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Auf der Brücke von Magenta!

Der Kaiser Napoleon benutzte rasch die errungenen Vorteile, er sah ein, wie gefährdet trotz des Sieges der Piemontesen die Stellung der verbündeten Armee war, wenn der österreichische Heerführer die Entschlossenheit und das kriegerische Genie hatte, mit der ganzen Armee die Offensive zu ergreifen und sich in den Zwischenraum der beiden Stellungen zu werfen. Denn während das 4., 2. und 1. französische Korps bei Novara bereits konzentriert war, General Niel südlich des Orts vorwärts La Bicocca stand, also ungefähr 60 000 Mann dort versammelt waren, blieb das kaiserliche Hauptquartier mit der Garde in Vercelli, standen das 3. Korps und die Sardinier, also 100 000 Mann, bei Palestro. Zwei Meilen Entfernungen trennten die beiden Stellungen.

Dennoch war man am Morgen des 1. Juni im österreichischen Hauptquartier zu Mortara, wenigstens was den Kommandierenden selbst betraf, noch immer unklar über die Stellung und die Absichten des Feindes. Im Laufe des Vormittags ging die Nachricht ein, daß französische Abteilungen bereits bis Vespolate streiften; Oberst Czeschi meldete den Anmarsch der Franzosen auf Novara. Eine Kompagnie Grueber hatte eine Stunde lang die Agognabrücke gegen zwei Brigaden verteidigt. Feldmarschallleutnant v. Zobel und Oberst Kuhn schlugen den Angriff gegen Novara vor, der damals von größtem Erfolg hätte sein können und zu dem die nötigen Truppen durchaus zur Hand waren; aber Graf Giulay hatte keine Lust mehr oder vielmehr kein Vertrauen, Radetzki nachzunahmen. Er beschloß den Rückzug über den Ticino, und die Reservekavallerie wurde am 2. gegen Olengo, die vier Brigaden des 3. Korps bei Vespolate aufgestellt als Schirm, hinter dem die Korps wegmarschieren und über den Ticino nach der Lombardei zurückgehen sollten, das 2. und 7. Korps über Vigevano, das 5. und 8. Korps auf Bereguardo. Das 9. Korps blieb zwischen Pavia und Piacenza.

Am 3. frühzeitig verließ der österreichische Generalstab Garlasco und ging nach Bereguardo.

Hier traf man auf den Feldzeugmeister Heß, den der Kaiser, der am 30. in Verona eingetroffen war, unwillig über die nur andeutungsweise ihm zugekommene Nachricht von dem beabsichtigten Rückzug, sofort mit unbeschränkter Vollmacht ins Hauptquartier gesandt hatte.

Der Mangel an Pferden und die schlechten Wege hatten den General leider verhindert, noch am Abend des 2. Garlasco zu erreichen, er kam erst am anderen Morgen nach Bereguarda und traf, wie erwähnt, hier das Hauptquartier schon auf dem Rückzug. Sofort erfolgte eine ernste Unterredung zwischen dem Boten des Kaisers und seinem Feldherrn in dem Posthause des Dorfes, schon verbreitete sich unter den Truppen die Nachricht, daß Giulay sein Kommando niedergelegt habe und durch Heß ersetzt worden sei und wurde überall mit Freuden aufgenommen. Die donnernden Hurras und Eljens der Soldaten begrüßten den Feldzeugmeister, so oft sein charakteristisches, edles und strenges Soldatengesicht am Fenster sich zeigte.

Heinrich Freiherr von Heß, der Chef des Generalquartiermeisterstabes der österreichischen Armee, zu dieser Zeit bereits ein 71jähriger Greis, aber körperlich und geistig gleich rüstig, war unbedingt der Liebling der Armee nach Radetzkis Tode, und auf ihn hatte sie als Führer gehofft in diesem Feldzug. Er hatte schon die Feldzüge von 1805 bis 1815 mitgemacht und war von 1830 ab die rechte Hand Radetzkis und der Schöpfer der neuen Feld- und Manövrierinstruktion, die der österreichischen Armee eine neue und erhöhte Bedeutung verschaffte. Mit Recht nennt man ihn den Gneisenau des österreichischen Blücher, denn seinem Kopfe entsprangen die Pläne und Entwürfe, welche die Energie Radetzkis so glorreich ausführte. Mit edler Bescheidenheit schrieb der alte Löwe nach jenem glänzenden Feldzug von nur fünf Tagen seinem Kaiser: »Dem Feldmarschallleutnant Heß – ich bezeuge es hiermit von ganzem Herzen – gebührt der bei weitem größte Anteil an den Erfolgen.« 1850 bewährte Heß seinen strategischen Ruf als kommandierender General der österreichischen Armee bei dem orientalischen Kriege gegen die Russen.

Leider erwies sich bald das Gerücht von dem Wechsel des Oberkommandos diesmal noch als unbegründet!

Der alte bewährte Krieger machte kein Hehl aus seiner Meinung, daß, wenn er zeitig genug eingetroffen wäre, er den Rückzug aus der Lomellina nicht zugegeben haben würde, und nach einer ernsten Debatte, zu welcher Oberst Kuhn von Rosate zurückgeholt wurde, eilten die Ordonnanzoffiziere nach Vigevano und Garlasco mit dem Befehl, den Rückzug einzustellen.

Aber das Glück hatte den Fahnen Österreichs bereits den Rücken gewendet und die eingehenden Meldungen zwangen, von dem kräftigen Entschluß wieder abzugehen.

Das 2. Korps hatte schon bei Vigevano den Ticino passiert.

Das 1. Armeekorps unter dem Grafen Clam Gallas war am 22. von Prag aufgebrochen und hatte den Marsch von 200 Meilen über Leipzig, Innsbruck und den Brenner mittels der Eisenbahn in 10 Tagen zurückgelegt. Der Leser wird sich erinnern, daß es von dem unglücklichen Eigensinn des Oberbefehlshabers zuerst gleichfalls nach Piacenza bestimmt war, daß es bei dem Kriegsrat in Garlasco aber dem vorausgeeilten Stabschef, Oberst Pokorny, gelang, den Befehl zur Aufstellung bei Mailand zu erhalten. Seit dem 1. stand Graf Gallas mit der Division Cordon bei Magenta und war durch einige Bataillone anderer Korps verstärkt worden, so daß er über etwa 13 000 Mann verfügte, um dem Feinde den Übergang über den Ticino streitig zu machen, der, wie man jetzt zu spät im österreichischen Hauptquartier erkannte, von Novara aus beabsichtigt wurde und nach den strategischen Verhältnissen zunächst etwa 1½ Meile nördlich von Magenta und der Straße nach Mailand bei Turbigo und bei Magenta selbst über die Chaussee und Eisenbahnbrücken durch das tiefe Thal des Ticino erfolgen konnte.

Die Straße und der Eisenbahndamm von Novara nach Magenta überschreiten etwas mehr als eine halbe Meile westlich von Magenta die Arme des Ticino bei San Martino. Es ist dies die Ponte nuova di Boffalora. Chaussee und Eisenbahn teilen sich dann und laufen in kurzer Entfernung durch einen ziemlich tiefen Thalgrund mit hohem Geländer bis zum Naviglio grande, dem großen, breiten Schiffahrtskanal, der von Lonato her an dem östlichen Ufer des Ticino bis Abbiato Grasso, etwa eine Meile unterhalb Magenta läuft und sich dann östlich nach Mailand wendet. Über diesen Kanal, etwa ¼ Meile vor Magenta, führen die Heerstraße mittels der Ponte Nuovo di Magenta, die Eisenbahnbrücke und weiter abwärts die Ponte vecchio di Magenta, die Brücke der alten Straße mit einer kleinen Ortschaft gleichen Namens auf beiden Seiten des Kanals.

Etwa 2000 Schritt oberhalb der Ponte nuovo, d. h. der Chaussee, liegt das Dorf Boffalora, auch auf beiden Seiten des Kanals.

Magenta ist ein unbedeutendes offenes Städtchen.

Unterhalb der Ponte vecchio, d. h. etwa eine halbe Meile unterhalb der Eisenbahn, liegt auf dem Wege nach Abbiate Grasso am westlichen Ufer des Naviglio der Ort Robecco.

Der Graf Clam Gallas hatte eine Division gegen Turbigo vorgeschoben und mit einigen Bataillonen den mit mehreren schweren Geschützen armierten Brückenkopf von San Martino (auf dem westlichen Ufer des Ticino) besetzt.

Sobald er jedoch Kunde bekam, daß die Franzosen im Norden gegen Turbigo anrückten und dort Vorbereitungen zum Brückenschlag machten, glaubte er den Brückenkopf bei San Martino nicht mehr verteidigungsfähig und räumte, ohne irgend wie angegriffen zu sein, in der Nacht zum 3. denselben so eilig, daß ein Teil der Geschütze und Munitionswagen darin zurück blieb und von den Franzosen, als sie am Vormittag endlich einrückten, zu ihrem Erstaunen vorgefunden wurde.

Man hatte für einen solchen Fall Anstalten getroffen, die Brücke in die Luft zu sprengen. Aber hier zeigte sich wieder das Verderbliche der bevormundeten Kriegsführung, die der tapferen österreichischen Armee schon seit der Hofkriegskanzlei zu Wallensteins Zeit manchen Sieg entrissen oder erschwert hat. Das Geniekomitee in Wien hatte sich die Mühe gemacht, eine Berechnung der zur Sprengung dieser besonders festen, ganz von Quadern für den Übergang der Chaussee und der Eisenbahn gebauten Brücke nach Italien zu senden und genau auch nur dieses Quantum Pulver war dem mit der Sprengung beauftragten Genieoffizier geliefert worden. Da dieser aber auf Befehl des Korpskommandos auch noch einige andere kleine Objekte sprengen sollte, nahm er von diesem Pulver, in der Voraussetzung, die Sprengung der Brücke sei noch nicht so eilig, und es werde sich das Fehlende leicht von Mailand herbeischaffen lassen.

Jetzt drängte plötzlich der Feind heran, die in zwei Pfeilern liegenden Mienen wurden entzündet, aber die Explosion vermochte nur, den zwischenliegenden Bogen zu erschüttern, ohne ihn einzustürzen, und die Brücke blieb für die Infanterie des Feindes passierbar und wurde mit geringer Reparatur auch bald für die Artillerie wieder fahrbar gemacht.

Die Meldung dieses Unfalls, den das Korpskommando keinen Versuch machte, oder nicht mehr machen konnte, zu verbessern, nach dem Hauptquartier in Belleguardo war es hauptsächlich, die Heß bestimmte, nunmehr auch der rückgängigen Bewegung der Armee seine Zustimmung zu geben, da sie jetzt eine Notwendigkeit geworden war. Von diesem Augenblick an blieb der alte Soldat nur als Zuschauer der nächstfolgenden Ereignisse bei der Armee, als »Volontär«, wie er sich ausdrückte; er hatte mit Recht keine Lust, seinen Kriegsruhm hier noch aufs Spiel zu setzen.

Die Ausführung der ersten Dispositionen wurde daher ins Werk gesetzt.

Es war der ursprüngliche Plan, die Armee in der Flanke der Mailänder Straße zu konzentrieren und hier die Franzosen zu erwarten. Aber in diesem Fall hätte man nicht am 4. schlagen dürfen, da die Truppen noch nicht heran waren, und Clam Gallas mußte die Anweisung erhalten, sich angegriffen auf Abbiate Grasso und das Hauptkorps zurückzuziehen, statt daß er den Kampf aufnahm und einzelne Korps ihm zu Hilfe gesandt wurden, um sich vereinzelt schlagen zu lassen.

Ebensowenig war die Schlacht wohl die Absicht des Kaisers der Franzosen; denn unmöglich konnte er erwarten, den Übergang bei San Martino ohne Widerstand unternehmen zu können, er hoffte denselben vielmehr erst durch das Anrücken Mac Mahons von Norden ermöglicht zu sehen. Darum war auch die Stellung der Franzosen zwischen Novara und San Martino, also auf dem rechten Ticinoufer zuerst mit der Front gegen Süden gerichtet, weil sie von Vigevano her ein Vordringen der Österreicher erwarteten. In Magenta sollten die Divisionen der Garde sich mit dem Korps Mac Mahons und den Sardiniern vereinigen. Da am 3. beide Übergänge ohne Kampf in den Händen der Verbündeten waren, konnten diese schwerlich noch daran denken, in Magenta Widerstand zu finden, und der König Viktor Emanuel erließ seine Einladungen zu einem großen Diner dahin für den nächsten Tag.

So leicht sollte ihm die Prahlerei freilich nicht werden, er hätte denn unter Haufen von Leichen sein Gastmahl halten wollen!

Die Division Camou war bereits am Abend des 2. bei Ponte di Turbigo angelangt und hatte eine Brigade Gardevoltigeurs auf Pontons übergesetzt, ohne einen Feind zu treffen. General Leboeuf leitete den Brückenbau über Nacht. Die Voltigeurs unter Oberst Mongin besetzten sofort die Navigliobrücke und schoben ihre Posten nach Süden vor. Am Morgen war die Ticinobrücke fertig, Mac Mahon verließ um 8½ Uhr Novara und traf gegen Mittag im Dorfe Turbigo ein. Von dem Turm des naheliegenden Robechetto aus nahm er die Gegend in Augenschein, als man eine anrückende feindliche Kolonne bemerkte. Der Erstürmer des Malakoff hatte kaum noch Zeit genug, mit seinen Begleitern die Pferde zu erreichen und davon zu jagen, ehe die Österreicher das Dorf besetzten. Zehn Minuten später wäre er gefangen gewesen.

Mac Mahon erteilte dem General Motterouge den Befehl, das Dorf mit drei Bataillonen der algierischen Tirailleurs anzugreifen und sandte die anderen Regimenter seiner Divion nach.

Die Turkos, wie die algierischen Tirailleurs zum Unterschied von den Zuaven von den Italienern und Österreichern genannt wurden, stürzten sich in drei Kolonnen, ohne einen Schuß zu thun, auf das Dorf, von einer Batterie der Korpsreserve unter General Auge unterstützt. Sie wurden mit einem lebhaften Gewehrfeuer empfangen, drangen aber mit dem Bajonett ein und erwiderten dann erst das Feuer in die dichtgedrängten Trupps der Gegner.

Bereits in seinem Tagesbefehl an die Armee aus Genua am 12. Mai hatte der Kaiser Napoleon gesagt:

»Die neuen gezogenen Waffen sind nur gefährlich, so lange ihr ihnen fern bleibt; sie werden nicht hindern können, daß das Bajonett, wie sonst, die furchtbare Waffe der französischen Infanterie bleibe.«

Und dies war es eben, was die französischen Generale hauptsächlich dem Feinde entgegenstellten, das Treiben zum Gemetzel, zum »Krieg aufs Messer«, das rücksichtslose Hineinwerfen und Opfern von Menschenleben! Darum auch möglichst die auf dies Gemetzel dressierten wilden Horden der algierischen Armee voran!

Von diesen, den Zuaven und Turkos, wurde eine Kampfart verfolgt, die mehr der Grausamkeit und Hinterlist der Wilden, als der bisherigen Kriegssitte civilisierter Nationen glich. Der schon wehrlose Verwundete und Gefallene wurde noch durchbohrt; ihre anscheinenden Toten kamen plötzlich wieder zum Leben, sobald sich ihnen der Feind arglos näherte, schossen die Offiziere nieder und entflohen; zuletzt wurde auch auf seiten der Österreicher die Schonung aufgegeben und das Handgemenge damit um so grausamer geführt.

Diese wilde haßvolle Kampfführung erstreckte sich bald nicht bloß auf die beiderseitigen Krieger.

In Palestro schossen die Bewohner, die beim Einmarsch den österreichischen Truppen mit der größten Freundlichkeit entgegengekommen waren, aus den Fenstern auf die Jellacicjäger, als sie nach dem zweiten Sturm Palestro räumten. Die Jäger drangen in die Häuser und übten hier blutige Vergeltung. In einem der Nachbarorte hatten die Bewohner sogar die österreichischen Verwundeten mit Knitteln erschlagen.

Es läßt sich denken, wie das alles die gegenseitige Erbitterung steigerte.

Haus um Haus, Schritt um Schritt nur zogen sich im wütenden Kampf die Österreicher zurück, nach halbstündigem Kampf war Robechetto von den Turkos genommen, die blauen fliegenden Gewänder und weißen Turbane deckten mit den weißen Röcken der Österreicher die Straßen.

Während der Kampf noch im Dorf wütete, und als eben das 65. französische Regiment unter Oberst Drouchot das Plateau des Thalrandes erstiegen hatte, den Österreichern in die Flanke zu fallen, zeigte sich Kavallerie von Castano her vom mobilen Korps des Feldmarschallleutnant Urban und drohte den Franzosen in den Rücken zu fallen. Mac Mahon ließ Geschütz gegen sie auffahren und das 65. Regiment sich gegen sie wenden. Die österreichischen Reiter mußten Kehrt machen.

General Cordon zog sich fechtend auf Malvaglio zurück. Seine linke Flanke war am Navaglio auf die Gardevoltigeurs gestoßen und auch dort von der bedeutenden Übermacht zurückgedrängt worden.

General Cordon trat seinen Rückzug auf Cuggiono an, ein demontiertes Geschütz in den Händen des Feindes lassend; Mac Mahon blieb seiner Instruktion folgend auf dem okkupierten Terrain stehen, die Division Motterouge voran, die Division Camou dahinter. Bereits waren auch die Sardinier in der Reserve.

So endete der Tag des Dritten. –

Wir haben bereits erwähnt, daß der Kaiser Napoleon nach der Okkupation der beiden Ticinoübergänge unmöglich noch einen ernsten Widerstand bei Magenta bei dem für den 4. bestimmten Übergang der Hauptarmee erwarten konnte und glauben mußte, daß der Gegner erst am 5. oder 6. eine Schlacht vor Mailand liefern werde.

Am Morgen des 4. stand Mac Mahon auf etwa ¾ Meilen nördlich von Magenta mit dem 2. Korps und einer Division Garde als Soutien die ganze piemontesische Armee.

Ihm gegenüber stand anfangs bloß eine österreichische Brigade der Division Cordon. Zur Unterstützung wurden die Brigade Baltin (nach Boffalora) und die Brigade Kudelka (nach Cascina nuova) vorgeschoben. Drei österreichische Brigaden hatten demnach drei französischen Divisionen, also der doppelten Übermacht, den Weg zu verlegen.

Um Magenta bis hinter Robecco standen die drei Brigaden Reznicek, Szabo Burdina und Kintzl. Bei Beginn des Kampfes disponierte Graf Clam Gallas demnach um Magenta über etwa 30 000 Mann gegen 80 000.

Die Division Reischach stand mit den Brigaden Gablentz und Lebzeltern westlich bei Corbetta, etwa ¾ Meilen, die Division Lilia mit den Brigaden Weigl und Dondorf bei Castelletto südöstlich, etwa 1¼ Meile entfernt. Ebenso im Süden das 3. Korps Schwarzenberg. Es waren demnach für den Kampf etwa 70 000 Mann verfügbar, aber eben wieder in etappenweisen Stellungen. Die Korps Stadion und Benedek waren am Morgen 2½ und 3½ Meilen entfernt.

Um 9½ Uhr morgens traf die 2. Brigade der französischen Gardegrenadiere unter General Wimpffen – es standen in diesem Kriege zwei Wimpffen einander gegenüber – von Trecate an der Brücke von San Martino ein und ging nach dem linken Ufer über. Die vorgeschobenen österreichischen Tirailleurs und Geschütze wurden bald aus dem Flußthal bis über den Naviglio zurückgedrängt. Gegen Mittag folgte die Gardebrigade Cler mit dem Divisionsgeneral Mellinet und dem Korpkommandanten der Garde, dem alten General Regnault de St. Jean d'Angely, der schon den Feldzug von 1812 mitgemacht und im griechischen Befreiungskampf als Freiwilliger gefochten hatte. Der Kaiser, der bereits selbst an der Brücke auf San Martino angekommen war, wartete mit Ungeduld auf das Signal, daß Mac Mahon von Turbigo her den Angriff begonnen hätte.

Der künftige Herzog von Magenta war in der That um 10 Uhr aufgebrochen und rückte mit seinen vier Divisionen gegen Boffalora und Magenta. Bei Casale traf er um etwa 1½ Uhr zuerst auf den Feind. Die Österreicher räumten nach kurzem Gefecht den Weiler. Bald entspann sich der Kampf auf der ganzen Linie nördlich von Magenta. Die 1. Brigade der Division Motterouge, die Turkos und das 45. Linienregiment unter Oberst Manuello griffen Boffalora an.

Sobald der Kaiser Napoleon das Feuer Mac Mahons hörte, befahl er, obschon sie hier noch einer Übermacht entgegenstanden, den Angriff auf den Naviglio durch die Gardedivision Mellinet. Zugleich wurden Adjutanten ausgesandt, die Korps Niel und Canrobert zu suchen und zur Beschleunigung des Anmarsches anzutreiben.

Die Österreicher hatten eine starke, sehr günstig gelegene Batterie auf dem Monte rotondo, nördlich des Dorfes, errichtet, deren Feuer vernichtend wirkte. Die Häuser am linken Ufer des Kanals waren zur Verteidigung eingerichtet, ein heftiger Kampf entspann sich. Die Brigade Baltin, zwei Bataillone vom Linieninfanterieregiment Hartmann unter seinem Obersten v. Carnelius bewährte glänzend seinen mehr als hundertjährigen Ruf. Ebenso tapfer wehrten sich die mährischen Jäger. Die französischen Grenadiere bogen links vom Wege, drangen durch das feindliche Feuer, stürzten sich in den Kanal, der das Dorf umgiebt, übersprangen die Mauern und kletterten wie die Katzen an den Weinspalieren in die Höhe, oder versuchten, einer auf dem andern, in die Fenster der Häuser zu dringen. Aber sie wurden zurückgeworfen, die Bärenmützen deckten den Boden, das Feuer der Jäger wütete vernichtend unter den Franzosen, mehrere Häuser gingen in Flammen auf; die Grenadiere vermochten nicht, weiter vorzudringen.

Unterdes hatte der Kaiser das 3. Garde-Grenadier-Regiment, seine Lieblinge von Saint-Cloud auf dem Eisenbahndamm vorrücken lassen. Das Regiment warf sich rechts in die Wiesen, erstieg Ponte vecchio di Magenta, gegenüber dem Thalrand, und griff das von den Feinden verschanzte Dorf an.

Hier hatten die Ottochaner Grenzer vor der Eisenbahnbrücke eine kleine Schanze aufgeworfen, ein Bataillon Wasa stand dahinter. Die Brigade Szabo: Erzherzog Wilhelm Infanterie und das 7. Feldjäger-Bataillon verteidigt Pont nuovo und die Naviglio-Linie, unterstützt von der Brigade Kudelka, zwei Bataillone der Brigade Kintzl halten Ponte vecchio besetzt. Der Rest dehnt sich bis Robecco aus.

Auf diese Truppen trafen die 3. französischen Grenadiere, gefolgt von dem 1. Regiment, das sich gedeckt gegen das Feuer der Österreicher rechts vom Eisenbahndamm bei Bovica aufstellte, um gegen einen Angriff von Süden her Front zu machen. Zugleich warf sich das Garde-Zuaven-Regiment unter Colonel Guignard in eine Terrainfalte der Chaussee. Nur zwei französische Geschütze konnten auf dieser das Feuer der Feinde beantworten.

Die 3. Grenadiere drangen mit unwiderstehlicher Heftigkeit vor, die Bataillone von Kintzl hielten nicht stand und wurden aus dem Dorfe und über die Brücke (ponte vecchio) zurückgedrängt. Der Befehl zur Sprengung der Brücke erfolgte, aber es war zu spät. Leutnant Fayet de Montjoye stieß dem Unteroffizier, der eben die Leitung anzünden wollte, seinen Säbel in die Brust; mit den Ungarn und Jägern zusammen drangen die Grenadiere über die erstürmte Brücke ans linke Ufer und breiteten sich sofort hier aus, die Dämme zum Schutz benutzend. Aber weiter vermochten sie trotz aller Tapferkeit nicht vorzudringen, immer und immer wieder warf sie das Feuer der braven Jäger zurück.

Während seine Grenadiere sich an der Brücke festsetzen, läßt Oberst Metmann ein Bataillon unter Oberstleutnant de Tyron am westlichen Ufer des Kanals im Laufschritt auf Ponte nuovo di Magenta, die Chausseebrücke, vorgehen und die beiden Stationshäuser an diesem Ufer des Naviglio angreifen. Man schlägt sich mit Erbitterung, die Österreicher werden aus den beiden Häusern geworfen, sie weichen »raufend« Schritt um Schritt über die Brücke und halten ihre Gegner mit scharfem Feuer zurück. Die Grenadiere wollen ihnen folgen, aber sie werden dreimal geworfen. Oberstleutnant Kleinert weist heldenkühn mit seinem Geschütz die Angriffe der Garden zurück, die Kugeln der Jäger schlagen in ihre Reihen – an der Brücke steht der Kampf!

Diesen Augenblick benutzt der Führer der in der Tiefe an der Chaussee versteckten Garde-Zuaven. Oberst Guignard giebt das Zeichen, die Bataillone »Pissonet de Bellefonds«, »Weißenburger« stürzen sich vorwärts und stürmen heran.

»Zündet die Lunte! Hurra!«

Aber es ist keine Lunte da, die in den Brückenpfeilern angebrachten Minen sind noch nicht einmal geladen, das Pulver steht in Fässern sogar noch in den Häusern jenseits der Brücke, die bereits von den Grenadieren genommen sind, und die Zuaven sind bereits zur Stelle!

»Verflucht!«

» Vive l'Empereur,« das kurze Horn ruft seine melancholischen Takte zum Sturm, rechts und links werfen diese Teufel ihre eigenen Kameraden, die Garden, vom Damm. » En avant! en avant!« Leutnant Richaud ist der erste auf der Brücke, er fällt! Gauter, Rapp, springen an seine Stelle, beide sinken verwundet. Kapitän Vial de Sablincy schwingt den Säbel: En avant chacaux! – er stürzt! aber Renauld, Maisonneuve fassen Fuß mit ihren Braven, sie sind über die Brücke, sie dringen in das Haus zur Rechten; was nicht durch die Fenster springt, wird niedergestoßen; das Blut rinnt wie ein Bach über die Schwellen.

Aber es ist nicht genug, das Haus rechts zu haben; um die Brücke halten zu können, muß man auch das zur Linken besetzen, und schon rücken die Reserven des Liechtensteinschen Korps heran und das Feuer der Österreicher aus den Fenstern und Schießscharten des Hauses ist furchtbar.

Mit der Todesverachtung, welche diese Tollköpfe auszeichnet, stürzen die Zuaven noch einmal auf den Feind. Von hüben und drüben knallt es aus den Fenstern, der Pulverdampf verhüllt Freund und Feind, die roten Hosen und blauen Jacken decken förmlich den Boden der Straße; über die Leichen der Ihren, die noch im Tode einen wilden Fluch gegen den Feind geschleudert, treiben die Kapitäne, die Offiziere, sie immer wieder gegen das Haus; Caurigny fällt, die Zuaven klimmen einer auf des andern Schultern zu den Fenstern empor, und stürzen von Kugel und Bajonett getroffen, zurück, immer und immer wieder werden sie zurückgeworfen, und immer und immer wieder stürzen sie heran; der Arm erlahmt von der gräßlichen Blutarbeit, die Jäger haben keine Patronen mehr, man schlägt und stößt sich mit den Kolben, man beißt sich wie die Bestien der Wildnis noch im Todesringen auf den Stufen der Treppen, in dem dichten Qualm ist kaum Freund von Feind zu unterscheiden! – da donnert der Ruf » Vive l'Empereur!« aus den Fenstern des Hauses, die Zuaven sind eingedrungen, gräßlich wütet der Mord, kein Pardon wird gegeben, niemand verlangt ihn! jeder einzelne ein Held, sterben die Grauröcke zwischen den kugeldurchlöcherten Wänden, die sie so tapfer verteidigt haben.

Auch das zweite Zollhaus ist in der Gewalt der Franzosen.

Die französischen Geschütze fliegen auf der Chaussee herbei, von jenseits des Naviglio den Kampf mit der Artillerie der Gegner aufzunehmen. Clam Gallas selbst sprengt an den Platz, Oberst Herle leitet das Feuer, Graf Mengersen fällt. – Es ist zwei Uhr! Vergebens sieht der Graf sich nach der Hilfe um, die der Rittmeister Prinz Ahremberg aus dem Hauptquartier holen sollte. Viel zu spät hatte der Feldmarschall-Leutnant seine gefährliche Lage erkannt und die Meldung um Beistand nach Abbiate-Grasso gesandt. Sie ist um 12¼ Uhr dort eingetroffen, um 2 Uhr erst setzt sich der Feldzeugmeister zu Pferde, nachdem das 3. Korps (Fürst Schwarzenberg) Befehl erhalten hat, nach Robecco vorzurücken. Er muß erst sein Diner in Ruhe vollenden! Zugleich erhält die Division Lilia des 7. Korps Order, von Castelletto nach Corbetta, also nicht in das Gefecht, sondern östlich von Magenta zu rücken. Das 5. und 8. Korps sollen ihren Marsch – 2½ und 4 Meilen, beeilen!

Zum Glück hatte Graf Clam den Feldmarschall-Leutnant Reischach, dessen Division hinter Magenta bei Corbetta steht, von seiner Not direkt benachrichtigen lassen.

Da geht die Nachricht ein, daß die Brigade Baltin nicht länger Boffalora zu halten vermag. Während das 2. Grenadier-Regiment noch immer von Westen, vom Naviglio her das Dorf bestürmt, hat die Brigade Lefevre: die Turkos, das 45. und 65. Linien-Regiment, von Norden her den Angriff begonnen. Durch den Verlust von Ponte nuovo ist die Brigade Baltin in Gefahr, abgeschnitten zu werden; Graf Clam befiehlt die Räumung, er zieht das 1. Korps in der Richtung von Cascina nuovo zurück. Dort stellen sich die Brigaden Burdina und Rezniczek den Feinden entgegen.

Mac Mahon läßt das 2. Garde-Grenadier-Regiment und das 70. Linienregiment unter Colonel Douay Boffalora besetzen und schickt die Division Motterouge zur Verfolgung. Die erste Brigade, das 45. Regiment stürmt das Gehöft, vergebens leisten die beiden ungarischen Regimenter »Wasa« und »Erzherzog Joseph« und das 2. Feldjäger-Bataillon kräftigen Widerstand, der Oberst der Jäger fällt, auf seiner Leiche kämpft man um die Fahne, sie wird den Jägern entrissen! Mit Verlust vieler Gefangenen müssen sich die Österreicher zurückziehen, aber der Erfolg hat auch den Franzosen schwere Opfer gekostet, die Division Motterouge ist völlig aufgelöst, sie muß aus dem Feuer gegen Boffalora zurückgezogen werden, um sich erst wieder zu sammeln und auf die Garden Camous zu stützen.

Das Feuer der Franzosen schweigt auf der ganzen Linie, Mac Mahon hat seine Truppen zurückgezogen, nur die Tirailleure beider Parteien schießen noch.

Es ist drei Uhr; kurz vorher ist Giulay in Magenta angekommen.

Die Brigaden Liechtensteins haben sich nach dem Fall von Boffalora von Ponte nuovo zurückgezogen und so den 3. Garde-Grenadieren und den Zuaven Luft gegeben.

Der Kaiser Napoleon hält auf dem Eisenbahndamm von San Martino, er sendet Adjutanten auf Adjutanten aus, um Niel und Canrobert herbeizuholen, denn er begreift seine gefährliche Lage; er steht mit 8000 Garden einer bedeutenderen Macht entgegen, als er gedacht, die mit jedem Augenblick verstärkt werden und über ihn herfallen kann. Aber General Niel hat, der Disposition nach, in Trecate Biwaks bezogen, und Canrobert ist eben erst von Novara aufgebrochen. Nur die Brigade Piccard: das 8. Jäger-Bataillon und das 23. und 41. Linienregiment ist zur Hand. Sie überschreitet um 2 Uhr die Ticino-Brücke und wendet sich rechts von Ponte nuovo, um die Flanke der Division Mellinet zu decken und das 1. Grenadier-Regiment abzulösen.

Der Kaiser ist in größter Besorgnis, das gänzliche Schweigen des Feuers im Norden läßt ihn in Ungewißheit, ob Mac Mahon, auf den er so sehr gezählt hat, den Kampf aufgegeben, ob er zurückgedrängt ist. Keine Nachricht kommt von dort. Er weiß nicht, was beginnen!

Diese Gefahr sollte noch erhöht werden. Die Ankunft der Brigade Piccard reißt General Cler zu einem kühnen Versuch hin. Er befiehlt Colonel Auzony, ihm mit zwei Bataillonen des 23. Regiments zu folgen, setzt sich an die Spitze der 3. Grenadiere und Zuaven, welche Ponte di Magenta erstürmt, läßt das 1. Grenadier-Regiment den Angriff unterstützen und dringt über die Brücke vor; die Zuaven breiten sich an den Dämmen aus, eine Eskadron Chasseurs à cheval und vier reitende Geschütze sprengen über die Brücke, und die Kolonne der Franzosen stürzt sich wie ein unwiderstehlicher Strom gegen Magenta.

Das Regiment Wasa, schon decimiert durch den Kampf vorher, leistet nur schwachen Widerstand. General Burdina von Löwenkampf, der Führer der Brigade, der bei Custozza, bei San Lucia und Novara sich ausgezeichnet, wird der Schenkel zerschmettert. Sein Kaiser kann ihm zu Verona nur den Orden »Eiserne Krone« aufs Sterbebett legen, nicht den Tod aufhalten. Alles weicht bis an die Cascinen, die Vorgehöfte, von Magenta zurück; hier erst stellt sich der Kampf wieder, und Bataillone von Burdina, Baltin und Kudelka schlagen sich vereinzelt mit den Garden.

Der Feldzeugmeister Giulay ist um 3 Uhr auf dem Kampfplatz eingetroffen; er befiehlt, daß die Division Reischach vorrücke und Ponte nuovo wieder nehme; dann eilt er nach Robecco, um dort einen Flankenangriff mit dem anrückenden Korps Schwarzenberg zu ordnen.

In Magenta selbst herrscht grauenvolle Verwirrung. Alles Fuhrwerk, das man auf der Chaussee zwischen Ponte nuovo gelassen, drängt sich am Eingang des Städtchens mit den zurückgeworfenen Truppen, während die französischen Granaten bereits in die Straßen einschlagen.

In diesem Augenblicke erscheint die Tête der Division Reischach, die Brigade Gablentz.

Aber das Thor ist versperrt, es ist unmöglich, zu debouchieren.

Der sächsische Freiherr, so gefällig und hofmännisch sonst in seinen Formen, versteht auch ein Mann zu sein im Augenblick der Gefahr, seine höflichen, honigsüßen Reden werden dann zum kurzen, harten Befehl. Was alle Anstrengungen der »Vorgewaltigen« nicht zustande bringen können, vermag sein Wort. Rasch packen die tapfern »Grüber« und die Kaiserjäger an, rücksichtslos wird alles zur Seite geworfen, Wagen, Pferde und Menschen, Munition und Train, in zehn Minuten ist eine Bahn gebrochen, die Brigade debouchiert und stellt sich à cheval der Chaussee. Sofort setzt sich General Reischach selbst an die Spitze und führt sie zwischen den kämpfenden Bataillonen gegen den Feind. Oberst Ceschi, der sich solange an der Sesia geschlagen, wirft sich mit seinen Grübern auf die Grenadiere und Zuaven, die französischen Garden werden geworfen, unaufhaltsam geht ihre Flucht zum Naviglio zurück. Überall ermunternd, die Truppen ins Feuer treibend ist der Freiherr.

Major Sieberer führt das 3. Bataillon des berühmten Tiroler Jäger-Regiments, der »Kaiser-Jäger«. Die braven Tiroler sind so »schneidig« zum Raufen, daß es eine Freude ist. Keine Kugel aus ihrem Stutzen verfehlt das Ziel, die Bärenmützen, die roten Turbane fallen wie die Fliegen. Überall finden die braven Schützen ihre Deckung, mit der Schnelligkeit der Gemse, mit dem Auge des Adlers, ihrer Berge und Firnen wissen sie jede Blöße zu benutzen. Schon sind die Franzosen bis gegen die Brücke zurückgedrängt, da sieht Leutnant Lantschner eine der feindlichen gezogenen Kanonen auf seine vordringende Kolonne gerichtet. »Zu mir, Jäger vorwärts!« ruft er und stürzt sich auf das Geschütz, das die Artilleristen eben zum Feuern fertig gemacht. Sie wenden sich gegen ihn, sie wollen über ihn her, aber sein Säbel blitzt im Kreise und im nächsten Augenblick sind seine Tiroler bei ihm und schlagen den Kanonier mit der Lunte zu Boden. Hurra! das Geschütz ist genommen! die Bedienung ergiebt sich; nur einem gelingt es, zu entfliehen!

General Cler, der, wütend über das Entreißen des gewonnenen Sieges, seine Garden mit Säbelhieben zurücktreibt, fällt von einer Kugel durchbohrt, es ist jetzt kein Rückzug mehr, es ist eine Flucht! In diesem Augenblick bricht General Cassaignolles mit der Eskadron de Mazag von den Gardejägern zu Pferd (früher das 4. Regiment Chasseurs d'Afrique) von der Brücke vor, rücksichtslos die Masse der Weichenden spaltend, und wirft sich mit Todesverachtung auf die verfolgenden Tirailleurschwärme. Aber nur einen Augenblick vermag der ritterliche General sie aufzuhalten. In fünf Minuten ist die kleine Schar von 110 Reitern auf kaum sechzig geschmolzen, und sie jagen im Karriere über die Brücke, in den Schutz der Stationshäuser zurück.

Dennoch hat die heldenmütige Aufopferung der kleinen Schar wenigstens so viel erreicht, daß die flüchtenden Grenadiere und Zuaven Zeit gewinnen, sich wieder in den Stationshäusern jenseits der Brücke festzusetzen; die auf dem östlichen Ufer nehmen die Jäger, ein heftiges Feuer entspinnt sich über die Brücke hin, über die keine der Parteien vorzudringen vermag.

Während das Gefecht in der Front wütet, haben auf dem mit Leichen und Verwundeten übersäeten Wege die in ihrer Aufopferung und Pflichttreue keine Gefahr kennenden Ärzte bereits ihre fliegenden Ambulancen aufgeschlagen.


Während die Brigade Gablentz gegen Ponte nuovo vordrang und die Garden siegreich zurückwarf, war die Brigade Lebzeltern, das Regiment »Kaiser Franz Joseph« Nr. 1 angetreten, um sich gegen Boffalora zu wenden. Aber es waren erst zwei Bataillone beisammen, als der wiederholte Befehl zum eiligen Vormarsch kam. Das 3. Bataillon sollte folgen – das Grenadier-Bataillon bei Magenta als Reserve zurückbleiben.

Mit wieder ganz ungenügenden Kräften, zwei Bataillone gegen zwei Regimenter und Artillerie, sollte eine feste Stellung genommen werden.

Unbeirrt, treu ihrer Pflicht, marschierten die wackern Schlesier, das Regiment hatte seinen Haupt-Ergänzungsbezirk in Troppau, vorwärts. Die vorausgeschickten Offiziere finden auf weiter Strecke keinen Feind, Jäger der Brigade Gablentz zeigen ihnen die Direktion, so kommt man am Naviglio, dann endlich am Dorf an und wird von einem heftigen Feuer begrüßt. General Lebzeltern, da er keine Artillerie bei sich hat, den Kampf vorzubereiten, führt das eine Bataillon selbst zum Sturm vor; er wird durch die Schulter geschossen und muß sich zurückführen lassen. Die Bataillone machen ihrem Namen Ehre, sie dringen bis in die Mitte des verschanzten Dorfes vor! Zurückgeworfen kehren sie wieder! Alles vergeblich, die Bataillone sind zu schwach, den Ort zu halten, sie können den Feind nicht aus den Häusern werfen und müssen zurück!

Während man so vergebens versuchte, Boffalora mit ungenügenden Kräften wieder zu nehmen und die Brigade Gablentz am Ponte nuovo sich mit den zurückgeworfenen französischen Garden schlug, dauerte das Gefecht am Ponte vecchio fort. Ein Teil des Liechtensteinschen Korps ist decimiert zurückgezogen; ein anderer schlägt sich noch. Mit der brennenden Cigarre im Munde, dem Tode Trotz bietend, als sei der dichte Kugelregen ein fröhliches Ballspiel, ermunterten die Offiziere die Soldaten.

Das 3. österreichische Armee-Korps ist unterdes im Anmarsch auf Robecco und ein Angriff auf beiden Ufern des Naviglio auf die französischen Grenadiere bei den Brücken muß in diesem Augenblick höchst verderblich wirken, indem er sie von der Chaussee ab nach dem Fluß zurückdrängt.

Dies erkennt der Feldmarschall-Leutnant Fürst Schwarzenberg. Da die Tête seines Korps noch nicht heran ist, und dessen Anmarsch auf den schmalen Feldwegen noch lange Zeit dauern muß, setzt er sich an die Spitze der jetzt bei Robecco stehenden Brigade Kintzl und führt sie auf dem westlichen Ufer des Naviglio gegen den Feind.

Er stößt auf die Bataillone Piccards!

Das Regiment, Veroneser, hatte ausdrücklich um die Vergünstigung gebeten, an dem Feldzug teilnehmen zu dürfen und sie erhalten, während die andern italienischen Regimenter nach dem Innern Deutschlands geschickt worden waren.

Jetzt bewährt sich schlecht das Vertrauen! Vergebens geben der Oberst Chevalier Depaix und seine Offiziere das Beispiel des aufopfernden Mutes, vergebens reitet Fürst Schwarzenberg selbst den Bataillonen voraus bis in die Tirailleurkette, sie kommen, sie wollen nicht vorwärts. Die zwei Bataillone des Garde-Grenadier-Regiments sind zwar wieder auf die westliche Seite von Ponte vecchio zurückgeworfen und die Österreicher haben die Brücke gesprengt, aber jene können sich jetzt, unterstützt von einem Bataillon der 1. Grenadiere, gleichfalls gegen den Fürsten wenden und das Regiment Sigismund weicht, eine große Anzahl Gefangener – freiwillige! – in den Händen der Franzosen lassend. Vergeblich ist die Tapferkeit der Offiziere, vergeblich stürzt sich Graf Auersperg in den Tod!

Es ist 4 Uhr.

Aber jetzt ist das Korps Schwarzenberg heran. Die Brigade Ramming: das Regiment König der Belgier unter seinem Obersten, dem tapfern Herzog Wilhelm von Württemberg und das 13. Jäger-Bataillon geht am östlichen Ufer des Naviglio vor, um sich hier mit Reischach und den Resten der Liechtensteinschen Brigaden zu vereinigen; die Brigade Hartung überschreitet, von der Brigade Dürfeld gefolgt, die Brücke bei Robecco und dringt auf Carpenzago gegen die Garden; die Brigade Wetzlar endlich, das Regiment »Erzherzog Stephan« Nr. 58 und das 15. Jäger-Bataillon, wendet sich nach der Ticino-Niederung, um an der Brücke von San-Martino die Kommunikation des Feindes zu unterbrechen.

Der Kaiser Napoleon erhält die Nachricht von der Erneuerung der Schlacht, von dem drohenden Anrücken der frischen österreichischen Bataillone; fortwährend wird Verstärkung nach allen Seiten gefordert, während Mellinet mit den Grenadieren an der Ponte nuovo und der Eisenbahnbrücke nur mit äußerster Anstrengung die Brigade Gablentz zurückzuhalten vermag.

Wo bleibt Canrobert? wo bleibt Niel? Was ist mit Mac Mahon geschehen?

Es steht alles auf dem Spiel, der Verlust der Schlacht! der Verlust des Feldzugs, vielleicht der Armee!

Siegreich dringen die beiden österreichischen Brigaden auf dem westlichen Ufer des Kanals vor. Die Piccardschen Bataillone werden geworfen, die Garden aus Ponte vecchio getrieben, die französische rechte Flanke ist entblößt, schon dringen die Kolonnen gegen die Eisenbahn vor!

Da stoßen die Bataillone von Hartung in der Niederung auf die Verstärkung des Feindes.

Einer der vom Kaiser entsandten Generalstabsoffiziere ist der Division Vinoy des 4. Korps (Niel) bei Trecate begegnet. Im Laufschritt legen das 15. und 21. Linienregiment mit dem 10. Bataillon der Chasseurs à pied, die Brigade Niol, die ganze Strecke von Trecate über San Martino bis zur Ponte nuovo zurück.

Schon vorher, um 4 Uhr, ist die Spitze der Canrobertschen Korps bei San Martino eingetroffen, nachdem sie alle Hindernisse auf der Straße rücksichtslos beiseite geworfen hat.

Vier Bataillone werden sofort gegen Ponte vecchio beordert, Canrobert selbst setzt sich an ihre Spitze. Von diesem Augenblick an folgen Truppen auf Truppen des 3. und 4. Korps und schließen sich den Kämpfenden an. Die Österreicher werden zurückgedrängt und aus Ponte vecchio geworfen. Siebenmal geht das tapfere Regiment Hessen unter seinem Obersten Mumb von Mühlheim vor, siebenmal wird es aus den Häusern getrieben, es ist unmöglich, sich in den Gehöften zu halten! Alles vergebens – die Übermacht treibt sie hinaus – sie müssen weichen!

Ebenso erfolglos schlägt sich das Regiment »Liechtenstein« und versucht, die Gegner zu überflügeln. Oberst-Leutnant Hauschka findet den Heldentod; Mann an Mann wird der Kampf geführt, auf beiden Seiten sind die Opfer gleich! Die französischen Grenadiere, die Bataillone des 85. und 73. Regiments sind decimiert, um 6 Uhr noch wütet der Kampf, als die Brigade Jannin mit dem 56. und 90. Regiment unter Colonel Doens und Charlier eintrifft und die Übermacht von Ponte vecchio hervorbrechend die beiden tapfern österreichischen Regimenter zu erdrücken droht.

Da plötzlich schmettern die Trompeten der »Preußen-Husaren«. Oberst Edelsheim bricht im Augenblick, wo schon alle Hoffnung verloren, mit fünf Schwadronen von Carpenzago her in den Feind.

Trotz des ungünstigen Terrains stürzen sich die Schwadronen, einzeln attackierend, um den Feind über ihre Zahl zu täuschen, von allen Seiten auf die zwischen den Bäumen gedeckte Infanterie.

Die Säbel blitzen im Sonnenschein! Eljen! Eljen! Hussah! Überall die grünen Czakos, die lichtblauen Dolmanns mitten zwischen den Infanteristen! Gleich der wilden Jagd wälzt sich der Strom der Kämpfer zurück nach dem Dorf, das Bajonett vermag nichts gegen den flinken Säbel, der die Käppis und Bärenmützen spaltet. Eljen! Eljen! Korporal Badasfalvony haut seinen Rittmeister aus dem Gedränge der Franzosen, Husar Gerges spaltet einem Grenadier den Schädel, der eben von hinten dem Obersten sein Bajonett in den Leib bohren will. Die Franzosen eilen flüchtend dem Dorfe zu, unter Maulbeerbäumen drängt sich ein Menschenknäuel – weiße Federbüsche, galonierte Hüte in der Mitte. Hurra! Hurra! Eljen! Eljen! Oberleutnant Graf de la Motte mit seinen Husaren ist bereits heran, Wachtmeister Fakals haut sich Bahn in das Gedränge, Husar Tuskar wirft den französischen Offizier, der sich ihm entgegendrängt, Roß und Reiter zu Boden, sein Säbel langt nach dem Marschall, denn Canrobert selbst ist es, der Oberbefehlshaber der Krim-Armee bei Balaclava ist es, der sich hier verteidigt; die fliegenden schwarzen Locken, die großen Augen, der starke Bart um das feine hübsche Gesicht machen ihn kenntlich. Ein Säbelhieb des Leutnant Freiherrn von Gerlach wirft ihm den schief aufgesetzten Hut vom Kopf, Korporal Lestal streckt bereits die Hand nach ihm, da werfen sich die Adjutanten, die Offiziere des Stabes vor ihn und drängen den Marschall, mit ihren Leibern ihn deckend, aus dem Sturm des Gefechts. Die meisten sind verwundet, drei Offiziere der Umgebung zusammengehauen.

»Hussa!« Im Galopp, alles zu Boden werfend, sprengen die Husaren bis in die Mitte des Dorfes, bis an den Naviglio, wo die abgebrochene Brücke ihnen Halt gebietet. Jubelnd werden sie von drüben her, von den Tapfern, Jägern und Infanterie, von den Flankeurs der Brigade Ramming begrüßt. Doch hier ist ihr Siegeslauf zu Ende, Graf Hunyady giebt den Befehl zum Rückzug, Trompeter Traszek bläst, nur unwillig gehorchend, das »Kehrt!«

Aber der Rückweg geht über eine Straße des Todes! Der Marschall hat die Zersprengten gesammelt, alle Gebäude, die Mauern der Gehöfte rechts und links starren von französischen Gewehren. Ein entsetzlicher Kugelhagel begrüßt die Tapfern und räumt die Sättel. Die Pferde bäumen im Todeskampf, die Reiter stürzen übereinander, der Kamerad wirft den getroffenen Kameraden über seinen Sattelknopf, ihm den letzten Dienst zu erweisen. Ist doch selbst der furchtlose Regimentskaplan Tribaltsik auf seinem grauen Pferdchen mitten unter ihnen, bereit, seinen Samariterdienst im Kugelregen zu üben. Was sich im Sattel halten kann, braust vorwärts. Nur wenige Schwerverwundete werden notgedrungen in den Händen der Feinde zurückgelassen; so jagt die tapfere Schar zurück. Der Verlust ist ungeheuer, aber die Bataillone von Hessen Infanterie und Liechtenstein haben Zeit gehabt, sich zu sammeln und geordnet zurückzuziehen, und die französische Infanterie gelüstet nicht zum zweitenmal, zu ihrer Verfolgung über die Lisière des Dorfes hinauszugehen.

Die drei Bataillone der Brigade Wetzlar (Regiment Erzherzog Stephan Nr. 58) haben auf ihrem Wege durch die Ticino-Niederung so viele Terrainschwierigkeiten gefunden, daß sie nicht vorwärts kommen und ihre Aufgabe nicht erfüllen konnten.

Die 9. und 10. Kompagnie des Regiments fand dabei zur Linken ein größeres Haus, zur Rechten eine Reihe zusammenhängender Häuser, die vom Feinde besetzt waren. Hauptmann von Zangen befahl sofort den Sturm auf das Gebäude links. Dreimal mußte der Angriff unter dem vollen Feuer der Gegner von der rechten Seite erneuert werden, ehe es gelang, das verrammelte Thor einzubrechen.

Mit dem Eintreffen der französischen Brigade Janin war, wie gesagt, jede Hoffnung des Erfolges auf dieser Seite für die braven österreichischen Bataillone vorüber; fechtend, Schritt für Schritt sich verteidigend, zogen sie sich nach Casterno und Robecco zurück, denn um diese Zeit war bereits der westliche Teil von Ponte vecchio wieder in Besitz des Feindes.

Um 4½ Uhr erst war das 2. Korps der Franzosen, Mac Mahon, wieder angriffsfähig. Die Division Motterouge mit der Gardedivision Camou erhielt den Befehl, auf dem rechten Flügel, von Boffalora her, vorzugehen, die Division Espinasse, das 72. Linien-, das 1. und 2. Fremden-Regiment, die 11. Fußjäger und das 2. Zuaven-Regiment, rückte auf dem linken Flügel über Marculla vor. Die Brigade Rezniczek stand allein hier der französischen Division entgegen und vermochte nur kurze Zeit ihr Debouchieren aufzuhalten.

Der General-Feldzeugmeister war um 4 Uhr wieder in Magenta eingetroffen. Er fand nirgends mehr intakte Bataillone, dem Vordringen der Franzosen vom Norden entgegen zu werfen. Freilich standen die Division Lilia, die Brigaden Weigl und Dondorf und die ganze Kavallerie-Reserve-Division noch unberührt in Corbetta, kaum eine halbe Meile vom Kampfplatz, aber er hatte nicht den Mut, ihre Flankenstellung aufzugeben und sie in den Kampf zu ziehen. So wurde denn alles, was in dem Städtchen von Mannschaften der verschiedenen Regimenter sich zusammenbringen ließ, nach Norden geworfen, aber zu der durchaus nötigen Unterstützung der Brigade Lebzeltern gegen die Division Motterouge und Boffalora her blieb nur die Brigade Gablentz, die an der Ponte nuovo die Garden im Schach hielt, aber durch das Vordringen von Motterouge in der Flanke und im Rücken bedroht war. Ihre Stellung wurde dadurch unhaltbar – der Feldzeugmeister erteilte den Befehl, sie sollte die Verteidigung am Naviglio aufgeben und mit zwei Bataillonen der Brigade Ramming sich gegen Motterouge wenden. General Reischach war durch die Hüfte geschossen, Generalmajor v. Gablentz übernahm den Befehl über beide Brigaden. Es kommt zum Kampf bei Cascina nuova, einem großen Gehöft, und 500 Österreicher bleiben gefangen in den Händen des Feindes.

Espinasse drängt die Brigade Rezniczek zurück nach Magenta!

Der Kanonendonner Mac Mahons, die anderweite Verwendung der Brigade Gablentz ist für den Kaiser das Signal zum erneuten Vordringen von der Ponte nuovo. Die Brigade Martimprey wird von General Vinoy am östlichen Ufer des Naviglio nach Ponte vecchio dirigiert und zwingt die Brigade Ramming, die, um einigermaßen die Verbindung Reischachs mit dem 3. Korps zu erhalten, in einer Linie von Ponte vecchio bis Magenta sich ausgedehnt hat. Alle neuen ankommenden Truppen des 4. Korps werden vom Kaiser vorwärts nach Magenta geschickt.

Vergebens führt der ritterliche Herzog Wilhelm von Württemberg, hoch zu Pferde, die Fahne selbst in der Hand, das berühmte Regiment »König der Belgier« fünfmal in die Flanke des stürmenden Feindes. Nichts! Nichts! der Feind dringt vorwärts! im blutigen Knäuel rollt sich alles nach Magenta zurück; was von zwei Kompagnieen der tapfern Grenadiere noch übrig ist, wirft sich in das Pfarrhaus und verrammelt Thüren und Fenster, entschlossen in den Mauern zu sterben!

Es ist kein Kampf mehr, es ist ein Morden! Oberst Pokorny, der Adjutant des 1. Korps fällt, schwer verwundet, an der Seite seines tapfern Kommandanten Grafen Clam Gallas und wird in ein Haus getragen; General Senneville, der General-Stabschef Canroberts zahlt mit seinem Leben Revanche; Colonel Drouhet, der Kommandant des 65. Regiments, ist beim Vorstürmen von Boffalora gefallen, Charlier, der Oberst der Neunziger vor Ponte vecchio, als die Brigade Jannin sich mit den Husaren haut!

Was noch kämpfen kann, was noch kämpfen will von allen Brigaden, von allen Waffen, bunt durcheinander, wirft sich in die Häuser; fünf österreichische Geschütze, auf der Nord- und West-Seite des Orts, schleudern allein noch den Tod in die feindlichen Reihen, während bis an die Mündung heran die um sie gesammelten Bedeckungsmannschaften die Stürmenden abwehren und mit dem eigenen Blute den Boden tränken.

Es ist 6 Uhr vorüber. General Auger, der Artillerie-Chef des 2. Korps, pflanzt die Batterieen der Division Motterouge und der Korpsreserve auf dem genommenen Eisenbahndamm auf, vierzig Geschütze schleudern gegen fünf ihren grimmigen Eisenhagel nach Magenta hinein, mit dem Bajonett und dem Kolben hauen die Österreicher ihre Kanonen aus dem Gewühl und ziehen sie zurück.

Die Bataillone Mac Mahons stürmen Magenta von Norden.

Schritt um Schritt wird mit Blut erkämpft, Haus um Haus wird erstürmt, niemand verlangt Pardon, niemand gießt ihn, die hier zurückgeblieben sind zur Verteidigung der österreichischen Ehre, haben sich dem Sterben geweiht; mit den Zähnen noch, nachdem ihnen der Stahl entrungen, fassen sie den Gegner! – Und droben, eine halbe Meile entfernt, stehen zwei Divisionen, kaum zwei Tagemärsche weit, drei Armeekorps! – Neunzigtausend Mann der österreichischen Armee, zähneknirschend, kampfbegierig! Fluch über den Ungarn Giulay, der am Tage nach der Schlacht in Binasco lachen konnte über einen erbärmlichen Witz!

Der größte Teil der österreichischen Verwundeten, die im Laufe des Tages nach Magenta gebracht worden sind, fällt in die Hände des Feindes. Man hat zwar am Nachmittag einen Eisenbahnzug von Mailand heraus kommen lassen, um die Verwundeten dahin zurückzuführen, aber der Schurke von Zugführer fährt bei dem Kanonendonner davon, bevor die Kranken eingeladen sind. Vielleicht zu ihrem Glück, denn französische Siegestrunkenheit ist immer noch besser, als der feige Haß der Italiener!

Aber die Ehre der französischen Armee erhält in Magenta eine Scharte.

Nur ein einziges Gehöft noch der ganzen Stadt ist von den Österreichern besetzt, es ist der Pfarrhof! Zwei schwache Kompagnieen des Grenadier-Bataillons vom Regiment »König der Belgier« haben sich hier seit anderthalb Stunden gegen Brigaden verteidigt und den Lorbeer unsterblichen Ruhmes um die Fahne des Regiments Nr. 27 gewunden!

Die Nacht ist hereingebrochen, die letzten österreichischen kampffähigen Truppen sind von Clam Gallas und Fürst Liechtenstein aus Magenta zurückgeführt – noch immer sprüht der Pfarrhof Tod und Wunden in die feindlichen Reihen, doch schwächer und schwächer wird das Feuern; den Estrich der Zimmer, die Erde des Hofes decken die Leiber der braven Steiermärker, fast jeder Verwundete durch den Kopf getroffen.

Durch das Dunkel der Nacht, durch das Blitzen der Schüsse weht ein weißes Tuch. Ein französischer Offizier – er jagte sich später eine Kugel durch den Kopf, weil man ihn zwang, wortbrüchig zu werden – naht dem Gehöft und verlangt, den kommandierenden Offizier der »Belgier« zu sprechen.

Das Kommando hat bereits zweimal gewechselt, der Tod hat seine Ernte gehalten. Der Österreicher kommt ihm entgegen. Tapfere ehren den Tapferen! so soll es sein in jedem Ringen. Die Franzosen bieten den beiden Kompagnieen ehrenvollen Abzug mit Waffen und Gepäck; man wird sie über die französischen Vorposten hinaus begleiten.

Es wäre Wahnsinn, noch mehr, es wäre Verbrechen, das ehrenvolle Anerbieten nicht anzunehmen. Die Kapitulation wird schriftlich geschlossen. Die österreichischen Grenadiere öffnen das Thor und marschieren heraus, fast jeder einen verwundeten Kameraden tragend, unterstützend.

Da kommt ein Befehl des französischen Generals, die Kapitulation ist nicht anerkannt, Offiziere und Mannschaften werden entwaffnet und den übrigen Gefangenen zugeteilt!

Der Ruhmesschild vom Malakoff hat einen Flecken!

Um halb acht Uhr waren die Franzosen Herren der Stellung von Magenta. Schon um 7 Uhr hatten die Österreicher auf allen Punkten den Rückzug angetreten, nachdem noch die Brigade Dormus, die Tête des 5. Korps von Besate in Robecco angelangt war und bis Casa Limido vorrückend am Kampfe teilgenommen, ohne natürlich das Resultat aufhalten zu können. Am Sturm vor Magenta hatte auf der andern Seite die piemontesische Brigade Fanti teilgenommen.

Die Österreicher waren zwar auf allen Punkten zurückgedrängt, aber sie waren keineswegs besiegt und standen durch die herankommenden Korps neu gestärkt in drohendem Halbkreis vor Vittuone und Corbetta an der Mailänder Straße über Robecco bis Carpenzago. Noch spät am Abend erreichte das 8. Korps Bestazzo und rückte in die Reihe für eine Erneuerung des Kampfes am nächsten Morgen. Bei Beginn desselben standen 100 000 Mann Truppen gegen den Feind. Die Aufstellung der Brigade Weigl bei Corbetta hatte den Hauptanhaltpunkt für die Sammlung der Versprengten gebildet, deren Zahl schon am Nachmittag so groß war, daß Fürst Liechtenstein sich dahin begeben mußte, um Ordnung in die aufgelöste Masse zu bringen.

Aber die Truppen, die im Kampf gestanden, waren meist zum Tode erschöpft durch den eiligen Marsch und den Kampf, mit dem vollen, fast 47 Pfund wiegenden Gepäck in der glühenden Sommerhitze, oder vollständig desorganisiert. Ein Bataillon der »Kaiser-Infanterie« war durch den jüngsten Leutnant auf kaum 200 Mann zusammengeschmolzen, aus dem Gefecht geführt worden. Von einem andern Bataillon kehrten nur einige Rotten zurück. Die Jäger, die in all den einzelnen Treffen immer im dichtesten Feuer gewesen, waren decimiert.

Die meisten der im Kampf gewesenen Truppen hatten seit zwölf Stunden keine Nahrung zu sich genommen, während der heißen Schlacht, während des Rückzugs nicht einen Tropfen Wein, indes die empörende Fahrlässigkeit der Verpflegungsbeamten in Garlasco 200 Eimer Rum, in Vigevano 400 Eimer Wein den Feinden zurückgelassen hatte, statt sie den abziehenden Truppen preiszugeben.

Aber die Franzosen waren von dem Kampf ebenso desorganisiert und erschöpft und beschränkten sich darauf, Magenta, Ponte nuovo und Ponte vecchio besetzt zu halten. Am letzten Punkte war erst abends 8 Uhr die Brigade Bataille der Division Trochu angelangt, die zweite Brigade Collineau traf später, die Division Bourbacki erst um 1 Uhr in der Nacht ein. Die Vorposten jenseits des Dorfes standen wenige hundert Schritt von denen der Österreicher!

Magenta selbst war während der Nacht von dem Gros der beiden Armeen geräumt, nur die Verwundeten, die Toten und die untergeordneten Trümmer der beiden Parteien trieben sich im Ort umher, bald plündernd, bald ruhig nebeneinander liegend, bald sich bekämpfend wie der Zufall oder die Laune des einzelnen es veranlaßte.

Der Verlust der Österreicher betrug einschließlich 4000 Vermißter: 281 Offiziere und 9432 Mann, der der Verbündeten 246 Offiziere und angeblich 4189 Mann, die französischen Privatbriefe geben ihn auf sechstausend an!


Es war Mitternacht vorüber, ein kurzer Regen war gefallen, hatte aber eher erfrischend als belästigend auf Erde und Menschen nach der glühenden Hitze des Tages und der blutigen Arbeit gewirkt. Die Straßen des Städtchens, das noch wenige Stunden vorher der Schauplatz aller Schrecken des Krieges gewesen, waren jetzt dunkel. Nur an den Ecken, auf dem Marktplatz und vor der Kirche brannten zahlreiche Feuer, mit Thüren, Fensterrahmen und Möbeln aus den Häusern genährt, an denen in buntem Gemisch Soldaten aller Waffengattungen durch einander lagen, entweder durch den Lauf des Gefechts, durch einen andern Zufall oder absichtlich versprengt und auf eigene Hand zurückgeblieben, von der entsetzlichen Anstrengung erschöpft, oder in der Absicht, zu plündern und zu marodieren.

Die Krieger hatten ihr Werk gethan; die Hyänen des Schlachtfeldes schwärmten jetzt gleich schwarzen Schatten über das Schlachtfeld. Mit kundigem Griff verstanden sie die Toten, Freunde wie Feinde ihrer Habe zu berauben und sie oft bis zum nackten Leibe auszuplündern. Schon der nächste Morgen bot in dieser Beziehung ein Schauspiel, das die unvermeidlichen Schrecken des Krieges noch zu vermehren geeignet war. Sorgfältig wichen sie den Gruppen der Wundärzte und Ambulancesoldaten aus, die beim Scheine einer Fackel oder Laterne noch auf dem Schlachtfeld weilten, einzelne Verwundete aufzusuchen, – oder den Patrouillen und einzelnen braven Soldaten, die nach einem gefallenen Kameraden forschten.

Wie gar mancher Tapfere, der stundenlang unter Leichen gelegen, vielleicht erst in dem Dunkel der Nacht durch den erfrischenden Regen aus dem Scheintod erwacht war, der jetzt das Rettung verheißende Licht sich nähern sah und sich mühsam, mit der Anstrengung der letzten Kräfte erhob, um die Retter herbeizurufen, machte diesen Ruf zu seinem Todesurteil! Aus dem Dunkel heraus faßte ihn die mörderische Faust der Raben des Schlachtfeldes, erstickte den Laut der lechzenden Kehle, erdrosselte den letzten Funken des Lebens!

Durch die Gasse von Magenta schritt ein Offizier des 3. Zuaven-Regiments mit einem Sergeanten und vier Mann. Er kam von der Aufstellung der Posten, die das Regiment, gegen Mitternacht eingetroffen, auf der Ostseite des Orts vorgeschoben, und hatte den Weg zurück durch die Straßen genommen, um ein Bild von den Folgen des Sturms zu gewinnen.

Die Helle, welche gleich flammenden Zungen die im Winde flackernden Feuer hinein in die Dunkelheit warfen, zeigte einen schrecklichen Anblick. Thüren und Fenster ausgeschlagen oder von den Kugeln zertrümmert, an den Wänden der Häuser Leichen auf einander geschichtet, wie man sie achtlos dahingeworfen, um Platz in der Mitte der Straße zu gewinnen; der weiße Leinwandrock des Österreichers neben der roten Hose des Franzosen, dem blauen Spenzer des Zuaven; dazwischen häufig noch ein toter Körper mitten auf dem Weg, mit der klaffenden Todeswunde und den in den Nachthimmel starrenden offenen Augen.

Überall zerbrochene Waffen, Kopfbedeckungen, geleerte Tornister auf dem Boden, umgestürzte oder zur Seite geworfene Wagen, ausgeplündert, und der Inhalt, der den Plünderern nicht gepaßt, auf der Erde umhergestreut.

Ein großer Jagdhund kauert unter einem Thorweg an der Leiche eines österreichischen Offiziers. Das treue Tier blutet aus einer Wunde in der Seite, die der rohe Bajonettstich eines Zuaven ihm zugefügt hat. Es ist vom abziehenden Train entsprungen, um seinen Herrn auf dem Schlachtfeld zu suchen, sein klägliches Geheul schneidet dem Offizier durch die Seele.

Plötzlich bleibt er stehen und faßt den Arm des Sergeanten.

»Jacques, sieh dahin! diese Bursche sind wahrhaftige Teufel!«

Die Scene ist schrecklich genug.

Vor der Thür der Kirche, deren Inneres zum Lazarett, zur Aufnahme der Verwundeten eingerichtet ist, brennt ein Feuer, um das sich eine Bande Turkos gelagert hat. Die vom Blut und Staub der Schlacht bedeckten Gestalten mit den braunen grimmigen Gesichtern, aus denen das Weiße der Augen seltsam leuchtet, haben ohnehin schon ein unheimliches, wildes Aussehen, aber ihr Treiben macht die Scene noch schrecklicher.

Eine Anzahl von ihnen bildet, auf ihren Tornistern liegend oder mit untergeschlagenen Beinen sitzend und den Rauch der Schibuks verschluckend, einen Halbkreis, während etwa ein Dutzend dieser braunen Teufel einen wilden Tanz um eine Art Hügel in der Mitte und um Gegenstände auf dem Boden aufführen. Zu ihren Sprüngen und Capriolen verzerren sie die Gesichter, schlagen die Waffen zusammen und singen eine eintönige Melodie, oder verführen ein Geheul wie eine Herde Schakals.

Der Offizier bemüht sich, die Gegenstände in dem ungewissen Licht zu erkennen, um die und auf denen sie ihren satanischen Tanz halten.

»Um Gotteswillen, – Jacques! es sind doch nicht …«

»Was weiter? mordieux! es sind ja nur Österreicher!«

Die Gleichgültigkeit der Antwort macht das Herz des Offiziers erbeben. Es sind in der That die Leiber gefallener österreichischer Grenadiere, auf denen die afrikanischen Teufel einen scheußlichen Siegestanz ausführen, schlimmer als die Karaiben oder die Rothäute in den Einöden des Rio grande.

Plötzlich geschieht etwas, was selbst auf diese Wilden seinen Eindruck nicht verfehlt. Weiterhin außerhalb des Kreises leuchtet es weiß und grau auf dem Boden, es regt sich darunter, es sind Lebendige und Tote. Aus diesen unheimlichen Schatten unterbricht den Tanz der Turkos der Klang einer jener kleinen Pickelpfeifen, wie sie zur Musik der österreichischen Korps gehören.

Die Töne werden zur Melodie, es ist ein ungarischer Tanz, ein Csárdas, den sie spielen, anfangs leise, unterbrochen, dann immer kräftiger und lauter.

Die Tänzer lauschen der Melodie. Aus den weißen Gestalten, die drüben am Boden liegen, erhebt es sich, mühsam, eine schwanke, schmutzige Figur, nur kenntlich an dem leinenen Waffenrock. Es ist ein ungarischer Grenadier. Das braune Gesicht mit dem langen pechschwarzen Schnurbart ist totenbleich, blutleer, und das Blut sickert in schweren dunklen Tropfen unter dem baumwollenen Tuch hervor, das er um den Kopf gewunden trägt. Die Augen des Mannes haben eine gewisse unheimliche Starre, wie er so in den Lichtkreis tritt oder vielmehr schwankt. Alle Blicke wenden sich auf ihn, die wilden Kinder des Sétif, der Schluchten des Atlas, der Arba stehen unbeweglich, die Pickelpfeife spielt fort, herausfordernd, wie zum Kampf, zum Sturm, immer lauter und rascher. Der Grenadier stemmt die linke Hand in die Seite, er hebt schnalzend die Rechte, die Absätze klirren aneinander, die schlanken Glieder beugen sich nach dem Takt der einsamen, unheimlichen Musik; der Fuß schlägt den Boden, in den gewandten kecken Sprüngen seines Nationaltanzes bewegt sich der gespenstische Tänzer in dem Kreise. Die Franzosen applaudieren, die Turkos heulen vor Vergnügen, die Söhne der Pußta jubeln ihr »Eljen!« – zwei, drei kecke gewandte Pas, die Arme des Tänzer heben sich, die Absätze klirren, das Knie zieht sich zusammen zum gewandten Sprung, über das blasse Gesicht sprudelt unter dem Tuch hervor ein dunkler Blutstrom, der Tänzer stürzt vorn über auf den Boden – der Tänzer ist tot!

Im selben Augenblick schweigt mit einer gellen Dissonanz die Flöte.

Die Stille dauert nur einen Augenblick, dann springen zwei der Turkos vor und auf den Toten zu, den sie mit wunderbarer Geschicklichkeit zu entkleiden beginnen. Aber sogleich sind die Ungarn bei ihrem Landsmann, wilde Flüche! Säbel klirren, wüstes Raufen entsteht; die Voltigeure, der Zuavenleutnant mit seiner Ronde schlagen mit Säbel und Kolben dazwischen und treiben sie auseinander. »Haltet Ruhe, Kanaillen! es ist genug des Mordens! die Schlacht ist vorüber, auseinander bis morgen!«

In diese Rauferei schrillt aus dem Gebäude zur Seite der Kirche, dem Pfarrhause, das die Grenadiere vom Regiment Belgien so tapfer verteidigt haben, eine Frauenstimme: » O Dio! misericordia! soccorso! salvamento!« Erbarmen! Hilfe! Rettung!

Der Zuavenleutnant schaut empor, von den Fußtritten der Raufenden, die achtlos das Feuer auseinander werfen, lodert die Flamme hell auf und zeigt auf dem hölzernen Balkon vor einem der leeren Fenster des Hauses eine ringende Frauengestalt, die sich herausstürzen will, in den Armen zweier Männer, deren Turban sie als Zuaven kennzeichnet.

Leutnant de Chapelle wirft einen Blick hinter sich, zwei seiner Leute fehlen. Wiederum gellt der Schrei um Erbarmen in den Lärm. Mit einem Sprung hat er einen Brand aus dem umherstiebenden Feuer gerissen, mit einem zweiten ist er in dem Thor der offenen Pfarrei und eilt die von Blut schlüpfrige Treppe des Gebäudes hinauf; der in ein Wimmern der Angst ersterbende Hilferuf leitet ihn.

Es war die höchste Zeit. Die beiden Zuaven hatten das Mädchen trotz ihre Anstrengung vom Fenster weggerissen und zu Boden geworfen. Während der eine ihr den Mund zupreßte, um ihr Geschrei zu ersticken, versuchte der andere ihren Widerstand zu brechen und ihre Kleider wegzureißen, um seinen brutalen Begierden an ihr Genüge zu thun.

In diesem Augenblick erschien der Leutnant an der Schwelle der ausgebrochenen Thür; der Brand, den er in der Hand trug, zeigte ihm im Erlöschen die widrige Scene und die Gefahr des Mädchens.

»Fort, Schurken! auf der Stelle laßt das Weib!«

Nur ein wilder Fluch antwortet ihm. »Sie ist unser, Leutnant, kümmern Sie sich um Ihre Angelegenheiten!«

Ein Säbelhieb über den Schädel des Zuaven, der auf dem sich windenden Körper des Mädchens kniet, wirft ihn blutend nieder, der andere Mann ergreift im Dunkel sein Gewehr und schwingt sich mit der Gewandtheit einer Katze von dem Balkon in den Hof.

Armand de Chapelle hob die Zitternde, Atemlose vom Boden auf – da der Holzbrand erloschen war, konnte er nicht einmal sehen, ob sie jung oder alt war; aber die Ritterlichkeit seines Charakters bewog ihn, sein Werk nicht zur Hälfte zu thun. Bereits war auch sein einsilbiger Freund, der Sergeant, ihm gefolgt und stand an der Thür des Gemachs.

»Die Schurken haben ein wehrloses Frauenzimmer überfallen,« sagte unwillig der Offizier. »Einem habe ich einen Denkzettel gegeben, dort stöhnt er. Suche Licht zu bekommen und sieh nach ihm, unterdes ich diese Frau fortführe; denn nach dem, was wir unten gesehen, möchte sie hier schwerlich sicher sein. Sagen Sie mir, wohin ich Sie geleiten soll?« wandte er sich in italienischer Sprache an die Unbekannte.

Sie hatte seinen Arm gefaßt. »Ich beschwöre Sie, mein edler Ritter,« flehte sie, »verlassen Sie mich nicht, oder ich bin verloren! Ich bin ein unglückliches Mädchen, die Verwandte des Curato, Pfarrer. dem dieses Haus gehört, aus der Gegend von Verona. Meine Eltern hatten mich vor drei Monaten zu meinem Oheim geschickt, und da er erkrankte, konnte ich den alten Mann nicht verlassen, als der Krieg ausbrach.«

»Aber, wo ist Ihr Verwandter, Signora, wo sind die Leute des Hauses? Wie konnten Sie bei den Schrecken der Schlacht hier zurückbleiben?«

»Die Besetzung der Stadt durch die Soldaten überraschte uns. Die Eisenbahn ließ keine Züge mehr abgehen, unser kleines Gefährt war in Beschlag genommen; als ich endlich auf dem Karren eines Nachbars meinen kranken Onkel untergebracht hatte, wurde ich von meinen Freunden abgedrängt und geriet mitten unter die Soldaten. Ich flüchtete zurück in unser Haus und in eine abgelegene Kammer, wo ich mich einschloß und stundenlang im Gebete auf den Knieen lag, während um uns her die Schlacht tobte. Endlich, als die Nacht gekommen war, als alles umher still schien, wagte ich mich aus meinem Versteck. Ich schlich mich in die vorderen Zimmer und lauschte von dem Balkon hinunter nach dem Platz. Dabei muß man mich bemerkt haben; denn ich sah zwei Soldaten von fremdartiger Tracht in unser Haus eilen und gleich darauf, als ich mich zurückziehen wollte, fühlte ich mich ergriffen und festgehalten. Der heiligen Jungfrau und Ihnen danke ich es, Signor, daß ich aus den Händen der Abscheulichen gerettet bin!«

Die Erzählung trug so offenbar den Stempel der Wahrheit, daß dem Offizier kein Schatten eines Zweifels kommen konnte, und seine Teilnahme für die Verlassene nur noch wuchs. Er hatte sie aus dem Hause und in den Hof geführt, aber er begriff, daß er sie nicht in dieser Umgebung lassen konnte, ohne daß sich die Gefahr, die sie gelaufen, sofort erneuern würde.

Er deutete ihr dies mit einigen Worten an und fragte, was sie beabsichtige und wohin sie gebracht zu werden wünsche.

»Mein Oheim und die Nachbarn,« sagte sie schaudernd, bei dem Gedanken an die Gefahr, »sind sicher nach Mailand. Wenn ich nur dahin gelangen könnte, würde ich sie wohl auffinden oder doch Mittel, in meine Heimat zu kommen.«

Sergeant Touron kam in diesem Augenblick zurück, seine Gegenwart war dem Offizier, der nicht wußte, was er raten oder thun sollte, sicher sehr willkommen.

»Nun, wie steht es, Jacques?« frug er.

»Es ist aus mit ihm, er braucht keinen Feldscher, Dein Säbelhieb hat ihm den Kopf gespalten. Es war Lenard le Diable, wie sie ihn nennen, der tollste Teufel im Bataillon, aber ein Liebling des Kommandanten trotz seiner Schlechtigkeit. Die Sache wird Ärgernis abgeben!«

»Ich werde es verantworten und habe meine Pflicht gethan. Weißt Du, wer der andere Schurke war?«

»Nein, Armand, ich habe in der Eile nicht hingesehen, welche beiden zurückgeblieben waren und verlaß Dich darauf, wir werden es schwerlich erfahren. Aber was soll mit dem Frauenzimmer hier geschehen?«

Der Leutnant setzte ihm kurz die Lage auseinander.

Jacques Fromentin warf einen bedauernden Blick auf die Fremde. »Wenn sie nach Mailand will,« sagte er, »so ist es am besten, daß wir sie sofort nach den österreichischen Vorposten bringen, statt sie nach unserem Biwak mitzunehmen. Verlaß Dich darauf, Armand, es würde ihr dann nicht so leicht werden, ihre Absicht auszuführen und Du kannst nicht ihren irrenden Ritter spielen. Laß uns umkehren zu unseren Posten und die nächste feindliche Ronde anrufen.«

Der junge Offizier fand, daß der Rat des Freundes gut war; denn er wußte, welchen Spöttereien und noch Schlimmerem er sich aussetzen würde, wenn er mit diesem Beuteanteil in das Biwak seiner Kameraden zurückkehrte. Er sagte daher der Fremden, was sie beschlossen und da sie zustimmte, führte er sie ins Freie.

Die Rauferei zwischen den Turkos und den ungarischen Grenadieren hatte längst aufgehört, sie lagen wieder friedlich in geringer Entfernung voneinander zwischen den Toten auf dem Boden, um sich in kurzem Schlaf für den nächsten Tag zu stärken. Auf der nämlichen Stelle, wo er sie verlassen, standen, Gewehr im Arm, die Zuaven seiner Patrouille, aber nicht zwei, sondern drei. Der Leutnant begriff, daß jedes Fragen nach dem Schuldigen nutzlos war, und daß er nichts erfahren würde. So befahl er ihnen einfach, Kehrt zu machen und schritt ihnen voran, den Weg zurück, den sie aus der Postenkette gekommen waren.

Als sie an dem jetzt wieder brennenden Feuer vorüberkamen, sah er zum erstenmal im Licht seine Begleiterin, die zwischen ihm und dem Sergeanten ging. Es war ein junges, schönes Mädchen von kaum achtzehn Jahren, mit dunkelblondem Haar und blauen Augen. Ihre Blicke begegneten sich, denn auch sie sah in diesem Moment aufmerksam ihren Retter an, und errötend schlug sie die Augen nieder.

Der Sergeant schritt stumm neben dem Paare her oder ihm voran. Seit der Genesung von jener Krankheit, in die ihn der Tod des unglücklichen Arabermädchens gestürzt und während der ihn im Fort in der Arba Armand de Chapelle treulich gepflegt hatte, war der sonst so lustige Bursche ein anderer Mensch geworden. Er hatte Dienste genommen in dem Regiment des Freundes und bei zehn Gelegenheiten den Tod gesucht. Aber der Tod hatte ihn geflohen, und seine Tollkühnheit ihm Beförderung eingebracht.

Sie waren etwa zweihundert Schritt über das Dorf hinaus, als sie die äußerste Postenlinie erreichten. Der Offizier frug, wo die nächsten des Feindes ständen. Es war kaum hundert Schritt gegenüber, und er brauchte nicht lange zu warten, denn bald nachher vernahm er die Schritte einer österreichischen Ronde und den Anruf ihrer Wachen.

Er ließ das Mädchen unter der Obhut des Sergeanten und trat vor, die feindliche Ronde anrufend. Der österreichische Offizier verstand zum Glück Französisch und kam ihm höflich entgegen. Bald hatten sie sich verständigt und der Zuavenleutnant kehrte zurück, seinen Schützling zu holen.

»Der Kamerad dort,« sagte er ihr, »wird Sie bis zur nächsten Feldwache mitnehmen und Sie nach Corbetta geleiten lassen, von wo Sie morgen früh leicht nach Mailand kommen können, wahrscheinlich eher als wir,« fügte er heiter bei. »Aber freuen würde es mich, Ihren Namen zu wissen, wie ich Ihr hübsches Gesicht gesehen, damit ich mich in Mailand nach Ihnen erkundigen kann, wenn wir erst unsern Einzug gehalten haben!«

»Ich werde nicht dort bleiben,« erwiderte sie hastig, »meine Mutter wird ohnehin in tausend Ängsten schweben um mich. Ich heiße Angelina Romello und bin die Tochter des Meiers von Solferino, unfern Verona. Aber nennen Sie mir Ihren Namen, Signor Uffiziale, damit ich ihn täglich in mein Gebet schließen kann!«

Er that es lächelnd, dann reichte er ihr die Hand, denn sie waren bei der österreichischen Patrouille, der seine Zuaven, die ihm gefolgt waren, bereits in größter Kordialität ihre Feldflaschen reichten.

»Leben Sie wohl,« sagte er, »und mögen Sie nie wieder die Schrecken des Krieges erleben, wie in den vergangenen Stunden. – Herr Kamerad, ich empfehle dieses junge Mädchen Ihrer Ehre.«

»Unbesorgt, mein Herr,« lautete die Antwort, »sie wird sicher zu den Ihren gebracht werden. Besten Dank, Herr, im Namen meiner Landsleute und Gutenacht, bis auf morgen!«

Die beiden Patrouillen salutierten, dann zogen sie nach verschiedenen Seiten ab.

Armand de Chapelle hatte bei dem letzten Druck der Hand seiner Geretteten einen Gegenstand in der seinen zurückbleiben gefühlt. Als er ihn auf dem Rückweg zum Biwak am nächsten Wachtfeuer betrachtete, fand er, daß es ein Ring war, mit einem dunkel blitzenden Steine, offenbar von großem Wert. Es war ein Diamant – ein schwarzer Diamant – der Diamant des Mohren – Aniellas – der Ring der Kaiserin!

Wie kam der Ring der Kaiserin in die Hand der Pfarrersnichte von Magenta?


Graf Giulay beschloß, am anderen Morgen mit den neu eingetroffenen Korps die Schlacht wieder aufzunehmen, und die Brigade Hartung, so sehr sie auch von dem Kampf am Tage vorher gelichtet und angegriffen war, rückte auf Ponte vecchio und erstürmte den Ort. Der Feldzeugmeister rechnete bei der Absicht der Erneuerung des Kampfes auf die Demonstration des Urbanschen Korps von Norden her, und in der That hatte dieses schon am Mittag des 4. die vom Turbigo anrückenden Sardinier bedroht, so daß die Division Durando sich dagegen wenden mußte und keinen Anteil an dem Kampf nehmen konnte.

Aber es war unmöglich, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen, denn das ganze Land zwischen Mailand und Como war in vollem Aufstand.

Da ging von Clam Gallas, der keine Order erhalten, die Meldung ein, daß er nicht mehr bei Bareggio stehe – kaum zwei Stunden vom Schlachtfeld –, sondern um 3 Uhr morgens gegen Mailand bis Cisliano zurückgegangen sei, und daß seine Truppen einer vollständigen Reorganisation bedürften. Obschon diese jedenfalls nur hätten die Reserve des bereits bis Bestazzo vorgerückten 8. Korps (Benedek) bilden können, bewog dies doch den Generalfeldzeugmeister, seine Absicht aufzugeben, die Brigade Hartung aus dem Gefecht zurückzunehmen und den Franzosen das Schlachtfeld zu überlassen, indem der allgemeine Rückzug der Armee über Mailand nach Pavia hinter die Adda angeordnet wurde. Das Hauptquartier kam einstweilen nach Binasco an der Straße und dem Kanal von Mailand nach Pavia.

In Mailand hatte sich die Nachricht von der Schlacht, die wenige Meilen davon geschlagen wurde und über sein Schicksal entscheiden mußte, rasch verbreitet, die Bevölkerung drängte sich, den tödlichen Haß gegen alles Deutsche in den Augen, auf den Straßen und den öffentlichen Plätzen, wenn auch der Mund unter der Strenge des Belagerungszustandes den Mund noch verschloß. Patrouillen mit geladenem Gewehr durchzogen fortwährend die Straßen, die Garnison war in der Citadelle und in den Kasernements konsigniert, schon waren einzelne Soldaten in den abgelegenen Stadtteilen ermordet worden; Feldmarschallleutnant Melczer, der Kommandant, wußte sehr wohl, auf welcher Pulvermine hier die österreichische Herrschaft stand.

Schon am Abend verbreitete sich die Nachricht, die Österreicher hätten die Schlacht verloren, man sah es an der boshaften Freude, die aus allen Augen leuchtete! Aus den Gruppen, die sich im Dunkel der Straßen drängte, erscholl im Rücken der Patrouille der Ruf: » Evviva Italia! – Vengono i Francesi! – Evviva Garibaldi!« – An den König » gentiluomo« dachte man nicht!

Bald kamen Versprengte an, bereits am Abend des 4. auch Transporte von Verwundeten, der Rückzug der gehaßten Deutschen war seht sicher. Seit siebenhundert Jahren hatte sich Mailand ja in diesem Haß geübt, und war immer wieder der gewuchtigen deutschen Faust unterlegen! Schändlich, scheußlich waren die Grausamkeiten, die der Pöbel in den unbewachten Stadtteilen an einzelnen Versprengten und Verwundeten verübte.

Auf den Befehl des Kommandanten hatten sich gegen Abend die Beamten in dem Kastell versammelt, bei Sonnenuntergang verließen zwanzig Wagen unter starker Bedeckung die Stadt, es waren die Staatskassen, die nach Verona abgeführt wurden. Die Nacht hindurch dauerten die Zuzüge der Verwundeten und Versprengten fort, an 4000 der letzteren sammelten sich in Mailand und lagerten auf dem Platz vor dem Kastell.

Am Morgen kam die Order zur Räumung der Stadt. Um 9 Uhr erfolgte der Abzug der Garnison und der Beamten zur Eisenbahn, zwei Batterieen voran, die Kanoniere mit brennender Lunte neben den Geschützen. Das Volk begrüßte die französischen Gefangenen, die in der Mitte der Infanterie marschierten, mit » Evviva la francia!« Am Ende des Zuges waren bereits Messer und Bajonett in Thätigkeit.

Zehn Minuten nach dem Abgang des Bahnzuges wehte die Trikolore auf dem Marmorturm des Mailänder Doms. –

Die Lombardei war verloren! – – – –



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