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Faust!

Der Anblick, der sich dem Gelehrten auf seiner Flucht vom Kirchhof in dem schmutzigen uralten Hause der Prager Judenstadt bot, war allerdings so seltsam, so überraschend, daß sein staunendes Zögern, näher zu treten, wohl erklärlich war.

Das Zimmer vor ihm war durch eine in silbernen Ketten hängende Lampe von mattgeschliffenem Glase mit halbgedämpftem magischem Licht beleuchtet. Dieses Licht fiel ringsum auf Wände, die mit seidenen Tapeten von meergrüner Farbe bedeckt waren. Von gleichem Stoff waren die Möbel, die orientalisch kein Holz zeigten, sondern in breiten Diwans und niedern Sesseln bestanden. Ein dicker Teppich von vorherrschend roter Farbe bedeckte weich den Boden, schwere Gobelins von ähnlichem Muster verhingen die Tür, unter welcher der Lauscher stand, links anscheinend ein Fenster und an der Wand gegenüber breit aufgeschlagen einen Alkoven, in dessen halbdunklem Raum sich der rote Seidenpfühl und das kostbare weiße Linnen eines Bettes zeigten.

Wie wenig auch der Doktor, – der aus Neigung nur selten die Salons der Vornehmen und Reichen besuchte, – den Luxus derselben zu würdigen verstand, so viel sah er doch mit einem Blick, daß in der Ausstattung dieses Boudoirs ein großer Reichtum und zwar mit weniger Überladung entwickelt war, als gewöhnlich in dem Geschmack der orientalischen Rassen sich zeigt.

Vor dem Diwan an der Wand – der gewöhnlich durch den Schrank an der Kammerseite verborgenen Eingangstür gegenüber – stand ein ovaler Tisch von poliertem Ebenholz. Ein kleines Tuch von ungebleichtem Damast war im verschobenen Quadrat darüber gedeckt und darauf standen auf breitem silbernen Tablett Karaffen mit Wein, silbervergoldete Schalen von kostbarer Arbeit mit seltenen Früchten, orientalischem Backwerk und den duftigen Gelees von Chios: Mastix, Rosenblättern und Orangeblüten.

Wir haben bereits am Schluß des betreffenden Kapitels angedeutet, daß dieses so seltsam und prächtig ausgeschmückte Gemach nicht ohne lebende Bewohnerin war.

Auf dem breiten Diwan von meergrüner persischer Seide lag ein schlafendes Mädchen, dessen Äußeres nicht minder seltsam und poetisch erschien, als ihre ganze Umgebung.

Es war ein Kind von kaum sechzehn Jahren, aber mit jener raschen üppigen Entwicklung der Formen, welche meist die Frauen des jüdischen Stammes so frühzeitig reif und reizend macht und im späten Alter, wo die germanische Rasse noch in voller Frische prangt, schon so plump und übervoll oder welk erscheinen läßt.

Das Gesicht der Schlafenden war eben so ausdrucksvoll als schön, ein regelmäßiges volles Oval mit fein gebogener Nase, dunklen dichten Brauen und langen Wimpern; die zum Kusse schwellenden Lippen waren im Schlaf halb geöffnet, als wollten sie einen Namen rufen, und die Brauen waren über der Nasenwurzel in einer leichten Falte zusammengezogen, als bange sie, daß der Gegenstand ihres süßen Traumes ihr entfliehen möchte.

Denn süß und sehnsüchtig mußte derselbe sein, das bewies die fliegende Röte der Wangen, der still lächelnde Ausdruck des schönen verlangenden Gesichts und der unter seiner Spitzenhülle heftig wogende Busen.

Den schlanken und doch so vollen in üppigen Linien gerundeten Körper der jungen Schläferin umschloß, von einer goldenen Schnur um die Hüften zusammen gehalten, nur ein weiter Schlafrock von dunklem Purpursamt, aus dessen weiten Halbärmeln sich der nackte Vorderarm des Mädchens mit der leise zuckenden kleinen und fleischigen Hand hervorstahl, während ein überaus zarter entblößter Fuß in einem gelben Saffianpantoffel unter dem Gewand hervor über den Rand des Diwans hing. Schwarze Haare, die in dem matten Licht der Lampe einen fast blauen Reflex warfen, umrahmten in schweren breiten Flechten die weiße etwas niedere Stirn und wurden auf dem Kopf durch eine schmale goldene Spange zusammengehalten. Das Haupt der Schläferin ruhte rückwärts gebogen auf weichen Kissen, als brauchten sich die großen mandelartig geschlitzten Augen nur zu öffnen, die Arme nur zu erheben, um den Bräutigam zu empfangen.

Der Doktor blieb wohl fünf Minuten lang auf der Schwelle des Gemaches stehen im Anblick dieses überraschenden Bildes versunken, das nach der schauerlichen Szene des Kirchhofs und seiner Flucht durch die schmutzigen Irrgänge der Judenstadt einen um so größeren Eindruck auf ihn machte. Erst als die Schläferin sich nicht regte, wagte er, den Fuß vorzusetzen und aus der Portiere herauszutreten.

Der dicke weiche Teppich hinderte jeden Widerhall seiner Schritte.

Doktor Faust fühlte sich tief erschöpft und wie von Fieberfrost geschüttelt. Er hatte seit dem Mittag nichts genossen, und das Lager auf dem kalten Boden zwischen den Gräbern und Grabsteinen hatte ihn bis ins Innerste erstarrt, die rasche Bewegung der Flucht nur kurze Zeit dies Gefühl verscheucht.

Jetzt bei dem ängstlichen Tasten und Suchen nach einem Ausweg war es wiedergekehrt; nach kurzem Zögern trat er näher zu dem Tisch, nahm eine der Weinkaraffen und schenkte in ein großes Wasserglas den dunkelgelben Feuertrank. Er hob das Glas an den Mund und trank in langen Zügen den schweren spanischen Wein. Er fühlte, wie eine belebende Glut seine Adern durchströmte.

Als er das geleerte Glas niedersetzte, klang es hell an den Karaffen wieder.

Er fuhr erschrocken zusammen und richtete seine Augen auf die Schläferin.

Die ihren standen groß offen und waren, nicht mit Staunen, sondern mit einer gewissen Neugier und Begeisterung auf ihn gerichtet. Diese Augen waren schwarz und glänzend. Die dunkle Pupille schien wie ein schwarzer funkelnder Diamant auf einem matten aber reinen Glase zu ruhen – ein unbeschreiblicher Ausdruck von schwärmerischer Hingebung, von Sehnsucht und jungfräulichem Bangen leuchtete aus diesem großen Spiegel der Seele.

Die Augen mit diesem Ausdruck zu ihm erhoben, unverwandt an seinem Gesicht hangend, glitt das Mädchen von dem Diwan nieder zu den Füßen des erstaunten Mannes und kreuzte die Arme über die Brust.

»Gegrüßt seist du, Verkündeter, und der Herr segne deinen Eingang über die Schwelle deiner Magd! Sie ist bereit deinem Willen!«

Der Gelehrte war betroffen zurückgetreten; als das Mädchen vor ihm niedergesunken, hatte sich der Samtrock geöffnet und ihm den zwischen Spitzen emporquellenden Busen gezeigt – dessen wogender Schnee die Fibern seines Körpers erbeben machte.

»Fräulein,« sagte er stotternd, »vergeben Sie, daß ich hier eingedrungen, aber …«

»Du bist der Herr hier und ich deine Magd! Die Weisen zweier Völker haben dich mir verkündet und Esther auserwählt, dich zu empfangen. Der König von Zion wird auf Libussas Erde erstehen und an den Wässern der Moldau das neue Jerusalem erwachsen! Sieh mich gnädig an, du Hoher und verschmähe nicht deine Magd!«

Er glaubte eine Geistesgestörte vor sich zu haben, so unerklärlich waren ihm dies Benehmen und diese Worte, während doch von dem feurigen Wein und von den Reizen, die sich mit jeder Bewegung der Jüdin seinen Augen hingebend enthüllten, sein Blut zu wallen begann.

Zweimal strich er mit der Hand über die Stirn – er hatte es nicht beachtet, daß der Hut ihm entfallen – um Fassung und Ruhe zu gewinnen.

»Stehen Sie auf, Fräulein, und hören Sie mich an,« sagte er endlich. »Ich bin ein Fremder, ein Flüchtling, der verfolgt wird, und der um Ihren Schutz bittet!«

»›Er wird kommen im Kleid der Verworfenen und die Feinde werden hinter ihm sein!‹ also lautet die Prophezeihung. Sind es nicht von jeher die Besten und Edelsten gewesen, die sie verfolgen? Die Stimme meines Vaters hat mir verheißen den Bräutigam in dieser Nacht und Esther hat sich geschmückt, ihn zu empfangen. Hat nicht auch Martha, meine Amme, mir verkündet dein Erscheinen und der Traum dich mir gezeigt?«

Er zuckte die Achseln und hob sie empor. Die Bewegung, wie sich der weiche warme Körper an ihn schmiegte, wirkte elektrisch auf ihn und unwillkürlich drückte er sie an sich.

Sie folgte hingebend dem Druck. Dann wie in scheuer Scham erzitternd und doch mit den Augen voll Verlangen, entschlüpfte sie seinem Arm und glitt zu dem Tisch, wo sie mit einem silbernen Stäbchen an eine Glocke schlug.

Eine bisher von dem Verfolgten nicht bemerkte Tapetentür öffnete sich und eine Frau trat ein.

Sie mochte wohl einige sechzig Jahre zählen, doch war ihre Haltung noch ungebeugt, ihr dunkles Auge scharf und glänzend. Sie trug das rote Kopftuch der böhmischen Frauen niedern Standes und ihre Kleidung entsprach dieser Stellung. In dem finstern faltigen Gesicht lag eine große Energie, ihre Züge hatten jedoch nichts, was sie als Jüdin verraten hätte.

Das junge Mädchen eilte ihr entgegen und warf sich an ihren Hals.

»Amme! Amme! Er ist da!«

Die alte Frau konnte unmöglich die Amme dieses jungen Geschöpfes sein, aber sie hatte jedenfalls die Zärtlichkeit einer solchen für das Mädchen, das sie auf die Stirn küßte.

»Hast du gezweifelt an meinen Worten, Kind meiner Seele?« fragte sie in böhmischer Sprache. »Stamme ich nicht aus dem Blute der Zauberin Maska selber und hat mein Orakel dich je getäuscht? Czernebogk hat dem Gott der Christen und Juden weichen müssen und seine Steinaltäre sind von den Priestern des Gekreuzigten zerschlagen. Aber seine Macht ist noch groß genug, um den Frauen meines Stammes die Macht zu geben, aus den Linien der Hand, aus den Sternen und den Gestalten des Blutes die Zukunft zu verkünden!«

Sie faßte die Hand des Mädchens und führte sie zu dem Fremden. »Sei gegrüßt Martha, der Zigeunerin, der letzten ihres Stammes,« sagte sie auf böhmisch.

»Ich verstehe Ihre Sprache nicht, gute Frau, aber wenn Sie die meine reden, so bitte ich Sie, mir das Rätsel zu lösen, das mich umgibt.«

Die alte Zigeunerin senkte traurig den Kopf. »Also dennoch keiner aus dem Blute der Czechs,« murmelte sie – »nur einer von dem verhaßten Stamm, der gleich dem Judas die Welt überflutet und die alten Völker sich dienstbar macht! Aber was kümmert's im Grunde mich, – die Geister haben's so bestimmt und ihr Blut möge sich vermischen!«

Sie wandte sich deutsch zu dem Fremden.

»Wie ist dein Name – dein Vorname?«

»Johannes!«

»Ha – das ist gut! Der Name Johannes hat viel Blut fließen machen in diesem Lande. Die Wässer der Moldau ersäuften den falschen Priester – der Vater des Kelchs starb auf dem Scheiterhaufen draußen im Reich und die Keule Ziskas schmetterte die Feinde Böhmens zu Boden! Der Name ist gut und ich gebe dir willig das Kind, das die Milch meiner Tochter getrunken, die voran gegangen ist in das Nichts!«

Der Doktor war einen Schritt zurückgetreten. »Hören Sie mich einen Augenblick an, gute Frau,« sagte er. »Wen Sie und diese junge Dame auch erwartet haben mögen, – ich bin nur durch Zufall in dieses Haus gekommen. Ich tappte im Finstern umher und fand dieses Zimmer. Frauen sind gutherzig – ich gestehe deshalb, daß ich Ihre Güte in Anspruch nehmen muß, indem ich Sie bitte, mich eine Stunde ohne Aufsehen hier verweilen zu lassen, oder – wenn Sie mir dies verweigern, – mir wenigstens einen unbemerkten Ausgang wieder auf die Straße zu verschaffen, wo mich allerdings Gefahr erwartet. Ich bin ein Fremder, der erst gestern hier eingetroffen ist.«

»So sagte es das Orakel – über Berg und Wasser her! – Ich habe die Hand, die Sterne und die Tropfen ihres Blutes dreimal geprüft, und jedesmal stand es geschrieben, daß ihr Schicksal in dieser Nacht erfüllt werden sollte. Das Schicksal des Weibes ist der Mann! Nimm sie – dort ist euer Lager – ich werde für euch wachen!«

Sie nahm ihm, fast mit Gewalt, der er nicht zu widerstreben wagte, den dunklen Paletot, den er trug, und begann ihn zu entkleiden, während das Mädchen sich schamhaft abwandte.

»Aber Frau …«

»Still! Es ist ein seltsames Verhängnis, daß eine Prophezeiung ihres Stammes, – ihr Wort des alten Rabbi, der drüben auf dem Kirchhof begraben liegt, – die Frauen ihres alten Blutes in dieser Nacht des Jahres den Bräutigam erwarten heißt, damit ein anderer Messias ihrem Volke komme und es herrschend mache über die Welt!«

»Ich bin ein Christ, Weib! laßt mich fort von hier!«

»Christ oder Heide, Jude oder Hussit – was die Sterne gesagt, muß erfüllt werden. Bist du ein Mann, sie zu verschmähen? – Reiche ihm den Wein, Kind, damit Blut durch seine Adern rollt! Dein König von Zion ist da, den du begehrt!«

Sie hatte ihn zu dem Vorhang geführt, der halb aufgeschlagen den Alkoven schloß – fast ohne Willen folgte er ihrem Drängen, denn in diesem Augenblick hörte sein Ohr draußen ein Geräusch.

»Um Himmelswillen – es sind meine Verfolger! Weib – man darf mich hier so nicht finden!«

Die alte Zigeunerhexe schoß mit der Sprungkraft eines Panthers nach der Tür und schloß den dichten Vorhang.

»Was wollt Ihr so spät in der Nacht?«

»Ich bin es doch, Martha – ich wollte sehen, ob Esther, mein Kind, noch wach ist, und ihr sagen frohe Botschaft, denn ihr Bräutigam ist gekommen in unser Haus – ich werde ihr geben morgen meinen Segen, ihm und ihr!«

»Es ist gut, Rabbi! ich werde es ihr sagen!«

»Martha, du bist eine gute Dienerin, obschon du bist von einem verachteten Volk, schlimmer gehaßt noch, als die Kinder Israels. Du sollst haben morgen ein schönes Geschenk, weil du so treu bewachst mein Kind! – Habt ihr nicht gehört einen Lärm auf der Straße vorhin?«

»Wie sollen wir in diesem Winkel hören, was draußen auf der Straße vorgeht, Rabbi?!«

»Es ist wahr – ich habe gut verborgen meinen kostbarsten Schatz! So schlaft denn wohl und der Engel möge ihr süße Träume schenken! Gute Nacht einer glücklichen Braut!«

Und eine zweite Stimme draußen wiederholte: »Gute Nacht der süßen Braut!«

Der Gelehrte hinter der Portiere des Alkovens erbebte, – er glaubte diese Stimme gehört zu haben gleich der des Alten, – vor einer Stunde noch – drüben zwischen den tausendjährigen Gräbern – –

Die Tür wurde in ihre Fugen gedrückt, er war eingeschlossen mit den beiden Frauen.

Der Gelehrte zitterte – er wußte nicht, ob vor Furcht, ob von der seltsamen Aufregung seiner bis dahin ungeschwächten Jugendkraft.

Martha, die Zigeunerin, war zurückgekommen zu dem seidenen Lagerpfühl, auf dem er saß.

»Den Wein, Esther, mein Kind!«

Das Mädchen, von tiefer Glut überzogen, schritt langsam mit bloßen Füßen über den Teppich daher, in ihrer zitternden Hand eine antik geformte silberne Schale mit dem feurigen Rebensaft.

»Trinke zuerst!«

Die Jüdin setzte ihre roten Lippen an den Rand der Schale, ihre träumerisch schmachtenden Augen hoben sich darüber so bang auf den fremden Mann, wie die einer Taube, wenn sie vor dem Falken zum Nest flüchtet, und doch wieder glühte ein seltsames Feuer darin!

»Trinke, Fremdling, den Brauttrunk!«

Er hatte nicht die Gewalt, die Schale zurückzuweisen, obschon er fühlte, was kommen mußte, wenn er noch einmal die flüssige Glut einsog – er setzte den Mund an den Becher, genau an dieselbe Stelle, die noch warm von den Lippen der Jungfrau, – und trank den feurigen Wein bis zum letzten Tropfen.

Seine Hand ließ die silberne Schale niederfallen auf den Boden – die sonst so ernsten stillen Augen begannen zu funkeln.

Noch einmal versuchte er, sich zu erheben, – noch einmal bäumte das Gefühl der Ehre, der Entsagung sich empor.

»Ich darf nicht – ich kann nicht, laßt mich fort!«

Die Zigeunerin schob ihn heftig zurück. »Bist du ein Mann?« fragte sie nochmals – »nur ein Tor widersteht diesem Glück!«

Ihre hagern Finger hatten an der Hüftschnur des Mädchens genestelt, das schluchzend das schöne Antlitz in die Hände barg – jetzt fiel die Schnur, ein Griff der knöchernen Hand riß die Spange aus dem Haar, daß es in dunklen duftigen Strömen wie ein Mantel um die zarten Schultern fiel – ein zweiter, und das Gewand fiel zu Boden, erschaudernd in der einzigen Hülle von Spitzenlinnen stand das warme, süße volle Leben vor ihm, die ganze jugendliche Schönheit der Formen seinem flammenden Auge preisgegeben.

Die Zigeunerhexe stieß die Jungfrau in seine umfangenden Arme. – Möge der Geist des Glückes euer Lager beschatten – möge aus euch der Rächer aller Zertretenen entstammen!«

Der matte Schein der Ampel verlosch – auf dem Teppich kauerte, Sprüche murmelnd, das Weib – nur das Stöhnen wilder Küsse drang an das Ohr der unheimlichen Lauscherin und kündete das Leben! – – –


Eine welke kalte Hand legte sich auf seine Schulter und weckte ihn aus Traum und Wirklichkeit.

»Es ist Zeit,« sagte die Zigeunerin. »Der Morgenstern erbleicht und der Tag zieht herauf. Der Tod würde dein Los sein, wenn man dich hier fände!«

Der Doktor schreckte empor. Vor ihm stand die Alte mit dem welken Gesicht und dem funkelnden Blick, in der Hand eine silberne Lampe, deren Licht auf das weiche üppige Lager und die süße Schläferin an seiner Seite fiel.

Wie sie dalag, das gerötete Antlitz ihm zugekehrt auf den weit gelösten schwarzen Locken, den weißen Arm noch auf dem Kissen gebogen, ihn zu empfangen, die roten Lippen geöffnet, als wollten sie mit dem warmen Odem zugleich das Wort der Liebe ausströmen.

Als er so auf den Arm zurückgestützt sie ansah, gedachte er seines vergangenen Daseins, der grauen kalten Theorie gegenüber dem ewig grünen Baum des frischen Lebens, und ein tiefer Schmerz, eine unbefriedigte Sehnsucht trotz des Besitzes überkam ihn, daß er von diesem lebensfrischen Baum wieder scheiden sollte, nachdem er kaum die ersten Blüten gepflückt!

»Mein Gott,« sagte er dumpf, »was habe ich getan, wie kann ich wieder gut machen, was mich die seltsame Lage, in der ich mich befand, die Aufregung meiner Sinne hingerissen! – ich, der Christ – sie, die Jüdin – – sprechen Sie Frau, wer ist dies Mädchen?«

»Erhebe dich, Blanker, und kümmere dich nicht um sie! Was in den Sternen geschrieben steht, muß erfüllt werden. Sobald du die Schwelle dieses Zimmers überschritten, ist es so gut, als hättet ihr euch nie gesehen!«

Er hatte sich erhoben, – ihm war, als jagten ihn die Furien, der Engel mit dem Flammenschwert aus dem verbotenen Eden, das er genossen! So warf er sich hastig in die Kleider.

»Weib,« sagte er, »ich darf so nicht fort – ich muß wissen, wer dies Mädchen ist, das ich vielleicht unglücklich gemacht habe! Ich muß wissen, ob ich sie wiedersehen werde?«

»Wir fragen nicht nach deinem Namen, – forsche nicht nach dem ihren! für sie bist du der verheißene Bräutigam, dessen Blut wieder Israel groß machen soll über die Völker! – für mich – deren einer, die rächen werden Kroks König Krok, der Vater Libussas, auf die er seine Zauberkräfte übertragen haben soll. Königsstamm und die Altäre Czernebogks, des schwarzen Gottes, an ihren Unterdrückern. Aber Berge und Täler kommen zusammen, wenn die Hand des großen Geistes sie schüttelt, warum nicht die Menschen? Reiche mir deine Hand, damit ich aus ihren Linien wahrsage, ob eure Wege sich aufs neue kreuzen werden!«

Er reichte ihr unwillkürlich die Hand, deren Fläche sie an dem Licht der Lampe prüfte.

»Starker Geist! starker Geist! Du wirst ihn nötig haben auf dem Wege, den du gehst, denn viele Feinde werden um dich sein, und dich zu Boden drücken. Noch einmal kreuzen sich die Pfade der da mit den deinen, wenn dein Stern am tiefsten und der ihre am höchsten steht.

»Eine Mutter – keinen Vater! – Viel Unglück und Kummer. Im Buch der Sterne steht dein Schicksal, im Buch auf Erden dein Glück! Suche! suche! Hüte dich vor dem, mit dem du die Aufgabe deines Lebens teilst, oder du wirst blutig enden, wie er! – Hüte dich vor Steinen im Sonnenstrahl! – Jetzt komm!«

»Wenn es denn sein muß,« sagte der Gelehrte entschlossen, »so gehe voran! Aber ich muß dir sagen, Frau, ich besorge, man wird mir auf der Gasse auflauern.«

»Nicht auf dem Wege, den ich dich führe! – Nimm Abschied von ihr, ohne sie zu wecken, und – hast du ein Andenken, so laß es ihr zum Trost.«

Er suchte in seiner Tasche, fand aber nichts, als einen kleinen silbernen Bleistifthalter. »Ich liebe nicht äußern Schmuck,« sprach er – »aber dies ist ein Geschenk meiner fernen Mutter, möge es sie an einen Reuigen erinnern, der an ihr gefrevelt – sage ihr dies!« Er schlang eine ihrer langen schwarzen Locken um die kleine Gabe, kniete an ihrer Seite und küßte noch einmal den schwellenden Mund!

Im Schlaf hob sich ihr Arm, sich um seinen Nacken zu schlingen. »Johannes!«

Mit einem Stöhnen sprang er empor. »Fort! fort! oder der Satan ist wieder mächtig in mir!«

Die Alte stand bereits mit ihrer von der knöchrigen Hand verdeckten Lampe an der Tapetentür, durch die sie am Abend erschienen.

»Komm!«

Er folgte ihr. Als die Tür hinter ihm unhörbar sich schloß, glaubte er noch einmal den sehnsüchtigen Hauch der roten Lippen: »Johannes!« zu hören.

Die Zigeunerin führte ihn durch eine Kammer und zwei dunkle, so viel er sehen konnte, mit altem Gerümpel aller Art gefüllte große Stuben; dann betraten sie einen Gang und am Ende desselben eine enge feuchte Stiege, die zu einem kleinen schmutzigen Hofraum führte.

Über diesen hinweg, das Licht ausblasend und seine fieberisch heiße Hand mit ihren kalten magern Fingern erfassend, führte sie ihn und dann durch den stinkenden Gang eines Hinterhauses zu einem zweiten Hofe, den gegenüber eine hohe Mauer schloß.

»Du bist an der Moldau,« flüsterte sie – »kein Auge wird dich hier suchen. Wenn die Feinde deines Gekreuzigten auch die deinen sind, dann möge Astaroth, der Geist der Nacht, deine Spur im Wasser oder in der Luft verbergen, denn sie sind wie die Jagdhunde auf der Fährte des Wildes! – Geh und vergiß!«

Mit dem letzten Wort hatte sie eine niedere enge Pforte in der Mauer geschlossen und stieß ihn hinaus.

Als er – willenlos – fast ohne rechtes Bewußtsein einige Minuten vorwärts gegangen, kühlte ein frischer Luftzug seine brennende Stirn, – Wasser rauschte durch den dämmernden Morgen – er war am Kai der Moldau!


Auf dem Bahnhof in Prag kreuzten sich des Morgens um 8 Uhr die Züge, welche die Reisenden in nördlicher und südlicher Richtung, nach Dresden und Wien, führten.

Der Gelehrte begriff, daß er sobald als möglich Prag verlassen müsse, so gern er auch in der alten Königs- und Kaiserstadt noch geblieben wäre. Nachdem er sich nach seinem Gasthof, dem »Stern« zurückgefunden und sein Zimmer erreicht hatte, – das Nachtschwärmen ist in Prag sehr gewöhnlich, und die Portiers der Hotels sind an Ausbleiben der Reisenden gewöhnt, denn außer in Pest öffnen sich diesen wohl an keinem Ort so viele liebende Arme! – brachte er zunächst den etwas derangierten und von dem Lager zwischen den Gräbern schmutzigen Zustand seiner Kleidung selbst in Ordnung, kühlte sich das Gesicht im Wasser und packte dann seine wenigen Sachen in die Reisetasche, mit der er sich allein beschwert hatte.

Nachdem er seine Rechnung bezahlt, ging er gegen 8 Uhr, selbst sein kleines Gepäck tragend, nach dem Bahnhof.

Ein Fiaker rollte an ihm vorüber – er sah Lasali darin sitzen, der bedeutungsvoll den Finger auf die schmalen Lippen drückte.

Also auch dieser hatte die Notwendigkeit gefühlt, so bald als möglich die Nähe des unheimlichen Judenkirchhofs zu verlassen.

Als er auf dem Bahnhof ankam, sah er seinen Gefährten von dieser Nacht mit der Übergabe seines Koffers beschäftigt. Da der Zug nach Dresden und Berlin zuerst abgeht, wollte er sich eben zum Schalter drängen, als er von einem Knaben am Arm berührt wurde.

»Haben der Herr vielleicht verloren den Handschuh hier?« fragte der Junge, einen grauen wildledernen Handschuh emporhaltend.

»Ah, es ist wahr – richtig, hier in der Tasche ist der linke. Ich muß ihn mit dem Tuch herausgezogen haben. Da Bursche, ist ein kleines Trinkgeld!«

Der Italiener beobachtete den an sich so unscheinbaren kleinen Vorgang und zuckte die Achseln, während der deutsche Gelehrte sich zu dem Schalter drängte. Jener sah, wie der Junge auf der anderen Seite der Billetthalle zu zwei Männern trat, – von denen der ältere, fast ein Greis, den Talar der polnischen Juden trug, der andere zwar elegante feine Kleidung auf der behäbigen Gestalt, aber auch unverkennbar die orientalische Abstammung verriet, – und mit ihnen flüsterte. Sogleich reichte der alte Jude seinem jüngeren Gefährten mit einigen Worten die Hand und dieser ging eilig nach dem Schalter.

»Nach Berlin, zweite Klasse!« sagte der Doktor, als die Reihe an ihn kam.

»Geben Sie mir auch nach Berlin, zweite Klasse, Herr Kassierer,« rief eine Stimme hinter ihm und eine beringte Hand streckte sich vor mit dem Geld. »Da können wir ja fahren zusammen!«

Der Doktor sah sich um und in ein breites sinnlich schlaues Gesicht.

Ohne sich mit einer Antwort zu bemühen, nahm er sein Billett und ging nach dem Perron.

Wie zufällig strich der Italiener an ihm dort vorüber. »Unvorsichtiger!« flüsterte er – »man ist auf Ihrer Spur! der Handschuh –« er ging weiter.

Wie ein Blitzstrahl traf es den Zerstreuten. Er mußte, in seiner leidigen Gewohnheit, nur den einen anzuziehen, den Handschuh auf dem Kirchhof oder auf der Flucht verloren haben!

Er wußte im ersten Augenblick nicht, was er tun, wie er die Aufmerksamkeit seiner Verfolger von sich ablenken sollte; der Ruf des Schaffners zum »Einsteigen!« kam ihm daher sehr gelegen und er sprang in das nächste offene Coupé, das bereits von drei von weiter her gekommenen Personen besetzt war.

»Einsteigen! einsteigen!« mahnten nochmals die Beamten, denn das zweite Glockensignal war bereits gegeben. Doktor Faust war mit der Unterbringung seiner Reisetasche beschäftigt und achtete es daher nicht, als der Schaffner eine vierte Person ins Coupé schob. Erst als der Neugekommene im scharfen jüdischen Jargon grüßte: »Guten Morgen, meine Herrschaften, ich hoffe, wir werden haben eine gute Fahrt, aber wir wollen schließen die Tür, damit wir sitzen bequem!« wandte er sich um und sah dieselbe Person, die mit ihm zusammen das Billett am Schalter gelöst hatte.

Obschon er nicht die geringste Ursache hatte, dem ihm gänzlich Fremden zu mißtrauen, war ihm die Person selbst doch unangenehm und er würde gern das Coupé gewechselt haben, wenn es möglich gewesen wäre. So beschloß er, sich wenigstens möglichst teilnahmslos zu verhalten und drückte sich in die Ecke, die er eingenommen.

Die Lokomotive pfiff und der Zug brauste aus dem Bahnhof. –

Der Doktor benutzte die erste Unruhe, sich durch die halbgeschlossenen Augenlider die Gesellschaft des Waggons zu betrachten.

Die Abteilungen der anderen Seite nahmen im Fonds ein junger österreichischer Offizier in Interims-Uniform mit gebräuntem aristokratischen, aber etwas verlebten Gesicht ein, auf dem Rücksitz eine Dame von hoher Figur im Alter zwischen 30 und 35 Jahren, mit klugem, offenen Gesicht und schönen Augen, in eleganter Reisetoilette, die Armgelenke mit kostbaren Bracelets geschmückt. Die matte Farbe der Haut hätte trotz des kurzen Halbschleiers, der ihr Gesicht beschattete, ein kundigeres Auge, als das des Gelehrten, schließen lassen, daß sie die ursprüngliche Frische wohl durch die vielfache Anwendung von Hilfsmitteln zur Erhöhung der Reize verloren haben dürfte.

Ihm gegenüber an der Rückwand des Coupés hatte der mit ihm in Prag Eingestiegene Platz genommen, wahrscheinlich, weil er in der nebensitzenden Person einen Stammesgenossen erkannt hatte. Was der Vertreter des Prager Judentums jedoch an süffisanter Breitheit und Dreistigkeit zeigte, war an jenem als aalglattes feines Raffinement der geschliffenen Formen ausgeprägt. Das schwarze beobachtende Auge über der schmalen stark gebogenen Nase und das scharf hervortretende Kinn mit dem gekniffenen Mund hätten mehr auf einen Diplomaten, als einen Börsenmann schließen lassen.

Der Doktor brauchte auch nicht lange auf die Bestätigung zu warten, daß die beiden Herren sich wenigstens oberflächlich kannten, denn der Zug war kaum aus dem Bahnhof, als der Prager bereits seinen Nachbar bekomplimentierte.

»Gottes Wunder, welches Glück, Herr Baron, daß wir die Ehre haben, einander zu treffen. Hätte ich mir's doch sicher nicht vermutet, zu haben eine so angenehme Fahrt. Es sind gerade sechs Monate, seit ich zuletzt die Ehre gehabt habe, Sie zu sehen auf der Börse in Wien. Wissen Sie ä schönes Gebäude, die Börse in Wien, – sie werden in Berlin nicht kommen dagegen auf, obschon sind recht anständige Häuser am Platz. Gehen Sie in Geschäften nach Dresden oder Berlin, Herr Baron? in merkantilischen oder diplomatisch, ich weiß, Sie machen in beiden! Sie haben ä schöne Stellung in Wien. Gott – bei uns in Prag fehlt doch der Hof! 's is doch nischt, wo nicht is der Hof, schon wegen Umgangs! Wie stehen die Sechziger Anleihe in Wien, haben Sie Vertrauen zu dem Papier?«

»Sechsundachtzig dreißig, Herr von Rosenberg!«

»Es ist gut, daß Sie mir erinnern an meinen Namen. Ich bitte, Herr Baron, stellen Sie mir vor den andern Herrschaften im Coupé, mit denen Sie doch gewiß sind gekommen schon von Wien her. Ich liebe es, daß mer sich kennt, wenn man reist zusammen in ein und dasselbe Coupé!«

»Mit Vergnügen, Herr von Rosenberg,« sagte mit leichtem sardonischen Lächeln der andere. »Meine Gnädige, erlauben Sie mir, Ihnen Herrn von Rosenberg, einen der ersten Bankiers der böhmischen Hauptstadt vorzustellen, enthusiastischen Kunstfreund, den gewiß nur der neidische Schleier bis jetzt verhindert hat, eine der ersten Tragödinnen Deutschlands, Fräulein von Bärenstein, zu erkennen.«

»Gott! die Bärenstein?« schrie der Bankier. »Bin ich denn gewesen blind?« – Erinnern Sie sich nicht, im vorigen Jahre, als Sie gegeben haben in Prag die Maria Stuart Majestät so herzzerreißend, daß ich Ihnen hab' zugeworfen das allergrößte Bukett, das mir der Gärtner angesetzt hat mit baren drei Karlin! Ich hätte vor mein Leben gern noch beigefügt ä Ring, aber ich weiß, Sie strahlen schon vor lauter Diamanten und Smaragden, die Sie haben mitgebracht aus Rußland!«

»Sie hätten sich nicht genieren sollen, Herr Rosenberg,« sagte lächelnd die Dame, – »ich liebe die böhmischen Steine, wenn sie schön sind! ich hoffe nur, daß Sie Ihrem Gärtner keinen Abzug gemacht haben von der Rechnung!«

Der Wiener Finanzier überhob seinen Kollegen gefällig der Antwort, indem er sich gegen den Offizier verbeugte. »Herr Graf von Walstein, Oberleutnant in unserer tapfern Armee! Wenn der Herr Graf mit seinem Regiment nach Prag versetzt wird, empfehle ich ihm, Sie zu seinem Bankier zu nehmen!«

»Wenn der Herr halt mit dem Diskontieren nicht zu schlimm ist und mir a anständigen Kredit eröffnet, wie er für einen Kavalier paßt, warum nicht?«

»'s wird mir ä große Ehre sein, Herr Graf! ich habe doch viel vornehme Herrschaften in meinem Buch, Fürsten und Grafen und Barone – ich weiß, was mer in der guten Gesellschaft schuldig ist der Aristokrazie. – Das ist der Herr Baron Ekstein,« wandte er sich zu dem Gelehrten, – »Sie werden gehört haben von dem reichen Hause Moritz Ekstein und Sohn in Wien und Warschau, das gebaut hat die Westbahn. Ich heiße E. N. Rosenberg und Sohn aus Prag.«

»Ich habe Sie noch nicht danach gefragt!« sagte kurz angebunden der Doktor.

Der Graf und die Schauspielerin lachten über das verblüffte Gesicht, das der Prager Bankier schnitt.

»Verseihn Sie, – aber in der guten Gesellschaft kennt mer doch gern jeden mit seinem Titel und Namen, um ihm geben zu können im Gespräch die gehörigen Dehors!«

»Ich meine, das kann auf Reisen jeder halten, wie er will, und bedaure, wegen Kopfschmerz auf die Unterhaltung verzichten zu müssen!«

Die Abfertigung war diesmal zu verständlich, um noch weitere Versuche zuzulassen. Der Doktor lehnte sich in seine Ecke zurück und schloß die Augen. Herr Rosenberg machte einige Bemerkungen über Kopf- und Zahnschmerzen und die Weisheit der Regierungen in bezug auf das Paßwesen und kehrte dann zu seinem Kunst-Enthusiasmus zurück.

»'s ist ä Wunder, gnädiges Fräulein, daß Sie kommen als solches zurück von unserer Kaiserstadt. Oder darf man gratulieren?«

»Wieso?«

»Weil unsere Aristokrazie doch liebt gewaltig die Kunst, und die Künstlerinnen machen stets ä vornehme Partie bei uns. Hat doch geheiratet unsere Grille, die Großmann, den Herrn von Prokesch, und die kleine Boßler wird nehmen den Herrn von Bruck, und ich weiß ganz bestimnit, daß ä großes fürstliches Haus eine Heirat macht ins Ballett! Ist das nicht Liebe zur Kunst?«

»Oder zu den Revenuen der Künstlerinnen! Die meisten gehen nach ein Paar Flitterjahren wieder zur Bühne und, offen gestanden, obschon ich selbst eine Schauspielerin bin, dem österreichischen Adel gereichen diese Theater-Heiraten eben nicht sehr zum Vorteil!«

»Sie sind grausam bei so viel Liebenswürdigkeit! Wir haben doch hier unter uns ä Repräsentanten von der hohen Aristokrazie. Walstein, Gott der Gerechte, was is das für ä schöner Name, er klingt doch beinahe wie Wallenstein, der auch geheißen hat Friedländer, weswegen ich immer geglaubt habe, er stammte von unserem Volk. Was sagen Sie dazu, Herr Graf? Wer kann für das Herz und für die Liebe zur Kunst!«

»Ich wünscht' halt, der Friedländer hält' uns und seiner Nachkommenschaft a Herzogtum hinterlassen, statt a Herz. Sie wollen wissen, wie ich darüber denke?«

»Ich bitt', Herr Graf!«

»Haben Sie eine Tochter, Herr von Rosenberg?«

»Zwei, Herr Graf!«

»Schade! wie alt?«

»Die Adelaide ist – lassen Sie sehen, – sie ist jetzt zweiundzwanzig Jahr, aber ich sage Ihnen, sie singt wie die Elsler und tanzt wie die Patti!«

»Oder umgekehrt!«

»Ich habe mir versprochen. Die zweite heißt Libussa, zu Ehren der böhmischen Geschichte, und schreibt Gedichte und ästhetische Aufsätze in die Journale, die Fanny Lewald in Berlin und der Sapphir in Wien können's nicht besser machen. Und sie ist erst neunzehn! Gott, wenn die ä mal ist dreißig, was wird sie sein für ä Geist!«

»Das Ästhetische, Herr von Rosenberg, mag sehr schätzenswert für ä Teetisch der Herr Bankiers sein,« sagte nachspottend der Offizier, – »hier handelt es sich um etwas anderes! Also – auf Börsen-Kavalier-Parole, wieviel kriegt jede Ihrer Fräulein Töchter mit?«

Der Bankier schmunzelte. »Auf Ehre – wenn Sie mir so fragen – der Herr Baron kann mein Haus taxieren, daß ich nicht will prahlen, aber hunderttausend Gulden werden sie haben jede!«

»Machen Sie's doppelte d'raus, Herr von Rosenberg, und ich werde Muselmann und nehme sie alle beide! – Da haben Sie die Antwort eines Walstein auf Ihre Frage!«

Der Bankier rieb sich die Hände. »Sie belieben zu machen einen gnädigen Scherz, gerade wie unsere gefeierte Künstlerin, aber ich hoffe, Sie noch zu sehen im Salon von Rosenberg und Sohn und Sie werden Gelegenheit haben, sich zu überzeugen, was leisten in der Kunst und in der Literatur die Fräulein Rosenberg, meine Töchter. – Es ist merkwürdig überhaupt, meinen Sie nicht auch, Herr Baron, was in diesem Jahrhundert tut unsere Nation in der Kunst und in der Literatur! Haben wir nicht den Meyerbeer und den Offenbach – Gott, is das ä Genie! Fräulein von Bärenstein, sagen Sie selbst, ist de Wolter in Wien nicht auch ä großes Talent? – Wenn der Herr da ist aus Berlin, weil er fährt nach Berlin, wird er wissen, was für Künstler sind der Dessoir und der Döring, und der Rott, der doch gewesen ist mein Namensvetter, und die Frieb-Blumauer und die Lucca! Die ganze Leitung von der Kunst is doch jetzt meist in den Händen von unserer Nation, bis aufs Königliche, und 's wird auch kommen. Und was sagen Sie zum Davison! Gott, welche Spekulation in seinem Spiel, es is als ob der Rothschild macht ä Anleihe zu Siebenundachtzig und gibt se aus zu Hundertsechs ä Viertel. Aber 's is noch gar nischt gegen die Literatur! Sehen Sie an die Zeitungen und die Journale und das Theater? Wer schreibt d'rin und macht die Politik und die Kritik und die Theaterstücke – unsere Nation! Is es nicht wahr?«

»Leider!« sagte unwillkürlich der Gelehrte.

»Warum sagen Sie leider? wenn ist Ihr Kopfschmerz zu Ende, können Sie mir sagen, warum wir nicht auch tun sollen das Unsre in der Kunst? Haben Sie gekannt Heinrich Heine in Paris, und Mendelssohn und Kalisch und den Herrn von Kuranda in Wien? Ich sage Ihnen, unser ist die Zukunft, weil so lange gewesen unser Geist und unser Talent unterdrückt. Jetzt kann es zeigen sich frei und es strömt heraus wie ä Wasserfall, der is gewesen gedämmt!«

Der Doktor war errötet bei dem satirischen Blick, den ihm die Schauspielerin zugeworfen, als er sich verleiten ließ, sein Schweigen zu brechen und dafür die Anspielung des Bankiers hinunterschlucken mußte; aber der Ausdruck dieses Blickes verwandelte sich alsbald in die Aufforderung, dem Kampf nicht auszuweichen.

»Ihre Bemerkung, Herr, ist nicht ganz unberechtigt. Vieles von dem jetzt sich überstürzenden Eifer Ihrer Nation, sich hervorzutun, mag aus dem langen Druck zu erklären sein, dem sie ausgesetzt war. Indes, wie kommt es, daß sie auch auf einem andern Gebiet, wo sie stets sich frei bewegte, in Handel und Kredit in neuerer Zeit plötzlich einen so überwiegenden Einfluß gewonnen?«

Der Bankier schwieg, das Problem ging über seinen Witz. Aber sein offenbar auch geistig weit höher stehender Wiener Kollege nahm mit einer feinen Gegenfrage den Kampf auf.

»Sollte nicht vielleicht weniger unser Bemühen, als der Umstand, daß die Regierung und die einzelnen unserer mehr bedürfen, der Grund sein?«

»Ich gebe es zu! dieses Haschen nach Reichtum und Genuß, dieses überstürzen des institutionellen Fortschritts, statt einer gesunden allmählichen Entwicklung, das zu einer unverhältnismäßigen Schuldenbelastung des einzelnen, wie der Staaten führt, macht beiden das unstreitig spekulative Finanztalent Ihrer Nation notwendig und beugt die Prinzipien eines gesunden Haushalts unter die Herrschaft des Wuchers, dessen Charakter einmal im Judentum liegt, wie schon zahllose Stellen des Alten Testaments beweisen.«

»Sie nennen Wucher die freie und berechtigte Verwertung unsers Eigentums. Wenn wir sparsamer und scharfsichtiger sind, als die Christen, ist das unsere Schuld?«

»Der erhabene Sinn des Christentum ist die opferbereite Menschenliebe. Je mehr man sich davon entfernt, desto mehr gerät man in das Reich des Egoismus, des geistigen wie materiellen Wuchers. Durch das Christentum geht ein höherer idealer Zug – durch das Judentum der der Ausbeutung und Benutzung: die Spekulation! Sie sprachen vorhin von Kunst und Literatur. Nennen Sie mir seit Jahrhunderten einen jüdischen Dichter, der Ideales geschaffen! Ich verkenne nicht die große Begabung Ihres Volkes in anderer Beziehung, aber wo sich Ihre Talente auf das Gebiet der Kunst geworfen, haben sie nur im Raffinement ihre Erfolge gehabt. Selbst Ihr Meierbeer benutzt fortwährend die christliche Kirchenmusik zur Erreichung seiner Effekte. In Offenbach verkörpert sich das Herabzerren alles Idealen in die Spekulation auf die menschliche Gemeinheit. Heine? seine Eitelkeit treibt ihn, den lyrischen Mephisto zu spielen. Ihre Schauspieler – ich besuche nur selten das Theater – aber was ich gesehen, bewies mir, daß der Funke poetischer Begeisterung und Erfassung nicht da ist, wo stets die Spekulation auf den Applaus vorherrscht! Ihre Philosophen –? schon das Altertum hat sie gerichtet! Ihre Possendichter und Zeitungsschreiber? Die einen untergraben die Sittlichkeit des Volkes zugunsten ihrer Tantiemen, die andern halten die Unruhe in Permanenz zugunsten der Börsenagiotage und des Sieges des Kapitals über Würde und Arbeit!«

»Sie sind ein Sozialist, ein Idealist, mit dem schwer zu streiten ist! Sie sind erzogen in Vorurteilen gegen unsere Nation, die doch längst aufgegangen ist im Staats Bürger!«

»Ich bin ein Mensch voll Fehler und Schwächen wie jeder andere,« sagte mit tiefem Ernst der Doktor, »und habe dies nie mehr gefühlt, als gerade jetzt. Ich bemühe mich, keine Vorurteile zu hegen, aber ich glaube an die erhabene Aufgabe des Christentums, und sehe den großen Kampf, der ihm näher und näher tritt, mit dem wachsenden Materialismus – mit der Herrschaft des Judentums!«

Er schwieg; – er fühlte daß er zum zweitenmal jede Vorsicht vergessen.

Der vornehme Graf schaute gelangweilt zum Fenster hinaus – die Schauspielerin ordnete an einem kleinen Fingerspiegel ihr schönes blondes Toupet.

Der Wiener Geldfürst hatte aufmerksam zugehört. Ein feines malitiöses Lächeln glitt über sein scharfes Gesicht. »So viel ist sicher,« sagte er mit Betonung, – »der Herr sind kein Bankier! Meinen Sie nicht auch, Herr von Rosenberg?« – – – – – – – – – –


Die Umgebung der böhmischen Bahn, ist, wo sie ins Elbtal tritt und zwischen den Felsenwänden am Ufer des schönen Stroms sich hinzieht, so schön und abwechselnd, daß die Aufmerksamkeit der Reisenden stets gefesselt bleibt.

Im Jahre 1860 hatten diese an der Grenze in Bodenbach, wo der Zollverein, dieses gewaltige erste deutsche Einigungswerk Preußens beginnt, noch ihre Pässe und Paßkarten vorzuzeigen, ehe sie sich den spärlichen Genüssen der sächsischen Küche überlassen konnten.

Doktor Faust hatte seine Paßkarte übergeben und wollte eben wieder eintreten in das Bureau, sie zu holen, als der Prager Bankier ihm entgegenkam.

»Es freut mich, daß ich konnte sein Ihnen gefällig, Herr Doktor Faust,« sagte er mit übertriebener Freundlichkeit. »Hier ist Ihre Karte, ich hab' sie doch gleich mitgebracht mit der meinen!«

»Herr! …«

»Bitte, Sie sind mer schuldig gar keinen Dank. Warum soll mer nicht dienen einem Reisegefährten? Haben Sie schon revidieren lasten Ihre Sachen und wollen wir dinieren zusammen mit der Künstlerin? ich sage Ihnen, sie hat ä Kammermädchen – süperb! der Graf hat den Klemmer noch nicht von der Nase gebracht!«

Der Gelehrte begriff, daß er seinen Ärger über die dreiste Neugier verbeißen müsse, wenn er nicht dem Juden neue Waffen in die Hand geben wollte. Er verbeugte sich dankend und ging auf den Perron, nachdem er ein Glas Bier getrunken. Kopf und Herz waren ihm noch zu voll, um sich unter die speisende Gesellschaft zu mischen. Gern hätte er seine Reisetasche aus dem Coupé genommen und einen andern Platz gesucht, aber die Wagen waren gesperrt und weitergeschoben.

Als das Signal ertönte und die Menge der Reisenden herbeidrängte, die Plätze einzunehmen, sah er plötzlich die Schauspielerin an seiner Seite.

»Ich muß Sie sprechen, in Dresden, allein. – Suchen Sie Gelegenheit!« flüsterte sie leise und wandte sich gleich darauf zurück zu dem eilfertig herankeuchenden Bankier. »Verzeihen Sie, gnädiges Fräulein, daß ich hab' gesetzt die Pflicht gegen die Kunst einen Augenblick zurück hinter den Materialismus,« er warf dem Doktor einen bezeichnenden Blick zu, »aber der Magen will doch auch haben sein Recht, besonders, wenn er angehört einer gutsituierten Person. Ist es gefällig?«

Er half ihr beim Einsteigen, während hinter ihrem Rücken der Offizier dem wirklich hübschen Kammermädchen, das ihre Herrin bis zum Waggon begleitete, Kußfinger zuwarf.

Der Weg von der böhmischen Grenze bis Dresden war in zwei Stunden zurückgelegt, – die Fahrt ließ wenig Unterhaltung aufkommen. Bald nach zwei Uhr brauste der Zug über die schöne lange Elbbrücke nach der Altstadt und hielt auf dem Bahnhof, von dem eine halbe Stunde später der Zug nach Berlin abging.

In Dresden stiegen die Wiener und der Offizier aus. Während den ersteren der Prager Bankier vor die Freitreppe des Empfangsgebäudes und zur Droschke begleitete, trat in dem Wartesaal die Schauspielerin entschlossen auf den jungen Gelehrten zu.

»Mein Herr,« sagte sie – »wenn Sie auch, wie es scheint, meinen Stand nicht besonders lieben, gebietet mir doch die Pflicht der Landsmannschaft, Ihnen eine Mitteilung zu machen.«

Der Doktor verbeugte sich höflich.

»Wir sind einige Augenblicke unsere aufdringliche Reisegesellschaft los,« sagte sie – »aber ich fürchte, nur auf kurze Zeit. Ich habe meinem Mädchen Auftrag gegeben, auf diesen Herrn Rosenberg zu achten und mir einen Wink zu geben, wenn er zurückkommt. – Ich bitte Sie deshalb, mir kurz und bestimmt zu antworten. Trotz seiner Albernheit ist dieser Mann listig und gefährlich. Wissen Sie, daß er bloß Ihretwegen die Reise nach Berlin macht?«

»Sie setzen mich in Erstaunen – ich habe diesen Herrn nie zuvor gesehen!«

»Dem sei, wie ihm wolle, es ist Tatsache. Ich saß in Bodenbach an dem Tisch neben dem, an welchem er sich mit dem Bankier Ekstein in polnischer Sprache unterhielt. Zufällig verstehe ich dieselbe noch genügend aus meiner Jugend, um seine Mitteilungen wenigstens deuten zu können. Er sagte dem Baron, daß er den Auftrag habe, infolge einer Entdeckung, die man in Prag gemacht, Sie bis an Ihren Wohnort zu verfolgen und dort aufs genaueste im stillen Ihre Verhältnisse zu ermitteln. Es beträfe wichtige Interessen. – Nun sehen Sie mir nicht aus, wie ein Fälscher oder Verbrecher, dem die Polizei auf den Fersen ist, und ich hielt es daher, da ich selbst diese jüdische Spionage hasse und genug von ihrem Treiben leide, für meine Pflicht, Sie zu warnen. Man hat Schlimmes mit Ihnen vor.«

»Nehmen Sie meinen Dank, Fräulein, für die Warnung, und seien Sie versichert, daß Sie dieselbe keinem Unwürdigen haben zuteil werden lassen. Wenn ich einige Umstände zusammenreime, die mir seit gestern widerfahren, muß ich mir sagen, daß Sie recht haben können. Aber was tun? Ich darf diesem Mann nicht zeigen, daß ich von seiner Spionage Kenntnis habe, und leider hat er bereits durch seine Aufdringlichkeit in Bodenbach meine Paßkarte gesehen und meinen Namen erfahren.«

»Das ist schlimm genug!«

»Das einzige, was ich tun kann, ist, Ihre mir jetzt höchst achtungswerte Gesellschaft zu entbehren, und in einem andern Coupé die Reise fortzusetzen.«

»Das würde nichts helfen. – Enhielt die Paßkarte Ihren Wohnort, Berlin?«

»Es ist zufällig eine Legitimation aus meiner Heimat, Schlesien.«

»Dann gilt es, ihm Ihre Spur zu durchkreuzen. Müssen Sie diesen Abend in Berlin sein?«

»Ich bin Herr meiner Zeit und glaubte, den Ausflug nach Prag wenigstens auf eine Woche auszudehnen.«

»Gut – Wollen Sie nun meinem Rat folgen?«

»Gewiß!«

»Sie müssen mit uns das Coupé besteigen, um jeden Verdacht zu beseitigen. Ich habe bemerkt, daß Sie nur eine kleine Reisetasche bei sich haben. Sind Papiere darin, die Ihre Adresse verraten?«

»Nichts der Art!«

»Desto besser. Aber ich hoffe, Sie brauchen dieselbe nicht einmal zu opfern. Steigen Sie also mit uns in dasselbe Coupé. Ich werde diese kleine Toilettentasche im Wartesaal liegen lassen, und einige Augenblicke vorher, ehe der Zug abgeht, mich daran erinnern. Dann seien Sie einmal auch gegen eine Schauspielerin galant und springen aus dem Coupé, um sie zu holen. Sie suchen natürlich vergeblich, bis der Zug im Abgehen, und zeigen sich dann erst auf dem Perron. So ist es nicht Ihre Schuld, daß Sie zurückbleiben, Sie verlieren das Passagiergeld, werden aber die lästige Begleitung los, die mir – nach ein Paar Äußerungen zu schließen, – unheimlich und gefährlich scheint, da die Macht des Geldes weit reicht, und wenn Sie morgen über Görlitz oder Magdeburg, also mit einer andern Bahn, nach Berlin zurückgekehrt sind, holen Sie sich in meiner Wohnung, – ich werde bei Verwandten, Friedrichstraße 290, logieren – Ihre Reisetasche, die ich schon an mich bringen will, da Frauenschlauheit – aber da ist Karoline am Eingang des Saals – geschwind, treten Sie zum Büfett!«

Im nächsten Augenblick kam der Bankier herein und der mißtrauische Blick, den er umherwarf, bewies der Dame, wie zweckmäßig ihre Vorsicht gewesen war.

Gleich darauf gab die Glocke das erste Signal.

»Wir fahren doch zusammen, Herr von Faust?«

»Ich hoffe!«

Die Reisenden nahmen ihre Plätze ein und alles geschah, wie die Schauspielerin so schlau berechnet hatte. Herr Rosenberg streckte mit ziemlich verblüffter Miene den dicken Kopf aus dem Fenster des Coupés und schrie vergeblich den Schaffnern des dahinschnaubenden Zuges zu, daß noch ein Passagier mit müsse, während die Künstlerin schadenfroh lächelnd über ihn weg nach dem jungen Gelehrten schaute, der auf dem Perron durch einige bedauernde Gesten die kleine Komödie unterstützte.

Als Doktor Faust sich von dem spionierenden Verfolger so glücklich befreit sah, fiel es ihm in der Tat wie eine Last von der Brust, und selbst das Abenteuer der verhängnisvollen Nacht begann ihm in einem milderen Licht zu erscheinen, als die quälenden Selbstvorwürfe bisher zugelassen.

Dennoch, trotz der Stunden, die seit dem stummen Abschied vergangen, fühlte er Geist und Blut noch immer in ungewohnter Aufregung. Der junge Gelehrte war trotz der dreißig Jahre, die er zählte, eine in sittlicher Beziehung bisher durchaus unverdorbene Natur, und die strenge Schule des Lebens, die er als Sohn einer unbemittelten Witwe durchgemacht, die strengen und ernsten philosophischen und theologischen Studien, denen er sich gewidmet, hatten ihn vor den Verstrickungen des Herzens wie der Sinne bisher bewahrt, und einen gewissermaßen asketischen Charakter in ihm ausgebildet.

Um so gewaltiger mußte dieser Durchbruch, dieser Sieg der Sinne über alle seine Grundsätze auf ihn wirken. Wilde Zauberbilder des Blutes kämpften in ihm mit Vernunft und den Vorwürfen des Gewissens, während er jetzt zum erstenmal allein nach dem Ereignis auf der Brühlschen Terrasse umherging, um Ruhe zu gewinnen und mit sich selbst wieder eins zu werden.

Diese Hoffnung war leider trügerisch!

Wer den Becher mit dem feurigen berauschenden Trank der Sinnenlust an seine Lippen gehoben, vermag nicht so leicht den Trank zu vergessen!

Das Tageslicht verschwand bereits, als der kalt herabrieselnde Regen ihn weckte und antrieb, ein Unterkommen für die Nacht zu suchen. Er hatte zwar beabsichtigt, noch am selben Abend nach Görlitz weiter zu fahren, aber die erschöpfte Natur forderte, da er seit zwei Nächten nur kurze Zeit geruht, ihre Rechte, und als er, die Terrasse verlassend, das prächtige Hotel Bellevue links am Ufer der Elbe vor sich sah, beschloß er, ein Zimmer zu nehmen und erst mit dem Morgenzug abzureisen.

Der Oberkellner sagte ihm, daß ein kleines Zimmer im ersten Stock nach der unteren Elbe zu frei sei, und er nahm es mit Vergnügen. Er ließ sich eine Flasche Wein und kalte Küche auf das kleine nach vorn an ein größeres stoßende Zimmer bringen, genoß ein Paar Gläser und warf sich erschöpft auf das Sofa.

Es war mehr Betäubung als Schlaf, was ihn einige Stunden lang umfing.

Als er aus den wüsten Träumen, die ihn umgaukelt, wieder aufwachte, war alles um ihn her dunkel, nur draußen auf dem Platz glühten falb durch die regenschwere Atmosphäre die Gaslaternen.

Eine Stimme, die er sich erinnerte, schon gehört zu haben, sagte mit einer Deutlichkeit, als würden die Worte neben ihm gesprochen:

»Treten Sie ein, Exzellenz, wir sind hier ganz sicher und unbelauscht!«

»Wissen Sie das gewiß, Baron? Man ist in Dresden ebenso neugierig wie in Berlin und Wien!«

»Ohne Besorgnis, Exzellenz. Es ist ein Eckzimmer, und selbst hinter dieser Wand wohnt niemand, wovon ich mich schon am Nachmittag überzeugt.«

»Dann lassen Sie mich ablegen. Ich erkannte Sie sogleich in der Oper und Sie verstanden meinen Wink, mich auf dem Korridor zu treffen. – Warum benachrichtigten Sie mich nicht von Ihrer Ankunft?«

»Ehrlich gestanden, ich wollte Ihnen erst morgen Vormittag meine Aufwartung machen. Ich war die Nacht durch gefahren und etwas erschöpft!«

»Und doch mit der schönen Blondine im Theater? Aber Sie haben recht, Baron – man muß die freien Stunden benutzen – niemand weiß das besser als ich! Beliebt Ihnen?«

Der Sprecher mußte dem andern – jenem, dessen Stimme dem Gelehrten so bekannt vorkam, Zigarren angeboten haben, denn einige Momente schwieg das Gespräch. Jetzt, wo er ihn »Baron« titulieren hörte, kam ihm auch auf einmal die Erinnerung. Das war der geadelte Bankier aus Wien, der neben ihm das Zimmer bewohnte. Aber noch immer begriff er nicht, wie er so deutlich die Stimme hören konnte, daß keine Nuance des Gesprächs ihm entging.

Der Doktor hielt es für unredlich, zu horchen – lastete doch noch eine schreckliche Erfahrung auf ihm – und er wollte zuerst durch ein Geräusch den Männern nebenan zu erkennen geben, daß sie nicht so sicher wären, als sie glaubten; aber wie er noch darüber nachsann, fesselte der Inhalt des Gesprächs ihn bereits so sehr, daß er bald mit gespannter Aufmerksamkeit hörte.

»Der König ist noch immer nicht tot!?«

»Es geht zu Ende mit ihm – meine Berichte aus Berlin lauten, daß er unmöglich diesen Winter überstehen wird. Er vegetiert nur noch, eine Ruine ohne Geist und Willen.«

»Das kommt davon, wenn man auf dem Thron zu geistreich ist. Wir kennen Personen, Exzellenz, die es nicht sind!«

Der andere lachte. »Keine Majestätsbeleidigungen! Indes! ich will offen bekennen, ich wünsche selbst aus Teilnahme für ihn, daß dieses unglückliche Schicksal ein Ende nimmt, selbst auf die Gefahr hin, daß ein energischer Geist an seine Stelle tritt. König Friedrich Wilhelm IV. war ein Gefühlsmensch, kein Charakter, sonst hätte es längst zu dem entscheidenden Kampf kommen müssen. Da es uns nicht gelungen, bei der Erkrankung des Königs die Regentschaft in andere Hände zu bringen, müssen wir die Zeit nutzen, während sein Nachfolger noch in diesen liberalen Versuchen seine Kraft verschwendet, von der ich fürchte, daß sie – wenn sie erst zum Durchbruch kommt, und bessere Stützen findet, als dieses unklare Ministerium Auerswald-Schwerin, – uns viel zu schaffen machen wird! Aber mir sind die Hände gebunden, so lange dieser unglückliche König lebt! Sie können nicht glauben, wie groß der Einfluß der Königin an unserm Hofe, und selbst in München und durch Altenburg in Hannover ist. Alle aggressive Politik wird dadurch gehemmt. Ich wünschte, alle diese erlauchten Damen hätten den Patriotismus oder Ehrgeiz der Erzherzogin!«

»Und doch ist ihr Einfluß in der Burg sehr im Schwinden!«

»Das liegt in andern Verhältnissen. Aber sie hat Politiker erzogen, die sie und Schwarzenberg ersetzen! Dieses Preußen muß vernichtet werden, und in die Reihe der deutschen Kleinstaaten oder höchstens der Mittelstaaten zurücktreten. Man täusche sich um Himmelswillen in Wien nicht! die Gefahr ist dringend. Sie verdanken dieser perfiden preußischen Politik allein den Verlust der Lombardei, nicht den Niederlagen von Magenta und Solferino und den Betrügereien der Herren von Eynatten und Kompagnons!«

»Man wird es in Wien nicht vergessen, wenn die Stunde der Abrechnung kommt!«

»Ich erwartete Sie erst in einigen Tagen – wenn der Graf von den Warschauer Konferenzen wieder eingetroffen. Um so mehr freute ich mich, Sie diesen Abend schon hier zu sehen. Ich hielt es fürs beste, nach der Vorstellung Sie zu besuchen. Wir können so uns über alles verständigen, während ein offizieller Besuch bei mir morgen doch vielleicht Aufmerksamkeit erregt hätte.«

»Und sollten Euer Exzellenz in Warschau wirklich so schlecht bedient gewesen sein, daß Sie nicht wüßten, weswegen ich heute schon hier bin?«

Die Antwort hatte einen sehr spöttischen Klang. »Graf Rechberg ist ein viel zu gediegener Diplomat, um den kleinen Schnupfen übel zu nehmen, den er sich im Hof des Belvedere geholt, als er zwei Stunden im Regen antichambrieren mußte. – Gehen Sie doch – der Kaiser hat offenbar auf Preußens Antrieb abgeschlagen, sich in die italienischen Angelegenheiten zu mischen. Wir werden Parma auf dem Halse behalten, so gut wie Sie die anderen Bourbons. Wenn die schöne Eugénie nicht ein übriges tut, wird der heilige Vater die Wahl haben zwischen Innsbruck, dem Eskurial, Malta oder Köln!«

»Scherzen Euer Exzellenz nicht, die Lage ist ernst genug. Von meinem Standpunkt als Jude möchte der Papst meinetwegen ins Pfefferland gehen, aber der Fall wäre eine neue Wunde für das Ansehen Österreichs. Wir haben mit innern Gegnern genug zu kämpfen und die Ungarn machen der Regierung das Leben sehr sauer!«

»Warum greifen Sie nicht zum Dualismus? Über kurz oder lang werden Sie es doch tun müssen, ich habe es Rechberg und dem Fürsten stets gesagt! Aber lassen Sie uns auf unsere Zwecke kommen. Zunächst eine persönliche Frage. Können Sie das Anleihen vermitteln? ich befinde mich wirklich in Verlegenheit!«

»Ich werde morgen Herrn v. Kaskel den neuen Kredit auf unser Haus eröffnen. Euer Exzellenz mögen unbesorgt ziehen. Nur eine persönliche Bitte möchte ich daran knüpfen!«

»Sprechen Sie!«

»Später – lassen Sie uns zunächst die preußische Frage behandeln. Sie wissen, daß ich das volle Vertrauen der leitenden Personen genieße.«

»Ich weiß es und gerade daß man Sie gewählt zur Verhandlung, ist mir angenehm und erleichtert die Verständigung mehr als jeder offizielle Akt. Wir haben bereits in unserer früheren Unterredung die Stellung der Großmächte besprochen. Es gilt, Preußen zu isolieren und dazu wird die schleswig-holsteinische Frage passend sein. Ich bin kein Soldat und muß Ihrem Kriegsrat die Frage überlassen, ob oder wann sich die kaiserliche Armee genügend von dem Schlage in Italien erholt hat.«

»Sie ist jeden Augenblick bereit!«

»Schön! aber das Odium würde jetzt auf uns fallen. Das Berliner Kabinett begreift gar nicht, welchen Verbündeten es an der deutschen Demokratie hat! Dieses unbewußte Bündnis muß zunächst gründlich zerstört, die Agitation des sogenannten Nationalvereins muß auf unsere Seite herübergezogen werden. Einige Schützen-, Sänger-und Turnerfeste gehörig benutzt, und die Anstachelung der Opposition in den nächsten preußischen Kammern gegen das Projekt der Armee-Reorganisation werden das tun. Man muß die neue Regierung dem Volke verhaßt machen und sie als ein willkürliches Soldaten-Regiment denunzieren. Die Mittel dazu haben wir in der Presse zur Genüge.«

»Sie kostet uns ein schönes Geld!«

»Es ist nicht weggeworfen; als Geschäftsmann wissen Sie am besten, wie man Kapital und Zinsen herausschlägt. Es gilt, unsere diplomatischen Schachzüge nach einem bestimmten Plane zu ordnen und der ist es, den ich Sie bitte, dem Grafen vorzulegen.«

»Sind Euer Exzellenz der Zustimmung der Herren Borries, Pfordten und Dalwigk gewiß?«

»Ganz gewiß, sobald es darauf ankommt!«

»Also zu dem Plan!«

»Wir haben drei Fragen, die wir benutzen müssen, die hessische, die schleswig-holsteinische und die Bundesarmee. Was zunächst die Zweite betrifft, so muß sie über kurz oder lang zur Lösung kommen, denn das dänische Kabinett handelt ganz unsinnig. Die preußische Politik geht ganz offenbar schon jetzt darauf hinaus, sich vom Bunde möglichst unabhängig zu machen. Deshalb darf die künftige Exekutive gegen Dänemark in keinem Falle in die Hände Preußens gelegt werden. Unter dem Vorwand, daß dies auch schon weniger die Eifersucht der auswärtigen Mächte erregen wird, müssen zwei der Mittelstaaten, die natürlichsten: Sachsen und Hannover, damit betraut werden.«

»Und das Ende?«

»Die unvermeidliche Lostrennung Holsteins bis zur Eider von Dänemark. Die Holsteiner schreien am meisten, obschon sie im Grunde gar keine Ursache und herzlich wenig Lust haben, selbst etwas zu tun. Die Kieler Universität ist ein wahrer Segen für uns.«

»Aber was wollen Sie aus Holstein machen?«

»Natürlich ein selbstständiges Herzogtum, vielleicht einmal mit Hamburg und Lübeck verstärkt, das vom Norden her ein ewiger Pfahl im preußischen Fleische bleibt und es hindert, sich an der Ost- und Nordsee auszudehnen.«

»Ich brauche wohl nicht zu fragen, wer diesen Thron besteigen oder der Figurant sein soll!«

»Ein Diplomat wie Sie, braucht keinen Fingerzeig. Natürlich ist es der Erbprinz von Augustenburg. Er ist eitel und undankbar genug, um alles zu vergessen, was er Preußen schuldig ist, wenn es gilt, auf Grund eines gemeinen pekuniären Wortbruchs eine Herzogskrone zu erlangen. Subjekte, um ihn darin zu bestärken und vorwärts zu treiben, liefert Holstein zur Genüge. Genug, er muß unsere Puppe sein, die wir vorschieben. Ich hoffe, daß er bei einem etwaigen Kriege mit Dänemark nicht den Verstand haben wird, sich etwa als preußischer Major zu gerieren. Wir wollen eine Art politischen Märtyrers aus ihm machen, das paßt zur Aktion gegen Preußen. Er sei das Aushängeschild, das wir dem Nationalverein vorhalten. Dieser politische Phantast, der Herzog von Koburg, einer der konfusesten Politiker unserer Zeit, der heute sich gegen die Dänen die Sporen verdient, morgen das Dreikönigsbündnis kolportiert, die Österreicher im Krimfeldzug in die Donaufürstentümer gegen Rußland postiert, und dann Preußen für den Po zu engagieren sucht, wird auch gründlich aus diese Sache hereinfallen und den Augustenburger zum deutschen Volksherzog machen. Auf diese Weise werden die preußischen Sympathien des Nationalvereins, also der nationalen Strömung, brach gelegt!«

»Ich bewundere die scharfe Kombination Euerer Exzellenz.«

»Bah – diese Schlüsse geben sich von selbst! Nehmen wir also den ersten Punkt, die hessische Verfassungsfrage. Hier hilft uns ohne jedes weitere Zutun die Person des Kurfürsten, sein Eigensinn und die Zähigkeit des Volksstamms. Daß der Bundestag keinen Ernst macht, ist unsere Sache!«

Der baronisierte Bankier lachte. »Es wäre auch zu merkwürdig! – Aber« – fuhr er ernster fort, – »waren Euer Exzellenz je in der berühmten Rotunde von Wilhelmshöh?«

»Ja!«

»Und haben Sie da nichts Auffallendes bemerkt, wovon das Volk spricht?«

»Daß ich nicht wüßte! was meinen Sie?«

»Die Kuppel enthält bekanntlich in Nischen die lebensgroßen Bilder sämtlicher Fürsten des hessischen Hauses. Nun ist nur noch eine Nische frei – für das Bild des jetzt regierenden Kurfürsten, und im ganzen Rund auch nicht ein Plätzchen übrig für das eines Nachfolgers!«

»Von Ihnen, Baron, hätte ich am wenigsten Geisterseherei gefürchtet! Im Grunde wäre auch nichts verloren, eine andere Linie kommt ohnedem zum Regiment und man baut eine neue Rotunde! Eigentlich haben die hessischen Stände vollkommen recht und die Nepotenwirtschaft dort taugt in dem Teufel nichts, gerade wie in dem fleischbedürftigen Mystizismus des Hofes an der Leine, aber das ist nicht unsere Sache. Preußen steht auf Seiten der kurhessischen Kammer und wird sich sicher verleiten lassen, falsche Schritte zu tun. Mehr wollen wir vorerst nicht, als Handhaben. Die besten sind die Differenzen im Bund für die Reform der Bundeskriegsverfassung. Die Militär-Konferenzen im August in Würzburg waren der erste Schachzug. Keine Teilung des Oberkommandos – also Unterordnung Preußens unter die Bundesmajorität – das aber verträgt der preußische Soldatendünkel nicht. Merken Sie wohl auf, wie es kommen wird. Preußen wird bei der streitigen Bundesfeldherrnfrage entweder Alternierung oder das Recht privater Einigung mit Österreich unter Ausschluß der andern deutschen Staaten verlangen. Geschah durch Note vom 2. Mai 1861. Hier hat alsdann das Wiener Kabinett Gelegenheit, seine groß-deutsche Gesinnung zu zeigen, und seine Unterordnung unter die Bundesbeschlüsse zu erklären, die ja nicht zweifelhaft sein können; daß die preußischen Pläne, eine Küstenflottille in die Hand zu nehmen, nicht zur Ausführung kommen, dafür soll die Rivalität Hannovers sorgen. Hannover muß den Antrag beim Bunde machen, die Verteidigung der Nordseeküsten nicht unter die Leitung Preußens zu stellen, sondern unter die des Bundes. Geschah unterm 31. Oktober 1861. Hat sich dann Preußen durch die im stillen von uns beeinflußten Agitationen des Nationalvereins auf Herstellung einer deutschen Zentralgewalt, einer einheitlichen Kriegsverwaltung, Leitung der auswärtigen Angelegenheiten und Wiederherstellung eines deutschen Parlaments – ich wiederhole Ihnen, der Herzog von Koburg wird sehr gut zu einer solchen Initiative zu brauchen sein! Antrag des Herzogs unterm 31. Oktober 1861. – zur Zustimmung verleiten lassen, dann ist es in unsern Händen und unseren Beschlüssen unterworfen. Widerstrebt es, so ladet es alles Odium des durch den Nationalverein bearbeiteten deutschen Volkes auf sich: das alleinige Hindernis der deutschen Einigung zu sein!«

»Das Dilemma ist allerdings sehr unangenehm.«

»Um sich herauszuwickeln, dazu würde es eines sehr bedeutenden Staatsmannes bedürfen, und den besitzt Preußen nicht. Aber wir müssen auf alle Fälle gefaßt sein, also auch auf den Versuch eines Sonderbundes. Um diesem zuvorzukommen, müssen, und das ist der Plan, den ich Sie dem Grafen vorzulegen bitte, – die Regierungen von Österreich, Bayern, Württemberg, Sachsen, Hannover, Hessen und Nassau und wen wir von den kleineren Staaten noch gewinnen können, – gemeinsame Noten an das Preußische Kabinett erlassen, worin gegen jeden engeren deutschen Bundesstaat unter der Führung Preußens protestiert und die preußische Regierung eingeladen wird, an den Beratungen einer zu proponierenden Bundesreform teilzunehmen. Die Noten erfolgten am 2. Februar 1862. Diese Proposition wird die einer Trias an der Spitze der deutschen Angelegenheiten sein, bestehend aus Österreich, Preußen und einem dritten, von den übrigen periodisch zu wählenden Staat. Diese Stellung zu dritt' ist das Ende des preußischen Großmachtkitzels.«

»Der preußische Hochmut wird sie niemals eingehen!«

»Dann stellt sich Österreich, das bis dahin in möglichst reservierter Haltung bleiben muß, offen an die Spitze der deutschen Einigung, erneuert das Frankfurter Parlament, und die Gelegenheit, gegen Preußen eine Bundesexekution zu vollstrecken, wird sich leicht finden. Dabei müßte es sehr seltsam zugehen, wenn Österreich und der deutsche Bund dem gänzlich isolierten Preußen nicht die Federn so beschneiden sollten, daß es nie wieder sich über die andern Mittelstaaten erheben kann!«

Der Finanzrat schwieg. Erst nach einer Pause sagte er: »Der Plan ist gut kombiniert! und doch, vergessen Exzellenz nicht, auch der Plan des Grafen Brühl war es und damals standen noch Rußland, Frankreich und Schweden auf unserer Seite und der Staat Friedrichs II. hatte weit geringere Hilfsmittel als jetzt!«

»Aber er hatte einen Friedrich! Das Glück wird nicht immer ungerecht sein! – Ja,« fuhr er fort, und der tief erregte geheime Zeuge hörte den Sprecher mit heftigen Schritten in dem Zimmer auf und nieder gehen – »ich gestehe es Ihnen gegenüber offen, ich hasse dieses Preußen aus tiefster Seele und fürchte seine Zukunft! Und deshalb arbeite ich mit allen Kräften an seiner zeitigen Erniedrigung. – Sprechen Sie sich klar aus! Will Österreich mit uns gehen oder hat es den geheimen Hinterhalt der Teilung Deutschlands? – dann möge es offen vorwärts gehen! über kurz oder lang, das bin ich sicher, kommt dann doch der Zusammenstoß! die jetzigen Zustände aber sind unerträglich. Mit seiner ewigen Unentschlossenheit wird Österreich Schritt um Schritt zurückgedrängt und ist schließlich nicht mehr in der Lage, zu unserm Schutz eintreten zu können! Wir müssen dann an einen neuen Rheinbund denken.«

»Nicht so rasch, Exzellenz! Österreich hat natürlich das größte Interesse an der Ausführung Ihrer Vorschläge, aber Sie müssen bedenken, daß unsere inneren Verwicklungen sehr hemmend wirken. Die Finanzen sind zerrüttet, Ungarn ist in voller Opposition und ich weiß nicht, ob man nicht am besten täte, das Anerbieten anzunehmen und Venetien zu verkaufen. Die Oktoberpatente scheinen keine Partei recht zu befriedigen. Nichtsdestoweniger glaube ich die volle Billigung des kaiserlichen Kabinetts verbürgen zu können. Bleiben Sie ein Freund Österreichs, und Euer Exzellenz sollen sich nicht über seine Dankbarkeit zu beklagen haben. Die Verhältnisse Sachsens sind ohnehin zu eng für einen Geist wie der Ihre.«

»So wären wir denn einig und ich kann noch auf eine Stunde zu Frau von Uckermann zum Tee gehen, wie ich versprochen. Aber Sie erwähnten noch eines persönlichen Wunsches. Womit kann ich Ihnen dienen?«

»Er betrifft Polen. – Soll ich offen sprechen?«

»Ich bitte darum. Daß ich nicht an russischen Sympathien leide, werden Sie mir ohne Versicherung glauben. Ich denke, dasselbe ist der Fall in Wien.«

»Darüber kann bei den Eingeweihten kein Zweifel herrschen. Dem Scharfblick Eurer Exzellenz kann es nicht entgangen sein, daß sich in Polen eine große Bewegung in aller Stille vorbereitet.«

»Meine Polizei hat mich benachrichtigt, daß seit einiger Zeit viele polnische Emigrierte in Dresden ihren Aufenthalt genommen haben.«

»Das ist es, worauf ich kommen wollte. – Gerade heraus – was hat das polnische Agitationskomitee von Ihnen zu hoffen oder zu fürchten, wenn es Dresden zu dem Ausgangspunkt der Bewegung wählt? Wir müssen eine nähere Station haben, als Paris.«

»Offen oder im geheimen?«

»Versteht sich, im geheimen. Wien und Prag sind dazu nicht geeignet – das Kabinett von Wien muß sich den Rücken frei halten. In Preußen würde man die Sache geradezu unterdrücken. Dresden eignet sich durch seine Lage am besten dazu. Genießt das Komitee aber nicht Euer Exzellenz stille Duldung, so muß es das entferntere Frankfurt wählen, was freilich ungern geschehen würde. In Sachsen hat man von König August her immer noch Sympathien für das Königreich Polen.«

»Und verteufelt wenig für Rußland, dessen Zustimmung im Wiener Kongreß wir unsere Schmälerung verdanken. Ich hoffe zwar nicht auf eine Wiederherstellung Polens, aber schon die Aussicht, daß Preußen das Großherzogtum wieder herausgeben müßte, verdient Unterstützung. Nur ist Österreich in Galizien ebenso gefährdet.«

»Diesmal nicht! Das leitende Komitee in Paris hat sehr gut eingesehen, daß es sich unmöglich mit allen Besitzmächten überwerfen darf, und Fürst Czartoryski erteilt die bestimmtesten Zusicherungen. Galizien wird überdies der Weg sein, auf welchem die Erhebung ihre Nahrung bezieht. Euer Exzellenz haben meine Frage noch nicht beantwortet.«

»Das Bankierhaus Ekstein in Warschau gehört ja wohl zu Ihrer Familie?«

»Unsere Väter waren Brüder. – Aber die Antwort …«

»Mein Himmel, die haben Sie längst! In Dresden kann jeder Fremde unbelästigt wohnen, der Geld genug hat, um der Armenkasse nicht zur Last zu fallen! Wenn Ihre Herren so und so uns nicht mit Gewalt unter die Nase rennen, haben wir keine Ursach, uns um sie zu bekümmern und – der Zar ist weit! Wissen Sie auch, daß Loschwitz eine sehr schöne Gegend ist und in einer halben Stunde von Dresden zu erreichen?«

»Ich kenne es!«

»Nun – so viel ich weiß, steht eine ziemlich abgelegene Villa daselbst – nicht weit von der meinen, zu verkaufen oder zu verpachten!«

»Ich verstehe und danke Euer Exzellenz!«

»Ich habe nichts gesagt! – Also – Kaskel wird morgen die Anweisung haben wegen des Darlehns?«

»Das Geld wird zu Ihrer Verfügung stehen.«

»So leben Sie wohl, Baron und wiederholen Sie dem Grafen:

» Ich treffe immer ins Schwarz-Weiße

Ein krankhafter Schrei, ein schwerer Fall unterbrach hier die Unterredung.

Der Ton kam aus dem rückwärts angrenzenden Zimmer – ganz deutlich, obschon keine Tür dahin führte, konnten sie ein Stöhnen, ein Röcheln vernehmen.

»Zum Henker – was ist das? Sie sagten mir, hier nebenan wäre niemand und wir wären vor jedem Ohr sicher? Wenn man hier jeden Laut von drüben hört, muß es dort ebenso gewesen sein!«

Das schmerzliche Stöhnen dauerte fort.

»Euer Exzellenz dürften am besten tun, sich zu entfernen,« riet der Wiener. »Der Eingang zu jenem Zimmer ist von einem andern Korridor. Ich werde dann sofort mich überzeugen, was die Sache zu bedeuten hat. Euer Exzellenz erhalten morgen Nachricht von mir!« –


Einige Minuten später trat der Wiener Bankier mit einem Kellner in das Zimmer des Doktor Faust, da auf ihr Klopfen keine Antwort erfolgte.

Sie fanden den jungen Gelehrten auf dem Boden liegen, bewußtlos, aber in wilder Fieberhitze verworrene Worte und Reden ausstoßend.

Der Baron erkannte sofort seinen Reisegefährten von Prag her. Nachdem man den offenbar schwer Erkrankten auf das Bett gelegt, schickte der Baron, als teilnehmender Freund sich gerierend, den Kellner nach dem Arzt und ließ zugleich seinen eigenen Diener rufen, einen Mann, dem er vollkommen vertrauen konnte.

Dann – während er allein war mit dem Kranken – untersuchte er zunächst das Zimmer.

Ohne Mühe löste sich ihm das Rätsel, das der Gelehrte im Dunkel nicht hatte entdecken können.

Am Ende des Sofas war die Wand früher durchbrochen gewesen, um dem Rohr eines Ofens Raum zu geben, das durch das hintere Zimmer geleitet, mit der Verlegung des Ofens aber gleichfalls entfernt war. Die Öffnung war mit einer einfachen Papiertapete bekleidet und die Schallleitung so stark, daß der Baron, als er jetzt seinen Diener in das eigene Schlafzimmer schickte, um von seiner Toilette Eau-de-Cologne zu holen, jede Bewegung desselben genau vernahm.

Das Phantasieren des Kranken bewies ihm, daß derselbe in der Tat vollständiger Zuhörer der wichtigen Unterredung gewesen sein mußte. Aber diese verworrenen Andeutungen von einer Gefahr Preußens, dem Schuß ins Schwarz-Weiß, polnischer Revolution, dem Nationalverein und so weiter waren in unerklärlicher Weise gemischt mit wilder Angst vor weißen Grabgespenstern, die sich verschworen hätten, alle Christen zu ermorden, und mit den üppigsten Bildern von Frauenreizen und Liebesgenüssen!

Der diplomatische Finanzmann war gewöhnt, unter schwierigen und gefährlichen Umständen seine Geistesgegenwart nicht zu verlieren, zunächst alle Umstände genau zu erwägen und dann sich zunutze zu machen. Er sah die Gefahr vollkommen ein, welche es haben könne, wenn die erlauschten politischen Geheimnisse mißbraucht würden, und daß ein feindlicher Gebrauch durch den Fremden geschehen würde, wenn er erst wieder zur ruhigen Erinnerung gekommen, war ihm nach den früheren Äußerungen des Phantasierenden keineswegs zweifelhaft.

Er hatte seinen Entschluß gefaßt, als der Hotelbesitzer mit dem Arzt erschien. Der Baron ging ihm entgegen.

»Meinem jungen Reisegefährten,« sagte er, »ist leider ein Unfall zugestoßen. Ich fürchtete es fast schon unterwegs, denn sein ganzes Wesen war unstet und verstört und – nach dem, was ich von früheren Anfällen gehört – läßt sich leider auf das Traurigste für ihn schließen. Auch seine Mutter soll lange geistesgestört gewesen sein. – Aufregung und daß er – statt sogleich bei der Ankunft mit ins Hotel zu gehen – wie seine Kleider zeigen, noch lange in dem Herbstregen verweilt, mögen die Ursache des Ausbruchs einer Krankheit sein. Es versteht sich, daß ich für alle Kosten, die diese macht, aufkomme.«

So unterrichtet untersuchte der Arzt den Kranken und bestätigte, daß ein Gehirnfieber im Anzuge sei. Am andern Morgen wolle er entscheiden, ob man den Leidenden in eine Krankenanstalt bringen könne.

Noch in derselben Nacht sandte der Baron ein Telegramm nach Berlin: »Bankier Rosenberg aus Prag. Rheinischer Hof. Kommen Sie sofort nach Dresden zurück – was Sie verloren, habe ich gefunden.«

Am andern Nachmittag traf der Bankier ein. Der Kranke lag im wildesten Fieberparoxysmus – der Diener des Barons hatte seine Pflege übernommen.

»Diesen Abend,« erklärte der Arzt – »wird die Kraft sich erschöpft haben – wir müssen die Apathie des Leidenden benutzen, um ihn nach einer Krankenheilanstalt zu bringen. Haben Sie in dieser Beziehung eine Bestimmung getroffen?«

»Hier mein Freund,« sagte der Baron, »steht ihm näher als ich. Der junge Mann ist ohne alles Vermögen, er führte nicht einmal Gepäck bei sich. Herr von Rosenberg hat für ihn bereits die Aufnahme in dem israelitischen Krankenhause erwirkt.«

»Ich werde doch sorgen für seine beste Verpflegung!«

»Das freut mich,« erwiderte der Arzt, »denn die Menschlichkeit gebietet, alles mögliche für ihn zu tun, obschon ich fürchte, es wird nicht viel nützen. Der zweite und dritte Anfall des Paroxysmus wird noch weit stärker sein als der erste, und wenn mich meine Erfahrung und verschiedene Anzeichen nicht trügen, ist – wenn der Patient überhaupt diese Krankheit überlebt, – doch für längere Zeit ein geistig gestörter Zustand, eine Monomanie bei ihm zu fürchten, welche die sorgfältigste Behandlung nötig macht.«

»Seien Sie unbekümmert – es soll für ihn gesorgt werden.«

Der Arzt empfahl sich; – zu Hause fand er ein Couvert mit einem anständigen Honorar. Da er zufällig nicht Gelegenheit hatte, mit dem Arzt der Heilanstalt zu verkehren, und die Zahl der Leidenden in dem Herbst so groß war, entschwand ihm bald die Sache aus dem teilnehmenden Gedächtnis.

Am Abend wurde Doktor Faust nach dem trefflich eingerichteten und bedienten Krankenhause gebracht – und erhielt dort seine eigene Stube. Der Prager Bankier besorgte selbst einen eigenen Wärter aus der Stadt, die Kosten wurden reichlich deponiert.

Als die beiden Finanziers am andern Tage das Krankenhaus verließen, um ihre Heimreise demnächst anzutreten, sagte Herr Rosenberg:

»Aber was soll werden mit dem Menschen, Herr Baron, wenn er nicht geht kapores! Ich bin gerne mildtätig und zeige mer darin bei allen öffentlichen Gelegenheiten. Aber es macht doch grauslich viel Kosten und im Grunde geht er uns doch gar nischt an.«

»Für diesen Fall, Herr von Rosenberg, ist hier die amtliche Erlaubnis zur Aufnahme des Unglücklichen auf dem Sonnenstein. Sie kommen ja wohl einmal wieder herüber von Prag, um nach ihm zu sehen!«

Er übergab ihm ein Papier mit dem Siegel der Raudte.

Der Sonnenstein ist die staatliche Irrenanstalt Sachsens. Von seiner Höhe sehen die armen Unglücklichen durch die Eisenstäbe ihrer Fenster auf das prächtige Elbtal!



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