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Der Löwentöter.

Die Septembersonne schoß ihre glühenden Strahlen, obschon im Sinken begriffen, gleich verzehrendem Feuer brennend über die letzten Abhänge des Arba-Gebirges.

Rauhe Felsmassen, in wunderlichen phantastischen Gestaltungen dehnten sich zu wilden Schluchten hinab in die unendliche Ebene nach Süden.

Von dieser weißen Einöde, so einförmig und still, daß sie wie ein unendlich sich ausbreitendes Leichentuch aussah, flüchtete das Auge zurück zu der spärlichen Kaktusdecke und den niedern Fächerpalmen der Felsen; die Luft schien auf dieser Fläche zu vibrieren und zitterte von dem weißen Sande in für das Auge verderblichen Wellen zurück, wenn ein leiser Lufthauch von den Bergen sich herüber verlor.

Sonst aber war alles still, alles unbeweglich unter diesem Gluthauch. Alles Leben schien erstorben, kein fröhlich zwitschernder Vogel in der Luft, kein Tier auf der Erde, wenn nicht etwa die goldgrüne in Smaragden funkelnde kleine Eidechse mit den schwarzen feurigen Augen von Stein zu Stein schoß.

So weit das Auge nach Süden trug, eine ewige weiße Ebene, mit dem Horizont verschwimmend, so daß kein menschliches Wesen vermocht hätte, zu sagen: hier beginnt der Himmel und hier scheidet sich die Erde.

Es war die Wüste, die Sahara, jener furchtbare Ocean aus Staub und Feuer, der sich hier in seiner Unendlichkeit dehnte und des Scirocco harrte, der die bewegliche Fläche zu Hügeln und Bergen türmt und mit seinem verzehrenden Gluthauch die Vernichtung Schritt um Schritt gegen Norden schleudert.

Wenn den Reisenden der Anblick des weiten unermeßlichen Oceans erschreckt, die ewig rastlose Wasserfläche um ihn her, so giebt ihm das Bewußtsein seiner geistigen Kraft, die das gewaltige Element zu seiner Dienerin gemacht, die selbst die Hilfe des Windes verschmähen gelernt, um seine kecke Bahn durch die Wogen zu ziehen, eine gewisse Sicherheit. Der Kompaß, die Sterne, die Strömung, die Passatwinde, der mächtige Dampf sind ihm unterthan, zwischen ihm und der Ewigkeit steht die kupferbeschlagene Planke, die unabsehbare Fläche des Oceans ist zur Heerstraße der Nationen geworden, und Tausende von Kielen kreuzen die Wogen und leisten im Fall eines Unglücks ihm Hilfe.

Aber die Wüste, jenes Meer, durch das kein Dampfer braust, und das keine fremde Kraft als die des Reiters und seines Tieres durcheilt; die Wüste mit ihrem Sturm, vor dem keine Schifferkunst schützt; die Wüste, mit dem versengenden Sonnenstrahl und der feurigen Luft, in der selbst in ihrer tiefsten Stille jeder Schritt ein Wagnis und eine Gefahr ist! die Wüste, wo der heulende Schakal und der raubgierige Araber der furchtsamen Karawane folgt und über dem Schlaf des ermatteten Wanderers die Lanze und der Yatagan des unbarmherzigen Feindes schwebt, wahrlich, sie ist hundertfach schlimmer, und drohender als das Meer.

Aber wer vermag den Eigennutz, die Eitelkeit und die Thorheit des Geschöpfes zurückzuschrecken, das den Herrn des Erdballs spielt, des Menschen!

Auf dem Abhang der Felsen hielt eine Reitergruppe, zwei Männer und eine Dame voran, Europäer nach ihrer der Reise und dem Klima möglichst angepaßten Kleidung. Einige europäische und arabische Diener und zwei Führer hielten etwa hundert Schritt weit zurück.

Die Dame trug ein weites gelbgraues Musselinkleid und gleiche Beinkleider von türkischem Schnitt, denn sie saß nach Art der Männer auf dem Sattel ihres kleinen feurigen Berberpferdes. Ein großer Sonnenhut mit breitem Schirm bedeckte den mit weißen Tüchern umhüllten Kopf; überdies war an ihm ein blauer Schleier befestigt, um die Augen vor der Wirkung der Sonnenstrahlen zu schützen.

In diesem Augenblick jedoch hatte die Dame den Schleier zurückgeschlagen, ebenso wie den großen blau und weißgestreiften Burnus, der ihren Oberkörper schützte. Ihre in Glacéhandschuhe gekleidete Hand ruhte auf dem Kolben einer leichten Jagdflinte, die an dem Sattel des Pferdes befestigt war. Der zurückfallende Burnus zeigte außerdem in dem als Gürtel um die schlanke Taille gewundenen Shawl von roter Seide zwei zierliche mit Silber und Perlmutt ausgelegte Pistolen und den kostbar ciselierten und mit echten Steinen besetzten Griff eines Handjars, einer eleganten Spielerei gegen die ähnlichen gefährlichen Waffen, welche aus dem Gürtel ihrer afrikanischen Begleiter drohten.

Der Schleier ließ, wie erwähnt, das Gesicht unverhüllt. Auf dem ersten Blick sah man, daß trotz aller Künste der Toilette, die ohnehin vor diesem Klima und den Strapazen dieser Wege nicht Stand hielten, die Dame nicht mehr ganz jung war. Sie mochte sieben- bis achtundzwanzig Jahre zählen und der scharf an das orientalische Gepräge erinnernde Schnitt ihrer Züge war durch die Jahre noch pikanter geworden. Aber das Auge war feurig und rastlos und milderte den gelangweilten süffisanten Ausdruck des Mundes. Zuweilen, wenn sie nicht sprach oder nicht von irgend einem Gegenstand gefesselt war, lagen auf ihrer schönen Stirn die Falten bitterer Erinnerungen oder es flog der Schatten eines verfehlten, aus eigener Schuld verfehlten Lebensglücks darüber hin.

Ihre beiden Begleiter waren von sehr verschiedener Art. Der eine war eine hohe stattliche elegante Männergestalt, selbst unter dem arabischen Mantel, der leicht über seinem modernen Sommerrock hing und unter dem Militäraskett mit dem langen, über den Nacken fallenden Haouli. Er trug die weiten roten Beinkleider der französischen Militärs, und im Knopfloch des Rocks das croix d'honneur. Ein leichter Säbel hing an seiner Seite und ein schöner Karabiner war am Sattelknopf befestigt. Er war über den Anfang der Vierziger hinaus, und sein vornehmes Gesicht zeigte die ganze Blasiertheit eines Roués der vornehmsten Gesellschaft.

Im ganzen Äußern stach der zweite Begleiter der Dame von seinem Rival ab. Er gehörte, trotz seines kleinen und zierlichen Wuchses offenbar der englischen Nation an, deren Aussehen sie überall kennzeichnet. Das bereits etwas spärlich werdende rötlichblonde Haar war unter einem arabischen Turban versteckt, eine Art Kaftan umhüllte seine Glieder, und er saß mit hoch heraufgezogenen Knieen in dem orientalischen Sattel seines Pferdes, während er mit der einen Hand, die zugleich den Zügel faßte, einen großen Sonnenschirm über seinem Kopf ausgespannt hielt und mit der andern einen Wedel von Straußfedern gegen sein Gesicht bewegte.

»Das also ist die Wüste,« sagte die Dame, indem sie einen Operngucker zum Auge erhob und den Blick neugierig und lange über die öde, traurige Fläche schweifen ließ. »In der That, lieber Graf, um offen zu reden, der Anblick lohnt kaum die Strapazen unserer Reise. Wenn es nicht wäre, um in den Salons der nächsten Saison sagen zu können, ich habe die Sahara gesehen, von der uns Herr Vernet so pikante Bilder gemalt und Aimard so interessante Geschichten erzählt, ich könnte es fast bedauern, daß ich meine Zeit nicht besser verwendet habe. Man sieht hier ja keine Spur von jenen Karawanen mit ihren beladenen Kamelen, oder den interessanten Beduinenräubern, die über sie herfallen, wenn sie an einer Oase halb verdurstet lagern. Wo sind diese Oasen, die uns die Gedichte jener Herren so wunderbar reizend und erfrischend schildern? Nicht einmal einen Strauß oder eine Giraffe kann ich mit meinem Glase entdecken.«

» By Jove!« stimmte der Engländer bei, »es ist eine Hitze zum Ersticken, und ich habe bereits meine ganze Eau de Cologne aufgebraucht. Nicht die geringste Aufregung, die solche Strapazen vergüten könnte. Keine kleine Razzia gegen diese Stämme der Wüste, auf die ich doch so sehr gehofft hatte! Wie viel hätte ich darum gegeben, die kleine Wiederholung einer solchen Ausräucherung oder eines Bratens en masse mit anzusehen, wie sie Ihr tapferer Marschall Pelissier, der Duc de Malakoff in der Kantara vor zwanzig Jahren vornahm! Das jetzige Gouvernement möchte diese braunen Herren und Damen wo möglich mit Trüffeln füttern. Ich glaube wahrhaftig, diese alberne Humanität hat schon ihren Weg bis zu meinem hochgeschätzten Freunde, dem König von Dahomey, gefunden!«

Der so vornehm und militärisch aussehende Reisegenosse sah ihn mit einem halb finstern, halb verächtlichen Blick an.

»Es ist wahr, Kapitän – Sie haben ja bereits die Wüste besucht!«

»Nicht die Wüste, lieber Graf,« lispelte der Angeredete. »Ich war nur in Dahomey, was, soweit es die militärischen und moralischen Einrichtungen betrifft, schon ein recht civilisierter Staat zu nennen ist, aber leider noch einige hundert Meilen von hier entfernt liegt. Auf meine Ehre, lieber Graf, die Hitze ist dort noch abscheulicher, obschon man ganz vortreffliche Studien machen kann über die erhabene Gleichgültigkeit, mit der diese schwarzen Burschen den Tod nehmen. Sie wissen, Se. Majestät der König von Dahomey, mein geehrter Freund, hat etwa 4000 Frauen, die seine Leibgarde bilden, und ich versichere Sie, daß die Damen der Elite-Kompagnie bei den festlichen Opfern zu Ehren des Jahrestages der Thronbesteigung von Abu-el-Mosi in Bomey meist mit einem einzigen Hiebe ihres Säbels den Kopf vom Rumpfe trennten. Nur in drei oder vier Fällen sah ich, daß man mit dem Messer noch nachhelfen mußte.«

»Und Sie konnten dem Schauspiel einer solchen abscheulichen Schlächterei beiwohnen, ohne das Ansehen Ihrer Nation zu deren Verhinderung geltend zu machen?«

»Ich weiß in der That nicht, wie Sie so sprechen können, liebster Graf,« meinte der Kapitän. »Ich habe es oft genug Master Wilson, unserm Konsul, gesagt, daß England gar kein Recht hat, eine Nation in ihren ererbten Sitten zu stören. Leider hatte diese falsche, von dem Parlament vertretene Ansicht schon zu viele Beschränkungen herbeigeführt; denn man erzählte mir, daß bei der Thronbesteigung im Jahre Sechsunddreißig volle sechshundert Personen an einem Tage in mehr als zwanzig verschiedenen Weisen zu Tode gebracht worden sind, während man sich zur Zeit meiner Anwesenheit mit lumpigen hundertfünfzig begnügte.«

»Sie hätten dort bleiben sollen, wenn Sie so viel Freude daran fanden, Master Peard

»Oh, lieber Montboisier,« sagte der Menschenjäger, »bedenken Sie doch, was ich damals in Paris verloren hätte! Ich bin noch heute unserm Freund, dem edlen Lord, dafür dankbar, daß er mich damals halb zwang, mit ihm nach Paris zu gehen, abgesehen davon, daß ich dort die Ehre hatte, Ihre liebenswürdige Bekanntschaft zu machen. Erinnern Sie sich nicht jener pikanten Scene im Café Tortoni und auf dem Marsfeld? Apropos, liebster Graf, ich wollte Sie schon immer danach fragen, es war ja wohl einer Ihrer afrikanischen Ansiedler, für den sich der Lord so lebhaft interessierte, daß er uns damals als Gefangene nach dem Quai d'Orsay führte, der auf dem Marsfeld erschossen werden sollte. Ich ging damals mit dem Peloton nach dem Platz, um die Exekution anzusehen, der Mann hieß ja wohl Fromentin?«

»Samson, Sir!«

»Richtig! richtig! ich habe ein schlechtes Namengedächtnis! Aber mir ist doch, als wäre der Namen Fromentin auch in die Geschichte verwickelt gewesen, ich erinnere mich deutlich, ihn gehört zu haben!«

»Ihr Namensgedächtnis, lieber Kapitän,« sagte ruhig, den Blick auf die ihm den Rücken zukehrende Dame gerichtet, der Graf, »scheint besser, als Sie selbst von ihm denken. An jenem unglücklichen 4. Dezember wurde in der That ein Fromentin auf dem Marsfeld unter den durch das Kriegsgericht Verurteilten erschossen, nur …«

Die Dame bog sich bis auf den Hals des Pferdes vor, als wolle sie einen Gegenstand am Fuß der Felsen betrachten.

»Richtig, Samson, das war jener famose Wächter der Katakomben, ich verwechsle die Geschichten. Also es ist unserm guten Lord damals nicht gelungen? By Jove, das wird ihn geärgert haben!«

»Nur,« fuhr der Graf fort, »es war nicht der verurteilte Kapitän Fromentin, den man erschoß, sondern sein alter Vater zugleich mit dem Schwiegervater von Madame, dem Herrn Marquis Fourichon de Massaignac, der unter dem blinden Eifer des Exekutionskommandos durch einen unglücklichen Zufall fiel.«

»Richtig, richtig, ich erinnere mich! der Präsident, oder vielmehr der Kaiser war trostlos über das Unglück. Aber was ist aus dem Sohne, dem Kapitän Fromentin, geworden?«

»Er ist« – die Dame wandte sich rasch im Sattel um und schaute ihn mit seltsamem Ausdruck an – »er ist spurlos verschwunden. Wahrscheinlich im orientalischen Kriege gefallen!«

»Dann hätte sein Name sicherlich in den Listen der Armee gestanden,« sagte tiefaufatmend die junge Frau.

»Sie vergessen, Frau Marquise, daß Kapitän Fromentin in Rom seinen Abschied genommen oder vielmehr seinen Posten verlassen hatte, und daß er in der That durch das Kriegsgericht auf dem Quai d'Orsay verurteilt worden war, abgesehen von der traurigen Geschichte … Aber es standen Hunderte, ja Tausende alter Soldaten unter den Freikorps oder in der türkischen Armee.«

Die Marquise sah ihn fest an. Das noch immer schöne und ausdrucksvolle Gesicht war sehr bleich. Durch die Tünche all der Herzlosigkeit, an die sie sich gewöhnt, und die Modemaske jener vornehmen Emanzipation und Originalität, die den Mangel des Glücks der häuslichen Pflichten mit dem Ruf einer kühnen Reisenden, einer wilden Reiterin, einer Schriftstellerin, oder irgend einer Exzentrizität in den Salons zu ersetzen und sich so den Triumph der Bewunderung zu erhalten bemüht, der einem koketten Herzen zur Notwendigkeit geworden ist, durch diese Maske brach ein Strahl des unterdrückten Gefühls, das Bewußtsein des verödeten Herzens und eines verfehlten Lebensglücks, das kein äußerer Glanz des Reichtums und des Ansehens zu ersetzen vermochte.

In der That hatte das Leben Cora Mirons jenen glänzenden und traurigen Gang genommen, der sich bei ihrem Wesen voraussehen ließ. Der niedere finstere Charakter ihres Gatten, der die einzige Erbin des Börsenfürsten aus gemeiner Habgier genommen, hatte ihr nicht durch häusliches Glück oder das Gefühl der Mutterfreuden Ersatz für die geopferte Liebe gegeben. Selbst der hohe Rang und die exklusiven Kreise, in die sie durch jene Heirat eingetreten, vermochten nicht, ihr kokettes Herz zu entschädigen. Sie fühlte bald, daß sie gerade mit dem Eintritt in diese Kreise aufgehört hatte, die gefeierte Tonangeberin ihrer früheren zu sein. Dennoch war ihr Huldigung, Bewunderung und Herrschaft ein Bedürfnis, und je tiefer sie das Fehlen des Glückes empfand, um so mehr suchte sie jenen hohlen Ersatz festzuhalten.

So war sie von der bewunderten Schönheit, nachdem einige schriftstellerische Versuche mißglückt waren, durch die verschiedenen Übergänge zur Tonangeberin frivoler und barocker Moden, zur Exzentrice der Salons und Longchamps, endlich zur enragierten Reisenden und Jägerin geworden, die sich nicht begnügte, die Hasen um Paris oder die roten Rebhühner der Dauphiné zu schießen, sondern die mit Löwen und Tigern anbinden und ihre Abenteuer in den Salons und Journalen von Paris anstaunen lassen wollte. War auch das zu Ende und abgenutzt, dann blieben ihr jene andern beiden Hilfsmittel der überlebten Herzen, die Betschwester und die Börsenspekulantin!

Was den Marquis betraf, so kümmerte er sich herzlich wenig um das Treiben seiner Gattin, wenn sie ihm nur die Verwaltung ihres Vermögens überließ, und nur, wenn die Kostspieligkeit ihrer Liebhabereien seiner schmutzigen Geldgier zu nahe trat, kam es zu häuslichen Scenen und Erörterungen. Aber die ehemalige Schönheit der Salons der haute finance hatte genug von der Klugheit ihrer Abstammung gehabt, um sich im Heiratskontrakt gehörig gesichert zu haben, und so konnte sie denn ungeniert und unbeschränkt ihren Neigungen leben.

Der junge Marquis hatte es für vorteilhaft gefunden, im Dienst des Kaisers zu bleiben, der ihn in der Erinnerung an den Vater mit verschiedenen Gunstbeweisen überhäuft hatte. Er hatte die großen Besitzungen in Montevideo größtenteils bis auf ein, seiner verschollenen Schwester besonders von ihrem Großvater vermachtes Gebiet verkauft, und sich gleich den meisten der administrativen Marschälle des neuen Kaisertums in große industrielle und Börsenspekulationen eingelassen.

Man wollte wissen, daß er mit dem Grafen Morny bei jener berüchtigten Gesetzgebung affiliert war, welche plötzlich das Zinkweiß der vieille montagne an die Stelle des Bleiweiß in den Fabriken setzte, ebenso bei dem Kredit Mobilier der Pereires und den Banken seines Schwiegervaters. Zur Zeit war der Marquis Senator und überließ es seiner Gemahlin, die Reisesaison, wo und in welcher Gesellschaft ihr beliebte, zuzubringen. Die Spekulation der Gründung einer neuen Kolonie hatte ihn nach Algier geführt und Madame la Marquise ihm die Ehre ihrer Gesellschaft gegönnt, da sie die Laune hatte, in den Salons der nächsten Saison von den Gefahren der Wüste aus eigener Erfahrung sprechen oder ein Jagdabenteuer à la Gérard von sich erzählen zu können.

Als man nach Oran kam, hörte die Marquise zu ihrem großen Schmerz, daß Monsieur Gérard gerade auf Urlaub zu einem Jagdfreund nach England gereist war. Sie beschloß demnach, vorläufig die Wüste zu besuchen und da das Gouvernement von Algerien sich gerade mit den arabischen Stämmen im besten Frieden befand, konnte die Reise nach dem Süden ohne Gefahr unternommen werden.

Der Graf Montboisier zog zwar längst nicht mehr an dem Triumphwagen Coras, aber er war nichtsdestoweniger ihr Verehrer und nach allem, was geschehen war, auch ihr aufrichtigster Freund geblieben. Er war nunmehr zweiundvierzig Jahr und hatte nach der Beendigung des Krimfeldzugs zum drittenmal seinen Abschied, diesmal mit dem Rang eines Obersten genommen. Jetzt fand er es seiner Laune und vielleicht auch seinem Vorteil gemäß, den Kavalier oder Reisebegleiter der kleinen launischen Dame zu spielen. In Oran war man zufällig auf Kapitän Peard gestoßen, der aus Italien herübergekommen war und sofort die frühere Bekanntschaft benutzte, um sich der Gesellschaft anzuschließen.

»So wissen Sie in der That nichts Gewisses über das Schicksal des Kapitän Fromentin, Graf?« frug die Dame.

»Auf meine Ehre, Marquise,« sagte er, »seit dem Augenblick unserer Trennung an jenem Abend an dem Place Saint Clotilde, als ich Ihren unglücklichen Bruder in den Katakomben suchte, habe ich nur einmal wieder von ihm Nachricht empfangen, jenen so traurigen und verzweifelnden Brief, nachdem ihm sein Bruder die Nachricht von dem Tode seines Vaters überbracht hatte. Seitdem ist er verschollen, und niemand hat wieder von ihm gehört.«

Die Marquise wandte sich ab und kehrte ihr Gesicht wieder der Wüste zu. Kapitän Peard wandte sein Pferd zurück zur Gruppe des Gefolges, um sich von seinem Diener ein Flacon mit wohlriechendem Öl geben zu lassen.

Die Dame und ihr alter Anbeter waren allein.

Ihr Blick war starr auf die Wüste geheftet, der Schleier, den sie niedergeschlagen, verhinderte selbst das scharfe Auge Montboisiers zu erkennen, was in ihr vorging.

»Ich gestehe, lieber Graf, mein Urteil von vorhin war doch wohl übereilt,« sagte sie. »Der Anblick dieser Einöde ohne Grenzen hat doch etwas überwältigendes, je länger man sich ihm hingiebt.«

Nichts, bis auf einzelne wenige Felsenblöcke im Vordergrund unterbrach die weite Ebene. Die Vegetation schien wie mit einer gewaltigen Sichel abgeschnitten. Nur der weiße erst von der Felsenbröckelung rötliche und dann in weiße Flächen übergehende staubartige Sand dehnte sich in unendlicher Weite aus.

»Ich sehe, diese furchtbare Einöde ist doch nicht so unbewohnt,« unterbrach plötzlich die junge Frau die Stille. »Bemerken Sie jenen schwarzen Punkt, der sich über die Fläche zu bewegen und zu vergrößern scheint?«

Der Graf richtete sein kurzes Handperspektiv dahin. »Es scheint ein Tier zu sein, noch kann ich es nicht recht erkennen!«

»Vielleicht ist es einer jener Beduinen und Wüstenräuber, von denen man uns so viel erzählt, wir wollen unsere Begleiter herbeirufen.«

Der Graf lächelte. »Es ist unnötig, Madame, ich kann den Gegenstand jetzt deutlich erkennen, und er verdient nur Ihre Aufmerksamkeit, nicht Ihre Besorgnis. Es ist ein Strauß, oder ich müßte mich sehr täuschen.«

»Ei prächtig! das ist mehr als ich gehofft hatte,« rief lebhaft erregt die Dame, »da können wir gleich eine Straußenjagd beginnen. Denken Sie sich, lieber Graf, wenn ich diesen Winter Federn im Haar oder auf dem Hut trage von dem Vogel, den ich selbst erlegt! Gebe nur der Himmel, daß er nahe genug kommt.«

Sie versuchte hastig, ihre Jagdflinte vom Sattel zu lösen, aber der Oberst hemmte mit einer Bewegung seiner Hand ihren Eifer. »Es ist in der That ein Strauß und seltsamerweise, wie ich sehe, verfolgt von einem Rudel Schakals. Rühren Sie sich nicht; lassen sie ihn näher kommen, Ihr Gewehr trägt ohnehin nicht so weit und ehe wir den Weg hinunter finden, würde er bereits aus unserm Gesichtskreis sein. Parbleu! was ist das?«

Das Erstaunen des Grafen war durch einen entfernten Schrei veranlaßt, der aus der Tiefe heraufscholl.

Im nächsten Moment sah man aus der äußersten Steingruppe, welche die vielleicht vor Jahrtausenden durch ein Naturereignis von den Abhängen in die Ebene hinausgeworfenen kleineren und größeren Felsblöcke bildeten, einen Reiter auf einem Dromedar hervorschießen und mit einem hellen Ruf in die Wüste hinaus jagen.

Die Entfernung der Reisenden von jener Steingruppe, aus drei mächtigen Blöcken bestehend, betrug etwa tausend Schritt, man konnte also von der Höhe die Gestalt deutlich erkennen.

Sie war ganz in Weiß gekleidet, und ihr weißer Mantel und ein langes weißes Kopftuch, wie es die arabischen Frauen tragen, flatterten lang hinter ihr her. Ihr Tier war von der besten und edelsten Art, denn seine langen Beine schienen, nach dem arabischen Ausdruck, die Erde zu verschlingen, so gewaltig griffen sie aus. Es eilte mit außerordentlicher Geschwindigkeit über die Fläche und die Hand des Reiters oder der Reiterin, denn welchem Geschlecht die unerwartete Erscheinung angehörte, ließ sich nicht sagen, schwang in der Hand einen dünnen Stab.

Es war in der That der mächtige Vogel, der Renner der Wüste, der von zehn oder zwölf klaffenden Schakals verfolgt, auf die Berghänge zugekommen war. Dies war an und für sich schon auffallend, da der gewaltige Vogel nur die unbeschränkte Ebene liebt und hier am leichtesten allen seinen Verfolgern entgeht. Aber noch mehr mußte es den mit der ungeheuren Schnelligkeit und Ausdauer dieses Wüstenbewohners Vertrauten befremden, daß der Vogel so unwürdige Verfolger, wie die Wüstenwölfe, so nahe hatte herankommen lassen, daß er jetzt von ihnen eingeschlossen war.

In der That war sein Lauf auch nicht besonders rasch, sondern schwankend und unsicher. Entweder mußte es ungeheure Ermüdung oder eine andere Ursache sein, die ihn an dem vollen Gebrauch seiner Kraft hinderte, und er war auf die Felsen zugelaufen, um mit dem dummen Wahn dieser Tiere in der höchsten Gefahr dort einen Platz zu suchen, wo er seinen Kopf verstecken und seine Verfolger nicht mehr sehen konnte, im Glauben, daß ihn diese dann auch nicht sähen. Jetzt, als der Dromedar-Reiter so plötzlich unter dem Felsen hervorkam, blieb der Vogel eine Weile stutzend stehen, und änderte dann nach verschiedenen Richtungen ängstlich seinen Lauf.

Aber überall traf er auf Feinde. Die Schakals hatten bei dem Erscheinen des edleren Jägers zwar ihre Verfolgung aufgegeben und zogen sich zurück, aber sie blieben in einiger Entfernung auf dem Sande hocken, begannen ihr eintöniges klägliches Geheul und sperrten dem ermatteten Vogel in dieser Richtung den Ausweg. Es waren noch nicht zwei Minuten vergangen, als der Dromedar-Reiter gleichfalls dem gehetzten Wild den Rückweg in die Wüste abgewonnen hatte und es jetzt gegen die Felsen herantrieb.

Die Jagd gewann etwas ungemein Aufregendes, und auch das Gefolge der Reisenden kam näher an den Abhang, um ihr zuzusehen.

Der Vogel rannte jetzt in gerader Richtung gegen die Felsgruppe heran, hinter welcher der Reiter hervorgekommen war.

»Er wird uns in den Schuß kommen, machen Sie sich fertig, Graf,« rief die Dame, mit ihrer Flinte beschäftigt.

»Ich wiederhole, schöne Freundin, Sie können Ihr Pulver sparen. Überdies, warum wollen Sie sich den Anblick einer nationalen Jagd verderben? Der Dromedar-Reiter – nein wahrhaftig, es ist eine Reiterin nach Kleidung und Figur – wird sicher den Vogel erreichen. Sehen Sie, da wird er in ihre Hände getrieben. Es ließ sich denken, daß sie nicht allein war.«

In der That erschien eine neue Person auf dem Schauplatz. Es war ein Mann, halb arabisch, halb europäisch gekleidet, der jetzt, die Flinte in der Hand, aus seinem bisherigen Versteck in den Steinen hervor und mit drohenden Gebärden dem Vogel entgegensprang. Augenblicklich wandte dieser sich um und versuchte noch einmal, in die Wüste hinein zu eilen. Aber das Dromedar war schneller und kräftiger als er, nach kurzem Rennen war es an seiner Seite, die Reiterin beugte sich von ihrem hohen Sitz herab, und der lange, oben mit einem Haken versehene Stab traf in seinem Schwung mit einer Sicherheit den Kopf, jenen zartesten und empfindlichsten Teil des Vogels, daß dieser wie vom Blitz getroffen zu Boden stürzte. Im nächsten Augenblick hatte die Reiterin durch eine geschickte Wendung des Dromedars den Haken ihres langen Stabes in die nackte Lende ihres Opfers eingeschlagen und schleifte dasselbe unter dem grimmigen Geheul der Schakals, die sich so ihre Beute entzogen sahen, im vollen Laufe ihres Tieres zu ihrem Begleiter zurück, der aus der Gruppe der Felsblöcke hervorgetreten war.

Hier blieb sie halten und löste, ohne ihren hohen Sattel zu verlassen, den Haken des Stocks, indem sie mit ihrem Begleiter sprach und nach der Wüste hinausdeutete. Es konnte jetzt keinem Zweifel mehr unterliegen, daß es eine arabische Frau war, die die geschickte Jagd vollbracht, und die scharfen Gläser der Marquise und des Grafen zeigten ihnen sogar, so weit der verhüllende Kopfputz es erkennen ließ, daß sie jung und schön sein mußte.

Der fremde Mann hatte die Flinte neben sich auf den Boden gelegt und kniete neben dem erlegten Vogel nieder, um denselben des so viel begehrten Schmucks zu berauben. Nachdem er dies mit der Geschicklichkeit gethan, die seine Vertrautheit mit dem edlen Wild bekundete, reichte er das Bündel der schönsten Federn der Jägerin.

»Lassen Sie uns hinunter, Graf, wir wollen die Bekanntschaft dieser Wilden machen und ihnen die Federn abkaufen. Es wird interessant sein, sie näher zu beobachten.«

»Ich bin zu Ihrem Befehl. Hierher Sidi Hamed, und zeige uns den Weg hinab!«

Der Befehl war an einen der arabischen Führer gerichtet, und dieser ging sogleich voran, indem er zwischen den Fächerpalmen um einen Felsen bog, als unter diesem etwa zwanzig Schritt von der Dame entfernt, ein Flintenschuß krachte.

Die verräterische Kugel schien jedoch glücklicherweise ihr Ziel nicht erreicht zu haben, denn die Marquise und der Graf sahen den fremden Mann auf dem Sand der Wüste emporspringen und sein Gewehr ergreifen. Zugleich schien nach den lebhaften Gebärden zu schließen, seine Gefährtin einige Worte zu ihm zu sprechen und nach der Felswand zu deuten, wo erst jetzt die Anwesenheit der Reisenden von dem Paare entdeckt worden war. Im nächsten Augenblick wandte die Jägerin ihr Dromedar und jagte es mit ihrem Stab antreibend in gerader Linie hinein in die Wüste.

Der Mann mit der Flinte sah ihr, unbekümmert um den Angriff, einige Zeit nach, indem er neben dem Vogel stehen blieb; dann wandte er sich trotzig dem Zuge entgegen, der von den Felsenhängen zur Wüste herabstieg.


Zur selben Zeit, als die französische Gesellschaft die Höhe der Felswand erreicht hatte, die den Bergzug des Dschebel Amur gegen die Wüste abschließt, lagerten in jenem von den erwähnten drei mächtigen Felsblöcken gebildeten und gegen die Wüste offenen Dreieck zwei Personen mit einem Tier.

Diese Personen waren die Araberin gewesen, die später den Strauß tötete, und der Mann, der ihn seiner Federn beraubte.

Beide waren jung, schön und kräftig, ihre Gesichtsfarbe war von der heißen Sonne so dunkel gefärbt, daß nur der weißere Teint an den Stellen, wo die Haut von der Kleidung gewöhnlich bedeckt war, wenn eine Bewegung diese öffnete, und die Form seines Bartes erkennen ließen, daß der Mann von europäischer Abstammung war.

Die Frau war jung, sie konnte kaum fünfzehn Jahre zählen, indes man weiß, daß dies in diesem Klima dasselbe ist wie eine Jungfrau von zwanzig in unserm nordischen. Selbst unter der Hülle der weiten orientalischen Gewänder war leicht zu erkennen, daß ihre Gestalt und ihr Gliederbau schlank und zart wie der einer Gazelle war. Den sanften, großen, melancholischen Augen dieser furchtsamen Bewohnerin der Wüste glichen auch die ihren, beschattet von langen Wimpern und gehoben durch jenen feinen schwarzen Strich entlang dem untern Augenlid, mit dem die Orientalinnen sich zu schminken pflegen, um das Feuer ihres Blickes zu erhöhen.

Die Form ihres Gesichts war ein regelmäßiges Oval, die Nase gerade und fein, und aus dem gegen die gewöhnliche Bildung ihrer Landsleute überaus kleinen Mund glänzten, wenn sie lächelte, zwei Perlenreihen von mit Henna gefärbten kleinen spitzen Zähnen. Obschon in ihrem ganzen Wesen etwas Schüchternes lag, schien es ihr durchaus nicht an Mut und leidenschaftlicher Aufopferung zu fehlen; denn, wie sie mit weit zurückgeschlagenem Kopftuch so dasaß auf einem niedern Stein zu den Füßen des Mannes, auf seine Kniee gelehnt, blitzte aus diesem braunen Gazellenauge das ganze Feuer hingebender Liebe und leidenschaftlicher Erregung.

Der Mann, dem diese Hingebung und Erregung galt, war gleichfalls jung, etwa ein- oder zweiundzwanzig Jahr. Er war, wie gesagt, ein Europäer, mußte aber nach der verbrannten Farbe seiner Haut, schon lange Jahre unter dieser brennenden Sonne gelebt haben. Die volle Kraft und der Übermut der Jugend strahlten aus dem nicht schönen, aber kecken und männlich frischen Gesicht, das in diesem Augenblick mit dem Ausdruck eines gutmütigen Spottes sich über das Mädchen neigte.

Der junge Mann trug die weiten türkischen Beinkleider, welche ein Teil der Eroberer Algeriens dem Klima entsprechend angenommen hat, und die hohen Ledergamaschen bis zum Knie mit den stark besohlten festen Schuhen zeigten, daß seine Beschäftigung ihn viel durch Fels und Gestrüpp führte, dessen lange Dornen jeden andern Stoff zerreißen. Der Oberkörper war mit einer kurzen blauen Blouse bekleidet, in deren Gürtel ein langes starkes Jagdmesser steckte, während an der Seite die Patronentasche mit Schießbedarf hing. Über der Blouse trug er einen weiten arabischen Burnus von Filztuch, dessen Kapuze er zum Schutz gegen Regen und Sonnenbrand über das leichte französische Käppi ziehen konnte. Ein Karabiner lehnte hinter ihm am Felsblock, während ein unfern liegender Wasserschlauch von Bocksleder und die Reste von Brot und Datteln auf einem Tuch bewiesen, daß das junge Paar hier ein frugales Mahl gehalten. Der dritte in der Gesellschaft und dem Anschein nach gleich vertraut mit beiden, war ein langhalsiges Dromedar von jener seltenen weißgrauen Rasse, die ihrer wunderbaren Schnelligkeit und Ausdauer wegen so sehr geschätzt und zu den Kurierritten durch die Wüste gebraucht wird. Der Araber treibt mit diesen Tieren den gleichen Kultus wie mit den edlen Pferden der echten Rasse, und nie oder nur höchst selten gelingt es Europäern in den Besitz eines solchen Renn-Dromedars zu kommen.

Der große Wiederkäuer sah mit seinen großen, blöden Augen auf das Paar und streckte von Zeit zu Zeit seinen langen Hals herüber, die streichelnde Hand des Mädchens zu lecken oder eine süße Dattel zu empfangen.

»Dein liebes Auge sieht Gefahr, wo sie nicht ist, Zela,« sagte der junge Mann auf arabisch, indem er das Haar des Mädchens zurückstrich. »Die Rose der Wüste sieht überall Verderben für ihren Freund. Die Stämme haben die Hand des General-Gouverneurs zu schwer, zu schwer gefühlt, um so bald den Frieden zu brechen. Die Beni Mezab haben Geißeln gestellt für die Verträge, wie ich im Fort hörte, und die Stimme Deines Bruders kann nichts gegen die Ältesten seines Volks.«

»Das Ohr meines Freundes ist verschlossen gegen die Gefahr,« sagte traurig das Mädchen, »weil er selbst ein Tapferer ist, der Bruder des berühmten Jägers, vor dessen Anblick die Könige der Wüste erzittern, weil seine Kugel noch nie ihr Herz verfehlt hat. Aber er weiß nicht, was Zela weiß, denn in das schwarze Zelt ihres eignen Bruders kommen die Häupter ihres Volkes. Es sind Boten gegangen auf flüchtigem Roß zu den Stämmen der Wüste, den Beni Isgen, den Areps und denen, die an der Karawanenstraße nach Turgurt wohnen. Taura selbst, mein gutes Dromedar, hat einen Weg von drei Tagereisen bis zur Oase des Wadi Mezab machen müssen. Die Krieger der Stämme sind geladen zu einer Zusammenkunft unter dem Vorwand einer großen Jagd. Mit den Federn des Straußes und der Haut der Antilope will man das blutige Vorhaben verbergen. Ich konnte nicht mehr hören, da der junge Scheich, mein Bruder, stets seine Frauen fortschickt, die Ziegen und die Kamele zu melken, wenn die Pläne der Männer verhandelt werden.«

»Ich weiß, Hassan El Mezab ist der geschworene Feind der Franzosen, und er haßt unsere Nation, sonst wär' ich längst vor ihn getreten und hätte von ihm Deine Hand verlangt dafür, daß die Büchse meines Bruders ihn vor den Zähnen des Löwen gerettet, dessen Klaue bereits auf seiner Brust stand. Du weißt, daß ich zu arm bin, um eine Schönheit wie Zela nach der Sitte Deines Landes von ihm zu kaufen. Ich besitze weder edle Pferde, noch Kameele und Ochsen oder Gold und Silber, und auch die Meinen sind arm, denn dreimal haben die feindlichen Stämme unsere Ansiedelung überfallen und verbrannt, ehe wir in die Dschebel Muzedsch gezogen sind.«

Das Mädchen sah stolz zu ihm auf. »Der junge Scheik der Beni Mezab würde niemals das Blut seines Vaters an die Fremden verkaufen, und böten sie ihm die Schätze des Frankenkönigs. Aber warum nimmt Sidi Jacouf, der Jäger, nicht das, was ihm gehört, auf den Sattelknopf seines Pferdes und flieht mit ihm zu seinen Freunden, wohin die Macht der Beni Mezab nicht reicht? Das ist die Sitte meines Volkes, und Zela wird ihm gern folgen und sein treues Weib sein auch unter dem Volke der Christen, wo, wie Du mir gesagt hast, die Männer nur eine Frau lieben und heiraten!«

Der junge Mann schüttelte traurig den Kopf. » Pardieu, es fehlt mir wahrhaftig nicht an Mut,« sagte er, »Dich mitten aus der Smalah Deines Bruders mit dem Säbel in der Hand herauszuholen, aber ich weiß, was unausbleiblich die Folge sein würde. Die Sonne hätte die Gebirge des Atlas noch nicht zum zweitenmal vergoldet, so würde Dein Bruder wissen, wer ihm die Rose der Wüste entführt hat und mit allen Kriegern seines Stammes den Raub blutig an den Meinen rächen. Der Ansiedler sind noch zu wenig, und der Posten meiner Landsleute ist zu entfernt, um ihnen Trotz bieten zu können. Meine einzige Hoffnung ist El Matadreo. Ein Araber vergißt nie die heilige Pflicht der Dankbarkeit, wie Du mir selbst beteuert, und deshalb kann ich auch Deine Erzählung nicht glauben von dem Angriff, den sie gegen uns bereiten. Dein Bruder schuldet dem meinen sein Leben, und unsere Freunde haben ihn wie einen der Ihren gepflegt, als der Löwentöter seinen zerrissenen Körper in unsere Ansiedelung brachte. Dort war es, Zela, wo ich Dich zuerst sah, als die Nachricht von dem Unglück Deines Bruders Dich zu seinem Schmerzenslager führte. Der Matadreo soll Dich von ihm für mich fordern, um damit ein dauerndes Bündnis zwischen den beiden Nationen an der Grenze zu schließen.«

Das Mädchen senkte traurig den Kopf. »Deine Worte sind wie der Honig der Bienen, aber Deine Hoffnungen fliegen auf den Nebeln des Morgens und vergehen wie sie. Der große Scheich der Beni Mezab wird Leben um Leben geben, aber er kann die Feinde seines Glaubens und seines Volkes nicht dulden auf seinem Gebiet. Er hegt große Achtung und Freundschaft für El Matadreo, aber nichts kann ihn abwendig machen von seiner Ehre. Der Franke ist ein Eindringling in diesem Land, und sein scharfer Säbel ist bereit, ihn zu zwingen, es wieder zu verlassen. Die Gefahr ist nahe, und ach, Zela hat ihr Volk vergessen, um den Geliebten ihres Herzens zu warnen.«

»Der schwarze Sklave brachte mir die Kunde, daß Du mich hier treffen würdest, und ich eilte mit aller Sehnsucht der Liebe herbei. Nun verbitterst Du uns die Stunden durch unnütze Furcht, Mädchen. Die Liebe läßt Dich Gespenster sehen, dennoch will ich morgen nach dem Posten gehen und ihnen sagen, was ich gehört. Die Besatzung ist in diesen Tagen durch eine frische Kompagnie von Tlemsen abgelöst worden, und sie haben wahrscheinlich noch nicht die nötige Erfahrung.«

»Laß das Gras nicht unter Deinen Fersen wachsen, thue es heute noch,« bat die Araberin. »Sage es dem Matadreo, ich weiß, sein Auge ist offen bei Tag und Nacht.«

»Das ist wahr, er kennt am besten von uns dies Land, und ich glaube wahrhaftig manchmal, er wittert jede Gefahr im voraus. Doch Du weißt, daß er wochenlang einsam in den Bergen oder in der Wüste umherschweift, ohne daß wir erfahren, wo er zu finden ist. Aber sieh, was ist das? ich glaube wahrhaftig, es ist ein Strauß, der sich hierher verirrt hat. Die Schakals verfolgen ihn, halte Dich ruhig, wenn er näher kommt, will ich ihn mit einer Kugel erlegen.«

Die kleine Hand des Mädchens drückte die seine, die bereits den Karabiner erfaßt hatte, nieder. »Der Knall einer Flinte wird weiter gehört, als der Blick des Auges trägt. Will der Freund Zelas die Jäger herbeirufen, die jenen Strauß verfolgt oder verwundet haben? Unser Geheimnis würde entdeckt sein, und Zela niemals wieder ihren Liebling besuchen können!«

»Du hast Recht,« sagte der junge Mann, »schon der Gedanke war eine Unvorsichtigkeit. Und dennoch möchte ich jenen Vogel gern gewinnen, denn seine Federn sind kostbar, und ich bin ein armer Jäger, dem selten genug eine solche Beute zu teil wird, weil er keinen Renner besitzt, der den schnellen Strauß erreichen könnte, und der ihn nur auf dem Anstand töten kann.«

»Du möchtest die Federn haben?«

» Parbleu! sie sind wenigstens ihre fünf Douros wert!«

Die junge Araberin schnalzte leicht mit der Zunge. Augenblicklich erhob sich das Dromedar auf die Hinterfüße, indes es vorn auf den Knieen liegen blieb, um der Reiterin das Aufsteigen zu erleichtern.

»Was willst Du thun?«

»Sidi Jacuf soll haben, was er wünscht. Taura, mein treues Tier, hat schon oft den Strauß jagen helfen. Reiche mir den Stab dort und tritt nicht eher aus dem Felsen, als bis die Reumda Der Strauß. in Deine Nähe getrieben ist.«

Der Jäger wollte widersprechen, aber schon hatte sich das Mädchen auf ihren hohen Sitz geschwungen, und auf ein neues Schnalzen von ihr erhob sich das edle Tier. Sie winkte dem Freunde mit der Hand, und indem sie allein mit einem Wort und dem Stab die Bewegungen ihres Tieres regelte, trabte sie aus dem Versteck in die Wüste hinaus.

Dies war der Augenblick, wo sie den Augen der Gesellschaft auf der Höhe des Felshanges zuerst erschienen war. Die anfangs bloß zum Zweck der Erfüllung eines Wunsches ihres Geliebten unternommene Jagd erregte bald das angeborne Feuer des jungen Mädchens für diese Belustigung, die allerdings sonst nur das Geschäft der Männer ist, aber von reich und arm mit großer Leidenschaft betrieben wird.

Der Strauß wird in der Sahara auf zwei Arten gejagt: zu Pferde durch förmliche Hetze und auf dem Anstand. Die prächtigste, anregendste Jagd ist natürlich die zu Pferde, und die Araber lieben sie über alles. Der Koran erlaubt ihnen, das Wild zu jagen, dessen Fleisch nicht verboten ist, und die Tiere, die schädlich sind.

Die gewöhnliche Dressur des Pferdes genügt bei dieser Jagd nicht. Es bedarf dazu einer besonderen Vorbereitung während einiger Tage unmittelbar vor der Jagd. Das hierbei in der Sahara übliche Verfahren ist folgendes: Sieben oder acht Tage vorher fällt beim Futter das Stroh oder Gras gänzlich weg, die Pferde erhalten nur Gerste und werden nur einmal des Tages bei Sonnenuntergang getränkt, weil das Wasser dann anfängt, frischer zu werden. Auch wäscht man sie, läßt sie täglich einen langen Weg im Schritt und Galopp machen und richtet ihr Geschirr zu der Straußjagd ein. Nach Verlauf dieser acht Tage verschwindet, wie der Araber sagt, der Bauch, ohne daß Hals, Brust und Kruppe an Fleisch verlieren, und das Pferd ist dann imstande, die Anstrengung auszuhalten. Diese Vorbereitung nennt man »Techaha.« Das Sattel- und Riemenzeug wird vermindert, um das Gewicht zu erleichtern. Die Steigbügel müssen leichter sein, als die gewöhnlichen, ebenso der Sattelbaum. Die Schabracke fällt weg, man nimmt das Vorderzeug ab und behält nur 2 Filzdecken. Von dem Zaumzeug bleibt nur das Gebiß, das an einer starken Schnur von Kamelhaaren ohne Kehlriemen am Kopf befestigt wird, mit leichten, aber starken Zügeln. Die Pferde sind an allen vier Füßen beschlagen.

Die beste Zeit zu dieser Jagd ist während der großen Sonnenhitze. Je größer diese, desto weniger Kraft hat der Strauß, sich zu verteidigen. Die Araber bezeichnen diese Zeit mit dem Ausdruck, daß der Schatten eines aufrechtstehenden Mannes nicht länger als sein Fuß ist. Zu dem gewöhnlich 7-8 Tage dauernden Jagdzug vereinigen sich Gesellschaften von etwa zehn Reitern, die gemeinsam ihre Vorbereitungen treffen. Jeder Reiter ist von einem seiner Diener begleitet, der dann Zemmal heißt und auf einem Kameel reitet, das vier mit Wasser gefüllte Schläuche, Gerste für das Pferd, geröstetes Mehl, Datteln, einen Kochtopf, Riemen und einige Reserve-Eisen trägt. Der Reiter ist nur mit einem Hemde von Wolle oder Baumwolle und mit einer wollenen Hose bekleidet. Um den Hals und die Ohren wickelt er ein Stück leichtes Zeug, Haouli genannt, das mit einer Schnur von Kameelhaaren befestigt ist und seinen Kopf gegen den Sonnenbrand schützt. An den Füßen trägt er von Schnüren gehaltene Sohlen und leichte Gamaschen; er ist weder mit einem Gewehr noch sonstigen Waffen beladen, sondern führt nur einen 4-5 Fuß langen Stock aus wildem Oliven- oder Tamarindenholz, dessen eines Ende schwer ist.

Die Gesellschaft zieht erst dann zur Jagd aus, wenn man von Reisenden, Karawanen oder den zu diesem Zweck ausgesandten Spähern die Anwesenheit einer Anzahl von Straußen in einer gewissen Gegend in Erfahrung gebracht hat. Gewöhnlich findet man die Strauße an Stellen, wo viel Gras wächst, oder wo es kürzlich geregnet hat. Die Araber behaupten, der Strauß eile, sobald er das Zucken der Blitze und ein Gewitter gewahre, sogleich nach der Gegend hin, und wäre sie noch so entfernt. Ein Marsch von zehn Tagen sei ihm eine Kleinigkeit.

Früh am Morgen bricht der Zug auf. Sobald man nach einem Marsche von zwei Tagen den Ort erreicht, wo die Strauße gesehen worden sind und man anfängt, ihre Spuren zu bemerken, wird ein Lager aufgeschlagen. Am nächsten Morgen werden zwei gewandte Diener zum Rekognoscieren ausgeschickt. Sie sind ohne alle Bekleidung nur mit einem Tuch um die Hüften und führen nur einen Wasserschlauch (Chibouta) an einer Seite hängend und etwas Brot mit sich. Sie gehen so lange, bis sie die Strauße finden, die sich immer auf Anhöhen aufzuhalten pflegen. Sobald sie sie bemerkt haben, legen sie sich nieder und beobachten sie, dann kehrt der eine zurück, um der Gesellschaft Nachricht zu geben, und die Reiter rücken nun unter seiner Führung so geräuschlos wie möglich nach der Richtung vor, wo sich die Strauße befinden. Die Zahl der Strauße, die sich an einer Stelle versammelt finden, wechselt von 3 und 4 Paaren bis zu 40-60 Stück.

Je näher man dem Hügel kommt, desto größere Vorsicht müssen die Reiter anwenden, um nicht bemerkt zu werden. Bei dem letzten Punkt angekommen, wo sie sich verbergen können, steigen sie ab, zwei Vorposten überzeugen sich kriechend nochmals, ob die Strauße noch an demselben Ort sind, dann tränkt jeder sein Pferd mit dem Wasser, das die Kamele tragen; das Gepäck wird an dem Halt niedergelegt und die Reiter trennen sich und bilden einen Kreis, worin sie in sehr großer Entfernung die Jagd einschließen, aber so, daß der Strauß, der ein überaus scharfes Gesicht hat, sie nicht bemerkt. Jeder Reiter trägt an seiner Seite die Chibouta, den Wasserschlauch. Die Diener und Kamele, von denen jedes nur das Abendfutter des Pferdes in Gerste, sein eigenes und das für Menschen und Tiere erforderliche Wasser trägt, sind den Reitern gefolgt und warten da, wo diese sich getrennt haben. Sobald sie sehen, daß die Reiter auf ihrem Posten sind, gehen sie gerade auf die Strauße los, die erschrocken fliehen, aber den Reitern begegnen, die sich nur bemühen, sie in den Kreis zurück zu treiben. Der Strauß fängt nun an, seine Kräfte im schnellen Lauf zu erschöpfen, wiederholt den Versuch mehreremale, indem er umher laufend aus dem Kreise zu entkommen strebt, wird aber immer wieder von den Reitern zurück getrieben, bis diese merken, daß die Vögel ermüdet werden. Bei dem ersten Zeichen davon jagen die Jäger nun auf den Trupp los, dieser zerstreut sich, und man sieht die erschöpften Strauße die Flügel ausbreiten. Dies ist ein Zeichen großer Mattigkeit, und die Jäger, nunmehr ihrer Beute gewiß, verkürzen den Lauf ihrer Pferde. Jeder der Reiter wählt sich jetzt eines der Opfer aus, verfolgt und erreicht es und bringt ihm, entweder von hinten oder von der Seite mit dem langen Stock einen Schlag auf den Kopf bei. Der Kopf des Straußes ist kahl und sehr empfindlich, während jeder andere Körperteil zäheren Widerstand leisten würde. Der getroffene Vogel fällt sogleich und der Reiter steigt eiligst ab, um ihm den Hals abzuschneiden, und das Blut abzulassen, wobei er Sorge trägt den Hals vom Körper entfernt zu halten, damit das Blut die Federn nicht beflecke. Das Männchen der Strauße, Delem von den Arabern genannt, stößt, wenn man es sticht, besonders in der Nähe seiner Jungen, ein klägliches Geschrei aus, die Reumda, das Weibchen, aber erleidet stumm den Tod. Wenn der Strauß eingeholt wird, ist er oft so matt, daß der Jäger, wenn er denselben nicht töten will, ihn leicht vor sich hertreiben kann, indem er ihn mit seinem Stock lenkt. Unmittelbar, nachdem der Strauß sich verblutet hat, zieht man ihn sorgfältig und ohne die Federn zu beschädigen ab; dann wird die Haut auf dem Sand oder einem Pferde ausgebreitet, die Kamele kommen herbei, und nun wird das Innere und Äußere des Tieres stark mit Salz eingerieben. Die Diener machen ein Feuer, setzen die Töpfe an und lassen das ganze Fett des Tieres lange bei starker Flamme kochen. Sobald es ganz flüssig ist, gießt man es in den Schlauch, den man aus der Haut des Schenkels macht, indem man deren unteren Teil fest zubindet. Das Fett eines guten Straußes füllt seine beiden Beine. In jedem anderen Gefäß würde es verderben. Nur wenn der Strauß brütet, nach Mitte November, ist er sehr mager. Der Rest des Fleisches dient zur Abendmahlzeit der Jäger, die es mit Pfeffer und Mehl zubereitet essen. Gewöhnlich werden alle auf dem Platze versammelten Strauße erlegt, da, wenn der eine durch den Schlag betäubt ist, die Jäger einen andern verfolgen können. Nur selten gelingt es daher einzelnen Tieren, zu entwischen.

Dies schien jedoch mit dem soeben von der jungen Araberin erlegten Vogel der Fall gewesen zu sein. Als Zela ihn bis zu ihrem Freunde geschleppt hatte, blieb sie vor diesem halten.

»Es ist, wie ich gesagt. Allah hat in seiner Weisheit dies Tier gesandt, um uns wissen zu lassen, daß die Jäger der Beni Mezab und ihre Verbündeten in der Wüste sind. Sie werden an der weißen Quelle der Oase lagern, und ehe die Sonne wieder die Wüste bescheint, vor dem Douar des Löwentöters und seiner Freunde stehen. Dieser Vogel trägt das Zeichen, daß ein junger Krieger fehlgeschlagen und statt des Kopfes den Flügel getroffen hat. Es muß ein großer Kreis gewesen sein, aus dem die Reumda entwischen konnte.«

Der junge Mann war nachdenkend geworden, denn er kannte die scharfe Beobachtungsgabe seiner Freundin.

»Zela,« fuhr diese fort, »muß ihren Liebling verlassen, denn es wäre gefährlich für sie, den Kriegern in den Weg zu kommen. Rufe Deinen Bruder, den Matadreo, er hat die Kraft und den Mut von zehn Löwen und die Weisheit eines gerechten Kadi. Er möge mit den Seinen nach der Festung der Ungläubigen fliehen, bis der Zorn der Beni Mezab verraucht ist.«

»Es ist wahr, ich will das Signal geben, daß wir seiner bedürfen. Aber Du, Zela?«

»Zela wird in der Nähe Sidi Jacoufs sein, wenn ihm Gefahr droht. Sie weiß, daß sein Leben in Allahs Hand ist, und daß der Scheich, ihr Bruder … aber was ist das –«

Eine Kugel war, obschon matt durch die weite Distanz, wenige Schritte von ihnen in den Kies geschlagen, den sie umher stäubte. Gleich darauf dröhnte auch der Knall des Schusses herüber.

» Sacre Dieu! wer hat es gewagt, auf uns zu schießen? In den Schutz der Felsen, Zela, geschwind!«

Der junge Mann hatte rasch seine Flinte ergriffen und schußfertig vorgeworfen; aber das Arabermädchen blieb furchtlos auf ihrem Dromedar halten.

»Es sind die Deinen, Sidi Jacouf, dort auf dem Felsen! Es scheinen Reisende zu sein, aber sie kommen herab und es sind arabische Führer dabei, die Zela nicht sehen dürfen. Lebe Wohl, Freund meiner Seele, Licht meiner Augen, und denke daran, daß Dein Leben Zelas Leben ist. Ihr Auge wird über Dir wachen, und möge Allah Dich beschützen und uns gnädig wieder zusammenführen!«

Bevor der junge Mann noch Einsprache thun oder ihre flatternden Gewänder erfassen konnte, hatte sie das Dromedar gewandt und galoppierte hinein in die Wüste.

Sidi Jacouf, wie ihn das Mädchen genannt, oder Jacques, wie er bei den Seinen hieß, starrte ihr mit dem Ausdruck von Liebe und Besorgnis nach. Erst als sie in dem Staubwirbel, den der Lauf ihres Tieres hinter ihr erhob, weithin in der ungeheuren Sandfläche verschwunden war, wandte er sich um und den Fremden entgegen, denen er bisher nur bei der ersten Andeutung Zelas einen flüchtigen Blick geschenkt hatte. Er ging einige Schritte vor, hob die Kugel auf, die hier niedergerollt war, und blieb dann auf seiner Flinte gestützt stehen.

Der unerwartete Schuß hatte unterdes auch in der kleinen Reisegesellschaft einige Verwirrung und Zwiespalt hervorgerufen. Die Marquise ließ einen Ausruf des Schreckens und der Besorgnis hören, und Montboisier trieb sein Pferd hinunter nach der Stelle, wo noch der sich verziehende Rauch bekundete, daß von hier aus geschossen worden war.

Auf einer vorspringenden Felsstufe, stand ruhig der Schütze, Kapitän Peard, und sah ärgerlich durch sein Glas nach dem verfehlten Ziel.

»Zum Teufel, mein Herr! was fällt Ihnen ein? was haben Sie da gemacht?«

»Ich hätte darauf schwören mögen, lieber Graf,« lispelte der Menschenjäger, »daß dieser Büchsenmacher ein ehrlicher Mann wäre. Aber sie sind alle Lügner. Der Mensch versicherte mich hoch und teuer, daß dies Zündnadelgewehr bis zu 1500 Schritten Entfernung tragen würde, und ich habe mich jetzt überzeugt, daß es noch keine tausend schießt.«

»Hol' Sie der Henker! machen Sie Ihre Experimente bei einer andern Gelegenheit. Was soll das heißen, daß Sie auf jene Leute schießen?«

»O, es sind ja nur Wilde! ich habe in der That noch keine Araberin erschossen,« meinte der Kapitän. »Ihre Regierung wird hier, außerhalb ihrer anerkannten Grenzen, sicher nichts dawider haben. Charles, ich bitte Sie, kommen Sie hierher, und nehmen Sie dieses Gewehr. Ich werde künftig wieder mit meiner alten Büchse schießen!«

»Nur nicht auf solche Ziele und in unserer Gegenwart,« erklärte der Graf bestimmt. »Wenn Sie dergleichen versuchen wollen, so machen Sie Ihre Exkursion in die Wüste gefälligst ohne unsere Gesellschaft. Was Sie gethan haben, ist nicht besser, als ein feiger Mordversuch, und ich bin sehr im Zweifel, ob der nicht sogar einem französischen Unterthan gegolten hat, und ich verpflichtet wäre, Sie dafür vor Gericht zu stellen.«

»Bedenken Sie, lieber Freund, wir haben unsern Konsul in Oran,« sagte freundlich der Kapitän. »Er würde mich auf der Stelle reklamieren, und es könnte die entente cordiale der beiden großen Nationen stören. Ich will dem Menschen da einige Franken zahlen, wenn er sich erschrocken haben sollte. Das Frauenzimmer hat sich bereits aus dem Staube gemacht. By Jove! ich wette, liebe Marquise, selbst eine Kanonenkugel könnte sie nicht mehr einholen!«

»Sie sind ein Narr, aber ein gefährlicher,« antwortete ihm diese. »Der Graf hat Recht, Sie hätten uns in große Verlegenheit setzen können. Denken Sie über eine Entschuldigung nach, denn jener interessante Halbwilde dort scheint mir nicht der Mann, so geduldig auf sich oder seine Gesellschafterin schießen zu lassen, und Ihre Thorheit hat uns um eine interessante Bekanntschaft gebracht.«

Sie hatten während dieser Vorwürfe, die der Menschenjäger mit großer Ruhe über sich ergehen ließ, das Herabsteigen fortgesetzt und waren am Fuß der Felsen angekommen. Die Dame trieb ihr Pferd an und ritt von den beiden Männern gefolgt auf den Fremden zu.

Etwa drei Schritt vor ihm blieb sie halten und betrachtete ihn mit der ganzen Insolenz einer vornehmen Pariserin durch ihr Lorgnon.

»Sind Sie ein wirklicher Araber, mein Freund?«

Der junge Mann lachte ihr ins Gesicht. »Nein, Madame, ich schmeichle mir, vom Scheitel bis zur Sohle ein Franzose zu sein, wenn ich auch einige arabische Äußerlichkeiten angenommen habe.«

»Ah, das ist mir lieb, Monsieur, da werden Sie gewiß so galant sein, meine Wünsche zu erfüllen.«

»Und worin bestehen diese, Madame?«

»Sie haben da einen wirklichen Strauß, ich habe deren bis jetzt nur in dem Jardin des Plantes gesehen. Würden Sie wohl so gut sein, mir die Federn zu verkaufen?«

»Warum nicht, Madame? mir ist es gleich, ob ich sie Ihnen oder einem Händler in Saida verkaufe.«

»Das ist sehr liebenswürdig, mein Herr. Wie viel kosten sie?«

»Sie sind fünf Douros wert!«

»Das sind fünfundzwanzig Franken, aber das ist viel zu billig, mein Herr. Geben Sie ihm das Doppelte, lieber Graf, und lassen Sie einen der Diener die Federn ja recht sorgfältig einpacken.«

»War das alles, was Madame mir zu sagen haben?«

»Oh, mein Freund, ich bin sehr neugierig. Sie würden mich sehr verbinden, wenn Sie mir erzählen wollten, wer die junge Schöne war, die sich leider so rasch entfernt hat. Gewiß, eine arabische Bekanntschaft, ein Stoff zu einer interessanten Novelle, wie man sie von General Jussuf aus seiner Jugend erzählt. Bitte, vertrauen Sie uns die Geschichte, ich werde dafür sorgen, daß der Constitutionel sie in seinem Feuilleton bringt.«

Der Jäger sah sie mit offenem Erstaunen an. »Aber Madame,« sagte er endlich, »ich glaube, man wird mir doch zuerst wohl sagen müssen, warum man auf uns wie auf wilde Tiere geschossen hat? Hier ist die Kugel!«

»Richtig, mein Herr; Sie haben ganz recht. Aber das geht diesen Herrn da an!«

Der junge Mann trat einen Schritt auf den Kapitän zu.

»Sie haben geschossen?«

» Yes! aber ich zielte nicht auf Sie!«

»Auf was denn?«

» Very well! bloß auf das arabische Weib!«

»Auf Zela?!«

»Ah, Zela heißt sie,« unterbrach ihn die Dame. »In der That ein reizender Name. Er muß in Paris eingeführt werden.«

»Ich kümmere mich den Teufel darum, was in Paris eingeführt wird oder nicht,« sagte heftig der Fremde. »Aber es ist eine Abscheulichkeit, auf ein Mädchen zu schießen, das Sie nicht beleidigt hat, und Sie verdienen, daß ich Ihnen die Kugel in meinem Gewehr durch den Kopf jage!«

» Stap! stap!« sagte gelassen der Kapitän. »Sie werden zu hitzig, mein Freund! Sagen Sie mir, was in dieser Gegend kostet eine Sklavin, und ich werde Ihnen bezahlen den Preis, als hätte ich sie wirklich getroffen.«

Dieser Vorschlag entwaffnete den Zorn des jungen Mannes, denn er brach statt der Antwort in ein lautes Gelächter aus und ließ das drohend erhobene Gewehr sinken. » Parbleu!« sagte er, »ich glaube, Sie sind ein Mylord, ein Engländer?«

» Yes, yes! ich seind Gentleman!«

»Ja, dann kann ich mich nicht wundern, die Engländer sind alle etwas hirnverrückt, aber sonst brave Burschen, und ich bin wenigstens einem von ihnen großen Dank schuldig. Bei alledem ist es gut, Herr, daß Sie Zela nicht verletzt haben, denn ich hätte Sie dafür niedergeschossen wie einen heulenden Schakal! Bitte, Madame, hier sind Ihre Federn!«

»Tausend Dank, Monsieur! Aber Sie wollten uns ja Ihre Geschichte erzählen. Wir wollen absteigen und uns im Schatten jener Felsen lagern!«

Der junge Franzose sah sie mit einem halb spöttischen, halb leichtfertigen Ausdruck in seinen Mienen an. »Bitte, Madame,« sagte er, »inkommodieren Sie sich nicht. Die Geschichte eines so armen Teufels wird Sie wenig interessieren. Ich will nicht leugnen, daß ich der kleinen Braunen herzlich gut bin und daß sie unverdienterweise in einen so tollen Burschen wie ich bin, verliebt ist, denn Sie haben uns doch bei unserm Rendezvous überrascht; aber damit ist die Geschichte aus, denn ich habe kein Geld, sie zu heiraten und die Brautgabe zu bezahlen, selbst wenn der Scheich, ihr Bruder, einwilligen würde, sie einem Christen zur Frau zu geben. Überdies, Madame, glaube ich, werden Sie besser thun, sich nach einem sicheren Nachtlager umzusehen, als die Liebesgeschichte eines armen Teufels anzuhören, denn die Sonne ist im Sinken, und Sie haben einen tüchtigen Weg zurück bis zu den Ansiedelungen.«

Die Andeutung veranlaßte den Obersten, der bei dem ziemlich seltsamen Gespräch sich bisher zurückgehalten hatte, näher zu treten und sich einzumischen.

»Wie weit ist Fort Randon noch von hier entfernt, mein Freund?«

Der Angeredete sah ihn aufmerksam an, ein gewisses Nachdenken zeigte sich auf seiner belebten Miene, als suche er, wo er dies Gesicht bereits gesehen, doch schien die Erinnerung zu unklar, und er begnügte sich mit der Erkenntnis, daß er einen angesehenen Offizier vor sich habe, dessen Frage eine achtungsvollere Aufmerksamkeit erfordere, als das bisherige Gespräch.

»Wie, mein Herr, Sie wollen nach Fort Randon?«

»Das ist unser Ziel, es kann nach meiner Rechnung nicht weiter als ein Paar Lieus entfernt sein, und ich wundere mich, daß wir es noch nicht erblicken. Wir sind gestern von Aghwât aufgebrochen und müßten schon vor Mittag angekommen sein, wenn diese Dame nicht heute noch die Wüste hätte sehen wollen.«

Der Wüstenjäger zuckte die Achseln. »Ich bedaure, mein Offizier, Ihnen sagen zu müssen, daß Sie sich irren oder von Ihren Führern irre geleitet worden sind. Fort Randon liegt in Ihrem Rücken und ist volle vier Stunden von hier entfernt. Sie können es unmöglich vor Anbruch der Nacht erreichen, auch wenn Ihre Begleiter den Weg besser wüßten, als dies der Fall zu sein scheint oder als sie ihn wissen wollen.«

»Aber, mein Gott, befinden wir uns denn hier nicht auf dem Abhang des Arba-Gebirges?«

»Sie sind im Dschebel Muzedsch, die Arba liegt mehr als zehn Lieus hinter Ihnen.«

»Dann sind wir absichtlich irre geführt worden, und diese Schurken haben ihren besonderen Zweck damit.«

»Das ist's, was ich sagen wollte. Aber bitte, mein Offizier« – der Graf machte Miene nach seinen Begleitern zurück zu sprengen – »zeigen Sie ihnen keinen Verdacht, und lassen Sie mich mit ihnen reden. Wie sind Sie an jene Schurkengesichter gekommen?«

»Sie wurden uns auf dem Markt in Aghwât als Eingeborene der Wüstengrenze und zuverlässige Führer empfohlen und machten sich anheischig, uns bis zur Wüste und zum Fort zu bringen, wohin wir Empfehlungen des Gouverneurs haben. Aber sie redeten uns unterwegs vor, daß das Fort sich eine Strecke hinein in die Wüste befinde und ich selbst war nie bis hierher gekommen, um sofort ihre Täuschung ersehen zu können.«

»Und der dritte?«

»Es ist mein arabischer Diener, den ich in Algier angenommen; er dient uns, wo es nötig ist, als Dolmetscher, aber ich glaube, für ihn bürgen zu können, er ist jung und hat sich bisher sehr zuverlässig gezeigt. Doch eine Frage, mein Freund! Sie haben ganz richtig geurteilt, daß ich Offizier bin oder vielmehr war. Ich diente früher selbst in Algier und bin der Oberst Graf Montboisier. Gehören Sie zur Garnison des Forts Randon, und wie kommen Sie hierher?«

Der Name des Reiters schien besondern Eindruck auf den jungen Mann zu machen, obschon er bemüht war, ihn zu verbergen, was ihm auch, bei dem Interesse der andern für ihre eigene, so unerwartet bedrohte Lage gelang. Er beugte den Kopf, wie beschämt über die Frage und sagte: »Ich wäre längst gern Soldat geworden, mein Kolonel, aber die Umstände erlauben es nicht. Ich kann meine Familie nicht verlassen, die arme Ansiedler sind und zwei Arme und ein mutiges Herz in diesem Lande nicht entbehren können. Auch hänge ich nicht von mir ab. Aber ich kenne seit drei Jahren diese Gegend und bin oft im Fort gewesen, wenn ich auf meinen Jagdstreifereien in jene Richtung kam.«

»Sie sind Franzose, das genügt. Wir vertrauen uns Ihrer Ehre an. Was raten Sie uns zu thun, denn Sie sehen, dass wir eine Dame bei uns führen, obschon ich mehr Unbequemlichkeiten als Gefahr fürchte, denn die Regierung lebt in diesem Augenblick mit allen Stämmen in tiefem Frieden.«

»Ich muß mich erst überzeugen, in wie weit diese Männer Sie absichtlich irre geführt, obschon kein Araber des Südens die Dschebel Muzedsch mit der Arba verwechseln wird. Ich spreche fertig Arabisch und bedarf des Dolmetschers nicht, wenn Sie mir vertrauen wollen.«

»Gehen Sie und beeilen Sie die Sache, indes ich hier Madame und jenen unvorsichtigen Schützen verständige.«

Die Marquise und der Kapitän waren in der That schon bei Beginn des Gesprächs, das sie für Einziehung bloßer topographischer Nachrichten hielten, vorwärts geritten und bei dem Strauß abgestiegen, um den toten Vogel zu untersuchen.

Noch immer war der Graf sehr geneigt, die Thatsache, daß sie so weit über ihr beabsichtigtes Ziel vorgedrungen, einem Mißverständnis der Führer zuzuschreiben, hervorgerufen durch den Wunsch der Marquise, sobald als möglich die Wüste zu sehen. Auch wollte er nicht unnütz der Dame Furcht und Angst einjagen und begnügte sich daher, der Marquise mitzuteilen, daß sie, wie er sich durch die Nachrichten des jungen Ansiedlers überzeugt habe, zu weit in eine unbewohnte Wildnis geraten seien und deshalb an rasche Rückkehr denken müßten. Bei alledem kannte er aus seinem früheren Aufenthalt in Algerien zu gut den verräterischen Charakter der meisten Stämme, um sich nicht dem romantischen Vorschlag der durch den langen Ritt ermüdeten Marquise zu widersetzen, hier am Rande der Wüste ihr Lager aufzuschlagen und die Nacht zuzubringen, und erst am andern Morgen auf dem Rückweg nach Oran das Fort aufzusuchen.

Während sie noch darüber sprachen, hörte man aus der Gruppe des Gefolges den Kehlschrei eines der Araber und sah seine Hand nach einer bestimmten Richtung ausgestreckt.

Die Gesellschaft blickte sofort nach dieser und schaute sich mit dem größten Erstaunen an.

»Was sprechen Sie doch von unbewohnter Gegend, lieber Graf?« sagte endlich die Marquise. »Die blendende Sonnenglut und der Staub müssen uns bisher den Anblick entzogen haben. Dort auf jenen Sandhügeln seh' ich deutlich die schlanke Palme sich wiegen, Zelte aufgeschlagen und selbst eine Menge von Menschen und Pferden um eine Stelle sich drängen, wo gewiß ein Quell oder Brunnen sich befindet. Es ist sicher eine der vielbeschriebenen Oasen, und sie kann höchstens zwei Lieus entfernt sein. Lassen Sie uns dahin reiten – ein Nachtlager inmitten einer Karawane oder eines arabischen Douars muß von großem Interesse sein!«

In der That war der von der Marquise beschriebene Anblick höchst wunderbar. Obschon man vorher von den Felsen aus den weiten Horizont der Wüste erforscht und nur die öde Leere erblickt hatte, schien jetzt in einer Richtung nach Osten plötzlich ein Vorhang aufgezogen, der bisher ihren Augen, sei es eben durch die zitternden Glutnebel oder den Staub einen Anblick entzogen hatte, der ihnen die Gewißheit gab, daß die Wüste an dieser Stelle noch bewohnt sei.

In der Entfernung von etwa einer oder zwei Meilen erhob sich ein sanft aufsteigender Hügel, auf dessen Gipfel schlanke Palmen ihre Stämme und Kronen gegen den Horizont abzeichneten. Ganz deutlich, trotz der Entfernung, ja selbst in den einzelnen Gestalten ließ sich um braune Zelte und den Fuß der Bäume ein Gewühl von Menschen und Tieren erkennen. Reiter sprengten hin und her, zuweilen selbst schien man Waffen blitzen zu sehen und ganze Gruppen sonderten sich von der Menge ab und jagten hinaus in die Wüste oder kehrten von daher zurück. Es mochten ungefähr zwei- oder dreihundert Personen mit ihren Pferden und Kamelen dort versammelt sein.

In der Mitte dieses Lagers, an dem sprudelnden Quell der mit frischem Rasen bedeckten Oase erhob sich auf langer Stange eine im Luftzug wehende Standarte.

Ehe die drei Reisenden noch ihre Ansichten über die unerwartete Entdeckung austauschen oder den jungen Ansiedler befragen konnten, der mit hastigen Schritten herbei kam, gellte aufs neue ein wilder Schrei durch die Luft, und die beiden arabischen Führer sprengten im vollsten Lauf ihrer Pferde hinein in die Wüste, in der entgegengesetzten Richtung der Oase.

Jacques oder Sidi Jacouf, wie ihn das Mädchen genannt, durch den Schrei aufmerksam gemacht, blieb stehen und schaute sich um. In dem Augenblick, wo er die galoppierenden Araber erblickte, war seine Flinte an der Wange und er feuerte. Der Schuß schien getroffen zu haben, denn man sah einen der Reiter im Sattel vorn über fallen. Im nächsten Augenblick aber richtete er sich wieder empor, schüttelte drohend die Hand zurück und jagte seinem davonsprengenden Kameraden nach.

Der Ansiedler eilte auf die Gesellschaft zu. »Schießen Sie, schießen Sie sie nieder! sehen Sie nicht, daß sie fliehen und Sie verraten werden? Verdammt! ich hätte auf das Pferd des schielenden Burschen halten sollen, aber man ist froh, wenn diese hundsföttische Muskete nur losgeht!«

Er warf das alte Kommißgewehr ärgerlich auf den Boden und sah den beiden Reitern nach, die bereits außer dem Schußbereich der kleinen Gesellschaft waren.

»Wohin reiten die Burschen und warum haben Sie geschossen?« fragte der Graf. »Ich würde glauben, sie wollten ihren Landsleuten einen Besuch abstatten, wenn sie nicht gerade in der entgegengesetzten Richtung jenes Oasenlagers davon ritten!«

»In der entgegengesetzten Richtung? Aber wo vermuten Sie denn das Lager der Stämme, Herr?«

»Nun dort, wo wir es sehen!« der Oberst deutete zurück. »Aber zum Teufel! was ist das? Wo ist der Hügel mit den Arabern und der Quelle, ich kann nichts davon sehen – bin ich denn plötzlich blind geworden?«

Der junge Mann lachte. » Par Dieu, Kolonel, Sie sind nicht blind, aber Sie haben sich vorhin getäuscht. Wenn Sie jenen Anblick noch einmal haben wollen, so folgen Sie jenen schuftigen Dieben und wenn Sie vielleicht acht oder zehn Lieus durch die Wüste gemacht haben, werden Sie ihn wieder finden. Es war die Fata Morgana, die wir gesehen und die Oase der weißen Quelle, die mir wohl bekannt ist und etwa vier Stunden entfernt in der Wüste liegt.«

»Die Fata Morgana,« sagte erfreut die Dame. »Ei, das ist herrlich; wir haben in der That Glück heute, meine Herren! Eine Straußenjagd, ein arabisches Liebespaar und eine Fata Morgana! Was wollen wir mehr, um uns für die Strapazen zu entschädigen?«

» Yes, yes, Milady! wenn ich nur meine Endfieldbüchse gehabt hätte, aber Charles ist ein höchst säumiger Bursche. Sind Sie endlich fertig mit dem Laden, mein Bester?«

»Ich fürchte, Madame,« sagte der Graf, ohne von Kapitän Peard Notiz zu nehmen, »wir haben unser Vergnügen mit etwas mehr als einer leichten Unbequemlichkeit zu büßen. Warum,« er wandte sich wieder zu dem jungen Ansiedler, »haben unsere Führer uns so plötzlich verlassen? und glauben Sie, daß sie bald zurückkehren werden?«

»Das verhüte der Himmel, Kolonel, denn es würde nur in Gesellschaft jener Wüstendiebe geschehen, die uns zum Glück die Fata Morgana verraten hat!«

»So ist wirklich Gefahr vorhanden?«

»Ich kann nicht mehr daran zweifeln und wünschte, ich hätte Zelas Worten eher geglaubt. Haben Sie die Fahne oder vielmehr den Fetzen gesehen, den sie an der Quelle aufgepflanzt?«

»Den Wimpel an einem langen Speer?«

»Ganz recht, mein Offizier, und haben Sie die Farbe erkannt?«

»Mein Glas zeigte sie deutlich, sie war grün

»So ist es, Herr, und wissen Sie, was das bedeutet?«

»Nein.«

»Der undankbare Verräter Hussan El Mazâb ist vom Blut Abdel Kaders, er maßt sich das Recht an, die Farbe ihres falschen Propheten zu führen, und wenn er die grüne Fahne wehen läßt, so befindet er sich auf einer Unternehmung gegen seine Feinde.«

»Wie? Sie wollen doch nicht sagen, daß die benachbarten Stämme den Frieden mit uns brechen werden?«

»Es ist sehr leicht möglich, daß es schon geschehen. Jedenfalls beabsichtigen sie einen verräterischen Überfall und haben zu dem Zweck ihre Krieger an der Quelle versammelt. Das Ziel ist nicht schwer zu erraten.«

»Sie meinen Fort Randon?«

»Das Fort oder die vorgeschobenen Ansiedelungen.«

»Was hat Ihr Gespräch mit den beiden Führern für ein Resultat gehabt?«

»Es sind arabische Diebe, Herr, die Sie mit Absicht irre geführt haben. Vielleicht wußten sie schon von der beabsichtigten Razzia der Beni Mezabs. oder sie rechneten darauf, irgend einer Bande umherstreifender Vagabonden zu begegnen, denen man Sie gegen Teilung der Beute in die Hände spielen könne. Die Kerle hatten die Frechheit, mir ins Gesicht zu behaupten, Fort Randon läge vor uns, und wir befänden uns noch in der Dschebel Arba. Erst als ich ihnen den Namen meines Bruders nannte und sie glauben ließ, er befinde sich in der Nähe, wurden sie sichtbar für sich selber besorgt und erklärten, sie hätten sich vielleicht geirrt. Aber das waren Lügen, und es thut mir leid, daß ich die Halunken mit Hilfe ihrer Diener nicht sofort festgenommen oder aus ihren Sätteln geschossen habe.«

»Sie sprachen von Ihrem Bruder. Darf ich fragen, wie Sie heißen und wer Ihr Bruder ist? Ich habe die Pflicht, jetzt möglichst vorsichtig zu verfahren, ehe ich mich mit der Bitte um Beistand an Sie wenden kann.«

»Mein Name, Kolonel, ist sehr unbedeutend. Ich heiße einfach Jacques, oder wie mich die Araber nennen, Jacouf und gehöre zu der vorgeschobensten Ansiedelung in diesem Teil des Landes.«

»So ist Ihr Bruder der Besitzer derselben?«

»Nein, Herr, er ist ein einfacher Jäger und führt den Namen El Matadreo

»Wie – El Matadreo, der Löwentöter, der berühmte Rival unsers Gerard? Der Jäger, von dessen Mut und Gefahren ganz Oran und Algier erzählt, und der selbst in Paris bekannt und bewundert ist?«

»Ich weiß nicht, ob von dem Matadreo in den Städten gesprochen wird, Monsieur le Colonel, aber ich bin gewiß, daß er einigen Ruf unter den armen Bewohnern der Dschebel hat.«

»Wir hörten in Oran, daß er sich im Arba-Gebirge aufhalte, und der Wunsch ihn zu sehen war nicht der geringste Beweggrund für uns, daß wir diese Richtung unsers Ausflugs zur Wüste wählten, obschon er ein wunderlicher und ungeselliger Mann sein soll.«

»Es ist wahr, Monsieur, der Matadreo liebt die Wildnis mehr, als die Gesellschaft der Menschen, und auch wir sehen ihn nicht häufig. Aber die Sonne ist stark im Niedersinken, mein Offizier, und es wird gut sein, wenn Sie mit Ihren Begleitern einen Entschluß fassen. Ich selbst muß nach dem, was geschehen, dies gleichfalls thun.«

»Und dürfen wir fragen, was Ihr Entschluß sein wird?«

»Die Pflicht gegen die Meinen gebietet mir, sofort nach unserer Niederlassung zu eilen und sie von der drohenden Gefahr in Kenntnis zu setzen.«

»Liegt die Niederlassung auf dem Weg nach dem Fort?«

»Nein, Monsieur, Fort Randon liegt dort hinauf nach Nordwest, während unsere kleine Niederlassung in diesen Bergen nach Osten zu liegt, mehr als vier Lieus von dem Fort entfernt.«

»Das ist schlimm und bringt uns in große Verlegenheit. Ich rechnete bestimmt darauf in unserer Not, Monsieur Jacques, daß Sie uns gegen reichliche Belohnung nach dem Fort führen würden.«

»Und gewiß, Sie werden es thun,« bat die Marquise, die ihre Besorgnis nicht länger verhehlen konnte. »Ein Franzose wird eine Dame nicht in Gefahr lassen, wenn er ihr beistehen kann.«

Der Jäger dachte einige Augenblicke nach. »Ich darf unmöglich meine Freunde ohne Warnung lassen,« sagte er endlich. »Aber ich habe Ihnen ein Vorschlag zu machen.«

»Sprechen Sie!«

»Es ist gefährlich für Sie, den Weg nach dem Fort jetzt, wo die Dunkelheit nahe ist, einzuschlagen. Die feindlichen Stämme, wenn sie einen Überfall beabsichtigen, haben sicher bereits ihre Späher oder ihre Vorposten zwischen der Wüste und dem Fort, vielleicht streifen einzelne Trupps der Beduinen bereits durch die Quellniederung zwischen dem Dschebel Muzedsch und dem Arab. Wir können leicht in ihre Hände fallen. Es ist unmöglich, das Fort vor Mitternacht zu erreichen.«

»Aber was sollen wir denn thun?«

» Pardieu, – ich wollte eben darauf kommen. Die Ansiedelung meiner Freunde liegt etwa eine Stunde von hier in den Bergschluchten. Wir können sie bald erreichen und Sie sind dann wenigstens verhältnismäßig sicher, wenn neun oder zehn entschlossene Männer das Haus verteidigen, bis die Garnison im Fort benachrichtigt ist, und Hilfe von dort herbeikommt.«

»Aber wer wird dieser Bote sein?«

»Der Sohn des Ansiedlers kann die Botschaft überbringen, denn wir werden vielleicht aller Männerhände dringend bedürfen. Der Knabe ist zwar jung noch, aber keck und gewandt und hat den Weg mehr als einmal gemacht.«

»Doch werden Ihre Freunde oder Verwandten auch bereit sein, uns aufzunehmen?«

»Ich bürge für sie, ein Franzose verläßt den andern nicht. Der Bequemlichkeiten werden Sie freilich nicht viele finden, denn wir sind arm und haben zweimal schon durch die Überfälle der Araber alles verloren, was der Fleiß unserer Hände in andern Ansiedelungen uns erworben. Aber Renaud und sein braves Weib werden eher ihren letzten Blutstropfen vergießen, ehe sie ihren Gastfreunden ein Haar krümmen lassen.«

»Und Ihr Bruder?«

»Er hat noch nie gefehlt, wenn die Gefahr nahe war. Er wird uns auch diesmal nicht verlassen. Aber nun, Kolonel, geben Sie den Befehl zum Aufbruch; denn wenn jene entflohenen Schurken auf eine Abteilung der Araber stoßen, könnten wir scharf verfolgt werden, und es wird deshalb gut sein, so wenig Spuren als möglich zu zeigen!«

Die Gesellschaft begriff vollkommen die Notwendigkeit der Eile, und die Marquise erklärte sich bereit, ihrer Ermüdung zu trotzen. Obschon sie es nicht gestehen wollte, schien ihre romantische Sehnsucht nach gefährlichen Abenteuern sich bereits gewaltig abgekühlt zu haben, und sie sprach nicht mehr von den Pariser Salons, in denen sie dies und jenes erzählen wollte, sondern erkundigte sich sehr genau nach der Zahl der Ansiedler und der Sicherheit des Platzes.

Die Muskete auf der Schulter marschierte der Jäger voran und führte den Zug, der aus der Dame, ihren beiden Gesellschaftern und den drei Dienern bestand, am Saume der Wüste entlang nach Osten zu, indem er sorgfältig für ihren Weg die steinigen Abhänge des Bergzugs benutzte, auf deren harten Boden die Hufe der Pferde keine Spuren zurücklassen konnten.

Die Bergkette zeigte sich den Reisenden nach dieser Seite hin immer wilder und rauher. Finstere Schluchten öffneten sich in die Felswände und schienen wie jahrtausende alte Rinnen, durch welche die Quellen und bei den tropischen Regengüssen zu reißenden Strömen anschwellenden Bäche des Gebirges gegen den Sand der Wüste ankämpfen, in dem sie ihr Dasein machtlos enden. Unter anderen Umständen wäre es gewiß für die Dame und ihre Begleiter interessant gewesen, den Kampf des Sandmeers mit der Vegetation zu beobachten. Aber noch weit hinauf in die Felsen und Berge hatte der furchtbare Scirocco seine Sandwellen geworfen und alle Vegetation ertötet oder verkrüppelt. Nur die Gestrüppe der Fächerpalme und einige Kaktusarten drängten sich in den Schluchten aus den Spalten der Felsen, kümmerlich ihr Dasein von den Gewässern fristend, die während der Regenzeit hier herunter rauschen.

Nachdem sie eine halbe Stunde ziemlich eilig in dieser Weise fortgegangen waren, machte Sidi Jacouf oder Jacques am Eingang einer großen Schlucht Halt und bat seine Begleiter, einige Minuten zu verziehen. Er kletterte den steilen Fels, welcher über die Schlucht hinweghing und dessen Gipfel nach allen Seiten weithin sichtbar war, hinan und der Graf sah ihn auf der Höhe an einer dort offenbar von Menschenhand errichteten Steinpyramide, wie man sie – als Zeichen des Weges, eines Unglücks oder zu Ehren irgend eines mohammedanischen Heiligen oder Einsiedlers – in Algerien bis zur Wüste hin häufig findet, eine Stange aus dem langen Schaft der Aloestaude errichten, an deren Spitze ein kleiner Wimpel mit den Farben von Frankreich wehte.

Als der junge Mann wieder heruntergekommen, fragte ihn der Oberst um die Bedeutung und hörte von ihm, daß jener Steinhaufen zur einstweiligen Grenzmark des vorgeschobenen oder besser angemaßten französischen Schutzgebietes gegen die Wüste hin diene, und daß er jenes, sonst sorgfältig in den Felsen verborgene Fähnchen errichtet habe, um seinem Bruder ein Zeichen zu geben, daß man in der Ansiedelung seiner Anwesenheit bedürfe.

Jacques nahm hierauf seinen Weg zur Schlucht hinauf und führte die Gesellschaft über das mächtige, von den Regenströmungen aufgehäufte Gerölle des jetzt trockenen Grundes empor.

So waren sie wieder eine halbe Stunde marschiert, als die Schlucht sich plötzlich zu einem weiten Thal ausbreitete und den Reisenden in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne sich ein Anblick bot, der sie mit neuem Mut und Vertrauen beseelte, der Anblick einer menschlichen Wohnung.

Das Thal mochte wohl eine Viertelstunde breit sein und war auf allen Seiten von den Bergen geschützt. In der Mitte desselben erhob sich ein Hügel, der von einer Gruppe schlanker hoher Dattelpalmen gekrönt war, die wie schützend die Wohnung des französischen Farmers überragten, der sich hier angesiedelt. Ein klarer Quell sprudelte aus der Seite des Hügels und der kleine Bach, den er bildete, nahm seinen Lauf nach Norden zu dem großen Wassergerinne, das zwischen den beiden Bergzügen liegt.

Die Vegetation war hier reicher als auf den Berghängen; wilde Feigen, Myrten und selbst einige wilde Ölbäume zeigten sich an den Seiten des Thales, und die großblättrige Aristolochia mit wilden Reben schwang ihre langen Festons um die knorrigen Äste, während um den Hügel her mehrere Stücke Land offenbar die fleißige und siegreiche Hand des Menschen in Rodung und Bebauung bekundeten. Ein Feld, mit den Stengeln des Mais bedeckt und ein anderes mit Gerste besät, bewiesen den Fleiß und die Ausdauer der Ansiedler, und an der Seite des Hügels, wo der sprudelnde Quell ihn mit frischerem Rasen bedeckte, war sogar der Versuch zur Anlegung eines kleinen Küchengartens gemacht.

Die Wohnung der Ansiedler selbst erregte bei dem kundigeren Blick des Obersten große Aufmerksamkeit. Sie war offenbar von einem im Wüstenkrieg erfahrenen Mann gebaut und trotz der geringen Hilfsmittel, die ihm dabei zu Gebote gestanden, ziemlich vorteilhaft für ihre Zwecke errichtet.

Das Plateau des Hügels war zunächst mit einer Art spanischer Reiter eingezäunt, die das Herannahen von Pferden verhinderten. In der Mitte, unter der Gruppe der Palmbäume, erhob sich ein niederes, aus den hier reichlich vorhandenen Steinen erbautes Blockhaus mit flachem Dach. Das Ganze sah freilich sehr roh aus, erfüllte aber seinen Zweck als Schutz gegen die Witterung, das Toben des Samums oder Mescals und gegen einen plötzlichen feindlichen Überfall. Zu diesem Behuf waren die Fenster schmal und in den Steinwänden mehrere Schießscharten angebracht. Der Raum im Innern schien genügend zur Aufnahme einer Familie und selbst der Haustiere, für die anstoßend auf der Rückseite ein Schuppen errichtet war, doch schien der ganze Reichtum des Ansiedlers nach allem, was sichtbar war, sich auf ein paar Ochsen, eine Anzahl noch an den Gebirgswänden herumkletternder Ziegen und allerlei Geflügel zu beschränken.

Ein zahmer, junger Strauß, wie er häufig in den Douars der Araber als Haustier aufgezogen wird, wo er sehr zutraulich mit den Kindern spielt, jagte sich mit einem kleineren Knaben und zwei Mädchen, während ein größerer Knabe von etwa 8-9 Jahren vor dem Hause mit einer ländlichen Arbeit beschäftigt war, wobei ihm zwei große Hunde aufmerksam zur Seite saßen. Unter den Palmen aber, an einer im Freien unter einem Schuppen angelegten kleinen Schmiede hämmerte und feilte ein eigentümlich ausschauender rüstiger Graukopf mit einem Stelzfuß, in eine alte abgetragene Zuaven-Montierung gekleidet, an allerlei Eisengerät.

Die Kinder waren es, die zuerst den kleinen Zug der Reisenden erblickten und, den Führer derselben schon in der Entfernung erkennend, ein lautes Geschrei erhoben. Auf dieses hin ließen der ältere Knabe und der Invalide von ihrer Arbeit, und in die Thür des Hauses trat eine Frau.

Sie war etwa sieben- bis achtundzwanzig Jahr, das hübsche kecke Gesicht von der Sonne gebräunt, die ganze Gestalt von der Arbeit in freier Luft gekräftigt. Man sah ihr auf den ersten Blick an, daß sie eine tüchtige Wirtin und gute Mutter war, aber nicht bloß dies, sondern auch ihrem Mann ein mutiger Beistand in den Gefahren der Wildnis. Die Reisenden sahen, als sie rasch herankamen, die Gruppe zusammentreten und sich offenbar neugierig über die Ankommenden unterhalten.

»Ich sehe Renaud nicht,« sagte der Jäger zu dem Kapitän, neben dem er herging, »er ist gewiß in seiner Ansiedelung beschäftigt, aber Mariette, sein braves Weib, ist so gut wie er selbst, und der alte Papa Carcadou wird uns allen guten Rat geben.«

»Wer ist Papa Carcadou

» Parbleu, Kolonel! Da Sie in Algier gedient haben, sollten Sie ihn billiger Weise kennen. Er ist ein Inventarienstück der Armee von Algier und noch einer der Alten von den zwei Bataillonen des Marschall Clauzel. Papa Carcadou hat nur ein Auge, das andere haben ihm die Kabylen ausgeschlagen, aber mit dem einen Brennspiegel sieht er so gut wie ein Adler mit seinen beiden. Auch ein halbes Ohr hat ihm der Yataganhieb eines Beduinen abgehauen und ein Stück vom Schädel dabei mit weggenommen. Seine Nase verdient kaum noch diesen Namen; in einem Duell hat er zwei Finger der linken Hand verloren, und als ihm endlich ein Sturz von den Felsen der Aures-Gebirge das Bein zerschmetterte, daß es unterm Knie abgenommen werden mußte, hat er es für eine große Ungerechtigkeit des Gouvernements gehalten, daß man ihm nicht erlauben wollte, weiter im Regiment zu dienen, sondern ihm eine Anweisung auf das Invaliden-Hotel gegeben hat.«

Papa Carcadou kam, eine alte Flinte in der Hand, die er eben nebst einem Pflugeisen ausgebessert, in Begleitung des älteren Knaben der Gesellschaft bis an den Eingang der Umzäunung entgegen gehumpelt.

»Hoho! Mashallah! Ruhm sei dem falschen Hunde von Propheten, wen haben wir da? Fichtre! ich glaube gar, der tolle Junge bringt uns in die Wildnis des Muzedsch Pariser Damen, wenn es nicht etwa eine gestohlene braune Schönheit aus irgend einem schmutzigen Beduinen-Zelt ist! Diantre! Nichts für ungut, meine schöne Dame, aber ein solcher Besuch hier, wo man sein täglich Brot mit Flintenschüssen verdienen muß, ist eine zu große Rarität, als das man nicht eher der Welt Untergang glauben sollte! Hier herein, Madame und Messieurs! Marsaba! bick! wie die Burschen zu sagen pflegen, Ihr seid willkommen, auch wenn der Herr des Hauses nicht zu Hause ist.«

Die seltsame Figur, die so ganz charakteristisch den Typus der Schar an sich trug, mit der Frankreich in den Schluchten des Atlas, auf den Wällen Sebastopols, an den Thoren von Peking wie auf den Höhen von Solferino und vor den Wällen Pueblas, also in vier Weltteilen seine blutigsten und glänzendsten Schlachtthaten ausgeführt hatte, hatte sofort die besondere Gunst der schönen Marquise gefunden, die seine Hand annahm, um sich aus dem Sattel zu schwingen.

»Wir kommen, mein Herr,« sagte sie mit all ihrer Liebenswürdigkeit, »um bei Ihnen eine gastfreundliche Aufnahme und Schutz zu suchen, wenn uns wirklich Gefahr drohen sollte. Dieser junge Mann ließ es uns fürchten. Ein alter Soldat Frankreichs wird einer Dame seinen Schutz nicht verweigern!«

» Diantre, Madame! ich will mich lebendig spießen und schinden lassen, wenn ich das thue! Bismillah! ich bin ein alter Kerl und zu nichts mehr gut, wie die Spitzbuben von der General-Sanität behaupten, aber das Herz ist noch ungeflickt! He, Mariette, hierher! was steht Ihr da und glotzt? Heißt die Dame willkommen und tischt auf, was Küche und Keller vermag, indes ich diese Herren hier begrüße! Lauf', Pierre, und hol' Deinen Vater, er soll alles stehen und liegen lassen und hierher kommen, denn es ist ein Wunder passiert!«

Er hatte die Dame der Hausfrau übergeben und bot geschäftig den Herren seine Dienste an, mit deren Pferden sich bereits Jacques beschäftigte.

» Pardonnez, Monsieur!« sagte er plötzlich, das Band im Knopfloch des Grafen erblickend, indem er mit der gesunden Hand an seinem alten Fez salutierte, »ich sehe, Sie haben gedient. Wohl gar Offizier?«

»Kolonel, mein Braver. Ich wurde es vor Sebastopol!«

» Foudre! Der Ruhm des Malachof ist bis in unsere Einöde gedrungen! Ich kenne diesen Duckmäuser von Mac Mahon und den kleinen Bosquet – aber die Halunken von Doktoren haben mich um den Tanz gebracht, als ob dieses Bein und diese rechte Hand nicht noch vortrefflich imstande gewesen wären. Möge irgend ein unvernünftiges Vieh von Schakal dafür ihren Gräbern das Passende anthun! Am Ende haben Sie auch gar in Afrika gedient?«

»So ist's, mein Alter,« sagte der Graf, der selbst sein Pferd absattelte. »Ich war in meiner Jugend an der Tafua und am Isly!«

Der alte Zuave präsentierte die rostige Flinte. »Ehre, dem Ehre gebührt, Monsieur. Aber, Fichtre! wie ist mir denn, ich muß Ihr Gesicht auch bereits gesehen haben, Kolonel! Zum Teufel, das Gedächtnis fängt an, etwas morsch zu werden, aber halte là! da hab' ich's! Parole: Isly! Feldgeschrei: Papa Bugeaud! Sie waren der junge Adjutant, der sich an die Spitze unserer dritten Kompagnie setzte, als die Offiziere gefallen waren, und uns gegen die roten Maroccanischen Jäger führte!«

»Es mag sein, ich erinnere mich! Aber wir werden noch Zeit genug haben, denk' ich, unsere Schlachten-Erinnerungen auszutauschen; einstweilen will ich Euch bitten, uns einen Ort anzuweisen, wo wir unsere Pferde und unser Gepäck unterbringen können.«

»Sogleich, Kolonel! Und dieser Herr« – er wies mit dem Daumen auf den Kapitän, der sich alsbald auf die rohgezimmerte Bank unter einem der Palmbäume gesetzt hatte, seine Stiefel mit dem Taschentuch abstäubte und Kamm und Taschenspiegel hervorzog, um seinen Backenbart in Ordnung zu bringen. »Ist er auch einer von uns Afrikanern?«

»Er ist ein Engländer, den wir von Paris aus kennen und der sich in Oran uns angeschlossen hat.«

»Ein Engländer! Bah!« Der alte Zuave machte jene unnachahmliche Gebärde der Pariser Gamins, mit der sie ihre souveräne Verachtung ausdrücken. »Der Teufel hole die Puddingfresser!«

Der Graf lachte. Indes hatte sich eine nicht weniger interessante Unterhaltung zwischen der Marquise und der Ansiedlerfrau entsponnen.

»Madame sind uns herzlich willkommen,« sagte die Frau mit dem unverkennbaren Dialekt des Faubourg Saint Antoine, »ich bedauere nur, daß wir ihr nicht mehr Bequemlichkeit verschaffen können, als diese arme Wohnung bietet.«

Die schöne Cora lächelte vornehm. »O, meine Liebe,« sagte sie gönnerhaft, »machen Sie ja keine Umstände. Ein laues Bad wird genügen und eine Stunde Ruhe auf einer Causeuse oder einem Ihrer orientalischen Diwans. Mein Kammerdiener führt meine Toilette mit sich, und ich bin als Reisende gewöhnt an Strapazen und Entbehrungen. Wenn Sie mir ein wenig frisches Orangenwasser in Eis bereiten wollen, das ist alles, dessen ich vor der Hand bedürfen werde. Aber wie ist mir denn? Ihrer Sprache nach zu urteilen müssen Sie eine Pariserin sein?«

»Sie haben es getroffen, Madame, aber …«

»Arme kleine Frau,« meinte hochmütig die vornehme Dame, die sich von ihrer Wirtin in den Flur des Hauses hatte führen lassen. »Gewiß eine Liebschaft, die Sie veranlaßt hat, unser schönes Paris zu verlassen! Das Bedauern kommt dann erst nach der Heirat, die Männer sind in allen Ständen Tyrannen und wissen unsere Opfer nicht zu würdigen. Aber nun, meine Liebe, werden Sie mich verbinden, mir mein Zimmer zu zeigen und für das Bad zu sorgen.«

»Das ist es eben, Madame, wir sind hier nicht in Paris, sondern in der Sahara, obschon ich mich hier glücklicher fühle, als ich je war, da ich noch die Luft der Boulevards atmete, und meinen Mann aufs beste liebe. Es thut mir leid, Ihnen kein Zimmer anbieten zu können, denn die ganze Familie lebt hier in diesem Raum, und wir haben nur ein paar schlechte Kammern für mich und meinen Mann und den alten Carcadou; die anderen Räume sind für die Ochsen und Ziegen, die wir nicht im Freien lassen dürfen, wenn die Löwen und die Hyänen sie nicht in der Nacht zerreißen sollen.«

»Guter Gott! welches traurige Leben!« seufzte die vornehme Dame. »Gut, ich werde Ihre Kammer nehmen, es ist ja hoffentlich nicht für lange. Schicken Sie mir meinen Kammerdiener, und sorgen Sie für das Orangenblütenwasser, diese eingeschlossene Luft und diese Gerüche sind erstickend!«

»Ich bedauere, Ihnen nur Quellwasser und Ziegenmilch bieten zu können. Lauf, Charlotte, und hole den Blechtopf voll frischen Wassers.« Damit gab sie dem Kinde, das sich an sie schmiegte, das Geschirr in die Hand und trieb es zur Thür hinaus.

Die feine Dame hatte sich, zum Tode erschöpft, auf eine roh gezimmerte Bank niedergelassen, die vor einem aus Pfählen und Brettern von Palmenholz roh gebildeten Tisch in der Mitte des Raumes befestigt war, und ließ ihre Augen etwas trostlos über diesen hinlaufen.

Die Küche oder der Flur des Blockhauses nahm etwa zwei Dritteile desselben ein, das heißt den ganzen Vorderteil. Ein Kamin oder Herd, der aber nur während der Regenzeit gebraucht wurde, befand sich an der Rückwand zwischen den beiden Eingängen der Kammern, die teils zu Schlafgemächern für das Ehepaar und den Invaliden, teils zur Aufbewahrung einiger Wintervorräte benutzt wurden und allein durch große Häute statt der Thüren von dem vordern Raum abgesondert waren.

Wenn man in der durch die kleinen schmalen Fenster herbeigeführten Dämmerung – denn das Hauptlicht erhielt der Raum durch die stets offene Thür – jene Vorhänge näher betrachtete, sah man, daß sie ebenso merkwürdig, wie kostbar waren; denn die langen schwarzen Mähnen an ihnen, die weißen Zähne des Gebisses und die mächtigen Pranken mit den langen Klauen erwiesen sie als Häute der Beherrscher der Wildnis, der Löwen!

Zwei ähnliche Felle waren in den Winkeln über einigen Schütten Maisstroh ausgebreitet und bildeten die einfachen Lagerstätten des Jägers und der Knaben.

Was die Familie an Geräten und sonstiger Habe besaß, schien in diesem Raume vereinigt; denn an den Wänden umher hingen in buntem Gemisch Eisenwerkzeuge zum Acker- und Gartenbau, zwei Sättel mit Zaumzeug, obschon keine Pferde mehr vorhanden waren, Waffen verschiedener Art, arabische und europäische Kleidungsstücke, das Leder- und Kettenzeug zu mehreren Ochsengespannen und eisernes und blechernes Küchengerät. Die ziemlich hohe Decke des Raumes war von starken Balken und Brettern aus Palmenholz gezimmert und bildete so eines der in jenem Himmelsstrich üblichen flachen Dächer. Es war mit einer etwa vier Fuß hohen Brustwehr umgeben und eine Leiter führte durch eine über dem Lager im Winkel sich öffnende Fallthür hinauf.

Unter allen Gegenständen umher schien auf die Waffen ganz besondere Sorgfalt verwendet zu sein. Sie bestanden aus einer Muskete mit Haubajonett, wie sie die Zuaven führen, zwei Doppelflinten und einem paar Pistolen von so wertvoller Arbeit, daß man verwundert sein konnte, sie in dieser ärmlichen Umgebung zu sehen. Ein Offiziersäbel mit Gurt, der überaus blank geputzt war, und einige Yatagans hingen zwischen den Gewehren und Äxten, wie sie die Ansiedler zu ihren Bau- und Hausarbeiten brauchen.

»Aber, mein Gott!« sagte endlich die Dame, »Sie werden doch hier in einem Lande, wo die Orangen und Zitronen wild wachsen, einige Früchte zur Erfrischung haben! Von was leben Sie denn eigentlich, meine Liebe?«

»Wir machen es wie die Eingeborenen, Madame,« lautete die Antwort der Frau, die bereits beschäftigt war, eine Handvoll Kaffeebohnen in einer Steinmühle zu zerreiben. »Die Dattel ist eine vortreffliche Frucht und sehr gesund, und Kaffee haben wir auch, wie Sie sehen. Ich will ihn sogleich draußen auf dem Feuer kochen. Wir haben Mais und Gerste und Milch. Freilich war es anders, als wir noch drinnen im Lande bessere Weiden und unser gutes Vieh hatten, aber in einer Nacht raubten diese schwarzen Diebe uns alles; sie zerstörten unsere Ernten und hätten uns allen den Garaus gemacht, wenn wir sie nicht tüchtig mit Flintenschüssen empfangen hätten!«

»Wie? so haben Sie bereits ein Gefecht mit den Arabern oder Kabylen bestanden?«

»Mehr als eines, Madame, und Sie werden sehen, wie ich die Flinte zu handhaben verstehe, wenn sich die Gelegenheit bieten sollte. Zweimal haben sie uns das Haus überm Kopf angezündet, als es uns wohl und gut ging und wir mit dem besten Farmer an der Grenze kaum getauscht hätten. Wir haben zwar wenig gerettet, aber Gott hat mir Mann und Kinder erhalten, und solange wir gesund bleiben, soll uns Unglück und Armut nicht den Mut und die Zufriedenheit rauben!«

In diesem Augenblick traten die Männer, begleitet von dem Herrn des Hauses, ein.

Dieser, ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, war eine kräftige breitschultrige Gestalt, das etwas finstere Gesicht war von einem roten Bart umrahmt. Er trug noch die Hacke von der Ausrodungsarbeit in der Hand, von der sein Knabe ihn abgerufen.

Jacques hatte ihn bereits von dem, was er gehört und bemerkt hatte, in Kenntnis gesetzt, und der Ansiedler, durch die früheren traurigen Erfahrungen vorsichtig gemacht, schaute noch ernster und sorgenvoller drein, als gewöhnlich. Die Männer hatten die Pferde und Saumtiere in der an das Wohnhaus angebauten stallartigen Hürde untergebracht, denn der Ansiedler war gezwungen, sein weniges Vieh allnächtlich in einer solchen einzuschließen, weil das Gebirge zahlreichen Raubtieren zum Zufluchtsort diente. In mancher Stunde der Nacht wurden die Ansiedler von dem das Echo der Felsen weckenden Gebrüll des Löwen oder dem heiseren Bellen der Hyäne aufgeschreckt, die hungrig um die Umzäunung schlichen.

Die beiden Diener brachten alles Gepäck in die Küche, während der junge Araber die Pferde aus den geringen Vorräten des Ansiedlers versorgte.

»Immer heraus, Mariette,« sagte der Ansiedler, seine Frau auf die Schulter klopfend, »immer heraus mit allem, was Deine Vorratskammer vermag, denn so vornehme und seltene Gäste muß man ehren! Es wird freilich nicht viel sein, aber es ist gern gegeben und, wenn man Hunger hat, mundet auch das härteste Brot. Wenn wir unsern Appetit gestillt haben, wird es Zeit sein, an die Geschäfte zu denken und zu beraten, was zu thun ist!«

»Ich bitte Sie, liebe Frau,« sagte der Graf, »unsertwegen nicht zu sorgen. Wir werden gern und dankbar nehmen, was Ihr Haus uns bietet, aber wir haben selbst einige Vorräte bei uns und wollen sie mit Ihrer Erlaubnis mit Ihnen teilen.«

Die beiden europäischen Diener hatten zwei Körbe hereingebracht und sie geöffnet. Mit der Gewohnheit geschulter Lakaien deckten sie den rohen Tisch mit einem feinen Linnen, setzten einige silberne Teller und Becher auf und stellten eine Pastete von den roten Rebhühnern der Metidja und einige andere transportierbare Speisen nebst drei oder vier Flaschen Wein auf, den der Graf sofort in die Gläser goß. Selbst ein paar Stearin-Kerzen, in kurze Leuchter gesteckt, fehlten nicht und erhellten den Raum besser, als die zwei Späne von harzigem Holz, welche die Hausfrau angebrannt hatte; denn mit dem Verschwinden der Sonne war, wie dies im Süden immer der Fall ist, ohne den Übergang der nordischen Dämmerung die Dunkelheit rasch eingetreten.

»Maschalla, Inschalla, Bismillah und alle sonstigen Allahs dazu,« sagte Vater Carcadou vergnügt, indem er sich auf den gesunden Schenkel schlug, – »das ist ja gerade wie in den wunderbaren Geschichten, die diese maurischen Kerle sich des Abends vor ihren Zelten erzählen, oder in Algier und Bona von einem verrückten Derwisch und Märchenerzähler vorlügen lassen. Fichtre! so schön haben wir's kaum bei Hassan, dem Bey von Constantine, gefunden, als wir unter Lamoricière seine Kauba stürmten. Foudre Dieu! ich glaube gar, das ist echter Bordeaux, was ganz anderes, als das schwarze Gesöff, das diese Schurken von Juden in Bona als Wein verkaufen! Seit ich dem Lazarett entlaufen bin und ihnen gesagt habe, ich wollte lieber als freier Soldat in Algerien Hunger leiden, denn als Krüppel mich von den maulaffenden Parisern am Invaliden-Hotel angaffen lassen, hab' ich keinen Schluck mehr durch die Gurgel gegossen. Selbst im Fort giebt's für unsereins, wenn man dorthin kommt, höchstens einen schlechten Absynth!«

»Dann wird es mich um so mehr freuen, mit Ihnen in diesem Léoville auf das Wohl der französischen Armee anzustoßen, alter Kamerad,« sagte der Graf, dem Zuaven einen Becher bietend.

» Yes, yes! die französische Armee. Sie wird uns helfen, zu kommen aus dieser schlimmen Gefahr.«

Der Alte schielte den Engländer, der sich von seinem Diener seinen Toilettenkasten hatte bringen lassen und damit bereits beschäftigt war, mit einem ziemlich wegwerfenden Blick an und steckte in löblicher Gewohnheit seines Soldatenlebens die Zunge in die von langer Narbe durchfurchte Backe. »Der Teufel soll mich schinden,« sagte er schnalzend, »wenn ein solches Getränk nicht ein halbes Dutzend Flintenschüsse wert ist! Es sollte mir nicht darauf ankommen, wenn ich die Feldflasche mit dem da gefüllt habe!«

»Wir haben Vorrat, mein Herr,« sagte die Marquise, die hinter dem Vorhang der Löwenhaut ihren Hut und Schleier abgelegt, einige kleine Veränderungen ihrer Toilette vorgenommen und mit dem kühlen Quellwasser ihren Teint erfrischt hatte, und jetzt, da sich bei den dringenderen Sorgen niemand viel um sie kümmern wollte, von selbst Platz an dem Tisch nahm. »Genieren Sie sich nicht, mein Braver, ich erkläre Sie zu meinem Ritter und begebe mich unter Ihren besondern Schutz. Dafür soll es Ihnen nicht an Wein von der besten Sorte fehlen. Wenn ich erst wieder glücklich in Paris bin, schick' ich Ihnen eine ganze Kiste!«

»Aber bis wir dahin kommen,« sagte der Graf ernst, nachdem er einen Becher Wein getrunken und einige Bissen genossen hatte, »dürften wir noch manches zu bestehen haben, und ich denke, es ist die höchste Zeit, daß wir ernstlich beraten, was wir thun müssen.«

» Diantre! die braunen Halunken mit guten Flintenschüssen empfangen,« schrie Papa Carcadou, seinen Becher auf den Tisch schlagend. »Eine tüchtige Kartätschensalve aus unseren Kanonen und dann auf sie mit gefälltem Bajonett!«

»Wie,« fragte der Graf, »Sie haben eine Kanone hier?«

»Maschallah! wo kommen Sie her, Kolonel, daß Sie noch nicht im Gebirge davon gehört haben? Das ist es ja eben, was uns die Spitzbuben bisher vom Halse gehalten hat. Sie haben einen höllischen Respekt vor der Kanone des Matadreo, wenn sie auch kein Vierundzwanzigpfünder ist, wie wir sie vor Constantine brauchten, um die Bresche in die verteufelten Felsenmauern zu schießen!«

»Wir haben eine kleine Kanone auf dem Dach des Hauses,« berichtete auf den fragenden Blick des Obersten der Ansiedler. »Es ist ein altes Rohr, das man uns im Fort als unbrauchbar überlassen und das El Matadreo, unser Freund und Gefährte in der Wildnis, mit einer besonderen Einrichtung zum Gebrauch versehen hat. Ich werde sie Ihnen nachher zeigen. Jetzt, denk' ich, drängt es uns, einen Entschluß zu fassen über das, was wir thun wollen. Denn allerdings muß ich gestehen, daß alles, was Jacques bemerkt haben will, mich unruhig macht.«

Der Farmer mit seiner Frau wären es noch weit mehr gewesen, wenn sie gewußt hätten, daß die Nachrichten von dem beabsichtigten Angriff von der Schwester des Scheik der Beni Mezab selbst herrührten. Dies aber hatte der junge Mann, wie sein ganzes Liebesverhältnis, verschwiegen und auch die Reisenden gebeten, nichts von der Anwesenheit des Araber-Mädchens zu sagen. Dem Ansiedler gegenüber hatte er angegeben, seine Nachrichten von einem Sklaven des benachbarten Stammes erhalten zu haben.

»Können wir nicht einen Boten nach dem Fort schicken, um den kommandierenden Offizier von unserer Lage in Kenntnis setzen und eine Eskorte erbitten zu lassen?« fragte die Dame.

»Ich habe selbst schon daran gedacht,« meinte der Ansiedler, »aber wenn die Tuaregs einen Überfall beabsichtigen, ist das Fort mindestens ebenso bedroht, wie wir. Man muß unsere Landsleute auf alle Fälle warnen. Aber wie? Wir werden hier keiner Hand entbehren können!«

»Ich will gehen! Sacre Dieu! ich verstehe mich auf solche Expeditionen!«

»Ihr seid toll, Papa Carcadou,« sagte lachend der Farmer. »Euer Mut reißt Euch fort, aber Euer Stelzbein würde ein schlechter Botengänger sein. Nein, ich weiß nur einen, der paßt.« –

»Das bin ich, Renaud, ich will gehen!« sagte unruhig die junge Frau.

»Nichts da, Mariette! Pierre soll den Weg machen. Er ist alt genug, um auch das Seine zu thun, wenn es gilt. Er ist bereits mehrmals im Fort gewesen!«

»Um der heiligen Jungfrau willen, was willst Du thun, Renaud,« bat die Frau. »Bedenke, er ist ein Kind und bei Nacht den weiten Weg! Die Feinde könnten ihm auflauern.«

»Er ist schlau genug, ihnen aus dem Wege zu gehen und sich nicht fangen zu lassen!«

»Aber er kann den wilden Tieren begegnen, die des Nachts umherschleichen. Du weißt, daß vor drei Tagen in den Bergen ein grauer Löwe gesehen worden!«

»Ei Mutter, was fürchtest Du,« sagte munter der Knabe. »Ich werde den Herrn Johann, den Sohn Johanns grüßen und ihn bitten, mir aus dem Wege zu gehen. Er wird einem Knaben so wenig wie einer Frau ein Leides thun.«

Der Glaube der Eingeborenen, daß der Löwe, der König der Wüste, Weiber und Kinder verschont, wenn sie ihm furchtlos entgegengehen, ist allgemein. Man hat arabische Frauen dem Löwen ein geraubtes Kalb oder Schaf entreißen und ihn mit den bittersten Schimpfreden haranguieren gesehen, ohne daß er etwas anderes that, als beschämt vor der keifenden Zunge das Weite zu suchen.

»Er steht in Gottes Hand, und es muß sein!« entschied der Hausherr. »Pierre, mache Dich fertig zu dem Wege, und Sie, Herr, schreiben vielleicht einige Zeilen, die wir dem Knaben mitgeben können.«

Der Oberst war sogleich bereit dazu und bediente sich des Reise-Etuis der Marquise, indes diese die arme Mutter in ihrer Angst um den Knaben zu beruhigen suchte.

»Versteh' mich wohl, Bursche,« sagte der Ansiedler. »Unser aller Leben hängt vielleicht davon ab, daß Du mit heiler Haut und rasch in das Fort kommst. In zwei Stunden kannst Du dort sein, wenn Du keinen Aufenthalt hast. Ich gebe Dir diese Pistole mit, denn eine Flinte würde Dich zu sehr belasten, obschon ich weiß, daß Du sie zu brauchen verstehst. Aber benutze sie nur im äußersten Notfall und verlaß Dich auf Deine Beine und Deine Schlauheit. Du hast Dein Feuerzeug bei Dir?«

»Ja, Vater!«

»Gut, es ist für die wilden Tiere, wenn sie Dir in den Weg kommen. Nun gilt es vor allem, daß Du ungesehen aus dem Gehege kommst und die Berge erreichst; denn wenn sie einen Überfall beabsichtigen, haben sie vielleicht schon einen Aufpasser in der Nähe, und er würde sofort wissen, was Dein Ziel ist und Dir mit seiner Flinte den Weg ersparen!«

»Laß mich nur machen, Vater! Ich weiß schon, wie ich den Hügel hinunter komme, ohne daß man mich aus dem Thor gehen sieht!«

»Du bist ein braver Bursche,« sagte der Oberst, »und hier ist Dein Brief. Überbringst Du ihn glücklich, so sollst Du nicht vergessen werden, wenn wir aus dieser Klemme kommen!«

» Yes, yes!« lispelte der Kapitän, »ich wette zehn Pfund, sie werden ihm den Hals abschneiden, oder eine Hyäne wird ihn unterwegs auffressen. Es muß ein interessantes Schauspiel sein, einen fetten Jungen bei lebendigem Leibe fressen zu sehen. Wirst Du sehr schreien dabei, mein Kleiner?«

» Fi donc! Sie sind abscheulich, Kapitän. Wer wird gleich immer das Schlimmste denken!«

Die arme Mutter hatte laut aufgeschrieen und den Knaben weinend ans Herz gedrückt; der Ansiedler aber begnügte sich, dem würdigen Philanthropen einen finstern Blick zuzuwerfen, und nahm den Knaben bei der Hand.

»Komm, Pierre! Wir dürfen keinen Augenblick zögern, Dein Weg ist weit. Gott wird über Dir wachen, und der Segen Deines Vaters ist mit Dir. Mach' dem Jungen das Herz nicht schwer, Frau, es läßt sich nicht ändern!«

Der Invalide war zwischen sie getreten. Der Knabe war sein besonderer Günstling, aber er unterdrückte mit Gewalt sein Gefühl. »Was ein guter Soldat werden will, muß sich bei Zeiten an einen Nachtmarsch gewöhnen! Aber es ist besser, wenn ich den Jungen hinausbegleite. Du kannst unterdes den Herren hier unsere Verteidigungsanstalten auf dem Dach zeigen. Wenn ein Späher in der Nähe ist, werden seine Augen dadurch abgelenkt werden.«

Der Knabe hatte die Pistole in den Strick gesteckt, der seine Blouse zusammenhielt, und den Brief in die Tasche. Seelenvergnügt darüber, daß er zu dem Dienste auserlesen, nahm er sich kaum Zeit, Mutter und Vater die Hand zu reichen, und eilte durch die Thür ins Freie. Der alte Zuave humpelte ihm nach.

Die arme Frau hatte sich auf eine Kiste gesetzt, die ihren kleinen Wäschevorrat enthielt, und weinte bittere Thränen, der Ansiedler aber lud den Obersten und den Engländer ein, mit ihm die Leiter im Winkel hinauf aufs Dach zu steigen.

Draußen traf der Knabe auf den Jäger Jacques, der es übernommen hatte, einstweilen in der Ansiedelung die Wache zu halten, um zu sehen, ob sich auch nichts Verdächtiges zeige. Mit triumphierender Miene unterrichtete er ihn von dem Auftrag, der ihm geworden, und ließ sich noch einige Fingerzeige über den Weg nach dem Fort geben, denn der Jäger kannte in der Ansiedelung am besten die Umgegend.

»Und nun, Papa Carcadou, Adieu,« sagte der kleine Bursche, »dreht Euch um, und Ihr sollt sehen, daß ich Euch zwischen den Beinen verschwunden bin, wie ein Wiesel, und Ihr selber nicht wißt, wo ich hingekommen bin.«

Der alte Mann aber faßte ihn bei der Schulter. » Pest! Du hast ja gewaltige Eile, mein Junge! ich sehe, Du wirst einen tüchtigen Zuaven abgeben und so die Ehre der Familie retten, da Jacques nun einmal ein lumpiger Jäger bleiben will. Aber warte noch einen Augenblick. Hier, nimm das und binde es um Deinen Hals, es ist ein Talisman, den ich von einer alten Hexe von Jüdin in Bona gekauft habe und der vor den Kugeln und anderm Unglück schützt. Ich hab' ihn zwanzig Jahre lang getragen und würde ihn nicht weggeben, wenn Du's nicht wärst!«

»Aber ich denke, Papa Carcadou,« sagte der Junge nickend, indem er sich das an einer Hanfschnur befestigte Säckchen umbinden ließ, auf dessen Zauberkraft der in allen andern Stücken sehr ungläubige Zuave wie alle seine Kameraden fest vertraute, »Ihr seid trotz Eures Talismans von Hieben und Kugeln zerfetzt genug!«

»Schweig, Naseweis, eine tüchtige Wunde ist ein notwendiges Ehrenzeichen für einen alten Soldaten. Ich meine nur eine Kugel oder einen ihrer verfluchten Lanzenstiche, die ins Leben gehen. Aber beruhige Dich, mein Junge, Etienne Carcadou, Korporal in der vierten Kompagnie des ersten Regiments verpfändet Dir sein Ehrenwort, daß, wenn Dir ein Unheil passieren sollte, er zehn solcher braunen Halunken dafür zur Hölle schicken wird, wo es beiläufig gesagt, nicht viel heißer sein kann, als in ihrem vermaledeiten Lande. Und wenn – aber zum Teufel, Jacques! wo ist denn die Satansbrut hingekommen? – ich hatte sie doch eben noch unter den Händen.«

Der Jäger lachte, er hatte gesehen, wie der Knabe sich auf den Boden geworfen und auf dem Bauch fortgekrochen war, bis er sich durch eine Spalte in der Umzäunung zwängte und so die äußere Seite des Hügels erreichte.

Brummend und scheltend humpelte der Invalide zurück ins Haus, die Sorge verbergend, die ihm das gutmütige Herz bedrückte.

Unterdes hatte Renaud die beiden Begleiter der Marquise auf das Dach geführt. Einzelne Einschnitte in der Balustrade gestatteten den Verteidigern ein geschütztes Feuern auf die Umgebung. Die Front des Hauses und den Eingang der Umzäunung beherrschend, aber auf einer sehr bequem eingerichteten Lafette auch leicht nach jedem andern Punkt zu bringen, fand der Graf ein kleines altes Geschütz aufgestellt. Bei näherer Untersuchung bemerkte er, daß die Schwanzschraube abgeschnitten und durch eine eigentümliche Vorrichtung ersetzt war, die, wie der Ansiedler berichtete, gestattete, das Geschütz von hinten zu laden. Wie Renaud ihm ferner mitteilte, war dasselbe bis zur Mündung mit Flintenkugeln, Steinen und Eisenstücken gefüllt, so daß die Furcht der Araber vor dieser Verteidigungsmaschine allerdings sehr gerechtfertigt erschien. Zwei ähnliche Ladungen lagen neben dem Geschütz bereit.

Der Graf war nicht wenig erstaunt, hier so eigentümlich das Problem gelöst zu finden, um das die französischen Artilleriewerkstätten schon so lange sich den Kopf zerbrochen hatten und nahm sich vor, die Kanone bei gelegenerer Zeit genauer zu betrachten.

Sie waren jetzt, bis auf den Jäger, alle wieder im Flur versammelt und gingen an das Geschäft, ihre Waffen zu untersuchen, die Munition zu ordnen und für den Fall eines Angriffes die Wachen zu verteilen. Die Zeit von zehn bis ein Uhr wollte der Ansiedler, dann der Invalide die Wache außen oder auf dem Dach des Hauses halten. Der Kolonel erbot sich, mit den Dienern daran teil zu nehmen, aber Renaud bestand darauf, daß sie nach der anstrengenden Reise des Tages die Ruhe suchen sollten, da sie ohnehin zu wenig mit den Erscheinungen der Wildnis vertraut waren, um hierbei von wirklichem Nutzen sein zu können.

Sie waren jetzt acht kampffähige Männer in der kleinen Farm, und Mariette hatte bereits bewiesen, daß sie in der Gefahr gleichfalls für einen Mann gezählt werden durfte. Selbst die Marquise bemühte sich, ihre geheime Furcht zu verbergen und sich den Anschein zu geben, als sei ihr die Gefahr willkommen. Sie prahlte mit ihrer Fertigkeit im Schießen und verlangte ihren Anteil am Kampf, wenn es wirklich so weit kommen sollte.

Kapitän Peard machte seine Betrachtungen, wie viele Araber wohl mit einer Ladung des kleinen Geschützes erlegt werden könnten und bedauerte, daß er bis jetzt nicht Gelegenheit gehabt habe, darüber Erfahrungen zu sammeln.

So war eine Stunde vergangen, als plötzlich die Hunde draußen anschlugen, und man das Wiehern eines Pferdes hörte.

Die Thür des Hauses öffnete sich, noch ehe die Bewohner Zeit gehabt hatten, eine Bemerkung zu machen, und in dem Dunkel, nur von der Flamme des Kamins beleuchtet, zeigte sich die hohe Gestalt eines Arabers auf der Schwelle, in einen weißen wallenden Burnus gehüllt.

Die Marquise that einen lauten Schrei, die Männer sprangen auf und griffen nach den Waffen, als eine ruhige und klangvolle Stimme mit den tiefen Tönen der Eingeborenen den Gruß sprach: »Dif Erbi!« das heißt: »Ein Eingeladener Gottes.«

Der Araber, ohne seinen Blick auf die anderen Mitglieder der Gesellschaft zu richten, nickte stolz und einfach dem Wirt des Hauses zu und trat in den Flur. Er war anscheinend ohne jede Waffe: hinter ihm sah man das blasse und erschrockene Gesicht des jungen Jägers in dem Rahmen der Thür auftauchen.

Der Araber schritt langsam auf den Tisch zu, auf dem noch zum Teil die Reste des Mahles standen, brach ein Stück von dem Maiskuchen ab, den Mariette aufgetragen, tauchte es in Salz und aß es.

Mit diesem Zeichen des Friedens hatte er sich unter den heiligen Schutz der Gastfreundschaft gestellt. Dann sah er ernst und fragend auf den Ansiedler.

Dieser stand noch immer in der höchsten Verwunderung unbeweglich da. Endlich faßte er sich und begriff, daß der Gast noch auf seine Antwort wartete.

»Marsaba – bick! Du bist willkommen. Setze Dich und nimm, was mein Haus Dir zu bieten vermag,« sagte er.

Die Hausfrau, anfangs zum Tode erschrocken, war jetzt hastig und hocherfreut näher getreten, indem sie dem seltsamen Besuch beide Hände entgegen streckte. »Willkommen, willkommen, Hassan!« sagte sie herzlich. »O, ich wußte es ja, daß Du nicht unser Feind sein konntest und die bedrohen, unter deren Dache Du genesen bist. Nimm Platz, edler Scheich, ich will sogleich frischen Kaffee für Dich bereiten.«

Der Araber winkte abwehrend, ohne die dargebotene Hand zu berühren. Dann nahm er Platz auf der Bank. »Die Herrin des steinernen Zeltes,« sagte er, »ist stets besorgt für ihre Freunde. Der junge Scheich der Mezab bedarf der Speise und des Trankes nicht. Wenn er zu seinen Freunden kommt, ist er gewohnt, daß man ihn nicht mit den Waffen in der Hand empfängt.«

» Diantre!« rief der Invalide, »eine gute Flinte mit einem tüchtigen Haubajonett ist der beste Freund, den man haben kann!«

Der Scheich zuckte leicht die Achseln. »Mein Vater mit dem großen Mund und der tapfern Hand hat es an sich erfahren, daß die Bajonette der Franken vor den Kugeln und dem Yatagan nicht immer schützen. Der Matadreo ist nicht in dem Hause der Seinen?«

»Wie Du siehst, Scheich, nein.«

»Aber man erwartet ihn. Ich habe das Zeichen an der Schlucht des Udschah gefunden, daß man seiner bedarf.«

Die Ansiedler sahen sich etwas betroffen an, denn die Deutung jenes Zeichens, das Jacques gegeben, war nur den Familien-Mitgliedern bekannt.

Der junge Mann war übrigens hinter dem Scheich in die Küche getreten und hatte still am Eingang Platz genommen, die Flinte zwischen den Füßen. Er kannte genugsam die Sitten der Araber, um zu wissen, daß während der Anwesenheit des Scheichs nicht das geringste für die Ansiedlung zu fürchten war. Er war auffallend unruhig, denn sein Gewissen flüsterte ihm allerlei Deutungen über die Ursache des Besuchs des Bruders seiner Geliebten zu.

Es war in der That der Bruder Zelas, der junge, aber nicht bloß unter den Stämmen der Wüstengrenze, sondern der ganzen Aghazlia, des Ziban und des Aulâd Nail hochberühmte Scheich der Beni Mezab, von den Franzosen nicht ohne Argwohn und Besorgnis betrachtet, weil er sich der nahen Verwandtschaft mit ihrem jetzt beseitigten großen Feinde Abdel-Kader rühmte und aus seinem Haß gegen die fremden Eroberer gar kein Hehl machte.

Der Scheich konnte etwa sechsundzwanzig Jahre zählen und war von mittelgroßer schlanker Gestalt, jedes überflüssigen Fleisches bar, nur Haut und Muskeln, wie die gerühmten Renner seiner Heimat. Er hatte die Kapuze seines weiten Burnus von weißem Filztuch zurückgeworfen und zeigte unter dieser den kleinen Kopf mit dem geschorenen Haar, der durch ein seidenes grünes Tuch turbanartig umwickelt war. Seine Züge waren intelligent, die Nase groß und schmal und das schwarze Auge selbst in seiner gewöhnlichen Ruhe stolz und funkelnd. In der erregten Leidenschaft mußte sein Ausdruck furchtbar sein. Er trug einen großen schwarzen Bart um Kinn und Wangen, aus dem die weißen Zähne leuchteten. Bei der Öffnung des Burnus zeigte sich seine Brust in eine reich mit Gold gestickte türkische Weste von grünem Stoff gekleidet, während ein Shawl von roter tunesischer Seide das weiße Araberhemd und seine schlanke Taille über den breiten Hüften umschloß. Keine Waffe irgend einer Art steckte in diesem Gürtel, der sonst ein ganzes Arsenal von Pistolen, Dolchen und Yatagans zu enthalten pflegt. Seine Hand, die er zuweilen langsam während seiner Rede vorstreckte, war überaus schmal und klein.

Seine Geschicklichkeit in den Waffen, sein Mut und seine Tapferkeit als Krieger und Jäger waren berühmt und selbst von seinen Feinden anerkannt. Er selbst erkannte nur einen Menschen in diesen Dingen als seinen Meister; das war der Matadreo, der Löwentöter, der ihm das Leben gerettet, und deshalb liebte und haßte er ihn zugleich.

Der junge Scheich hatte die Fremden bisher noch keines Blickes gewürdigt, jetzt aber ließ er sein dunkles Auge langsam über die verschiedenen, ihn mit Neugier betrachtenden Gruppen laufen und es einige Zeit auf dem Gesicht der Dame haften, deren scharfe orientalische Züge seine besondere Aufmerksamkeit zu fesseln schienen, und setzte dann das Gespräch fort.

»Meine Freunde von jenseits des Meeres haben Fremde in ihrem Hause, aber ich vermisse eines ihrer eigenen Glieder, die Freude der Mutter, ihren Erstgeborenen. Will er nicht kommen und seinem Freunde Hassan die Hand reichen, der gern sein lockiges Haar streichelt?«

»Der Knabe schläft schon, er war müde von der schweren Arbeit,« sagte die Frau mit rascher Geistesgegenwart.

Ein flüchtiges Lächeln glitt über das dunkle Gesicht des Arabers, aber er besaß zu sehr die orientalische Höflichkeit, um den geringsten Zweifel merken zu lassen. Er sann einige Augenblicke nach, dann richtete er sein Auge wieder ernst auf den Hausherrn, der ihm unterdes eine gestopfte lange Pfeife gebracht und den Tabak angezündet hatte.

Der Scheich that einige Züge, dann sprach er weiter. »Maschallah! Hassan und der Rotbart sind Freunde. Deshalb ist der Scheich der Mezab gekommen, ihm einen Vorschlag zu machen.«

»Sprich! ich bin bereit, Dich zu hören.«

»Ich sehe jetzt acht Krieger in dem Hause meines Freundes,« fuhr der Araber fort, »aber auch zwei Frauen und drei Kinder. Die acht Krieger der Franken, wenn sie noch so tapfer sind, können nicht den tausend Kriegern widerstehen, die die Wüste und das Gebirge senden kann.«

»Aber die Regierung lebt in Frieden mit den Stämmen, wir sind Freunde!«

»Der Thuareg,« sagte der Araber stolz, »wird nie der Freund der fränkischen Nation sein. Die Duars der Fremden sind ihm zu nahe an seinem Gebiet!«

Obschon die Unterhaltung bisher in der Sabir-Sprache, eine Art Lingua Franca, erfolgt war, die aus den verschiedenen Küstensprachen, Arabisch, Französisch, Italienisch und Spanisch, zusammengesetzt und mit den beliebigsten Variationen im ganzen Orient zum gegenseitigen Verständnis gebraucht wird, so hatten doch auch die Fremden beinahe alles begreifen können. Die unverhohlene Erklärung des Scheich machte daher allgemeinen Eindruck, und es erfolgte ein längeres Stillschweigen, das erst von dem Araber wieder gebrochen wurde.

»Hassan El Mezab,« sagte er, »ist gekommen, den Rotbart und seine Freunde zu bitten, ihre Wohnung wieder zu ihren Brüdern jenseits des Meeres zu verlegen. Er ist kein reicher Mann, denn was er besitzt, gehört seinen Brüdern, den Ahl-el-Wabars, Zeltbewohner. aber er ist bereit, dem Rotbart seine Hausch abzukaufen. Er hat an diesem Morgen eine gute Jagd gehabt, und er ist bereit, ihm neunundzwanzig Häute des Delim Männliche Strauß. zu geben. Es waren ihrer dreißig, aber meine jungen Männer haben den letzten entkommen lassen, weil ihre Pferde müde waren, und er ist in die Hände der Fremden gefallen.«

Er wies mit der Hand nach dem Bündel Straußfedern, das die Marquise dem Jäger abgekauft und vor sich auf dem Tisch liegen hatte.

Das Anerbieten betrug demnach etwa 145 Douras, oder 725 Franken.

»Es thut mir leid, Hassan,« sagte der Ansiedler, »aber ich darf und mag mein wohlerworbenes Eigentum nicht aufgeben. Ich will auf dem Boden, den ich mit der Arbeit meiner Hände, in dem Schweiß meiner Mühen dieser alles Leben versengenden Sonne abgewonnen, mit meinem Weib, meinen Kindern und meinen Freunden endlich Ruhe gewinnen und ihn lieber mit meinem Blute verteidigen, als ihn verlassen. Jeder Mensch liebt und verteidigt sein Eigentum.«

»Und glaubt der Rotbart,« sagte der Scheich rasch, »daß der Araber weniger daran hängt, als der Franke, der über das Meer gekommen, um ihm das Erbe seiner Väter zu rauben?«

» Diantre! das Land ist unser durch das Recht der Waffen, das weißt Du so gut wie ich, Araber,« schrie der alte Zuave dazwischen. »Zum Teufel, für was hätten wir denn unser französisches Blut vergossen, wenn wir nicht einmal auf unserm wohlerworbenen Eigentum festsitzen könnten, statt es jedem braunen Landstreicher für ein Hundegeld wieder hergeben zu müssen, wenn's ihm beliebt!«

In dem ehernen Gesicht des jungen Scheich hatte sich keine Muskel verzogen bei der Beleidigung des alten Soldaten, nur seine dunklen Augen funkelten wie ein Dolchstoß, als er sich langsam erhob und vor den Invaliden trat.

» Le Balafré,« sagte er mit offenem Hohn, indem er sich des Beinamens bediente, den seine Kameraden in Erinnerung des Scottschen Romans dem alten Soldaten gegeben, »hat vierzig Mal den Mais ernten gesehen in diesem Lande, Zwei Ernten im Jahr, also zwanzig Jahre. und er sollte nicht wissen, daß Hassan, der Mezab, von Vätern abstammt, die Fürsten und Propheten waren, ehe man an den Stamm der Könige von Frangistan gedacht hat? Diese Fürsten waren die Herren des Landes vom Atlas bis zu dem Meere von Tunis. Le Balafré mag mir sagen, wer seine Väter waren, obschon er selbst auch ein Tapferer ist.«

Der alte Soldat brummte etwas von Bettlerehre und Zigeunern, aber er ließ sich auf keine direkte Erwiderung ein.

Der Araber wandte sich, nachdem er so mit allem den arabischen Familien eigenen Hochmut den Gegner aus dem Felde geschlagen hatte, zu dem Hausherrn zurück.

»Welches ist die letzte Antwort, die der Rotbart dem Scheich der Mezab giebt?«

»Ich kann und will mein rechtmäßiges Eigentum nicht verlassen.«

Der Araber trat zurück. »Es ist gut,« sagte er kalt. »Ich meinte es wohl mit Dir. In drei Stunden wird der Mond hinter den Gebirgen des Muzedsch versinken. Der Rotbart und sein Weib haben Zeit, wenn sie bis dahin das Haus verlassen wollen. Jene dort,« er wies auf die Fremden, »haben den Frieden gebrochen, sie haben auf dem Gebiet der Mezab, jenseits der Grenze, die die Willkür der Franken selbst gezogen, den Strauß gejagt gegen die Bestimmungen des Vertrages mit den Stämmen.«

Jacques trat vor. »Du irrst, Hassan,« sagte er eifrig, » ich bin es gewesen, der den Vogel erlegt hat, und ich habe Deine Erlaubnis, auch auf dem Gebiet der Mezab zu jagen.«

Der Scheich sah ihn an. »Deine Zunge ist zu jung, Freund Jacouf,« sagte er spöttisch, »um für Deine Landsleute zu lügen. Du weißt, daß Du willkommen bist in unsern Zelten, um mit den Schützen der Mezab den Strauß zu beschleichen, aber Hassan weiß sehr gut, daß Du kein Pferd hast, um den Vogel im Sande zu jagen und jene Federn sind rein von Blut.«

»Wenn wir Dein Gebiet verletzt haben, edler Scheich,« mengte sich hier der Graf in das Gespräch, »so ist es ohne unser Wissen geschehen. Wir haben alle Ursache, die Führer, die uns so weit geleitet, für Verräter zu halten, die uns absichtlich über die Grenze des französischen Gebietes gelockt haben, vielleicht, um uns räuberischen Beduinen in die Hände zu spielen. Dieser junge Mann hat uns zurückgeführt. Aber wir sind gern erbötig, ein Sühnegeld für die Verletzung Eures Jagdgebietes zu zahlen.«

»So weit der Speer Hassans des Mezab reicht,« sagte stolz der Scheich, »wagt es kein Thuareg der Wüste, die Hand gegen seinen Willen zu erheben. Möge die Dame aus Frangistan die Federn des Vogels als ein Geschenk behalten. Wenn sie jenseits des Aures sein will, ehe die Sonne aufgeht, wird Hassan ihr drei Häute des Delim mit den schönsten Federn als Geschenk nachsenden.«

»Sie sind galant, Herr,« mischte sich die Marquise ein, die bereits ungeduldig eine Gelegenheit, mit dem Scheich sich zu unterhalten, gesucht und die versteckte Drohung, die in seinen letzten Worten lag, nicht begriffen hatte. »Ich nehme mit Vergnügen das Geschenk an und werde mich zu revanchieren suchen. Überdies haben nicht wir den Strauß gejagt und erlegt, sondern eine Araberin, eine junge Dame, wahrscheinlich aus Ihrem eigenen Stamm, deren Bekanntschaft ich sehr gern gemacht hätte, wenn sie nicht durch eine Unbesonnenheit dieses Herrn da verscheucht worden wäre. Ich werde mir das Vergnügen machen, von Algier aus einen schönen goldgestickten Fez oder ein modernes Zuavenjäckchen für sie hierher zu senden.«

» Yes! yes! ich werde legen auch etwas bei!«

»Eine Araberin? Ein Mädchen?«

»Gewiß! Sie erlegte den Strauß sehr geschickt. Ihr vortreffliches Dromedar war so schnell und lenksam wie das beste Reitpferd.«

Erst jetzt sah die schöne Schwätzerin auf und bemerkte, daß sie wahrscheinlich Unheil angerichtet hatte, denn das braune Antlitz des jungen Scheich hatte sich mit dunkler Röte überzogen, und seine Augen funkelten wie zwei Kohlen, während seine Hand sich unwillkürlich an den Seidengürtel legte, in dem sonst der Yatagan und die Pistolen zu stecken pflegten.

Über seine Schulter hin traf das erschrockene Auge der Dame auf das Gesicht des jungen Jägers; es war totenbleich.

Der Araber stieß ein einziges Wort aus.

»Zela!«

Dann drehte er sich zu dem jungen Mann und schien ihn mit den Blicken durchbohren zu wollen. Dieser stand wie ein armer Sünder, der zum Hochgericht geführt werden soll, und wagte nicht die Augen aufzuschlagen.

Ein gewisser Schreck, Erstaunen und Spannung hatte sich aller Anwesenden bemächtigt, der Graf warf einen vorwurfsvollen und mißbilligenden Blick auf die Dame, die bereits ihre Unvorsichtigkeit erkannt hatte und eben im Begriff war, mit allerlei Entschuldigungen das Übel noch ärger zu machen.

Nur Mariette schien um das Geheimnis des jungen Mannes gewußt zu haben und war an seine Seite getreten, wie um ihn zu verteidigen.

Der Scheich that einen Schritt auf den Jäger zu, dann streckte er die Hand aus und legte ihm einen Finger auf die Brust.

»Gieb Antwort!«

»Sie lieben sich,« sagte die Frau mutig, »er hätte schon längst bei Dir um sie angehalten, Hassan, um sie zu seinem Weibe zu machen, obschon sie eine Heidin ist, wenn er sich nicht seiner Armut gescheut hätte, die ihn hinderte, Dir das bei Euch Arabern übliche Kaufgeld anzubieten.«

»Oh,« rief die Marquise erleichtert, »ich werde es zahlen, und wenn es zehntausend Franken sind.«

Der Scheich schien weder die Reden der einen noch der andern zu hören, sein Finger lag noch immer auf der Brust des jungen Mannes, sein sprühendes Auge auf seinem Gesicht.

»Du hast das Vertrauen Hassans, des Scheichs der Mezab, verraten,« sagte er langsam mit tiefer, gewaltsam gedämpfter Stimme. »Du hast das Blut des Propheten, das in meinen und ihren Adern rollt, geschändet! ich …«

Er konnte nicht weiter reden, ein Winseln der Hunde draußen, dann ein donnerähnliches Gebrüll, das die Mauern zu erschüttern schien, unterbrach seine Worte.

Der Ansiedler war aufgesprungen. »Gott sei Dank! da ist er!«

»Der Matadreo

Die Thür öffnete sich; eine hohe, in einen dunklen Kabylen-Burnus gehüllte Gestalt, die Kapuze weit über den Kopf geschlagen, in einer Hand die Büchse, in der andern zwei junge zappelnde und mit den Füßen zusammen gebundene Löwenkatzen, vielleicht ein bis zwei Monate alt, haltend, trat in das Haus.

Noch einmal erschütterte das vorhin gehörte Brüllen das Haus; es war, als wenn es aus dem Boden zwischen ihnen emporstiege; die Marquise schrie laut auf.

Dieser Schrei lenkte die Blicke des Matadreo auf sie. Er hob die Hand, er that hastig einen Schritt vorwärts, es war, als wollte er sie ansprechen; dann aber sank die Hand nieder, und er wandte sich um.

»Still, Cora! Nieder mit Dir!«

Die Worte, der Name galten nicht der fremden Dame, sondern einer großen Löwin, die in der Thür des Hauses stand und mit funkelnden Blicken und unheimlichen Bewegungen des Schweifes die vielen ihr unbekannten Personen betrachtete.

Er legte die Hand ihr auf den Kopf, die sie zärtlich leckte. »Ruhe! auf Deinen Platz und rühre Dich nicht!«

Die Löwin schritt still mit gesenktem Kopf mitten zwischen den Personen durch und streckte sich in dem Winkel neben dem Feuerherd nieder, wo ihr Auge nicht durch das Funkeln der Kohlen verletzt werden konnte.

Der Ansiedler, seine Frau, der Invalide und der junge Mann schienen mit der furchtbaren Begleiterin des Matadreo wohl bekannt; denn als sie an ihnen vorüberging, rieb die Löwin schnurrend das Fell an ihren Beinen oder ließ sich von ihrer Hand freundlich berühren. Nur die Marquise und ihre Begleiter wichen erschrocken zur Seite und selbst der Graf, obschon er sah, daß sie es mit einem gezähmten Tier zu thun hatten, konnte sich nicht enthalten, die Hand an seinen Revolver zu legen.

Erst nachdem die Löwin ruhig ihren Platz im Schatten eingenommen, kam die Gesellschaft dazu, die merkwürdige Erscheinung des Matadreo näher zu betrachten.

Dieser stand jetzt unbeweglich, das von dem Burnus immer noch verhüllte Haupt gesenkt, in der Mitte der Küche auf seine Büchse gestützt. Zu seinen Füßen wanden sich die beiden Löwen-Jungen, die er achtlos hingeworfen.

Obschon der dunkle Burnus seine ganze Gestalt umhüllte, sah man doch, daß sie groß und kräftig war. Er trug die roten Beinkleider der französischen Militärs und Stiefel von rohem, starkem Leder. Sein Oberkörper war in ein baumwollenes Jagdhemd gekleidet, das um die Taille von einem ledernen Gurt zusammen gehalten wurde. In diesem steckte die einzig sichtbare Waffe außer seiner Büchse, ein langer tunesischer Dolch mit breiter krummer Klinge und einem Griff von Elfenbein. Eine Tasche mit Schießbedarf und ein leinener Beutel für Brot hingen um seine Schulter.

Die ganze Erscheinung hatte etwas Wildes und Geheimnisvolles, wozu wohl hauptsächlich der Umstand beitrug, daß die Kappe des Mantels über den Kopf gezogen blieb und diesen so vollständig verhüllte, als hätte er eine Maske getragen.

Die Hauswirtin war wiederum die erste, die zu ihm trat und ihm die Hand reichte. »Sei willkommen, Du unser Freund und Beschützer, die Heiligen senden Dich gerade im rechten Augenblick. Du findest Fremde im Hause und uns in großer Besorgnis. Aber willst Du nicht vor allem etwas zu Dir nehmen. Du wirst hungrig und durstig sein! Jacques hat uns diese Fremden zugeführt, die sich im Gebirge verirrt, und Renaud hatte ihnen Hilfe und Beistand zugesagt!«

Die Anrede der Frau schien die Starrheit gelöst zu haben, die sich seiner bemächtigt hatte; ein tiefer Atemzug hob seine Brust.

Der Graf war vorgetreten. »Mein Herr,« sprach er höflich, »Sie sind, wie ich sehe, Franzose, also unser Landsmann. Ich würde sagen, daß ich mich aufrichtig freue, einem Mann zu begegnen, dessen Ruf selbst bis nach Paris gedrungen und der mit dem Gerards rivalisiert, wenn die Umstände unserer Begegnung nicht so drohender Natur wären, wie es der Fall ist. Ich bin der Graf Montboisier, Oberst außer Diensten, der mit seiner Reisegesellschaft für diese Nacht hier Unterkommen und Schutz gesucht hat, bis wir morgen Fort Randon oder ein Geleit nach der nächsten Station unserer Truppen erreichen können.«

Der Matadreo verbeugte sich mit der sichern Haltung eines Mannes von Bildung und berührte mit den Fingerspitzen leicht die dargebotene Hand.

»Sie sind willkommen, Herr Graf,« sagte er langsam. »Sie und Ihre Frau Gemahlin. Ich bin nur ein armer Jäger, aber mein eigenes Leben bürgt von diesem Augenblick an für Ihre Sicherheit!«

»Ich danke Ihnen, mein Herr, auch im Namen meiner Begleiter, obschon Sie sich in dieser Beziehung in einem Irrtum befinden.«

»Wieso?«

»Die Dame hier, die ich die Ehre habe, Ihnen als eine große Bewunderin Ihrer Heldenthaten und selbst als Jägerin, wenn auch nicht auf Löwen und Tiger, vorzustellen, ist nicht meine Gemahlin, sondern die Frau Marquise von Massaignac, die Gemahlin des Senators und Kammerherrn Seiner Majestät des Kaisers Louis Napoleon.«

Die Marquise, die sich von ihrem Schreck erholt, warf ihm ein reizendes Lächeln zu. »In der That, mein Herr,« sagte sie kokett, »Sie haben es verstanden, unserer Bewunderung für den berühmtesten Jäger Algeriens gleich die nötige Staffage zu geben. Ich gestehe, daß Ihre Begleitung mir nicht geringen Schrecken eingejagt hat, obschon dieses gefährliche Schoßhündchen, wenn ich recht gehört habe, sogar denselben Namen wie ich trägt.«

»Madame,« sprach der Matadreo langsam, und es war, als ob seine Stimme leise bei den Worten bebte, »brauchen keine Besorgnis zu hegen. Cora ist die Treue selbst und gehorcht meinem Willen. Wir lieben uns beide, und die Löwin der Wüste hat noch niemals ihren Freund, den Menschen getäuscht, was, wie man sagt, die schönen Damen von Paris zuweilen thun sollen.«

Die Löwin schien das Lob ihres Herrn zu verstehen, denn sie hob auf ihrem Platz den Kopf in die Höhe und stieß ein wohlgefälliges Knurren aus.

Auch auf die Dame schienen die Worte einen gewissen Eindruck gemacht zu haben. Sie führte unwillkürlich die feine weiße Hand an die Stirn, als tauche eine unklare Erinnerung in ihr auf, aber dies Gefühl verschwand alsbald wieder. »Monsieur Matadreo,« sagte sie kokett, »erlauben Sie nämlich, daß ich Sie mit diesem so berühmten Namen anrede, da uns Ihr anderer unbekannt ist, ich muß Ihnen sagen, daß ich bereits Ihren Bruder, jenen jungen und sehr romantischen Jäger zu meinem Ritter geworben habe, daß es mir aber eine noch größere Beruhigung sein wird, auch Ihren Schutz zu genießen, um so mehr, als unser Abenteuer sich anscheinend etwas verwickelt. Ich vertraue mich gänzlich Ihrer erprobten und berühmten Tapferkeit an!«

Der Löwentöter beantwortete die leichtfertige Koketterie, die sie selbst in dieser Stunde drohender Gefahr nicht zu unterdrücken vermochte, nur mit einer stummen Verbeugung, dann wandte er sich zu dem Ansiedler und wies auf die jungen Löwen.

»Nimm diese Brut fort, Renaud, und gieb ihr ein Lager und die Nahrung, die ihnen die grimmige Mutter nicht mehr geben wird, aus deren Nest ich sie holte. Ich werde sogleich mit Dir sprechen. Zuerst habe ich mit Hassan, dem Mezab, ein Geschäft.«

Er wandte sich zu dem Scheich, der bisher schweigend mit zusammen gezogenen Brauen gestanden und die Scene beobachtet hatte.

Der Matadreo reichte ihm die Hand. »Sei willkommen, edler Scheich, unter dem Dach der Fremden, Deiner Freunde! Möge nie die Wolke des Zwistes zwischen ihnen und Dir sein. Dein Auge blickt finster, und ich hätte doch eine Bitte an Dich.«

Der Scheich hatte seine Hand berührt. »Der tapfere Franke möge sprechen. Er, der dem Löwen, ohne mit der Wimper zu zucken, ins Auge sieht, weiß, daß Hassan el Mezab sein Freund ist und alles, was er besitzt, ihm zu Gebote steht.«

Der Löwentöter nickte. »Ich kenne Deine offene Hand, aber ich bedarf nicht Deiner Güter. Was ich von Dir erbitte, ist etwas Schweres für Dich, und es wird Deinem Herzen Überwindung kosten, mir die Gabe zu bewilligen!«

»Der Koran spricht: Je schwerer die Überwindung, desto größer das Verdienst. Hassan el Mezab verdankt dem Matadreo sein Leben und als der Löwe, der auf seiner Brust stand, von der Kugel des tapfern Franken getötet wurde, hat er geschworen, sein Schuldner zu sein und diese Schuld zu lösen. Der Scheich, der Mezab, hat nichts, was er nicht gern seinem Freunde darbieten würde, und wäre es selbst Rati, seine Lieblingsstute, mit den geflügelten Füßen.«

»Auch Deine Schwester Zela?«

Der Scheich fuhr zurück, die Falten auf seiner Stirn wurden noch finsterer.

»Was willst Du damit sagen? El Matadreo verachtet die Weiber, wir haben oft genug zusammen gejagt, so daß ich es wissen kann!«

»Es darf kein Trug zwischen uns sein, edler Scheich,« sagte der Löwentöter. »Ich habe heute Mittag an den drei Steinen der Wüste etwas gesehen, was mich bewegt, offen mit Dir zu sprechen. Dieser junge Mann, mein Bruder, hat hinter Deinem und meinem Rücken ein Liebesbündnis angeknüpft mit Deiner Schwester Zela, der Taube der Wüste. Es ist geschehen und nicht mehr zu ändern. Es bleibt mir nur ein Weg, ihn vor Deinem gerechten Zorne zu retten. Wir sind zu arm, Dir das Brautgeld zu bieten, das die Tochter Deines Geschlechts verdient. Deshalb werfe ich das kleine Verdienst, das ich mir durch einen glücklichen Zufall um Dich erwerben konnte, in die Wagschale und bitte Dich, dafür Zela meinem Bruder zu geben!«

Der Scheich sah finster auf den Boden, es kämpften offenbar gewaltige Leidenschaften in seiner Brust.

»Das Blut Zelas stammt aus den Adern Omars. Du weißt nicht, Franke, was Du verlangst.«

»Ich weiß es; deshalb allein erinnerte ich Dich an jenen Schuß.«

»Sie ist eine Gläubige und Dein Bruder, der Dieb, ist ein Giaur!«

»Mein Bruder ist kein Dieb, sondern nur ein Verliebter, der vergessen hat, was er der Ehre schuldig war. Die Ehen zwischen Christen und Eingeborenen sind nichts Ungewöhnliches in diesem Lande. Wir glauben alle an einen Gott.«

Der Scheich stand schweigend, alle sahen mit höchster Spannung auf ihn.

Plötzlich erhob er den Kopf, seine dunklen Augen schossen einen Blitz auf den Löwentöter und rollten dann mit düsterem Triumph über den Raum des Hauses hin.

»Hassan el Mezab, der Sohn Nadurs, des großen Scheichs der Wüste, hat noch niemals sein Wort gebrochen. Er gab es dem Matadreo. Wird die Schuld Hassans gegen ihn als gelöst betrachtet, wenn er sich verpflichtet, ihm seine Schwester Zela morgen, wenn die Sonne im Mittag steht, als Eigentum zu geben? Er möge es wohl bedenken, daß die Mezabs dann frei von jeder Verpflichtung gegen ihn sind.«

»Der junge Mann dort ist mein Bruder, er ist das einzige, was meinem Herzen geblieben ist. Ich habe gelobt, für sein Glück zu sorgen. Ich gebe Dir Dein Wort zurück, wenn Du ihm Zela, Deine Schwester, giebst.«

»Er soll sie haben, bei dem Grabe Nadurs, unsers Vaters, der im Kampf gegen die Franken fiel! Morgen, wenn die Sonne im Mittag steht, mag er sie holen, wenn er es kann. Die Braut wird den Bräutigam erwarten, allein, ohne ihre Verwandten, an den sieben Palmen zwischen hier und der Festung der Franken. Nichts soll an ihrer Mitgift fehlen.«

»Ich kenne den Ort, und die Seinen werden ihn begleiten, damit das Mädchen nicht verlassen einziehe in ihr neues Haus. Ich danke Dir, Hassan, Du hast edelmütig gehandelt.«

»Danke nicht zu früh, Matadreo! Du hast einen schlimmen Handel gemacht. Von nun an sind Hassan und Matadreo nur noch der Araber und der Franke. Möge Dein Gott Dich schützen! Die Mezabs haben keine Pflicht mehr gegen Dich!«

Er wies mit einer stolzen Bewegung Jacques zurück, der ihm tausend Dank und Beteuerungen aller Art ausdrücken wollte, dann hüllte er sich in seinen Burnus und wandte sich nach dem Ausgang. Auf der Schwelle blieb er stehen, faßte den Zipfel seines Gewandes und bewegte ihn, als wolle er den Staub dieses Hauses von sich schütteln; im nächsten Augenblick war er verschwunden.

Es folgte dem plötzlichen Scheiden des Scheichs eine Pause, die endlich von der Stimme der Marquise unterbrochen wurde.

»Lassen Sie mich Ihnen gratulieren, Monsieur Jacouf,« sagte sie munter. »Es giebt also morgen eine Hochzeit; wir wollen sie im Fort feiern, und ich verspreche Ihnen selbst dabei zu tanzen und für die Aussteuer zu sorgen!«

»Renaud,« unterbrach sie die ernste Stimme des Matadreo, »ist alles zum Kampf bereit?«

»Ja, mein Bruder.«

»Um Himmelswillen,« rief die Dame, als sie sah, wie die Hausfrau die beiden Gewehre von der Wand nahm und die Hähne hob, um die Pistons mit Zündhütchen zu versehen, »Sie denken doch jetzt nicht an Überfall und Gefahr, wo der Araber eingewilligt hat, seine Schwester Ihrem Bruder zu verheiraten!?«

»Wie viel Zeit, Renaud, hat der Scheich Euch gegeben?«

»Drei Stunden!«

»Wohl denn, Madame! in drei Stunden werden wir den Schlachtruf der Thuaregs um diese Mauern hören. Ich wußte bereits, eh' ich hierher kam, daß sie den Überfall der Grenz-Ansiedelungen beschlossen hatten, und eh' die Stunde da ist, die Braut von den sieben Palmen zu holen, wird mancher Mann sein Herzblut vergossen haben!«



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