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Schwarz-Weiß.

In dem Salon des Herrn Samuel Jonas in Berlin – das Zimmer war ausnahmsweise zu dem Geschäft gewählt, – war Familien-Konferenz.

Der Privat-Bankier in seinem blauen Frack mit den vergoldeten Knöpfen und dem schmutzigen weißen Halstuch schob stoßweise, wie er zu gehen pflegte, in dem Zimmer auf und ab. Madame Jonas in der Glorie alles jüdischen Embonpoints und einer kolossalen Krinoline saß so breit auf dem Sofa, daß ihre beiden Töchter keinen Platz mehr gefunden und sich in die Sessel daneben zurückgezogen hatten. Fräulein Rosalie hatte etwas rote Augen, vielleicht mehr von dem konsequenten Gebrauch des Schnupftuches, als von wirklichen Thränen. Dazwischen lächelte sie sehr süß und schmachtend den Premierleutnant von Röbel an, der neben ihr saß, mit einem Gesicht, das eher alles andere war, denn das eines glücklichen Bräutigams.

Denn Bräutigam oder vielmehr verlobt war der Offizier in der That, und am nächsten Tage sollte diese Verlobung öffentlich gefeiert werden und in den Zeitungen stehen. Diese Frist hatte sich der Leutnant noch ausbedungen, um zuvor mit seiner Familie die unvermeidliche Sache in Ordnung zu bringen.

Der Leutnant von Röbel mußte weit genug heruntergekommen sein, daß er sich zu diesem coup de désesperation hatte entschließen können, aber es war ihm in der That nichts mehr übrig geblieben, als dieser Ausweg und er hatte sich mit einer gewissen Philosophie beizeiten darauf vorbereitet und an den Gedanken gewöhnt, Fräulein Rosalie Jonas als Frau von Röbel und den früheren Einbrecher und Zuchthäusler als Schwiegerpapa zu betrachten.

Aber der Ehrgeiz des Herrn Jonas war bei dieser Verbindung nicht stehen geblieben. Sein ältester Sohn, ein angehender Börsenjobber und Spekulant in Getreide, und zwar, zum besten seiner Nebenmenschen immer in der Hausse, hielt sich ein Reitpferd, mit dem er eine sehr schlechte Figur unter den Linden machte und hatte sich bereits eigenes Vermögen gesammelt, indem er, eine keusche Lilie im Thale Josaphat, in seiner frühen Jugend den Louis bei alten wohlhabenden Witwen und Jungfern spielte, sich reichlich beschenken und zweimal für kleine Gefälligkeiten adoptieren ließ. Gegenwärtig paßte ihm das nicht mehr, er saß im Opernhaus-Parkett zwischen den Prosceniumslogen, trug fuchsrote Handschuhe, die damalige Modefarbe, und machte, wie gesagt, in Getreide. Beiläufig war er jetzt sechsundzwanzig Jahre.

Papa Jonas hatte aber bedeutend höhere Spekulationen mit ihm, als den einfachen Kornwucher. Er hatte beschlossen, daß sein Stammhalter der Begründer einer neuen Ära in der Familie, daß er Rittergutsbesitzer werden sollte. Der Stand als Rittergutsbesitzer gilt der haute finance als Passepartout in die adlige Gesellschaft.

Leider war der Weg zu diesem Ziel, den sich Herr Samuel Jonas ausgesucht, die Familie von Röbel, zu dem alten, aber leider nicht befestigten Grundbesitz der Mark gehörend.

Im gegenwärtigen Augenblick, bei dem Familien-Kongreß, rekelte sich Herr Jonas junior rittlings auf einem Stuhl gegenüber seinem künftigen Schwager, indem er eine jener Stellungen nachzuahmen suchte, die bis zum Jahre 48 bei den Gardeleutnants auf der Kranzlerschen Rampe beliebt waren und seitdem von der Fonds- und Wechselbörse mit etwas weniger geraden Beinen, aber mit desto größerer Unverschämtheit exekutiert wurden, und rauchte dazu eine sehr starke Cigarre.

»Es ist abgemacht,« sagte Herr Jonas auf- und niedergehend mit großer Bestimmtheit, »der Herr Major ist doch ein verständiger Mann; denn er ist ein alter Mann, der trägt das eiserne Kreuz, vor dem ich habe großen Respekt, weil es beweist, daß er gewesen ist ein Simson in der Schlacht. Er wird einsehen, daß er nicht kann behalten das Gut, denn die Güter stehen schlecht im Preis, weil man nicht wissen kann, ob es giebt Krieg und weil der Grundbesitz nur bringt vier Prozent. Ich hab' es taxieren lassen durch Hirsch Jüngling und die Hypotheken sind gerade eilftausendvierhundert Thaler mehr, als ist der reelle Wert.«

»Das ist, weil man gerade diese Krisis benutzt hat, um meinem Vater diese Hypotheken zu kündigen, die er unmöglich anschaffen kann,« bemerkte unwillig der Offizier.

»Sie reden wie Sie's verstehn, Herr Sohn,« sagte wichtig der Alte, während Herr Jonas junior sich bemühte, aus den mit einiger Mühe gespitzten wulstigen Lippen Ringe in die Luft zu blasen. »Ich meine es gut mit Ihrer Familie, weiß Gott, und ich werde es beweisen, wie ich es schon hab' bewiesen, als ich gegeben habe meinen Segen zu Ihrer Verheiratung mit meiner Tochter Rosalie, die hätte haben können den Itzig Pinkus aus Bentsche mit baren hunderttausend Thalern, während ich jetzt bezahle Ihre Schulden bis zum letzten Pfennig und gebe meinem Kinde jährlich fünftausend Thaler Revenue, weil sie wird eine gnädige Frau. Ich werfe mir nicht weg, und laß mich nicht lumpen, denn ich bin ein Mann, der's kann! Aber das Gut hat kein Holz, das man könnte schlagen, um zu stopfen das Loch und drum ist es hin. Warum soll es kommen lassen der Herr Major, vor dem ich hab' großen Respekt, zur Subhastation? Eine Subhastation ist ein Bankerott, und die Herren Edelleute müssen niemals machen Bankerott, weil sie nicht verstehen daraus zu machen ein Geschäft, wie andere kluge Leute. Der Herr Major hat es nicht nötig, ich werde kaufen das Gut und zahlen einen guten Preis, daß er sich zurückziehen kann in Ruhm und Ehren, wie so viele Herren vom Militär, wenn er hört auf einen vernünftigen Vorschlag!«

»Aber warum wollen Sie mir nicht sagen, worin Ihr Vorschlag bestehen soll?« fragte mit Besorgnis der Offizier. »Sie wissen, mein Vater ist etwas eigensinnig, ja stolz und hat veraltete Ansichten über gewisse Dinge.«

»Eigensinn hin, Eigensinn her,« sagte der Bankier patzig. »Was thu' ich mit dem Stolz und mit den Ansichten, wenn kein Geld ist dahinter? Daß der Herr Major ist ein vernünftiger Mann, das beweist, daß er meinen Vorschlag einer Besprechung hat angenommen und sogar erklärt, daß er kommen wird hierher, damit ich nicht zu kommen brauche zu ihm. Darum wollen wir heute feiern zusammen ein Familienfest.«

Der Leutnant zuckte bedauernd die Achseln, je näher der Augenblick kam, desto besorgter wurde er.

»Sie können sein übrigens ganz ruhig, Herr Sohn,« fuhr Herr Jonas senior fort, sich in die Brust werfend. »Ich bin ein guter Vater und will machen das Glück meiner Kinder, und wenn ich sage, ich will, so ist's so gewiß, als ob's schon wäre geschehen. Ich hab' doch gesorgt für ein Mittel, das bekehren mag einen Kopf, der noch viel härter ist, als der des Herrn Majors.«

Und, als hätt' er einen solchen Kopf gefunden, tätschelte er behaglich auf dem Toupé des Fräulein Rosalie Jonas umher.

Die Andeutung des unfehlbaren Mittels schien aber den künftigen Schwiegersohn noch weit weniger zu beruhigen, als alle anderen Versprechungen, denn er warf einen hastigen scheuen Blick auf den zärtlichen Papa, den dieser jedoch nicht zu bemerken schien, und wechselte die Farbe.

Ehe er jedoch eine weitere Frage thun konnte, wurde er durch das Erscheinen des Kommissionärs Günther unterbrochen, der hastig ins Zimmer polterte, den Hut auf dem Kopf.

»Der Alte ist da,« schrie er, ohne gleich den Leutnant zu bemerken, »er hat gleich die ganze Familie mitgebracht, die Blasse auch, ick sage Ihnen, Herr Jonas, et jeht vortrefflich, Viktoria! Sie sind alle mank ins Britische Hotel abjestiegen, der Alte jeht zu keinem andern, als zu Krüjern!«

Herr Jonas steckte vornehm die Hand in den Busen der weißen Weste.

»Ich muß sehr bitten, Herr Günther, Sie sind hier nicht in Ihrer gewöhnlichen Gesellschaft, es ist Besuch hier!« Er nickte vornehm nach dem Leutnant.

Der würdige Kommissionär schlenkerte mit den Fingern. »Ah so, des is wahr! Na,« fügte er leiser hinzu, nachdem er mit einem wahren Kunstruck den Hut abgenommen, »ick sage Ihnen, er wird nich schlecht Oogen machen, der Alte is verflucht tücksch, ick weiß et von der Male her. Apropos, Male, haben Sie man nischt von sie gehört?«

»Der Kommissionsrat Boltmann,« sagte der Bankier, »der gekommen ist vorgestern von Paris, hat mir erzählt, daß die Polenzen ist dort mit einer vornehmen Dame von Adel, und daß sie will fortziehen ganz von Berlin, weil sie hat wieder gefunden ihr Kind, ihre Tochter!«

»Ihr Kind?« stammelte der Kommissionär, und er mußte sich am nächsten Stuhl anhalten, so hatte die plötzliche Nachricht ihn überwältigt. »Aber das ist ja tot!?«

»Was weiß ich?« sagte Hartmann Jonas, »das muß wissen eine Mutter am besten. Gehn Sie jetzt hinein, Günther, in mein Zimmer, und halten Sie sich bereit, wenn der Alte zeigt Mucken. So mir Gott helfen soll,« fügte er bei, und unter den grauen buschigen Brauen hervor blitzte die alte tückische Wildheit des Einbrechers von Profession, »ich will haben meinen Willen, oder die ganze Familie soll mir mit Schande an den Bettelstab!«

Er schob den Kommissionär in ein Seitenzimmer, denn soeben kam der Bediente herein mit der Anmeldung.

»Herr Major von Röbel und Sohn!«

Herr Jonas schoß auf die Thür zu und riß sie weit auf. »Sehr willkommen! äußerst willkommen! Nur hier herein, Herr Major; freut uns unendlich, Sie einmal bei uns zu sehn! Aber warum haben Sie nicht Ihre Frau Gemahlin und das gnädige Fräulein mitgebracht? Erlauben Sie, Herr Major, meine Frau, meine Tochter Rosalie, sie ist es! meine Tochter Ida, ein sehr talentvolles Mädchen, spielt Ihnen, weiß Gott besser Klavier wie der Vieuxtemps oder Paganini. Mein Sohn Levy, mein Stammhalter!«

»Ich habe Dir schon oft gesagt, daß ich nicht Levy heiße, Papa, sondern Leon!«

»Leon oder Levy,« meinte der Alte vergnügt, indem er dem Edelmann die Hand bot, »es kommt auf eins 'raus, wenn man nur Geld hat, nicht wahr, Herr Major?«

Der alte Edelmann verneigte sich steif vor den drei Damen, die in ihren Krinolinen zusammen knixten, namentlich that dies Madame Jonas mit ihrem Embonpoint, wegen dessen auch Herr Jonas ihr verboten hatte, sich auf den Balkon zu setzen, damit sie ihm nicht, wie er sich ausdrückte, die neue Fassade schimpfiere. Den Leutnant, der ihm stark errötend zwei Schritte entgegengetreten war, grüßte er nur mit einem kurzen Kopfnicken, ohne ihn anzusehen. Desgleichen schien er ganz die dargebotene Hand des Hausherrn zu übersehen, der damit einige Zeit in der Luft herumfuhr, und sie dann wieder in die Hosentasche steckte, wo er mit dem Gelde klimperte.

Auch Otto von Röbel grüßte kalt, aber höflich die Familie. Dem Bruder reichte er die Hand.

»Wollen der Herr Major nicht die Güte haben, sich zu setzen und ein kleines Frühstück anzunehmen?« invitierte Madame Jonas, die es an der Zeit glaubte, auch ihr Wort einzuschieben, obschon ihr gestrenger Eheherr es ihr scharf untersagt hatte, »wir haben doch ganz vortreffliche Salomon-Wurst und Staßfurter Gänseleberpastillen dazu holen lassen, alles von Borchardt in der Französischen Straße!«

Die beiden Mädchen wurden sehr rot, und ihr würdiger Bruder lachte spöttisch auf. Der Major aber unterdrückte ein flüchtiges Lächeln und sagte freundlich: »Meine gute Frau, ich danke Ihnen bestens, aber ich habe mit Ihrem Mann einige dringende Geschäfte, und meine Zeit ist sehr gemessen!«

Die »gute Frau« fiel wie ein Wasserguß auf die Familie, und Madame Jonas sank wieder auf ihren Diwan zurück.

»Ich bitte Sie, Herr Jonas,« fuhr der Major ernst, fast streng fort, »mich gefälligst in Ihr Arbeitszimmer zu führen, oder an einen Ort, wo unsere Geschäfte Ihre Familie nicht stören. Ich glaube wir haben Dinge zu verhandeln, die sich eben nur für Männer eignen.«

»Es ist nicht nötig, daß wir gehen wo anders hin. Geht hinaus, bis ich Euch rufe!« befahl der Bankier ziemlich unwirsch den Frauen. Diese erhoben sich gehorsam, und entfernten sich mit einer Verbeugung, welche die beiden Edelleute höflich erwiderten. In gewissen Dingen war Herr Jonas ein Haustyrann und duldete keinen Widerspruch und keine Zögerung. Herr Jonas junior und der Leutnant wollten ihnen folgen, aber der Major hielt sie durch eine Gebärde zurück.

»Wenn Sie nichts dawider haben, Herr Jonas« bemerkte er, »so mögen diese Herren bei unserer Unterredung zugegen bleiben.«

»Ganz wie Sie befehlen! um so mehr, da es sich ja handelt mit um sie selber. Aber bitte, Herr Major, wollen Sie nicht Platz nehmen!«

Der alte Edelmann machte eine ablehnende Bewegung. »Ich danke Ihnen, mein Herr, ich werde mich möglichst kurz fassen.«

Er blickte einen Augenblick starr vor sich hin, als wolle er einen Entschluß in seinem Innern nochmals kräftigen. Dann richtet er sich straff empor, seine Blicke fielen kalt auf den Offizier.

»Dieser Herr,« sagte er kalt, »hat mich und seine Mutter benachrichtigt, daß er sich mit Ihrer älteren Demoiselle Tochter verlobt hat. Ist dem so und ist es mit Ihrer Einwilligung geschehen?«

»Vater –!«

»Still, mein Herr, ich spreche jetzt mit Herrn Jonas! Antworten Sie gefälligst, mein Herr!«

»Der Herr Leutnant hat uns die Ehre angethan, um die Hand meiner Rosalie anzuhalten, und da er ein sehr anständiger und braver Kavalier ist und die jungen Leute sich lieben, habe ich mit Vergnügen ja gesagt. Ich hoffe, Herr Major, wir werden ausmachen eine vortreffliche Familie, wie sie im Buch steht!«

»Ich weiß nicht, was Sie darunter verstehen, aber ich muß Sie in dieser Beziehung auf eines aufmerksam machen. Hat dieser Herr Ihnen auch gesagt, daß er keinerlei Erbteil von mir zu erwarten, daß er jedes Anspruchs darauf sich längst verlustig gemacht, und nichts als sein Leutnantsgehalt und wahrscheinlich noch Schulden hat?«

»O ich weiß, ich weiß, Herr Major,« unterbrach ihn der Bankier hastig, »aber es ist doch alles in Ordnung, und wenn Sie ihm auch mitgeben kein Geld – nu, für was bin ich ä reicher Mann? Ich werde sie ausstatten, wie sich's gehört für eine künftige Frau von Röbel« der alte Edelmann zuckte unwillkürlich bei diesem Namen zusammen – »ich gebe ihnen Fünftausend jährlich, denn ich kann's thun – und was die Schulden betrifft, main, Herr Major, er ist doch ä Kavalier, und wir sind doch auch beide gewesen jung! ich und Sie!«

»Es ist nur der Unterschied,« bemerkte der Veteran stolz, »daß ich meine Jugend auf den Schlachtfeldern des Vaterlands zugebracht habe, und Sie …« er brach, sich gewaltsam fassend, ab. »Indes, lassen wir das. Der Herr Leutnant von Röbel ist längst mündig, und weiß, was er zu thun und zu lassen hat. Gegen den persönlichen Ruf des Mädchens kann man, wie ich höre, nichts sagen, und ich habe daher kein gesetzliches Recht zu einer Einsprache, auch die Mitteilung der Verlobung überhaupt nur als das, was sie sein soll, als eine Höflichkeit betrachtet. Meine letzte Pflicht war es, Sie vor falschen Erwartungen zu warnen. Der Herr Leutnant von Röbel wird hoffentlich selbst wissen, welche Stellung er künftig mir und seiner Mutter gegenüber einzunehmen hat.«

Der Bankier rieb sich mit ziemlich gut geheuchelter Befriedigung die Hände und that, als mißverstehe er den Major. »Ausgezeichnet, ausgezeichnet, Herr Major! ich wiederhole doch meinen Kindern auch täglich, daß sie niemals, so alt sie auch sein mögen, vergessen sollen den Respekt gegen ihre Eltern. So wäre denn alles in Ordnung, und Sie sollen sehen, sie werden leben, wie die Turteltauben, die Rosalie hat ä gar zu gutes Gemüt!«

Der junge Herr Jonas begann halblaut eine Melodie vor sich hinzusummen und an die Scheiben des Fensters zu trommeln, an dem er stand. Die Eintracht und das Familienglück schien ihm nicht so sehr einzuleuchten wie seinem Herrn Papa.

Otto von Röbel stand finster und stumm an einen Sessel gelehnt. Der Bruder, so sehr auch dessen Handlungsweise mißbilligte, that ihm leid in der traurigen Rolle, die er hier, in eine Ecke des Sofas gedrückt und die Augen finster zur Erde gerichtet, spielte, indem er bald einen gewissen Trotz, bald ein spöttisches Lächeln zu heucheln strebte.

»Gehen wir zu etwas Wichtigerem über, mein Herr,« fuhr der Major fort. »Sie wissen, Herr Jonas, daß Röbelsburg, das Gut meiner Familie, verschuldet ist.«

Ein Strahl boshafter Freude und Genugthuung brach – aber nur einen Moment lang – aus den Augen des Bankiers, verschwand aber sofort wieder.

»Lieber Himmel,« seufzte Herr Jonas, »welcher Grundbesitz ist das heutzutage nicht, Herr Major! Weiß Gott, es ist ä teures Vergnügen! Vier Prozent Ertrag, die Mißernten nicht mitgerechnet, und fünf Prozent die Kapitalien zum mindesten. Ich hab' mir immer gewundert, Herr Major, und hab' oft davon gesprochen zum Herrn Leutnant, warum Sie nicht gründen eine Brennerei, oder eine Raffinerie?«

»Der Edelmann sollte kein Schnapsfabrikant sein!« sagte der Major kurz. »Doch das ist keine Sache zur Erörterung zwischen uns. Das Gut hat in der alten Ritterschaftstaxe freilich nur einen Wert von 52 000 Thalern, aber es ist seine neunzig wert.«

»Gewiß, gewiß, Herr Major,« bemerkte der Bankier, sich die Hände reibend. »Aber wie ich gehört habe, stehen hinter meiner dritten Hypothek jetzt noch zwei andere darauf, im ganzen dreiundsechzigtausend Thaler, so daß …«

»Kein Ziegel über dem Kopf mehr mein ist! Aber wem hab' ich's zu danken? Noch vor zehn Jahren standen nur fünfunddreißigtausend Thaler auf dem Gut!«

Er warf einen finsteren Blick auf den Sohn.

»Die schlechten Zeiten, Herr Major, die schlechten Zeiten! Sie wissen, daß Sie haben verloren viel Geld bei der Aufkündigung von der zweiten Hypothek vor drei Jahren, als es geben sollte Krieg!«

»Nein, nicht den schlechten Zeiten allein will ich die Ursach' geben,« sagte der Greis streng, »der dort ist die Ursache von der Verarmung seiner Familie. Der Schlag in Paris mit den zehntausend Thalern und die andern Schulden, die er gemacht, und die ich um der Ehre der Familie willen bezahlen mußte, haben das Eigentum seiner Familie gefährdet. –«

»Es wird nicht so schlimm sein, Herr Major!«

»Es ist so schlimm und noch schlimmer, und Sie wissen das so gut oder besser als ich,« sagte der alte Edelmann, unter den buschigen Brauen hervor einen strengen Blick auf den Wucherer heftend. »Vor acht Tagen ist mir von dem Gericht diese Anzeige zugegangen, wonach die Subhastation meines Gutes beantragt ist!«

Der Leutnant sprang empor. »Wie? was? davon hatte ich keine Ahnung! Sie müssen helfen, Jonas!« Er faßte heftig den Arm des Bankiers, der sich ruhig los machte.

»Geduld! Geduld! es wird sich alles finden. Sie wissen, Herr Major, daß ich nicht schuld bin daran. Ich habe gekauft die zweite Hypothek auf Ihr Gut mit Siebenzehntausend, weil ich wußte, daß mir das Geld sicher ist, und weil man helfen muß seinem Nebenmenschen in der Verlegenheit. Ich lasse sie Ihnen stehn, so lange Sie sie haben wollen, das bin ich der Verwandtschaft schuldig. Wie ich seh' aus dem Papier, hat der Hirsch Meyer gekündigt die sechstausend auf der vierten Hypothek.«

»Man hat mir gesagt, daß Herr Meyer, gleich dem Besitzer der fünftausend Thaler vor derselben nur vorgeschobene Personen und Sie der wahre Eigentümer der Hypotheken wären.«

»Gott soll mir helfen, wie können Sie so was von mir glauben, Herr Major!« schrie der Bankier. »Ich will verschwarzen, wenn's wahr ist. Aber freilich, die Leute brauchen ihr Geld, der Krieg hat die Papierchens heruntergedrückt, und der Hirsch Meyer hat eine große Ohrfeige gekriegt an der Börse mit den Metalliques!«

Der alte Edelmann sah finster vor sich nieder, ohne auf diese Beteuerungen zu achten, von denen er vollkommen wußte, was sie wert waren.

»Röbelsburg ist seit vierhundert Jahren in dem Besitz meiner Familie gewesen, schon damals, als die Hohenzollern in die Mark kamen,« sagte er, wie vor sich hin. »Der Vater hat es auf den Sohn oder Enkel vererbt. Sie sind keine Grafen und Barone geworden, wie andere, aber sie waren die alten von Röbel, und wo die schwarz-weiße Fahne auf dem Schlachtfelde wehte, da standen sicher auch die Söhne meines Hauses! Jetzt geht's zu Ende, und ich wollte gern meinem Letzten das kleine Gut mit dem alten Turm auf dem Hügel am See erhalten, das einzige, was von all dem Grundbesitz übrig geblieben: denn das Haus derer von Röbel steht jetzt allein noch auf zwei Augen!«

Die Trauer des alten stolzen Mannes, die sich, kaum daß er selbst daran dachte, vor wem er sprach, über seine Lippen gedrängt, machte selbst auf das kalte gemeine Herz des Wucherers Eindruck, so daß er mehrere Minuten lang schwieg. Der Offizier preßte die Hand vor die Augen.

»Dennoch,« fuhr der Greis fort, »hat sich keine Hand unter meinen Standesgenossen gefunden, soviel Mühe ich mir auch gegeben, die bereit wäre, den Röbels ihr altes Erbe erhalten zu helfen; der einzige, der es gethan hätte, mein alter Waffenbruder, ist seit einem halben Jahre tot und seinen Nachlaß verwalten die Pupillengerichte. Sie haben sich erboten, mir zu einem Arrangement mit den Gläubigern zu helfen, mein Herr, deshalb bin ich hierher gekommen. Sie sollen Ihre guten Prozente haben, das verspreche ich Ihnen bei meiner Ehre, wenn Sie die Rücknahme der Kündigung vermitteln können. Die nächste Ernte wird nicht so schlecht als die vorige sein, und es kommt nicht alle Jahre ein solches Unglück, wie im vergangenen die Seuche unter meinem Viehstand. Wir werden uns leicht wieder erholen von dem Schlag, und ich und mein Sohn« – er sprach immer, als hätte er nur den einen – »werden es an redlichem Fleiß und treuer Arbeit nicht fehlen lassen!«

Der Bankier rieb sich verlegen die Hände, seine gewöhnliche Geste, wenn er sie nicht in den Hosentaschen hatte. »Es sind schlechte Zeiten, Herr Major,« sagte er, »bei Gott! nirgends bar Geld an der Börse, und der Hirsch Meyer ist in großer Verlegenheit, und Friedenthal, der die dritte Hypothek besitzt, will, wie ich höre, auch seine Kapitalien einziehen. Bei Gott, ich lasse Ihnen meine Hypothek so lange sie wollen. Aber der Hirsch Meyer ist nicht zu bewegen. Aber ich bitte, mir zu beantworten ein paar Fragen.«

»Fragen Sie!«

»Sie glauben also nicht, Herr Major, daß Sie aufbringen können die 11 000 Thaler Hypotheken, wenn der Hirsch und der Friedenthal nicht warten wollen?«

»Hätte ich mich sonst an Sie gewandt?«

»Und Sie meinen, das Gut wäre seine Neunzigtausend wert?«

»Zum mindesten, in einer Zeit, die die Preise nicht drückt.«

»Es hat, glaub' ich, die Standschaft als Rittergut?«

»Es hat seine Stimme auf den Kreis- und Provinzial-Landtagen und bei der Wahl ins Herrenhaus.«

»Gut! Warum wollen Sie also behalten mit Gewalt das Gut, wenn ich Ihnen schaffe einen Käufer, der giebt nicht neunzig, sondern fünfundneunzigtausend Thaler?«

»Fünfundneunzigtausend?«

»Fünfundneunzigtausend Thaler bar und blank. Sie können dann abzahlen alle Schulden auf dem Gut, und behalten noch Zweiunddreißig bar, womit kaufen kann der junge Herr dort ein anderes Gut. Wenn man anzahlt Zweiunddreißigtausend heutzutag, kann man doch kaufen für Hunderttausend!«

»Aber warum kauft Ihr Klient dann nicht selbst ein solches Gut?«

»Er hat doch nun einmal einen Narren an dem Gut Röbelsburg. Wer kann dafür? Ja, Herr Major, der Käufer ist sogar der Mann, der sich freuen wird, wenn Sie wohnen bleiben auf dem Gut, das er will kaufen, so lange Sie leben, als wären Sie der Herr, es braucht niemand anders zu wissen!«

»Ich verstehe Sie nicht recht,« sagte der alte Edelmann mit einer gewissen Ahnung. »Wer ist denn dieser merkwürdige Käufer?«

»Wer soll es anders sein,« sprach hastig, als wünsche er die Sache mit einem Male abzuschütteln, der Bankier, »hier steht er, Levy oder Leon Jonas, mein Sohn, mein Ältester!«

»Wie – und Sie glauben …«

Herr Jonas legte vertraulich die Hand auf den Arm des Edelmanns. »Ich glaube nichts, gar nichts, Herr Major, als daß ist noch eine kleine Bedingung bei dem Kauf, das beste Mittel, alles zu arrangieren zu unserer Zufriedenheit! Sie sind ein Mann von Erfahrung, Herr Major, und Sie sind ruiniert. Sie haben eine Tochter, Herr Major, und ich habe einen Sohn. Ich bitte um die Hand Ihres Fräulein Tochter, Herr Major, für meinen Sohn, und es bleibt beim Alten, bis der liebe Gott, was noch lange anstehn soll, über Sie verfügt!«

So ernst die Situation war, so sehr es sich um die Existenz seiner Familie handelte, Otto von Röbel konnte sich nicht enthalten, auszulachen.

Der Major sah den Bankier starr an, als habe er nicht recht gehört.

»Wie? Ihr Sohn will Fräulein von Röbel, meine Tochter, heiraten?«

»Er wird es sich doch rechnen zur Ehre und zum Vergnügen, zu heiraten in eine so anständige Familie, wenn er auch erhält keine Mitgift und die Braut ist ein wenig älter wie er. Ich werde ihr aussetzen ein gutes Nadelgeld. Die beiden Familien werden dann sein doppelt verschwägert, und Ihre Enkel werden behalten das Gut, das ist seit vierhundert Jahren im Besitz der Herren von Röbel. Levy, mein Sohn, ich werde Dir kaufen den Adel; geh' jetzt her und bring' Dein Wort selber an!«

»Ersparen Sie es dem Herrn!« sagte der Major straff emporgerichtet. »Ist das die Bedingung für den Ankauf?«

»Sie werden sie finden doch sehr billig, wie könnt' ich sonst geben ein solches Geld für das Gut, das doch ist schon in meiner Hand!«

»Das also war's! Nun ich muß gestehn, Sie haben gut operiert, mein Herr, aber die Unverschämtheit ist denn doch zu stark. Lassen Sie Röbelsburg subhastieren, sobald Sie wollen. Nur bitte ich, daß, solange ich auf dem Gut bin, weder Sie noch Ihr Sohn wagen, einen Schritt darauf zu setzen, oder ich lasse Sie durch die Knechte vom Hofe jagen!«

Die Stirn des Bankiers färbte sich dunkelrot, die dicken Adern darauf schwollen empor. »Was wollen Sie damit sagen, Herr Major?« rief er mit erhöhter Stimme. »Wollen Sie mich beleidigen? Ist mein Sohn keine Partie für Ihre Tochter, da doch heiraten kann der Ihre Rosalie, mein Kind?«

»Ich habe nur einen Sohn noch,« sagte stolz der Edelmann, »der Herr dort ist nicht mehr der meine. Komm, Otto, unsere Geschäfte sind beendet!«

Er nickte kurz und vornehm zum Abschied und ging nach der Thür, die der Sohn ihm ehrerbietig öffnete. Stock und Hut hatte er während der ganzen Unterredung nicht aus der Hand gelegt.

Das Gesicht des Bankiers schien auf einmal seinen ganzen Ausdruck, ja seine ganze Form zu verändern; nicht mehr der behäbige, listig lächelnde Herr Jonas, sondern der schwarze Schmul aus der Jakobstraße, wie er dem alten Zuchthausgenossen gegenüber stand, schien in dem reichen Salon Unter den Linden zu stehen, so teuflisch blitzten seine Augen, so drohend war die Falte auf der niederen Stirn.

Der Major wollte eben aus der Thür schreiten, als ihn die kreischende Stimme des Hausherrn zurückhielt.

»Einen Augenblick, mein Herr! einen Augenblick, es handelt sich um Ihren ehrlichen Namen!«

Der alte Soldat wandte sich wie von einer Kugel getroffen um. »Meinen ehrlichen Namen? Schurke, wenn Sie es wagen, ihn anzutasten, dann wehe Ihnen!«

»Was schmusen Sie von Schurken? wenn hier die Rede ist von Schurken, dann soll's treffen den Herrn Edelmann mit dem vornehmen Namen, der sich zu gewaltig dünkt, zu werden verwandt mit dem Jüd, während der Jüd ist ä ehrlicher Mann und das Blut und Fleisch vom Edelmann nicht! Herr Günther, kommen Sie herein!«

Der Veteran hatte zwei Schritte zurück ins Zimmer gethan, er stand zitternd und sehr bleich in dem Salon, aber er hielt mit der freien Hand den jungen Mann zurück, der im aufbrausenden Zorn den Beleidiger beim Kragen fassen wollte.

Die Seitenthür hatte sich geräuschlos geöffnet; Herr Günther, der Kommissionär, war eingetreten und blieb mitten zwischen beiden Parteien stehen, denn sowohl der Leutnant als der junge Börsenjobber hatten sich unwillkürlich ihren Vätern genähert.

»Ruhe, Otto! Ich befehle es Dir! ich, Dein Vater! Das geht mich an! – Was wollen Sie, Herr – was soll diese Sprache bedeuten?«

»Das soll bedeuten,« sagte der Bankier giftig, »daß sich der Hartmann Jonas anders besonnen hat und nicht zuläßt die Verlobung seiner Tochter mit einem Herren Offizier von Habenichts, der wird sein infam gekassiert vom Regiment!«

»Herr Jonas …«

»Still! Sie haben hier mitzureden gar nischt! Die Rosalie wird heiraten den Itzig Pinkus aus Bentsche mit 100 000 Thalern, weil sie ist ä wohlerzogenes Kind! der Herr von Röbel aber werden gehen ins Zuchthaus, weil der Herr von Röbel haben gemacht ä falschen Wechsel!«

»Das ist niederträchtig! das ist nicht wahr!«

»Ich werde doch beweisen, was ich hab' gesagt. Herr Günther, Sie sind der Zeuge, Sie haben mir doch gebracht das Papier. Soll mir Gott helfen, hier steht's schwarz auf weiß! A Wechsel auf fünfhundert Thaler, ausgestellt vom dreißigsten Dezember vom Herrn Leutnant von Röbel und acceptiert vom Herrn Leutnant Grafen von Ringsheim.

»Unserem unglücklichen Vetter?« fragte der jüngere Röbel erstaunt.

»Sie wissen, Herr Jonas,« sagte der Leutnant, »daß Sie mehr als einen Wechsel mit dem Accept meines Vetters in Königsberg diskontiert haben, weil Sie sein Vermögen kannten, und daß alle richtig eingelöst worden sind. Nur sein unglücklicher Tod ist schuld, daß es mit diesem nicht geschehen.«

Otto von Röbel atmete auf, aber schon der nächste Augenblick sollte seine Hoffnung zu Schanden machen.

Der Wucherer lachte hämisch auf. »Wissen der Herr Major von Röbel vielleicht, an welchem Datum der Herr Graf von Ringsheim in Königsberg im Duell erschossen worden ist?«

»Es war am 29. Dezember vorigen Jahres,« sagte der jüngste Röbel hastig.

»Richtig, der junge Herr ist ein Salomon. Wenn also der Wechsel ausgestellt ist am Dreißigsten, muß sein die Unterschrift falsch, denn die Toten können nicht schreiben ein Accept. Wer hat gefälscht die Unterschrift? – wer?«

Der Leutnant sank bei dem teuflischen Triumph, der sich auf dem Gesicht des Juden spiegelte, vernichtet auf einen Stuhl.

»Barmherziger Gott! mein Sohn ein Ehrloser, ein Fälscher!«

»Wenn der Herr Leutnant von Röbel nicht mehr ist Ihr Sohn,« höhnte der Wucherer, »weil er wollte heiraten die Rosalie Jonas mit hunderttausend Thalern Mitgift, braucht er auch nicht zu sein Ihr Sohn, wenn er hat gemacht falsche Wechsel. Herr Günther, Sie haben mir gebracht den Wechsel am Sylvestertag, Sie werden sein der Zeuge. Wo ist die Denunziation an den Herrn Staatsanwalt, daß er sorgt für Gerechtigkeit?«

»Hier!« – Der Kommissionär vermied, so schlecht er war, dabei auf den Greis zu sehen, der gebrochen, mit der Hand, aus der Hut und Stock gefallen war, auf die Lehne eines Stuhles gestützt, dastand, der Veteran, der in zehn blutigen Schlachten dem Feinde ohne Zucken der Augen getrotzt, der nie in seinem langen Leben ein Haar breit von dem Wege der Ehre und Redlichkeit gewichen war.

Otto von Röbel dachte mit Schaudern jener Sylvesternacht, des Geschäfts des Bruders, seiner damaligen Andeutungen.

»Ich bin im Besitz von noch tausend Thalern aus einem Legat meines Onkels,« sagte er vortretend, »nehmen Sie die Summe, mein Herr, und geben Sie mir das unglückliche Papier.«

Der Wucherer lachte spöttisch auf. »Sie sind meschukke, junger Herr! Wenn Sie mir geben zehntausend, ist es mir nicht feil für das Vergnügen, das ich hab' in dem Augenblick, mich zu rächen für die Beleidigung.«

»So haben Sie wenigstens Achtung vor diesem grauen Haar! welchen Nutzen könnte Ihnen eine solche schändliche Denunziation gewähren? Wir werden jedes Opfer bringen, die Vernichtung dieses Papiers zu erkaufen.«

»Achtung? was thu ich mit der Achtung! Die Familie will mir abkaufen das Papier? Hat die Familie von Röbel Geld? Nein! sie sind Bettler! ich will haben die Familie selbst zur Satisfaktion, weil sie glaubt, sie wäre was besseres als der Jud! Die Sache ist eine Familiensache unter uns! wenn ich zerreiße dies Geschrift, ist der Name von Röbel so ehrlich wie zuvor, und es bleibt alles beim alten, und ich bei meinem Wort mit dem Verkauf. Herr Major von Röbel, der Hartmann Jonas bittet um die Hand Ihres Fräulein Tochter für seinen Sohn Levy!«

Der alte Edelmann fuhr, wie aus einem Traum, empor. Er that zwei Schritte gegen den Offizier, der vernichtet, mit verhülltem Gesicht, in dem Sessel hing.

»Friedrich von Röbel,« sagte er eintönig, »hörst Du mich?«

Der Offizier zuckte empor, er warf einen flehenden Blick auf den Alten und streckte die Hand nach ihm aus.

»Vater, verurteile mich nicht, ehe Du mich gehört hast!«

»Ich fürchtete längst, daß es dahin mit Dir kommen werde! Beantworte meine Frage wenigstens als ein Mann. Rührt diese Unterschrift von Dir her?«

»Vater, ich hatte ein Recht dazu, ich habe dem Vetter ähnliche Gefälligkeiten erwiesen – nur sein Tod …«

»Hast Du den Namen geschrieben?«

Er zögerte – endlich brachte er ein stockendes »Ja« über die Lippen.

»Also ein Fälscher! ein Röbel ein Ehrloser!« sagte der alte Mann mit schneidender Verachtung. »Gott im Himmel! und dieser Fälscher mein Sohn!«

Der Bankier schob seine Vermittelung ein, »Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht, Herr Major,« sagte er begütigend, »die Jugend ist leichtsinnig; es kann ja noch alles geordnet werden, wenn Sie annehmen wollen meinen Vorschlag!«

Der alte Edelmann wandte sich schroff gegen ihn. »Wollen Sie Röbelsburg annehmen für die darauf lastenden Hypotheken gegen Rückgabe jenes Papiers?«

»Ich gebe fünfundneunzigtausend, aber nur im Fall der Heirat!«

»Ist das Ihr letztes Wort?«

»Mein allerletztes!« sagte der Jude brüsk.

Der Major von Röbel wandte sich nochmals an seinen älteren Sohn.

»Was sagst Du zu dieser Heirat? Willst Du Dich mit dem Opfer Deiner Schwester loskaufen?«

Der Offizier kämpfte sichtbar einen schweren Kampf in seinem Innern. Die Forderung des Wucherers war ihm selbst ganz unerwartet gekommen. Endlich sagte er zögernd, mit niedergeschlagenen Augen: »Nur, wenn Rosamunde selbst einwilligt …«

Der Major hatte nur ein Wort. »Elender!« Dann kehrte er sich zu dem Juden. »Thun Sie, was Sie wollen. Rosamunde von Röbel ist nicht für den Sohn eines Zuchthäuslers! Kommt! – Du auch! ich befehle es, bei meinem Fluch!«

Er ging nochmals nach der Thür; der Wucherer warf sich ihm in den Weg; seine Augen sprühten Haß und Bosheit.

»So wahr ich Hartmann Jonas heiße, er soll gestoßen werden mit Schimpf aus dem Regiment!«

»Ich werde es verhindern!«

»Sie glauben, weil Sie sind ä Herr Von, wenn Sie auch Schulden haben bis über die Ohren, die Gesetze wären nicht für Sie! Aber die Zeiten sind vorbei, wir haben eine Konstitution, und ich werd's bringen in die Volkszeitung und in die Nationalzeitung und überall hin. Sie wollen ihm helfen zur Flucht! Gut! Aber es wird sich machen recht hübsch, wenn der Herr von Röbel verfolgt wird mit Steckbriefen in der Zeitung wegen Fälschung und Betrug!«

»Mensch! der Name meiner Ahnen in einem Steckbrief!«

Der Jude sah mit teuflischer Freude, daß er die wunde Stelle des Greises getroffen hatte. »Ich werde gehen sogleich zum Herrn Staatsanwalt. Und wenn Sie mich würden bitten jetzt auf den Knieen, ich würd's doch thun. Das Recht ist für alle gleich, steht in der Verfassung! Der Herr von Röbel soll stehen vor dem Kriminalgericht oder im Steckbrief, und der Jude wird machen den Namen von Röbel so klein, so klein …«

»Schurke!« Die kräftige Hand des jungen Edelmanns schleuderten den geifernden, kreischenden Wucherer zurück, während die Frau und die Töchter auf den Lärm in den Salon stürzten, und stieß die Thür auf.

»Kommen Sie, mein Vater!«

Der Veteran schritt hinaus, nicht mehr den Kopf erhoben, sondern tief gesenkt; auf eine fast befehlende Gebärde des jüngeren Bruders folgte ihm der Offizier, dann verließ Otto von Röbel, dessen strenger Blick währenddes den Hausherrn stumm und in gehöriger Entfernung gehalten hatte, den Salon.

Die Thür hatte sich kaum geschlossen, als der Wucherer wie ein Besessener umhersprang und die lästerlichsten Flüche und Verwünschungen ausstieß. Der Vorschlag an den Major war einer seiner Lieblingspläne aus verschiedenen Ursachen, und er hatte ein Mißlingen nicht für möglich gehalten nach den eben so schlauen als niederträchtigen Manövern, mit denen er sein Opfer umgarnt hielt.

»Aber lieber Himmel, Jonas, was ist denn geschehen?« fragte die dicke Frau, »Du bist ja so älteriert, warum kommen der Herr Major und der Herr Schwiegersohn nicht zum Theejünöh? Ich muß Dir sagen, Jonas, wenn ich wär' die Rosalchen, hält' ich mir lieber genommen den andern!«

»Es hat sich was zu nehmen,« schrie der erzürnte Hausherr, »sie soll nehmen gar keinen von der Lumpenbagage, die Rosalie wird heiraten den Itzig Pinkus aus Bentsche! Punktum!«

Mutter und Tochter kreischten laut auf, die letztere hielt es sogar für nötig, auf dem Sofa in Ohnmacht zu fallen.

Aber Papa Jonas war keineswegs in der Stimmung, sich daran zu kehren, er tobte noch immer umher, wie ein angeschossener Eber.

»Günther, wo sind Sie? Kommen Sie her, hierher zu mir!«

Der Kommissionär, der ein stummer Zeuge der Scene gewesen war, eilte zu seinem Patron.

»Haben Sie gehört, was er gesagt hat, der hochmütige alte Narr? aber ich will sie noch bringen selber über den Berg! Sie werden gehn sogleich zum Staatsanwalt – hören Sie, zum Staatsanwalt, nicht zur Greiferei Die Kriminalpolizei., damit sie ihm nicht hilft durch – und werden einreichen die Denunziation mit dem falschen Wechsel!«

Der Kommissionär kraute sich verlegen hinter den Ohren.

Obschon er auf die andern Mitglieder der Familie Röbel nicht besonders gut zu sprechen war und sie sogar für den kleinen Unfall verantwortlich machte, der auch ihn »über den Berg« gebracht hatte, so hatte er doch die Gewohnheit, sich in einer Art von Verwandtschaft zu ihnen zu denken und der vielfache Verkehr mit den leichtsinnigen jungen Kavalieren, namentlich auch mit dem Leutnant von Röbel, hatte ihm ein gewisses Faible für die Aristokratie eingeflößt, das ihn – nicht vor deren Ruinierung, aber vor solchen Maßregeln, wie der alte Einbrecher sie rachsüchtig jetzt ergriff, zögern ließ.

»Warum wollen Sie es nicht selbst thun, Herr Jonas?« sagte er vorsichtig, »Sie wissen besser mit den Herrn zu sprechen, als ich, und sie könnten mir unangenehme Fragen thun!«

Bei all seiner Wut und Erbitterung aber verlor Herr Hartmann Jonas doch keineswegs sein Interesse aus dem Auge. Er wußte sehr wohl, daß eine direkte Denunziation seinerseits so viel gewesen wäre, als in ein Wespennest zu stechen, dessen Bewohner sich dann alle gegen ihn gekehrt hätten. Der Esprit du Corps hätte die Kavaliere gezwungen, den Geschäftsverkehr mit ihm abzubrechen, der seine zweihundert Prozent abwarf. Mit dem Kommissionär war das etwas anderes, das war eine zu untergeordnete und zu gemeine Person, um in Betracht zu kommen und sie konnte auch nötigenfalls ganz geopfert werden.

Er beeilte sich daher, alles Gift und alle Galle, die er vorhin nicht hatte auslassen können, auf sein unglückliches Werkzeug auszuschütten und befahl ihm, sofort nach dem Molkenmarkt zu gehen und die Denunziation einzureichen, mit der Drohung, sonst auf der Stelle jede weitere Verbindung mit ihm abzubrechen.

Das half natürlich, und Herr Günther wanderte alsbald nach dem Molkenmarkt, bis zur Thür des alten unheimlichen Gebäudes von Jonas junior auf Order des Alten vorsorglich eskortiert. – – – – – – – – –


Otto von Röbel hatte den Arm seines Vaters genommen und führte ihn aus dem Hause. Er zog es vor, noch einen kurzen Gang mit ihm zu machen und die nötigen Schritte zu besprechen, ehe er ihn nach dem Hotel und zu den Frauen geleitete.

So gingen sie die Linden hinauf – der alte Edelmann, der schon nach einigen Schritten seinen Arm dem Sohn wieder entzogen hatte, schweigend und düster, offenbar über einen Entschluß brütend. Der Offizier ging an des Bruders Seite, unruhig und finster.

Sie waren bis in die Nähe des Friedrich-Denkmals gekommen.

Auf der Rampe vor dem Palais des Prinzregenten hielt eine Equipage.

Der alte Edelmann blieb stehen, er schien seinen Entschluß gefaßt zu haben. Die Söhne folgten seinem Beispiel. Die Blicke Ottos hatten sich unwillkürlich nach dem Palais gewandt, rasch legte er die Hand auf den Arm seines Vaters.

»Sehen Sie, Vater! das ist der Fürst!«

»Welcher Fürst?«

»Der Fürst Windischgrätz, der so freundlich gegen mich war, damals bei der Erstürmung von Wien!«

»In der That!«

Die beiden Posten auf der Rampe vor dem Palais hatten präsentiert. Aus den geöffneten Thürflügeln war ein alter Herr in Civil getreten, von einem Adjutanten begleitet. Es war in der That der frühere Generalissimus, Feldmarschall Fürst Windischgrätz. Die zweiundsiebzig Jahre, die er damals bereits zählte, hatten die hagere Gestalt des alten Helden nur leicht zu beugen vermocht, nur die Falten des gutmütigen und doch so ernsten Gesichts waren noch tiefer und schwerer geworden.

Die Lakaien rissen den Wagenschlag auf, der Fürst stieg mit dem Offizier ein, und die Equipage rasselte die Rampe hinunter und den Fahrweg an den Linden hinauf nach dem Hotel Royal zu, wo der alte Held, den sein Kaiser in einer geheimen Mission nach Berlin gesandt hatte, abgestiegen war.

Als er an den drei Röbel vorüber kam und diese ihn ehrerbietig grüßten, nickte er freundlich zum Gegengruß.

Der Major wandte sich zu seinen Söhnen, aber er richtete seine Worte nur an den jüngeren.

»Kehre nach dem Hotel zurück, Otto, kein Wort von dem, was vorgefallen! Dieser da wird Dich begleiten, Du verläßt ihn keinen Augenblick, Du haftest mir für ihn!«

»Ja, Vater!«

»Geh! In einer Stunde werde ich dort sein!«

Er wandte sich mit einem kurzen Kopfnicken und ging auf die Rampe des Palais zu.

Otto von Röbel nahm den Arm des Bruders und führte ihn den Weg, den sie gekommen, zurück.

»Was soll das heißen, Otto? was will der Vater thun? wohin geht er?«

»Du siehst es, zum Prinzregenten!«


Es lag eine traurige, düstere Stimmung über der Familie Röbel, als sie jetzt, mit Ausnahme des Majors, in den zwei Zimmern des Britishhotel versammelt war, die ihr Logis bildeten. Otto hatte natürlich von den Vorgängen geschwiegen, aber der Ernst des jüngeren, die verzweifelte Stimmung des älteren Bruders war trotz aller Mühe, sie zu verbergen, zu sichtbar, um nicht die beiden Frauen auf das Höchste zu beunruhigen.

Frau von Röbel empfand demnach die schrecklichste Angst, eine unbestimmte Ahnung ihrer nervösen Natur sagte ihr, daß etwas Schreckliches im Werke sei. Aber alle ihre Fragen scheiterten an dem finsteren Schweigen der Brüder.

Etwa eine Stunde, nachdem er die Söhne Unter den Linden verlassen, kam der alte Major nach dem Hotel zurück.

Die kurze Zeit hatte ihn merkwürdig verändert, seine trotz des Alters noch feste gerade Haltung war auf einmal gebeugt und gebrochen, die strengen Falten um Augen und Mund schienen noch tiefer und finsterer.

Rosamunde eilte ihm entgegen. »Vater, um Himmels willen, bist Du krank?«

Auch die Majorin trat zu ihm, ihre gewöhnliche Schüchternheit überwindend; aber er wehrte Frau und Tochter zurück. »Laßt mich einen Augenblick, ich habe nichts! ich werde später mit Dir sprechen, Marie, jetzt habe ich ein dringendes Geschäft mit denen da!«

Er winkte den Brüdern nach dem Nebenzimmer und schloß hinter sich die Thür.

Dann trat er auf sie zu.

»Weißt Du, wo der Fürst Windischgrätz logiert?« fragte er den Jüngsten.

»Im Hotel Royal, Vater, ich sah den Wagen dort halten.«

»Glaubst Du, daß er sich Deiner erinnern würde, daß er Dir noch wohl will?«

»Ich hoffe es!«

»Wohl! Du wirst Dich sofort bei ihm melden lassen und ihn um ein Empfehlungsschreiben für den ehemaligen preußischen Leutnant Friedrich von Röbel an den kommandierenden General in Italien bitten, damit ihm der sofortige Eintritt als Freiwilliger in eines der Feldregimenter gestattet wird.«

»Vater …«

»Keine Widerrede!« Er wandte sich an seinen älteren Sohn und zog ein Papier aus der Tasche. »Nimm!«

»Was ist das? Ich beschwöre Sie, mein Vater …«

»Es ist Dein Abschied aus dem Dienst. Seine Königliche Hoheit, der Regent, haben ihn mir bewilligt. Es ist das einzige, was er für mich thun konnte. Es wird wenigstens jetzt nicht ein Schandfleck für die Armee sein, wenn Dein Steckbrief in den Zeitungen steht. Es betrifft ja jetzt nicht mehr den Offizier, es betrifft nur die Familie Röbel!« – Es zitterte ein Klang von Bitterkeit durch seine Worte, in dem Ton seiner Stimme. Im nächsten Augenblick war auch das überwunden. »Die Gerechtigkeit ist eine notwendige Sache und die beschworene Verfassung sagt: Alle Preußen sind vor dem Gesetz gleich!«

»Vater, ich ertrage das nicht länger! noch bleibt mir, Gott sei Dank, ein Weg, der alles ausgleicht!«

»Und der wäre?«

»Eine Kugel vor den Kopf!«

Der alte Mann sah ihn mit Verachtung an. »Also ein Selbstmörder? Das ist Eure ganze Kunst, Ihr Jünger der neuen und fortgeschrittenen Zeit! Keine Ehre im Leben und keinen Glauben im Tode. Du bist ein Christ, und das Gebot Gottes verbietet dem Christen, Hand an sein Leben zu legen!«

»Dann geben Sie mich also der Schande preis?«

»Nein! Der Name von Röbel soll wenigstens nicht in den Registern der Zuchthäuser paradieren. Du hast meinen Willen gehört, Du wirst heute abend nach Italien abreisen. Otto wird Dich bis Wien begleiten!«

»O, Dank, tausend Dank, Vater! für diesen Ausweg, ich schwöre Ihnen, daß ich jeden Leichtsinn von mir werfen, daß ich Ihrem Namen wenigstens auf dem Schlachtfelde keine Unehre machen werde!«

»Das wirst Du nicht, denn der Tod auf dem Schlachtfeld ist immer ein ehrenvoller!«

Die beiden Söhne sahen ihn an.

»Ein Röbel,« fuhr der Greis fort, und seine Stimme zitterte leicht, »ein Röbel, der lebend dem Zuchthause gehört, kann unmöglich leben wollen. Als Christ darf er nicht die Hand an sich selbst legen. Du weißt jetzt, warum ich, Dein Vater, Dich nach Italien sende. Dem Lebenden müßte ich fluchen, dem Toten kann ich verzeihen. Du gehst, um zu sterben

Friedrich von Röbel senkte schweigend seine Stirn; seine Lippen waren krampfhaft aufeinander gepreßt.

Dann fühlte er, daß eine Hand sich auf seine Schulter legte, es war die Hand seines Bruders.

»Vater,« sagte der junge Mann ruhig und fest, »ich wage es nicht, Ihrer Entscheidung zu widersprechen, aber ich habe Sie, ehe ich zu dem Fürsten gehe, meinerseits um etwas zu bitten.«

»Was ist es?«

»Um die Erlaubnis, meinen Bruder Friedrich nicht bis Wien, sondern auf das Schlachtfeld begleiten zu dürfen. Wir haben als Knaben Freuden und Leiden geteilt. Friedrich von Röbel soll jener schweren Stunde nicht entgegen treten, ohne daß sein einziger Bruder an seiner Seite steht! Will es Gott, daß zwei Röbel fallen, so wird die Ehrenschuld des einen doppelt bezahlt sein!«

Das Herz des leichtsinnigen Mannes brach, heiße Thränen stürzten unaufhaltsam aus seinen Augen, als er sich in die Arme des Bruders warf.

Der Major hatte sich nach dem Fenster gewandt, die welke zitternde Hand verhüllte sein Gesicht.


Es ist gleich 11 Uhr abends – bereits hat die Glocke zum erstenmal das Zeichen für den Breslauer Schnellzug gegeben, denselben, der nach Wien und nach Italien führt.

Es ist ein hastig Getriebe, ein Drängen und Stoßen auf dem Perron und am Eingang, denn jeden Augenblick rasseln noch Droschken heran und bringen verspätete Reisende.

Draußen auf der Straße unter dem Sternenhimmel, nicht in der Atmosphäre des Wartezimmers, stehen drei Männer, ein Greis und zwei jüngere, in der Vollkraft des Lebens – es ist der Major mit seinen beiden Söhnen.

Die Söhne selbst haben die Begleitung von Mutter und Schwester verweigert. Die Frauen wissen nur, daß der Offizier, um jene Heirat abzubrechen, die Erlaubnis erhalten hat, zur Armee nach Italien zu gehen, und daß Otto ihn begleiten will. Dennoch ist der Abschied schwer und herzzerreißend genug gewesen; welches Mutterherz ließe sich auch täuschen?

Ihr weniges Gepäck ist übergeben, die Plätze sind belegt, sie selbst haben den Vater gebeten, hier allein von ihnen zu scheiden, nicht im Gewühl der Menge.

Der Jüngste liegt an der Brust des alten Mannes, der Schuldige steht finster und stumm neben ihnen.

Da schallt die Glocke zum zweitenmal!

»Vater, laß ihn nicht so scheiden!«

Und das Vaterherz ist stärker, ein dumpfes Schluchzen bricht sich aus der Brust des alten Mannes den Weg und legt die zitternden Hände auf das sich in Thränen beugende Haupt des schuldigen Kindes. »Gott vergebe Dir, Sohn, wie Dein Vater Dir vergiebt, aus vollem Herzen, und stehe Dir bei in der schweren Stunde, die alles sühnt!« Er drückt das Haupt des Sohnes an seine Brust, und zwei schwere Thränen fallen darauf nieder. Dann reißt er sich los aus ihren Armen, er winkt mit der Hand nach der Bahn, er verschwindet im Dunkel! –

Otto von Röbel zieht den Bruder, der sich kaum aufrecht zu erhalten vermag, mit sich fort.

Wenige Augenblicke darauf schallt die Glocke zum drittenmal, der gellende Pfiff der Lokomotive schneidet durch die Luft, der Zug rasselt davon.

(Schluß des dritten Bandes.)


Herrose & Ziemsen, Wittenberg.

 


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