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Eustache Graf
zu Plater-Syberg
an
Fritz Reck-Malleczewen.

Mein lieber Reck!

Sechs Jahre ist es her, daß ich Sie alten camelot du roi in München sah, sechs Jahre, daß ich gegen verlegerische Indolenz an meinem sehr bescheidenen Teile Ihrem leider noch immer einzigen Drama die Wege ebnete. Und dann erreichte mich Ihr Brief mit seinen Bekenntnissen von Europamüdigkeit und Resignation, dieser Brief, in dem Sie mir ein resigniertes Buch verhießen. Und nun, da dieses Buch vor mir liegt: mein lieber alter Junge, wo denn ist Ihre Resignation, Ihre Müdigkeit? Jung und stark wie je eines von Ihrer Hand ist es, und ich hoffe, Afrika wird Ihnen inzwischen die letzten Gedanken von Europaflucht verscheucht haben!

Lassen Sie sich nicht düpieren von Ihren Zeitgenossen, alter Kampfgenosse! Daß Sie von Ihren deutschen Literaten, den Hornbrillenträgern, diesen hoffnungslosen Seelen-Uhrmachern für einen Kriminalromancier gehalten werden, weil Sie Tempo und Schwung haben, weil Ihre Figuren nicht schwatzen, sondern handeln: das, lieber Reck, gehört zu Ihnen, legitimiert Sie vor den wenigen besinnlichen Kritikern der Zeit. Denn der große Epiker – beherzigen Sie das auch in Zukunft – spricht ja nicht aus, was er denkt: er verschwindet hinter seinen Werken. Ja, sagen Sie mir, wo in diesem Roman von Lucien de Rubempré etwa Balzac, wo in der Novelle der »Tollen Männer« Ihr großer Lehrmeister Stevenson zu entdecken wäre?

Erzählen können heißt verschweigen.

Sich selbst vor allem verschweigen! Denke ich aber an Sie, der so bitter mit leidet mit der großen gegenwärtigen Not von Mensch, Landschaft und Kreatur ... sehe ich dann Ihre Bücher an, wo Sie so blasiert, als ginge das alles Sie nicht an, im Klubsessel gewissermaßen von den Gotteswegen Ihrer Figuren erzählen: dann weiß ich, daß Sie in Deutschland, wo die Kunst des Erzählens nie zu Hause war, einer der ganz wenigen sind, die die einsame, die wundervolle Gabe des großen Epikers besitzen. –

Wie, man verkennt Sie? Man sieht nicht Ihren bäurisch unbeirrten Glauben an die reinigende Kraft der Landschaft? Man schilt Sie einen düsteren Pessimisten, weil Ihre Figuren statt auf den Polstern eines Rolls-Royce-Wagens immer auf dem Schüdderump, auf dem Pestkarren Ihres seelischen Nährvaters Raabe zu Gott gefahren werden?

Lieber Reck, wenn es in Ihrem armen, abgehetzten Lande wirklich so ist: was ficht Sie es an?

Weil Sie von Schneiderinnen und Droschkenkutschern mißverstanden werden, weil man an Ihnen gar den aus Amerika nun auch bei Ihnen eingeschleppten groben Unfug des »happy end« vermißt: deswegen wollen Sie vereinsamen? Es leben trotzdem, mein lieber Junge, in Europa noch ein paar tausend letzter Menschen, die wissen, daß es nur ein einziges happy end gibt: nämlich aus dem ganzen, zum Tode verurteilten Spuk von Verniggerung und Mechanisierung seine Seele retten. Auch um den Preis des physischen Sterbens!

Sie aber, der aus der Erde gekommene und im Boden wurzelnde Junker, Sie lieben unsere Zeit nicht. Und wenn Sie sie lieben, so lieben Sie sie mit Ihrem ganzen gigantischen Hasse. Wollen Sie sich da wundern, wenn Ihre »Smokingbesitzer«, wenn diese armen Lakaien, die vor herabgebrannten Lichtern an abgegessener Tafel heute Gesellschaft spielen: wenn dieses offizielle Europa sich Ihnen verschließt, Zauberberge erklimmt, statt in jene Katakomben hinabzusteigen, in denen, wie einst die ersten Christen, Ihre letzten Menschen wohnen?

Sie aber wissen um den gigantischen Kampf zwischen Landschaft und Technik, zwischen Maschine und Seele. Wie kaum einer kennen Sie, der Weltenwanderer, die wundervollteuflischen Mechanismen der Weltstädte, das Verdorren und die Sehnsüchte ihrer Menschen. Ja, bleiben und werden Sie das, was Sie sind: der großen Städte Epiker.

Sie alter Raubritter werden ja doch frühzeitig genug in irgendeinem Abenteuer Ihren Abgang von dieser Welt finden. Lebten Sie aber wirklich lange genug: Sie würden es sehn, daß eben diese unterirdischen Menschen, deren Schicksal Sie erzählen, aus ihren Grüften steigen, in denen sie heute leben müssen. Emporsteigen und dankbar Ihre Hand fassen, mein alter Junge.

Von jener Dame aus New York, die aus dem Salon kommt und im Chinesenghetto endet, von jener Novelle, wo von meinem ahornen Thron unter herbstgelber Birke der große Bauerngott der östlichen Menschen« predigt: bis zu dieser kleinen Sif, die als gleichgültige Bürgersfrau weekend im Grunewald feiert und mit dem unsichtbaren Heiligenschein von dannen geht, ist die Reihe Ihrer Werke ein großes verpflichtendes Versprechen.

Lösen Sie's ein!

Vor Ihnen liegen die großen Gefechte Ihres Lebens, denken Sie daran! Gehn Sie weiter und wandern Sie Ruheloser durch die Welt und beherzigen Sie selbst jenes schöne, männlich-tiefe Cromwellwort, das Sie mir neulich schrieben: »Nie steigt ein Mann höher, als wenn er nicht weiß, wohin er geht.«

Es gilt Ihnen, es ruft Sie auf, des großen Weltengottes geliebten Raufbold!

Positano, 3. Juli 26.

Ihr
Plater-Syberg.

 

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