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Der Teufel hole alle unverschämten Nigger, der Teufel hole Afrika – gegen die Liebe ist kein Kraut gewachsen, und schließlich und endlich, wenn man sich morgen mit den Niggern abbalgen soll, so will man vorher hinter das Geheimnis einer schönen Frau gekommen sein, die bislang immer auftauchte und verschwand wie eine Fata Morgana. Und nun hat er noch eine knappe Stunde geschlafen, hat eine volle Stunde Toilette gemacht, hat große Kriegsbemalung angelegt, hat ein etwas schlechtes Gewissen, als er für diese Nacht das Kommando an Taylor abgibt – schließlich kann ja doch nichts passieren, ehe die Barue-Leute vor Payta eintreffen ...

Kurz vor neun Uhr ist's, drüben im geheimnisvollen Hause brennt ein einsames Licht, Bulloks im Sumpf schreien nach Futter und Liebe. Wollüstig ist das heiße Dunkel. »Nur die kleine Pinaß!« befiehlt er. »Brauche sonst niemand«, sagt Bu-Bu-Bu und schickt die Bootsgäste weg und steigt ein. Ins Dunkel hinein schnurrt das Boot, ja, nun ist's wirklich so weit ...

Mit mächtigen Armen nimmt der Strom ihn auf, heiße Nebel hängen über dem Wasser. Die riesige Wand des »Bosco« taucht auf, ins Ungewisse ragen gespenstisch die langen Kanonenrohre im Nebel, die erleuchteten Bullaugen glühen wie die Lampen eines Dampfbades ...

Verschwunden.

Dann vom Ozean ein Luftzug, der die Nebelschwaden wie Geister über das Wasser tanzen läßt, dann, dicht an ihm vorübergleitend, ein unförmlicher Schatten – eine hoch oben im Urwald losgerissene Sumpfinsel, die nun, beladen mit Aas, mit Krokodilen und Gift-Vipern, zum Meere fährt. Tolles Land. Und ein tolles Mädchen, zu dem er nun fährt, und ein toller Kerl, dieser verrückte J. P., der doch mal mit ihm zusammen Monsieur die Haarfarbe versteckte und nun Europa abschlachten und vielleicht gar Kaiser von Afrika werden will. Tolle Sache. Und mit dieser Feststellung erreicht er das Ufer.

Zwischen Betonmauern ein kleiner Hafen, unter ihren Persenningen träumt eine Motorjacht, eine Steintreppe führt hinan zum Kiesweg, und oben, wo in der Ferne die weiße Hausfront schimmert, brennt Licht. Ihr Licht vermutlich – weswegen aber, zum Donnerwetter, läßt sie ihn eigentlich warten?

Warten wir also noch ein bißchen! Und er sitzt auf den Steinstufen, atmet den Duft der Heliotrope, sieht oben die fremden Sterne brennen, träumt, muß plötzlich an die alten Sternbilder der versunkenen Heimat denken und an den großen Bären, der nun über den verschneiten Gärten seiner Kindheit brennen mag. Verdammtes Land, das hier unten, macht einen Mann sentimental, gibt einem Manne plötzlich den Gedanken ein, daß der Mann heimatlos ist, macht, daß der heimatlose Mann so gar seine Mammy, die doch hier unten hat warten sollen, vergißt und an die heimatlichen Ebenen östlich der Weichsel denkt – so an ferne Gesänge an heißen Ernteabenden, an das hastige Flüstern der Liebespaare auf nächtlichen Feldrainen, an die halb vergessenen Lieder. Und er summt vor sich her, er gibt plötzlich Gas und fängt an, sotto voce hier im Garten der Mammy zu singen. Mag sie doch hören, daß er nun da ist. Ein heimatliches Lied. Etwas gefühlvoll, aber wirklich schön. »Es dunkelt wohl über der Hai–ai–de, nach Hau–au–se wollen wir gehn ...« Singt er höchst gefühlvoll, frühstückt sozusagen auf jedem Ton, findet selbst den Text leise deplaciert.

Schöne Heide, diese Lagune da unten mit Fiebergift und Mambaschlangen! Und zu Hause? Wo ist er überhaupt zu Hause? Denken wir lieber nicht dran, singen wir lieber, damit sie unsere Anwesenheit merkt. Und er singt ...

»Wir haben das Korn geschnitten
mit unserem blanken Schwert.
Ich hörte die Sichel rauschen,
sie rauschte wohl durch das Korn,
ich hörte mein Liebchen klagen,
sie hat meine Liebe verlorn«

singt er. Plötzlich ...

Wer zum Donnerwetter ist da eigentlich im Gebüsch, und was schleicht da durch die nächtlichen Gärten? Er horcht, faßt auch nach der Pistole, beruhigt mit dem Gedanken an die Gekkos, die im Grase rascheln mögen, steckt die Pistole weg und beginnt wieder mit dem Singsang von dem Mädel, das seine Liebe verloren hat, tremoliert, sentimental wie eine Köchin, mit der Stimme, bricht plötzlich ab: mitten nämlich in seine getragenen Heimatlieder bricht ein anderer Minnesänger ein ...

Noch einer singt da im Gebüsch, zerhaut mit seinen Niggersynkopen ihm seine heiligsten Gefühle, zerreißt mit seinem Lied die ganze Nacht ...

» They say some darkies long ago ...« »Bang jig jig« schlägt obendrein noch eine dieser verdammten Niggergitarren hinein, macht die Sache nur noch aufreizender ...

» We're searching for a different tune.« »Beng, beng.« Ganz in der Nähe. »Halt's Maul!« donnert Bu-Bu-Bu, weiß genau, wer dieser zweite Troubadour ist. » Get up«, brüllt's zurück, singt ungeniert weiter. »Ein Kränzelein von Ro–o–sen«, flötet verzweifelt Bu-Bu-Bu. » One they could croon«, höhnt es im Jazz, Rhythmen und Töne überschneiden sich greulich, verzweifelt suchen sie sich gegenseitig außer Gefecht zu setzen, erfüllen mit greulicher Katzenmusik die Nacht, hören schließlich auf und verlegen sich auf homerisches Schimpfen. »Mandrill!« schreit Bu-Bu-Bu. »Komm mal her!« antwortet J. P. »Schenzi, schwarzer Windkutscher, grüner Hund!« brüllt Bu-Bu-Bu. »Scher dich zu deiner Mammy und freu dich nur auf morgen!« schreit J. P., entfernt sich endlich ins Dickicht des Parkes. Zurück bleibt Bu-Bu-Bu, wütend über die gestörte Serenade, hat die Lust zu weiterer Musik gründlich verloren, wird überhaupt beleidigt sich verrollen, wenn nicht bald das Mädchen kommt, sieht ungeduldig nach der Uhr, hört endlich auf dem Kiesweg Schritte. »Mylady wartet.« Das ist ihr Boy, der knipst die Taschenlampe an. Da gehn sie denn den Kiesweg zur Treppe hinauf ...

Zwei Soldatenagas schlafen in ihren Messingringen, eine schwere Ebenholztür, mit blitzenden Kupferbuckeln besetzt, öffnet sich lautlos, der Gang dahinter führt pfeilgerade ins Patio. Inmitten eines Bosketts murmelt ein Brunnen, Galerien, den Hof umgebend, verlieren sich im Dunkeln. Ein Wappen schimmert von der weißen Wand, im schwarzen Himmelsquadrat über dem offenen Hofe sieht als riesiger Lampion der Kanopus, eine zarte Gestalt, entstiegen all diesen Blumendüften, erhebt sich aus dem Liegestuhl ...

»Torro!«

»Du ...«

Und als er sie an sich reißen will, entzieht sie sich ihm, und er bemerkt, daß dieser zerbrechliche Körper geschmeidig und stark ist wie der der jungen Pantherin, und da steht sie denn und blitzt ihn an aus schmalen Augenschlitzen ...

»Zuviel Tempo, Torro ... Sie greifen zu und bewähren damit wieder einmal Ihren Ruf als Seeräuber und fangen die Liebesgeschichten immer gleich bei ihrem Ende an, Sie alter Konquistador. Erobern aber, das ist eigentlich mein Privileg, und das Wappen ...«

Der Boy, Tee bringend, unterbricht den Palaver, verschwindet lautlos. Der Brunnen murmelt, ein Nachtvogel im Park schreit, es ist im Patio mit einem Male allzu still nach dem stürmischen Anfang. Sie ihrerseits legt sich in den Stuhl zurück, streicht das Kleid zurecht. »Das Wappen also, Torro, das geht auf die Erobererzeit und auf Vasco zurück, mit ihm kamen auch die Roqua-Lima ins Land, und es war ihnen kaum geläufig, daß man nach ihren Frauen wie nach einer Farbigen griff. Immerhin ...«

Immerhin. Sie beendet den Satz nicht, starrt in die Wolke der Zigarette. »Sie haben vorher gesungen, Torro?«

So ein klein bißchen, kleine Mammy.

»Ein Lied aus Ihrer Heimat?«

Wird wohl so was Ähnliches gewesen sein.

»Ein sehr schönes Lied, so sentimental wie alles, was ihr Nordländer treibt, wenn ihr nicht gerade organisiert oder Kanonen erfindet. Sie haben also gesungen, und dann hat Bruke dazwischen gebrüllt und Sie gestört. Und ich denke, Sie sind Freunde?«

Er schweigt konsequent, wartet, wo sie hinauswill ... jawohl, reden Sie mal zuerst, Frollein ...

»Ich wollte über Bruke schon lange mit Ihnen sprechen. Ich weiß, was Sie mir sagen wollen, ich weiß, daß ihr eifersüchtig aufeinander seid wie die Großtürken, und ich weiß auch, daß er in bezug auf mich unausdenklich dumme Gedanken denkt. Ich weiß also alles. Immerhin ...«

Schon wieder »immerhin« – rede nur zu, kleine Mammy, wir hier ziehn es vor, dich reden zu lassen und dich sozusagen vors Häuschen zu locken. Und nun hat sie vom Tisch das dort liegende japanische Richtschwert genommen, ist nun schön wie eine nur eben etwas zierlich geratene Judith, schwingt es im Auf- und Abwandern, daß die Klinge durch die Luft pfeift ...

»Immerhin sollten Sie Bruke nicht unterschätzen. Ihm gehorchen in Afrika mehr Leute, als Sie ahnen – ich fürchte, Sie werden das morgen sehen, Torro. Morgen sind die Barue hier, morgen werdet ihr Europäer begreifen lernen, daß ihr ein Nichts seid – morgen – aber haben Sie eigentlich keine Angst, Torro?«

Nö. Offengestanden hat er keine.

»Fürchten den Tod nicht?«

»An etwas muß man schließlich sterben.«

»An einem Speerstich?«

Da zuckt er die Achseln. »Sonst eben als alter Biber an Magenkrebs.« Da bleibt sie vor ihm stehn, wirft die Waffe weg, hat so ein seltsames Licht in den Augen, und wer ein richtiges Mannsbild ist, weiß auch, was dieses Licht zu bedeuten hat ...

»Wir, Torro, müssen uns wohl übereinander klarwerden. Sie spielen morgen die Partie weiß, und ich – die Frau aus ältestem Konquistadoren-Adel – ich spiele die schwarze Kugel. Wissen Sie warum? Gerade weil ich von den Eroberern dieses Landes herkomme, weil in meinem Blut Erinnerungen an alte unfaßbare Greuel sind, die man hier verübte und für die die Enkelin sich verantwortlich fühlt! Ich kann, nebenbei gesagt, Ihren Klub nicht leiden. Aber das, was ich eben sagte, bleibt die Hauptsache, und ich leide unter dieser blutigen Vergangenheit, ich werfe die Maske ab, ich habe ...«

Ein Lichtschein huscht über den Himmelsausschnitt des Patio, beide sehn sie nach oben – er denkt an Taylor, der heute Wache hat und sich die Zeit mit den Scheinwerfern vertreibt – was sie denkt, bleibt verborgen hinter einem Lächeln, das blitzschnell kommt und vergeht. Und wieder hat sie, Königin Judith, nach der Waffe gegriffen, und wieder begleiten pfeifende Lufthiebe ihr Bekenntnis. »Ich habe dieses Spiel gegen Europa gespielt, seitdem ich hier wohne. Bruke – das ist mein Instrument, und was morgen geschieht, geschieht in Wirklichkeit nach meinem Befehl. Auf mich hört Afrika – ich habe geschürt und gearbeitet mein Leblang, und ich habe, nebenbei gesagt, für diesen Aufstand auch mein Vermögen drangesetzt. Wenn morgen dieses häßliche Nest mit seinen Wellblechbaracken und Gasolintanks verschwindet – ich freue mich seit zehn Jahren darauf, wenn morgen Ihr Sir Henry seinen albernen Hochmut verliert – ich habe das alles seit zehn Jahren vorbereitet. Wenn aber morgen Sie, Torro, zu Schaden kommen, dann ...«

Dann? Also sag, kleine Mammy, was dann ist? Aber da ist's zu Ende mit Königin Judith und aus mit Erobererblut und Vasco-Reminiszenzen, und hilflos hängt der Arm mit dem Richtschwert, und mit einem Male ist sie nichts anderes als eben ein verwirrtes kleines Mädchen, das nicht weiter weiß ...

»Dann – nun sagen Sie doch auch ein Wort, Torro!«

Könnte dir so passen – er bleibt unbewegt und wartet, und da – da ist's geschehn um sie, und es bricht los hinter gesprengten Schleusen, es stürzt sich über ihn wie ein Katarakt, reißt sie talwärts wie draußen der Borro, wenn er mit der Ozeanebbe zum Meer fährt ...

»Dann wird mein Herz brechen, Torro. Ob ich, die dies alles angezettelt hat, morgen dich noch schützen kann, weiß ich nicht: morgen drehn sich blutige Räder, die ich nicht mehr anhalten kann. Aber heute, Torro, heute habe ich dich kommen lassen, weil ich dich warnen wollte, weil ich dich behalten will. Ich sah dich unten liegen mit deinem Schiff ... weißt du denn, was dir droht? Und ich, ich suche dich schon so lange ... will dich nicht wieder hergeben. Die andern Europäer gelten mir nichts ... Du aber bist anders ... Du bist stark und schön, bist Mann und Kraft. Morgen spiele ich Lotterie, gewinne ich, dann ...«

›Dann werden wir Kaiser und Kaiserin von Afrika‹, denkt er und will lachen über den grotesken Gedanken und hat doch selbst sein kühles Blut verloren, treibt selbst den wirbelnden Strom hinab, reißt sie an sich, sie nebst Richtschwert ...

An ihrem Munde: »Königin Judith!«

In seinem Arm: »Ah, du großer Holofernes!« Scheinwerferlicht huscht von neuem über das schwarze Himmelsquadrat, ist ein Gruß von der versunkenen Außenwelt jenseits dieses verbuhlten Patios, vergeht in der Nacht. Und wieder der Schrei eines einsamen Vogels im Garten und mit der sanften Brise der berauschende Duft der Blumen, die nun zur tauigen Nacht ihre wollüstigen Kelche öffnen ...

Es gibt aber in der Südsee eine wenig bekannte Sage von der paradiesischen Insel Icala, dorthin geleiten von den umliegenden Archipelen Jahr für Jahr die Priester ein auserwählt schönes Menschenpaar, und ewige Jugend und Unschuld sind in Icala ...

Sie aber, sie halten sich, wissen nichts mehr.

An seinem Munde: »Und morgen?«

Ach – was ihn dieses Morgen wohl angeht.

Icala kann aber auch zu finden sein hinter den Mauern einer solch alten Hausbefestigung aus der Zeit Vascos – in einem Patio mit murmelndem Brunnen und dem betäubenden Duft der Heliotrope, und über dem schwarzen Himmelsquadrat brennen die bunten Lampions Kanopus und Vega und Kreuz. –

Sie haben, als er eine Stunde vor dem Morgen sich trennt von ihr, Abschied genommen auf der Terrasse mit den schlafenden Vögeln, nun geht er allein durch die erstickende Schwüle des nächtlichen Gartens, kommt zum Boot, bleibt erschrocken stehn ...

Vor ihm quillt es aus dem Gras, schießt schürfend über den Kies, verschwindet im Gebüsch: wieder ein ekelhafter Giftwurm, und wütend greift er eine Faust voll Kies, feuert sie hinein in den Busch, hört wie es antwortet mit kaltem, pfeifendem Gezisch ...

»Halt gefälligst das Maul!« schreit Bu-Bu-Bu, empfindet das Intermezzo höchst ungehörig. »Ekelhafte Wirtschaft«, brummt Bu-Bu – Bu und fühlt sich in seinem Ordnungs- und Sauberkeitssinn gestört und denkt an die versunkenen Ebenen der Heimat, die nicht aufwartet mit solchem Störenfried.

Icala, Adam, Eva und nachher die Schlange. Es ist, meine Lieben, immer die alte ewige Geschichte.

* * *

 


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