die Wunden und Verletzungen, die das Mädchen empfangen, waren allerdings nicht absolut tötlich, aber ihr ganzer innerer Organismus schien so verletzt, so zerrissen, daß er den Leiden schwerlich zu widerstehen vermochte.

Was konnte dies junge, schöne Wesen getan haben, das eine so grausame Strafe nötig machte? Was konnte das schwache Mädchen mit den Geheimnissen wichtiger Reiche zu tun haben?

Er hatte sie mit einem Teppich bedeckt und saß in schmerzlichem Nachdenken an ihrer Seite, ihren Puls in seiner Hand.

Da erklang wieder der stöhnende, geheimnisvolle Seufzer, den er schon früher gehört und für das Echo des Schmerzensrufs der Dulderin gehalten hatte. Diesmal überzeugte er sich, daß er sich geirrt, daß der jammernde Laut von einem anderen Wesen kommen mußte.

Sie schien ihn gleichfalls gehört zu haben, denn ihre Augen erschlossen sich, erst irrten sie starr umher, dann fielen sie mit dem Verständnis und dem Ausdruck des Dankes auf den Arzt, und einige Momente nachher schienen sie ihm zu winken und auf den zerrissenen Vorhang zur Seite nach dem Gemach zu deuten.

Er sah, wie die Leidende sich anstrengte, zu sprechen, und legte den Kopf an ihre blassen Lippen. Er hörte endlich, wie diese in französischer Sprache flüsterten: »Rettung! Dort«

War denn noch ein unglückliches Wesen in seiner Nähe, das seiner Hilfe bedurfte?

Er zog rasch sein Taschenfeuerzeug hervor, zündete das Endchen Wachslicht an und stieg über das Lager hinweg in das Gemach, in dem er soeben die furchtbare Szene miterlebt hatte.

Unfern von seinem Sitz, an den Polstern des Divans, regte und bewegte sich ein dichter Knäuel, er hob den bedeckenden Teppich hinweg, ein schwarzes Weib lag dort am Boden, zusammengeschnürt gleich einem leblosen Bündel, den Knebel im Munde.

Ihre großen Augen starrten ihn an mit unbeschreiblichem Ausdruck.

Mit einigen raschen Schnitten seiner Lanzette hatte er die Bande gelöst und die Mohrin sprang elastisch mit der Schnellkraft der Jugend empor und stürzte sich dann wie eine Tigerin auf ihr gefährdetes Junge, auf die bleiche Gestalt der Gepeinigten.

Kaum vermochte Welland sie davon abzuhalten, sich auf die Leidende zu werfen und zugleich das Jammergeschrei zu ersticken, das auf ihren Lippen schwebte und das unfehlbar die Würger herbei gerufen hätte.

Mit Zeichen machte er ihr die Gefahr, die sie bedrohte, so gut als möglich begreiflich. Sie verstand, – sie hatte die Leiden der Gebieterin ja wenigstens mit dem Sinn des Gehörs mitempfunden, – einem Ballen gleich zur Seite geworfen, um, wenn das Schicksal der Herrin entschieden war, wahrscheinlich als unnütze und gefährliche Last in den Fluten des Bosporus begraben zu werden.

Es war eine herzzerreißende Szene für den Arzt, als sich die Schwarze mit all' dem leidenschaftlichen Wahnsinn des Volkes heißer Zone bald am Schmerzenslager der Herrin das Haar raufte, bald sich vor ihm niederwarf, die Hände zu ihm emporgestreckt, wie um Rettung flehend für die Sterbende.

Und das alles ohne Laut, – stumm, still, – aller Schmerz, alle Angst und Pein in die leidenschaftlichen Geberden zusammengepreßt!

Jeder allzu hörbare Laut wäre Tod gewesen, – selbst die Gemarterte schien dies zu empfinden und zu fürchten.

Ihre Augen suchten wieder den Arzt und riefen ihn herbei.

»Bei dem Kreuz des Erlösers, an das ich glaube wie Du, Fremdling, beschwöre ich Dich, rette das Mädchen hier; der Mund einer Sterbenden muß durch sie eine Botschaft senden, die mit meinem Leben erkauft ist.«

Welland starrte sie an, – wie sollte er helfen, befreien, hier, in den Mauern des Serails, unter den Augen von hundert Wächtern? – er blickte ratlos umher.

»Dort – dort – das Fenster nach dem Meer!« – ihr Auge deutete nach dem Schlafgemach; – zum dritten male betrat es der Arzt und schaute prüfend und vorsichtig umher. An der entgegengesetzten Wand befand sich der Kiosk, Fenster ringsum, mit dichten Jalousieen geschlossen. Es gelang ihm, eine zu öffnen, durch das vergoldete Holzgitter schaute er hinaus, dicht unter ihm lag das Meer, der Pavillon reichte bis nahe an die Mauer, die das Serail und seine Gärten auch von der Seeseite einschließt.

Er strengte alle seine Kräfte, doch nicht ohne die nötige Vorsicht an und es gelang ihm, einen Teil des Gitters ohne merkliches Geräusch mit seinem Dolchmesser herauszubrechen; – als er den Kopf aus der Öffnung streckte, bemerkte er zu seiner Freude, daß eine Flucht wenigstens in die öden Gärten möglich war, denn wilde Weinreben schlangen sich um die Bogen und Pfeiler, die den abgelegenen Pavillon trugen, fast bis über die Fenster hinauf.

Als er zurückkehrte an das Schmerzenslager Mariam's, sah er die Mohrin neben der Herrin knieen, das Ohr auf ihre bleichen Lippen geneigt, die leise, dringende Worte zu ihr zu sprechen schienen. Aber die Schwarze schüttelte heftig den Kopf, gleich als verweigere sie, um was die Herrin sie anflehte. Da rötete sich deren blasses Gesicht, das ersterbende Auge schien in Drohung zu funkeln, zwischen den Brauen faltete sich die Stirn und die keuchende Brust sandte harte, heftige Worte, dem Arzt unverständlich, wie die ganze Unterredung, über die zuckenden Lippen.

Die Sklavin beugte das Haupt, große Tränen rollten aus ihren Augen und sie faltete im stummen Gehorsam die Hände über der Brust. Als nun Welland herantrat und leise verkündete, daß der Weg zum Versuch der Flucht geöffnet sei, stürzte die Schwarze nochmals am Lager ihrer Herrin nieder und bedeckte ihren Leib und ihr Antlitz mit Küssen. Dann – die Hände noch einmal flehend gegen den Arzt ausstreckend und auf die Kranke deutend, verschwand sie in dem dunklen Gemach. Welland sah sie einer Schlange gleich durch die Öffnung des Fensters schlüpfen und verschwinden.

Atemlos horchte er auf jedes Geräusch, – nur der Schlag seines eigenen Herzens ängstigte ihn, – die Flucht schien gelungen!

Als er, um den Verdacht so lange wie möglich aufzuhalten, den Teppich des Vorhanges wieder möglichst geschlossen und zurück sah auf die Kranke, schien eine tiefe, verklärende Freude sich über ihr Gesicht ergossen zu haben.

Ihr Mund flehte leise zu ihm auf: Beten! Der Mann, der seit kurzem Gefahr und Tod in krassen Zügen um sich gesehen, der der blutigen Bestimmung des Krieges entgegen ging, sank an dem Lager des mißhandelten Mädchens, – das er zum ersten Male im Leben sah, – in die Knie, und leise murmelnd strömten über seine Lippen die Gebete der Kindheit.

Wie lange hatte er nicht gebetet, wie lange hatte der Dämon des Zweifels und der stolzen Freigeisterei seinen Sinn in Fesseln geschlagen, ärger als der krasseste Aberglaube! O, wie wohl tat es ihm jetzt, glauben und beten zu können so recht aus vollem Herzen für ein vergehendes Leben, am Sterbelager einer fremden Odaliske.

Er sah, wie über ihr Antlitz die Schatten des Todes zogen, – er sah das ersterbende Auge sich umfloren mit den ewigen Geheimnissen des Jenseits. Mit einer letzten Anstrengung hob sie die unverletzte Hand gegen ihn empor, streifte einen Ring von ihrem Finger und preßte ihn krampfhaft in die seinen – eine Gabe der Erinnerung. Er fühlte den Puls des Lebens schwächer und schwächer werden und faltete seine Hände über den ihren. Dann hob sich die Brust noch ein Mal hoch, über die Lippen quoll im Todesseufzer der Name Abdul, des Großherrn Name, der im Arm einer andern Odaliske ruhte, und das schwarze Auge wurde glasig und kalt in der Erstarrung des Todes.

Mariam hatte geendet!

Lange noch betete der fremde Arzt an ihrem Lager; dann bedeckte er das Gesicht der Toten mit dem Teppich und schritt ruhig und entschlossen, um das eigene Schicksal unbekümmert nach der Tür. Auf sein Klopfen öffnete der Wache haltende Eunuch und vom Divan taumelte ihm sein vornehmer Führer entgegen.

»Was bringen Sie uns für Nachricht?«

»Sehen Sie selbst Ihr Werk, mein Herr. Die Dulderin da drinnen hat ein höherer, den Sie Allah, den wir Gott nennen, jeder weitern Qual entzogen. Das Mädchen ist tot.«

Der Minister trat bleich und erschrocken zurück.

»Inshallah! Es war Gottes Wille! Kommen Sie!«

Er wandte sich mit leichtem Schauder von der Tür ab und winkte dem Arzt, ihm zu folgen. Mit der Ruhe des guten Gewissens, aber Verderben in jedem Augenblick erwartend, folgte ihm Welland stumm durch das Vorgemach, von wo auf den Wink des Effendi zwei Schwarze ihnen voranschritten und sie durch mehrere Gänge und über Terrassen und Höfe geleiteten, bis der Deutsche sich in dem großen ersten Hof des Serail wiederfand, in den von der Stadtseite der Pavillon oder die Pforte führt, von der das Reich den Namen hat, Tag und Nacht von fünfzig Kapidschis bewacht. Hier blieb der Effendi stehen und reichte dem Arzt einen schweren Beutel.

»Nehmen Sie,« sagte er, »und schweigen Sie wie das Grab, das jene bedecken wird. Die Kapidschis werden Sie bis zur Brücke geleiten, – Allah behüte Sie!«

Der Arzt wies mit einer ernsten Geberde das Geschenk zurück; um keinen Preis hätte er das Blutgeld angerührt. Dann eilte er rasch durch das Tor, die Begleitung der Kapidschis von sich weisend, und in die noch belebten Straßen. Seine Gedanken waren unwillkürlich auf die Flucht der Mohrin gerichtet und ob sie gelungen.

Als er seine Wohnung erreichte, war es nahe an Mitternacht.


Nach einer Nacht voll wilder Träume erwachte Welland ziemlich spät, und, die schrecklichen Erinnerungen, die seine Seele belasteten, mit Gewalt von sich schüttelnd, machte er sich eben bereit, auszugehen und seinen Freund aufzusuchen, als Baron Oelsner bei ihm eintrat. Dieser schien etwas echauffiert, suchte aber einen scherzenden Ton anzustimmen.

»Was lange währt, wird gut, Doktor,« sagte er lustig; »ich bringe gute Nachrichten, eben komme ich aus dem Seraskiat und habe diese Depesche für Sie mitgenommen.« – Er warf dieselbe auf den Tisch. – »Raten Sie, wohin Ihre Bestimmung lautet?«

Welland griff hastig danach.

»Man ließ mich hoffen nach dem Hauptquartier.«

»Falsch geraten! Sie sind zum Oberarzt in Silistria bestimmt, und ich freue mich, daß – ich darf es sagen – meine Bemühungen für die Realisation Ihrer Wünsche nicht ohne Einfluß gewesen sind.«

Der Doktor hatte während dessen die Depesche geöffnet und fand darin die erwähnte Ernennung mit der Ordre, sich alsbald nach seinem Bestimmungsort zu begeben, und dem Bujurulteh für die Stationen der Reise.

»Sind Sie aber auch bereit, noch heute und zwar so bald als möglich aufzubrechen?«

Welland schaute ihn groß an.

»Davon ist nichts in der Ordre erwähnt. Sie lautet bloß auf schleunigst.«

»Man sagte mir mündlich im Seraskiat, daß man erwarte, Sie noch heute abreisen zu sehen.«

»Aber das ist nicht möglich, ich muß doch einige Vorbereitungen treffen; ich werde sogleich selbst nach dem Seraskiat gehen, um Urlaub auf zwei Tage zu erhalten.«

Der Baron schien befangen und dann rasch einen Entschluß zu fassen. Nachdem ein Blick nach der Tür ihn überzeugt hatte, daß sie unbelauscht waren, trat er vertraulich auf den Deutschen zu.

»Sollten Sie nicht vielleicht selbst wünschen,« sagte er mit Beziehung, »sobald wie möglich Konstantinopel den Rücken zu wenden, um Erinnerungen und Nachforschungen zu entgehen? Zufällige Ereignisse, wenn sie auch der Schatten der Nacht birgt, können selbst den tapfersten und ehrenwertesten Mann zur Vorsicht mahnen.«

Welland blickte ihn erstaunt an – wie konnte er wissen –

»Mein Rat ist,« fuhr der Baron fort, »Sie sind binnen zwei Stunden unterwegs, und Sie wissen, ich meine es gut mit Ihnen. Ich erfuhr bereits heute Morgen die Notwendigkeit Ihrer raschen Abreise, – das Wie? erlassen Sie mir – und habe alle Vorbereitungen für Sie getroffen. Die Pferde bis zur ersten Station sind bestellt und ich kann Ihnen die gewiß angenehme Nachricht mitteilen, daß Ihr Freund Caraiskakis bereit ist, Sie zur Stelle zu begleiten.«

Welland war befangen von dem Unerwarteten. Er sann vergeblich auf Aufklärung und suchte nach einem Entschluß.

»Wenn Sie Geld brauchen, meine Börse steht Ihnen mit jeder Summe zu Diensten,« sagte Herr von Montmarquet. »Doch scheint mir ein solches Anerbieten fast unbescheiden bei einem Mann, der solche Kostbarkeiten besitzt und sie achtlos umher liegen läßt.«

Er wies auf den Ring, den Welland von der sterbenden Odaliske empfangen und den er bei der Rückkehr auf den Tisch geworfen, ohne ihn zu beachten. Der Baron nahm ihn auf und ließ das Feuer des großen Solitairs in der Sonne blitzen.

»Der Stein ist unter Brüdern mindestens seine zweitausend Imperials wert, jeder Jude im Bazar würde sie auf der Stelle zahlen. Ich habe lange keinen schönern Diamanten gesehen, und selbst die antike Fassung hat bedeutenden Wert. Wollen Sie den Ring verkaufen?«

Der Deutsche verneinte befangen.

»Wohl! So rate ich Ihnen wenigstens, ihn sorgfältiger aufzubewahren und weniger zu zeigen. Der Padischah dürfte nicht viele solcher Ringe in seinem Schatz haben! – Doch um auf etwas anderes zu kommen; Sie haben noch keinen Diener und werden doch eines solchen bedürfen. Wollen Sie mir erlauben, dafür zu sorgen?«

»Sie würden Ihre Freundlichkeit damit noch erhöhen. Ich bin außer Stande, irgend etwas zu bestellen, und weiß kaum, wie ich meine Sachen in der kurzen Frist ordnen soll.«

»Wohl, ich übernehme die Besorgung und werde einen passenden jungen Schwarzen, der etwas italienisch versteht und geläufig türkisch spricht, Ihnen zuführen. Aber es kann erst am Tor von Edrene geschehen. Jetzt, Doktor, packen Sie Ihren Mantelsack und arrangieren Sie sich mit Ihrer Wirtin. In zwei Stunden wird Ihr Freund mit den Pferden und dem Führer bereit sein. Ich selbst erwarte Sie, wie gesagt, am Tor. Nochmals, lieber Freund, den Rat und die Warnung: es ist am besten für Sie, wenn niemand, mit dem Sie etwa in Verbindung gestanden, vorerst erfährt, wo er Sie zu suchen hat.«

Er nahm seinen Hut und entfernte sich eilig. Welland, von all' den Eindrücken betäubt, mußte seine ganze Willenskraft zusammen nehmen, um sich eilig mit der Ordnung des Gepäcks zu beschäftigen, da er, ohne eine Lösung für die ihn bedrängenden Rätsel zu haben, doch einsah, daß der Rat des Barons bedeutungsvoll war und nicht unbeachtet bleiben durfte.

Zwei Stunden nachher trat Caraiskakis, zur Reise gerüstet, in sein Zimmer, um ihn abzuholen. Auf die Anweisung des Barons hatte er die Pferde mit Mauro nach Stambul über die Brücke vorausgeschickt und nur einen Hamal (Lastträger) mitgebracht, das Gepäck des Freundes bis dahin zu transportieren, um so durch die Abreise kein Aufsehen zu machen. Auch wechselten in dieser Zeit in den Pensionen und Gasthäusern Konstantinopels die Kommenden und Gehenden so unaufhörlich, daß der einzelne unbeachtet blieb, wenn er sich nicht selbst bemerklich machte. Welland mit seiner geringen Habe war bereit, und ehe eine halbe Stunde vergangen, fanden sie auf dem Platz vor der Moschee Walide Mauro mit den Pferden. Bald war der Weg durch die Stadt, am alten Serail, der Suleimania und der Moschee Mahmuds vorüber, zurückgelegt und Edrene Kapussi erreicht. Hier am Begräbnisplatz kam ihnen der Baron mit einem jungen, schlanken Mohren, wohl beritten und bewaffnet und mit einem Felleisen versehen, entgegen, in dem sich nach der Mitteilung des Barons noch verschiedene notwendige Artikel für seine Freunde befanden. Er empfahl dem Arzt, den schwarzen Knaben, den er ihm als Diener überlassen, freundlich und nachsichtig zu behandeln, da er von gutem Gemüt sei und ihm sicher mit Tätigkeit und Treue lohnen würde, sowie, wenn sich Gelegenheit durch einen sichern Boten fände, ihm Nachricht von seiner Ankunft und seinem Wohlergehen zu geben, bis das Schicksal sie wieder zusammenführen werde.

So schieden sie.

Während die kleine Gesellschaft, jetzt aus fünf Reitern mit einem Packpferd bestehend, auf der Straße nach Crevatis und Silivria dahin galoppierte, hatte der Arzt Gelegenheit, seinen neuen jungen Diener mehrfach zu beobachten. Derselbe hatte ihn mit einem tiefen, demütigen Gruß am Tor empfangen, und Welland bemerkte, wie seine großen, dunklen Augen oft, wenn er sich unbemerkt glaubte, mit lebhaftem Ausdruck auf ihm hafteten. Es war ein schlanker, junger Bursche von ausgebildeten, etwas weichen Formen und einem für einen Schwarzen auffallend edel und wohlgebildeten Gesicht, dessen Züge sogar etwas ihm Bekanntes hatten.

Er rief ihn an seine Seite und redete ihn italienisch an, was der Knabe ziemlich gut zu verstehen schien, wenn er sich auch erst dürftig in der Sprache selbst auszudrücken vermochte. Auffallend war es Welland, daß der Schwarze so wenig das heitere sorglose Wesen seines Volkes zeigte, vielmehr eine Art Schwermut und Kummer; doch bemerkte er zugleich aus allen Antworten des Knaben, der sich Nursah nannte, daß er aufgeweckten und scharfen Verstandes war und sich auch hierin vor seiner Nation vorteilhaft auszeichnete, die gewöhnlich die größte geistige Stumpfheit zeigt.

Auch bei Caraiskakis blieb Welland ungewiß, ob dieser durch den Baron etwas von seinen schauerlichen Abenteuern der vergangenen Nacht wisse. Der Grieche deutete mit keiner Silbe darauf hin und erwähnte nur, daß ihm die Benachrichtigung des Barons, Welland werde sofort nach dem Kriegsschauplatz aufbrechen, sehr willkommen gewesen sei.

Sie waren bereits über die Bai von Kütschük-Tschekmedsche gesetzt und nicht weit von Kumburgas, als sie unfern von einigen Fischerhütten am Meer halten mußten, um die Fähre abzuwarten, die sie über die zweite Buchtung führen sollte. Da dieselbe noch am andern Ufer war, machte Welland den Vorschlag, nach den Wohnungen zu reiten und dort die Rückkunft abzuwarten, zugleich um zu versuchen, Wasser für sich und die Pferde zu erhalten.

Als sie den Hütten nahten, kamen einige türkische Frauen und Kinder heraus, und eine derselben brachte auf ihre Bitte den abgestiegenen Reisenden einen Krug mit Wasser. Dabei betrachtete sie aufmerksam den Deutschen, der sich durch seine fränkische Kleidung vor den übrigen auszeichnete. Die Türken scheinen den Glauben zu haben, jeder Franke ohne Unterschied müsse ein Hekim-Baschi, das heißt ein Arzt sein, und da sie im ganzen zu den fränkischen Ärzten weit mehr Zutrauen haben als zu ihren eigenen, ergreifen sie im Innern des Landes jede Gelegenheit, von dem europäischen Reisenden Hilfe für ein oder das andere Übel zu erlangen.

Ein solches Anliegen schien auch die Frau, unterstützt von ihren Gefährtinnen, die sich um die Gruppe versammelten, zu haben, denn sie sprach eifrig auf Welland ein, der endlich seinen Freund zu Hilfe rief. Dieser verdolmetschte ihm das Anliegen der Frau dahin, daß in ihrem Hause ein Kranker liege, der von Räubern überfallen, verwundet und dann ins Wasser geworfen worden sei, wo ihn durch Zufall ihr zum Fischen dahin gekommener Mann gefunden und gerettet habe.

Welland war sogleich bereit, seine Kunst anzuwenden, und indem er Nursah befahl, ein bezeichnetes Kistchen aus dem Gepäck ihm nachzubringen, folgte er den Frauen in das Haus.

Hier, auf einem dürftigen Lager, hatte die Menschenfreundlichkeit der armen Moslems Jussuf, den Courier der unglücklichen Mariam, gebettet; denn dieser war es, den vor acht Tagen die Fischer, in der Küstenbucht ihre Hamen aufstellend, auf den Steinen am Ufer der tiefen Schlucht gefunden hatten.

Die Kugel des korsischen Mörders hatte den Schwarzen in der linken Seite getroffen, war aber durch den dicken Shawl des Gürtels geschwächt worden und hatte glücklicherweise kein edleres Gefäß verletzt. Nur der Schmerz und die Betäubung warfen ihn zu Boden, und selbst der schreckliche Sturz von der Höhe des Felsens ins Wasser hatte neben mehreren geringeren Kontusionen nur einen Bruch des linken Arms zur Folge gehabt. Die Kühle der Wellen hatte zugleich die betäubte Lebenskraft wieder angeregt und die Blutung gestillt; so gelang es ihm, das Ufer zu erreichen und hier, halb im kühlen Wasser hängend, liegen zu bleiben, bis gegen Abend der Zufall die Fischer herbeiführte.

Das alles wußte Doktor Welland freilich nicht, aber es bedurfte dessen auch nicht, um seine Teilnahme für den Leidenden zu erregen, und nachdem er sich von der Beschaffenheit seiner Verletzungen überzeugt, war er eben bemüht, mit der Sonde die Kugel zu suchen, als hinter ihm ein geller Schrei erklang und der Knabe Nursah, das Gerät des Herrn zu Boden werfend, auf den Verwundeten zustürzte und ihn stürmisch umschlang. Ausrufungen, zärtliche Worte, Liebkosungen in fremder, allen Anwesenden unverständlicher Sprache wechselten im Fluge, und erst auf sein wiederholtes Fragen erfuhr Welland, daß die beiden Geschwister seien, durch den Zufall kürzlich getrennt, sowie das Schicksal, das Jussuf, den Tataren, betroffen hatte.

Der Knabe Nursah hatte bereits in dem Arzt ein so lebhaftes Interesse erregt, daß er sich mit doppeltem Eifer des Kranken annahm. Während er den gebrochenen Arm so gut, als es die Umstände erlaubten, schiente und verband, die Kugel aus der Seite glücklich herauszog und einen Verband auf die eiternde Wunde legte, war Nursah mit tausend Hilfsleistungen tätig und schien dabei eben so eifrig für seinen Herrn wie für den leidenden Bruder bedacht zu sein.

Indes Caraiskakis mit den Fährleuten verhandelte, machte Welland, so unangenehm es ihm auch war, dem Knaben den Vorschlag, zur Pflege seines Bruders hier zu bleiben und dann ihm nachzukommen; aber Nursah – nach kurzem Nachdenken und einigen Worten mit seinem Bruder, und nachdem er von seinem Herrn gehört, daß Jussuf, wenn er sich ruhig verhalte, in höchstens drei Wochen das Lager wieder verlassen würde, – weigerte sich entschieden, zurückzubleiben.

Der Führer der Fähre drängte zur Abreise. So schied denn Welland von dem Kranken, nachdem er dessen Wirtin einige Anweisungen für seine Pflege gegeben und ihm selbst eine kleine Geldsumme zurückgelassen hatte, zu der auch Caraiskakis eine reichliche Gabe fügte. Noch ehe sie die Fähre erreichten, kam Nursah, der bei dem Bruder zurückgeblieben, ihnen nachgesprengt und küßte mit leidenschaftlichem Dank die Hand seines Herrn.

Drei Stunden nachher waren sie in Silistra, dem ersten Haltepunkt auf der großen Straße nach Adrianopel und Schumla.



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