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Hinter dem bewußten Hause der bewußten schönen Frau aber, wo Granithügel den vom Borro in Jahrtausenden angehäuften Schlamm durchbrechen, dort dehnt sich, gebildet von eben diesem Granitgeschröf, ein riesiges Amphitheater, und in diesem Amphitheater, in dem sich sonst nur Puffottern und Geckos sonnen und allerlei vier- und zweibeiniges Raubzeug sein Unwesen treibt, dort ist nun vielfältiges Leben eingekehrt. Denn weithin riecht es nun nach Büffelmist und Lagerfeuerqualm und ranzig nach geöltem Niggerfell, es wimmelt nur so von dunkelhäutiger Menschheit und blinkt inmitten der riesigen Wagenburg mit Speer und Büchse, und zwischen all den Kriegern und Niggermammys und quäkenden schwarzen Babys, da laufen in grauen Konfektionsanzügen die Führer herum und machen sich wichtig und streichen um den Lagerwinkel, in dem man, streng bewacht und trotzdem gut behandelt, die gefangenen Europäer untergebracht hat.

Da also sitzen sie in ihren karminroten und kobaltfarbenen Nachtgewändern wie bunte exotische Vögel, müssen sich's gefallen lassen, daß die schwarzen Weiber ihre schwarzen Babys heranschleppen und sie mit spitzen schwarzen Fingern das nie geschaute Wunder der weißen Menschenhaut betasten lassen: Pechner ist da und mit seiner dicken Hausehre der alte brummige Swaart, Durand und Guignard und die beiden Russen und van Lammen mit seiner Gnädigen, die hier im Camp einen hysterischen Anfall nach dem anderen bekommt und sozusagen ihren Mann verantwortlich macht für die Vorfälle in Payta und so lange heult und schreit, bis Pechner sie nach Kreuz und Faden anpfeift und sie damit endlich für eine kleine Weile zum Schweigen bringt.

So also geht das bis vier Uhr früh in einiger Ruhe ab. Als dann aber das Geschieße losgeht und Feuerschein weithin den Himmel rot färbt, da glauben sie alle, daß nun ganz Payta in Brand steht, und denken daran, daß keine Versicherungsgesellschaft im Falle politischer Unruhen zahlt, und denken an das bißchen mühselig zusammengetragenen Wohlstand und sehn im Geist schon ihre ganze Habe und ihre Warenlager verbrennen und denken daran, daß in der Exotik auf diese Weise schon mancher Mann an den Bettelstab gekommen ist. Die Stimmung verflaut, die Weiber weinen leise vor sich hin, die Männer blaß und schweigend herum, und unbewegt bleibt in dieser traurigen Stunde eigentlich nur ein Mann, der Sir Henry Birkbek heißt und Konsul der Majestät von Großbritannien und Irland ist.

Ruhig hat er sich heute Nacht verhaften lassen, seelenruhig hockt er nun hier auf dem steinigen Boden und legt mit den nie vergessenen niedlichen Miniaturkärtchen die große Royal Patience, rafft gemächlich die Piksuite zusammen und sieht, daß wieder einmal die Partie aufgegangen ist, wie ja schließlich old merry England alle seine Partien aufgehn – steckt die Karten ein, bedenkt gemächlich die bunten Erinnerungen eines bewegten Tropenlebens: Peking 1900, wo im Boxerkrieg kein Mensch mehr einen Pfifferling gegeben hätte für das Leben der im Gesandtschaftsviertel eingeschlossenen Europäer, Ecuador 1912, wo ganz Quito voller Leichengestank gewesen war und man den alten Präsidenten Alfaro am Maultierschwanz über's Steinpflaster geschleift hatte ...

An alle Situationen denkt er, die schwer und hoffnungslos schienen, und hinterher behielten noch jedesmal recht ein kühles Hirn und ein bronzenes Herz, und wenn es mal wirklich anders kommen und schief ausgehn sollte, dann würde schließlich der Tod am Maschinengewehr und der Mauserpistole auch nicht bitterlicher schmecken, als der an Magenkrebs und Kalkadern ...

Und fröstelnd geht der alte Herr auf und ab und vertritt sich die Füße, sieht die Feuerlohe des Himmels, lauscht auf das Geballer von Brukes und Bu-Bu-Bus Donnerbüchsen, denkt an den Jungen, den er so empfohlen hat und der das alles eigentlich hätte verhüten müssen. Tüchtiger Kerl sonst – ist anscheinend diesem Frauenzimmer an die Angel gegangen – diesem Frauenzimmer, das an allem schuld ist, wie seit dem Trojanischen Kriege nach Sir Henrys Meinung die Weiber schuld sind an allen Wirrnissen der Männer. Und mißmutig steckt er seine erste Morgenpfeife in Brand, nimmt drei von Doktor Carters Leberpastillen, meditiert still weiter über die Ursache aller menschlichen Zwiste. In Europa entbrennen Kriege, weil die Herren Kabinettchefs alte grantige Kracher sind und an Gicht und geschwollener Leber und versetzter Harnsäure leiden. An allen Unruhen in den Tropen aber, die Sir Henry erlebte, da war noch jedesmal die Regenzeit schuld, die den Mannsbildern mit ihrer Schwüle das Blut eindickte und sie verliebt macht, bis sie nachts zu ihren Sweethearts schleichen müssen und nicht aufpassen, wenn die Nigger randalieren, und nachher geht der ganze Öllord Deterding in Flammen auf. In diesen tiefsinnigen Meditationen aber unterbricht sich plötzlich der alte Herr: der Kanonendonner, hüben und drüben, ist plötzlich verstummt, und in diese Stille, jung und keck und herausfordernd, stößt mit einem Male der Schrei der kleinen braunen Thrilling-Falken, die in Kiellinie zu dreien über den flammenden Himmel preschen, und dies ist der Schrei der kleinen Boten des Nordens, die aus den Nebeln des Kanals und aus den deutschen Tannenwäldern über das Mittelmeer und den granitenen Sudan vorstießen bis in die dicke Fieberluft von Payta. Und als gäbe die ganze Natur das Zeichen zu einer großen Schwenkung, erscheinen in diesem Augenblick im Osten, wo kein brennender Petroleumherd den Himmel rötet, klar und hart und ohne Nebelschleier und so ganz anders als in diesen letzten vermaledeiten Regenwochen die lohenden Fanale des Sonnenaufgangs, und plötzlich, unbegreiflich nach dem Badstubendunst der letzten acht Wochen, fährt in die Giftnebel der Bai frischer kühler Wind. Dieser Wind aber weiß nichts mehr von Dschungeldampf und Fieberluft – er weiß von den smaragdenen Wogenkämmen des Ozeans und weißen Dhausegeln und den langgestreckten Smokfahnen surrender Ozeandampfer – fährt mit herber Würzigkeit hinein in den dicken Höllenbrodem aus Rauch und Kloakengestank, der so lange über der verdreckten und verkommenen Stadt lag. Das aber ist für Sir Henry nun einmal das Ende der Regenzeit, und Ende der Regenzeit bedeutet auch Ende des Krachs um Payta, und als wollte alles, aber auch alles sich wenden in einer einzigen Viertelstunde, fährt in diesem Augenblick die Feuerzunge des allerersten Sonnenstrahls hinein in die Ungewißheit der kurzen Tropendämmerung und läßt auf der Kimm des nahen Höhenzuges Bewegung, Träger und Sänften und Läufer, erkennen. Da es aber hinuntersteigt in den Talkessel und da diese schwarzen Niggerlümmel mit den Sakkos und Poposcheiteln zusammenlaufen und da der ganze Camp in Bewegung kommt, so muß es wohl seine besondere Bewandtnis haben mit diesem Zuge, und plötzlich erkennt der alte Herr, daß er doch wieder einmal recht hatte, als er das Geschieße in Zusammenhang brachte mit Regenzeit, verliebten Kapitänen und intriganten Frauenzimmern: Bu-Bu-Bu und die Roqua-Lima steigen aus den Sänften.

Dies aber war wirklich in Bu-Bu-Bus Leben bislang der allerschwerste Entschluß, und bis er ihr zuliebe sich dazu verstand, in diesem Camp und somit auf feindlichem Boden mit Bruke zusammenzukommen, hat's zwischen ihm und zwischen der schönen Frau, zwischen dem verliebten Bu-Bu-Bu und dem schießfreudigen Bu-Bu-Bu ein hartes Palaver gegeben, und unterwegs bereut er eigentlich wieder seinen Entschluß und weiß Gott, was noch zwischen ihm wird und dieser Frau, die wie ein Chamäleon alle Augenblicke die Farben wechselt ...

So also steht's zur Stunde mit einem Manne, der Bu-Bu-Bu heißt, und ziemlich vergrantelt betritt er die Arena und ärgert sich auch, daß für die Nigger hier sie die Hauptperson und sozusagen Kaiserin von Afrika und er selbst allenfalls Sekretär, Favorit oder Marineminister ist, und das Allerpeinlichste an dieser Szene ist, daß er hier nun als der einzige frei gebliebene Europäer von Payta vorüberläuft an den andern und vor allem an Sir Henry. »Mach dir nicht zuviel draus«, denkt Sir Henry und kennt die Milde seiner fünfundsechzig Jahre und weiß, daß jedes tüchtige Mannsbild mal einen tüchtigen Bock geschossen haben muß und dieser hier ganz bestimmt ein tüchtiger Kerl ist, und daß er irgendwie wieder alles gutmachen wird. Diese Gedanken aber, sie wohnen eben hinter einem unbewegten Gesicht, und Bu-Bu-Bu errät sie keineswegs und weicht dem Blick des alten Herrn aus und drückt sich vorüber an ihm: da aber geschieht etwas, was den Dingen eine ganz und gar unvorhergesehene Wendung gibt. Musik ist zu hören vom jenseitigen Hang und Tubaton und Paukenkrach, und siehe, es steigt von der anderen Seite, die das Szenarium von der offenen See trennt, als Verhandlungspartner J. P. Bruke ins Tal hernieder.

Zuerst aber ist das alles nur ein einziges Flimmern und Leuchten von Messing und Farben, und mit Zusammenlaufen und Gaffen kommt der ganze Camp in Bewegung, und vielstimmig brüllen die Treckochsen in der Wagenburg, und aufgeregte Köter kläffen, und eine Weile hört man in all dem Lärm kaum die Musik. Endlich aber, da bricht es sich Bahn und überschreit mit den blutrünstigen Septimakkorden der Internationale den Lärm ringsum und rückt heran unter rotem Freiheitsbanner und funkelt mit goldenen Knöpfen und Degenknäufen und goldgestickten Kragen und Tressen und Biesen, und jetzt erst wird Bu-Bu-Bu klar, was dieser grobe Unfug eigentlich bedeuten soll: sie haben auf dem »Bosco« entweder ein paar alte Kleiderkisten vorgefunden oder sie haben im Gouvernement des alten da Costa Kleiderschränke geplündert, nun kommen sie mit Paukengedröhn und glitzernden Waffenröcken und sehn aus wie eine Herde dressierter Affen, die man in Feuerwehruniformen gesteckt hat und durch eine Zirkusmanege treibt. So ist das. Bu-Bu-Bu sieht's und weiß nicht, ob er lachen oder Mitleid mit ihnen haben soll. Und so erreicht denn dieser phantastische Aufzug die Talsohle, und da nehmen die Dinge jenen raschen und kummervollen Verlauf, von dem ich nun noch zu berichten habe.

Die Sache ist nämlich so, daß der den Zug begleitende Menschenschwall nunmehr in der berechtigten Erwartung eines besonderen Spektakels nach vorn drängt und, um besser sehn zu können, blitzartig die Rippen des Granitgeschröfs ringsum erklettert und daß so der kleine Platz, auf dem die Roqua-Lima und Bu-Bu-Bu die Verhandlungspartner erwarten, umgeben ist von einem Amphitheater, aus dem nun ein ganzes schwarzes Heer herniederschaut auf eine kleine sandige Manege. Da aber die Menge erst allmählich sich verteilt, so wird erst zuletzt in all seinen Einzelheiten J. P.s pompöser Aufmarsch sichtbar, und es ist zu bemerken, daß gerade die Plötzlichkeit, mit der das geschieht, nicht unwesentlich beiträgt zu dem stürmischen Ablauf der weiteren Ereignisse.

Sir Henry, der mir später in allen Einzelheiten diese grotesken Szenen mitgeteilt hat, berichtet, daß bei J. P.s Auftreten vor Entsetzen ringsum die Niggerbabys zu schreien angefangen hätten und daß vom Gestrüpp kreischend die Vogelschwärme aufgestiebt und gewissermaßen Sonne, Mond und Sterne stille gestanden wären – alles vor Staunen und Grauen im Anblick dieses verrückt gewordenen Niggers ...

Ich halte diese Sarkasmen des alten Herrn für eine hochmütige englische Übertreibung, will aber nach den übereinstimmenden Berichten der sonstigen Augenzeugen gern glauben, daß das Auftreten Brukes katastrophal war wie eine Explosion oder ein D-Zug-Unglück oder ein Vulkanausbruch. Item, die Musik schweigt, Brukes farbenprächtiger Stab tritt beiseite, und nun wird er selbst sichtbar. In einem goldgestickten Galarock, mit Schleppsäbel, goldbetreßtem Zweispitz und dem grünen Groß-Kordon des Salvatorordens, und zur Vervollständigung dieses Aufzuges hat er sich in die goldene Feldbinde zwei große Coltrevolver gesteckt. So also betritt er die kleine Arena, trägt den schweren Leib ein paar Schritte vorwärts, streift dabei Bu – Bu – Bu mit dem merkwürdig unsicheren und beinahe schon erbarmungswürdigen Blick des Wilden, dem man die Unschuld seiner Urwälder nahm, dem Blick des Tieres, das man in die Affenjacke zwängte – ach dem Blick des armen Niggers, an dem sich Zivilisation und Missionsschulen vergriffen haben und der nun nicht schwarz und nicht weiß ist, sondern graue Melange, und es ist ja immer die Melange, die der Teufel holen soll ... Und so für Sekunden sucht seinen alten Kapitän J. P.s Auge, und das Auge ist weit aufgerissen und beinahe verängstigt. »Erbarm dich über mich!« klagt das Auge, und »Erbarm dich über das Theater, das ich nun spielen muß!«

»Ach lach' doch nicht«, bettelt das Auge, »da doch sonst meine ganze Herrlichkeit zusammenbricht«, und »erbarm dich über mich und über mein zwiegespaltenes Leben und erlöse mich von aller Halbheit und aller Lüge!« Und Bu-Bu-Bu sieht es auch und hat im Augenblick allen Widerwillen vergessen und möchte zugehn auf den armen Kerl und ihm die Hand reichen und möchte alles freigeben, was ja als Ozean von Gutmütigkeit aufgestaut ist in seinem Herzen ...

Und kann es doch nicht gut und ahnt, daß es anders bestimmt ist mit zwei alten Kameraden, die doch mal zusammen an einem Strange gezogen und ihrem kümmerlichen Chef die Haarfarbe versteckt und sich und ihren Leuten eine höhere Gage erpreßt haben. So aber bleibt er stehn, wo er steht, und wartet und wird auf diese Weise Zeuge einer grauenhaften Wandlung ... Der Neger nämlich bemerkt die Roqua-Lima, und im gleichen Augenblick ist er albern und verkrampft wie ein Schnittwarenkommis, der abends im gestohlenen Sonntagsstaat seines Chefs ausgeht – geht auf die weiße Frau zu, küßt ihr die Hand, streift mit blitzschnellem Blick die Umgebung, ob auch jeder sein kavaliermäßiges Benehmen bemerkt habe, wendet sich Bu-Bu-Bu zu, schreit ihn an. »Sie kapitulieren also?« schreit Bruke und geht auf seinen alten Freund los und führt damit die Dinge der Katastrophe zu ...

Verhakt sich bei diesen Schritten in den Schleppsäbel ...

Stolpert ...

Fällt ...

Liegt, eben noch solch ein Napoleon und Admiral, auf der Nase ...

Springt auf und fällt nun mit verdoppelter Wut den verdutzten Bu-Bu-Bu an. »Lachen Sie nicht!« brüllt J. P. Und da ist es geschehen. Bu-Bu-Bu, gepeinigt von dieser Alberei, kann nicht mehr an sich halten und platzt los. Platzt los, scheppert nur so vor Lachen, erfüllt mit seinem Gelächter den ganzen Talkessel. Und da ist im gleichen Augenblick dieser wütende Nigger ihm an den Hals gefahren.

Seht Freunde, dies ist ja nun wohl die merkwürdigste und vor allem wohl auch die schicksalvollste Szene, die dieses dämliche Payta, aus Wellblech gebaut auf Morast und Lagunendreck, bislang erlebt hat. Denn ringsum im weiten Amphitheater, da thront doch nun mal mit bärtigen Kriegern und fetten Weibern und hübschen Babchen und Kind und Kegel ein ganzes dunkelhäutiges Heer, und irgendwo doch auch samt ihren mimosenhaften Frauen in bunten Nachtgewändern die gefangenen Europäer, und jede Gruppe bildet eine Partei und jede schaut herab auf den Kampf der beiderseitigen Obmänner, und wer siegt, der behält recht, und es ist genau so wie unter den Mauern von Troja, daß der Sieg des Führers entscheidet und daß von diesem Siege alles abhängt: wem von beiden das zuschauende Mädchen da Roqua-Lima gehört, und wer ihr Neben- und wer ihr Hauptbuhler ist, und wem ganz Payta gehört, und wem die Drinks im Savoyhotel und die mimosenhaften Frauen und in Pechners Shop jene blechernen Nachttöpfe, die man ja zur Not auch als Helme auf den Niggerschädel stülpen kann ...

Und wenn im vollen Caracho zwei Reiterregimenter aufeinander prallen, dann passiert zwar bekanntlich nicht allzuviel, klingt doch aber pathetisch, wie ein Zugzusammenstoß, und eben ist es hier, und als diese beiden Riesen gegeneinander rennen, da gibt es einen dumpfen Laut – unbestimmbar und entsetzlich wie der Kugeleinschlag im Menschenleib – grauenvoll in all der Stille ringsum und dann sich auflösend in all den Schallphänomenen eines tödlichen Ringens: den Lauten der Wut, dem dumpfen Klatschen volltreffender Fausthiebe, und dann, wenn sie einander umschlingen, in diesem erschöpften Stöhnen und Keuchen, in dem beinahe so etwas wie der Wollustlaut der Umarmung zu hören ist ...

So also geht das eine kleine Weile, und als sie dann beide am Boden liegen, sieht man nur einen Knäuel verstrickter Glieder und heilloses Gewirbel und sieht auch, wie sie von Zeit zu Zeit ermattet stille halten und sich anstieren mit weit aufgerissenen Augen und dem staunenden Entsetzen des Kampfes ums liebe Leben ... Und wie sie dann wieder mit plötzlichem Rucke von neuem beginnen und sich verstricken in erneutem Zugreifen und mit blutüberströmten Gesichtern im Sande liegen zu den Füßen einer schönen Frau, um die sie beide raufen und in deren Adern doch selbst das erbarmungslose und eisige Blut der Konquistadoren ist. –

Dann aber ist es plötzlich geschehn, daß mit einem gewaltigen Ruck der Neger sich über Bu-Bu-Bu gewälzt hat und daß das Spiel schon entschieden scheint. Da also liegt Bu-Bu-Bu auf dem Rücken, fühlt auf sich die Last des anderen, der schwer wie eine Gruftplatte ist – hat seinerseits die Hände nicht mehr frei, kann allenfalls nur noch mit einem letzten Zugriff J. P.s goldbetreßten Rock fassen, reißt ihn, daß des andern schwarzer Rücken sichtbar wird, von oben nach unten entzwei ...

Fühlt gleich darauf, wie der Neger sich weiter nach rechts wälzt und mit der gewaltigen Flanke nun auch noch diese Hand bändigt, die noch frei war, kann nun überhaupt nichts mehr tun für sein Leben, muß sich also wohl drein geben in sein Schicksal ...

Liegt und sieht, wie der andere, Bu-Bu-Bu ganz mit seinem Gewichte bändigend, die unter dem eigenen Körper verklemmte Hand frei holt, sieht, wie diese behaarte Gorillahand langsam nach oben sich schiebt, weiß, daß sie seine Kehle fassen und sich schließen wird, weiß, daß es damit zu Ende ist und daß man nun Abschied nehmen muß von Sonne, Wind und Farbenspiel, denkt mit dem blitzartig arbeitenden Hirn allerhand dummes Zeug ...

Leben sowieso nichts wert ...

Schietkram mit Cumberlandsauce ... gelbe und grüne Drinks, Weiber in allen Hautfarben ... Suff und Ärger ... immer der gleiche Quatsch ... Schluß, Dunkelheit, Nacht ...

Denkt es und sieht noch einmal um sich und zappelt, um noch einmal dem Tode zu entfliehen, noch ein letztes Mal und kommt dabei auch ein wenig mehr auf die rechte Seite zu liegen und sieht dabei die Roqua-Lima, wie sie dem Kampfe der Männer zuschaut ...

Weißes Leinenkleid, Lorgnon vor den Augen und dahinter der eiseskühle Blick des Weibes, das immer den Sieg des Stärkeren abwartet und im Blick eine kaum merkliche Dosis Hohn für die Todesnot des Unterliegenden: wie denn, kann denn das sein, daß man also sich weidet an der Qual des Mannes, den man vor ein paar Stunden noch küßte? Kann denn das sein ... Patio und murmelnder Brunnen und Kanopus und Kreuz am dunklen Himmelsausschnitt und unten Küsse und Liebkosungen, und nun, ein paar Stunden drauf, alles dies für die Katz, und das Leben nichts als eine Schüssel voll Todesnot, und es steht dort ein Weib und weidet sich an der Qual seines Sterbens?

Dies aber, Freunde, ist ja nur ein Film von Erinnerungsbildern, hastig abgespult in der letzten Sekunde. Und Bu-Bu-Bu sieht sie stehn, sieht den kühlen Schlangenblick, bekommt mit all seinen schmerzlichen Erinnerungen einen gewaltigen Schub von Empörung und Wut ins Geblüte ...

Bäumt sich auf zum allerletztenmal, wird deswegen nicht frei, schnappt aber, da ihm nichts anderes bleibt, mit dem Gebisse zu, an dem noch kein Zahnarzt einen Cent verdient hat – schnappt aufs Geratewohl zu und erwischt des andern Hand ...

Hat sie zwischen den Zähnen und beißt verzweifelt zu ... Fühlt warmes klebriges Zeug im Munde, hört, wie der Gegner aufheult und zusammenzuckt, bekommt einen Arm frei und benützt diesen Augenblick zu einem Rettungsmanöver: faßt in den Sand, feuert dem Gegner den ganzen Dreck ins Gesicht ...

Wird, da der andere blind ist und sich zurückbäumt, mit einem Ruck frei, springt auf, hakelt Bruke unters Kinn. Schwarzer Mann sackt zusammen, weißer Mann steht. Schwarzer Mann mit klaffend zerrissener Affenjacke erhebt sich taumelnd, weißer Mann sieht, daß jetzt rasch ein Ende gemacht werden muß, soll das eigene liebe Leben nicht zu Ende sein – jawohl, J. P. – einer muß Herr sein auf dem Erdball – weiß oder schwarz und im Zweifelsfalle dann schon lieber weiß ... Und J. P. geht ihn ein letztes Mal an, irgend etwas ist nun nicht mehr in Ordnung im Spiele des Muskelwerkes. J. P. schlägt ein letztes Mal schwächlich zu, Bu-Bu-Bu hat mit einem Griff den Niggerkopf mit dem schwarzen Krollhaar und dem albernen ausrasierten Scheitel in den Händen, kann mit dem wehrlos Geschlagenen machen, was er will: schwarzer Mann, weißer Mann – eine Rasse oder die andere – besser schon, daß Weiß Herr bleibt auf dem Erdball ...

Und Bu-Bu-Bu packt den Kopf, und ein Auge, ergeben schon in das Ende, bettelt ... »Mach es nun kurz«, bettelt das Auge. Da ist es schon geschehn und Bu-Bu-Bu hat den schwarzen Stiernacken mit einem Ruck gedreht, und etwas knirscht und zerbricht unwiderruflich ...

Da sinkt J. P.s gewaltiger Leib zusammen ...

Liegt schwer in Bu-Bu-Bus Arm.

Leben ist fort.

J. P. liegt.

Entsetzte Stille ist ringsum und dann erst das Gemurmel einer aus ihrer Erstarrung erwachenden Menge.

Und Bu-Bu-Bu läßt aus den zitternden Armen den Toten sanft zu Boden gleiten, steht neben sich – Leinenkleid und Lorgnon – die Roqua-Lima ...

»Gratuliere!« sagt leise und lispelnd die Roqua-Lima.

»Gehn Sie hier fort!« sagt rauh und böse Bu-Bu-Bu. Beugt sich über den toten Feind, streicht flüchtig das schwarze Krollhaar, blickt um sich, ob auch niemand es gesehn hat ...

Beugt sich noch einmal zum Toten nieder, zieht von dem Leib die letzten Reste dieser vergoldeten Affenjacke. Schwarzer Mann, ein überwundener Fechter, liegt in der Arena, schwärzlich Blut ist aus dem Munde gequollen, Sonne bescheint den schönen toten Leib aus Ebenholz.

Es ist gut so.

Ein Zug Aasgeier wird gesehn, wie er kreischend den Schauplatz dieses Kampfes überfliegt.

* * *

 


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