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Ein Duell in der Wüste.

Es war eine Stunde nach Mitternacht. Vergebens hatten der Löwenjäger und der Ansiedler ihren Gästen anempfohlen, die Zwischenzeit zu der ihnen so notwendigen Ruhe zu verwenden, indem sie ihnen auf das Bestimmteste versicherten, daß die Araber nicht vor der bestimmten Zeit angreifen würden und sie selbst ihre Flucht ungehindert fortsetzen könnten; die Aufregung, die sich der kleinen Reisegesellschaft bemächtigt, war zu groß, als daß einer unter ihnen hätte schlafen können, und der Oberst entschied für das Bleiben, da er der kleinen Besatzung der Ansiedlung unmöglich einen Mann zu ihrer Führung durch das Gebirge entziehen konnte, und die Flucht ihn ohnehin mindestens ebenso gefährlich dünkte, als das Bleiben und Erwarten des Beistands vom Fort.

Von Renaud hatte man erfahren, daß weiterhin im Gebirge, in gleicher Entfernung wie zum Fort, noch zwei Gehöfte von Ansiedlern lagen, die gewiß gleichfalls ein Ziel des Überfalls sein würden.

Man hatte sich geeinigt, nur die Hunde draußen in der Umzäunung umherstreifen zu lassen, auf dem Dach des Hauses aber zwei Beobachtungsposten aufzustellen, die von Zeit zu Zeit abgelöst werden sollten. Auf den Rat des Matadreo war das kleine Geschütz nach der Rückseite des Hauses gebracht worden, um hier die dort eingestellten Pferde der Reisenden besser zu decken, während die Männer die Vorderseite leichter im Einzelkampf verteidigen konnten.

Jetzt, wo die Gefahr so nahe, wo sie nicht mehr daran zweifeln konnte und selbst die kampferprobten Männer unruhig und besorgt sah, war aller Übermut und alle Sucht nach Abenteuern von der schönen Cora gewichen, und ihre bleiche Farbe, der nervöse Eifer, mit dem sie sich nützlich zu machen suchte, ihre fortwährenden Fragen bewiesen, welche Angst ihr Herz zusammenschnürte. Wie immer die Frauen sich an das Außergewöhnliche, Auffallende anschließen und sich daran hängen, so drängte sich auch hier die Marquise an den Löwentöter und schien ihre ganze Hoffnung auf diesen zu setzen.

Seltsamer Weise hatte der Matadreo noch immer den seinen Kopf verhüllenden Burnus nicht abgelegt. Er sprach überhaupt nur das Notwendige, um die Verteidigung des Hauses zu ordnen, und vermied es besonders, so weit es ohne Absichtlichkeit oder Beleidigung geschehen konnte, mit dem Obersten in nähere Berührung zu kommen, der ihn häufig mit nachdenkender Miene betrachtete.

Besonders thätig und entschlossen zeigte sich Mariette. Nachdem die Gefahr so nahe, zerstreute sie die Aufmerksamkeit der Männer durch keine Klagen um den Knaben mehr, sondern war gewandt und eifrig bemüht, alles, was bei dem erwarteten Kampf nötig werden und die Männer unterstützen konnte, herbeizuschaffen und bereit zu legen; die drei jüngeren Kinder wurden in ihren Kleidern in der Kammer der Eltern niedergelegt und ihnen auf das Strengste anbefohlen, sich ruhig zu verhalten.

Alle wußten, daß ihre Rettung wahrscheinlich allein von der Klugheit und dem Glück eines neunjährigen Knaben abhing.

So war Mitternacht vorüber gegangen, und die Uhr des Obersten zeigte halb eins.

Alle Männer befanden sich jetzt auf ihren Posten. Renaud und seine Frau, die beiden europäischen Diener, Jacques und der Araber, namens Murad und von einem den Franzosen fest ergebenen Stamm, sollten die Verteidigung des Erdgeschosses führen, während der Matadreo, der Oberst, Kapitän Peard und der Invalide von dem flachen Dach aus die Feinde durch ihr Feuer zurückhalten wollten. Der Kapitän, der sich bitter über den Verlust seiner Nachtruhe beschwerte und es sich nicht nehmen ließ, wenigstens eine bequeme Nachttoilette zu machen, in der er komisch genug aussah, hatte zwar dagegen protestiert, daß sein Diener John von ihm getrennt, und er selbst genötigt sein sollte, seine beiden Gewehre zu laden, aber die bestimmte Erklärung des Grafen, daß er sich dann den Verteidigern des Erdgeschosses anschließen müsse und die Gewißheit, von dem Dach her besser den Erfolg seiner Schüsse beobachten zu können, ließen ihn endlich in die Anordnung sich fügen. In einen langen seidenen Schlafrock gehüllt, einen Foulard um den Kopf gebunden, lag er auf einer englischen Luftmatratze von Gummistoff, die er durch den Diener aus seinem Gepäck hatte auf das Dach schaffen und aufblasen lassen.

Der Thätigste von allen war der alte Zuave. Der Veteran der wilden und grausamen Kämpfe auf diesem Boden schien wieder ganz jung und frisch geworden bei der Aussicht auf einen neuen Strauß mit seinen alten Feinden. Er kroch mit Mühe die leiterartige Stiege zu dem Dachgeschoß auf und nieder, schleppte seine alte Muskete mit dem blank geputzten und geschärften Haubajonett überall mit sich umher und schwor, alle schwarzen verräterischen Schurken, die ihm nahe kämen, zu massakrieren. Dazwischen erzählte er Abenteuer aus seinem Leben, fluchte dabei auf das Abscheulichste und zerbrach sich den Kopf über die Truppenabteilung, die jetzt im Fort Randon stehen würde. Es war ihm bekannt, daß die bisherige Besatzung, wie alle Jahre regelmäßig geschah, in diesen Tagen hatte abgelöst werden sollen, und es war bereits sein Entschluß gewesen, an einem der nächsten Tage selbst nach dem Fort zu marschieren, um Neuigkeiten aus der Hauptgarnison zu holen.

Der Graf fand, als er nach einem letzten Besuch bei der Marquise, die bald betete und weinte, bald wieder eine nervöse Thätigkeit zeigte und mutig und gelassen zu erscheinen sich mühte, wieder zum Dach emporstieg, den Matadreo mit einer besondern Arbeit beschäftigt. Er band einige lange Stöcke an einen Pfahl, der mitten im Dach aufgerichtet war, und seine militärische Erfahrung zeigte ihm sogleich, was es bedeutete.

»Wie,« sagte er eifrig, »Sie sind im Besitz von Raketen?«

»Wir haben sie zur Vorsicht gefertigt!«

»So sind Sie Artillerist?«

»Ich diente in dieser Waffe, mein Herr!«

Der Oberst sah nachdenkend vor sich nieder. »Ich hatte einen Freund, oder vielmehr einen Mann, dem ich mein Leben schulde, in demselben Korps. Seit sieben Jahren ist er seinen Freunden entschwunden; die letzte Nachricht, die sie von ihm erhielten, kam aus Algerien. Sollten Sie vielleicht zufällig von ihm gehört haben, da Sie sich gewiß für alte Kameraden Ihrer Waffe interessieren?«

»Ich interessiere mich nur für eines!«

»Und das ist, wenn ich fragen darf?«

»Die Spuren der Löwen!«

»Er hieß Fromentin, Kapitän Fromentin,« sagte der Graf. »Er war ein Mann von Ehre und Mut und hätte ein besseres Schicksal verdient, als ihm geworden. Doch könnten wir nicht durch diese Raketen dem Fort Randon Signale geben?«

»Das Gebirge liegt zwischen uns; überdies glaube ich, daß sie dort selbst zu thun haben werden.«

»So sind Sie der Meinung, daß die Araber auch das Fort angreifen könnten?«

»Es ist ihr Plan, alle Ansiedelungen an der Grenze der Wüste zu vernichten. Doch halt! hören Sie nichts?«

Der Oberst lauschte, jedoch vergeblich.

»Da wieder – es ist richtig! Legen Sie sich mit dem Ohr auf den Boden oder gegen die Balustrade, und Sie werden es hören!«

Das an die Geheimnisse der Wüste mehr gewöhnte scharfe Ohr des Artilleristen hatte vernommen, was dem weniger geübten Sinn des Obersten noch entging.

Auch Papa Carcadou humpelte eilig herbei; es war, als ob der alte Bursche das Pulver auf mehrere Meilen weit riechen könnte.

» Diable! was hast Du da, Löwenfresser?«

»Jetzt ganz deutlich! das ist Geschützfeuer!«

Diesmal hatte selbst das Ohr des Grafen das ferne dumpfe Dröhnen vernommen. Den Rat des Matadreo befolgend, hörte er jetzt ganz deutlich ferne Kanonenschüsse.

»Hurra! En avent, mes braves! Immer tüchtig, meine Jungens, und gebt es den Schurken!« schrie Papa Carcadou, wie toll seinen Fes schwenkend, als ob die mehrere Meilen entfernten Kämpfer ihn zu hören vermöchten.

»Was bedeutet das Feuer? wo ist das Gefecht?«

»Sie haben das Fort angegriffen, das Geschützfeuer beweist aber, daß die Unsern auf ihren Posten sind!«

»Ich hoffe, daß der kommandierende Offizier ein tüchtiger Soldat ist und diese Banditen mit blutigen Köpfen nach Hause schickt! Die Kanonade verkündet uns, daß wir einstweilen sicher sind!«

»Meinen Sie?«

»Gewiß! Wenn auch noch Trupps des Gesindels in den Bergen umherschwärmen mit schlimmen Absichten gegen uns oder die andern Niederlassungen, sie müssen die Kanonade so gut hören, wie wir, und der warme Empfang ihrer Kameraden dürfte ihren Eifer etwas abkühlen.«

Der Matadreo war zu dem Pfahl getreten und hatte die daneben gelegte Lunte in die Hand genommen.

»Sie haben es gehört, sehen Sie da den Beweis, Oberst Montboisier!«

Bevor der Graf sich über den Eindruck, den der Ton dieser Worte auf ihn machte, Rechenschaft geben konnte, nahm das, was sich neben und vor ihm ereignete, seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

Die Lunte in der Hand des Matadreo hatte gezündet und in zischendem Strahl fuhr eine der Raketen in die Höhe, einen feurigen steilen Bogen beschreibend, bis sie in großer Höhe zerplatzte und eine ganze Garbe von Weißfeuer ausstreute.

Die weißen Sterne, von einer künstlichen pyrotechnischen Vorrichtung getragen, erhellten minutenlang wie mit Tageslicht das ganze Thal.

In diesem Licht wurde kaum noch 3-500 Schritt von dem Hügel entfernt, ein zahlreicher Haufen von Reitern sichtbar. Ihre weißen Burnusse, die flatternden Kopftücher und die langen Flinten ließen sie sofort als Araber erkennen, und das wilde Kriegsgeschrei, das sich aus hundert Kehlen erhob, als sie ihren Überfall vereitelt und das Geheimnis ihres Nahens entdeckt sahen, verkündete ihre Wut.

Im nächsten Augenblick donnerte der wilde Galopp der Pferde den Hügel herauf, und das Allahgeschrei, vermischt mit aufs geradewohl gegen die Niederlassung abgefeuerten Flintenschüssen, zerriß die Luft.

Diesem Geschrei und Toben antwortete ein einziger herausfordernder Ruf, die Stimme des alten Zuaven, der ohne sich um ihre Kugeln zu kümmern, so gut es sein Stelzfuß erlaubte, sich auf die Steinbrüstung des Daches geschwungen hatte. » Vive la France! Heran Ihr schwarzen Halunken! der Teufel soll Euch die Schurkerei segnen! Wo ist der Schuft von Hassan, der einer ehrlichen Familie den Hals abschneiden will dafür, daß sie ihn gepflegt und vom Tode gerettet hat!? Ich will ihm seine Straußhäute mit Blei in den Magen stopfen, daß er seinen schäbigen Propheten für eine algierische Judenvettel ansehen soll!«

Die Hand des Obersten riß ihn mit Gewalt herunter. »Seid Ihr toll, Kamerad, daß Ihr Euch zur Scheibe für ihre Kugeln macht? An Euren Posten! und thut Eure Schuldigkeit!«

»Richtig, Colonel! Sie haben Recht! Der Schakal soll beißen, nicht heulen!«

Und sich an die nächste Schießscharte werfend, suchte er mit der Schnelligkeit des alten Soldaten sein Ziel.

Die Araber, die Schar mochte aus achtzig bis hundert Reitern bestehen, tobte wie ein Sturmwind heran bis dicht an die Fenz der spanischen Reiter, und einzelne versuchten hinüber zu setzen oder die nur leichte Verzäunung mit der Brust ihrer Pferde zu durchbrechen. Die Muskete des Invaliden knallte bei dem letzten Schein der Rakete und sein » Vive la France!« verkündete, daß seine Kugel in den dichten Haufen getroffen habe.

» By Jove, Master! Sie schießen viele zu ser en hâte, zu hastick!« schnarrte eine Stimme neben ihm. »Sie müssen nehmen den Feind hübsch ordentlick in Visir, daß Ihre Kugel gehen ins Leben, was seind bei diese Schwarzen ser zäh. Sehen Sie – so!«

Ein gellender Schmerzschrei antwortete auf den Schuß des Kapitäns. In dem geringen Licht der Nacht sah man einen der hintersten Reiter vom Pferd stürzen.

»Es seynd sehr unangenehm, selber zu laden das Gewehr! Ich will Ihnen machen ein Vorschlag!«

»Zum Henker! heraus damit, Mylord! Sie sehen, daß wir keine Zeit übrig haben!«

Die alte Muskete des Soldaten lag schon wieder an seiner Wange, doch jetzt, wo die Araber sich getrennt, da die Besatzung des Hauses im Erdgeschoß gleichfalls ihr Feuer eröffnet hatte, verfehlte der Schütze offenbar sein Ziel. Mit einem wilden Fluch ließ er das Gewehr zur Erde fallen.

Der Kapitän hatte eben einen zweiten Araber erschossen.

» Goddam! ich werde schießen zu wenig tot, wenn ich soll laden immer mein Gewehr. Sie sollen haben für jeden Mann, den ich schieße nieder, fünf Franken, wenn Sie wollen laden meine Buchs!«

» Pest! es gilt! ich sehe, Sie schießen gut, obschon Sie nur ein Engländer sind. Es kommt mir nur darauf an, daß so viele von den Halunken kalt gemacht werden, als möglich, ehe sie uns an die Kehle kommen!«

Der Pakt war geschlossen, der Kapitän wies ihm den einfachen Mechanismus der Lefaucheux-Büchse, während das andere Gewehr die frühere Einrichtung zeigte, und der alte Soldat hatte die Sache rasch begriffen.

Weder der Graf noch der Löwentöter hatten bis jetzt gefeuert. Der letztere stand ruhig, die Flinte in der einen, die Lunte in der andern Hand, an der Crenelierung, anscheinend ganz gleichgültig gegen die Gefahr.

Von den Thuaregs hatte sich wohl die Hälfte von den Pferden geworfen und war mit dem Niederreißen der Umzäunung beschäftigt; die andern Reiter hatten sich an den Fuß des Hügels zurückgezogen und unterhielten von dort ein unschädliches Feuer mit der den Orientalen eigenen Wut, ihr Pulver zu verknallen.

Der Graf stand neben dem Matadreo. »Ob der Mann, der sich am Abend in unsere Mitte wagte, unter ihnen ist?«

»Würden sie sonst den Mut gehabt haben, uns anzugreifen? Dort ist der Scheich!«

Er wies auf einen Reiter, der wiederholt um den Hügel jagte und die Kämpfer anfeuerte.

»Dann soll ihm meine erste Kugel gelten,« sagte der Graf. »Der Freche soll mir nicht entgehen.«

Er hob die Büchse, doch der Matadreo schob sie mit einer ruhigen Bewegung seiner Hand zur Seite.

»Er ist ein Tapferer, und es wäre schade um ihn. Überdies ist er der Bruder Zelas, und Gott wird binnen wenig Augenblicken zwischen ihm und uns entscheiden. Soeben sammelt er die Reiter zum Sturm.«

Die Umzäunung war niedergerissen; fünf Thuaregs hatten das Werk mit dem Leben bezahlt, die andern waren im Nu wieder zu Pferde, nur eine Anzahl von etwa fünfzehn hielt sich am Boden, hinter den Palmen und dem Schuppen gedeckt, und feuerte unaufhörlich.

In diesem Augenblick zuckte eine kleine Flamme aus dem Rohrdach des zwischen den Palmen erbauten Schuppens, in dem sich die Schmiede und Küche befand, und gleich darauf schlug eine helle Lohe aus dem kleinen Gebäude.

Ein verdoppeltes Geheul der wilden Freude begleitete dies erste Zeichen des Erfolgs. Der Graf sah bei dem Feuerschein deutlich den Scheich vor dem Reiterhaufen, seine lange Flinte in der Hand schwingend. Dann jagte der ganze Trupp im rasenden Carriere rund um den Hügel her.

»Können Sie ihre Absicht verstehen, was soll das Manöver bedeuten?«

Der Matadreo schlug die Kapuze des Burnus, als hindere sie ihn, zurück. Ein, trotz der tiefen Bräunung, blasses hageres Gesicht, dessen untere Hälfte von einem großen schwarzen Bart bedeckt war, kam zum Vorschein. Doch der Oberst hatte keine Zeit, es näher zu betrachten; mit einem Sprung war der Löwenjäger an dem kleinen Geschütz, das man auf seinen Rat zum Schutz des Stalles an der Rückseite des Hauses aufgestellt hatte.

»Das ist's, was sie wollen! Hassan kennt die Gelegenheit!«

In der That stürzte sich, mit einer plötzlichen Schwenkung, der ganze Reiterhaufen jetzt, der Rückseite des Hauses gegenüber, den Hügel unter furchtbarem Geschrei herauf.

In dem nächsten Augenblick aber war alles Feuer, Dampf und Verwirrung. Pferde wälzten sich am Boden über die blutenden zerrissenen Reiter weg, Todesgeschrei und Jammerruf mischte sich in den Knall, rechts und links floh alles über einander herstürzend zurück; die sichere Hand des Löwentöters hatte das kleine bis zur Mündung mit Kugeln und Eisenstücken geladene Geschütz auf den dichten Haufen abgefeuert. Die Araber, die dasselbe auf der Vorderseite aufgestellt gewähnt hatten, waren von der unerwarteten Salve überrascht und von ihrem Schrecken in Verwirrung gebracht.

Dieser wurde durch einen zweiten erschütternden Ton gesteigert, der dem Krachen des kleinen Geschützes auf dem Fuß folgte.

Es war das donnerähnliche Gebrüll der Löwin, die in dem untern Raum bei den Verteidigern des Einganges eingeschlossen war und durch das Schießen aufgeregt wurde.

Der Matadreo sprang zu der offenen Fallthür, aus der der Pulverdampf in dem untern Geschoß in dichter Wolke emporstieg.

»Still, Cora! Deine Zeit ist noch nicht da!« Im nächsten Augenblick lag er bereits wieder an der kleinen Kanone, sie aufs neue zu laden.

Als sich der Dampf verzog, sah der Graf den Scheich fast allein noch vor der ganzen Reiterschar auf dem Plateau des Hügels halten. Er schwang drohend die Flinte gegen das Haus. »El Matadreo! El Matadreo! die Söhne der Wüste speien auf das Grab Deiner Väter! Ihr sollt sterben, ehe die Sonne aufgeht!«

Die Kugel des Grafen traf den Schaft seiner Flinte und riß sie ihm aus der Hand. Sie hätte seine Brust durchbohrt, wenn das schwere Holz nicht gerade sein Herz geschützt.

Der Scheich drehte das bäumende Roß auf seinen Hinterhufen um sich selbst und flog mit einem mächtigen Satz den Hügel hinab.

Vier Pferde und wenigstens acht oder zehn Männer wanden sich im Todesschmerz am Boden, oder lagen bereits steif und tot, das wilde Antlitz noch von Haß und Kampfgier verzogen.

»Jetzt lassen Sie uns sehen, wie es unten steht,« sagte ruhig der Löwenjäger, indem er den Burnus wieder um den Kopf zog. »Die Lektion genügt, um uns für eine halbe Stunde Ruhe zu schaffen, und Kapitän Peard genügt, sie in Beschäftigung zu halten.«

Wiederum zeigte sich die frühere Überraschung im Gesicht des Grafen, und er öffnete die Lippen zu einer Frage, aber der Matadreo war bereits die Treppe zum Erdgeschoß hinab gestiegen, und es blieb ihm nichts übrig, als diese Fragen auf gelegenere Zeit zu verschieben und ihm zu folgen.

Als der Graf in den Hausflur niederstieg, fand er diesen noch stark mit Pulverrauch gefüllt und die Verteidiger wacker auf ihren Posten. Die Löwin stand schnaubend und knurrend auf dem Platz, den ihr Herr angewiesen und peitschte ungeduldig mit dem Schweif ihre Flanken, während die kleinen Kinder der Ansiedlerfrau weinend und erschrocken über den Kampflärm sich vertraulich an die furchtbare Spielgefährtin geschmiegt hatten. Dies Bild gewährte einen um so eigentümlicheren Anblick, als kaum fünf Schritt davon entfernt halb sinnberaubt vor Furcht im geschütztesten Winkel die Marquise kniete, die zarten Hände in Gebeten ringend, an die sie im Übermut ihres fashionablen Lebens wohl seit Jahren kaum mehr gedacht hatte.

Neben ihr kniete die arme Ansiedlerfrau an dem harten Strohlager, auf dem die blutige Gestalt eines Mannes ausgestreckt lag.

Denn leider hatte der Kampf bereits ein Opfer gekostet. Monsieur Jean, der Kammerdiener der Marquise, dem es trotz aller Pariser Windbeutelei nicht an Mut fehlte, hatte wacker an der Verteidigung teilgenommen, sich aber vorwitzig an den Fensteröffnungen exponiert, und eine Kugel der Araber, die hauptsächlich auf diese zielten, hatte ihm den Hals durchbohrt mitten in einem übermütigen Witzwort über den Rückzug des Feindes. Der Blutstrom, der bei jedem Atemzug aus dem Munde des Unglücklichen quoll, bewies, daß jede menschliche Hilfe vergebens sei, und in der That hauchte er auch nach wenigen Minuten schon unter den Händen Mariettens sein Leben aus, ohne daß seine Herrin bei seinem Todeskampf etwas anderes als vermehrte Furcht und Entsetzen gezeigt hätte.

Während die Hausfrau den entseelten Körper mit einem dürftigen Tuch bedeckte, waren die Männer bereits zu hastiger Beratung zusammen getreten. Der Feuerschein des brennenden Schuppens ließ deutlich erkennen, daß die Araber sich in größere Entfernung zurückgezogen hatten, und zwischen ihnen und dem weit tragenden Zündnadel-Gewehr des Kapitän Peard wurde nur noch ein vereinzeltes Feuer unterhalten.

Offenbar hatten die wilden Söhne der Wüste den Fehler erkannt, den sie mit dem Anzünden des vereinzelt stehenden Schuppens begangen, der ihren Gegnern deutlich das Ziel gezeigt, wie sechs auf dem flammenerhellten Boden des Hügelplateaus liegende Leichen bewiesen, und sie wollten jetzt abwarten, bis das leichte Holzgebäude zusammengestürzt war, ehe sie einen neuen Angriff begannen.

Obschon die Orientalen gewöhnlich, wenn ihr erster tollkühner Angriff unglücklich ausfällt, den Kampf aufzugeben und sich gänzlich zurückzuziehen pflegen, schlossen die mit den Anzeichen und namentlich mit dem Charakter des jungen Führers der Thuaregs näher vertrauten Männer doch sehr richtig, daß diesmal ihre Feinde den Kampf fortsetzen und eine neue Art des Angriffs versuchen würden. Man mußte auf diese gefaßt sein und durfte sich nicht durch den einmaligen glücklichen Erfolg einer Täuschung hingeben. Wenn auch bei diesem ersten Angriff unter den Kugeln der tapfern Verteidiger und dem Kartätschenhagel des Geschützes an zwanzig Feinde gefallen oder verwundet sein mochten, die Überzahl war zu groß, als daß sie auf dauerndes Widerstehen hätten hoffen können, und es mußte deshalb rasch ein Entschluß gefaßt werden.

Unter den obwaltenden Umständen und nachdem die Araber den Tod so vieler der ihren zu rächen hatten, war auf Schonung nicht zu rechnen, und die Kanonade, deren dumpfe Schläge sie vor Beginn ihres eigenen Kampfes gehört, gab ihnen die traurige Gewißheit, daß sie auf eine Unterstützung der Garnison, selbst wenn der Knabe glücklich dahin gelangt sein sollte, nicht zählen durften.

Es gab jetzt nur zwei Wege!

Entweder sie mußten sich in dem Schutz des Hauses bis zum letzten Augenblick schlagen und ihr Leben so teuer als möglich verkaufen, ein Plan, der ihnen vielleicht die Aussicht gewährte, sich bis zum Tageslicht oder zum Eintreten eines glücklichen Zufalls zu halten, oder …

Die Gesellschaft der Reisenden hatte mit den beiden Saumtieren acht Pferde mitgebracht, und nach dem Tode des armen Pariser Dieners zählten die Belagerten jetzt außer den beiden Kindern noch zehn Personen. Es war der Graf, der die Frage aufwarf, ob sie sich mit Hilfe der Pferde nicht in einem unbewachten Moment durch die Feinde schlagen und in der Flucht ihre Rettung suchen könnten.

Der Angriff auf das Fort mußte zu dieser Zeit auch entschieden sein und, wenn es glücklich widerstanden hatte, war es vielleicht möglich, es auf Umwegen zu erreichen oder auf alle Gefahr hin den Weg nach einer eine halbe Tagereise rückwärts liegenden größeren Ansiedelung zu nehmen.

Beide Meinungen hatten manches für sich, die Gefahr war auf beiden Seiten ziemlich gleich.

Nur der eine Umstand fiel schwer ins Gewicht, es waren zehn Personen da, aber nur acht Pferde.

Welche Zwei sollten zurückbleiben? denn unmöglich konnte man auf einer solchen Flucht die Pferde doppelt belasten, und Mann und Frau mußten ohnehin schon die Kinder mit sich nehmen.

Dennoch war ein rascher Entschluß notwendig, der Angriff der Araber konnte jeden Augenblick aufs neue beginnen.

Seltsamer Weise war die Marquise, sobald der erste Vorschlag zur Flucht gemacht worden, ruhig geworden; ihr Schrecken, ihre Furcht hörten auf, und sie erklärte sich auf das Eifrigste für das gefährliche Mittel. Von dem Augenblick an zeigte sie eine fieberische Thätigkeit und Entschlossenheit.

Man fühlte indes, daß bei einer Wahl, von der Tod und Leben abhing, jeder seine Stimme haben müsse. Indem die Diener mit Jacques unten zurückgelassen wurden, stiegen der Graf und der Ansiedler wieder auf das Dach, um den Kapitän und den Invaliden zu befragen. Der Löwentöter blieb einen Augenblick zurück und winkte seinem Bruder und dem arabischen Diener. Er sprach kurz und leise mit ihnen und erteilte ihnen offenbar einen Befehl; denn beide stellten sofort ihre Gewehre zur Seite und verschwanden in der Kammer des Invaliden.

Als der Matadreo zum Dach emporstieg, fand er die Männer um den Kapitän versammelt, der, behaglich eine Cigarre rauchend, sich auf sein Luftbett gesetzt hatte. Die beiden, die bisher das Feuer vom Dach des Hauses unterhalten, waren über den zu fassenden Entschluß der entgegengesetzten Ansicht. Papa Carcadou stimmte von ganzer Seele dem Vorschlag zu, einen Ausfall zu machen und sich mit der blanken Waffe durchzuschlagen. Der Gedanke war ganz nach seinem Geschmack, und er dachte keinen Augenblick dabei an seinen Stelzfuß. Der Kapitän aber erklärte, daß ein Nachtritt durch ein unbekanntes wildes Gebirge eine Unannehmlichkeit sei, der er sich um keinen Preis aussetzen möchte, und daß er sich hier in der Verteidigung des Hauses ganz behaglich befinde.

»Ich wette zwanzig Pfund gegen eben so viel Schilling,« sagte er, »daß ich auf achthundert Schritt einem dieser Weißmäntel eine Kugel durch den Leib jage, wenn der Herr hier, den sie El Matadreo nennen, nur die Freundlichkeit hat, noch eine seiner hübschen blauen Leuchtkugeln zu werfen, damit man wenigstens sehen kann, ob ihre weißen Posten da drüben auch wirklich Wesen von Fleisch und Blut sind; denn auf alle Kugeln, die ich ihnen schon zugeschickt, rührt sich kein einziger vom Fleck. Monsieur Carcadou, Sie haben jetzt fünfzehn Schüsse gut. Bitte, haben Sie das Zündhütchen aufgesetzt?«

»Da ist das alberne Ding! Diantre! ich hab' in meinem Leben nicht gehört, daß man mit einer Flinte viel machen kann, die von hinten geladen wird!«

»Ich denke,« sagte der Löwentöter, »es wird gut sein, eine Rakete steigen zu lassen. Wir hören zu wenig von den Burschen, als daß wir ruhig sein dürfen.«

»Einen Augenblick, Sir! so, nun bin ich fertig!«

Der Kapitän war an eine der Öffnungen getreten und lag im Anschlag, der alte Zuave stand neben ihm, bereit, ihm das zweite Gewehr zu reichen. Begierig, den Feind zu erspähen, lugten an anderen Öffnungen der Graf und der Ansiedler.

Die Rakete zischte in die Höhe, und ihre Funkengarbe beleuchtete wie vorhin rings umher die Umgebungen des Hügels.

Rund um den Fuß desselben, etwa 20 Schritt auseinander, erblickte man jetzt deutlich die Burnusse und Kopftücher arabischer Schildwachen, deren weißen Schein man schon früher durch das Helldunkel der Nacht gesehen, und nach denen der Engländer so sorgfältig geschossen hatte.

Weithin im Thalgrunde waren keine Feinde weiter zu bemerken, nur in einiger Entfernung, im Schatten der Felsen, an der Seite, wo die Gesellschaft am Abend aus der Wüste herabgestiegen war, sah man einen dichtgedrängten Knäuel.

Die Unbeweglichkeit jener Wachen war aber zu konstant, um den Augen geübter Soldaten nicht aufzufallen, und Renaud rief lachend: »Verschwenden Sie Ihr Pulver nicht, Monsieur Engländer, es sind leere Mäntel, die die Spitzbuben aufgestellt haben, um uns zu täuschen!«

» Pest! Du hast Recht, und die Schurken haben mich mindestens um hundert Franken geprellt,« schalt erbost der alte Soldat. »Aber wo zum Henker sind die Halunken hingekommen?«

»Dort!« der Finger des Matadreo wies auf verschiedene dunkle Punkte, die noch der Schein der ersterbenden Leuchtkugeln auf dem Abhang des Hügels diesseits der falschen Schildwachen zeigte. Der ganze Boden jener Seite, dem Eingang des Hauses gegenüber, schien mit solchen, jetzt unbeweglichen Punkten bedeckt. Das Manöver war klar genug, der ganze Trupp hatte die Pferde verlassen, um gleich Schlangen einzeln aus dem Boden herankriechend die Höhe des Hügels zu erreichen und dann das Haus zu erstürmen.

»Die Kanone hierher, Renaud! rasch, sie werden diesmal in der Front angreifen!«

Der Ansiedler sprang zur anderen Seite, um dem Befehl des Löwenjägers zu gehorchen, dieser und der Oberst halfen ihm.

»Zum Teufel! warum schießen Sie nicht, Sie lavendelstinkender Puddingfresser?«

Die Büchse des Kapitäns entlud sich, ein gellender Todesschrei mischte sich unmittelbar in den Knall.

»Hurra, einer der schwarzen Halunken ist hin!« Der Invalide, den alten schmutzigen Fes schwingend, beugte sich weit vor, im nächsten Moment taumelte er zurück.

Ein Schuß, hinter den verkohlenden Trümmern des Schuppens her, hatte der Kugel des Engländers geantwortet.

» Foudre! ich fürchte, dieser Engländer wird seine Douros sparen!«

Er hatte die Flinte fallen lassen; Renaud, herbeieilend, fing ihn in seinen Armen auf.

»Um Gotteswillen, Papa Carcadou! Ihr habt doch keine schlimme Wunde?«

»Es ist die elfte, mein Junge, aber ich fürchte, die letzte. Ich sterbe wenigstens wie ein echter Soldat vor dem Feind. Schafft die Kanone hierher oder sie werden Euch über den Hals kommen!«

Der Ansiedler hatte den Verwundeten auf die Matratze des Kapitäns nieder gelassen und kniete neben ihm, die Wunde untersuchend.

Die Kugel war unter der linken Schulter durch die Brust geschlagen, es waren offenbar edle Organe verletzt.

Sie standen alle um ihn her; der Fall des alten, noch so rüstigen Soldaten hatte, obschon sie alle auf den Tod gefaßt sein mußten, den tiefsten Eindruck gemacht. Nur die Teilnahme des Kapitäns war anderer Natur. Er hatte das Glas ins Auge geklemmt und murmelte etwas wie Bedauern, daß es nicht heller sei, um den Todeskampf einer so abgehärteten Natur besser beobachten zu können.

»Wo ist der Matadreo?« fragte der Verwundete.

»Hier, mein alter Freund!«

»Ist die Kanone an ihrem Ort?«

»Sie ist es – aber …«

» Halte là! kein Wort! wir müssen alle sterben, es kommt nur auf die Weise an, und ich werde wenigstens nicht ungerächt bleiben. – Sie allein haben das Recht, hier das Kommando zu führen. Wollen Sie den Rat eines alten Soldaten hören?«

»Sei gewiß, ich werde ihn ausführen!«

»Ihr Ehrenwort?«

»Mein Wort darauf!«

»So schieben Sie mich zu dem Geschütz und werft Euch rasch in den Sattel. Es ist Eure einzige Rettung. In fünf Minuten werden die Teufel angreifen und, wenn sie es ernst meinen, ist das Haus nicht zu halten! Wenn Ihr die Kartätschen unter sie prasseln hört, dann hinaus mit Euch und Gott sei mit Euch!«

»Ich habe bereits alle Anstalten getroffen, aber ich hoffte, Dich mitnehmen zu können, alter Freund!«

»Jeder hat sein Ziel, aber nun fort! ich habe Ihr Wort und jede Sekunde ist kostbar. Geben Sie mir die Lunte her, es ist der letzte Freundschaftsdienst, den Sie mir in dieser Welt leisten können!«

Der Matadreo warf seinen Mantel zurück, dann hob er den Sterbenden auf und trug ihn zu dem Geschütz, neben das er ihn niederlegte.

»Die Lunte, Renaud, und dann hinab und auf die Pferde!«

Der Ansiedler reichte ihm die Lunte, der Graf schien Einspruch erheben zu wollen.

»Hinunter Kolonel, hier befehle ich!«

Der Ton seiner Stimme, seine Gebärde waren so gebieterisch, daß der Graf sich ohne weiteres fügte und, den Kapitän, der sich bitter über den Verlust seines Luftbettes beklagte, mit sich ziehend, zum Erdgeschoß hinabstieg.

Auf einen zweiten Wink des Löwenjägers folgte ihnen der Ansiedler, nachdem er die Stirn des Sterbenden geküßt hatte. Er war so tief bewegt, daß er kein Wort zu sprechen vermochte.

»Die Lunte! die Lunte! oder sie werden eher da sein, als ich bereit bin. Helfen Sie mir auf, Kapitän, daß ich sie sehen kann!«

Der Matadreo richtete den Blutenden empor, dieser klammerte sich mit der linken Hand an den Steinen der Brüstung fest. »Ist die Kanone gerichtet?«

»Sie ist es, zehn Schritt über die Thür hinaus!«

»Dann reichen Sie mir noch einmal die Hand, und dann fort! ich glaube, ich höre sie!«

Ein gellender Ruf »Allah Akhbar! Auf zum Kampf!« der im nächsten Augenblick von einem wütenden Allahgeheul aus achtzig Kehlen wiederholt wurde, erschütterte die Luft.

»Lebewohl, Kamerad, auf Wiedersehen dort oben!« Mit einem Sprung war der Löwentöter an der Fallthür, mit einem zweiten die Treppe hinab im Erdgeschoß.

»Cora, zu mir!«

Ein Ruf: »Hier, hier!« und ein dumpfes Brüllen antwortete ihm zugleich.

Der Matadreo hatte den Säbel von der Wand gerissen, die Pistole steckte im Nu in seinem Gürtel. Unter dem Knallen von Flintenschüssen und dem betäubenden Allahgeschrei der den Hügel heraufstürmenden Araber stürzte er in die Kammer des Invaliden. Die bretterne Rückwand derselben war zur Seite geschoben, hier befand sich der Eingang zu dem Raum, in den man die Pferde der Reisenden eingestellt. Es war ganz dunkel hier, und es herrschte die größte Verwirrung, die durch das Schnauben und Lärmen der Pferde in der Nähe der Löwin, das Geschrei der Kinder und das Brüllen der Ochsen noch vermehrt wurde.

»Bruder, hierher!«

Jacques drückte dem Matadreo einen Zügel in die Hand. »Es ist das Deine!«

»Hilfe! Erbarmen! Laßt mich nicht zurück! wo ist der Graf? wo ist der Matadreo? er muß mich retten!«

Es war die Marquise, die in der gräßlichen Verwirrung, wo jeder nur an sich selbst denken konnte, ihr Pferd verloren hatte und sich zwischen die Reiter drängte.

In diesem Augenblick krachte es über ihren Köpfen in den wütenden Kampfruf der Araber, deren Yatagans und Kolben bereits an die Thür des Hauses schlugen. Ein gellendes Schmerzgeschrei folgte unmittelbar der Entladung des Geschützes.

» Vive la France!«

»Auf mit dem Thor! Platz da! vorwärts, Cora!«

»Hier! hier! Retten Sie mich!«

Eine starke Hand faßte im Dunkel die ihre und schwang die leichte Gestalt der halb Ohnmächtigen mit kräftigem Ruck empor. Jacques warf das Thor auf, mit wütendem Gebrüll schoß die Löwin hinaus, der die Pferde scheu Platz gemacht; hinter ihr ein Reiter im dunklen Burnus, eine zweite Gestalt vor sich quer über dem Sattelknopf, von seiner Linken umschlungen und an die Brust gedrückt.

»Vorwärts, Mariette, halte das Kind!«

Renaud, sein Weib, der Oberst, Peard und die Diener stürzten zu Pferde im wilden Gedränge hinterdrein.

Im Halblicht der Nacht sah der junge Mann, der sich so wacker geopfert, ein lediges Pferd an sich vorbei fliegen und im Nu hatte er die Mähne gefaßt.

»Wer ist noch zurück?«

Keine Antwort als das Krachen der Schüsse, das Wutgeheul der Araber, das Stöhnen der Verwundeten!

Mit einem Schwung saß er im Sattel – es war das Pferd der Marquise – und jagte hinterdrein. Die Thuaregs, das gefürchtete Geschütz auf der Rückseite des Blockhauses wissend, hatten ihren Angriff auf die Vorderseite des Hauses konzentriert, nur wenige Posten zur Beunruhigung des Ganzen befanden sich in respektvoller Entfernung auf der Rückseite.

Der Ausbruch der Bewohner, fast im selben Augenblick mit der Entladung des Geschützes, war daher von vollem Erfolg begleitet. Vier oder fünf der Wachen liefen herbei, aber die Löwin riß die beiden ersten im Sprunge nieder, und der Schreckensruf: » El Adrea! der Löwe!« verscheuchte die anderen. Der Löwenjäger, den Säbel in der Rechten, mit seiner Last voran, so schoß die kleine Kavalkade, von einigen Schüssen verfolgt, durch den Kordon der Wachen und gewann einen Vorsprung.

Doch konnte die Verwirrung der Feinde eben nur wenige Minuten dauern, und der Scheich selbst war der erste, der die Flucht bemerkte, indem er den Ruf der Wachen hörte. Mit einem Blick sah er, daß seine Opfer im Begriff waren, ihm zu entgehen und auf seinen Befehl stürzte mehr als die Hälfte der Thuaregs nach ihren Pferden, um die Flüchtigen zu verfolgen, der Scheich Hassan an ihrer Spitze.

So gut sie auch den gewonnenen Vorsprung benutzten, waren die Ansiedler und ihre Fluchtgefährten doch noch nicht an dem nördlichen Ausgang des Thals, als sie die Thuaregs bereits auf ihren Fersen hörten.

Mariette hatte eines der kleinen Mädchens vor sich auf dem Sattel, der arabische Diener das zweite, Renaud seinen Sohn. An der Spitze des Zuges, die Löwin an seiner Seite, ritt noch immer der Matadreo, Jacques schloß den Zug.

Hinter ihnen drein fielen wiederholt die Flintenschüsse der Verfolger, aber die Schützen waren zu hastig, das Ziel zu unsicher und entfernt, als daß die Kugeln hätten Schaden thun können.

Es war jetzt die zweite Morgenstunde vorüber, und das bisherige Dunkel der Nacht wurde heller und heller; der glänzende Sternenhimmel begann vor dem nahenden Tage zu erbleichen.

Wo das Thal, in dem Renaud mit den Seinen sich angesiedelt, mit dem aus dem Quell des Hügels entspringenden Bach seinen Ausgang nach Norden in die Berge und weiterhin nach der Ebene findet, treten die Felsen auf eine kurze Strecke so nahe zusammen, daß höchstens zwei Reiter neben einander passieren können.

Als sie sich dieser Stelle näherten, warf der Matadreo einen Blick hinter sich; das Feuern der Thuaregs zeigte ihm, daß sie etwa noch dreihundert Schritt entfernt waren. Er hob die ohnmächtige Frauengestalt in seinem Arm empor, drückte sie an die Brust und dann einen Kuß auf ihre Lippen.

»Lebe wohl!«

Die Berührung schien die junge Frau zu durchschauern und zu erwecken. Sie schlug die Augen auf und machte eine Bewegung, als wolle sie dem Arm ihres Retters sich entziehen. »Himmel, wo bin ich? was ist geschehen?« Im nächsten Augenblick, als sie das wütende Geschrei ihrer Verfolger und die Schüsse hörte, kam sie wieder zum vollen Bewußtsein ihrer Lage und drückte sich mit einem leisen Aufschrei fest an die Brust des Reiters, der eben sein Pferd anhielt. »Fort, fort um Gotteswillen!«

Aber der Matadreo hörte nicht auf sie. Bereits hatte er die Zügel des Grafen gefaßt und parierte sein Roß. »Halt, Renaud! Nehmen Sie die Dame, Colonel; sie ist wieder imstande, sich im Sattel zu halten. Schützen Sie diese und nun vorwärts!«

»Was willst Du thun, Bruder?«

»Euch Luft machen! Kein Wort, Renaud! es ist mein Recht! Nehmt den Weg nach dem Fort, es ist die einzige Rettung! Hierher, Jacques!«

Er war bereits aus dem Sattel, der Graf hielt die zitternde Dame in dem ihren aufrecht.

Es war keine Zeit, um das hochherzige Opfer der beiden Brüder zu bekämpfen. Der Kapitän und sein Diener waren bereits voran. Der Graf spornte sein Pferd, die Zügel der Dame erfassend, und sie jagten in die Schlucht, Mariette und der Araber hinterdrein, – der Ansiedler war der letzte.

»Gott segne Dich, Bruder, für Deine That!« Dann folgte er dem Weibe und den Kindern.

Der Matadreo, Jacques und die Löwin blieben zurück. Der Matadreo legte die Linke auf den Kopf der knurrenden, mit ihren Pranken den Boden zerreißenden Löwin, die Rechte ließ den erprobten Stahl am Faustriemen niederhängen und streckte die gespannte Pistole vor.

»Schieß nicht, Jacques, bis ich feure. Lebe wohl, Bruder, und stirb wie ein Mann!«

»Wie unser Vater starb! Laß sie kommen, Hektor!«

Und sie kamen.

Die wilde Reiterschar brauste gegen die enge Schlucht. »Allah Akbar! Nieder mit den fränkischen Giaurs!«

Der Scheich flog voran, den Säbel in der Faust, im Sattel weit vorgebeugt, mit seinem Feuerauge die sichere Beute erspähend.

»Halt!«

Die Löwin stieß ein wütendes Gebrüll aus und wollte sich den Reitern entgegenstürzen, deren Pferde bei diesem gefürchteten Ton zurückprallten.

»El Matadreo! El Matadreo!«

Der Ruf des Löwenjägers war bekannt bei allen Stämmen der Wüste.

Nur die mutige Stute des Scheichs that einen Satz vorwärts.

»Zurück, Hassan, oder Du bist des Todes!«

Ein Schrei des Zornes antwortete ihm. »Stirb, Franke! Ich hasse Dich!«

Das edle Roß hob sich zum Sprung, der Säbel des Thuareg blitzte durch die Luft.

In diesem Augenblick wurde die furchtbare Scene durch entfernten Lichtschein erhellt, eine neue Flamme stieg in der Mitte des Thals empor – das Haus stand in Flammen.

»Mordbrenner!«

Der Pistolenschuß knallte, die Stute überschlug sich mit ihrem Reiter.

»Auf sie, Cora!«

Mit einem gewaltigen Sprung flog die Löwin über Roß und Reiter am Boden hinweg in den dichten Reiterhaufen. Zehn, zwanzig Schüsse krachten gegen die Brüder, der jüngere sank in die Knie.

»Jesus Maria!«

»Ta – ta! – Ta – ta!«

»Rettung! Rettung, Bruder!« Renaud, der Ansiedler, seine Büchse schwingend, kam wie ein Rasender zurückgejagt, hinter ihm drein klang der bekannte Hornruf der Zuaven.

» En avant, mes braves! Vorwärts, meine Schakals! Gebt ihnen eine Salve!«

Wie aus der Erde gewachsen flogen rechts und links im Bach, an den Felsenhängen, auf dem engen Pfade die kühnen Gestalten mit den blauen Jacken und weiten orientalischen Beinkleidern an den Brüdern vorüber, Blitz auf Blitz, Schuß auf Schuß, im fernen Feuerschein glänzten die breiten Haubajonette, in das Brüllen der Löwin, in das Schmerzensgeschrei der Sterbenden und Verwundeten donnerte das: » Vive l'Empereur! Vive la France!«

Was nicht getötet, zerrissen am Boden lag, war bereits in wilder Flucht, die weißen Burnusse flogen wie Geister über den Thalgrund, die Löwin, die Zuaven hinterdrein!

» Vive l'Empereur! Vive la France!«

Sie waren zur rechten Zeit gekommen.

Als der Knabe mutig und unbekümmert um die ihn bedrohenden Gefahren seinen einsamen Weg durch das Gebirge nahm, war er unterwegs zweimal auf Streifposten der Araber gestoßen, aber er hatte sie so zeitig bemerkt, daß er ihnen unbemerkt entwischen konnte. Dadurch hatte er jedoch viel Zeit verloren und war gezwungen worden, von der geraden Linie abzuweichen. Auf diese Weise war er viel weiter nördlich gekommen, als sonst nötig gewesen wäre und hätte unmöglich das Fort zur rechten Zeit noch erreicht, um Beistand für die Ansiedelung noch zu erhalten, wenn nicht ein glücklicher Zufall ihm zu Hilfe gekommen wäre. Etwa noch zwei Lieus vom Fort entfernt, hörte er aus der Ebene den Marsch einer Kolonne und überzeugte sich bald, in den Schatten der Felsen verborgen, daß es Franzosen waren. Es war in der That die Kompagnie, die zur Ablösung der Besatzung des Forts von Aghwât ausmarschiert war.

Um der Hitze des Tages zu entgehen, hatten sie einen Nachtmarsch vorgezogen und waren so dem schon verzweifelnden Knaben begegnet.

Der kleine Pierre, unter Gefahren und Mühseligkeiten aufgezogen, hatte Verstand genug, den Glücksfall dieser Begegnung alsbald zu begreifen und dem kommandierenden Kapitän die Botschaft des Obersten zu übergeben. Sofort wurde Halt gemacht und nach kurzer Beratung beschlossen, die kleine Streitmacht zu teilen und mit der Hälfte den bedrohten Ansiedelungen zu Hilfe zu marschieren, während die andere nach Fort Randon weiter rückte. Die Anordnungen waren von dem besten Erfolg begleitet, denn die erste Abteilung traf noch zu rechter Zeit bei dem Fort ein, wo man genügende Wachsamkeit gehabt und sich nicht von dem Angriff der Hauptmacht der Thuaregs hatte überrumpeln lassen, um den Feind zwischen zwei Feuern zu bringen. So in ihrer eigenen Schlinge gefangen, war die Niederlage der Araber eine vollständige gewesen und nahm ihnen für lange Zeit Lust und Macht, den Frieden zu brechen.

Die Zuaven – denn aus solchen bestand die neue Garnison – die unter der Führung eines jüngeren Offiziers zum Beistand der Ansiedler und der Reisenden abgeschickt worden, setzten unter des Knaben Führung so rasch als möglich ihren Marsch durch das Gebirge fort. Sie waren etwa noch eine Meile vom Thale entfernt, als sie das Feuern hörten und ihre Eile verdoppelten. Die einzelnen Schüsse des Engländers hielten nach dem Aufhören des allgemeinen Feuers ihre Hoffnungen wach, daß der Widerstand noch fortdaure, und die tapfern Krieger strengten alle Kräfte zu dem trabartigen Geschwindmarsch dieser Kolonne an, um den bedrängten Landsleuten zu Hilfe zu kommen. Aber das Fehlen jedes gebahnten Pfades in dem rauhen Gebirge bot vielfache Hindernisse und so war man noch eine Strecke von dem Thal entfernt, als die zweite Rakete der Belagerten aufstieg und ihre Not verkündete. In verdoppelter Eile vorwärts dringend war man so dem Reitertrupp der Flüchtenden und ihren Verfolgern begegnet.

Renaud hielt neben dem Löwentöter. »Um Himmelswillen, wo ist Jacques?«

»Tot oder verwundet; Du kannst hier nichts helfen. Aber fort zum Haus! Siehst Du nicht, daß es brennt? Laß den Invaliden wenigstens nicht in den Flammen sterben!«

»Fluch über die Mordbrenner!« In wilder Carriere sauste er den fliehenden Arabern nach durch das Thal dem Hügel zu.

Dahin auch ging der Sturmlauf der Zuaven, ohne daß sie sich bei der Gruppe der tapfern Verteidiger des Engpasses oder den geretteten Reisenden aufgehalten hätten. Durch das ganze Thal knallten die Schüsse, hallte der Schlachtruf der Franzosen und das Geschrei der fliehenden Feinde.

Das Grauen des Tages zeigte deren Niederlage. Als Renaud zugleich mit der Löwin, die, blutbedeckt, mit funkelnden Augen und keuchenden Flanken jetzt einen furchtbaren Anblick gewährte, bei dem brennenden Hause ankam, waren nur noch wenige Araber mit dem Plündern des Innern beschäftigt und die meisten bereits vor der plötzlichen Wendung des Kampfes entflohen. Den Thuareg, der ihm am Eingang mit der Beute aus dem Gepäck der Reisenden entgegen trat, warf sein Kolbenschlag zur Seite, dann stürzte sich der wackere Ansiedler, unbekümmert um die eigene Gefahr, auf die Stiege zum Dach.

»Carcadou! Sieg! Sieg! wo bist Du?«

Die Fallthür war verschlossen, der alte Invalide hatte sich nach dem Abbrennen des Geschützes hierher geschleppt und den Holzriegel der Thür, die der Matadreo hinter sich niedergeworfen, vorgeschoben. Der geringe Widerstand hatte die in das Haus gedrungenen Beduinen verhindert, auf das Dach zu steigen.

Jetzt reichte seine Kraft vielleicht nicht mehr aus, den Riegel zurückzuziehen, oder er war bereits tot. Das Auge des Ansiedlers flog in dem von den Flammen erleuchteten Raum des Erdgeschosses umher und traf auf sein Beil. Im nächsten Augenblick flog die Fallthür vor seinem kräftigen Streich in Stücke, und Renaud sprang auf das Dach.

Der tapfere Greis lag in seinem Blut, halb erstickt von dem Rauch, aber noch leise atmend neben der Thür; rings umher züngelten bereits die Flammen. Im Nu hatte der Ansiedler den verstümmelten Körper auf seine Schultern gehoben und trug ihn durch die Flammen, die seine Habe verzehrten, ins Freie. – – – – – – –


Zwei Stunden nachher beschienen die Strahlen der über die Berge emporsteigenden Sonne ein bewegtes, aber ernstes Bild.

Den Anstrengungen der Zuaven war es gelungen, einen Teil des Gebäudes und das meiste Gepäck der Reisenden vor den Flammen zu retten, doch zeigte das Haus die traurigen Spuren des Kampfes und Brandes und mit thränendem Auge betrachtete die junge Ansiedlerfrau die Ruinen ihrer Habe.

Von den Feinden war nichts mehr zu sehen, als eine Anzahl Leichen, welche die Fingerfertigkeit der Zuaven ausgeplündert hatte, und um die bereits die Geier lauerten.

Aus dem geretteten Gepäck der Reisenden hatte man zum Schutz der Dame das Zelt, das die Gesellschaft mit sich führte, auf einer Stelle des Plateaus aufgeschlagen, und die Marquise von Massaignac schlief nach all den Aufregungen innerhalb der Leinenwände den Schlaf der Gerechten.

Was kümmerte es sie, daß wenige Schritte von ihr ein Braver im Sterben lag, der für ihre Rettung mutig dem Tode getrotzt? Es war ja nur ein alter Invalide, ohne Rang und Namen.

Unter den Palmen, nahe der niedergebrannten Schmiede, in der er noch am Nachmittag so munter gehämmert und gefeilt, lag auf einer Decke, das Haupt von der Ansiedlerfrau unterstützt, der alte Zuave. Außer der tödlichen Kugel in der Brust hatte der alte Soldat keine Wunden.

Der Feldscher hatte diese verbunden, aber sein Achselzucken sagte den Freunden Papa Carcadous, daß er wahr gesprochen, als er sich für tödlich getroffen erklärte.

Seine Freunde hatten sich um den Sterbenden versammelt; an seiner Seite, die Hand des Alten auf seinem Blondkopf, kniete sein Liebling, der Knabe Pierre, indes an der andern Seite Renaud, der Ansiedler, und der Matadreo ihm nahe waren.

Die Arme in einander geschlungen, standen der Leutnant der Zuaven und der Jäger Jacques, die aneinander alte Freunde wieder gefunden und schon hundert Erzählungen und Erinnerungen ausgetauscht hatten. Der Jäger trug den linken Arm in der Binde und sah etwas blaß aus, war aber sonst unverwundet. Die Kugel, die ihn niedergeworfen, hatte den Arm verletzt und war auf der Brust an der kupfernen Pulverflasche abgeglitten, die er umgehängt hatte. Nur die Kraft des Schlages hatte ihn betäubt und zu Boden geworfen. Der Graf mit dem Engländer befand sich gleichfalls in dem Kreise, selbst die Löwin fehlte nicht, denn sie lag, die verschiedenen leichten Wunden leckend, die sie bei dem Angriff der Beduinen an der Schlucht erhalten, zu den Füßen des Kranken, von Zeit zu Zeit den Kopf nach ihren neuen Freunden erhebend und ihren kecken Liebkosungen mit einem Knurren antwortend; denn die Zuaven mit ihrem Übermut hatten in den paar Stunden schon die vertraulichste Bekanntschaft mit der gefährlichen Kampfgenossin gemacht und spielten mit ihr wie alte Freunde. Jetzt aber standen alle, die nicht als Schildwachen ausgestellt oder mit dem Aufwerfen einer weiten Grube zur Aufnahme der Toten der Araber beschäftigt waren, um den sterbenden Veteranen.

Mit der ihnen eigenen Geschicklichkeit und Umsicht hatten die Zuaven hinter dem Haupt des Kranken eine jener fliegenden Zeltwände aufgerichtet, bestehend aus einer Decke und ein paar Gewehren, mit denen sie sich im Biwack gegen Wind oder Sonne schützen. Freundliche Hände hatten den improvisierten Schirm mit den Zweigen der Tamarinde und der wilden Myrte besteckt.

»Heb' mir den Kopf noch etwas, Mariette,« sagte der alte Soldat, aus einer jener Ohnmachten der Schwäche erwachend, die ihn seither befallen, zu seiner treuen Wärterin. »Es kommt mir so kalt herauf von dem Stelzfuß, als ob wir am Nordpol wären, statt in der Sahara, und ich möchte noch einmal mit den Freunden sprechen, bevor mir die Zunge auf immer gelähmt ist. Hat einer von den Schakals vielleicht einen Tropfen echten Branntweins, der mir das morsche Leben ein wenig auffrischen hilft?«

Zehn Hände streckten sich ihm mit den Feldflaschen entgegen. »Es ist noch Wein da, mein Freund,« sagte der Oberst, »von demselben, den Ihr gestern Abend trankt.«

»Nichts da, Kolonel! in der Schlacht ist ein Tropfen Branntwein ein ander Ding, und ich denke, ich habe meinen Feind noch zu bestehen. Gott segne Euch, Burschen, für den Trank, die Kehle war mir so trocken wie damals, als wir drei Tage lang nicht die Lehmwälle von Mazagran verlassen hatten. Ich hoffe, Herr, die Frau, die Sie bei sich hatten, ist mit dem bißchen Schrecken davon gekommen?«

»Die Marquise schläft von den Anstrengungen der Nacht erschöpft, aber ich will sie wecken, wenn Ihr sie zu sprechen wünscht, sie wird gewiß nicht zaudern, einem Wackern die Hand zu drücken, der so heldenmütig sich für uns geopfert.«

»Nein, Colonel! Laßt sie schlafen, ich werde ihr ohnehin bald Gesellschaft leisten. Ist der Bote vom Fort noch nicht da?«

»Wir erwarten ihn bald – er ist schon vor drei Stunden weggeritten, alter Freund!« sagte der Ansiedler.

Der Invalide sah nach dem Stand der Sonne. »Er muß sich tummeln, wenn er mir den Rapport noch mit in die Ewigkeit geben will. Wenn Du nach dem Fort kommst, Pierre,« – er tätschelte dem Knaben auf den Kopf – »so vergiß nicht, dem Sergeanten Dumartin zu sagen, daß das Ding da, das ich Dir umhängte, seine Kraft bewährt hat. Der Schnurrbart ist ein alter Gottesleugner und wollte nicht daran glauben. Laß es niemals von Dir, Junge, wenn Du erst den Fes und die Flinte trägst, denn ich hoffe doch, daß Du unter die Zuaven gehst und meiner Erziehung keine Schande machen wirst!«

»Gewiß, Papa Carcadou, ich werde ein Zuave wie Du!«

»Weinet nicht, Frau, über den Burschen! Es muß ein jeder dem Vaterland dienen, und Frankreich braucht brave Soldaten. Komm her, Jacques, daß ich mit Dir rede!«

Der junge Mann trat näher.

»Ein tüchtiger Bursche sollte nie sein Herz so ganz an eine braune Dirne hängen,« sagte der Verwundete, »obschon ich zugeben will, daß sie verdammt hübsche Augen hat; denn weiter hab' ich nichts von ihr gesehen. Es giebt der Weibsleute überall und wenn man nicht eine findet, wie die Mariette hier, soll man sie sich lieber vom Halse halten. Da Du aber einmal mit Gewalt heiraten willst, sollst Du wenigstens von dem Wüstendiebe nichts geschenkt nehmen. Ich denke, es ist Zeit, Mylord Engländer, daß wir unsere Rechnung machen!«

» Yes, yes!« sagte der Kapitän. »Wie viel Schuß sein ich schuldig Sie?«

»Sie haben vier Araber erschossen und dreimal gefehlt. Die Nieten können wir nicht rechnen.«

»O doch, doch! Sie haben geladen mein Gewehr. Das machen das Stück fünf Franken, sind fünfunddreißig Franken, und ich bekomme zurück fünf.«

Er hielt ihm die zwei Napoleonsdor hin.

»Machen Sie's mit Jacques ab, er ist mein Erbe. Und höre, Bursche, in dem alten Strumpf in meinem Kleidersack, wenn das Dings nicht verbrannt ist, müssen sich noch fünf Goldstücke finden, die ich Dir schenke, damit Du vor dem Scheich bestehst. Es ist der Rest von den zehn, die mir General Lamoricière gegeben hat, als ich den Kabylen niederschoß, der im Aures ihn vom Pferde riß. Sie sollten der Frau gehören für das, was ihr die Spitzbuben verbrannt haben, aber ich denke, der Colonel hier wird für sie und Renaud sorgen.«

»Gewiß, mein Braver!«

Der Sterbende hatte sich nicht ohne Mühe umgewandt, er streckte die Hand nach dem Löwentöter. »Wenn Sie meine Flinte nehmen wollen zum Geschenk,« sagte er in Absätzen, »es würde mir eine Beruhigung sein im Grabe für das alte Ding. Sie werden freilich keinen Löwen damit schießen, aber ich denke, Sie könnten ohnehin Frankreich bessere Dienste leisten, als daß Sie Ihr Leben an die Bestien der Wildnis setzen.«

Der Matadreo beugte sich zu ihm, doch konnte niemand verstehen, was er ihm sagte. Nur aus der Antwort des Sterbenden ließ sich darauf schließen.

»Wohl weiß ich es,« sprach dieser ernst, »und dennoch sage ich Ihnen: Es lebe der Kaiser! Zum Teufel mit dem republikanischen Schwindel, wenn die Adler fliegen! Unglück und Undank sollen ein braves Herz nicht beugen und die Zeit naht, wo Frankreich seine besten Söhne auf anderen Schlachtfeldern brauchen wird, als in Scharmützeln mit den braunen Dieben der Wüste! Halt! was ist das?«

Durch das Thal kam im vollen Galopp ein Reiter, einer der Führer der Kolonne bei dem Nachtmarsch durch das Gebirge. Es war ein eingeborener Spahi, der schon von ferne den Turban schwang.

»Sieg! Sieg!«

Der Sterbende richtete sich mit plötzlicher Wiedergewinnung seiner Kraft empor, er stand aufrecht, als ständ' er im Glied.

Der Reiter sprengte den Hügel herauf und parierte sein Pferd vor dem Offizier. »Ordre des Kommandanten, Leutnant! Kapitän Delille hat die Araber zwischen zwei Feuer gebracht, ihre Niederlage ist vollständig, der Angriff ist glänzend abgeschlagen, das Fort gerettet, zweihundert Feinde sind gefallen! Unsere Zuaven haben sich wie die leibhaftigen Teufel geschlagen!«

»Vorwärts, meine Schakals! Es lebe Frankreich!«

Der Verwundete schwang unter dem Donnerruf der Zuaven den alten zerrissenen Fes, dann stürzte er lang hintenüber.

Ein Blutstrom kam aus seinem Mund, die verwitterte zerfetzte Gestalt rührte sich nicht mehr.

Der Chirurg sprang herbei und legte die Hand auf sein Herz. »Er ist tot,« sagte er, »gestorben mit dem Siege Frankreichs auf den Lippen!«

Die tiefe Stille unterbrach nur das Schluchzen der armen Ansiedlerfrau und ihres Knaben, dann die Stimme des Offiziers.

»An die Gewehre, Kameraden!«

Die Musketen rasselten in den Händen der wilden Gesellen.

»Angetreten!«

»Fertig zum Feuern! Feuer!«

Und die Ehrensalve donnerte über den Toten hin durch die bereits von den Strahlen der Sonne erzitternde Luft und scheuchte die vornehme Dame aus ihrem Zelt.

An der Leiche des alten Zuaven kniete im stillen Gebet der Matadreo.


Es war etwa anderthalb Stunden vor Mittag, als sich ein Zug von der halb zerstörten Kolonie aufmachte, um sich nach dem Fort Randon zu begeben.

Die Leichen der gefallenen Araber waren in einer gemeinsamen Grube beerdigt worden, nur der alte Zuave hatte sein Grab unter den Palmen des Hügels gefunden, wo ihm die Liebe und das Gedächtnis der Ansiedlerfamilie ein Kreuz zu setzen versprach. Leutnant de Chapelles, der Kommandierende der Abteilung, welche die Ansiedelung entsetzt, glaubte sich nicht berechtigt, den Reisenden eine Anzahl seiner Leute als Sauvegarde direkt nach der nächsten Militärstation mitzugeben, und jene beschlossen daher, unter dem Schutze der abgelösten Besatzung ihre Rückreise zu machen.

So bestand denn der Zug aus der Hälfte der Soldaten unter der Führung des Offiziers, den Reisenden und ihrer übrigen Dienerschaft, dem Löwentöter und seinem Bruder und der Ansiedlerfrau mit ihren Kindern. Letztere sollte im Fort verweilen, bis Renaud mit Hilfe der zurückgebliebenen Soldaten das Haus aufs neue in Stand gesetzt hatte. Leider war bereits durch einen glücklich Entkommenen die Nachricht eingegangen, daß die beiden entfernteren Ansiedelungen ein Opfer des verräterischen Überfalls geworden und ihre sämmtlichen Bewohner bis auf jenen getötet worden waren. Die Gefangenen, die an der Schlucht und in dem brennenden Hause gemacht worden waren, begleiteten die abziehende Kolonne.

Trotz mehrfacher Versuche der Annäherung seitens des Grafen schien der Matadreo die Isolierung vorzuziehen und ritt in tiefem Nachdenken am Ende des Zuges, begleitet von der Löwin, mit der die Zuaven, die auch die beiden jungen Katzen mit sich genommen hatten, sich bereits die größten Vertraulichkeiten erlaubten, ohne daß das edle Tier eine andere Abwehr zeigte, als zuweilen ein ungeduldiges Knurren. Gegen ihren Herrn zeigte die Löwin den treuesten Gehorsam und schien jedes seiner Worte zu verstehen.

Jacques befand sich, von seiner Ungeduld getrieben, mit dem Grafen, der ihn vergeblich durch verschiedene Fragen auszuforschen suchte, an der Spitze des Zuges, während der junge Leutnant bereits am Triumphwagen der schönen Marquise zog und all seine Galanterie an ihre Bequemlichkeit verschwendete.

Die Kokette schien bereits alle schrecklichen Erfahrungen der Nacht vergessen zu haben und nur zuweilen zog ein beunruhigender Gedanke ihre Stirn in Falten, und sie wandte dann mit einem Ausdruck von Befangenheit und unklarer Besorgnis ihre Blicke nach der einsamen Gestalt des Matadreo zurück.

In einer solchen Pause des banalen, aus Pariser Neuigkeiten und Lästerungen bestehenden Gesprächs schien es ihr plötzlich einzufallen, daß sie den jungen Offizier mit Jacques, dem Jäger, bekannt und vertraut gesehen hatte.

»Apropos, Monsieur de Chapelles,« sagte sie, »ich glaube, Sie können uns die beste Auskunft geben, wer eigentlich unsere sehr schweigsamen oder verschwiegenen Wirte gewesen sind. Dieser Herr Matadreo, wie er sich nennen läßt, zeigt in manchen Augenblicken die Manieren der guten Gesellschaft, und dennoch entspricht seine ganze Umgebung dem nicht. Es war eine alberne Idee, die mir durch den Kopf fuhr, daß er sonst in anderen Kreisen gelebt haben und durch irgend ein romantisches Unglück in diese traurige Einöde verschlagen sein könnte. Geschwind, Monsieur de Chapelles, woher kennen Sie seinen Bruder?«

»Wir waren als Knaben Spielgefährten, Madame!«

»Also in Paris?«

»In Paris!«

»Und der Name des Monsieur Löwentöter? denn in Paris führt man doch einen anständigen Namen.«

»Der Matadreo, Madame,« berichtete der junge Offizier, »hat sich wirklich in den vornehmsten Cirkeln von Paris bewegt, Ihr Scharfsinn hat Sie nicht getäuscht.«

»Aber sein Name?« beharrte ungeduldig die junge Frau.

»Ich habe leider nicht das Recht, ihn zu nennen!«

» Fi donc, Monsieur de Chapelles, Sie wollen nur den Verschwiegenen spielen, um sich interessant und mich neugierig zu machen. Allons, heraus damit!«

»Ich bin durch mein Ehrenwort gebunden, Madame!«

Die Marquise machte eine ungeduldige Bewegung mit dem Schirm, den sie zum Schutz gegen die Sonne über sich hielt. »Sie sind nicht besser als alle anderen Männer. So jung noch und schon so ungalant! Gehen Sie, ich will nichts mehr von Ihnen wissen und werde Herrn Jacouf selbst fragen!«

»Da hält er eben an, Madame, es muß etwas Besonderes sein, was ihn so in Aufregung versetzt.«

»Vielleicht die Kamele dort; wahrhaftig, der Anblick ist höchst romantisch! Schade, daß die Barbaren mein Album mit verbrannt oder geraubt haben. Ich muß die Gefangenen danach fragen lassen!«

Der erste Ausruf galt in der That einem eigentümlichen Anblick.

Der Zug hielt auf der Höhe eines Abhanges, der sich in ein enges schluchtartiges Thal senkte. Die Berge umher waren rauher Fels oder mit wucherndem Gestrüpp bedeckt, an der einen Seite des kleinen Thals aber sprang aus der Felswand ein klarer frischer Quell und goß sich in ein rohes Steinbecken, das arabische Pietät wahrscheinlich schon vor Jahrhunderten hier ausgehauen. Um dieses Becken wiegten sieben schlanke hohe Palmen ihre grünen Kronen in der heißen Luft.

An diesen Palmen sah man eine Anzahl Kamele und drei oder vier Pferde angebunden, aber kein menschliches Wesen war in der Entfernung zu erkennen; nur an dem Rande des Brunnens lehnte es, wie eine weiße Gestalt.

Die sämtlichen Mitglieder der kleinen Reisegesellschaft hatten sich unterdes auf dem Fleck gesammelt, wo Jacques und der Graf verweilten. Ein jeder erkannte leicht die Aufregung des jungen Mannes, und jetzt erst fiel der Marquise die seltsame Heiratswerbung und der Vertrag dieser Nacht ein. Auch wenn sie nicht nach der Uhr gesehen, hätten ihr die drückende Hitze und die Erschlaffung von Menschen und Tieren trotz des kurzen Weges verkündet, daß die Mittagszeit gekommen war.

»Wie ist mir denn, Monsieur Jacouf,« sagte sie zu dem Jäger, »ist das nicht der Ort, wohin Sie dieser schöne Scheich eingeladen hat, Ihre Braut zu empfangen? Ich glaube wirklich, er hält sein Wort, nachdem er uns in dieser Nacht hat den Hals abschneiden wollen!«

»Ein Araber, Madame,« sagte aufgeregt der junge Mann, »hält immer sein Wort; dort ist Zela, denn ich erkenne ihr Lieblingsdromedar und dennoch – mir ist so seltsam zu Mute, als wolle es mir das Herz abdrücken.«

»Ei,« lachte munter die Dame, »das ist die Stimmung eines Bräutigams und gehört zum Hochzeitsmorgen, obschon ich gerade nicht sagen könnte, daß Monsieur le Marquis de Massaignac an dem unsern etwas anderes gezeigt hätte, als seine gewöhnliche üble Laune und seinen Geiz. Aber geschwind, Monsieur Jacouf, lassen Sie die junge Braut nicht so lange schmachten und vergessen Sie nicht, daß ich die Hochzeitsmutter vorstellen werde.«

»O, Madame!« Sein Herz war übervoll, und er wollte eben das Pferd, das er wegen seiner Wunde bestiegen, nach der Stelle der Palmen zum Galopp antreiben, als die Hand des Löwentöters sich auf seine Zügel legte.

»Bleib'! Ich werde vorangehen!«

Die Gewalt des älteren Bruders war so groß, daß darunter selbst die Liebessehnsucht des jüngeren sich beugte.

Ohne sein Pferd zu einem hastigeren Schritt anzutreiben, ritt der Matadreo voran.

Aber man sah, daß er das Schloß seiner Büchse spannte, und den Kolben derselben auf seinen Schenkel setzte.

Diese Kampfbereitschaft flößte plötzlich allen andern eine unheimliche Ahnung von Gefahr ein, denn ein Mann wie der Matadreo konnte dergleichen nicht ohne Ursach thun, und man sah sich unwillkürlich um, ob nicht über die Felsen und Büsche sich die braunen Gesichter der Thuaregs und ihre langen Flinten erheben würden, um in nochmaligem Überfall die Niederlage der Nacht bei hellem Sonnenschein zu rächen. Der Graf nahm seine Flinte von der Schulter, und der junge Offizier ließ seinen Trupp in Kolonne treten.

Aber alles umher blieb ruhig. Nur das Wiehern der an den Palmen angebundenen Pferde, die die nahenden Genossen witterten, unterbrach die Stille.

Der Löwentöter war dem Zuge etwa hundert Schritte voraus und ritt langsam auf die Quelle zu.

Man konnte jetzt deutlich erkennen, daß an dem Steinbassin eine Frauengestalt in dichte weiße Schleier gehüllt saß, aber – war es die jungfräuliche Sitte und Scheu? – sie erhob sich nicht, dem Liebling ihres Herzens entgegen zu gehen und blieb ohne Bewegung sitzen.

Nur die Tiere um sie her begannen unruhig zu werden und versuchten sich loszureißen, als der Matadreo sich näherte, dem die Löwin einige Schritte voranging.

Plötzlich blieb diese stehen und das Pferd des Reiters, das sich nur schwer an die furchtbare Begleiterin gewöhnt hatte, scheute zurück und begann sich zu bäumen bei dem heisern Gebrüll des Tiers.

»Ruhe, Cora! nieder mit Dir!«

Aber die Löwin gehorchte dem Befehl nicht, der zur Beruhigung der angstvoll an ihren Banden reißenden Pferde und Kamele gegeben war. Sie blieb vielmehr stehen, ihre Haare begannen sich zu sträuben, und ihr Schweif peitschte unruhig die Flanken.

Der Anblick war in der That seltsam. Um den Brunnen lagen neunundzwanzig sorgsam zusammen gebundene Straußhäute mit dem kostbaren Federschmuck, und auf dem Brunnenrand stand ein hölzerner Koffer, wie die Orientalen sich seiner zur Aufbewahrung der Kleider und des Schmuckes bedienen.

Aber das Mädchen am Brunnen, dessen Ausstattung und Habe dies alles bildete, blieb noch immer stumm bei der Annäherung derer, die künftig ihre Freunde und Verwandten bilden sollten.

Wiederum brüllte die Löwin, ihr Brüllen hatte etwas Heulendes, Klägliches.

Hinter dem Mädchen kniete ihr Lieblingstier, das Renndromedar. Der lange Hals streckte sich weit zu der Gebieterin hinüber und die großen schwarzen Augen schienen ganz verwundert, daß die gewohnte kleine Hand sich nicht erhob, seinen ungeschlachten Kopf zu streicheln.

»Zela!«

Der Matadreo sprang vom Roß, aber diesmal nur dem Gebot des Herzens gehorchend, war der Bräutigam schneller als er und eilte an dem älteren Bruder vorüber, sich dem Mädchen zu Füßen werfend.

»Zela, geliebtes Leben, komm an mein Herz! Laß alle Trauer, denn von nun an bist Du mein, Dein Bruder hat Wort gehalten, und wir trennen uns nie mehr!«

Die weiße Gestalt rührte sich nicht – der junge Mann hob die Hände, um die ihren zu suchen. Plötzlich zuckte er zusammen, sprang empor und warf den Schleier des Mädchens zurück.

Bei der ungestümen Bewegung verlor die Gestalt ihre Haltung und sank schwerfällig zur Seite. Es war in der That die junge Araberin, die Taube der Wüste, die Schwester des Scheichs, Zela, aber ihr Gesicht war bleich, ihr Auge geschlossen, das Rot ihrer Lippen verschwunden – der junge Mann hielt eine Tote in seinem Arm.

Ein entsetzlicher, gellender Schrei kam aus dem Innersten seiner Brust, als ihm die schreckliche Erkenntnis wurde; dann, noch immer die Leiche festhaltend, stürzte er in wilden krampfhaften Zuckungen zu Boden.

Ein tiefes Entsetzen hatte sich aller Anwesenden bemächtigt, die sich neugierig um die Gruppe versammelt, und das Unerwartete, Unerhörte, machte sie stumm; denn jeder begriff im Augenblick, daß dies nicht die Folge eines zufälligen Unglücks sein konnte, sondern daß hier eine jener furchtbaren Thaten der Rache und des Hasses verübt worden, wie der Fanatismus des Nationalkampfes sie allein erzeugt; dann aber brachen ein Schrei der Entrüstung, Klagen und bittere Verwünschungen gegen den Mörder über aller Lippen und alles drängte sich um die traurige Gruppe, Hilfe zu leisten. Jacques wurde in fiebernden Zuckungen besinnungslos von der Toten getrennt und zur Seite getragen, während man sich bemühte, zu erproben, ob die Unglückliche nicht noch ins Leben zurückgerufen werden könne.

Aber, obschon nirgends eine Verletzung an ihr zu finden war, mußte das Leben schon seit mindestens einer Stunde entflohen sein, wahrscheinlich infolge eines jener furchtbaren und schnell aber schmerzlos wirkenden Gifte, deren sich die Orientalen bedienen und deren Geheimnis sie allein kennen.

Jetzt erst, bei diesen Versuchen, sie ins Leben zurückzurufen, entdeckte man einen Streifen Pergament, auf die Brust der Toten geheftet, der mit arabischen Schriftzeichen bedeckt war.

»Wer liest arabisch?« fragte der junge Offizier.

»Hier, Murad, unser Dolmetscher, versteht es, lassen Sie ihn den Brief lesen,« sagte eifrig die Marquise.

Der arabische Diener nahm das Blatt und studierte es einige Augenblicke.

»Es ist überschrieben: »Hassan El Mezab, der Sohn Nadurs an jenen, den sie El Matadreo nennen.«

»O, das thut nichts, lies laut; wir sind alle bei dieser schrecklichen Sache beteiligt.«

Dem Geheiß zur Folge, denn der Löwentöter war abseits mit seinem Bruder beschäftigt, las der arabische Diener weiter:

 

»Hassan, der Scheich der Mezab, löst sein Wort und giebt Euch Zela, die Geschändete und die Verräterin an ihrem Volk, mit ihrem Brautschatz. Fortan sei Krieg zwischen mir und Dir! Wenn Du den Mut eines Mannes hast und nicht die Spindel der Weiber drehst, so wirst Du mich allein treffen an dieser Stelle, zur selben Zeit, in der ich gern die Schwelle der Ungläubigen betrat, denen der Fluch Allahs und des Propheten sei!«

 

» By Jove!« sagte der Brite, »es seind eine veritable Forderung zum Duell.«

»Es ist eine Herausforderung zum Zweikampf, wie sie bei den Arabern nicht ungewöhnlich ist,« bemerkte der Graf. »Aber lassen Sie uns einander das Wort geben, davon zu schweigen. Es ist bereits Unheil genug geschehen, und ich werde sorgen, daß der Mörder seinen gebührenden Lohn erhält.«

»Still, Graf! dort kommt der Matadreo,« sagte die Marquise hastig.

Es war in der That der Löwentöter, der langsam herbeikam. Mariette, der Wundarzt und einige Zuaven waren um den immer noch Bewußtlosen beschäftigt; einige andere bereiteten bereits mit der ihnen eigenen Anstelligkeit ein improvisiertes Tragbett für den Kranken.

Der Matadreo schritt stumm durch die sich teilende Umgebung, bis zu der Stelle, wo die Leiche des armen Mädchens lag, die man wieder mit ihren Schleiern bedeckt hatte.

Er kniete wohl fünf Minuten lang schweigend an ihrer Seite, und niemand umher wagte die stille Andacht zu stören. Unter den wilden Kriegern, deren Brust mit Medaillen bedeckt war, in deren braunen Gesichtern sich der kecke Trotz ausprägte, der mit dem Satan selbst anbinden würde, denen nichts heilig, nichts zu verwegen war, befand sich nicht einer, der anders als mit ehrfurchtsvoller Scheu nach der Leiche des unglücklichen Mädchens geblickt hätte.

Der Matadreo setzte sich, noch immer schweigend, an den Rand des Brunnens, zog ein Portefeuille aus seinem Mantel und schrieb einige Zeilen auf ein leeres Blatt desselben.

Dann trat er zu dem jungen Offizier, dem Kommandeur der Truppe.

»Monsieur de Chapelles,« sagte er langsam, »der Mann jener Frau,« er wies nach Mariette, »hat mit eigener Hand in seinem zerstörten Hause zwei der Thuaregs gefangen genommen. In seinem Namen verlange ich diese von Ihnen.«

»Ich kann Ihnen das Gesuch nicht verweigern, obschon es vielleicht gegen meine Pflicht streitet. Aber wollen Sie mir wenigstens sagen, zu welchem Zweck?«

»Ich brauche einen Mann, der diese Tiere dahin zurückführt, woher sie gekommen sind, und einen Boten an den Scheich der Mezab. Für Hassan und El Matadreo ist fürder nicht Platz zusammen auf der Erde, und wenn jener unglückliche junge Mann erwacht, soll er wenigstens neben dem Grabe seiner Geliebten auch das Grab ihres Mörders finden.«

Der Leutnant sah befangen und fragend auf den Grafen; dieser nickte.

»Ich begreife Ihren gerechten Wunsch, mein Herr,« sagte jener zögernd, »von dem Hohn dieser Geschenke befreit zu werden; aber das traurige Unglück wird dadurch nicht besser, daß Sie sich dem Mörderdolch des Wüstenräubers aussetzen. Ich kann meine Einwilligung zu der zweiten Sendung nicht geben, aber ich werde Anstalten treffen, daß der Bösewicht seiner Strafe nicht entgeht.«

»Ihr Leben gehört Frankreich,« fügte der Graf hinzu, »und wir wären undankbar, wollten wir Sie in Ihrem Schmerz sich dem Verrat der Beduinen preisgeben lassen.«

Der Matadreo ließ ein kurzes bitteres Lachen hören.

»Kennen Sie die Gebräuche der Wüste?« fragte er.

»Nur wenig, ich diente zu kurze Zeit in Afrika.«

»Nun wohl, ich kenne sie, und sage Ihnen, Herr Graf, daß ein Duell in der Wüste weder die glückliche Einmischung der geschickt avertierten Pariser Polizei, noch den Verrat und die Feigheit eines Gegners zu fürchten hat. Ein Duell in der Wüste, Herr Graf, ist ein Kampf von zwei Männern, die wissen, daß der Tod allein ihrem Haß und ihrer Rache genügen kann, und daß ewige Schmach und Verachtung den treffen würde, der daran denken könnte, sich dem Kampf zu entziehen, die Bedingungen desselben seien, welche sie wollen.«

»Dann,« sagte der Graf, »darf die Ehre Frankreichs nicht durch unsere dankbare Besorgnis für Ihre Sicherheit leiden. Verzeihen Sie, daß wir versucht haben, Ihnen dies vorzuhalten, und wenn Sie einen Sekundanten brauchen, so bittet der Oberst Graf Montboisier um die Ehre, es zu sein.«

Der Matadreo nahm schweigend den Pergamentstreifen, den der Graf ihm reichte, und las ihn; dann reichte er ihn dem Grafen zurück.

»Der Scheich ist meiner Botschaft zuvorgekommen,« sagte er ruhig. »Sie kennen jetzt die Bedingungen unseres Kampfes und werden, wie er ausfallen mag, bezeugen können, daß durch den armen Jäger des Dschebel Muzedsch kein Flecken auf die französische Ehre gebracht worden ist. Lassen Sie die beiden Gefangenen aufbrechen, um den lebendigen und toten Brautschatz des armen Mädchens vor den Zelten ihres Stammes wieder niederzulegen, und geben Sie das Zeichen zum Aufbruch. Nehmen Sie die Leiche des armen Kindes mit sich, und wenn Gott in seiner Unerforschlichkeit beschlossen haben sollte, daß jener Unglückliche sie nicht überlebt, so gönnen sie beiden dasselbe Grab in geweihter Erde, auch wenn die eine von ihnen nicht zum Gott der Christen, sondern zu Allah gebetet hat.«

»Und Sie, mein Herr? Ich wiederhole mein Anerbieten.«

»Ich erkenne vollkommen die Ehre an, aber ich muß es ablehnen. Was zwischen mir und dem Scheich der Mezab zu thun bleibt, bedarf keiner Zeugen. Er kommt allein und wird mich ebenso finden. Ich fordere vielmehr Ihr Ehrenwort, daß, bevor morgen die Sonne die Kronen dieser Palmen beleuchtet, niemand vom Fort diesem Orte zu nahe kommt.«

»Sie haben unser Wort, ich werde es bei dem Kommandanten des Forts vertreten.«

Der Matadreo hängte die Büchse, die er getragen, an den Sattel des Pferdes, ebenso die Tasche mit dem Schießbedarf. Er behielt als Waffe nur den krummen tunesischen Dolch in seinem Gürtel. Dann ging er zur Stelle, wo die Zuaven die beiden an den Füßen gebundenen Löwenkatzen niedergelegt hatten, und trug sie zu dem Brunnen.

»Was haben Sie vor?« frug der Graf. »Sie wollen doch nicht ohne Waffen Ihrem Feinde gegenüber hier zurückbleiben? Was bedeuten alle diese Vorbereitungen?«

»Die Bedingungen unseres Duells habe ich zu stellen,« sagte der Matadreo. »Und jetzt, Herr, wenn Sie mir eine Gunst erweisen wollen, treffen Sie die Anstalten zum Aufbruch und versprechen Sie mir, für meinen Bruder zu thun, was in Ihren Kräften steht, wenn ich ihn nicht wiedersehen sollte.«

»Sie haben mein Ehrenwort!«

Während rasch die Vorbereitungen zum Aufbruch und zum Transport des Kranken und der Toten betrieben wurden, hatte der Löwentöter sich neben den ersteren gesetzt und sprach leise mit der Frau des Ansiedlers, die um Jacques beschäftigt war. Die Krämpfe desselben hatten unter dem Beistand des jungen Chirurgen nachgelassen, er lag jetzt in einem apathischen bewußtlosen Zustand, der, wie der Feldscher meinte, mehrere Stunden lang anhalten würde und sich am besten zu seinem Transport eignete.

Die Zuaven hatten aus den Ästen und Zweigen der Tamarinden und den Stauden der Fächerpalmen eine Art Tragbahre konstruiert, sie mit ihren wollenen Decken belegt und einen Schirm gegen die Sonnenstrahlen darüber angebracht. Teufel an Wildheit im Kampf, sind sie gutherzig wie die Kinder, wenn irgend ein fremdes Unglück ihren Beistand verlangt, und sie hatten sich, ohne den Befehl ihres jungen Offiziers abzuwarten, erboten, den Kranken abwechselnd bis zum Fort zu tragen, wo ihm bessere ärztliche Hilfe zu teil werden konnte.

Unterdes hatte man die beiden Araber, die Renaud gefangen genommen, von ihren Banden befreit und ihnen den Zweck dieser Freilassung mitgeteilt. Sie nahmen die Nachricht mit demselben Glauben an das Fatum auf, mit dem sie die Ankündigung ihres Todesurteils aufgenommen hätten. Ohne für die ihnen geschenkte Freiheit den verhaßten Ungläubigen zu danken, bestiegen sie zwei der Pferde und machten sich daran, die anderen und die mit den Sachen der Gemordeten beladenen Kamele fortzutreiben.

Jetzt aber ereignete sich etwas, das den Aufbruch nochmals verzögerte.

Das Dromedar Zelas war mit aller Mühe weder durch Lockungen noch durch Schläge fortzubringen. Es hatte sich neben der Leiche des Mädchens niedergelegt, und hielt unverwandt seinen Kopf nach dieser gerichtet.

Endlich mußte man sich entschließen, die Araber ohne das Dromedar ziehen zu lassen.

Man hüllte nun den leichten Körper des unglücklichen Mädchens in eine Decke und befestigte diese auf dem Rücken des Dromedars. Willig erhob sich das Tier jetzt, um die teure Herrin, die es so oft in den Arm der Liebe getragen hatte, jetzt auch zu ihrer letzten Ruhestätte zu bringen.

Mit diesen Scenen und Vorbereitungen waren mehrere Stunden vergangen. Auf die Marquise hatte der Tod des jungen Mädchens mehr den Eindruck eines pikanten Ereignisses gemacht, als eines tiefgreifenden Schreckens, aber merkwürdiger Weise schien dies der Fall, als sie von dem bevorstehenden Zweikampfe des Matadreo mit dem Scheich hörte, der nur der mit dem Kranken beschäftigten Ansiedlerfrau verborgen blieb.

Sie verlor alle ihre gewöhnliche Lebendigkeit und saß jetzt fast so unbeweglich, wie vorher die Tote auf deren Platz am Brunnen. Erst als der Oberst zu ihr kam und sie aufforderte, zu Pferde zu steigen, schrak sie aus dem tiefen Sinnen empor. Ihr Gesicht war sehr bleich, ihre sonst so glänzenden, in dem ausdrucksvollen Spiel der Koketterie bewanderten Augen waren eingesunken und starr. Es war, als laste eine schwere Erinnerung und Ahnung auf ihrer Seele.

Der junge Offizier gab das Zeichen zum Aufbruch und vier der Zuaven hoben die Bahre mit dem Kranken, als der Matadreo zu diesem trat und einen langen Kuß auf die fieberheiße Stirn drückte. Dann machte er das Zeichen des Kreuzes über ihn und schloß den Vorhang.

»Cora, hierher!«

Unwillkürlich gab die Marquise ihrem Pferde den Zügel und trieb es an die Seite der improvisierten Sänfte, obschon sie wußte, daß nicht sie, sondern die Löwin gemeint sei.

Das Tier kam mit hängendem Kopf herbei und stellte sich an die Seite seines Herrn, der die Hand darauf legte.

»Sorgen Sie dafür, wenn Sie nach Fort Randon kommen,« sagte er zu dem jungen Offizier, »daß die Löwin eingeschlossen wird oder bei dem Kranken bleibt. Und nun, Cora, Du Getreue, geh' und schütze meinen Bruder.«

Es war, als ob das mächtige Tier den Abschied verstände, denn es drückte den Kopf an die Füße seines Herrn, leckte seine Hand und blickte bald auf ihn, bald auf die Trage des Kranken.

Der Matadreo winkte dem jungen Offizier. »Vorwärts, Leutnant! thun Sie Ihre Pflicht!«

»Angetreten! Marsch!«

Das Horn der Zuaven gab das Signal, der Leutnant legte die Hand an den Zügel der Dame.

»Kommen Sie, Madame, damit wir das Fort noch vor Abend erreichen!«

»Nein, nein, ich weiche nicht von der Stelle! Er muß mit, ich beschwöre Sie, lassen Sie ihn hier nicht zurück! ich weiß nicht, was mich ergreift, aber ich dulde es nicht!« sagte sie heftig.

»Es muß geschieden sein! lebe wohl, Cora!«

Die Stimme des Matadreo klang so seltsam, so anders, die Dame fuhr mit der Hand nach der Stirn, sie wollte sich aus dem Sattel stürzen, aber die starke Hand des Grafen, der an ihrer Seite hielt, bannte sie fest. »Gehen Sie, Madame, dort führt der Weg nach Paris.«

Der Leutnant zog das Pferd mit sich fort, sie drückte das Tuch vor die Augen.

Nicht wie sonst, munter und lustig tönten die Klänge des Horns, in melancholischen Wellen, schlaff und träg zitterten sie durch die heiße schwüle Luft, der rauhe Bläser selbst fühlte das Leid des Zuges, dem er voranging.

Das Dromedar mit seiner Last, die Bahre des Kranken und hinter ihr der Löwe, zogen stumm voran. Aber als die kecken, wettergebräunten, mit Narben bedeckten Gestalten an dem einsamen Jäger der Wüste vorüber kamen, zogen wie auf Kommando alle die Gewehre an und aus Reihe auf Reihe murmelte es:

» Au revoir camarade! Pour la gloire de France!«

Die Hand des Matadreo erwiderte den Soldatengruß, dann wirbelte der glühende Staub des Weges um den Zug, und nur ein lautes Geheul der Löwin klang wie ein Lebewohl noch herüber.

»Haben Sie keinen Auftrag weiter für mich, mein teurer Freund?«

Es war der Graf, der allein zurückgeblieben war von dem Zug und an seiner Seite hielt.

Der Matadreo warf den Burnus zurück.

»Sie kennen mich?«

Der Graf winkte und reichte ihm die Hand.

Die beiden Männer sahen einander fest ins Auge.

»Ist sie glücklich? was führte sie hierher in die Wüste?«

»Der Unfrieden mit sich selbst und der Dämon der Erinnerung, der ihr nirgends Rast läßt. Sie ist unglücklich in ihrer Ehe, Sie sind gerächt!«

Der Matadreo senkte stumm das Haupt. »Gehen Sie jetzt, mein Freund,« sagte er endlich. »Es ist der letzte Dienst, den Sie mir erweisen können.«

»Ich lasse Sie nicht gern zurück, denn ich wage kaum zu sagen: auf Wiedersehn! Kann ich nichts mehr thun für Sie?«

Der Matadreo nahm das Portefeuille heraus und aus einer Tasche desselben ein mitten durch gerissenes Papier. Er faltete es zusammen und gab es dem Grafen. »Die Araber,« sagte er feierlich, »berauben niemals die Toten, die sie im Zweikampf erschlagen. Wenn Sie morgen hierher kommen und mich nicht mehr am Leben finden sollten, so nehmen Sie diesen Dolch zum Andenken, und geben Sie ihr dies Papier, es ist die Quittung ihrer Schuld, ich habe ihr vergeben!«

»Und mir?«

»Auch Ihnen, mein Freund!«

Er wandte sich um und schritt nach dem Steinbassin der Quelle. Der Graf gab dem Pferde die Sporen und jagte dem bereits am Ausgang der Schlucht verschwundenen Zuge nach.

Der Matadreo war allein! – – –



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