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In London aber, wo es zur Stunde ebenso tiefe Nacht ist wie in Payta, da steht bekanntlich auf Trafalgarsquare die Nelsonsäule, und auf der Nelsonsäule steht in goldenen Buchstaben geschrieben, daß England von jedem seiner Söhne Pflichterfüllung erwarte.

In London auf Trafalgarsquare, wo das große Herz des Imperiums schlägt, da steht mit schlichten dorischen Säulen ein der Admiralität gehöriges Haus, und in den ziemlich dürftigen Bureauräumen dieses Hauses, da liegen die Akten über alle die Schiffe und alle die Männer, die draußen ihr junges Leben ließen, damit daheim in England alte vornehme Herren in ihren Sesseln bequem ihre Pfeifen rauchen und jene Zeitung lesen können, auf die auch der liebe Gott abonniert ist und die offiziell »Times« heißt, inoffiziell aber unter dem Spitznamen »Thunderer« ziemlich bekannt geworden ist.

Auf den verstaubten Regalen aber liegen die Akten über alle die kleinen Leutnants, die im Zulukrieg von breiten Niggerspeeren zerschnitten wurden, und über alte Colonels, die in Nigeria an Schwarzwasserfieber starben; und auch die Akten über den Munitionsverbrauch bei Abukir und Trafalgar liegen dort, und es wird dort aufbewahrt Nelsons gar nicht einmal so sehr gute Konduitenliste und der Bericht über seine Sterbestunde und über seine letzte, in der Todesnot gestammelte Bitte, man möge doch seinen Leichnam nicht über Bord werfen, sondern in Altenglands Erde bestatten ...

So verhält es sich mit diesen alten Admiralitätsakten. In einem andern, nicht weniger prosaischen Raume aber, da ist in einem einzigen riesigen Gipsrelief der ganze Planet mit sämtlichen Ozeanen wiedergegeben, und auf diesem Relief, da zeigen allerliebste kleine Zinnfigürchen den augenblicklichen Stand aller Schiffe Se. Majestät an: oben an den kimmerischen Küsten von Schottland die dicken Pötte der Großen Flotte und »Bellorophon« eben in Southampton im Dock und »Amethyst« in Aden und »Thetis« in Antofagasta und »Pallas« in Port Said, von dem man in guter Gesellschaft schicklicherweise, weil es der unanständigste Ort der Welt ist, gar nicht reden darf.

Der alte Herr aber, der in diesen Räumen seines Amtes waltet, der hat in den letzten Wochen oft mit tiefer Sorge auf dieses Relief geblickt. Es ist ja noch nicht gerade so weit, daß die Welt brennt, aber sie schwelt und raucht an ziemlich viel Plätzen, und immer hat so ein kleiner Kreuzer die Brandherde mit seinen Zehnerkanonen löschen und allzu oft hat in der letzten Zeit der alte Herr gewisse kleine Zinnfigürchen verschieben müssen. Und jetzt erst, wo in Ägypten, an der britischen Somaliküste und in Arabien und im Süden einigermaßen die Ruhe wiederhergestellt ist – jetzt erst also kann Altengland sich der Tatsache erinnern, daß Salvador von jeher sein verarmter kleiner Schutzbefohlener war und daß Payta eine salvadorianische Stadt und daß in Payta seit Woche der Teufel von der Kette ist. Der alte Herr überlegt. »Arethusa« bleibt besser noch ein paar Wochen vor Sansibar, und im Roten Meer an der Somaliküste ist auch noch immer dicke Luft. »Kalypso« aber, vorgestern in Durban eingetroffen, ist frei und kann nun getrost nach Payta gehen und den Niggern klarmachen, was geschieht, wenn man den britischen Löwen ärgert. »Kalypso« also, das alte Mädchen mit seinen alten Nordenfelt-Geschützen und seinen leider schon ein wenig wackeligen Maschinen, mag nach Payta gehen, und der alte Herr packt das »Kalypso« darstellende Zinnschiffchen und setzt es, Bug nach Norden, mitten in den gipsernen Indischen Ozean und gibt das entsprechende Telegramm hinaus und steht, während man draußen chiffriert, sorgenvoll an den feuchten Fensterscheiben und starrt hinaus in die grämliche Nebelnacht: einmal kommt wohl die Zeit, wo auch Altengland nicht genug Zinnfigürchen hat, um allenthalben die Exotik zur Räson zu bringen ...

Die Order aber, die zuckt inzwischen durch die dicken Kabelschlangen, die am Lizard ins Meer kriechen, sie zuckt durch die kupfernen Seelen nach Gibraltar und Aden, sie springt über in den Äther und springt von Kreuzer zu Kreuzer und fährt schließlich in »Kalypsos« Antennen und macht, daß diese stählerne Nymphe in Durban aus allen drei Kaminen dampft, als büke ein armer Mann seinen Osterkuchen. »Kalypso« löst sich von Durbans verräuchertem Kai noch in dieser Nacht. »Kalypso« wirbelt mit ihren Schrauben die pfefferminzschnapsgrünen Wellen des Indischen Ozeans, »Kalypso« holt, nach Payta dampfend, aus den Munitionsräumen dicke Fünfzehnergranaten: wehe den Niggern, die in Payta dem britischen Löwen die Nase mit Pfauenfedern kitzeln wollten, und eher gefriert die Hölle, ehe Altengland in Payta eine Niggerrevolte duldet. –

Liest man aber heute, wo das alles schon ein wenig vergessen ist, die Akten dieses Putsches, so ist man sich nach wie vor im Zweifel, ob dieser amerikanische Nigger John Bruke, dessen Name ja innig mit den Ereignissen verknüpft ist, wirklich ein Agent Moskaus war, das hier auf afrikanischem Boden eine kleine Generalprobe für spätere Ereignisse veranstalten wollte. Oder ob er ein verliebter Narr war, der mit seiner verdrehten Ideologie eine Weile die schwarzen Massen mit sich fortriß, der de facto aber genau so verliebt in die Roqua-Lima war, wie Bu-Bu-Bu selbst – in dieses Frauenzimmer, das schließlich alle beide Mannsbilder doch nur einspannte für ihre eigenen ehrgeizigen Pläne. Was Bu-Bu-Bu betrifft, so werden wir sehr bald sehn, daß das mit Einspannen bei ihm nicht so recht glückte und daß er kein Kerl war, auf dessen Seele die Weiber Klavier spielen können – o gewiß nicht. Was aber Bruke betrifft, so scheint er wirklich ein armer verliebter Tropf gewesen zu sein, und zu sagen ist, daß sein Putsch halb Gangsterstreich und halb große Oper blieb, und er hat ihn ja auch teuer genug bezahlt, und wir wollen ihm kein Spottlied singen über sein vergessenes Grab, das da irgendwo in dem harten Granitboden hinter dem Hanse dieses intriganten schönen Frauenzimmers gegraben sein dürfte. –

Wie dem auch sei – die weiße Kolonie von Payta hat das Eintreffen der Barue-Leute mit Fug und Recht eigentlich erst für den übernächsten Tag erwartet, und in dieser Nacht, wo Bu-Bu-Bu zu seinem Sweatheart gefahren ist, schläft man friedlich in seinen weißen Bettchen und ahnt nicht, daß durch die Moräste dicht vor der Stadt bereits achtzigtausend nackter schwarzer Füße trappeln und daß die Nacht schon voll ist vom Mondgefunkel auf breiten Niggerspeeren und Karabinern, die allesamt die Fabrikstempel amerikanischer Waffenschmiede tragen. Wie dem auch sei, während Payta schläft, da lagert dieser unheilige Schwarm nach einem grimmigen Gewaltmarsch bereits in dem riesigen Talkessel, der hinter dem Hause der bewußten schönen Frau sich dehnt, und von hier aus stoßen in der gleichen Stunde, in der Bu-Bu-Bu an Bord zurückkehrt, die Trupps vor gegen die Stadt. Um zwei Uhr ist der Sender zerschlagen, ein paar Minuten später stehn die Dynamos des Kraftwerks still. Durch die Vorstädte im Südwesten der Stadt aber schleichen simple schwarze Speerträger heran, und matt spielt auf den geölten dunklen Leibern der Mond, und neugierig beschnüffeln die Leute die unbekannte Welt des weißen Mannes ...

Stolpern über Trollygleise, fahren mit den Speeren prüfend gegen die wellblechernen Kabelbehälter der General Electric, bestaunen, den Korso und die Plaza betretend, einfältig die Musikmuschel mit ihren leeren Notenpulten, denken wohl an einen Zauber der Weißen, der in diesem wunderlichen Gehäuse wohnen könnte, drücken sich scheu vorüber, kommen so, geräuschlos wie Ungeziefer, zur gleichen Zeit auf der Plaza an, wo von der anderen Seite, von den Kraftwerken her, die andern, diese technisch geschulten Kaffernbolschewiken aus den südlichen Industriebezirken, den Kern der Stadt betreten ...

An der Plaza aber liegt mit großer Spiegelscheibe Storrer's Tabakshop, und auf diese Scheibe scheint voll der Mond, bescheint dort das, was er in einem englischen Tabakladen zu bescheinen hat: aus Gips einen lebensgroßen federgeschmückten Neger – innen hat er eine kleine elektrische Luftpumpe, und wenn man bei Storrer eine Tabakspfeife sich gekauft hat, dann stopft man sie und steckt sie dem Neger in die Gummilippen und läßt sich, um nicht gleich den brenzligen Holzgeschmack in den Mund zu bekommen, die neue Pfeife auf diese Weise einrauchen von einem mechanischen Mohren ...

Diesen gipsernen Landsmann also bemerkt der zuerst die Plaza betretende Krieger, erstarrt vor diesem Bilde, weiß auch nicht recht, ob dies ein lebender Mann oder eben nur ein Fetisch der Weißen ist, kennt sich auch nicht aus mit der blinkenden Glaswand, die ihn von dem Ding da trennt ...

Holt aus und bemerkt, daß zuerst der Speer quietschend abprallt von dem Glas, das er ja nicht kennt, holt mit einiger Erbitterung zum zweiten Male aus und fährt krachend durch die splitternde Scheibe und verursacht damit ein erhebliches Getöse, der zunächst einmal in der oberen Etage den Ladenbesitzer, dann aber vor dem gegenüberliegenden Gouvernement den schläfrigen Posten alarmiert. Da aber gleichzeitig die andere Kolonne die Plaza erreicht hat, so jagt dieser unglückliche Mensch nur einen einzigen Alarmschuß aus seinem Karabiner, und die verschlafen aus dem Nachtlokal taumelnden Mannschaften sind gleich ihm im Augenblick überwältigt. Da stehn sie, sind ja kaum wach, sehn sich ihrer Waffen beraubt, lassen sich willig abführen: niemandem wird ein Haar gekrümmt.

Es wird später gezeigt werden, daß J. P. Bruke während dieser Vorgänge in Payta gar nicht anwesend, daß er vielmehr auf einem ganz anderen Felde zur Stunde tätig war, und daß ihm die glimpfliche Behandlung dieser Gefangenen nicht gutgeschrieben werden kann. Die Rücksicht aber, die man ihnen angedeihen läßt, und die Behutsamkeit, mit der man zur gleichen Stunde in der Stadt die Europäer aus ihren Betten holt, spricht durchaus dafür, daß es den in Payta tätigen Unterführern Brukes wohl mehr um einen Gangsterstreich und die Erpressung von hohen Lösegeldern als eben um einen wirklichen politischen Umsturz zu tun gewesen ist. Die Sache ist die, daß neben Nachttischchen mit all den Chinin- und Veronal- und Veramon- und weiß Gott was für Röhrchen ein schwarzer Kavalier auftaucht und die Herrschaften höflich bittet, sich zeitweilig als Gefangene zu betrachten, und daß man sie in ihren grellfarbenen Kimonos und Pyjamas vor die Stadt führt, und daß nicht einem einzigen ein Haar gekrümmt wird, und daß nur hinterher ein ganz klein wenig in Payta geplündert wird. Auf der Handelsbank sprengt man, ohne übrigens besonders viel vorzufinden, die Safes, im Savoy trinkt man sämtliche Spirituosen leer, und bei Pechner, der ja neben der Hapag-Agentur einen Laden mit Küchengeräten und Haushaltartikeln betreibt, stülpen sich die Krieger, die Dinger für Helme haltend, martialisch Suppenterrinen und auch noch diskretere Gefäße auf den Kopf. Bei Grandjean finden sie außer Damenhöschen und Pullovern in irgendeinem verstaubten Winkel einen Stapel Bartbinden, und da irgendein weggelaufener Kaffernboy vor Jahren mal seinen weißen Herrn mit solchem Möbel im Gesicht gesehn hat, so legt er es an, und die andern, die es wohl für eine Gebetsbinde halten, machend ihm nach, und zum Schluß, nachdem man noch ein bißchen Spiegel eingeschlagen und Möbel zerbrochen und Betten aufgeschlitzt und vor allem in Scotts Droguerie alle Essenzen und Lack- und Farblösungen leer getrunken hat, liegt man betrunken und schnarchend auf Möbeltrümmern und Flaschenscherben und umhergestreuten Bettfedern und wird in diesem harmlosen Zustande vorgefunden am nächsten Mittag, als in Payta ja wieder ganz andere Herren gebieten.

Dies alles vollzieht sich unter leidlich guter Regie eine Stunde nachdem Bu-Bu-Bu an Bord zurückgekehrt ist, und es vollzieht sich jedenfalls so geräuschlos, daß auf dem drei Seemeilen von der Stadt friedlich vor den Ankern schralenden Schiff niemand etwas merkt. Was Bu-Bu-Bu betrifft, so hat er Taylor, den Zweiten, auf Wache vorgefunden, hat sich selbst behufs schnellerer Weckmöglichkeit um die große Zehe einen Bindfaden gebunden, läßt das Ende über den Bettrand und durchs Fenster bis auf die Brücke hängen. »Kräftig ziehn, wenn was los ist, Taylor« hat Bu-Bu-Bu gesagt und sich aufs Ohr gelegt. Pennt. Träumt dummes Zeug.

Steigt im Traum auf als Reklameflieger und schreibt »An alle, alle« eine fürchterliche und höchst populäre Aufforderung ans Firmament, sitzt wieder auf Untertertia, soll das »Lied vom braven Mann« aufsagen mit Orgelton und Glockenklang und allem übrigen Klimbim, kann aber nur den Bonifatius Kiesewetter, der wegen gar zu üblen Benimms in weitem Bogen aus dem Himmel hinausgeworfen wird ...

In weitem Bogen. Und er fliegt mittenmang in Karolinas Zaubergarten, und oben steht sie, und unten steht er, und er kann einfach nicht zu ihr, weil ihn jemand am Fuß festhält. Der aber, der ihn festhält, das ist kein anderer als Taylor, und Taylor zieht am Strick und Taylor renkt ihm beinahe die große Zehe aus, und schließlich besinnt er sich auf die Verabredung, fährt, noch total rammdösig, aus dem Bett, und als er auf die Brücke kommt, da brusselt unten am Fallreep ein Bootsmotor. Und da ist als unerwarteter Besuch Karolina gekommen.

Nicht eine Luftspiegelung, sondern in tadellosem Morgenkleid und mit tadelloser Frisur sie selbst, und höchst korrekt und damenhaft tut sie auch, und in jedem Falle benimmt sie sich ganz anders als die Frau, die er vor anderthalb Stunden verlassen hat. »Kapitän?« Na, ja, das ist ja woll er. »Kann ich Sie sprechen?« Dumme Frage, Liebling. »Unter vier Augen?« Natürlich am liebsten unter vier Augen, und Bu-Bu-Bu winkt, und Taylor verschwindet diskret, und da sind sie denn allein.

Allein auf der zu drei Vierteln dunklen Brücke, und so sind nach seiner etwas primitiven Ansicht die Weiber und vergessen immer, daß ein Kriegsschiff eigentlich doch für die Männer reserviert ist, und natürlich hat sie, denkt er wenigstens, Sehnsucht gehabt nach ihm, und natürlich ist sie, denkt er wenigstens, gekommen, weil sie's nicht mehr aushalten konnte ohne ihn ... Denkt Bu-Bu-Bu, marschiert auf sie los, stutzt. Stutzt, bleibt auf der Brückenmitte stehn, hat sich ein ganz klein wenig getäuscht. Nichts ist mit Sehnsucht und Schäferstündchen an Bord, sondern da steht mit einem Male eine korrekte und beinahe fremde und eine durchaus unnahbare Frau und blitzt ihn, als er so full speed auf sie losmarschiert, aus dolchschmalen Augenschlitzen ganz infam an und legt los mit hoher und etwas lispelnder Stimme, in der so etwas wie eine ganz perfide Ironie ist ...

»Dort drüben lag doch gestern noch der ›Bosco‹, Kapitän?«

›Lag‹ ist gut, mein Schatz ... liegt doch wohl noch immer dort ...

»Jetzt aber ist er nicht mehr da.«

Da macht er plötzlich ein saudummes Gesicht, hat auch plötzlich einen saudummen Gedanken, würgt ihn herunter, will was sagen, sagt aber lieber nichts und geht an ihr vorbei zum Scheinwerfer ...

Fingert an dem Ding herum, schickt durch die Nacht eine kreidige Lichtchaussee, fuhrwerkt mit dem Strahl durch das Dunkel ...

Über ihr Haus, über ihren Garten. Über Fluß, Mongrove und Sumpf, findet nichts ...

Kein »Bosco«, kein brüchiger Meergreis mit ausgeleierten Kanonen, nur die leere Ankerboje im Strom. »Taylor!«

Taylor hat doch zum Donnerwetter vorhin die Wache gehabt, muß doch was bemerkt haben.

Hat aber nichts bemerkt, hantiert nun selbst an dem Lichtding da herum, findet auch seinerseits keinen »Bosco« ...

Bekommt einen roten Kopf und erzählt was von dunkler Nacht, von diesigem Wetter, dickem Nebel. »Himmelhunde, Schlafmützen, Windkutscher!« Bu-Bu-Bu flucht. Findet trotzdem keinen »Bosco«. »An die Geschütze!« schreit Bu-Bu-Bu und hat dunkle Ahnung und »Klar Schiff!« brüllt Bu-Bu-Bu und bewirkt, daß es unten auf Deck lebendig wird. Ein Hornsignal, das funkelnd durch die Nacht fährt, Pfiffe, Kommandos und vielfüßiges Getrappel und aus den Aufgängen vielköpfiges Gewimmel – alles wie am Schnürchen und doch alles zum Verrücktwerden. Und was ist denn nun eigentlich los mit dieser Frau und mit dem »Bosco« und mit dieser gottverfluchten Nacht?

Ja, was da wohl los sein mag! Unten stehn bolzengerade auf den Ladeposten die Artilleristen, hier oben auf der Brücke aber hat sich zunächst mal Taylor verdrückt aus der Nähe des Gewitterzentrums, und da sind sie auf der Brücke denn wieder mal allein, und nun muß doch ja wohl endlich mal eine Erklärung für den ganzen Salat kommen ...

Kommt auch. Sie nämlich streicht sich ihr Kleid zurecht, spricht noch immer mit dieser perfiden lispelnden hohen Kinderstimme ...

»Kennen Sie die Geschichte von Samson und Dalila, Kapitän?«

Nö, kennt er nicht mehr, in Religion immer fünf gehabt, jetzt auch keine Zeit für olle Judengeschichten. »Samson also war stark, und Dalila war bloß schön. Und weil ihr auf die Dauer dieses Mißverhältnis nicht paßte ...«

Führte sie das dumme Luder an der Nase herum. Und jetzt dämmerte ihm was.

»Machte sie ihn blind.«

Auf einem Auge wahrscheinlich. Und das andere, das drückte der Kaffer auch noch zu in seiner Verliebtheit, so daß er zum Schluß gar nichts mehr sah. Jawohl, jetzt dämmert einem Manne, der Bu-Bu-Bu heißt, etwas, jetzt geht ihm ein ganzer Scheinwerfer auf. »Der Bosco« also?« fragt Bu-Bu-Bu und ist plötzlich heiser. »Alles hübsch der Reihe nach«, sagt die Roqua-Lima und beginnt zu erzählen. Von Payta, das seit einer Stunde in der Hand der Aufständischen ist, von den Europäern, die man ausgehoben hat, vom »Bosco« ...

Da faßt er sie am Handgelenk: »Der ›Bosco‹?«

»Liegt schußbereit auf See, ist überwältigt und gestohlen.«

»Von wem?«

»Von J. P. Bruke natürlich.«

»Während ich bei Ihnen war?«

»Natürlich.«

»Und Sie haben's gewußt?«

Natürlich hat sie. Da bricht bei ihm das Gewitter los. Zunächst ist er als Mannsbild eifersüchtig wie der Großtürke, und er ist hier der Genasführte, und ihn lud man zum Schäferstündchen, damit der eigentliche Galan den »Bosco« stehlen konnte ...

Der andere. Der Favorit. Der Nigger. Der Gorilla. Er brüllte nicht, er ist heiser vor Wut, er sieht rote Funken vor den Augen und denkt an eine furchtbare Rache und hat alles vergessen, was ihn mit dem Nebenbuhler mal verband – Messerstecherei in Santa Semana und versteckte Haarfarbe und Bad im Borro ...

Rennt auf und ab und tobt sich müde und kommt schließlich auf schlimme und pestige Gedanken ...

Auf Payta, das durch seine Schuld nun in den Händen der Insurgenten ist, auf die Europäer, die man seinetwegen ausgehoben hat, auf den »Bosco«, der gestohlen wurde, während der Herr Kapitän an Land balzte, auf das erste ihm anvertraute Kommando, auf versäumte Pflicht und ramponierte Ehre ...

Denkt an alle diese Dinge, nestelt am Koppel, feuert als ein Mann, der kein Portepee mehr zu tragen hat, den Dolch auf die Erde und legt vor's Gesicht die Hände und stöhnt. Da greift sie ein.

»Torro!«

Ach was, Torro ...

»Ist ja doch alles nicht so schlimm.«

Danke, süße Lady, ihm, Bu-Bu-Bu langt's gerade ... Da ist sie bei ihm.

Ist bei ihm, blinkt nicht mehr aus dolchschmalen Augenschlitzen, spielt zur Abwechslung wieder mal auf dem andern Instrument und ist weich wie vor zwei Stunden und fährt ihm mit den Fingern durch den dicken Haarschopf und redet ihm zu wie einem kranken Kinde ...

Alles wird ja noch gut.

Und dieser Nigger mit seinem Moskauer Geschwätz ist ja doch nur ein Aushängeschild für den Pöbel.

Und in Payta gibt's keinen Bolschewismus, und nichts wird den Europäern geschehn.

Gar nichts. Die Revolution nämlich, das ist sie. Und die Revolution ist ihr Werk, und die Revolution ist gemacht mit ihrem Gelde, und gemacht wird die ganze Geschichte für sie.

Und sie ist verwandt mit allen großen Familien Europas, und Verwandte hat sie in Paris und in London und in foreign office, und in foreign office werden ihre kleinen Vettern die Anerkennung des neuen Payta-Territoriums schon durchsetzen, und wenn Payta erst ein selbständiger Freistaat ist, dann ...

Kein Terror, kein Niggerbolschewismus, sondern wie Liberia und Haiti eine patente kleine exotische Republik, und sie, Karolina, sie ist die Herrin, und er, Bu-Bu-Bu, ist schön und stark. Torro, Mann, Kraft. Und sie beide ...

»Kaiser und Kaiserin von Afrika«, knurrt Bu-Bu-Bu. »Torro und Karolina«, sagt zärtlich die Roqua-Lima und spinnt den Faden ihrer Zukunft weiter. Fabelhafte Zukunft, wenn nur jetzt dieser verrückte Nigger keine Dummheiten macht. Kann er aber nicht, und dafür sorgt sie selbst und eigenhändig, und in Payta geschieht ohne ihren Willen und in Payta fällt ohne ihr Kommando kein Schuß, und ...

Wumm, Krach, Wumm! ...

Gefahren kommt es durch die Luft, zieht hinweg über sie mit häßlichem Gehuste und Geheul, schlägt drüben ein mit Tschingdara und Paukenkrach und jagt plötzlich über die ganze Bai den Luftdruck einer ungeheuren Explosion. Und wild steht und kirchturmhoch über Payta eine Flamme von häßlichem Rot, und rot ist die Stadt, rot der Hafen, die Bai, die Lagune, die ganze Welt – pilzförmig steigt eine schwarze Qualmwolke auf, und durch dieses ganze Theater fliegen Trümmer, Rauchfetzen, aufgeschreckte Vogelgeschwader: Tableau. Jemand hat, ganz ohne Karolinas Kommando, geschossen, mit Kanonen und mit Granaten sogar, und nun hat es eingeschlagen. In die Benzinkessel der Shellkompagnie. Und nun steht dort drüben der ganze Öllord Deterding in Flammen.

Zurückgetaumelt sind sie beide vom Luftdruck der Explosion, stehn auf und wissen beide sofort, wer hier geschossen hat. J. P. Bruke natürlich mit seinem »Bosco«, hat zunächst mal, um sich wichtig zu machen, die Tanks in Brand geschossen und sucht nun mit seinen Granaten das ihm unsichtbare Schiff Bu-Bu-Bus zu treffen. Wumm, Krach, Wumm! Lustig ballert J. P. weiter, schießt Löcher in die Luft und in den armen Fluß und läßt, in den Sumpf hineinpatzend, Wasser- und Dreckfontänen aufsteigen und streut seine Eisenkoffer freigiebig herum und möchte gern Bu-Bu-Bus Schiffchen treffen und versteht doch nichts von indirektem Schießen, der blöde Nigger, und ballert auf diese Weise immer aufs Geratewohl durch die lauschige Nacht! Wumm, Krach, Wumm! Dann kommt auf die Brücke der Funker mit einem Zettel gelaufen. »Fordere Sie auf, sofort sich mir zu ergeben!« funkt J. P. »Fordere dich auf, sofort mir ...« funkt Bu-Bu-Bu zurück und sendet als Antwort Goethes schlichteste und innigste Worte durch den Äther. Sieht auch nach der Uhr, stellt fest, daß es in einer Stunde hell ist, und weiß schon, was er sofort nach Sonnenaufgang mit diesem schwarzen Admiral des Indischen Ozeans anfangen wird: auslaufen im ersten Sonnenstrahl, in See gehn, den ollen »Bosco« vor die Zehnerrohre nehmen. »Maschine klar!« sagt Bu-Bu-Bu. Da aber kommt es zu einem neuen peinlichen Zwischenfall ...

Wumm, Krach Wumm! Dieses Mal kommt es angefahren mit Gezisch und ungeheurem Luftdruck, schlägt nicht ins Wasser, sondern birst mit häßlichem Feuerschein und klirrt splitternd auf Eisen und hüllt das Vorschiff in Pikringestank und macht, daß Spieren und zerrissene Trossen von oben kommen, und macht, daß vorn ein heilloses Durcheinander entsteht mit Schreien und Fluchen und Rauch und Krawall. Geschehn ist ja nicht viel, es hat eben nur Vorderstag und vorderen Scheinwerfer erwischt, es ist eben ja doch nur ein Zufallstreffer, und die nächste Lage sitzt schon wieder fünfhundert Meter außenbords, und J. P. kann sich begraben lassen mit seiner Schießkunst! Schlimm ist aber, daß nun bei den Leuten die Nerven nachgeben, und daß sie, ohne bestimmtes Ziel und nur um die Nerven zu entlasten, an den Zündstricken reißen und aus den Rohren lassen, was drin ist. Und die Verschlüsse aufreißen und laden und schießen und nun auch ihrerseits Löcher in die Luft ballern und die Welt verwandeln in ein Chaos von Geknall und sausenden Eisenkoffern und Dreckwasserfontänen, und daß inzwischen unentwegt die Shell-Tanks weiterbrennen. Jawohl, das kommt so von der Revolutionsspielerei, süße Lady, und wenn J. P. drüben so weiter macht und noch weitere Fensterscheiben einhaut, dann, kleines Mädchen – dann gibt das eine Mordsrechnung für angerichteten Sachschaden, und dann ist's nichts mit »Freistaat Payta«, und dann ist's aus mit Torro und Karolina und »Kaiser und Kaiserin von Afrika« – alles nur, weil dieser blöde Nigger da drüben meschugge geworden ist ...

Er denkt's, und sie denkt's auch, und sie sieht blaß und nervös aus – nicht aus Angst vor den Granaten, sondern im Kummer über ihre zerschellenden Pläne, und sie ist nun wieder eine kleine verängstigte Frau, die seinen Arm faßt: »Machen Sie doch, Torro, daß er nicht weiterschießt – alles hängt davon ab, daß er Vernunft annimmt, und nun helfen Sie mir, Torro!« Jawohl, nun soll er helfen, und das kommt davon, wenn die Weiber Politik machen – things of war, things of men, süße Karolina! Und Bu-Bu-Bu überlegt. »Feuer einstellen!« kommandiert Bu-Bu-Bu, da schweigen wenigstens diesseits die Rohre, und nur ein paar letzte Leuchtraketen sind noch unterwegs und steigen und gehn in elegantem Bogen nieder im Sumpf bei Kobras und Kaimans. J. P. aber drüben schickt eine neue Lage, und wenn die nächste in der Stadt drüben landet, dann ist der Schaden nicht abzusehn, und dann ist alles aus. »Funker!« ruft Bu-Bu-Bu und weiß, was hier zu tun ist, und faßt einen schweren, schweren Entschluß und kritzelt einen Zettel. »Erbitte sofort mündliche Verhandlungen«, schreibt Bu-Bu-Bu und hat für die schöne Frau dort getan, was ein Mann tun konnte ...

Schreibt's also, reicht's dem Funker, denkt an diesen eitlen Nigger und an dessen Schadenfreude ...

Spuckt aus, würgt den Ärger hinunter.

Drei Minuten später stellt auch J. P. das Schießen ein.

* * *

 


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