Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Im Schweizer-Saal.

Es war am letzten Tag des Jahres 1858.

Der kranke König von Preußen, Friedrich Wilhelm IV. verweilte mit seiner Gemahlin im Palast Caffarelli am Forum von Rom. Es war das Herz durchschneidend gewesen, als der König, das Opfer seiner Treue für den vorangegangenen Schwager, von seinem Volke schied, um, schon damals fast willenlos, nach dem Süden geführt zu werden, nicht Heilung, sondern nur Linderung seines Zustandes erhoffend.

Obschon alle größeren Hof-Festlichkeiten unterblieben, hatte das undankbare Berlin doch in seinem gewöhnlichen Neujahrsjubel die Silvesternacht durchtobt. Der Pöbel hatte sich unter den Linden mit Hutauftreiben und Angriffen gegen alle, die ihr Weg von Bällen und Gesellschaften von Kroll und aus den anderen Lokalen dort vorüberführte, amüsiert, und das gewohnte Zeter-Mordio der Neujahrsnacht war um kein Haarbreit anders gewesen, obschon die Zeit schwer und drohend genug schien.

Die neue Ära hatte das Ministerium Manteuffel im Oktober vorher gestürzt, nachdem der Prinz von Preußen am 9. Oktober die Regierung bis zur Genesung oder bis zum Tode des Königs selbständig übernommen hatte. Der zähe Premier der Reaktionsstürme nach den Stürmen von Achtundvierzig hatte erklärt, sich den neuen Anschauungen und Versuchen nicht fügen zu können und war gegangen.

Um den Regenten, der zeigen wollte, wie sehr er über seiner hohen Aufgabe all die Unbill der Vergangenheit vergessen hatte, sammelte sich jenes unglückliche Versuchs-Ministerium, das die triumphierende Demokratie mit dem Namen der Neuen Ära begrüßte, und das später, fast unheilbare Wunden zurücklassend, so kläglich Fiasko machte, weil das preußische Herz in den Männern mit den unpraktischen Ideen ihrer Köpfe in Zwiespalt geriet. Noch waren es eben nur die ersten Anläufe der Neuen Ära, die ersten Spatenstiche zum Untergraben der alten soliden Mauern, aber schon dies hatte viel Wandlungen in der Gesellschaft und dem staatlichen Leben hervorgebracht und es bedurfte später einer starken, einer königlichen Hand, um dies schwankende Schiff wieder unter das feste Steuer zu bringen.

Alte Freunde gingen, neue kamen, weniger zuverlässig vielleicht, aber bequemer und ehrgeiziger. Der Prinz-Regent hatte in seiner Anrede an die Minister am 8. November nämlich erklärt, er wolle keine liberale Überstürzung, vielmehr einen gemäßigten Fortschritt. Aber wenn auch der Wille des Regenten der beste war, seine Minister verstanden nicht, die richtigen Mittel und Wege einzuschlagen und ergriffen die verkehrten, welche die Autorität nur schwächen konnten. Erst als das Schiff festgefahren war, verließen sie es eilig, den Nachfolgern überlassend, es herauszulotsen.


Die Französische Straße von Borchardt her, ein Sammelpunkt der lebenslustigen jungen Offiziere und der alten Kavaliere der konservativen Partei, während zugleich, wie auf freiem Terrain, die aristokratischen Führer des Liberalismus bei feinen Diners und Soupers dort verkehrten, kamen zwei anscheinend noch junge Männer, in ihre Mäntel gehüllt.

Der ältere trug einen Offizier-Paletot, der zweite, von größerer stattlicher Gestalt, einen kurzen Mantel.

»Warum gehen wir nicht nach Hause, Fritz?« fragte der letztere. Es ist bald elf Uhr.«

»Und Neujahrstag! Pfui, Du solider Philister. Der Vater muß in der That Freude an Dir haben, denn Du bereitest Dich würdig zum Landjunker vor. Auf Ehre, seit Ihr von Paris zurück seid, bist Du ein wahrer Kopfhänger, und ich glaube zuletzt noch, Du gehst in die Betstunden der böhmischen Kirche. Mensch, komm endlich einmal heraus mit der Sprache und gestehe, was dort passiert ist? Sicher hängt es mit der Krankheit Rosas zusammen, die uns fast ihr Leben gekostet hätte!«

»Was Dir zu wissen nötig, Bruder,« sagte der jüngere Röbel, denn die Brüder waren es, »weißt Du bereits. Ich hatte eine Unannehmlichkeit mit der Polizei in Paris und lernte ein Wesen kennen und lieben, bloß um es wieder zu verlieren.«

»Bah,« sagte der Offizier, »so wahr ich beim nächsten Avancement endlich die Hauptmannssterne haben muß, es gibt Mädels genug in der Welt, daß man sich um eine nicht zu grämen braucht. Die Tante hat mir allerlei vorerzählt von schönen Kunstreiterinnen und einer Nebenbuhlerschaft vornehmer Herren, oder was sonst zum Henker; ich kann aus dem Gerede nicht klug werden und den Brief ihrer alten Pariser Klatschschwester wollte sie nicht herausgeben. Meinetwegen! Ich habe gerade genug mit mir zu thun, denn der Vater ist so zäh im Herausrücken, wie ein Jude, und ich glaube wirklich, daß die Tante nicht viel mehr hat!«

»Und wer wäre Schuld daran?«

Der Offizier sah ihn finster an. »Hoho, mein Kleiner, willst Du etwa den Moralisten spielen? Man muß leben, und ich kann nicht wie ein Lump oder ein Bettler existieren, das hätte man bedenken sollen, ehe man mich zum Offizier bestimmte. Ich gönne Dir das Gut, das Dir der Vater nach meinem erzwungenen Verzicht übertragen wird, von Herzen; Schulden sind ohnehin genug darauf, aber ich will wenigstens keine Predigten haben von Dir, der Du nicht einmal Verstand und Liebe genug zu mir gehabt hast, um zu sehen, ob sich denn nichts mehr von der amerikanischen Erbschaft herausschlagen ließ, um die der alberne Eigensinn des Vaters mich gebracht hat!«

»Gute Nacht!«

»Halt, Bursche, wo willst Du hin? Du weißt, ich habe den Schlüssel.«

»Es wird sich in irgend einem Hotel eine Stube für mich finden. Ich will nicht hören, daß Du in meiner Gegenwart den Vater schmähst, der streng nach seinen Grundsätzen gehandelt hat. Die Erbschaft kam uns beiden nicht zu!«

»Unsinn! Der alte Marquis hätte sie uns ohne weiteres ausgehändigt, wenn der Vater nicht so eigensinnig gewesen wäre, statt, daß wir dann noch die zehntausend Franken an diesen schuftigen Burschen haben zurückzahlen müssen. Sei vernünftig Otto und gehe mit! ich will nichts weiter auf den Vater sagen. Aber sprich selbst, ist es nicht sonderbar, daß wir beide in Paris allerlei Abenteuer haben mußten, und daß Du wieder mit dem französischen oder italienischen Abenteurer zusammen kommen mußtest, der uns vor neun Jahren die Nachricht von der Erbschaft brachte?«

»Du meinst den Kapitän Laforgne? Sprich mit Achtung von ihm, François verdient es und ist mein Freund. Du weißt, daß die Mutter selbst ihn hochschätzt.«

»Ja, gerade so hoch, als Ihr Euch seiner Bekanntschaft vor dem Vater nicht rühmen dürft. Er würde Euch die Rebellen-Freundschaft schon eintränken. Darf doch nicht einmal Rudolfs Name erwähnt werden. Hast Du Nachricht von ihm?«

»Er ist mit der russischen Fürstin in Nizza. Die Familie scheint große Stücke auf ihn zu halten, und der Winteraufenthalt hauptsächlich seinetwegen gewählt, um die Nachwehen seiner Wunde zu heilen.«

Der Offizier war stehen geblieben, die Straße war einsam, die Kälte hatte die Leute trotz des Festtages schon in die warmen Stuben gescheucht.

»Höre, Otto,« sagte er ernster als gewöhnlich, »manchmal will es mich bedünken, als hätten wir doch alle ein recht verfehltes Leben. Ferdinand, ein so wackerer Junge, wie nur einer, mußte sein Leben lassen in der verdammten Rebellion. Und für was? Aber es war vielleicht gut so, denn sein Kopf war so starr wie der des Vaters, und hätte die Kugel jenes Schuftes, der jetzt wieder oben auf ist und Equipage hält, ihn nicht getroffen – die unsinnige Neigung zu jenem Weibsbild, die nun das Weib seines Mörders ist, hätte ihn zu einem offenen Bruch mit dem Vater und uns geführt. Die arme Rosamunde vertrauert ihr Leben um Eigensinn und Vorurteil, während sie wahrscheinlich eine glückliche Hausfrau wäre, wenn sie des Pastors Sohn geheiratet hätte. Ich selbst nun zum Teufel, das ist das Schlimmste! Ich diene nun zehn Jahre und bin noch immer Premier-Leutnant, weil man einmal ein bißchen über die Stränge gehauen hat. Wahrhaftig, Junge, die Demokraten haben recht, es ist nichts zu holen mit dem Adelstolz, wenn man nicht die richtigen Moneten dazu hat! und mit dem Konservativismus? – Gott bewahre jeden, der Karriere machen will, heutzutage noch konservative Grundsätze zu haben! Ich sage Dir, Otto, wenn mich heute die Tochter von einem Kleiderjuden haben will, ich mache ihrer hochverehrten Verwandtschaft mein Kompliment, sobald ich fünfzigtausend Thaler als Mitgift kriege. Darunter geht's freilich nicht!«

»Pfui, Fritz! Ich weiß, Du denkst nicht so niedrig!«

»Zum Henker! Was bleibt mir übrig. Man hat mich zum Offizier gemacht und läßt mich in der teuren Residenz dienen. Glaubst Du, daß man mit den vierzig Thalern Sold und lumpigen fünfhundert Thalern Zuschuß aufs Jahr hier durchkommen kann, wo ich nicht einmal ins Theater die Nase stecken darf, ohne im ersten Rang zu sitzen? Oder sollen wir vielleicht jedem Landjunker nachstehend Pferde, Spiel, der äußere Anstand und die Weiber kosten ein verteufeltes Geld und« – er schüttelte mit einem verbissenen Groll heftig den Arm des Bruders – »ich sage Dir, mein Junge, wenn die Herrn Kommandeure etwas strengere Aufsicht hielten auf die ersten Sprünge des leichten Blutes, und wenn die verteufelten Wucherer nicht wären, die den Unerfahrenen gleich in den Klauen haben und ihn nicht wieder loslassen, bis die Familie ruiniert ist, oder er sich eine Kugel vor den Kopf geschossen hat, es wäre immer noch ein Aufkommen! So ist es vorbei, und Ihr werdet vielleicht bald Wunderdinge hören! Laß Dich warnen und hungre lieber, als daß Du je bei Benno oder Lilienzweig und Konsorten einen Wechsel entrierst!«

Es sprach bei all dem leichtfertigen Spott ein finsterer Groll, eine verzweifelte Stimmung aus der Rede des Offiziers.

»Ich halte Ordnung in meinen Ausgaben, Bruder,« sagte der jüngere Röbel, »und ich wünschte, Du könntest Dich auch daran gewöhnen.«

»Ordnung! ja wohl! wenn uns ein so hübsches Äffchen hinter den Coulissen her zunickt, oder beim Pointieren sich das Blut erhitzt! Ich will Dir was sagen, mein Junge, es ist eine verrückte Welt, ein unsinniges Rennen, in dem einer dem andern den Rang abläuft. Diese demokratische Kanaille schimpft auf die Armee und schmäht auf den Adel, während sie wie ein Vampyr sich mästet an ihnen! Auf Ehre! Es muß etwas faul sein im Staate Dänemark! Ich werde nächstens unter die Demokraten gehen, oder mich beschneiden lassen!«

»Bruder!«

»Laß gut sein, Otto, ich bin jetzt manchmal etwas toll und wild. Eins ärgert mich nur, daß ich so einfältig war, das Glück nicht beim Schopf zu fassen. Die Tante hat doch offenbar bloß deshalb intriguiert, mich nach Paris zu bringen, damit ich für die zurückgewiesene Erbschaft mich an der Tochter des alten Nabob entschädigte. Und ich glaube wahrhaftig, der Oberst hätte sie mir lieber gegeben, als dem gelbhäutigen Spanier, ihrem Verlobten!«

Der junge Mann erbebte unwillkürlich, als er das Mädchen erwähnen hörte, das ihm eine so tiefe Neigung eingeflößt hatte.

»Wen meinst Du?«

»Nun, wen anders, als die junge Marquise Carmen von Massaignac, die die Unvernunft der Mutter schon in der Wiege verlobt hatte. Apropos, ich habe Dich noch gar nicht gefragt, ob Du nichts von der Familie gehört hast? Die Kleine soll ja gestorben oder verloren gegangen sein, und ihr geiziger Bruder hat jetzt all die Millionen. Wäre mir damals nicht die fatale Geschichte mit dem Mörder aus den Katakomben in die Quere gekommen, auf Ehre, ich hätte sie vielleicht doch heiraten können!«

»Aber die Dame selbst,« sagte der jüngere Röbel, die Beantwortung der Frage umgehend, »Du hättest doch erst ihre Neigung erringen müssen!«

»O – sie war noch ein halbes Kind, obschon diese kleinen Kreolinnen schneller reifen. Sie würde in Deinem Alter sein, und was die Neigung betrifft, nun so hatte sie deren gewiß herzlich wenig zu diesem vertrockneten Spanier. Doch das ist nun alles vorbei und man muß sehen, sich anders zu helfen. Doch da fällt mir ein, Mensch, wie steht's mit Deiner Heirat mit der Reizendorf? Das Mädchen ist hübsch und eine der besten Partieen in der Mark! Die Tante hat, weiß Gott, ein verteufeltes Geschick im Heiratenstiften. Laß Dir gratulieren, mein Junge, und wenn Du das Heiratsgut hast, wirst Du hoffentlich nicht vor mir Deine Kassette schließen!«

»Ich liebe das Fräulein nicht!« sagte Otto kalt.

»Thorheit! wer fragt heut zu Tage nach Liebe? Der Vater, als alter Kriegskamerad des unsern, wirft sie Dir ja fast an den Hals, und Du bekommst schuldenfrei Wehlenberg und Klossen; die beiden Güter sind unter Brüdern ihre Zweimalhunderttausend wert! Bei Dir kann man wirklich sagen, das Glück ist der – na, der Unschuldigen Vormund!«

»Ich werde Luise von Reizendorf nicht heiraten!«

»Was, im Ernst? Bist Du toll? Und was wird der Vater dazu sagen, der geradezu schon sein Wort gegeben hat? Du weißt, der Reizendorf hat eine Hypothek auf unserm Gut!«

»Ich habe ihm bereits meinen Entschluß erklärt, ich liebe das Mädchen nicht und will sie nicht unglücklich machen. Heirate Du sie selbst!«

»Auf Parole, lieber heute als morgen, wenn sie mich nur möchte, oder vielmehr der alte Brummbär, ihr Vater. Aber er hat etwas von meinen kleinen Passionen gehört, natürlich übertrieben, und als die Tante Kammerherrin ihm davon sprach, war er Feuer und Flamme. Nein, Junge, Du mußt um der Familie willen die Kleine heiraten! Aber so – hier sind wir zur Stelle. Ich habe ein kleines Geschäft, ehe wir weiter gehen. Sei so gut, einen Augenblick zu warten!«

Er ließ ihn an der Ecke der Oberwallstraße stehen und ging einige Schritte weit in dieselbe hinein. Vor einer der Hausthüren stand ein Mann, behäbig in einen Pelz gehüllt und ungeduldig die Füße auf- und niedersetzend, um sich gegen die Kälte zu schützen.

»Sind Sie es, Günther?«

»In drei Deibels Namen, Herr Leitnant,« murrte der Angeredete, »Sie lassen man verflucht uf sich warten. Wenn's alleweile nicht der Verwandtschaft wegen jewesen wäre, ick wäre davon jegangen!«

»Kerl – –« er unterdrückte mit Gewalt den auflodernden Zorn über die Vertraulichkeit. »Haben Sie das Geld, Günther?«

»Warum werd ick nich? aber et is teuer, Herr Leitnant. Ick habe man bloß zweihundert jekriegt un uf zwei Monate!«

»Zweihundert Prozent! Es ist eine wahre Schande! Aber geben Sie her. Ich habe mein Ehrenwort gegeben, die Spielschuld von gestern abend noch heute zu bezahlen und muß ins Schloß. Der Baron hat die Wache dort. – Hier – für Ihre Mühe!«

Er hatte beim Schein der Laterne aus dem Päckchen Kassenanweisungen zwei Zehnthalerscheine gezogen und reichte sie dem Kommissionär. »Hundertfünfzig Thaler zu bezahlen« – murmelte er verdrießlich – »bleiben mir gerade noch dreißig! Es ist zum Tollwerden mit diesen Halsabschneidern. Sie müssen mir in einigen Tagen noch fünfhundert verschaffen, Günther.«

»Es geht nich, Herr Leitnant! Gott straf mir, aber et will keener nich die Wechsel mehr nehmen!«

»Es muß gehen! bieten Sie, was Sie wollen, aber ich muß Geld haben!«

»Ja,« meinte der Kommissionär, »warum wenden Sie sich denn nich an Jonassen? Er hat Ihnen so oft aus der Klemme jeholfen.«

»Ich bin seit vier Wochen nicht dort gewesen. Es geniert mich, hinzugehen, ich bin ihm bereits vier- bis fünftausend Thaler schuldig und kann sie jetzt nicht zahlen!«

»Jemine! wat is denn das vor eenen Kavalier und hat er Sie denn schonst darum jemahnt? Fürsten und Jrafen stehen bei ihm int's Buch und darum brauchten Sie sich man das Verjnügen nich zu versagen. Die Rosalie hat gestern noch nach Sie jefragt und is janz unglücklich darüber, daß Sie sich man nich mehr bei die kleinen Soupers blicken lassen. Jott, ist das en Mädel! und hat die Augen im Kopf! Des wär 'ne Jräfin, wie sie in den Büchern steht, die Amande immer liest!«

Der Offizier zuckte ungeduldig die Achseln. »Also Fräulein Rosalie hat nach mir gefragt?«

»Gewiß. Dreimal, sie hat gar nich uf die schöne Komposition von ihrer Schwester gehört, die des Klavier gespielt hat, als ob sie ins Opernhaus musizierten. Die Jesellschaft war sehr nobel. Een Prinz und drei Jrafens, die Barone jar nich mitjezählt. Von die politische Polizei waren sie ooch da! Der Jonas is en Mordskerl!«

Ein tiefer Ekel befing den Offizier, aber er überwand ihn. »Sagen Sie, daß ich morgen kommen werde!«

»Pirole Honneurs?«

»Auf mein Wort! Gute Nacht! mein Bruder dort wird ungeduldig. Einstweilen besten Dank, Günther!«

Der Kommissionär begleitete ihn einige Schritte, dann kehrte er um und schloß die Hausthür.

»Zwanzig Thaler und fünfundzwanzig von Jonassen,« murmelte er vergnügt. »Et jeht vortrefflich. Ick werde Amanden morgen en neuen Hut koofen. Der jute Wurm schläft bereits, sonst wollt ick sie wahrhaftig mit nach dem Orpheum nehmen. Jut, so jeh ich alleine, oder besser noch, ick bringe jleich Jonassen Rapport! Ick möchte man nur wissen, was dieser Jonas mit meinen Schwager Röbel vor hat, daß er alle Wechsel so ins Jeheime diskontiert!«

Der Offizier war zu seinem Bruder zurückgekehrt. »Laß uns gehen, Otto, mein Geschäft ist abgethan!«

»Wer war der Mensch, mit dem Du so eifrig verkehrtest?« fragte der jüngere Röbel. »Der Bursche sah gemein aus, schien aber vertraulich genug mit Dir.«

»Das ist unser Schwager,« sagte weitergehend mit Hohn der Offizier.

»Unser Schwager? Du redest irre.«

»Nun, bei meinen künftigen Generalsepauletten, wenigstens behauptet er es. Er ist der Bruder des Mädchens, der ehemaligen Geliebten Ferdinands, und hat schon in früherer Zeit der Tante gedroht, er könne dem kleinen Bastard zu einem ehrlichen Namen helfen. Zum Glück ist der Balg gestorben oder verdorben. Jetzt ist der Bursche ein ganz geschickter Kommissionär und verschafft Geld auf höllische Zinsen!«

»Und mit einem solchen Menschen verkehrst Du?«

»Was ist da zu machen? Ehrenschulden müssen bezahlt werden und von Euch ist nichts zu haben. Heirate die Reizendorf, mein Junge, und arrangiere mich, das ist nicht zu viel, was Du für Deinen Bruder thust. Doch da sind wir am Gitter. Heda, Schildwach! aufgemacht!«

Sie standen auf dem Schloßplatz vor dem Gitter am Portal Nummer 2.

»Parole?«

»Stettin! Ruft den Unteroffizier!«

Der wachhabende Unteroffizier kam mit dem Schlüsselbund.

»Ich will zu Leutnant von Waldenburg! Er ist doch zu sprechen?«

»Gewiß, Herr Leutnant. Es sind noch zwei Herren bei ihm, und sie feiern das Neujahr.«

Er hatte aufgeschlossen und führte sie nach der Treppe zum Souterrain, in dem die Offizierstube liegt.

Obschon es ziemlich kalt war, standen oder saßen doch mehrere Gruppen von Soldaten vor der Thür des offenen Wachtzimmers, das im März 1848 das Studentenkorps bezogen und mit solchen gemeinen Unflätereien beschmutzt hatte, daß sie ein so trauriges Zeugnis der Maturität für die bürgerliche Gesellschaft abgaben, wie es keiner der verhöhnten hinterpommerschen oder kassubischen »Bauernlümmel« sich geleistet hätte. Es ist bekannt, daß die Korridore und die Stuben, in denen die selige Bürgerwehr und die Freikorps ihr Wesen getrieben, kaum wieder gereinigt werden konnten.

Als die beiden Röbel in die Wachstube traten, wurden sie freundlich von dem wachhabenden Offizier begrüßt, der mit zwei Kameraden, die sich bei ihm eingefunden hatten und hier wacker Cigarren qualmten, Whist spielte, während vom Ofen her der köstliche Duft eines Punschtopfs sich mit den Wolken der guten Havannas mischte.

Leutnant von Röbel zog seine Uhr. »Zwanzig Minuten vor Elf, lieber Baron, die vierundzwanzig Stunden sind also noch nicht abgelaufen. Hier ist meine Schuld und mein bester Dank!«

»Ich würde Ihnen ernstlich böse sein, bester Kamerad, über eine solche unnütze Pünktlichkeit,« erwiderte der Offizier, »wenn sie mir nicht das Vergnügen Ihrer Gesellschaft verschaffte. Kommen Sie, setzen Sie sich, und trinken Sie ein Glas Punsch. Crusenstolpe versteht ihn ganz prächtig zu machen, das hat er von seiner schwedischen Abkunft.«

Die Offiziere und Otto von Röbel setzten sich um den Tisch, der Robber wurde rasch beendet, um dann einer allgemeinen Unterhaltung Platz zu machen.

»Sie haben heute starke Wache, Kamerad, wie ich an den Gewehren sehe,« bemerkte der Leutnant.

»Kommandanturbefehl! ich weiß selbst nicht, warum. Wahrscheinlich, weil an Festtagen sich immer viel Gesindel umherzutreiben pflegt und mitunter selbst ins Schloß sich einzuschleichen weiß.«

»Das Orderbuch wird ja die beste Auskunft darüber geben.«

»Das alte ist nicht mehr da – man hat es heute erneuert. Aber – –«

»Nun?«

»Ich weiß nicht, es muß allerdings etwas vorgegangen sein in der vergangenen Wache, ich kann nur nicht dahinter kommen. Vielleicht, daß Herr Stieber einen neuen Schloßdiebstahl gewittert hat.«

»Es wird sich bald ausgestiebert haben. Die Demokraten sind höllisch hinter der Polizei her.«

»Es kann ihr nicht schaden, die Lektion mit Hinkeldey ist wieder vergessen!«

»Lassen Sie mir die Polizei ungeschoren, Kamerad,« sagte lachend der jüngste Offizier. »Ich hätte wahrhaftig den Abschied nehmen müssen, wenn Sie meinem Alten nicht bei dem Arrangement beigestanden hätte. Es wäre sonst kein Auskommen mit diesen Blutegeln. Haben Sie die Geschichte von Graf Falkenburg gehört?«

»Von seinem Arrangement?«

»Ja. Der Krug ging nicht länger, und der Alte hat sich an den Polizeipräsidenten gewandt. Man könnte wirklich über die Genialität dieser Gaunereien lachen, wenn sie uns nicht so scharf aufs Blut gingen!«

»Ich habe von der Geschichte gehört, weiß aber nur, daß Falkenburg mit blauem Auge davongekommen sein soll. Wie war es?«

»Ei nun, fürs erste die gewöhnliche Leier. Er kaufte den ›Glorific‹ von Bamberger für fünfhundert Louisdor und brauchte Geld. Es ist anfangs immer, als ob diese Spitzbuben von Blutsaugern riechen könnten, wer Geld braucht, während sie später nie zu Hause sind. Kurzum, Meyer hatte ihn alsbald in den Händen und Falkenburg wußte bald nicht, wie oft und wie viel er bar erhalten hatte, zuletzt rechnet ihm Meyer sechstausend Thaler vor. Aber er war bereit, zu prolongieren, zahlte ihm tausend Thaler bar und tausend in Cigarren, und ließ ihn einen Wechsel unterschreiben auf Zwölftausend!«

»Thaler?«

»Gott bewahre! auf zwölftausend Friedrichsdor!«

»Heiliger Bonin, das ist stark!«

»Ja. Der Präsident ließ Meyer kommen, der sich erbot, zwölftausend Thaler zu nehmen statt der Friedrichsdor. Man bot ihm sechs oder den Staatsanwalt. Er soll gesprungen sein wie die hübscheste Ratte vom Ballett, aber zuletzt nahm er sie, und der Gauner soll noch ein gutes Geschäft gemacht haben.«

»Ich zweifle nicht daran. Falkenburg ist ein glücklicher Bursche, er kann noch die Minderjährigkeit vorschützen, bei einem alten Schnurrbart wie ich, geht das freilich nicht mehr, es bleibt uns höchstens die Denunziation wegen Wuchers!«

»Pfui, Fritz! Das ist doch Dein Ernst nicht! Wo bliebe da die Ehre des Offiziers.«

»Ich bitte Dich, lieber Junge, Du wirst noch manches in der Welt lernen. Ehre einem Wucherer gegenüber, bah! der Gedanke ist nachgerade albern. Wir befinden uns ihnen gegenüber im Kriegszustand, und da sind alle Mittel erlaubt. Aber ich dächte, wir hätten genug von den Kanaillen gesprochen. Sie waren gestern mit der kleinen Alwine bei Kroll, Romwitz?«

»Sie hat mich mit Gewalt hingeschleppt, um mit mir Parade zu machen und den portugiesischen Attaché zu ärgern. Auf Parole, ich mußte ihr den Gefallen schon thun. Es war aber verteufelt viel Kanaille da. Wir soupierten in dem zweiten Kabinett mit Rothenfels und seiner Kunstreiterin.«

Fritz von Röbel warf seinem Bruder einen spöttischen Seitenblick zu.

»Wollschläger hat hübsche Pferde und Reiterinnen, das muß man ihm lassen,« sagte er. »Aber es ist jetzt hinter den Logen so sittsam, daß es langweilig wird. Die Alte will die Demimonde nicht mehr auf der Tribüne dulden. Ich habe noch keine Sponsade mit einer Kunstreiterin gehabt, es muß interessant sein, aber verteufelt teuer!«

Seine Miene sagte Otto, daß er nicht ohne Bezug gesprochen, und die Stirn des jungen Mannes rötete sich in Unmut und Verlegenheit, als er so die innersten Nerven seines Herzens berührt sah.

»Haben Sie schon die neuesten politischen Nachrichten gehört, meine Herren?« fragte er, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.

»Nein, was meinen Sie? was giebt's?«

»Einer der Kavaliere der russischen Legation kam zu Borchardt, ehe wir gingen. Der Gesandte hat eine Depesche aus Paris bekommen, die viel zu denken giebt.«

»Nun?«

»Richtig! es ist wahr, die Börse wird morgen in Aufregung sein und die österreichischen Papiere werden schmählich fallen.«

»Aber was ist es denn – so erzählen Sie doch, Herr von Röbel!«

»Auf Ehre, nur eine kleine Redensart – aber sie verbirgt am Ende viel. Beim Empfang des diplomatischen Korps in den Tuilerien heute mittag hat Herr Louis Napoleon dem österreichischen Gesandten eine Drohung ins Gesicht geworfen.«

»Eine Drohung?«

»Ja, es scheint mir wenigstens eine solche. Der französische Kaiser hat Baron Hübner mit den Worten angeredet: ›Ich bedaure, daß unsere Beziehungen zu Ihrer Regierung nicht eben so gut wie früher sind, aber ich bitte dem Kaiser zu sagen, daß meine persönlichen Gefühle für ihn unverändert geblieben sind‹«

»Und der Gesandte?«

»Nun, er hat wahrscheinlich seine Verbeugung gemacht, ist nach Hause gegangen und hat einen Kourier abgeschickt, daß die Franzosen den Krieg erklären wollen!«

»Vortrefflich! Dann giebt es Avancement!«

»O, Kinder, seid nicht so eilig, wer sagt Euch denn, daß wir mit den Österreichern gehen werden? Es sieht mir gar nicht danach aus.«

»Nun, die heilige Alliance …«

»Die heilige Alliance hat im Krimkriege ein höllisches Loch bekommen.«

Ehe das Gespräch sich weiter spinnen konnte, klopfte es an die Thür.

»Herein!«

Ein Offizier im Mantel trat ein, ein alter Diener des Schlosses, ein Bund Schlüssel und eine Laterne in der Hand, folgte.

Als der Offizier in den Lichtkreis trat, erkannte man in ihm einen der Flügeladjutanten. Alle waren aufgestanden und achtungsvoll zurückgetreten.

»Der Offizier der Wache?«

»Hier, Herr Oberstleutnant!«

»Ich will die Herren nur wenige Minuten stören. Ich wünsche Sie einige Augenblicke im Dienst zu sprechen!«

Der Leutnant sah seine Freunde an, sie griffen sogleich nach Mänteln und Helmen.

»Nicht doch, nicht doch, meine Herren! Wenn Sie die Freundlichkeit haben wollen, einige Augenblicke ins Wachtzimmer zu treten.«

Die drei Offiziere mit Otto von Röbel folgten dem Geheiß.

Der Stabsoffizier hatte seine Uhr gezogen.

»Sie haben um zehn Uhr die Posten ablösen lassen?«

»Zu Befehl!«

»Es ist jetzt ein Viertel auf Zwölf. Sie werden mit der Ablösung nicht bis zwölf Uhr warten, sondern sie um halb vornehmen. Sobald die Ablösung der äußeren Posten zurückgekehrt ist, werden die Gitter geschlossen und unter keinem Vorwand wieder geöffnet, bis dieser Mann Ihnen die Nachricht bringt, daß es wieder geschehen könne. Die Ablösung der Posten im Schloß selbst erfolgt erst nach Rückkehr der äußeren Ablösung. Haben Sie mich verstanden?«

Der Offizier salutierte. »Zu Befehl!«

»Sie werden selbst die Wachen an den Orten aufstellen, die dieser Herr Ihnen angeben wird. Wählen Sie die Zuverlässigsten und Entschlossensten unter den Leuten. Alle halbe Stunde haben Sie selbst die Ronde im Schloß zu machen und sich von der Wachsamkeit der Posten zu überzeugen. Die Parole ist für die Posten im Schloß zu wechseln, nehmen Sie einen anderen Namen – zum Beispiel Bertha! Selbst bei der Kenntnis der Parole werden alle Personen, männlichen und weiblichen Geschlechts, die von zwölf bis ein Uhr in den Korridoren oder Sälen die Posten passieren wollen, bis zur Ankunft der Ronde festgehalten und dann nach der Wache gebracht, wo dieser Herr,« er wies auf den alten Diener, »ihre Identität rekognoszieren wird. Ich brauche Ihnen Vorsicht und strengstes Schweigen wohl nicht erst anzubefehlen. Sie werden übrigens gut thun, Ihre Freunde unter einem passenden Vorwand zu entfernen.«

»Zu Befehl!«

»Haben Sie die Orders ganz genau verstanden oder muß ich sie wiederholen?«

»Es ist unnötig. Ich weiß alles!«

»Dann gute Nacht und gute Wache. Bleiben Sie nur, ich finde schon den Ausweg.«

Der Stabsoffizier entfernte sich mit dem alten Schloßdiener, der Leutnant von Waldenburg blieb in einiger Verwirrung über die Bedeutung der erhaltenen Order zurück. Dann ging er nach dem Wachtzimmer, seine Freunde aufzusuchen.

Diese hatten jedoch die dunstige, mit dickem Qualm angefüllte Stube verlassen und waren in den Schloßhof getreten. Der Leutnant rief den Unteroffizier der Wache und erteilte ihm verschiedene Weisungen. Als er sich wieder nach ihnen umsah, hörte er, daß sie es vorgezogen hatten, sich zu entfernen. Es war ihm um so lieber, und er ließ alsbald die Ablösungen für die äußeren Posten antreten.

Eine Viertelstunde darauf waren die Gefreiten zurückgekehrt; zu gleicher Zeit hatte sich auch der alte Diener, ein Mann mit weißen Haaren und gutmütigem, ehrwürdigen Gesicht, auf der Brust die Ehrenzeichen von 1813 und 14, wieder eingefunden.

Der Leutnant von Waldenburg ließ sich die Schlüssel der Gitterthore bringen und steckte sie ein.

»Es ist Zeit, Herr Leutnant,« sagte jener.

»Wie viel Mann?«

»Nur zwei Posten außergewöhnlich.«

Der Offizier ließ die Leute antreten und wählte selbst zwei Mann aus. »Ich werde sie aufführen,« befahl er. »Gewehr über. Marsch!«

Voran ging der alte Schloßdiener mit den Schlüsseln und der Laterne. Dann kamen der Offizier, hinter diesem die zwei Mann mit geschultertem Gewehr. Zugleich schwenkten nach den andern Flügeln und Teilen des Schlosses die gewöhnlichen, von den Gefreiten geführten Ablösungen ab.

Der alte Mann führte sie in den Durchgang zum inneren Hof und quer über diesen den Weg nach dem schönen Portal, in dem der doppelte Aufgang zu dem Schweizer Saal rechts und links emporsteigt.

Der Aufgang rechts besteht aus breiten, teppichbelegten Stufen. Er windet sich um die Hälfte des Treppenhauses und trifft im ersten Stockwerk vor dem großen Bogenfenster mit dem Aufgang zur Linken wieder zusammen. Hier ist rechts der Eingang zu den Gemächern, die König Friedrich Wilhelm IV. bewohnte. Eine Galerie läuft nach dem Hof zu an der Zimmerflucht entlang und war bei der Anwesenheit des Königs von Wachen und der Dienerschaft belebt.

Jetzt war alles öde und still.

Links von demselben Absatz führt eine Thür über einen Korridor nach den Räumen des Tresors.

Der alte Schloßdiener bedeutete dem Offizier, hier seinen ersten Posten aufzustellen. Dann stiegen sie weiter zur nächsten Etage.

Der Aufgang links ist jener berühmte Weg, der bis zum Eingang des Schweizer Saales, im zweiten Stockwerk, wo beide Aufgänge sich wieder vereinigen, zu Pferde oder mit einem Rollwagen zurückgelegt werden kann, mit Ziegelsteinen gepflastert, gleich dem Aufgang des Kampanile am Sankt Marcus zu Venedig.

Der Diener öffnete die Flügelthür des Schweizer Saals.

Dieser bildete ein Oblongum über den ganzen Treppenflur. Gegenüber dem Eingang führt eine Glasthür zu den Hintertreppen, Gemächern und Erkern an der Spree. Die hohe Thür zur rechten geht nach den sogenannten Elisabethkammern, die zur Linken nach den Paradekammern im Flügel nach dem Lustgarten.

Die Decke des Saales ist hoch, oval gewölbt und an den Seiten der Wölbung mit der Nachahmung einer belebten Galerie gemalt. Die Möblierung ist ziemlich spärlich, ebenso die Dekoration, da er von jeher nur als eine Art Vorsaal zu den inneren Zimmerreihen benutzt wurde. Sein Licht empfängt er durch die mit den breiten Fenstern der Fassade korrespondierenden Fenster der eigenen Wand.

Die Beleuchtung ist also gebrochen und ziemlich kärglich. Als sie eingetreten waren, warf das gebrochene Mondlicht seinen matten gespenstischen Schein auf den Estrich. Die Seiten waren in tiefes Dunkel gehüllt, aus dem unheimlich die beiden grotesken Figuren der Nereiden sich hervorhoben.

»Der Posten soll hier in diesem Saale bleiben und kann auf und nieder gehen. Ich will ihn wenigstens mit der Lokalität bekannt machen.«

Der alte Diener zündete seine Laterne an und leuchtete im Saal umher. Er probierte die drei andern Thüren und verschloß die nach der Spreeseite und nach den Elisabethkammern, indem er die Schlüssel sorgfältig zweimal herumdrehte. Der Ausgang nach den Paradekammern war schon vorher geschlossen gewesen.

»So, Herr Leutnant, wenn Sie fertig sind …«

Der Offizier wiederholte dem Wachtposten die Instruktionen. Es war ein kräftiger, großer Ukermärcker mit einem verständigen ruhigen Gesicht.

»Paß auf den Dienst, mein Junge, und sei wachsam. Findet Dich die Ronde schlafend, so kannst Du Dir gratulieren. Dein Kamerad hat's jedenfalls kälter draußen auf der Treppe.«

»Zu Befehl, Herr Leutnant!« Der Soldat setzte sich in Marsch, und seine langsamen Schritte hallten von der Wohnung des Saales wieder, als die beiden ihn verließen. Die große Thür fiel ohne Geräusch in das Schloß; es kam dem Offizier vor, als thue der alte Mann, der vor ihm herging, einen tiefen Atemzug, als wäre er mit dem Schließen der Thür von einer schweren Last befreit.

Sie kamen herabsteigend an dem unteren Posten vorüber, den der Offizier nochmals erinnerte, aufmerksam Wache zu halten; gleich darauf traten sie wieder in den mondbeleuchteten Schloßhof.

In dem Augenblick, wo sie heraustraten, kam ihnen von der Seite des Flügels nach dem Schloßhof ein Mann entgegen.

»Gut, daß ich Sie treffe, Herr von Waldenburg,« sagte der Fremde. »Ist mein Bruder wirklich schon fort? Bitte, dann lassen Sie mir öffnen.«

Es war Otto von Röbel, der fragte.

Der Offizier war natürlich sehr unangenehm berührt von dieser unerwarteten Anwesenheit seines Besuchs, den er längst entfernt glaubte.

»Aber wo zum Teufel, Herr von Röbel, kommen Sie denn jetzt her?«

»Oh! ein Zufall, oder vielmehr meine Liebhaberei für den Effekt des Mondscheins in alten Gebäuden hat mich aufgehalten,« sagte der junge Mann gleichgültig. »Ich war, als Sie den Offizier empfingen, mit den andern in den Schloßhof getreten und hatte mich von ihnen getrennt, um einen kurzen Gang durch die Korridors zu machen. Es ist ein so eigentümlicher Eindruck, in der Stille der Nacht unter diesen mächtigen Gewölben. Eben als ich zurückkehrte, war niemand mehr in Ihrem Zimmer, und man weigerte mir die Öffnung des Gitters.«

»Es ist in der That unangenehm,« sagte der Offizier, »aber Sie werden sich nun gefallen lassen müssen, für zwei Stunden mein Gast zu bleiben. Es ist strenger Befehl, vor der Ablösung um 1 Uhr unter keinem Vorwand die Ausgänge zu öffnen!«

»Ei nun,« sagte lachend der junge Röbel, »es hätte mir für meinen Vorwitz gewiß etwas Schlimmeres passieren können, als ein paar Stunden mit Ihnen zu verplaudern. Das heißt, wenn Sie mich bei sich aufnehmen wollen, andernfalls gehe ich auch sehr gern bis zu der Zeit hier auf und ab.«

»Gott behüte, daß ich Sie draußen lasse. Wir haben noch Punsch genug, um uns zu wärmen und munter zu erhalten. Kommen Sie mit herein in die Offizierstube, Alterchen, und trinken Sie ein Glas, es wird Ihnen gut thun.«

Die letzte Einladung war an den alten Lakai gerichtet und aus Humanität und Neugier hervorgegangen, um vielleicht zu erfahren, was die besonderen Befehle für die Posten zu bedeuten hätten.

Der alte Mann verbeugte sich demütig und nahm nach einer höflichen Weigerung die Einladung an, weil, wie er erklärte, er die Order habe, bis 1 Uhr dem Herrn Offizier im Wachtlokal zu Befehl zu stehen. Bald darauf saßen die beiden jungen Männer, ihre Cigarren rauchend, wieder auf dem Ledersofa der Offizierstube, Leutnant von Waldenburg die Uhr noch vor sich auf dem Tisch, während der alte Schloßdiener in bescheidener Entfernung an dessen andern Seite sich niedergelassen hatte und von Zeit zu Zeit mit Behagen den duftigen Punsch schlürfte, den ihm der Offizier eingeschenkt hatte.

»Sind Sie schon lange im Dienst hier?« fragte der Offizier.

»Halten zu Gnaden, Herr Leutnant,« sagte der alte Diener, »ich bin in diesen Mauern geboren, noch unter Sr. Majestät Hochseligen Großvater, dem König Friedrich Wilhelm II. Meine Familie ist mit diesem Schloß alt geworden, denn mein Urgroßvater war schon Trabant bei des großen Kurfürsten Gnaden!«

»Ei der Tausend!« lachte der Offizier, indem er von frischem einschenkte, »da sind Sie ja, was man so nennt, ein wahres altes Möbel des Königlichen Hauses und müssen das Schloß von innen und außen kennen.«

»Von innen und außen, Herr Leutnant, das ist wahr. Ach Du mein Gott, aber wie viel hat sich schon hier verändert, seit ich nur denken kann, und wie gar manches ist in diesen Mauern passiert. Fast alle Potentaten Europas habe ich hier gesehen, den allerhöchstseligen Kaiser Alexander, den Kaiser Nikolaus, wie er unsere liebe Prinzeß Charlotte holte, den Kaiser Napoleon und wie sie alle sonst hier waren. Aber meine Herren, eine traurigere Nacht, als wie jene zum 19. März hab' ich selbst damals nicht erlebt, als die Franzosen in diesen Mauern hausten. Sie hätten den lieben König Fritz nur sehen sollen, wie ihm immer die hellen Thränen über die Wangen herabrieselten bei jedem Kartätschenschuß, den sie in der Breiten Straße da thaten.«

»So waren Sie damals in der Nähe des Monarchen?« fragte Otto.

»Jawohl, Herr von Röbel, den ganzen Tag und die ganze Nacht, und ich könnte Ihnen manches davon erzählen, was keine Zeitung je zu erfahren gekriegt hat. Ich freue mich der Ehre, Sie kennen zu lernen, Herr von Röbel, denn Sie müssen wissen, ich habe Ihren Vater mehr als einmal im Jahre 1813 im Hauptquartier gemeldet, und er war ein braver und beliebter Offizier. Ich stand ein paar Schritte hinter des Königs Majestät an jenem Nachmittag, als er auf dem Balkon des Schloßplatzes sich zeigte und die nichtswürdigen zwei Schüsse auf ihn gethan wurden.«

»Blinde Schüssel«

»Ja wohl, Herr Leutnant, blinde Schüsse, wer's nicht besser weiß. Ich aber habe die Kugel dicht neben mir oben an die Quadern der Wand klatschen sehen, und als ich sie aufhob und sie später Seiner Majestät überreichte, sagten sie heftig: ›Nichts da, Thiele, thue das Ding weg, und daß Du es niemanden wieder sehen läßt, bei meinem Zorn!‹«

»Ich glaube, Sie müssen die Geschichte der Königlichen Familie sehr genau kennen,« bemerkte der junge Edelmann.

»Gott weiß es! darum halten die Allerhöchsten Herrschaften auch einige Stücke auf mich. Thiele vorn und Thiele hinten! Alles möchte der alte Thiele, weiß Gott, alleine machen. Aber ich lasse mich nächstens pensionieren, um wenigstens die letzten Tage in Ruhe zu verleben. Eine Lotteriekollekte wäre auch nicht so übel. Aber um auf das, was Sie eben sagten, zu kommen, es ist ganz wahr, in einem so langen Leben hört und sieht man gar vieles, und auch mein Vater selig hat mir so manche alte Geschichte von den hohen Herren erzählt, als das liebe Haus Hohenzollern noch nicht so mächtig und groß war, wie heute. Aber Gott ist immer mit ihm gewesen und hat die hohen Herren wunderbarlich beschützt durch allerlei Wunder und Fingerzeige.«

»Hören Sie, Herr Thiele,« sagte der Offizier, die Gläser füllend. »Sie sollten uns, um die Zeit zu vertreiben, wirklich eins oder das andere zum besten geben, ich bin nicht neugierig, aber zum Beispiel …«

»Stille, stille, ich weiß, was Sie sagen wollten, aber das geht nicht. Wir müssen abwarten, was geschieht, dann läßt sich's Ihnen ja doch nicht verheimlichen. Aber um Ihnen eine alte Erinnerung zu erzählen, ist Ihnen die Geschichte vom Ringe des Markgrafen von Bayreuth bekannt?«

»Nein.«

»Nun gut, so will ich sie Ihnen erzählen, wie sie mein Vater selig selbst miterlebt hat. Aber nicht mehr einschenken, Herr Leutnant, ich bitte darum.«

Der alte Mann nippte noch einmal, nickte befriedigt zum Zeichen der Anerkennung für das duftige Gebräu mit dem Kopf und setzte sich in seinen Stuhl zurück, ohne die Cigarre anzunehmen, die ihm seine Gesellschafter wiederholt anboten.

»Sie werden aus der Geschichte wissen,« begann er, »daß das Königliche Haus der männlichen Sprossen eben nie sehr viele, in direkter Linie sogar sparsam gehabt hat. So war's auch zur Zeit Seiner Majestät König Friedrich des Großen, dessen schönes Standbild jetzt drüben vor dem Palais steht. Der König hatte nach dem Tode seines Bruders dessen Sohn zum Prinzen von Preußen ernannt und auf diesem beruhte die Hoffnung des Landes, die Königsfamilie fortleben zu sehen. Aber es schien, als ob die Hoffnung nicht in Erfüllung gehen sollte; Gott giebt halt die Kinder und nimmt sie, und Menschenwitz kann dazu nichts thun. Der Prinz von Preußen, ich meine den damaligen, der später König Friedrich Wilhelm II. wurde und von dem ich Ihnen gar manches hier aus dem Schloß erzählen könnte, war anfangs mit einer Prinzessin von Braunschweig vermählt, hatte sich aber wieder von ihr getrennt, nachdem sie ihm eine Tochter geboren, und seine Hand in zweiter Ehe einer Prinzessin von Darmstadt gereicht. Jahr und Tag waren verstrichen seit der Vermählung, aber immer noch keine Aussicht vorhanden für einen Thronerben. Zu dieser Zeit hatte der Markgraf von Ansbach zwei Kammerherren, von denen der eine, Herr von …, aus einer preußischen Adelsfamilie in Bayreuth für einen Sonderling galt. Er hielt sich fern von den heiteren Zirkeln des kleinen Hofes, lebte viel in einem kleinen altertümlichen Turmgemach des Schlosses und ließ sich des Nachts sogar darin einschließen, weil er, wie die Sage ging, dem Schlafwandeln unterworfen war. Diesem menschenscheuen finsteren Herrn träumte eines Nachts, es klopfte dreimal an sein kleines Turmzimmer, zugleich öffne sich in dem buntgewirkten Wandteppich eine Thür, die er zuvor nie bemerkt und durch diese Thür trete ein alter Mann in grauem Pilgergewande ein und bewege sich, ohne auszuschreiten gegen den Alkoven, in welchem Gustav von B…, aber es ist nicht nötig, daß ich Namen nenne, also der Kammerherr lag. Die Gestalt bleibt vor dem Bette stehen, sieht ihm lange und fest ins Auge und sagt endlich: ›Mache Dich auf und ziehe nach der Begräbniskirche der Markgrafen von Bayreuth. Lasse die Pforte der Gruft aufsperren. Schaue in der Vorratskammer des Todes weder rechts noch links, sondern gehe gerade aus, vorbei an dem Altar. Im dritten Gewölbe am letzten Pfeiler steht einsam ein Sarg von altem braunen Eichenholz mit geschnitzten Cherubimköpfen, das ist der rechte. Von dem hebe den Deckel. Ich will Dir helfen, wenn Du mich auch nicht siehst. In dem ersten ist ein zweiter von Zinn eingesetzt, auch den wirst Du öffnen. In diesem ruht ein Ahnherr Deines Herrn. An dem Goldfinger der linken Hand steckt ein goldener Ring mit Edelsteinen, den ziehe Du selbst dem Markgrafen vom Finger. Wenn Du es nicht thust, merke wohl, wenn der Ring nicht von seiner Hand kommt, so stirbt der Preußische Stamm der Hohenzollern aus.‹ Nach diesen Worten verschwand die Gestalt; der Kammerherr schlief ruhig weiter, und als er am Morgen erwachte, dachte er kaum noch seines Traumes, und wenn er es that, so lachte er über die sonderbare Phantasie.«

Der Erzähler machte eine Pause, die beiden jungen Männer sahen sich lächelnd an.

»Sie lachen über mein Geschwätz, meine Herren,« sagte der alte Hoflakai, »aber warten Sie das Ende ab. Was ich Ihnen hier erzähle, darüber liegen genug geschriebene Dokumente im Geheimen Archiv. Es hat mit manchem Traum eine gar eigene Bewandtnis, ich könnte Ihnen selbst davon eine sonderbare Geschichte aus meinem Leben und aus diesem Schlosse erzählen, als ich noch ein Knabe war. Aber, um fortzufahren, einige Wochen später wiederholte sich dem Kammerherrn dasselbe Traumgesicht. Der alte Mann kam wieder zu ihm in die Stube und sah ihn wieder lange an, nur noch bittender und trauriger als früher. ›Du warst noch nicht in Himmelskron,‹ sagte er vorwurfsvoll, ›noch nicht in der Gruft der Bayreuther. Auf nach Kulmbach! Und vergiß nicht, im dritten Gewölbe der letzte Sarg von Eichenholz. Versäume es nicht! Nur einer der Diamanten am Ringe ist noch nicht erblindet. Erbleicht auch sein Glanz, dann geht das Preußische Haus unrettbar zu Ende!‹ Herr von B. dachte lange über den Traum nach, er wußte nicht, was er thun sollte, da er den Spott des Hofes fürchtete, wenn er davon spräche und den Unwillen des Markgrafen, wenn er sich in Familienangelegenheiten zu mischen schien, und er vergaß nach und nach wieder den Traum. Da wiederholte dieser sich zum drittenmal. Der alte Mann schien Thränen zu vergießen, indem er ihm zurief: ›Nur ein Stein ist noch hell! Wenn er erblindet am Finger des Markgrafen, dann erlischt das Königshaus für immer!‹ Der Kammerherr erwachte und konnte den Schlaf nicht wieder finden. Früh am Morgen ließ er den Markgrafen um eine Unterredung bitten, aber dieser fand an dem Tage keine Zeit dazu. Erst am nächsten Nachmittag auf der Spazierfahrt wo der Kammerherr, der heute den Dienst hatte, den Fürsten begleitete, fand er einen freien Augenblick, wo er ihm seine geheimnisvolle Mitteilung machen konnte. Der Markgraf nahm sie sehr kühl auf und zuckte verächtlich die Achseln; bei ernsterer Erwägung fand er aber, daß die Sache damit nicht abgemacht sein dürfte, und daß der seltsame Traum wenigstens nach Berlin gemeldet werden müsse. Das geschah, und bald darauf kam der Bescheid, man solle mit Vermeidung von unnötigem Aufsehen doch Nachforschungen in der Erbgruft anstellen und den Ring, falls er sich vorfände, von der Hand des Eigentümers und aus dem Sarge entfernen. So wurde denn eine Kommission ernannt, die sich nach Kulmbach und Himmelskron begeben sollte. Der Kammerherr war ein Mitglied derselben. Als die Gruft nach einiger Mühe eröffnet war, schritt er, der noch nie darin gewesen war, ohne Zaudern durch die Gewölbe hindurch und rief, auf einen Sarg im dritten deutend: ›Der ist's!‹ Der obere Eichendeckel wurde geöffnet und enthielt in der That einen zweiten Sarg von Zinn mit dem Wappen der Markgrafen von Bayreuth. Als man auch diesen öffnete, bot sich ein tief ergreifender Anblick dar. Der alte Markgraf lag, wie wenn er erst gestern hineingebettet worden wäre, in seinem Arme das Schwert, an seiner Hand einen goldenen Ring mit Edelsteinen. Es war übrigens nur ein flüchtiger Anblick. Durch die Wirkung der eindringenden Luft oder die Erschütterung der Öffnung fiel die Figur plötzlich zusammen, und es blieb von ihr nichts als Gebeine und ein Häufchen Asche. Der Kammerherr v. B. mußte sich Gewalt anthun, um der Aufforderung des Kommissars gemäß den Ring von dem Knochenfinger zu ziehen. Die Diamanten zeigten sich kunstvoll zu einem Blumengewinde gefaßt. Man prüfte sie genau, alle waren erblindet, nur einer blitzte noch hell. Noch an Ort und Stelle wurde ein Protokoll aufgenommen über den Vorgang, dann eilte die Kommission nach Ansbach zurück, wo der Ring mit dem Protokoll in das markgräfliche Archiv niedergelegt wurde. Dort ruhte er wieder wie in einer andern Art Gruft, da der Markgraf bald nachher starb. Aber nicht lange Zeit, nachdem man den Ring aus Himmelskron geholt hatte, lief von Berlin die erfreuliche Kunde ein, daß die Prinzessin von Preußen mit freudigen Hoffnungen gesegnet sei.«

Der alte Diener schwieg. Die jungen Männer hatten seine Erzählung ohne weitere Bemerkungen angehört, um ihn nicht zu kränken und wollten eben die Rede auf andere Ereignisse bringen, deren Zeuge er selbst gewesen sein mußte, als der alte Mann auf die Uhr wies.

»Herr Leutnant, es ist Zeit, glaube ich!«

»Richtig – ich hätte es um ein Haar vergessen. Das kommt von Ihren Totengeschichten. Nun, Herr von Röbel, entschuldigen Sie mich für eine kurze Zeit, ich muß die Posten revidieren.«

Er nahm Paletot und Helm.

Der alte Schloßdiener war gleichfalls aufgestanden und trippelte hin und her. Es schien ihm etwas am Herzen zu liegen.

»Herr Leutnant,« sagte er endlich zögernd, als der Offizier bereits der Thür zuschritt, »wollen Sie nicht vielleicht Herrn von Röbel erlauben, Sie zu begleiten?«

»Im Dienst? warum das, mein Alter?«

»Oh – ich meine nur so; Sie werden dann nicht so einsam durch die düstern Korridore zu wandern haben, und Herr von Röbel sagte ja vorhin, daß er ein Freund von solchen nächtlichen Spaziergängen wäre.«

»Meinetwegen, kommen Sie, Röbel, wenn es Ihnen Vergnügen macht.«

Der junge Mann nahm sogleich seinen Hut.

»Ich werde draußen auf Sie warten,« sagte der alte Lakai.

»Das wäre Thorheit, Papa Thiele. Bleiben Sie hübsch in der warmen Stube, und sorgen Sie, daß wir bei der Zurückkunft ein heißes Glas finden, denn der Wind fängt an lustig zu pfeifen. Ich möchte in der That wissen, was die außergewöhnliche Sorge diese Nacht zu bedeuten hat!« Die beiden jungen Männer verließen das Wachlokal, und der Offizier wandte seine Schritte zunächst nach den Portalen, an denen die gewöhnlichen Schildwachen ausgestellt waren.

Die üblichen Anrufe und Worte wurden gewechselt, es war alles in bester Ordnung. Der Wind hatte sich seit einiger Zeit erhoben und jagte flüchtige Wolken an der Mondscheibe vorüber. Die Schatten und das Licht wechselten phantastisch auf den Quadern des Hofes, an den grauen Mauern des Schlosses und in den Fenstern, als sie jetzt durch den Korridor schritten, welcher nach der Seite des Schloßplatzes die beiden Höfe verbindet und aus dem Portal Nr. 2 zu dem im Innern Hofe und den Lokalitäten des Hofmarschallamtes führt.

Dann schritten sie über den Hof und in das große Mittelportal zum Schweizer Saal.

»Lassen Sie uns möglichst leise auftreten, Herr von Röbel,« empfahl der Leutnant, »ich will doch sehen, ob meine Burschen auch ordentlich wach sind.«

Sie stiegen die Stufen rechts hinauf.

»Halt! Wer da?«

»Offizier der Ronde!«

»Losung!«

»Bertha!«

»Offizier der Ronde passiert!«

Der Offizier trat zu dem Posten. Es war ein kräftiger Westfale aus seiner Kompagnie, den er sehr gut kannte.

»Nun, Bölte, alles gut gegangen? Nichts passiert?«

»Nee, Herr Leutnant. Blot een paar Ratten sünd mi mang de Föte rumhutscht, ek hebbe de Sackermenters aberst fortjagt.«

»Auch nichts gehört?«

»Ook nich. Dat eene Mal was mi't, as wir 'ne Dör toslagen, oder wat g'fallen, aberst de Wind fläut't in den verwetterten Gang so kolt, un rumort an de Finstern und klappert ewerall, dat man froh is, wenn man sek warmhollen kann!«

»Gut. Wir kommen gleich wieder zurück. Kommen Sie, Röbel!«

Sie stiegen jetzt weiter hinauf, diesmal auf der linken Seite in dem gemauerten Aufgang.

Der Wind heulte in der That jetzt heftig in dem hohen offenen Treppenhause und durch die Gänge und Korridore. Das Eisenwerk klirrte und ächzte mit jenem Ton, der in der Nacht große, alte Gebäude so unheimlich macht; das Holzwerk klapperte, und in einem andern Teile des Schlosses mußte ein Laden oder eine Thür offen geblieben sein, oder sich geöffnet haben, denn es schlug wiederholt auf und zu.

Sie waren an dem Eingang des Saals.

Der Wind verhinderte wahrscheinlich die Schildwache im Innern, die Nahenden zu hören, ebenso wie er diese ihr Auf- und Niedergehen zu vernehmen hinderte.

Leutnant von Waldenburg öffnete die Flügelthür.

Es erfolgte jedoch kein Anruf.

Ärgerlich, daß gerade seinem Begleiter gegenüber einer seiner Leute sich so nachlässig auf dem Posten zeigte, oder wohl gar eingeschlafen war, ließ er die Thür ziemlich kräftig wieder ins Schloß fallen. Aber das Echo brach sich im Pfeifen des Windes an den hohen Gewölben.

Kein anderer Laut antwortete.

»Schildwach! – he – Schildwach!«

In dem weiten düstern Viereck des Saales blieb alles stumm.

»Zum Teufel, wo steckt denn der Kerl! He, Wollmann! wo bist Du?«

Otto von Röbel stieß mit dem Fuß an einen Gegenstand. Es klirrte. Er bückte sich und griff danach.

»Wahrhaftig! hier ist das Gewehr des Mannes!«

Ein tiefes Stöhnen rang sich durch den Saal, in demselben Augenblick trat der Mond hinter Wolken hervor – ein dunkler Schatten lag auf dem Estrich des Saales, der Körper der Schildwache.

Leutnant von Waldenburg kniete bereits an seiner Seite. »Um Himmelswillen, was ist Ihnen, Wollmann, sind Sie verwundet? ist etwas geschehen?«

Der Soldat erholte sich allmählich wieder unter der freundlichen Zusprache. Der kräftige Bursche zitterte in den Armen der beiden jungen Männer.

»Herr Leutnant! Gott sei's gedankt, Herr Leutnant, daß Sie da sind! Bringen Sie mich fort,« stöhnte er, »lieber vier Wochen schweren Arrest, als das noch einmal!«

»Ermannen Sie sich, Wollmann, sagen Sie, was ist Ihnen geschehen?«

»Nein, nein! hier nicht! Um Himmelswillen, Herr Leutnant, so wahr Sie an die ewige Seligkeit glauben, bringen Sie mich fort von hier. Da – da heraus kam es!« Er wies schaudernd nach der Seite der Elisabethkammern.

»Hier muß etwas besonderes vorgegangen sein,« sagte der Leutnant von Waldenburg zu seinem Begleiter. »Helfen Sie mir den Mann wenigstens bis hinunter zum nächsten Posten bringen.«

»Sehr gern! ich glaube nur, daß die Kälte ihn eingeschläfert, oder der Branntwein seine Phantasien hervorgerufen hat!«

»Gleichviel, wir müssen thun, was unsere Schuldigkeit ist!«

Der Offizier und sein Begleiter nahmen den noch immer halb Betäubten unter den Arm und führten ihn den Aufgang hinunter.

Später erinnerte sich Otto von Röbel, daß er, gerade vorher, ehe sie die Thür des Schweizer Saales geöffnet hatten, die Uhr des Domes hatte halb Eins schlagen hören.

Als sie den Soldaten, der sich jetzt wieder körperlich etwas erholt hatte, aber noch immer verstört um sich blickte und bei dem geringsten Geräusch zusammenfuhr, bis zu dem Absatz der ersten Etage gebracht, wo der erste Posten vor den Gemächern des Königs stand, rief der Offizier diesen herbei.

»Ihrem Kameraden ist unwohl geworden, Bölte,« sagte er. »Helfen Sie ihn nach der Wachtstube bringen und senden sie sogleich Ablösung herauf.«

»Es würde am besten sein, wenn Sie selbst mitgingen, Herr von Waldenburg,« meinte Otto von Röbel bedeutsam. »Befragen Sie den Mann in Ihrer Stube, Herr Thiele kann Ihnen vielleicht dabei raten.«

»Sie haben recht, aber ich darf den Posten hier nicht ganz unbesetzt lassen. Es ist strenger Befehl!«

»Nun, ich bin ja Landwehrmann, betrachten Sie mich, als zur Fahne eingezogen. Ich werde den Dienst versehen bis zur nächsten Ablösung, Sie brauchen sich deshalb nicht zu beeilen.«

»Das ist eine Aushilfe, besten Dank, Herr von Röbel, ich will Sie nicht lange warten lassen. Noch eins! Es ist Order, alle Personen, ohne Unterschied des Geschlechts, die während der Zeit die Gänge passieren, zu verhaften und bis zur nächsten Patrouille festzuhalten!«

»Gut! es soll geschehen. Welchen Posten soll ich einnehmen? Hier oder im Saal?«

»Wenn Sie die Güte haben wollen, etwa vor der Thür des Saales, wo Sie die beiden Stockwerke des Treppenhauses übersehen können; das genügt. Ich werde Ihnen sogleich Ablösung senden.«

»Nochmals, ich warte gern. Thun Sie erst das Nötigere.«

Er hatte bereits das Gewehr geschultert, das er oben im Saal vom Boden aufgenommen und seitdem getragen hatte, und stieg den Aufgang hinan, bis zum mittleren Absatz, von dem aus man in das Treppenhaus hinunter und gegenüber den Eingang zu den königlichen Gemächern übersehen konnte. Hier blieb er stehen und betrachtete, an die Ballustrade gelehnt, den seltsamen Wechsel des von den fliegenden Wolkenschatten unterbrochenen Mondlichts.

Leutnant von Waldenburg war dem Gardisten gefolgt, der seinen Kameraden bereits über den Hof führte.

Der Wind verstärkte sich mit jedem Augenblick und heulte jetzt in schrillen Tönen durch die Gänge und offenen Korridore. Otto von Röbel, der bei der Begleitung des Offiziers seinen Mantel zurückgelassen, knöpfte schauernd den Rock fester und drückte sich hinter einen Pfeiler, wo der Zug aus dem Treppenhause herauf ihn nicht erreichen konnte.

So verging einige Zeit.

Die dunklen Schatten spielten wie ein flüchtiges Heer von Nebelgeistern auf den weißen Wänden und Pfeilern

Dann, in einer kurzen Pause des Sturms, als sammle dieser seine Kraft zu einem neuen Angriff, hörte der junge Edelmann aus dem Durchgang der beiden Höfe den klirrenden Tritt der Ablösung kommen und sah sie durch das Fenster über den innern Hof schreiten.

Zugleich hob die Uhr des nahen Doms aus und der erste Schlag der vollendeten vier Viertel der Stunde klang herüber.

Er wandte sich mechanisch um und schaute wieder das jetzt von einer Wolke verdunkelte Treppenhaus hinab.

In demselben Augenblick – – – – – – –


Die Ablösung war erfolgt. Otto von Röbel hatte das Gewehr abgegeben und folgte dem Gefreiten, der zur Schloßwache zurückkehrte.

Als der junge Edelmann bei dem Offizier eintrat, der am Tisch schrieb, während der Soldat, der den Posten im Saal gehabt hatte und dort krank geworden war, auf einem Schemel saß und der alte Thiele dabei stand, begegnete sein Auge dem aufmerksam und fragend auf ihn gerichteten Blick des alten Dieners.

Der junge Mann war sehr blaß. Er ging schweigend zu dem Ofen, auf dem noch immer der Punschtopf stand, goß den Rest in eines der großen Gläser und trank es leer. Dann schüttelte er sich, als hätte ihn der Frost durchkältet, und das warme Getränk machte wieder das Blut durch seine Adern rollen.

Der alte Diener beobachtete aufmerksam alle Bewegungen. Als sein Auge wieder ebenso ernst und fragend das des jungen Edelmanns traf, schlug dieser das seine zu Boden, und sein männliches Gesicht überflog eine helle Röte, als schäme er sich einer bewiesenen Schwäche.

»So, mein Junge,« sagte der Offizier, indem er die Feder niederlegte und das Rapportbuch schloß. »Das genügt, und nun geh' und leg' Dich aufs Ohr und schlafe den Unsinn aus. Du hast offenbar geträumt, denn wenn wirklich ein Frauenzimmer durch den Saal gegangen wäre und auf Deinen Anruf nicht stehen wollte, würdest Du sie Wohl festgehalten haben.«

»Aber, Herr Leutnant,« sagte fast weinerlich der Soldat, »ich kann doch nichts dafür, wenn das Gewehr mitten durch sie hindurchgegangen ist. Was danach geschehen, das weiß ich halt nicht mehr, denn ich war ja so erschrocken, und erst, als der Herr Leutnant mich aufweckten, merkte ich wieder, daß ich noch lebendig war!«

»Dummkopf!« murrte der Offizier. »Sie haben offenbar geträumt, Wollmann,« sagte er dann barsch. »Wenn wirklich eine solche Weibsperson, wie Sie sie beschreiben, vorbeigegangen wäre, müßte Ihr Kamerad sie doch auch gesehen haben.«

»Ja, Herr Leutnant, das eben begreife ich nicht!«

»Sehen Sie wohl! Und nun,« er wechselte einen Blick mit dem alten Diener, der schweigend nickte, »merken Sie sich noch eins. Wenn Sie drüben in der Wachtstube irgend ein faules Gerede machen, durch das Sie zum Spott Ihrer Kameraden werden, so will ich dafür sorgen, daß Sie acht Tage scharfen Arrest erhalten, weil man Sie aus Ihrem Posten in höchst zweifelhaftem Zustande gefunden hat. So – nun können Sie gehen!«

Der Soldat machte die Honneurs und entfernte sich.

Als sie allein waren, machte der Offizier ein ernstes ärgerliches Gesicht.

»So, Herr Thiele, ich habe nach Ihrem Wunsche und Ihrer Anweisung gehandelt. Was nun? Im ganzen ist und bleibt es eine seltsame und verdrießliche Geschichte. Wollmann ist der nüchternste Bursche in der ganzen Kompagnie, und das Gerede wird sich doch kaum vermeiden lassen. Ich bitte um Ihr Wort, Herr von Röbel, nicht darüber zu sprechen, aber da Sie durch Zufall nun einmal Zeuge geworden, ist es besser. Sie wissen die Sache ganz. Denken Sie, der alberne Bursche behauptet, die Weiße Frau gesehen zu haben.«

»Die weiße Frau?«

»Ja, das bekannte Schloßgespenst, von dem so viel gefabelt ist.«

»Aber wäre denn das so unmöglich?«

»Unsinn! wer glaubt heutzutage an solchen Kinderschnack! Aber melden müssen wir's freilich, und deshalb habe ich ein kurzes Protokoll mit dem Burschen aufgenommen. Wahrscheinlich war irgend eine Spitzbüberei im Werke, oder ein Schloßbewohner wollte sich einen Streich erlauben. Ist's nicht so, Herr Thiele?«

»Gewiß! gewiß, Herr Leutnant! Aber da nun der Ausgang wieder gestattet ist, will ich mit Ihrer Erlaubnis selber den Herrn von Röbel hinauslassen. Der Herr Oberstleutnant,« setzte er leise hinzu, »kommt gewiß noch einmal wieder, um sich zu erkundigen, ob wir den Dieb haben, und es würde zu unnützen Weitläufigkeiten führen, wenn er den Herrn da fände.«

Es ließ sich wirklich an dem Wesen und Sprechen der beiden Männer, des Offiziers und des alten Dieners nicht recht absehen, was sie eigentlich von der Sache dachten.

Leutnant von Waldenburg war mit dem Vorschlag einverstanden. Er entschuldigte sich sehr bei dem jungen Edelmann, daß er ihn so ohne weiteres an die Luft setze. Otto von Röbel erwiderte die Entschuldigung höflich aber kurz, indem er sich, wie es in der That der Fall war, selbst als die Ursache bezeichnete, denn es drängte ihn fortzukommen und allein zu sein.

Der alte Diener nahm seine Schlüssel mit dem Bemerken, daß er ihn aus dem Portal nach dem Lustgarten zu hinaus lassen wolle, wo er rascher Unter den Linden sei, und führte ihn über den Hof.

Sie gingen schweigend neben einander her. Erst als sie auf der anderen Seite unter der großen Wölbung des letzten Portals nach dem Dom zu standen und der alte Mann bereits den Schlüssel in das Schloß gesteckt hatte, brach er mit einem scheuen Blick zurück nach dem Schweizer Saal das Schweigen.

»Sie haben sie gesehen, Herr von Röbel?«

Der junge Mann nickte.

»Ich dachte mir's sogleich, als Sie eintraten. Es thut nicht gut, davon zu sprechen, also schweigen Sie auch. Sie sind ein verständiger junger Herr. Es bringt ohnehin wenig Glück, sie gesehen zu haben. Es thut mir leid, es Ihnen sagen zu müssen, Herr von Röbel, aber es ist besser, Sie wissen es und sind darauf vorbereitet. Als sie mir am Neujahrstage 1840 begegnete, starb mein einziger Sohn in dem Jahre!«

Der alte Mann wischte sich eine Thräne aus dem Auge, dann öffnete er das Gitter.

»Nicht wahr – weiß – mit der großen Spitzenhaube, und das Gesicht so bleich wie Schnee?«

Wiederum bejahte der junge Mann schweigend.

»Ja, ja, so ist es. Mit den Schlüsseln in der Hand. So kommt sie vom grünen Hut her; Sie kennen doch den grünen Hut?«

»Nein!«

»Den alten Turm an der Schloßseite nach der Spree mit dem grünen Kupferdach! Dort ist es geschehen! Es nützt nichts, daß man die Thüren doppelt und dreifach verschließt, sie läßt sich nicht halten, wenn Gott ihre Zeit bestimmt hat. Durch die Elisabethkammern kommt sie, und geht durch den Schweizer Saal nach der Galerie! So war es gestern schon!«

»Nein! wenn es wirklich eine Erscheinung war, was ich zu sehen glaubte, aus dem Reiche, das unsern Augen verschlossen ist,« sagte der Junker ernst, »so hat sie einen anderen Weg genommen!«

»Wie? Herr von Röbel, ich bitte Sie, sagen Sie mir alles!«

»Der Schatten, die Erscheinung, was es auch sein mochte, doch war sie ganz Ihrer Beschreibung gemäß, kam aus dem Eingang zu den Gemächern Seiner Majestät des Königs und glitt dicht an mir vorüber die Treppe hinauf zum Schweizer Saal. Ich sah die starren Augen deutlich auf mich gerichtet, aber ich war in der That zu konsterniert, um etwas anderes zu thun, als schweigend ihr nachzusehen. Erst dann fiel mir ein, daß es eine Täuschung sein könnte. Aber als ich hinaufstieg zum Saal, war nichts mehr zu erblicken!«

»Sie war es! Also doch! Aus den Zimmern des Königs! Gute Nacht, Herr von Röbel, und nochmals: das beste ist. Sie schweigen ganz über die Sache! In Jahresfrist, Herr von Röbel, werden wir einen Thronwechsel haben, oder Kriegsgefahr. Gott schütze das Vaterland!«

Er drückte die Gitterthür ins Schloß, der Edelmann war allein.

Es war still und einsam auf dem weiten Platz, selbst der Wind, der vorhin so sturmartig geheult, war erstorben.


Der »Schwager« des Leutnant von Röbel, wie er sich selbst zu nennen liebte, war, nachdem er sich von diesem getrennt, im Zweifel, ob er sich nach dem Orpheum oder noch zu seinem »Geldherrn« begeben solle.

Als Mann von Verstand, der das Angenehme mit dem Nützlichen zu vereinen weiß, wählte er das letztere.

Herr Samuel Jonas wohnte Unter den Linden. Obwohl er ja ein ehemaliger Dieb und langjähriger Zuchthaussträfling war, war er jetzt ein Faktotum der Geld brauchenden vornehmen Herren, das Fürsten und Grafen sich nicht scheuten zu besuchen. Polizei und Presse nahm an seinen Soupers teil, kurz, es lag eine jener schmählichen Wendungen vor, die eben nur in einer großen Stadt möglich sind.

Herr Samuel Jonas machte ein Haus, er hielt Equipage, stiftete Heiraten in der vornehmen Welt, machte bedeutende Geldgeschäfte, ohne viel persönlich aufzutreten und hatte hübsche Töchter. Die kleine Rebekka, die früher bei ihm in der Jakobstraße als Nichte figurierte, war längst abgeschafft und an irgend einen »Schnorrer« versorgt, und es ließ sich hoffen, daß Papa Jonas nach einmal »Kommerzienrat« werden könnte.

Im Salon des Herrn Samuel Jonas war sehr lustiges Leben. Das feine Souper, das einer der besten Berliner Köche geliefert, war zu Ende, Madame war nach üblicher Manier bereits mit dem Teller umhergegangen, um die Kosten für das Couvert und den Wein einzukassieren und die Gesellschaft ergab sich jetzt zwangloser Unterhaltung.

In einem Nebenzimmer wurde eifrig gespielt, ein kleines Tempelchen, bei dem oft Hunderte, ja zuweilen Tausende auf dem Spiel standen, wenn sie auch nicht sichtbar auf der Karte lagen. Die Eingeweihten verstanden sich auf den Wink und wußten, was zwei Schwefelhölzer neben einander oder übers Kreuz gelegt zu bedeuten hatten.

Die Gesellschaft war sehr gemischt. Die Person, welche die Bank hielt, war der Doktor Lazare, der mit der Gräfin Törkyöni seit Beginn des Winters sich wieder in Berlin befand, wo jetzt eine offene Arena für die Talente des Paares sich zu bieten schien.

Die Nacht am Stilfzer Joch war längst vergessen, und die Erinnerung an die Gefahr diente höchstens zu einem höhnischen Witzwort auf das betrogene Mädchen und den tugendhaft gewordenen Bettgenossen der Gräfin oder den halbverrückten Greis, dem sie den Enkel gemordet.

Der Verrat von Mailand hatte seine Früchte getragen. Gräfin Martha hatte in Wien ihren Erbschafts-Prozeß glänzend gewonnen, auch nach den Diamanten der schönen Julia Bignatelli war keine weitere Nachfrage gewesen, diese vielmehr bereits die glückliche Gattin des Rittmeisters von Trautmannsdorf, und Doktor Lazare hatte einen Anteil von 40 000 Thalern für die glänzende Führung ihres Prozesses von der Gräfin ausgezahlt erhalten, unbesehen verschiedener anderer Vorteile.

Jetzt saß diese mit einem ziemlich häßlichen, mageren und kleinen Frauenzimmer von einigen dreißig Jahren, das lebhaft und mit orientalisch heftigen Gestikulationen mit ihr und einem kleinen Herrn mit sauberem, oval vollen glatten Gesicht und goldener Brille sprach, vor dem Kamin.

Ein Herr mit sehr aristokratischen, aber auch lässigen Manieren und abgelebtem Gesicht, dessen gräfliche Familie die nahe Verwandtschaft sich gerade keineswegs zur besonderen Ehre anrechnete, ein bildhübscher junger Offizier in Civil, von den Töchtern des Hauses bei jeder Gelegenheit mit »Herr Baron« angesprochen, und eine dieser Töchter bildeten eine zweite Gruppe auf und neben einer Causeuse, die mit kostbarem Seidenstoff überzogen war, aber bereits verschiedene große Fettflecke zeigte. Am Pianino saß die älteste Tochter des Hauses und präludierte, schmachtend hin und wieder den Kopf hintenüber beugend und zu einem jungen kräftigen Mann mit blondem Haar und buschigem Bart emporlächelnd, dessen wirklich männlich hübsches Gesicht durch ein paar lüsterne blaue Augen belebt wurde.

Auf einem Sofa, von dem aus man das Zimmer mit dem Spieltisch übersehen konnte, um den sich der Rest der Gesellschaft gesammelt hatte, saß der Kommissionsrat Boltmann, der Hausherr und Freund der Kammerherrin von Werben, der Agent jenes mächtigen Ordens, der im Kampf mit oder neben der Revolution noch immer die Welt zu beherrschen strebt und jedenfalls noch einen mächtigen Einfluß auf die Geschicke der Völker übt.

Der Rat sprach bald mit dem ab- und zugehenden Hausherrn, bald mit einer Dame, die neben ihm auf dem Sofa saß.

Es war eine große schlanke Blondine, über die erste Jugendfrische hinweg, aber von jenen Formen, die auch dann noch einen Mann erhitzen, ja, wenn es beabsichtigt wird, häufig noch mehr erregen können, als die jugendlichen, aber eckigeren und naiveren Reize der ersten Blüte.

Die Dame mochte neunundzwanzig bis dreißig Jahre zählen. Prachtvolles dickes Blondhaar, wie man es selten findet, umgab mädchenartig in zwei breiten diademartigen Zöpfen die reine Stirn und hing in kurzen, zahlreichen Locken an beiden Seiten des gerundeten Gesichts bis zu dem vollen Halse nieder. Die üppig zum Genuß gewölbten Lippen waren frisch und voll, und alles an diesem Weibe schien zum berauschenden Sinnesgenuß der Liebe einzuladen, denn der sonst blassen Gesichtsfarbe hatte die Kunst den Anschein des wärmer pulsierenden Lebens eingehaucht.

Nur die Augen hatten einen dem widersprechenden Ausdruck.

Sie waren lichtblau und starr, von jenem matten, erkältenden Glanz, der eine enorme Willenskraft und Energie anzudeuten pflegt.

Die Dame war elegant, ja kostbar, nach der neuesten Mode, gekleidet und trug wertvolle Schmucksachen, die sich mit denen der Gräfin am Kamin messen konnten, obschon sie nur die Frau eines bürgerlichen Geschäftsmannes war. Dieser ihr Gatte saß an dem Spieltisch des Nebenzimmers und schien mit leidenschaftlichem Eifer sich an dem Spiel zu beteiligen. Zuweilen griff seine Hand in das krause schwarze Haar und riß daran wie in Wut und Angst, dann wieder beugte er sich weit über den Tisch, als wolle er die schlanken Wachsfinger des Bankiers beim Aufschlagen beobachten, oder er stieß eine halblaute Verwünschung aus, wenn er verlor.

Seine Frau sah diesem Schauspiel mit auffallender Ruhe zu, ja, zuweilen, wenn sie sich unbemerkt glaubte, und ihrem Gatten wieder ein Zeichen seines leidenschaftlichen Ärgers über den Verlust entfuhr, flog ein finsteres, unheimliches Lächeln über ihre sonst schönen und sanften Züge. Ein oder zweimal hob sich dabei ihre Hand nach dem Busen, der hoch aufatmete, als feiere seine Herrin einen Sieg.

Madame Polenz, denn es war die ehemalige Geliebte des 1848 erschossenen Leutnants von Röbel, war aber keineswegs so unbeachtet. Das lebhafte graue Auge des Kommissionsrats folgte, ohne daß es den Anschein hatte, lebhaft allen ihren Bewegungen, indem es zugleich die Gruppe der Spieler belauerte.

Dabei führte der Rat, wenn er sie nicht mit Allgemeinplätzen unterhielt, eine ziemlich bedeutsame Unterhaltung mit dem Hausherrn, die jedoch äußerlich gleichfalls den Anschein gleichgültigen Inhalts bewahrte.

In der Fensternische des Zimmers, in dem eines der Fräulein Jonas musizierte und mit dem hübschen Journalisten kokettierte, während doch ihr Blick sich oft ungeduldig und ärgerlich nach der Thür wandte, saßen zwei Herren an einem kleinen Tischchen, auf dem im silbernen Eiskühler eine Flasche Champagner stand, die sie nach dem Souper noch leerten. Auch für die anderen Herren, namentlich im Spielzimmer, stand Rotwein und Sekt auf Seitentischen zum Gebrauch, während türkischer Tabak und gute Havannas daneben lagen. Alles rauchte, auch die meisten der anwesenden Frauen.

Der eine der beiden Männer war groß, kräftig, mit jenem blassen, unreinen Teint, den häufig das rötliche Haar mit sich führt und hatte einen starken, roten Vollbart. Der andere, über die Fünfzig hinaus, hatte ein etwas zusammen gekniffenes, finsteres Gesicht und bereits stark graumelierte Haare.

Während man sonst in den verschiedenen Gruppen sich meist von den Tagesneuigkeiten oder Geschäften unterhielt, sprachen die beiden von Politik.

»Sie sind zu ungeduldig, lieber Freund,« sagte der Ältere. »Ich dächte. Sie konnten von dem Ausfall der letzten Wahlen unmöglich mehr erwarten. Wir müssen diese Übergangsperiode haben aus verschiedenen Gründen. Ein plötzlicher Sprung von der Manteuffelschen reaktionären Landratskammer mitten hinein in eine demokratische Majorität war unmöglich, ohne überall anzustoßen. Wir haben einige tüchtige Köpfe hineingebracht, die wissen, was sie wollen, und noch mehr Samen für die Zukunft.«

»Aber sie sind zu schwach, um eine Fraktion zu bilden.«

»Desto eher werden sie die Liberal-Konstitutionellen sprengen. Glauben Sie wirklich, daß Matthis, Schwerin, Wentzel, Vinke u. s. w., sich auf die Dauer mit Gneist, Grabow, Lette und Reichenheim vertragen werden? Lieber Freund, ein Mann wie Sie kennt doch den ersten Grundsatz der Agitation. Man muß die Leute vorwärts treiben, ohne daß sie es selbst gewahr werden. Unseren Zwecken konnte nichts Glücklicheres kommen, als dies Ministerium und diese Kammer der konstitutionellen Faseleien. Wenn irgend etwas die Hohlheit dieses Halbwesens und Scheinkonstitutionalismus brach legen kann und dem Volk zum Gespött machen, so wird es diese Session thun. Diese Doktrinäre werden sich in lauter Prinzipien festreiten, und wenn sie nicht mehr weiter können, schmählich davon laufen und der Krone die Schuld geben. Uns aber haben sie den Weg gebahnt. Wo sie endigen, da ist unser Anfang. Was zu uns gehört, geht mit fliegenden Fahnen in unser Lager über.«

»Aber wir sind dennoch in der Kammer in der Minorität!«

»Sehen Sie den Professor dort an; bei den nächsten Wahlen wird er darin sein und trotz aller Versprechungen an den Minister eine unserer besten Stützen. Es ist schade für die Wissenschaft, aber gut für uns, denn es ist nichts in der Welt, worüber er nicht schwatzen wird. Bei den Wahlen 1855 haben 16 Prozent der Berechtigten gewählt, diesmal bereits 22, und wir werden es bei den nächsten sicher auf 40 bringen. Die Konservativen sind durch die Haltung des Regenten in sich selbst uneins und werden sich spalten; die einen werden es für Pflicht halten, blind seiner Person anzuhängen, die anderen werden das Heil des Konservativismus in dem Festhalten an der Kreuzzeitung finden. So wird Zwiespalt im eigenen Lager und Mißtrauen zwischen dem Prinzen und den Feudalen entstehen, das ihn zuletzt in unsere Hände treibt. Das Nötigste …«

»Nun?«

»Ei nun, das ist das Ende dieses Königs, der weder leben noch sterben kann. Dann ist sein Nachfolger gezwungen, eine politische Amnestie zu geben, Auerswald und Patow werden dafür sorgen. Bei den nächsten Wahlen müssen wir sämtliche Führer der Demokratie in der Kammer haben, und dann geht der Tanz los. Die Militärfrage muß die Handhabe liefern, um uns plein pouvoir über das Budget zu geben. Damit sind wir die Regierenden, und daß unsere Gegner nicht wieder aufkommen sollen, dafür lassen Sie uns sorgen. Wir sind keine Narren wie die Engländer mit ihren Whigs und Tories.«

»Sie vergessen einen wichtigen Faktor in Ihrer Rechnung!«

»Welchen?«

»Die Beamten.«

Der ältere lachte. »Sind Sie denn wirklich noch so grün in der Politik,« sagte er, »um nicht zu wissen, daß die Geheimen Räte unsere besten Stützen sind? Die Clique ist so eingenistet, daß der Chef eine Null ist. Was sie nicht wollen, das geschieht nicht, und ein energischer reaktionärer Minister wäre für sie die höchste Gefahr. So ein bißchen konstitutionelle Opposition machen, kitzelt ihre Nase, und ich wette, daß das nächste Mal drei Viertel die offene Opposition zeigen. Sehen Sie mich an, ich sage Ihnen hier unter uns, wenn einer meiner Räte das thäte, was ich alle Tage Herrn Simons anthue, ich jagte ihn auf der Stelle fort!«

Die Unterhaltung stockte einen Augenblick, während beide den kalten Champagner schlürften, dann nahm sie der Rotbärtige wieder auf.

»Und welche Schritte, welche Taktik raten Sie uns später?«

»Lassen Sie jetzt die Presse vorarbeiten. Die Angriffe gegen die Polizei von London aus sind ja bereits vorbereitet. Sie muß völlig diskreditiert und eingeschüchtert werden, damit sie der Vereinsthätigkeit keine Hindernisse in den Weg legt. Dann kommen die anderen an die Reihe, zunächst das Ansehen der Krone, dann die Armee. Was das erstere betrifft, so glaube ich, sammelt die da« – er wies nach dem Kamin – »ein tüchtiges Material! Die Angriffe gegen die frühere Regierung, die Mißregierung, noch während Friedrich Wilhelm IV. lebt, werden uns die besten Dienste thun. Man muß sich daher beeilen und keine Schonung kennen. Je giftiger, desto besser. Vor allem gilt es, dieses alberne spezifische Preußentum im Volke zu beseitigen, diesen preußischen Soldatengeist. So lange dieser vorhanden, steht das Königtum uns zu fest. Deshalb bin ich auch für die Gründung eines deutschen National-Vereins, er nimmt Preußen die Macht aus der Hand. Überdies brauchen wir Mittel, um die Führer für alle Eventualitäten durch Anlage von Kapitalien in London sicher zu stellen!«

»Aber die Regierung wird sich das alles nicht gefallen lassen?«

» Dieses Ministerium? Je mehr wir aufräumen helfen, desto willkommener wird es ihm sein. Wenn es die Gefahr merken wird, wird es bereits zu spät sein. Die Presse, die sich Auerswald bildet, zieht er für uns. Sie wissen ja am besten, daß wir die Presse in der Hand haben. Alle jungen frischen Kräfte fallen uns zu, denn die Konservativen sind zu einfältig, um sich bei Zeiten nach dieser Seite und im Beamtentum zuverlässig zu verstärken, wenn sie am Ruder sind oder Gelegenheit dazu haben. Sie fürchten unser Geschrei, während wir bei unserm Vorgehen uns um das ihre nicht kümmern. Darin liegt eben das Geheimnis unseres Emporkommens, daß wir zusammenhalten und unsere Leute schützen, selbst wenn ihnen einmal etwas Menschliches passiert, das sie mit der Kriminaljustiz in Verbindung bringen könnte, während die Junkerpartei den ihren womöglich noch einen Fußtritt giebt. Ein Reaktionär wird niemals Karriere machen, ein tüchtiger Demokrat immer, wenn er will. Bei uns steht das Portefeuille jedem offen, sie lassen ihre besten Kräfte fallen, wenn der Wind oben einmal ein bißchen anders weht. Zeigen das nicht die gegenwärtigen Wahlen? Diese Mißachtung des Junkertums gegen das konservative Bürgertum und seine Kraft ist unser bester Bundesgenosse und schafft uns die meisten Rekruten. Hinkeldey war der einzige, der das begriff, und sie haben ihn tot geschossen!«

»Man sagt, es soll viel zu der Krankheit des Königs beigetragen haben!«

»Unzweifelhaft, dies und die russische Geschichte! Zunächst gilt es, daß wir uns des Vereinsrechtes bemächtigen. Wir müssen durch ganz Berlin Bezirksvereine gründen, welche die Agitation in die Hand nehmen. Mit ihrer Hilfe wird es möglich sein, die Kommunalbehörden hier und in den Städten überhaupt umzuformen; die konservativen Elemente müssen daraus entfernt werden, sie sind der Demokratisierung der Bevölkerung am gefährlichsten. Die Konflikte mit der Staatsgewalt ergeben sich dann von selbst. Auf dem Lande ersetzen das die Kreisrichter. Diese Souveränität der kleinen ehrgeizigen richterlichen Beamten ist das dümmste, was die Regierung thun konnte. In drei Jahren werden wir mindestens 33 Prozent Advokaten, denn die kleinen Richter gehören dazu, in der Kammer haben. Aber die Hauptsache., das Ohr des …«

Der Redner unterbrach sich, da der Hausherr soeben, sich die Hände reibend, herbeikam.

»Wie schmeckt Ihnen der Champagner, Herr Geheimer Rat? Noch ein Fläschchen gefällig? ich werde gleich dem Friedrich befehlen! Bei Gott, er kostet mir doch selber auf der Auktion im Packhof sieben Franken die Flasche, was ist nach unserm Geld ein Thaler und sechsundzwanzig Silbergroschen!«

»Er ist wirklich sehr gut, Herr Jonas!«

»Und haben Sie die Ida, meine Jüngste, spielen hören ihre neueste Komposition? Gott, was is Mendelssohn und Offenbach und selber der Meyerbeer dagegen? Ich sage Ihnen es wird ein Genie, wie wir noch keins gehabt haben. Sie schreiben schon in den Zeitungen davon! Wollen Sie nicht machen vielleicht ein Spielchen zur Abwechslung? Es ist gut zur Verdauung.«

»Später, Herr Jonas! Einen Augenblick, lieber Freund!« Er hatte den Hausherrn am Arm genommen und entfernte sich mit ihm.

»Nun, Herr Jonas, wie ist die Geschichte mit dem Bittgesuch ausgefallen?«

»Ganz erwünscht, aber …

»Nun?«

»Können Sie schweigen, Herr Geheime Rat?«

»Ich dächte doch. Sie sollten es wissen!«

»Nun, dann will ich Sie anvertrauen auf Ehrenwort die ganze Geschichte, die viel Stoff gäbe zum Lachen, wenn sie würde bekannt, die aber doch verschwiegen bleiben muß aufs geheimste, von wegen der Zukunft, weil wir den Weg brauchen können noch mehr.«

»Erzählen Sie, Sie haben mein Wort!«

»Sie haben mir doch verschafft die Empfehlung von dem Herrn Professor. Darauf bin ich gegangen zu der jungen Frau, die geweint hat und lamentiert den ganzen Tag von wegen ihres Mannes und hab' ihr gesagt, gehn Sie zu der Excellenz, die's kann machen allein, daß Gnade ergeht vor Recht. Die Excellenz liebt ä schönes Gesicht, und wenn sie auch schon alt ist, hat sie doch noch Blut in den Adern wie ä Jüngling von dreißig. Sie müssen nur sein nicht spröde, und wenn die Excellenz ä Gefallen findet an Ihnen – nu, was ist weiter? wer is dabei und wer hat's gesehn? Sie sind so ehrlich wie zuvor, und der Mann is nich kaporis für immer!«

»Und die kleine Frau, die so ehrbar thut, ist wirklich da gewesen?«

»Gott bewahre! Wenn Sie hätten gesehn, wie sie auf mir losgesprungen ist bei dem Vorschlag, Sie würden glauben, sie wär' geworden eine wilde Katze! Hat sie mir doch wollen auskratzen die Augen! Sie hat geredt wie ä Narr von der Tugend und von der ehelichen Treue, und daß sie wär ä ehrliche Frau! Gott im Himmel, was thu ich mit der Treue, wenn der Mann sitzt im Prison? Zuletzt hat sie gewollt lieber sterben, als zu sein gefällig gegen den gnädigen Herrn und hat mir gebeten auf ihren Knieen, zu erfinden ein anderes Mittel!«

»Und Sie?«

»Nun, is mir doch geschossen ä Gedanke in den Kopf wie ä Pfeil. Ich habe gedacht, was braucht's gerade zu sein die eine, wenn die andere thut denselben Dienst? Ich hab sie beruhigt und hab nur genommen die Papiere und hab geschickt ä andere zu die Excellenz, die sich ausgegeben hat für die Frau!«

»Und die Excellenz?«

»Was kann wissen die Excellenz, ob es ist die rechte oder die unrechte, wenn sie nur hübsch is und spielt nich die stolze Lukretia, die ich hab' gesehen im französischen Theater in Paris!«

»Also ist die illüstre Excellenz wirklich in die Falle gegangen?«

»Was weiß ich? ich bin nich gewesen dabei. Die Dame hat mir gethan den Gefallen, weil ich ihr habe gethan auch manche Gefälligkeit, das andere is doch ihre Sache. Aber so viel is gewiß, der Prozeß ist geschlagen nieder, und die junge hübsche Frau hat wieder ihren Mann!«

»Darf man denn nicht wissen, wer die gefällige Schöne war?«

Der Hausherr lachte behaglich. »Gelt? ich kann mer's denken. Aber ich darf Ihne sagen nischt, gar nischt, obgleich Sie sie kennen recht gut. Aber Jonas, halt Deinen Mund, Se werden herausbringen, Herr Geheime Rat, keine Silbe mehr!«

»Nun gut, die Geschichte ist vortrefflich und wird Ihnen beiläufig ein hübsches Sümmchen Geld eingebracht haben. Dabei fällt mir ein, daß wohl dieser Tage mein Wechsel über die elfhundert Thaler fällig ist? Sie werden wohl so gut sein, ihn zu prolongieren.«

»Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Geheime Rat, ein Wort ein Mann, ich bin ein dankbarer Mensch für meine Freunde und Gönner, und es ist doch so gut, als wäre es schon geschehen!«

Der Mäcen oder Klient des Herrn Jonas kehrte zu dem Champagner und einem politischen Freunde zurück.

Der Hausherr rieb sich nach seiner Gewohnheit die Hände und trat zu seiner Tochter am Pianino, die er auf die dicke Frisur tätschelte.

»Rosa, mein Kind, was spielst Du doch vor dem Herr Doktor, der doch ist ein sehr kenntnisreicher Mann? Er muß doch alles wissen, wenn er sein will ein Kritikus? Sie spielt ausgeßeichnet, Herr Doktor, nicht wahr? Aber es ist doch nichts gegen das Genie von Ida, meiner Jüngsten!«

Die junge Dame hatte ihre vollen hübschen Lippen, die von großer Sinnlichkeit sprachen, dem Ohr ihres Erzeugers genährt.

»Papa,« flüsterte sie, »er ist heute wieder nicht gekommen!«

Sie war ein schönes Mädchen, Rosa oder Rosalie Jonas, die Älteste des neuen Bankiers für die bankerotte Aristokratie oder vielmehr die Aristokratie, die Lust hatte zu seinem Besten sich bankerott zu machen. Mit jenem Typus der echt jüdischen Schönheit, der berauschen kann, aber früh verblüht oder in Embonpoint übergeht, vollbusig, jede Linie in üppiger, von der Jugend gefestigter Wellenform, mit weißem Teint und schwarzem Haar und Augen, die wie Raketen zündeten und wie Nachtigallen schmachteten! Das kleine Bärtchen auf der vollen kirschrot und küssenswert emporgeworfenen Oberlippe stand ihr allerliebst und versprach wunderbare Nächte. Nur um die Winkel der hübsch und kräftig geformten Nüstern zuckte bereits jener kleine Spinnenfuß, der daran mahnt, daß es Zeit sei, die Schönheit in Sicherheit zu bringen, das heißt, den Hafen des Ehestands aufzusuchen.

Fräulein Rosa Jonas hatte zwar keine besondere Bildung, aber sie besaß vom Vater die Klugheit, welche den Mangel vertuscht, ohne die Gemeinheit ihrer werten Eltern damit zu verbinden. Im Gegenteil, sie schämte sich derselben bei jeder Gelegenheit öffentlich und gab Vater und Mutter zarte Winke; denn Fräulein Rosa war sehr ehrgeizig, und die Subskriptionsbälle im Opernhaus und eine aristokratische Heirat gehörten zu ihren Lieblingsneigungen.

»Wenn er ist ausgeblieben heute, wird er kommen sicher morgen,« sagte tröstend der Vater. »Ich hab' ihn doch fest in meiner Hand und werd' ihn bekommen noch fester. Herzleben, mein Kind, ich verspreche Dir auf meine Ehre, Du sollst werden ä wirkliche gnädige Frau, noch eh wir haben wieder Neujahr!«

Mit einem schmachtenden Seufzer ließ sich Fräulein Rosa wieder neben ihrem interimistischen Cicisbeo nieder, der that, als ob er nichts gehört hätte.

»Siehst Du, mein Kind, Du hast Glück! Da kommt der Herr Günther, mein Agent, ich werd' ihn fragen sogleich.«

Damit schoß der Hausherr mit seinem Spitzbauch voran wie ein Pfeil oder besser wie ein Habicht auf den soeben ziemlich unbeholfen und linkisch eingetretenen Kommissionär und faßte ihn an der Rockklappe.

»Es scheint, daß das Spiel Sie interessiert, verehrte Freundin,« sagte der Kommissionsrat mit wohlwollendem Ton zu der jungen starren Frau an seiner Seite auf dem Sofa, »und doch habe ich Sie selbst noch niemals spielen sehen?«

»Ich spiele niemals, Herr Rat, ich überlasse das einem andern!«

Ihr blasses Auge funkelte dabei mit einem unheimlichen Strahl hinüber nach dem Spieltisch, wo ihr Gatte eben wieder mit der Hand in den Haaren wühlte, ein Zeichen, daß er verlor.

»Es ist wahr,« sagte der Rat, eine Prise nehmend, »Herr Polenz giebt sich der Sache zu leidenschaftlich hin. Ich fürchte, es wird nicht glücklich endigen!«

Sie wandte ruhig ihr kaltes und doch durchdringendes und stolzes Auge auf ihn. »Sie wissen vollkommen, Herr Rat,« sagte sie, »daß er bereits ruiniert ist!«

»Nun, nun, soweit ist es hoffentlich noch nicht, liebe Freundin! Man muß nicht gleich immer das Schlimmste fürchten, schon um Ihrer selbst willen.«

Ein verächtliches Lächeln flog über ihr Gesicht. »Sie wissen eben so gut, daß ich gesichert bin, Herr Rat,« sagte sie. »Ich brauche wenig für mich, wenn mein Ziel erreicht ist. Überdies ist die Zukunft mir gleichgültig – ich erwarte nichts von ihr.«

»Wer weiß!«

Der Ton war so ernst, so gewichtig, daß die junge Frau sich unwillkürlich gegen ihn kehrte.

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Sie denken immer noch an Ihr Kind!«

»Mein Gott, hab' ich es je einen Augenblick aus den Gedanken verloren? Nein, nicht damals, als ich die Erinnerung zu ertränken versuchte in dem wüsten Treiben der Polkahalle, wo Sie zuerst mich kannten und der Unglücklichen, Rasenden Teilnahme zeigten; nicht am Altar, als ich die Frau dessen wurde, den ich am meisten hasse auf der Welt, bloß, weil ich keinen andern Weg mehr wußte, um ihn zu peinigen und … Aber lassen wir das. Ihrem Rat, Ihrer Hilfe verdank' ich es, daß jener Mensch untergehen mag, ohne daß es mich berührt, daß das Kapital, was er mir damals bei unserer Verheiratung sichern mußte, in den Händen von Jonas sich verdreifacht hat und ich unabhängig bin von ihm.«

»Gewiß, mit fünfzehntausend Thalern könnten Sie als einzelne Frau ganz anständig leben! Aber er wird seinen Anteil daran verlangen – er ist Ihr Mann!«

»Er weiß nichts von der Vermehrung der fünftausend Thaler, die er mir damals verschrieb, als das blinde Glück ihn wieder reich gemacht hatte und ich ihn heiratete. Aber ich will Ihnen etwas sagen!«

»Nun?«

»Das Geld, was Polenz dort verspielt, ist der Rest jener Fünftausend!«

»Wie? Sie sind so thöricht gewesen, ihm Ihr Vermögen zu geben?«

»Nicht mein Vermögen, was mein ist! aber jene Fünftausend, für die er mich und die Hölle auf Erden kaufte. Ich that es, während Sie verreist waren, nach Rom, oder sonst wohin, vor vier Wochen, und es sind die letzten Louisd'or davon, die er heute verspielt!«

»Ich begreife Ihr Verfahren – Sie wollen von ihm nichts besitzen, wenn es zusammenbricht mit ihm!«

»Ja, so ist es. Sie sprechen es aus! Diese Kleider diese Diamanten, die ich trage, alles, was ich ihn verleitet, in toller Verschwendung mir zu schenken, die Gläubiger sollen es haben. Und dann …«

»Was wollen Sie dann thun?«

»Dann soll er das Bettlerbrot aus meiner Hand essen! Wenn er nichts mehr hat, wenn er im Schuldgefängnis sitzt, dann will ich ihn ernähren; aber jeder Bissen, jeder Trunk soll ihm vergiftet werden durch das Bewußtsein, daß es die Bettlergabe von der ist, der er ihr alles gemordet hat!«

»Still! sprechen Sie leiser, Herr Jonas oder die leichtsinnige Gesellschaft dort auf der Causeuse braucht unser Gespräch nicht zu hören und in das Innere Ihres Herzens zu sehen. Aber Sie thun ihm doch vielleicht zu viel Unrecht. Er erschoß Ihren Geliebten aus Liebe zu Ihnen, aus Eifersucht!«

»Er mordete mein Kind!«

»Sie gehen zu weit!«

»Nein, er allein ist Schuld an dem Tode des Engels. Ferdinand liebte mich, wahr und aufrichtig. Selbst wenn er mich nicht zu seiner Frau gemacht hätte, würde ich unter seinem Schutz nie nötig gehabt haben, mich von unserm Kinde zu trennen und es aus Not und Elend jenem schändlichen Weibe anzuvertrauen, das mein armes kleines Wesen, das einzige, was ich auf der Welt hatte, umkommen ließ!«

»Wissen Sie denn so gewiß, daß es tot ist?«

»Wie? was sagen Sie?«

Ihre Augen, die bisher bei all den Äußerungen des Hasses und des innern Jammers so starr, so gleichgültig vor sich hingeblickt, wandten sich plötzlich wieder, wie neu, gegen ihn.

»Sie haben mir selbst gesagt, daß Sie das Kind – es war ja wohl ein Mädchen – nicht tot gesehen.«

»Ja, so ist es! Man hat mich nicht einmal davon benachrichtigt, bis es begraben war! O, es war ja nur ein uneheliches Kind, und seine Mutter nicht besser, als eine Dienstmagd I Aber den Totenschein, und dann, das andere Kind, das am Leben geblieben, war nicht das meine! Aber warum sprechen Sie so? es ist nicht das erste Mal, daß Sie solche Worte hinwerfen, warum wecken Sie allen Schmerz, alle Leidenschaften meiner Seele immer aufs neue?«

»Fassen Sie sich, liebe Freundin! hier kommt Ihr Mann!«

Der unglückliche Spieler war in der That von seinem Platz aufgesprungen und näherte sich mit unsicheren, aber hastigen Schritten seiner Frau, die sofort wieder ihre eiskalte Ruhe annahm.

Sein gelbliches Gesicht war mit roten Flecken bedeckt, als ob er die Pocken hätte.

»Amalie!«

»Nun? Was soll's?«

»Ich bitte Dich, Kind, ich habe Unglück gehabt und was ich bei mir hatte, verspielt. Sei so gut, borg' mir Dein Portemonnaie; ich werde Glück haben, wenn Du mir das Geld giebst!«

»Das ist mir gleichgültig!«

»Willst Du nicht so gut sein? ich gebe Dir's wieder – dreifach, wenn wir nach Hause kommen!«

»Du? Du hast nicht das einfache in deinem ganzen Vermögen. Es sind hundertfünfzig Thaler in der Börse.«

Seine Augen funkelten als er die Summe hörte, er vergaß darüber das Verächtliche, Demütigende ihrer Antwort und streckte bloß die Hand nach dem Portemonnaie aus.

Als schaudere sie vor seiner Berührung, warf sie es auf den nächsten Sessel.

»Geh! aber in einer Viertelstunde will ich fort!«

Ohne zu antworten ergriff der Spieler das Portemonnaie und eilte damit zurück an den Tisch.

»Jetzt, Herr Rat,« sagte die junge Frau mit gewaltsam unterdrückter Bewegung, »sind wir allein. Ich beschwöre Sie, mir zu sagen, warum Sie so oft auf dieses Unglück zurückkommen?«

»Nun, es ist wahrscheinlich zufällig, aber die Sache, obgleich seitdem acht Jahre vergangen sind, scheint mir doch immer noch nicht recht aufgeklärt. Es ist ein Unglück, daß Sie das arme kleine Mädchen nicht wirklich als Leiche gesehen haben, das wäre der beste Beweis!«

»Wollen Sie mich denn wahnsinnig machen? Das Kind ist tot!«

»Glauben Sie das wirklich?«

»Aber um Gotteswillen! welche Ursachen könnte man gehabt haben, mit den Gefühlen einer unglücklichen Mutter zu spielen?«

»Sie haben immer behauptet, daß der verstorbene Vater des Kindes es in einer Handschrift als das seine und als seinen Erben anerkannt hat!«

»Ja, so wahr mir Gott helfe in meiner letzten Stunde, das hat er und seinen festen Willen, mich zu heiraten.«

»Nun könnte das nicht vielleicht Ursache genug für die adelsstolze Familie von Röbel gewesen sein, die Miterbin, die illegitime Trägerin ihres Namens, beiseite zu schaffen?«

Die junge Frau starrte vor sich nieder auf die Hände, die sie im Schoß gefaltet hielt.

»Ja, ja, doch nein, es kann nicht sein! Der alte Mann ist hart – aber er ist gerecht! O, mein Gott, was frag' ich nach ihrem Gelde, nach ihrem Namen, wenn mir sein Kind nur geblieben wäre!«

»So würden Sie alles opfern für dies Kind, selbst Reichtum?«

»Fluch über ihn, der so manches wackere Herz verdirbt! Was kümmert mich ihr Geld und Gut, wenn ich mein Kind wieder hätte aus seinem engen Grabe.«

»Die Toten stehen zuweilen wieder auf! Halt! so nicht! machen Sie keine Scene!«

Er hatte seine Hand fest auf die ihre gelegt und hielt sie nieder, denn sie war im Begriff gewesen, aufzuspringen.

»Um der ewigen Barmherzigkeit willen! sagen Sie mir, ob ich träume? Ich beschwöre Sie bei dem Andenken an Ihre Mutter, was wissen Sie von meinem Kinde?«

»Still, bleiben Sie ruhig sitzen,« sagte der Rat fast hart, »machen Sie keine Bewegung, oder es geht kein Wort mehr über meine Lippen. Ich habe Ihnen keine bestimmte Hoffnung zu machen, aber die Sache war mir seit lange verdächtig, und ich glaube eine Spur gefunden zu haben.«

Sie sah ihn mit einem so angstvollen, leidenschaftlichen Blick an, daß selbst das wohlgeschulte Herz des alten Jesuiten erbebte.

»So würden Sie also gern auf Geld und Gut verzichten, wenn Ihr Kind nur lebte?«'

»Was sind alle Reichtümer der Erde, wenn ich dafür mein Kind aus der Nacht des Todes zurückkaufen könnte.«

»Und Sie würden dem dankbar sein, der sich der Mühe unterzöge, die Zweifel aufzuhellen, die Spur zu verfolgen?«

»Ich würde der Dankbarkeit Leib und Seele opfern, wie ich Leib und Seele dem Haß geopfert habe.«

»Ich glaube Ihnen! Sie sind ein entschlossener Charakter. Nun wohl, enden Sie mit Ihrem Mann, machen Sie sich frei, und dann –«

Der Rat war aufgestanden.

»Und dann?«

»Dann kann ich Ihnen vielleicht eine Mitteilung machen, die Ihnen Hoffnung giebt!« Er verließ das Sofa.

Die junge Frau sah ihm mit flammenden Augen nach, eine ungewohnte Röte verdunkelte die Kunst der Toilette auf ihren Wangen. »Wenn es nur das ist!« murmelte sie, während sie einen Blick hinüberwarf nach dem Spielzimmer. »Wohlan, noch diesen Abend soll es zu Ende gehen!«

Sie hatte die Hand, wie im festen Entschluß geballt, als ihr Auge auf den Kommissionär fiel, den Herr Jonas frei gelassen, nachdem er alle ihm wissenswerte Mitteilungen aus ihm herausgepreßt hatte. Ein gebieterischer Wink rief ihn sofort an ihrer Seite.

»Du hier, Franz?«

Die Art, wie der Kommissionär sich gegen seine Schwester benahm, war ein eigentümliches Gemisch von Unverschämtheit und Kriecherei.

»Guten Abend, Male, bist Du auch hier? Und der Polenz, Dein Mann? Na, ick sehe, er macht wieder en kleenes Spielchen. Wie jeht et Dir? Ick habe Dir eine Zeitlang nich jesehn, aber unsereins muß hinter seinem Jeschäfte drin sind und kann nich in die Equipagen spazieren fahren!«

»Davon ist hier nicht die Rede. Ich brauche Dich noch diese Nacht!«

»Sieh, sieh, des is ja ganz wat neues! I nu, wenn ick Dich dienen kann, Du weißt, ich bin allemal Dein treuer Bruder jewesen.«

»Ja, der mich bestahl um mein Eigentum, um meine Ehre!«

»Na, das sind man verjeßne Jeschichten. Wenn Du man weiter nichts hast vor Deine Verwandten.«

»Höre mich genau an,« sagte sie stolz. »Ich werde sogleich nach Hause fahren. Du mußt uns folgen in einer Nachtdroschke. Weißt Du, wo mein Schlafzimmer ist?«

»Nee, ich bin ja nicht Dein Courmacher.«

»Unverschämter! Merke wohl auf. Es ist nach dem Garten hinaus im ersten Stock das zweite links von der Ecke!«

»Jut! Jetzt bin ich, was man informiert nennt!«

»Sobald Du dort bist, geh' in den Garten und warte unter dem Fenster, bis ich es öffne und Dich rufe, oder Dir selbst die Thür öffne.«

»Aber wie soll ich man in den Jarten kommen?«

»Das ist Deine Sache, ich verlange den Dienst, den Du mir leisten sollst, nicht umsonst und werde ihn reichlich bezahlen!«

»O, ich weiß, die jnädige Frau Schwester läßt sich man nich lumpen!« sagte der Komissionär höhnisch.

»Kurz und gut! kann ich auf Dich zählen oder nicht?«

»Jewiß! ich möchte man nur wissen …«

»Das ist nicht nötig. Du hast meine Frage noch nicht beantwortet, wie Du heute hierher kommst?«

»Nu, Du weißt ja, Male, daß ich man Jeschäfte machte vor Jonassen. Wir haben uns ja hier schon getroffen, obwohl Du mir vor jewöhnlich nich als Bruder behandelst.«

»Ich kenne Deinen Verkehr, aber ich wundere mich, was Du so spät noch willst?«

»O, ich sage Dir, ich bin immer ein jern jesehener Jast, und ich hatte ihm wat zu rapportieren. Weeßt Du« – er näherte sich vertraulich – »von die Röbelsche Verwandtschaft!«

Eine dunkle Röte überzog ihr Gesicht. »Von den Röbels? Was meinst Du?«

»Na, von dem ewigen Premierleutnant. Ich sage Dich, er steckt wieder bis über die Ohren drinne bei Jonassens, und sie haben wat mit ihm vor!«

»Was kümmert er mich! möge sie verderben die stolze hochmütige Brut! Jetzt geh', es ist Zeit für mich!«

Sie sah nach dem Spieltisch, wo eben ein allgemeiner Aufstand erfolgte.

»Sie sind verrückt, Herr Polenz,« sagte die scharfe Stimme des Doktor Lazare. »Wenn Sie sich nicht zu benehmen wissen, so müssen Sie in anständiger Gesellschaft nicht spielen. Übrigens bin ich es müde, Ihren Schwefelhölzern weiter Kredit zu geben! Bezahlen Sie, was Sie verloren haben – es sind hundertzwanzig Friedrichsdor!«

Der Spieler wollte eine heftige Erwiderung hervorsprudeln, aber der eiskalte Blick des Doktors ließ ihn die Worte hinunterwürgen. Er riß wild in seinem dichten Haar.

»Ich werde Ihnen morgen das Geld schicken, es ist nicht das erste!« stammelte er finster.

»Gut! für heute aber halte ich nur noch gegen bar!«

Die Gesellschaft schloß den Kreis wieder um den Tisch, der unglückliche Spieler ließ seine Augen durch das Zimmer laufen, und als er den Hausherrn erblickt hatte, ging er auf diesen zu.

Herr Jonas hatte, nachdem er den Bericht seines Agenten über die Aushändigung des Geldes an den Leutnant von Röbel und dessen Versprechen, in den nächsten Tagen sich einzufinden, empfangen hatte, sich mit dem Kommissionsrat unterhalten.

Auch hier war die Rede von der Familie von Röbel.

»Ich bedaure, Ihnen offen sagen zu müssen, Herr Jonas,« sagte der Kommissionsrat, »daß Sie gar keine Aussicht haben, daß die Familie die Wechsel des leichtsinnigen Verschwenders noch einmal einlöst. Die Baronin von Werben hat ihr ganzes Vermögen bereits geopfert und ihre Hand von ihm abgezogen. Der Major ist selbst nicht in glänzenden Umständen und das Gut mit Hypotheken schwer belastet.«

»Ich weiß! hab' ich doch selbst gekauft die vierte Hypothek mit fünfzehntausendfünfhundert Thaler vor acht Tagen. Aber das Gut könnte wert sein viel mehr, wenn der alte Narr wollte schlagen das Holz und anlegen eine tüchtige Brennerei. Er will nicht fortschreiten mit der Zeit!«

Der Rat hatte ihn erstaunt angesehen. »Wie, Sie haben noch eine Hypothek auf das Gut gekauft? Dann müssen Sie einen besonderen Zweck dabei haben.«

Der Bankier wurde einigermaßen verlegen unter dem scharfen Auge des Rats. Aber bald hatte er dies überwunden. »Ich habe gemacht ein Geschäft, wie man kauft Hypotheken da oder dort. Es ist halbjährige Kündigung, und ich werde sie kündigen morgen am Tag!«

»Aber bedenken Sie auch, Herr Jonas, diese Kündigung wird vielleicht die Subhastation des Gutes und den Ruin der Familie zur Folge haben und Sie verlieren damit die Aussicht auf die Bezahlung Ihrer Wechsel.«

»Was heißt? ich will doch haben mein Geld, ich will doch wissen, woran ich bin. Vielleicht läßt sich auch finden ein Ausweg, auszugleichen alles!«

Der Kommissionsrat sah ihn nachdenkend an. »Dann allerdings, Herr Jonas, ist es das beste, daß Sie mit einemmal auch die Wechsel zum Austrag bringen, es ist ein Aufhebens. Ich bitte Sie dann, die beiden Schuldscheine nicht zu vergessen, die mir gehören, und die ich auf Sie übertragen habe.«

»Verlassen Sie sich auf mich, Herr Kommissionsrat. Sie sind gewesen so oft von wichtiger Gefälligkeit für mich mit Ihre Verbindungen bei die Diplomaten und die Hohe Behörden, daß ich mir mache ein Vergnügen daraus, zu besorgen die Kleinigkeit.«

»Ich sehe, da kommt noch einer Ihrer Schuldner,« sagte der Rat, frostig das Gespräch ändernd. »Ich glaube nach allem, was ich gehört, Sie werden gut thun, auch mit ihm ein Ende zu machen.«

Über Herrn Jonas, den Bankier Unter den Linden, kam etwas aus den Erinnerungen des Schwarzen Schmuel aus der Jakobstraße. Er warf sich so in die Brust, daß die dicke Gestalt ordentlich höher schwoll.

»Lassen Sie ihn nur kommen, den Lump,« sagte er, »Sie sollen doch sehn, wie ich abfahre mit ihm!«

Der Spieler trat auf ihn zu. »Auf ein Wort, Herr Jonas!« bat er mit heiserer Stimme.

»Was Sie mir haben zu sagen, kann auch hören hier der Herr Rat! Was wollen Sie? Sie haben wieder Unglück gehabt im Spiel, Sie wollen haben Geld?«

»Nun, zum Teufel, ja! Der Doktor will nur gegen bar pointieren lassen. Geben Sie mir zwanzig Louisdors bis morgen!«

»Daß ich sein werd ä Narr, die zwanzig Louisdors zu werfen zu dem andern, was Sie mer schuldig sind!« schrie der Hausherr so laut, daß die ganze Gesellschaft im Salon es hören mußte. »Sie haben immer Unglück, Sie haben schon ä Mal verloren Haus und Hof – Sie werden's verlieren jetzt wieder!«

Der so schmählich Behandelte wurde totenbleich und biß die Zähne zusammen.

»Herr Jonas,« sagte er, »das ist meine Sache. Erinnern Sie sich, daß ich Gast in Ihrem Hause bin!«

»Was thu' ich mit solche Gäste,« schrie der Bankier, »die noch dazu haben wollen zum Vergnügen mai Geld! Ich kann geben das Vergnügen umsonst, denn ich bin ä reicher Mann, und es is mai Stolz, zu bewirten die vornehmste Gesellschaft von ganz Berlin. Aber ich will mir dafür nicht lassen schimpfieren von jedem Lump! Wenn Sie wollen spielen bei mir, Herr Polenz, dann bringen Sie sich mit Ihr Geld, wie thun die Fürsten und Grafen, die kommen zu mir! Wenn's Ihnen nicht gefällt hier bei mir, können Sie gehn, ich halt' Sie nicht! Aber machen Sie bereit morgen die dreitausend Thaler, die ich hab' zu kriegen von Sie, denn ich werd' schicken, zu präsentieren den Wechsel ohne Prolongation!«

Der Spieler ballte die Faust, er war im Begriff, auf den liebenswürdigen Wirt loszuspringen, dessen ungenierter Ton die ganze Gesellschaft zum Zeugen der Beleidigung gemacht und sie ringsumher versammelt hatte. Aber eine Hand faßte seinen Arm und drückte ihn nieder.

»Komm!«

Die Stimme war so hart, so gebieterisch, daß sich alles unwillkürlich nach der Sprechenden wandte.

Es war die Frau des Spielers.

»Aber Amalie, Du hast gehört, wie dieser Mensch –«

»Laß den Wagen vorfahren, sogleich, oder ich gehe allein!«

Er machte eine Bewegung, als wolle er noch einmal widersprechen, aber ihr kaltes, ruhiges Auge beherrschte ihn. Er trocknete sich mit dem Tuch wiederholt den Schweiß von der Stirn, während er dem Bankier einen giftigen, grimmigen Blick zuschleuderte, dann sagte er mürrisch: »Ich werde den Wagen rufen!« und ging ohne Gruß an die Gesellschaft hinaus.

»Gott der Gerechte,« sprach Herr Jonas zu der Frau, »was haben Sie for ä Macht über den Mann! Rachel, meine Frau, hat mir doch auch lieb und ä gewaltiges Wort, aber so'n Respekt is noch nicht da gewesen! – Sie werden's doch nicht übel nehmen, daß ich ihm ä Mal hab' gesagt die Wahrheit!«

Die junge Frau hielt es nicht der Mühe wert, ihm zu antworten. Sie zog den eleganten Seidenburnus, den sie trug, fester um die Schultern, ihr Blick streifte flüchtig aber bedeutsam den Bruder, der die Gelegenheit benutzt hatte, um sich am Büffett in der Ecke ein großes Glas Champagner einzuschenken, und dann rauschte sie mit einem stolzen, vornehmen Kopfnicken grüßend zur Thür hinaus, die Herr Jonas überaus höflich ihr öffnete.

Die Gesellschaft war zu sehr an ähnliche Auftritte im Salon des Bankiers gewöhnt, als daß der eben stattgefundene einen besonderen Eindruck hätte machen sollen. Das Spiel nahm bald wieder seinen Fortgang, nur daß Doktor Lazare jetzt die Bank aufgegeben hatte, und die Unterhaltung der verschiedenen Gruppen rauschte wieder durcheinander.

Der Kommissionär hatte sich still gedrückt, und, um das Geld für die Nachtdroschke geschickter Weise zu sparen, sich hinten auf die Mietskutsche gehockt.

Die Gräfin Törkönyi hatte es nicht der Mühe wert gehalten, dem Zank näher zu treten. Nur als Madame Polenz fortging, verfolgte sie diese hochmütig mit dem Lorgnon.

»Ich bin durchaus nicht exklusiv, liebe Camilla,« sagte sie zu der Dame an ihrer Seite, »aber die Gesellschaft bei Monsieur Jonas ist doch manchmal gar zu gemischt! – Ich kann diese Person nicht ausstehen! Sagen Sie, lieber Rat, erzählten Sie mir nicht einmal, daß sie früher in einer Polkahalle gewesen ist?«

»Gewiß, gnädigste Gräfin! aber der Geschmack ist verschieden. Ich kenne vornehme Damen, deren Liebhaberei sie in sogar noch verrufeneren Lokalen Stammgast sein ließ!«

Die Gräfin wandte sich ab und brauchte ihren Fächer. »Madame Polenz scheint sich Ihres besonderen Schutzes zu erfreuen!«

»Wenn sie dessen bedarf, soll er ihr gern zu teil werden. Aber sie ist ein so selbständiger energischer Charakter, daß sie männlichen Beistand kaum nötig haben wird.«

Die Gräfin begann seit einiger Zeit die Emanzipation etwas weniger stark zu treiben, als sonst. Der Skandal und die Intrigue waren ihr zwar zu sehr innere Natur, als daß sie davon hätte lassen können, aber sie suchte beide jetzt auf anderen Feldern, wo sie zugleich die vornehme Dame herauskehren konnte. Unter anderem liebte sie es jetzt, die Gönnerin von Kunst und Wissenschaft, oder vielmehr von Künstlern und Gelehrten, aber auch von wieder anderen Klassen der Gesellschaft zu spielen, die töricht genug waren, auf den vornehmen Namen etwas zu geben. Sie suchte in solchen Kreisen zu dominieren, da ihr die ihrer Standesgenossen größtenteils sorgfältig verschlossen waren. Sie ließ den Gegenstand ihrer Frage an den Kommissionsrat fallen und setzte das Gespräch mit dem Herrn am Kamin fort.

»Ich habe Ihre neue Abhandlung über die Befruchtung gelesen, lieber Professor,« sagte sie. »Es sind magnifique Gedanken über den Gegenstand in der Broschüre enthalten. Lazare sagt mir, daß Sie gegenwärtig mit einer Geschichte der russischen Marine beschäftigt sind! Ich bitte Sie um Himmelswillen, wo nehmen Sie die Zeit und das vielseitige Wissen her? Alle Welt weiß, welche Entdeckungen man Ihnen ohnehin in der Pathologie verdankt! Wie ich höre, werden Sie bei der nächsten Doppelwahl für die Kammer als Kandidat auftreten? Der ausgezeichnete Rat soll von Ihnen sein, daß unsere Partei die Plätze der früheren Rechten voraus belegt: ich kann mir die Verwirrung der Begriffe lebhaft vorstellen, die dadurch in der Stellung der Fraktionen zur Regierung entstehen wird.«

Der geschmeichelte Gelehrte hatte sich bei jeder Frage aufs höflichste verbeugt. »Ich gebe dem Drängen meiner Freunde nach, gnädigste Gräfin,« sagte er, sich in die Brust werfend. »Auch für die Wissenschaft bricht eine neue und glanzvolle Ära an, ihre Träger dürfen sich daher nicht länger dem politischen Leben entziehen!«

»Aber hatten Sie nicht, ich glaube es doch in irgend einem dieser Organe der Reaktion gelesen zu haben, Ihr Wort geben müssen, sich der Politik zu enthalten?«

Dem kleinen Professor schien das Examen nicht ganz behaglich zu sein. Zum Glück sprang ihm der Doktor Lazare mit einer sarkastischen Bemerkung bei.

»Sie sollten doch längst wissen, liebe Martha,« sagte er, »daß es für die Politik und die Liebe keine Verpflichtungen giebt, die man unter allen Umständen halten muß!«

»Das Wohl des Ganzen, Madame,« fiel der Professor ein, »legt oft dem Manne Pflichten auf, die sich nicht in die gewöhnlichen Grenzen der bürgerlichen Moral einzwängen lassen. Es ist wie bei Verwundungen am menschlichen Körper. Die Oscillationen …«

Das Fräulein mit dem spitzen Gesicht und dem schlechten Teint unterbrach die gelehrte Abhandlung, die ihm auf der Zunge schwebte.

»Sie wollen mir ja eben für die Sammlung meines Onkels eine neue Anekdote vom Hofe erzählen, Herr Professor! Eine Ordensgeschichte, wenn ich nicht irre.«

»Wenn Sie Vergnügen haben an Ordensgeschichten,« fiel der Doktor Lazare ein, »so könnte ich Ihnen ein ganz famose erzählen, natürlich unter dem Siegel der strengsten Diskretion!«

Alles beteuerte die tiefste Verschwiegenheit.

Der Doktor sah sich die Gesellschaft mit seinem gewöhnlichen höhnischen Lächeln an, denn er wußte vollkommen, was er von ihrer Verschwiegenheit zu halten hatte, dann begann er seine pikante Geschichte. – – – –


Die Wohnung des Polenzschen Paares befand sich vor dem Potsdamer Thor in einer der neuen, so rasch entstandenen fashionablen Straßen.

Herr Polenz, der mehrfach glücklich Häuserspekulationen gemacht, seit er nach dem ersten Bankerott sein früheres Geschäft aufgegeben hatte und durch einen Lotteriegewinn wieder zu Geld und zu seiner Frau gekommen war, hatte eines der besten behalten, das einen ziemlich hübschen Garten besaß, und bewohnte darin das hohe Parterre. Diese Wohnung war mit großem Luxus und Überfluß möbliert, namentlich der Teil, den seine Frau bewohnte, denn es herrschte ein ganz sonderbares Verhältnis zwischen dem Paar.

Während der Heimfahrt in dem bequemen Mietwagen, noch bis vor zwei Monaten hatte Herr Polenz selbst eine elegante Equipage besessen, war es sehr schweigsam. Die junge Frau hing ihren finsteren Gedanken nach, die des Mannes waren noch finsterer; er dachte an die Mittel, am nächsten Tag die Forderungen des Wucherers zu befriedigen und den unaufschiebbaren Bankerott wenigstens noch für Tage zu verzögern.

So waren sie angekommen und ausgestiegen, ohne daß Herr oder Kutscher den blinden Passagier auf dem Trittbrett bemerkt hatten.

Die Frau rauschte voraus, an dem öffnenden Diener vorbei und wollte sogleich nach ihrem Zimmer, als der verzweifelnde Spieler sie aufhielt.

»Amalie,« sagte er mürrisch, »ich muß Dich sprechen, heute noch!«

»Ich kann es nicht hindern!«

»Ich werde zu Dir kommen, sobald Du Deine Mädchen fortgeschickt hast.«

»Gut, in einer halben Stunde. Auch ich habe mit Dir zu reden. Es ist Zeit, daß wir wissen, woran wir mit einander sind!«

»O,« sagte der Spieler fast stöhnend, »es wäre alles nichts, wenn Du mir …« Sie unterbrach ihn mit einem kalten, verächtlichen Blick und ging nach der Thür. »Mein Mädchen wartet!« – –

Die ehemalige Geliebte des erschossenen Leutnants von Röbel, Mimeli, die Polkasängerin, verstand es vortrefflich, die Dame zu spielen. Ihre Erziehung in der Jugend und ihr energischer Charakter befähigten sie dazu.

Als sie in ihrem Schlafzimmer angekommen war, ließ sie sich von dem schläfrig wartenden Mädchen halb entkleiden, dann schickte sie es zu Bett. Das Zimmer auf der einen Seite an einen kleinen Salon, ihrem gewöhnlichen Aufenthalt, auf der andern an ein kleines Bade- und Garderoben-Kabinett stoßend, war kostspielig eingerichtet. Ein dicker, türkischer Teppich bedeckte den Boden, Fauteuils, Spiegel und ein kunstvoll gearbeiteter, reichbesetzter Toilettentisch nahmen die Wände ein.

Sobald Madame Polenz sich der schweren Seidenrobe und der Chaussüre entledigt, die Frisur gelöst hatte und sich allein sah, warf sie sich in einen der weiten, bequemen Sammetfauteuils und blieb einige Minuten, die Augen starr vor sich hin gerichtet, sitzen.

Trotz ihrer dreißig Jahre war sie, wie gesagt, immer noch eine begehrenswerte schöne Frau. Bei manchen Gestalten, namentlich Blondinen, entwickeln sich oft erst in diesem Alter alle jene Reize zur vollen Entfaltung, die einen Mann berauschen können. Madame Polenz schien überdies aus der Erhaltung oder Erhöhung dieser Reize ein förmliches Studium gemacht zu haben, seit sie verheiratet war. Die dunkle Farbe der Tapete des Zimmers, der Sammet der Möbel erhellte in dem weißen, milden Schein der Astrallampe noch die weiße alabasterne Farbe ihres reinen Teints und den Goldglanz des prächtigen blonden Haares, das in ungefesseltem Strom jetzt um ihre Schultern fiel.

Jetzt wandte sich ihr Auge auf das volle Haar zwischen den beringten Fingern ihrer Weißen Hand. Ihr schön gewölbter Busen hob sich mit krampfhaftem Atemzug.

»Er liebte es so sehr!« schluchzte sie leise vor sich hin. »Und sein Kind hatte mein Haar, er hätte es auch geliebt! Fort denn! Wenn es möglich ist, daß die Toten aus ihren Gräbern steigen, wie Boltmann sagt, wohl, so mögen sie bei mir sein in dieser Stunde und mir endlich vergelten helfen, was ich gelitten.«

Sie sprang entschlossen auf, ihr Auge blitzte finster, während sie durch das Zimmer eilte, Kasten und Läden öffnete und eine Menge Schmucksachen, darunter einen wertvollen Brillantschmuck, auf ihrem Toilettentisch zusammenhäufte. Dann riß sie die Bracelets von ihrem Arm, die Ringe von ihren Fingern und warf sie zu den Haufen.

Ein Ausdruck der Verachtung zuckte um ihren Mund, als sie diese Kostbarkeiten betrachtete, die sicher dreitausend Thaler wert waren, aber gewiß viel mehr gekostet hatten.

»Plunder!« murmelte sie, »ein Tropfen warmes Blut ist mehr wert, als dies alles! Schade nur, daß ich ihm nicht alles so entreißen kann!«

Dann holte sie ein festes Boulekästchen herbei, warf alles hinein und verschloß es. Den Schlüssel verbarg sie in ihrem Schreibtisch.

»Es ist Zeit, er wird warten!«

Sie ging in den Salon und öffnete die Thür, die auf einen Gartenbalkon führte. Obschon die Luft rauh und kalt und sie ohne Kleid und Tuch war, lehnte sie sich über das Geländer und blickte hinunter.

»Bist Du da?«

»Hier, Male! Immer uf den Posten!«

»Komm hierher, hier dich unter mir. Da, nimm!« Sie reichte ihm das Kästchen.

»Na – wat soll ich denn damit?«

»Sprich leise! Es ist mein Eigentum, ich will es nicht auch noch seiner Leidenschaft für das Spiel opfern. Kannst Du es im Garten verbergen, bis Du es dann mitnehmen kannst?«

»Warum dieses nich, aber wat soll ich denn noch? Es is verdammt kalt hier, Schildwache zu stehn!« –

»Es muß sein. Du weißt, daß ich Dich gut bezahlen werde. Ich kann Dir nicht helfen, wenn Du frierst. Höre mich aufmerksam an!«

»Na?«

»Wenn Du das Kästchen in einem sichern Winkel versteckt hast, kannst Du hier auf den Balkon kommen. Ich lasse die Thür unverschlossen. In einigen Minuten wird er –«

»Wer?«

»Polenz! hier durchkommen und in mein Zimmer gehn!«

»Na, des is doch nichts Besonderes von Eheleuten! Amande würde mir schön ansehn, wenn ich sie man alleene schlafen lassen wollte!«

»Schweig mit Deinen unnützen Bemerkungen! Wenn er eingetreten ist, magst Du Dich meinetwegen in den Salon schleichen und irgendwo verstecken, hinter der Gardine, unter dem Tisch oder wo sonst – nur mach' kein Geräusch. Was Du aber auch hören und sehen magst, Du darfst Deine Anwesenheit nicht verraten, es sei denn, daß ich Deinen Beistand brauche, denn er ist ein wildes Tier in gewissen Augenblicken. Nur, wenn Du mich rufen hörst, komm mir zu Hilfe!«

»Male, wat hast Du vor?«

»Das geht Dich nichts an. Wenn Du heute Deine Pflicht als Bruder thust, will ich Dir in meiner Seele den Diebstahl vergeben, den Du an dem unglücklichen Kinde verübt hast!«

Der Kommissionär antwortete nicht auf den bitteren Vorwurf. Er erinnerte sich, wie wenig Glück der schlechte Streich ihm gebracht und daß er die unmittelbare Ursache gewesen war, die ihn ins Zuchthaus geführt hatte.

»Jetzt geh',« sagte sie, »er könnte uns sonst überraschen!«

Unter der Wirkung ihres letzten Vorwurfs schlich er eilig und stumm davon. Sie wartete einige Minuten, bis sie ihn wieder kommen sah, dann kehrte sie in ihr Zimmer zurück.

Der würdige Kommissionär hatte sich kaum mit einiger Anstrengung auf den Balkon geschwungen, als er Licht im Salon schimmern sah. Er konnte durch die Spalten der Jalousie das Innere deutlich überblicken und sah seinen Schwager, ein Licht in der Hand, aus der gegenüberliegend den Thür kommen und mit schwankenden unsichern Tritten über den Parkettboden hinweg nach dem Zimmer seiner Frau gehen.

Der »Rentier« befand sich offenbar in einem Zustand großer Aufregung. Sein fahles Gesicht war von roten Flecken bedeckt, sein stieres Auge verriet, daß er noch nach seiner Nachhausekunft getrunken hatte, wahrscheinlich Rum oder ein anderes scharfes Getränk. Er hatte Weste und Halstuch abgelegt und nur einen Hausrock übergeworfen, seine Hand, die den Leuchter hielt, zitterte, dennoch schien er einen festen, trotzigen Entschluß gefaßt und sich dazu Mut getrunken zu haben, denn ohne anzuklopfen öffnete er das Zimmer seiner Frau und trat ein, obschon er vergaß, die Thür wieder völlig zu schließen.

Herr Günther benutzte alsbald die Gelegenheit, in den Salon zu schlüpfen und sich nach einem günstigen Versteck umzusehen. Der Lichtstreif, der durch den Spalt der offenen Thür und die halb zurückgeschlagene Portiere vor derselben drang, zeigte ihm einen großen chinesischen Schirm vor dem Kamin in der Nähe der Thür, und er glitt mit der Gewandtheit seiner jüngeren Jahre bei Ausführung irgend eines schlechten Streiches dahinter und fand bald, daß er von dem Versteck aus Ohrenzeuge der Unterredung des Ehepaares sein konnte.

Als Polenz in das Zimmer getreten war, fand er seine Frau auf einem Lehnstuhl vor dem eleganten Toilettespiegel sitzend, anscheinend beschäftigt, ihre Toilette für die Nacht zu machen.

Das prächtige blonde Haar fiel in goldenem Strom über die entblößten Schultern mit ihren runden vollen Linien, der Pudermantel von weißer, weicher Wolle hing zurückgeschlagen um die volle kräftig üppige Gestalt, deren Formen nur noch das Schnürmieder einzwängte.

Sie wandte sich halb um und sah ihn mit einem unbeschreiblichen Blick vernichtender Gleichgültigkeit an.

»Ach – Du bist es! Was willst Du so spät noch? wie kannst Du Dich unterstehen, ohne anzuklopfen, herein zu kommen?«

»Zum Teufel, ich dächte, als Dein Mann hätte ich dergleichen nicht nötig. Ich muß mit Dir reden, Amely!«

»Ich heiße Amalie! Du scheinst zu vergessen, daß dies mein Zimmer ist, und daß Du Dich verpflichtet hast, es ohne meine Erlaubnis nicht zu betreten! Meinetwegen, da Du einmal da bist, so sprich! Da – ich habe Bertha zu Bett geschickt. Du hast ja Talent zur Kammerjungfer, wenigstens liefst Du ihnen früher nach. Schnüre meine Stiefel auf.«

Sie hob nachlässig den Fuß und legte ihn auf ein nahe stehendes Taburett. Der gestickte Rand des kurzen Nachtrocks fiel über die schön geformte kräftige Wade zurück.

Er hatte anfangs mürrisch das Licht auf den Tisch gesetzt und stürzte jetzt, wie elektrisiert von der Erlaubnis, die mehr wie ein höhnischer Befehl klang, neben dem Taburett auf die Knie und begann mit zitternden Fingern an den Knoten und Maschen der Chaussüre zu lösen, die den kleinen Fuß einzwängte.

»O Amalie! liebe Amalie!«

Sie stieß ihn mit dem Fuß ins Gesicht. »Nun, wird's bald! Zieh auch den Strumpf aus – da – löse das Band! Es ist Dir lange nicht so gut geworden! Gieb die türkischen Pantoffeln her!«

Sie hob kokett den Rock und ließ ihn das Sammetband lösen, das nach französischer Art den seidenen Strumpf oberhalb des Kniees umschloß.

Sein Gesicht war jetzt mit dunklem fieberhaftem Rot übergossen, die kleinen schwarzen Augen flammten. Er umarmte stürmisch die Füße seiner Frau und drückte brennende Küsse darauf.

Mit einer raschen, heftigen Bewegung stieß sie den Stuhl zurück und machte sich von ihm los.

»Ruhig Blut, ruhig Blut, Karl, das ist gegen den Kontrakt!« sagte sie mit spöttischer Koketterie, indem sie das Korsett aufzuhaken begann. »Steh auf und sei vernünftig! Du wolltest ja mit mir reden. Du hast Unglück heute abend gehabt und viel verloren?«

Er war emporgesprungen und schritt mit ausgebreiteten Armen und funkelnden Augen auf sie zu.

»Was kümmert mich das Geld? ich werde es wieder gewinnen, wenn ich nur Dich habe – Dich …«

Sie schlüpfte ihm unter den Arm durch. »Da, nimm das Korsett und wickle es hübsch säuberlich zusammen, indes ich den Mantel nehme.«

Ihre volle weiße Büste drängte sich aus den Falten, während sie nach dem Nachtmantel griff und sich kokett in ihn einwickelte, so daß das weiche Gewebe die üppigen Formen in unbestimmten Linien verriet. So warf sie sich in den amerikanischen Schaukelstuhl und wippte mit dem nackten kleinen Fuß den zierlichen Pantoffel, während der schöne Kopf mit dem prächtigen Blondhaar zurück auf dem dunklen Sammet der Lehne ruhte.

In dieser Stellung, so natürlich anscheinend und doch so raffiniert, war die Frau zum Entzücken schön oder vielmehr zum Wahnwitzigwerden. Sie hätte einen Heiligen zum Verbrechen verlocken müssen.

»So, lieber Mann, nun laß uns plaudern! Setz Dich dort hin auf das Taburett! Keinen Schritt weiter!« sagte sie plötzlich mit eisiger Strenge, »Du kennst mich!«

Er taumelte wie trunken auf den angewiesenen Sitz und schlug die Hände vor das Gesicht. »Weib – Teufel – Engel – Du machst mich wahnsinnig!«

Ein kalter spöttischer Blick aus den großen geisterhaften Augen traf ihn.

»Du hast also den Inhalt meines Portemonnaies auch verloren!«

»Ja – diese verfluchte Coeur-Sieben! aber ich glaube, der Schurke betrügt, und ich werde ihn das nächste Mal sicher fassen!«

Sie warf den Pantoffel in die Luft. »So fang' doch, Karl, Du bist heute auch gar nicht liebenswürdig, obschon Du so selten die Ehre hast, in meinem Boudoir zu sein!«

Es war auch selten genug, daß sie ihn so nannte! Er haschte wie ein Knabe nach dem Schuh und hing ihn ihr wieder über den Fuß, den sie schäkernd zurückzog, während sie sich verführerisch auf dem Stuhl auf- und niederwiegte.

»Amalie, wenn Du wolltest, Du weißt wie rasend ich Dich liebe, wie das Blut in meinen Adern kocht! Ich schwöre Dir zu, keine Karte mehr anzurühren, wenn Du nur …

»Unsinn! ein Vergnügen muß der Mensch doch haben, und Du hast wenig genug! Aber Du hast ja nachher noch gespielt, wenn ich den Streit recht verstand. Wie viel war es doch?«

»Hundertzwanzig Friedrichsdor an diesen teuflischen Doktor! Morgen muß ich sie zahlen, und eben deshalb wollte ich mit Dir sprechen!«

»So sprich!« sagte sie kalt.

Er versuchte, das Taburett näher zu rücken, aber ein gebieterischer Wink ihrer Hand wies ihn zurück. Dabei öffnete sich wie zufällig der Mantel über ihrem Busen, aber sie schien die brennenden flammenden Blicke des Mannes vor ihr gar nicht zu bemerken.

Er mußte mit Gewalt die Augen von ihr wenden.

»Du hast gehört, wie der wucherische Hund der Jonas mich behandelt hat,« sagte er endlich mit heiserer Stimme. »Ich muß ihm morgen dreitausend Thaler zahlen, dreitausend Thaler dem Schurken für nichts und wieder nichts, denn ich habe ihm die Wechsel für die Dessauer Kreditscheine geben müssen, mit denen ich so schändlich übers Ohr gehauen worden bin. Bei ihm hat sie mir Ruland aufgeschwatzt!«

»Bezahle sie! und gehe nicht wieder zu Jonas!«

»Bezahlen! zum Teufel! das ist leicht gesagt! Ich habe bei diesem Menschen immer Unglück gehabt, seit ich zum erstenmal das Haus betreten. Weißt Du noch? damals, an jenem Abend – als Du dort sangst – es sind jetzt acht Jahre her!« Vergl. »Zehn Jahre«, II. Bd. S. 244

»Ich glaube, Du wirst wohl thun, mich nicht an die Vergangenheit zu erinnern!«

»Meinetwegen, ich bin fast noch verliebter in Dich, als damals, wo ich in der Polkakneipe alle Tage hätte zehn Morde begehen mögen aus Eifersucht! Und dennoch – wenn ich jene Zeit bedenke …«

Er hatte den funkelnden Blick nicht bemerkt, der aus ihren sonst so kalten Augen schoß bei der Erwähnung eines Mordes aus Eifersucht.

»Warum gehst Du zu dem Wucherer?«

»Warum? warum? Das ist leicht gefragt! der Schurke hat mich in Händen!«

»So bezahle ihn!«

Er sah sie starr an, dann brach er in ein wildes Gelächter aus und fuhr sich nach seiner Gewohnheit mit den Händen in die Haare. »Den Teufel! bezahlen! Wovon – wenn Du es mir nicht borgen willst?«

Er sah sie halb wild, halb bittend an. Sie hatte sich ruhig erhoben und ging nach dem eleganten Schreibtisch, aus dem sie vorhin die Pretiosen genommen. Es war vielleicht Zufall, daß, während sie aus einer Schublade ein Notizbuch nahm, der Nachtmantel von den vollen Schultern fiel und die schöne Büste enthüllte. Wenigstes schien sie diesmal nicht darauf zu achten, als sie sich wieder in den Schaukelstuhl niederließ und in den Notizen blätterte.

»Ich habe Dir vor zwei Monaten Viertausend gegeben zu dem Holzgeschäft.«

»Ja, Du weißt, daß der verdammte Frost nicht kommen wollte. Wir haben schändlich viel Geld verloren bei der Spekulation!«

»Was geht das mich an? Dann fünfhundert Thaler – und noch einmal vier – als neulich die Wechsel kamen!«

Er fuhr sich durch die Haare. »Ich weiß, ich weiß, Du bist immer eine gute Frau gewesen, wenigstens in diesem Punkt! Aber ich schwöre Dir –« er stockte, denn seine brennenden Augen hafteten auf dem Busen der Frau, die seine Gattin war und doch wieder nicht, »ich will Dir alles zurückgeben, alles – bei dem nächsten glücklichen Erfolg. Nur diesmal mußt Du mir noch aushelfen!«

Sie sah noch immer in ihr Notizbuch. »Mit den Hundertfünfzig von heute macht die Summe gerade fünftausend und fünfzig Thaler. Die fünfzig schenk' ich Dir – wir sind also quitt!«

Der Mann starrte sie an. »Was will Du damit sagen?«

»Ich dächte, ich spreche deutlich genug. Es sind die fünftausend Thaler, für die ich mich Dir verkaufte. Du hast sie jetzt zurückerhalten, ich schulde Dir nichts mehr!«

»Schulden? wie kannst Du so sprechen? Zwischen Mann und Frau!? Du weißt, daß ich Dir alles erstatten werde, wenn ich jetzt die große Lieferung für das Schloß erhalte, die mir sicher ist. Aber dazu muß ich eben meinen Kredit aufrecht erhalten. Ich weiß, wenn Du auch nie darüber gesprochen, daß Du Geld hast …«

»Bin ich Dir Rechenschaft darüber schuldig?«

»Nein, ich verlange sie ja auch nicht. Aber Du kannst mir aus einer dringenden Verlegenheit helfen. Das ist doch das Wenigste, was eine Frau für ihren Mann thun kann!«

»Für ihren Mann?« Sie lachte spöttisch auf.

»Höll' und Teufel! bin ich's nicht? wenigstens vor den Augen der Welt, wenn ich auch Narr genug bin, mich von Deinen Launen martern zu lassen, daß ich um die kleinste Gunst bettle, wie ein Schulbube, während doch alles mein ist – mein! –«

Er war wieder emporgesprungen mit glühendem Gesicht und wollte auf sie zu, aber ein so kalter, vernichtender Blick aus den Augen der Frau traf ihn, daß er unwillkürlich wieder auf das Taburett zurücksank.

»Bleiben Sie ruhig auf Ihrem Platz, mein Herr, ich dächte, Sie wissen zur Genüge, daß ich mich nicht zwingen lasse!«

»Du bist ein Teufel! wenn Du nur nicht so schön wärst! Willst Du mir helfen?«

»Ich mache keine Geldgeschäfte! Warum verkaufst Du nicht von Deinen Papieren an der Börse. Die Kurse stehen zwar augenblicklich schlecht, aber wenn es sein muß …«

»Ich habe keine Papiere mehr. Du weißt es nur zu gut!«

»Ah richtig! Deshalb schlugst Du mir ja vorgestern die dreihundert Thaler ab, die ich für neue Möbel meines Salons verlangte! So nimm ein Kapital auf das Haus auf!«

»Es gehört mir kein Stein mehr, es ist alles verpfändet! – um es mit einem Wort zu sagen – ich bin für den Augenblick ruiniert!«

Wiederum traf ihn ein triumphierender, dämonischer Blick aus den starren kalten Augen.

»Also ein Bettler?«

»Unsinn! sprich nicht so! wenn ich auch augenblicklich schlechte Geschäfte gemacht und mein Vermögen verloren habe, Du weißt, daß die Lieferung, die mir sicher ist, mir neuen Kredit giebt und wenigstens zwanzigtausend Thaler wert ist!«

»Und wenn Du sie nicht erhieltest?«

»Dann, allerdings – dann wäre ich in einer verteufelten Klemme! Aber es ist unmöglich. Du wirst mir helfen, daß ich morgen nicht blamiert werde, und übermorgen wird der Kontrakt geschlossen!«

»Du bist im Irrtum!«

»Was willst Du damit sagen?«

Die junge Frau hatte sich erhoben und war vor den Pfeilerspiegel getreten, den sie beim Ankleiden benutzte. Sie begann langsam das volle prächtige Haar zusammen zu nehmen und in einem Knoten am Hinterkopf zu befestigen.

»Reiche mir das Häubchen mit den Spitzen dort von meinem Bett, wenn Du so gut sein willst!«

Die erhobenen runden weißen Arme ließen ihn neue Reize sehen, er war fast wahnsinnig vor Angst und Begierde.

»Amalie, ich beschwöre Dich, die Sache ist zu ernst zum Scherz!«

»Scherzen? ich mit Dir? Du rechnest auf den Geheimen Rat?«

»Ja, ich habe sein Wort!«

»Ich war vor drei Tagen bei ihm!«

»Wie – bei …«

»Nun ja, die Excellenz ist ein recht galanter Mann. Dem Freund Jonas bat mich, ihm einen Gefallen zu thun, und ich hatte meinen eigenen Zweck!«

»Höll' und Teufel! ohne mein Wissen? Er ist ein alter Wüstling und es ist bekannt, daß er für eine Schäferstunde alles thut!«

»Du hast ganz recht! Aber Du vergißt unsern Kontrakt, ich bin meine eigene Herrin! er hat mir gesagt, daß Du die Lieferung nicht bekommen wirst, weil Du ein Spieler und ruiniert bist!«

»Wer hat ihm das gesagt?«

»Ich!«

Der Schlag war so stark, so unerwartet, daß er eine Minute lang nicht zu sprechen vermochte, sondern sie nur mit weitgeöffneten Augen anstarrte.

Die ehemalige Polkakönigin setzte kokett das kleine Nachthäubchen auf die blonden Locken.

»Wie, Du? das ist unmöglich! Dann wärst Du ja meine ärgste Feindin!«

»Merkst Du das jetzt erst?«

Er fuhr sich mit den Händen in die Haare. »Weib, mache mich nicht wahnsinnig! Du bist doch meine Frau! Wir haben doch dieselben Interessen!«

»Ich mit Dir? Du träumst! Da, wenn Du ein galanter Ehemann sein willst, reich mir das Jäckchen dort her?«

Er rannte wie wahnsinnig hin und her, indem er die Nägel in das Fleisch seiner Brust preßte. »Dieser Teufel! dieser Teufel! wenn sie nur nicht so schön wäre! Wer anders als Du hat mich ruiniert und zu all dem Luxus und den Spekulationen getrieben? Jetzt sollst Du mich wenigstens entschädigen mit Deiner Liebe!«

Sie lachte hell auf. »Glaubst Du denn, daß ich Dich geheiratet, um ein Bettlerleben zu führen?«

»Aber die Frau gehört doch dem Mann!«

»Gewöhnlich! Bei uns ist's umgekehrt!«

»Amalie, ich bitte Dich, ich beschwöre Dich, Du sollst allen Luxus haben, den Du nur willst! Aber gieb mir das Geld, ich muß das Geld haben!«

»Ich habe keins! Du hast das Deine zurückerhalten!«

»Ich will es glauben, aber Du hast Diamanten und Schmuck! Er ist mehrere tausend Thaler wert, laß mich ihn verpfänden, auf acht, auf drei Tage – bis ich mir geholfen habe!«

»Du weißt, wo er liegt – nimm, was Du findest!«

Er stürzte nach dem Schreibtisch und riß die Fächer auf – alles war leer.

»Aber um Himmelswillen! es ist ja nichts da?«

»Nein, er ist fort! er ist mein Eigentum, und Du weißt, daß wir keine Gütergemeinschaft haben! Aber tröste Dich, er soll dazu bis zum letzten Stein verwendet werden, Witwen und Waisen zu vergüten, um was wahrscheinlich Dein zweiter Bankerott sie betrügt!«

»Satan!« Er stürzte auf sie zu und hob drohend die geballte Faust. Sie sah ihn lächelnd an, indem sie fortfuhr, sich auszukleiden und das Nachtzeug anzulegen. »Ei, geniere Dich nicht,« sagte sie freundlich. »Wer die Männer aus dem Hinterhalt erschießt, kann wohl auch ein Weib schlagen!«

Er taumelte zurück, die Stube schien sich um ihn her zu drehen, von allen Seiten schienen ihn süße Frauengesichter anzulächeln, während sie im nächsten Augenblick zu Dämonenfratzen wurden.

Er fiel zu ihren Füßen. »Amalie, es war alles aus Liebe zu Dir, Du weißt es! Zehn Jahre marterst Du mich jetzt mit Höllenqualen. Zeige mir wenigstens einen Funken Gefühl. Gieb mir das Geld, Du weißt nicht, was auf dem Spiele steht für mich!«

»Du wirst es mir sagen, süßer Gatte!« Ihre weiße Hand tändelte mit seinem schwarzen Harre, während ein Gefühl sich in ihrem Gesicht malte, als sei sie gezwungen, eine Schlange zu berühren.

»Es laufen Wechsel, ich muß sie einlösen – oder – –

»Nun, Karl? Du hast kein Vertrauen, Karl!«

»Oder – das Zuchthaus ist mir gewiß!«

»Also gefälscht?«

»Ja, gefälscht, wenn Du's denn wissen willst, – für Dich! ich konnte die Ausgaben nicht mehr bestreiten!«

»Und mußtest doch auch Dein Hazard haben! Liebe und Spiel ist freilich zu viel! Du hast eine unglückliche Hand, Karl!« Ein dämonischer Triumph leuchtete in ihren Augen, während sie sprach, und der Elende vor ihr, nicht wissend, ob es Spott oder Teilnahme war, sein Gesicht in ihr Nachtkleid verbarg.

»Es ist wahr, ich bin selbst schuld, ich habe unsinnig gespielt! ich bitte Dich um Verzeihung, daß ich Dich anklage!«

»O, ich verzeihe Dir das gern. Du sollst sehen, wie ich auch für Dich sorgen will, wenn Du in Spandau bist; für Schnupftabak und einige andere kleine Bedürfnisse darf man ja wohl in Spandau einzahlen?«

Er sprang wie rasend empor. »Schweig, oder ich ermorde Dich!«

Sie sah ihn ruhig an. »Du hast seit zehn Jahren keine Übung darin gehabt. Wahrhaftig, die Sträflingsjacke wird dem schönen Karl gut stehen!«

»Weib …!« Er trat mit geballten Fäusten, Schaum auf den Lippen, auf sie zu.

Sie lachte verächtlich. »Schade,« sagte sie, »ich hatte es so gut vor mit Dir diese Nacht! Du solltest belohnt werden für all die Liebe und Enthaltsamkeit! Aber Du wirst begreifen, daß ich mit einem künftigen Zuchthäusler unmöglich mein Bett teilen kann, mein verstorbener Engel könnte sonst einen Bruder bekommen, dessen Vater in Spandau sitzt, und es ist genug, daß mein eigener Bruder dort Wolle gekrämpelt hat!«

Ein brummender Laut aus dem Salon her antwortete der Infamie, aber der Gatte, der Verhöhnte, achtete nicht darauf: die ganze Brutalität seines ursprünglichen Charakters brach sich endlich Bahn, und hätte er sie erreicht, die ihn so bitter verhöhnte, er hätte sie mit dem Faustschlag, den er nach ihr führte, zu Boden geworfen.

»Kanaille! erst ermorde ich Dich, ehe ich ins Zuchthaus gehe, damit Dich wenigstens kein anderer haben soll!«

Aber die junge Frau war mit der Gewandtheit einer Pantherin hinter den Tisch gesprungen. »Sachte, sachte, Herr Gemahl! Man sollte meinen, Sie wären noch der Hausknecht in Mylius Hotel aus dem Anfang Ihrer Karriere! Kommen Sie mir nicht zu nahe, oder ich steche Sie nieder, wie einen tollen Hund!«

Sie hatte von ihrer Toilette ein spitzes Trennmesser ergriffen und streckte es ihm entschlossen entgegen. Ihr ganzes Wesen schien sich mit einem Schlage verändert zu haben. Die spöttische höhnische Miene war verschwunden, das kalte blaue Auge sprühte dämonisches Feuer, die Haut war noch bleicher als gewöhnlich.

Der Elende war vor der blitzenden Klinge, vor dem drohenden Augen der Frau zurückgewichen und warf sich jetzt in den Sessel, den sie vorhin verlassen. »Amalie, Amalie, warum behandelst Du mich so schändlich und undankbar! ich wollte, ich wäre tot!«

Sie stand hoch aufgerichtet vor ihm, nur durch die Breite des Tisches von ihm getrennt. Das achtlos geöffnete Nachtkleid zeigte den kräftigen auf- und niederwogenden Busen, der weiße, entblößte Arm war drohend gegen ihn gestreckt, der üppige, des gewöhnlichen Zwanges entfesselte Leib bog sich wie der schlanke Körper des Jaguars, der auf seine Beute stürzt.

»Es ist Zeit, daß es zu Ende kommt mit uns beiden,« sagte sie mit tiefer harter Stimme. »Der Augenblick ist da, nach dem mein Herz, wenn ein solches Ding überhaupt noch in meiner Brust wohnt, seit zehn Jahren sich gesehnt hat. Der achtzehnte März soll nicht wiederkehren, ohne daß er und ich und sein Kind gerächt sind an Dir, feiger Mörder und Dieb!«

»Amalie!«

»Nenne meinen Namen nicht, Verächtlicher, Du hast kein Recht daran. Die, die den Namen trug, gehörte dem, den Du feig ermordet hast, der Mutter seines Kindes, das durch Deine niederträchtige That entehrt geboren ward, in Jammer geatmet hat und in Fluch gestorben ist. Für Dich aber, höre es, Mensch, für Dich ist mein Name Haß, Verdammnis, Rache, Rachel«

»Erbarmen! Du tötest mich!«

»Könnt' ich Dich töten hundertfach, mit allen Martern, die der Menschenwitz je ersonnen, ich würde es thun. So aber hattest Du nur ein Leben, und es wäre eine jämmerliche Strafe gewesen, es Dir zu nehmen. Darum habe ich mich an Deine Fersen geheftet, darum habe ich Deine Laster gehätschelt. Deine gemeinen Begierden gereizt bis zum Wahnsinn! Zweimal hat das Glück Reichtum an Dich verschwendet, zweimal habe ich Dich zum Bettler gemacht und endlich zum Schurken und Betrüger. Mit dem Ringe, den Du mir an Gottes Altar an den Finger stecktest, hast Du die Furien in Dein Haus genommen. Schritt für Schritt habe ich Dein Verderben bereitet, ich brauchte Deine eigene böse Natur ja nur gewähren zu lassen, um Deine Leidenschaften zu nähern. Aber ich habe mehr gethan, denn das genügte mir nicht! hörst Du! diesen Leib, diese Schönheit, nach der Du so rasend begehrt, die Deine Sinne bis zum Wahnsinn reizen konnten, ich habe sie weggeworfen an Deine Feinde! ich habe sie preisgegeben, um Dich zu ruinieren! Und wenn Du in der Züchtlingsjacke Dich krümmst, will ich Dir noch vors Gesicht treten, so oft es geht, und Dir meine Rache in das Gesicht schleudern für das Weh, das Du mir angethan, indem Du mein Liebstes gemordet, und jede Wohlthat, die ich Dir hinwerfe, soll zur giftigen Mahnung werden an die, die Dich haßt und verflucht bis zum letzten Atemzug!«

Sie war, erschüttert von dem gewaltigen Ausbruch der so lange verhaltenen Gefühle, in die Knie gesunken und stützte die Stirn auf den kalten Marmor des Tisches. Ein schmerzliches Stöhnen, als wollte sie ersticken am emporquellenden Blut, dann endlich machte ein Thränenstrom der gequälten Brust, dem gebrochenen Herzen Luft und sie schluchzte laut auf: »Ferdinand! Ferdinand! mein armes verlorenes Kind!«

Polenz war auf dem Stuhl sitzen geblieben, erst sich windend unter den ihn überflutenden Verwünschungen, dann in einer gewissen Regungslosigkeit. Seine Augen starrten vor sich hin, die Entdeckung, daß gerade das angebetete, bis zur Raserei geliebte Weib mit teuflischer Sicherheit seinen Ruin herbeigeführt, daß sie in all den Jahren ihrer für ihn zur Hölle gewordenen Ehe darauf ausgegangen war, ihn zu verderben, betäubte ihn und schien ihn ganz geistesabwesend zu machen.

Erst nach einer Weile, als das Schluchzen der Frau ihn weckte, taumelte er empor und sah wild umher.

Es war, als übe das starke Getränk, mit dem er sich Mut gemacht zu der Unterredung mit seiner Frau, plötzlich seine Wirkung. Seine Augen glühten, sein Gesicht war dunkel gerötet, als er auf die schluchzende Frau zu taumelte.

»Gott verdamm' mich! Du bist mein Weib! ich will mein Vergnügen haben diese Nacht wenigstens, wenn ich denn morgen ins Zuchthaus muß, weil Du mir kein Geld giebst! Zu Bett, Malchen, komm zu Bett, Frau!«

Sie sprang, wie von hundert Nattern berührt empor, als er sie umfassen wollte.

»Zu Hilfe! Franz! wo bist Du? zu Hilfe!«

Der würdige Kommissionär erschien zögernd in der Thür, zu der sie geflüchtet war.

Er war sichtlich etwas angegriffen und erschrocken. »Zum Henker, Male,« sagte er zögernd, »Du machst es ooch zu arg mit ihm. Des kann keen Pferd aushalten. Ick liebe und schätze Amanden zwar sehr, aber wat zu ville is, is zu ville!«

»Wirf ihn hinaus! befreie mich von dem Elenden, wenn Du ein Mann und mein Bruder bist!«

»Sachte, fachte,« sagte der Kommissionär. »Wenn Du's denn mal nich anders willst, aber ick sage Dir, et wird Jeld kosten. Na, kommen Sie man immer mit, Herr Schwager, die frische Luft wird Sie am besten thun.«

Er hatte Polenz am Arm gefaßt; dieser war wie betäubt von dem Eintritt eines Dritten, er stierte wieder mit dem leeren Blick eines Trunkenen oder Geistesabwesenden auf die Geschwister und ließ sich ohne ein Wort der Widerrede hinausführen.

»Gute Nacht, Male,« sagte der Kommissionär, »den Auftrag werde ich besorgen. Morgen früh komm' ich wieder!«

»Geh!«

Er verschwand mit dem Taumelnden in den Salon, indem er ihn mitleidig unterstützte.

Die Frau folgte den beiden mit einem unbeschreiblichen Blick, einem Blick voll Haß, Triumph, Verachtung, und doch auch nicht ohne Mitleid. Dann preßte sie beide Hände auf den Busen, als wolle sie den von der stattgefundenen Scene noch stürmisch wogenden beruhigen.

»Es ist geschehen,« murmelte sie, »Gott im Himmel mag's mir verzeihen, aber ich konnte nicht anders! Du Schatten dessen, den ich allein geliebt habe auf der Welt, Du bist gerächt, schwerer als mit Blut und Tod, und Du, mein süßer Engel, wenn es wahr wäre, wenn es nicht der bloße Trost eines Freundes ist, und Du wirklich noch unter den Lebendigen weilen könntest, o kehre wieder, um mir das einzige Glück zu bringen, für das ich noch leben will!«

Sie warf sich auf ihr Bett, eine Beute der widerstrebendsten Gefühle. – – – – – – – –


Der Kommissionär fühlte wirklich eine Art Teilnahme für seinen Schwager. Obschon er den energischen Charakter seiner Schwester kannte, hatte er doch nie einen solchen Schrecken, ja ein solches Grauen vor ihr empfunden, wie beim Anhören der Scene zwischen ihr und ihrem Gatten. Dies Gefühl war so stark, daß es selbst die anfängliche Lust unterdrückte, durch irgend eine Lüge die Schatulle mit den wertvollen Schmucksachen, die sie ihm anvertraut, sich selbst zuzueignen.

»Die Male hat heute ihren Rappel, daß sie die dumme Geschichte mit dem erschossenen Leutnant Ihnen wieder aufwärmt,« sagte er tröstend zu dem Schweigenden, den er noch immer am Arm führte. »Des wird vorüberjehn, und ich denke, auch mit des Vermögen wird es jrade noch nicht so schlimm stehn, deß Sie sich nich wieder ufrappeln sollten. Sie haben immer en Schwerenots-Glück gehabt, Herr Polenz, und des verläßt den Menschen nich so leichte, der's einmal hat. Mit mir is des eene andere Sache. Aber Sie werden doch gut thun, heute man nich wieder bei der Male sich sehn zu lassen, sie is en wahrer Deifel, wenn sie man ihren Kopp uffgesetzt hat. Kommen Sie, schließen Sie mir man die Hausthür auf, Herr Schwager, deß ich jetzt in anständiger Weise raus kann, und trösten Sie sich man. Amande is manchmal ooch nich bitter!«

Er war bis zur Hausthür gekommen, und schloß sie sich hübsch selber auf, während Polenz dabei stand, ohne eine Hand zu rühren.

»Na, gute Nacht, Schwager, und ich denke, wir bleiben die alten Freunde wie vor zwölf Jahren, Sie werden auf mir keenen Groll werfen, wenn ich auch meiner Schwester beistehen muß. Des is nich mehr als billig!«

Damit schlüpfte er aus der Hausthür, blieb einige Schritt davon stehen, um zu sehen, ob der Schwager ihm nachgehe oder nachschaue, und holte dann aus dem Versteck die Schatulle, mit der er den Weg nach Hause antrat.

Herr Polenz hatte ihm weder nachgesehen, noch war er ihm anfangs nachgegangen. Er blieb vielmehr auf derselben Stelle, wo ihn sein würdiger Verwandter verlassen hatte, eine ganze Weile stehen, immer vor sich hinstarrend, indem er nur von Zeit zu Zeit die gewohnte Bewegung machte und sich in die Haare faßte. Dann endlich trat er aus der Thür, durchschritt langsam den Vorgarten und trat auf die Straße, die promenadenartig an dem Kanal entlang läuft.

Es mochte jetzt etwa 1 Uhr vorüber sein, und tiefe Stille lag über der ganzen Umgegend, nur zuweilen durch den festen Schritt eines Verspäteten oder das entfernte Pfeifen eines Nachtwächters unterbrochen. Es begann zu frieren, und die dünne Eisdecke, die noch unhaltbar für eine Last auf dem Wasser des Kanals und des anstoßenden Bassins lag, verdichtete sich.

Der ruinierte Spieler war halb bewußtlos immer weiter geschritten, ohne Kopfbedeckung, in dem leichten Hausrock. Er schien weder ein bestimmtes Ziel zu haben, noch die Kälte zu empfinden. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen und murmelte einige Worte. Es waren immer dieselben: »Komm zu Bett, Frau, Du bist mein Weib – ich will in Deinem Arm liegen, eh ich ins Zuchthaus muß!«

Dann wieder schlug er ein häßliches Lachen auf und rieb sich die Hände. »Ich wußt' es Wohl, es hat sie tief gepackt, daß ich ihr den Leutnant totgeschossen habe, der die Bürgermädel verführt! Aber ich will den Alten auch totschießen, die Excellenz mit dem weißen Bart, der sich mit weißen Frauenleibern die Gnade und die Gerechtigkeit erkaufen läßt! Ha, wie sie toben wird, wenn ich auch den erschossen habe, aber sie muß gehorchen, sie muß mein sein – sie ist mein Weib!«

Er war auf einen öden, noch ziemlich wüsten Platz gekommen, denselben, auf dem damals François die junge Schweizerin aus dem abscheulichen Wollust-Theater der Madame Wohlbrück geflüchtet hatte. Das große Hafenbassin war wie der Kanal mit einer dünnen unhaltbaren Eisdecke überzogen; einige Schritte von den Ufern ankerten mehrere große Spreekähne, die hier überwinterten, da sie beim Torf- oder Holzbringen der Frost überrascht hatte. Die Schiffer mit ihren Familien bewohnten wie gewöhnlich die Kajüten. In einer derselben schien es noch sehr lebendig zu sein. Die kleinen Fenster im Spiegel waren hell erleuchtet, und lustiger Gesang und Gläserklang schallten heraus.

Ein schwanker Steg ohne Lehne führte vom Ufer nach dem vom Tau und Frost überaus glatten Bord.

Der Elende, der halb bewußtlos, getrieben von den Furien der Angst, der aufgeregten Leidenschaften und des ohnmächtigen Zornes bis hierher gekommen war, stand am Rande des Bassins, gerade dem erleuchteten Schiffe gegenüber. –

Eben erscholl von dort ein altes kerniges Soldatenlied, von einer kräftigen männlichen Stimme vorgetragen, während mehrere andere im Chor einfielen.

»Wie sie jubeln und spotten, die Elenden, als ob ich schon im Zuchthause säße,« murmelte Polenz. »Aber ich will ihnen die Freude nicht gönnen, und ihr auch nicht! Nein, nimmermehr; lieber wollt' ich mich aufhängen. Nur kein Blut, kein Blut – ich mag es nicht sehen wie damals, als er die Arme aufwarf, der Schurke, der schmucke Leutnant in seiner Uniform, der mir ihr Herz gestohlen und ihren Leib. Und wenn er wieder dort vor mir wäre, hoch zu Pferde, wie er winkte mit seinem weißen Tuch, die Büchse an die Wange und dann – –«

» Ferdinand soll leben! Hurra, Ferdinand soll leben! Hoch!« klang es jubelnd aus der Kajüte, und die Gläser klirrten zusammen.

» Ferdinand? Bei der Hölle! so hieß er, und den Namen jammerte sie im Traum, wenn ich wie ein Hund vor ihrer Stubenthür lag, und ihren Schlaf belauschte. Will mich denn alles höhnen? Die Pest über die Schurken, ich schlage ihnen den Schädel ein!«

Und mit drohender Gebärde betrat er den schwanken Steg.

Die Schatten der Wolken, die der noch kurz vorher herrschende heftige Wind an dem Monde vorüber gejagt, flogen noch immer, obschon jener sich fast plötzlich in den unteren Regionen gelegt in phantastischen Gestalten über den öden Platz und die weiße bereifte Eisdecke des Hafenbassins.

Polenz stand auf der Mitte des schwanken Brettes, wenige Schritte entfernt schallten ihm aus der Thür der Kajüte, die trotz des Frostes, wahrscheinlich um frische Luft in das enge von Tabaksqualm und Grogduft erfüllte Gemach zu lassen, etwas geöffnet stand, heiteres Gelächter und laute Worte entgegen.

»Er war ein wackerer Offizier, der Herr Leutnant von Röbel, nach dem der kleine Bursche da in der Wiege heute getauft worden ist,« sagte eine kräftige breite Mannesstimme im märkischen Dialekt, »und möge der tückische Bube, der meinen braven Herrn vom Pferde schoß, in seiner Todesstunde noch büßen für den Mord! Fluch dem feigen Mörder!«

Das krause Haar des Lauschenden sträubte sich in starren Fäden, er schaute mit Entsetzen um sich bei dieser plötzlichen Berufung zu solcher Stunde und an diesem Ort. Es klang wie eine Mahnung des rächenden Jenseits in sein Ohr, das nie sich der Stimme der Reue über die bübische That bisher geöffnet hatte, und er wandte sich hastig auf dem schmalen Brett, um aus dieser Nähe zu fliehen.

Der bleiche Mondstrahl, wie er auf die ihrer Blätter beraubten Bäume mit den bereiften Zweigen, wie er auf die leere Bank am Ufer, auf den Pfahl, um den die Ankertaue sich schlangen, auf die weiße Warnungstafel fiel, formte sich zur linienlosen Gestalt, die sich bewegte im ersterbenden Lufthauch; mit weit geöffneten Augen stierte der Mann auf dem schwanken Brett hinüber – –

Die Thür der Kajüte öffnete sich, der zwischen den scheidenden Männern und Frauen herausfallende Lichtschein mischte sich mit dem Mondstrahl und warf den eigenen Schatten des Elenden weit hin über die weiße Fläche.

»Nun gute Nacht, Kameraden,« sagte der seine Gevattern begleitende Schiffer, »und herzlichen Dank für den Liebesdienst! Wäre der jüngste Herr von Röbel hier, hätte er wohl selbst dem Gottlieb die Ehre angethan und auf den lebendigen Ferdinand die Hand gelegt, wie er sie einst auflegen mußte auf die Wunde des braven Toten zum Gelöbnis, für unsern Herrn und König treu zu leben und zu sterben, wie der Tote ihm treu gestorben war in seiner Pflicht. So wollen auch wir schlichte Leute dem König treu bleiben in seiner schweren Zeit, und die Hand Gottes wird die Untreuen strafen, wie sie noch stets und dauere es noch so lange, den Mörder straft!«

Ein einziger Aufschrei, ein schwerer Fall, die dünne Eisdecke brach unter einem schweren dunklen Körper.

»Um Gotteswillen, Kameraden, zu Hilfe! hier ist ein Unglück geschehen, bring den Schiffshaken herbei, Christian, Licht her, Frau geschwind!«

Der Steg vom Bord zum Ufer war leer, aus der dunklen Öffnung im Eise gurgelte es unheimlich herauf.

Mit zwei Sprüngen war der Schiffer am Land und die nächsten Stufen der Steinwand hinab.

»Ist hier jemand im Wasser? Her mit dem Haken! so wahr mir Gott helfe, da taucht eine Hand auf – in den Kahn, Gevatter, er treibt dorthin unterm Eis!«

Die Wackeren arbeiteten mit Stangen und Rudern, die dünne Eisdecke, unter die der Verunglückte geraten war, einzudrücken, die Frauen schrien um Hilfe, die Notpfeife des Wächters, der eben auf den Platz kam, schrillte dazwischen, in wenigen Minuten waren trotz der späten Stunde zwanzig, dreißig Menschen vom nahen Bahnhofe um den Schauplatz des Unglücks versammelt.

Aber wie rüstig die Braven auch arbeiteten, es vergingen mehr als zehn Minuten, ehe ihre Haken den Körper des Ertrunkenen unter dem Schiffrand faßten und ihn an Bord zogen.

»In die Kajüte mit ihm, gewiß ist er noch zu retten,« befahl der wackere Schiffer Gottlieb Schmidt, vor zehn Jahren der treue Bursche des ältesten Junkers von Röbel. »Schieb die Wiege mit dem kleinen Schreihals zur Seite und legt ihn auf das Bett. Laufe geschwind nach einem Arzt, drüben in der Köthener Straße wohnt einer.«

Sie hatten den Leblosen hereingebracht und auf das Bett gelegt, der Schein der Lampe und des angezündeten Lichtes fiel jetzt voll auf das weiße entstellte Gesicht mit den stieren Augen und dem wirr um den Kopf hängenden nassen Haar.

Der Schiffer fuhr unwillkürlich einen Schritt zurück, als er jetzt im hellen Schein dies Gesicht sah, ihm war, als müsse er es kennen, als schaue es zu ihm herüber aus dunklen Erinnerungen – vor Jahren!

»Wahrhaftig! es ist der reiche Partikulier Polenz, der drüben über'm Kanal wohnt und die hübsche Frau hat,« sagte einer der Eisenbahnbeamten, der mit in die Kajüte getreten war. »Ich kenne ihn recht gut, noch vor drei Tagen ist er mit mir nach Potsdam gefahren, und jetzt liegt er hier kalt und tot. Wie mag das nur gekommen sein?«

»Polenz?« der einfache Schiffer wandte sich schaudernd ab und ergriff die Hand seines Weibes, die den vom Lärm erwachten schreienden Säugling aus seinem Bettchen nahm und ihn an die Mutterbrust legte. »Ja gewiß, so war sein Name, der Kerl, der Franz Günther hat ihn oft genug genannt, daß er so eifersüchtig war um seine Schwester, und ich erkenne ihn wieder, obschon ich ihn nur ein einzig Mal gesehen, damals am Fenster, mitten im Pulverdampf, als er höhnisch die Büchse schwang!«

»Was murmelst Du da, Gottlieb?«

»Nichts, Marie, aber es ist doch seltsam und Gottes Wege sind wunderbar. Gerade am heutigen Abend, wo wir von dem seligen Junker sprachen, und hier bei mir, der ich dem Schurken den Tod geschworen und ihn niemals nicht wieder gesehen hatte!«

Ein Arzt war glücklich gefunden worden und drängte sich im Schlafrock durch den Kreis.

Er legte mit der Gleichgültigkeit seines Berufs die Hand auf die entblößte Brust des leblosen Körpers, dann ließ er den Arm entkleiden und schlug im Gelenk eine Ader.

Es kamen zwei dicke Tropfen schwarzen Blutes, dann nichts mehr trotz aller Versuche.

»Der Mensch ist tot,« sagte der Arzt. »Sparen Sie sich das Reiben, es nutzt zu nichts. Er ist wahrscheinlich vorher sehr erhitzt gewesen und der Schlag hat ihn in dem kalten Wasser getroffen.«

Der Schiffer Gottlieb hielt die Hände gefaltet, während er sich über sein Kind niederbeugte, das den Namen dessen trug, der so sichtbar durch Gottes Hand gerächt worden.



 << zurück weiter >>