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Rex cacans

Item ock bekant / dat Herr Bernt Rothmann in einer geselschap und gasterei gesagt / dat alle konninge und churfürsten und alle von adel des konnings Bockelson underdanen und emtlude solten sin und alle konninginnen und fürstinnen und greisinnen und frowen von adel sollten der konningin underdaen und megdinnen sin.

Aus dem Bekenntnis des Täufers Scheiffert von Merode.

Soll es denn aber in alle Ewigkeit so weitergehn mit dieser satanischen Stadt und soll sie etwa, während doch schon die Niederlande und die ganze friesische Küste und selbst in Oberdeutschland weite Strecken verseucht sind vom täuferischen Geist ... soll da nun diese Beule der Häresie etwa ganz Deutschland vergiften, das ganze Reich mit ihren Schwären bedecken und zuletzt alles untergehen in dieser von ein paar manischen Landfremden eingeschleppten Raserei?

Im August will zum zweiten Male das Feuer des Krieges auf die Stadt fallen, im August tagt im Lager von Münster großer Kriegsrat, und da nun alle die hohen Alliierten mit Troß und Reisigen und ihren Kriegskommissaren hier zusammenströmen, so hat es bei solcher Bewegung im feindlichen Lager Bockelson leicht, den Sinn dieses Kriegsrates sich zu deuten und seinen Leuten weiszumachen, es habe ihm Gottvater selbst für die nächste Zeit einen erneuten Ansturm auf Münster angekündigt.

Am 24. August treten im bischöflichen Lager fast alle die erlauchten Angrenzer des Münsterlandes zusammen – der Erzbischof von Köln, die Grafen Schauenburg, Isenburg, Nassau, Waldeck, Neuenahr, Bentheim und Wied. Nicht zu vergessen die Hohen Kriegskommissare von Hessen, Kleve, Brabant und den Herzog von Grubenhagen. Denn auch solch einen Herzog gab es damals im vielstimmigen Chor der Reichsfürsten. Das, wie gesagt, war am 24. August.

Und beschlossen wird dieses, es begebe sich, ehe wir erneut unsere Feuerschlünde ›Duiwel‹ und ›sin mar‹ und alle die anderen großen und kleinen Donnerer des Artillerieparkes reden lassen, in die Stadt eine Gesandtschaft und fordere sie gehörig zur Übergabe auf. Gewähren aber wollen wir dir, Stadt Münster, alle Sicherheit vor Kosten und vor Blutvergießen, gewähren wollen wir selbst den Abzug für deine Propheten, wofern du nur ein Ende machst mit deinen wiedertäuferischen Teufelstänzen und wieder Se. bischöflichen Gnaden gehorsame Stadt willst sein. Willst du es aber nicht, so sieh dich vor! Unsere Kanonen sind gerichtet und geladen, und bereit stehn unsere Sturmkolonnen. Es ist die letzte Stunde unserer Gnade, und wenn du auch die versäumst, so wundere dich nicht, wenn Feuer und Schwefel und Donner auf deine Dächer fallen.

So ungefähr. Und mit solchem Auftrage begeben sich die Gesandten, nachdem zuvor ein dreistündiger Waffenstillstand verabredet worden ist, in die Stadt, die sie schon störrisch genug empfängt. Niemand spricht mit ihnen, stumm weichen die wenigen aus, die sich auf den verödeten Straßen noch blicken lassen: jedem Bürger nämlich ist strenge verboten, mit einem von der Gesandtschaft zu sprechen, und wer das Verbot zu brechen gedenkt, weiß ja wohl, was ihm blüht ...

Auch der Empfang bei Bockelson selbst enttäuscht die Herren gründlich. Offensichtlich verhandelt damals schon der Prophet mit den Gesinnungsgenossen in Holland wegen einer Intervention, offensichtlich verläßt er sich auf die Wirksamkeit seiner Propaganda, deren Saat ja in diesen Monaten auch wirklich gebührend aufgeht. Seine Sprache jedenfalls ist so selbstbewußt wie möglich: auf des Bischofs Gnade pfeife er und wisse schon, was es damit auf sich habe. Gottlos sei nicht die Stadt, gottlos sei der Bischof selbst, und kurz und gut, er denke nicht im mindesten daran, sie zu übergeben ...

Mit welchem Bescheid die Herren sich denn wohl oder übel entfernen. Da man aber, wohl mit Recht, annimmt, daß in Münster der gemeine Mann von dem hochherzigen Angebot nichts erfahren habe, so wird der Inhalt des bischöflichen Friedensangebotes in den nächsten Tagen an unzähligen Pfeilen auf kleinen Zetteln in die Stadt hinübergeschossen, und nur das ist fatal, daß hinter den Wällen niemand, bei sofortiger Todesstrafe, die Zettel aufheben und lesen darf. War die Begeisterung am Ende doch schon etwas erkaltet, daß solch Verbot notwendig war?

Bockelson ist auf der Hut, reitet Tag und Nacht durch die Straßen, erzählt von seiner göttlichen Offenbarung, ermahnt zu fleißigem Gebet und fleißigem Fasten und noch fleißigerer Wachsamkeit, läßt auch eine Stammrolle der gesinnungsgetreuen Bevölkerung anlegen. Kerssenbroch hat ein Exemplar dieser interessanten Stammrolle in die Hand bekommen und betont augenzwinkernd, daß er es ›non sine causa‹ ... nicht ohne guten Grund aufbewahre. Was sich wohl an die Adresse derer richtet, die nach dem Fall der Stadt sich gut bischöflich ausgaben, obwohl ihre Namen in der Liste enthalten waren. Auf uns ist es leider nicht überkommen, dieses Verzeichnis.

Die der Stadt gesetzte Frist ist am 28. August jedenfalls verstrichen, und pünktlich bricht das Donnerwetter los. Es mag wohl, gemessen an den Mitteln der Zeit, ein stattliches Trommelfeuer gewesen sein, da tagelang die Sonne hinter dem Pulverqualm sich verbirgt und, wofern man Kerssenbroch glauben darf, in den Nachbardörfern alle Fensterscheiben bersten. So fällt von vier Seiten, vornehmlich aber gegen die Tore gerichtet, Eisenhagel auf die Stadt, durchlöchert das Dach des Überwasserklosters, legt auch in die Tore Bresche, kann aber den Wällen, deren Fundamente aus gutem heimischen Gestein bestehen, nicht viel anhaben. Dort nämlich stehen, zum Teil durch den Terror in den Feuerbereich getrieben, einschließlich der Alten und Gebrechlichen und auch der Weiber so ziemlich alle Münsterer, füllen nachts mit Mist und Erde die Löcher, und die Damen halten zur Abwehr des erwarteten Sturmes heißen Kalk, Pechkränze und noch andere, weniger appetitliche Wurfgeschosse bereit. Die Weiber werden zwar in allen diesen Donnernächten ein wenig müde, halten sich aber ausgezeichnet. Knaben schießen mit Armbrüsten, durch die Gassen hinter den Wällen aber reitet der Mann, den eine Kapitulation mit schimpflichem Tod bedrohen würde. Von Tor zu Tor reitet er, dirigiert seine Reserven an die bedrohten Stellen und benimmt sich in diesen Tagen durchaus umsichtig und tapfer. Am einunddreißigsten bricht der Sturm los.

Der »Duiwel« des Landgrafen von Hessen schießt zu seinem Beginn den Signalschuß, das Ungewitter bricht von sechs Seiten zugleich los und entlädt sich diesmal am heftigsten am Judefelder und am Kreuztor. Bedauerlicherweise aber wehrt sich auch dieses Mal ›das Dörflein‹ mit Klauen und Zähnen. Denn nun geht es ja wohl, nach abgelehntem Friedensangebot, um den Hals, und jedenfalls ward dem Angriff so ›grausam und dapffer begegnet / daß die / so entlauffen mochten / fro waren und sich bedankten‹. Und als der Sturm, der nicht allzu lange angedauert haben mag, zu Ende ist, da stehen die Täufer, Männer und Weiber, höhnend auf den Wällen, rufen den Bischöflichen zu, sie mögen doch gefälligst wieder kommen, ein ordentlicher Sturm habe doch wenigstens den ganzen Tag über zu währen.

›Wär Gott nicht mit uns zu dieser Zeit,
Wir hätten müssen verzagen‹

singt man an diesem Tage als Siegeschoral in den Mauern, und durch die Gassen reitet Bockelson und fragt lachend seine Leute, ob sie nicht einen starken Gott hätten. Es ist die Stunde, in der er bereits mit einer neuen Herausforderung des alten Reiches umgeht.

Die Niederlage des Bischofs ist noch schwerer als die erste. Aus seinem Lager hört man die ganze Nacht hindurch das Geheul der jäh verwitweten Soldatenweiber. ›Do ist eine große menge volcks / edel und unedel / umpracht. Derglaichen etlich kriegsvolck der stat zugefallen und eingelaufen‹, meldet ein zeitgenössisches Flugblatt. Tatsächlich sind 42 erprobte Offiziere und Hunderte von Leuten des Bischofs tot, tatsächlich hat es in Münster, wie später der Prädikant Klopriss auf der Folter angibt, nur 15 oder 16 Tote gegeben. So ist die Stadt nach dem Sturm stärker denn je.

Sie ist vor allem zuversichtlicher denn je, und es ist kein Wunder, daß des Bischofs Heer auseinanderläuft und zerbröckelt, und das einzig Tröstliche in dieser Prüfung ist das, was in diesen Tagen ein städtischer Überläufer meldet: daß man nämlich in Münster dem Brotmehl bereits Gerste zusetze und daß es an Früchten und Öl, vor allem auch an Wurzelwerk und Gemüse zu mangeln beginne ...

Wir hören ja wohl zwei Monate später, als wir die im Oktober aus Münster ausgesandten Wanderprediger ausfragen, auch das Gegenteil, wir werden dann hören, daß Münster noch für gut und gern zwei Jahre verproviantiert ist, immerhin aber wirkt die Auskunft dieses Überläufers doch etwas als Herzensstärkung. Mit Sturm und blutiger Belagerung ist der Teufelstadt ja doch nicht beizukommen, hungern wir sie also aus, indem wir sie hermetisch abschließen von der Welt.

Und während der Bischof zu diesem Zwecke seine Schanzen verstärkt und neue Blockhäuser vor den Toren errichtet, feiert Münster Siegesfeste, und ist, da diesem Bockelson ja alle seine Weissagungen so sichtbarlich in Erfüllung gehen, bereit, sich neuen Abenteuern hinzugeben. Was den Goldschmied Dusentschnuer aus Warendorf angeht, so ist er nur ein armer Krüppel, hat aber ein gewaltiges Mundwerk und ›konde dat volck so verschrecken und do mackeden sie in für einen propheten‹. Auf den gemeinen Mann macht es immer einen tiefen Eindruck, wenn man immer Ach und Weh über die Verderbnis der Zeit schreit und immer das Höllenfeuer schürt, und eben das versteht dieser neue Prophet ausgezeichnet, und wenn er – was er nach Gresbeck recht oft tut – lügt, so ›plag – pflegte – hei to seggen »Got heft tho my gesprocken«‹. Durch solche Befehlsübermittlung hat Gott ihm unter anderem denn auch gesagt, daß ein christlicher Bruder nicht mehr als einen Rock, zwei Paar Hosen, zwei Wämser und drei Hemden haben dürfe, und wer mehr davon hat, der möge es gefälligst an die Diakonen für die fremden Bedürftigen, für die aus der Fremde uns zugezogenen Brüder abliefern ...

Beschlagnahmungen aber stehen bekanntlich hoch im Kurse überall dort und bei allen denen, bei denen es nichts zu beschlagnahmen gibt, und da das nun einmal so ist und da er außerdem Bockelsons Gunst zu genießen scheint, so gilt das Wort dieses hinkenden Propheten bald sehr viel in Münster. Und so läuft er eines Tages im September, als alles noch in Siegesstimmung ist, auf den Markt und schreit, daß Gottes heiliger Mann Johann Bockelson fortan als König ... nicht nur von Münster, sondern als König über die ganze Welt und über sämtliche Reichsfürsten und natürlich auch über Kaiser Carolus anzusehen sei.

Das verkündet er, läßt sich von den herbeigerufenen Ältesten ein Schwert geben, reicht es Bockelson, ›auf daß ers führe, bis Gott die Herrschaft wieder von ihm nehme‹ ...

Nimmt auch Chrysamöl, salbt ›auf Befehl des Vaters‹ den Schneider und ruft ihn als ›Erben auf Davids Stuhl‹ zum König von Zion aus. Und hier wollen wir ein wenig verweilen.

Keine dreihundert Jahre werden vergehen, da wird über die Erde der Enzyklopädismus gegangen sein mit seinen Dreigroschenerkenntnissen und dem unerschütterlichen Nachweis, daß auch Könige verdauen und im Grabe verwesen ›just wie andere Menschen‹ ... keine dreihundert Jahre werden vergangen sein, da werden alle die frommen Mythen um die von Gott verliehene Krone zerstört sein und es wird Napoleon aus Metzgern und Bäckern Herzöge, aus einem Kommis einen König, aus den Königen der alten Dynastien aber Bettler machen.

So wird es um 1800 sein. Noch aber schreiben wir 1534, noch sind die Erinnerungen an die herrlichen staufischen Ungetüme so wenig verblaßt, daß noch zehn Jahre zuvor im Bauernkrieg die schwäbischen Haufen die alte wurmstichige Burg des Staufergeschlechtes, das doch immer den Bauern geschützt hatte, nicht verbrennen Die süddeutschen Bauern zögerten mit der Einäscherung. Angeblich war es ein Emissär des mitteldeutschen Münzerschen Haufens, der auf dieser Einäscherung bestand und sie durchsetzte. wollten. Noch lebt damals in den Herzen die Erinnerung an den Luxemburger Karl und an den ersten Maximilian, und wenn wir heute gar die um 1450 geschriebenen Berichte der Kammerfrau Helene Kottaner über die Krönung des doch erst vier Wochen alten Ungarnkönigs Ladislaus hören, so brausen bis in unsere Tage die Hymnen auf die Mystik der mittelalterlichen Krone.

Hier aber geschieht es, daß ein sozusagen im Straßengraben Geborener nach der Krone greift – einen ›Theaterkönig und Hurenoberst‹ beliebt Kerssenbroch ihn zu nennen – und daß er damit nachgerade alles herausfordert, was unausgesprochen in den Herzen seiner Zeitgenossen liegt. Er selbst hat später zugegeben, was auf der Folter schon im Herbst des Jahres 1534 der Prädikant Beckmann aussagt: daß diese ganze Königsproklamation ein vorher mit Dusentschnuer, mit Knipperdolling, mit den Prädikanten verabredetes Theater war, und wer daran noch zweifelt, mag die Frage beantworten, wie denn eigentlich bei dieser spontanen Eingebung des Dusentschnuer sofort ein Staatsschwert und eine Büchse Chrysam zur Stelle sein konnten. Theater ist die Proklamation, und Theater ist das Verhalten Bockelsons, der sich mit dem Gesicht auf die Erde wirft, sich zu jung für die Bürde eines königlichen Amtes nennt, schließlich aber sicher ist, daß Gott ihm helfen und seine Unzulänglichkeiten ausgleichen werde. So nimmt er die Krone an.

Als er dann mit seiner altbewährten Prophetentechnik behauptet, er habe dies alles seit langem schon gewußt, und als er etwaigen Widersachern die Schärfe des Staatsschwertes ankündigt, beginnt freilich die völlig überrumpelte Menge zu murren, und als die neugebackene Majestät dieses Murren hört, beginnt unter ausschweifenden Gebärden ein neuer hysterischer Ausbruch, der sich wieder in Drohungen mit dem Terror erschöpft. Da also schweigt natürlich der Widerspruch und ›do hebben sie upgehaven und hebben gesungen einen deutschen salm »Aleine Got in der hoegde sei ehr« und ein jeder is do widder tho huis gegain‹. Es blieb ihnen ja wirklich nichts anderes übrig, als sich mit dem neuen Königtum abzufinden, und hinterher bearbeiten die Prädikanten durch volle drei Tage das Volk, indem sie auf Jeremias XXIII und Hesekiel XXXVII aufmerksam machen. Dusentschnuer aber, der da weiß, daß aus vollem Magen und aus luxuriösem Leben am ehesten Opposition und hochmütige Nörgelei erwachsen, predigt erneut gegen Völlerei und erreicht es schließlich, daß ein ganzer Wagenzug abgelieferter Sachen in die Hofhaltung des neuen Königs geschickt wird.

Es ist mit neugebackenen Königen aber genau so wie mit neugebackenen Edelleuten: der papierne Edelmann von gestern wird gut tun, sich nicht sofort hinter einer Parforcemeute zu zeigen, und jede junge Dynastie mag sich Napoleons erinnern, der bei seiner zweiten Heirat mit Marie Louise von seinem kaiserlichen Schwiegervater eine ganze Kiste mit Papieren zum Nachweis seiner königlichen Abstammung bekam, die Kiste aber mit dem Bemerken zurücksandte, daß sein Königtum sozusagen von Montenotte und der Lodibrücke herrühre ...

Die Majestät von Münster aber vernachlässigt diese empfehlenswerte Spielregel gänzlich, und im Herbst 1534 ist es zunächst ein möglichst prunkvolles Hoflager, auf das sie ihre Zeit und ihre Mittel verwendet. So hören wir von einer sofortigen Beschlagnahmung aller in Münster noch vorhandenen Rösser für die Hofhaltung, wir hören sofort von Reiterspielen und auch von einem ziemlich umfangreichen Hofkalender. Der ist mit seinen 135 Namen – ungerechnet die sechzehn Frauen Se. Majestät – sogar phantastisch zu nennen, wenn man bedenkt, daß dieses Königreich die Ausmaße der heutigen münsterischen Altstadt nur unwesentlich überschritt und daß jenseits der Grenzen der Feind stand. Daß Knipperdolling zum Stadthalter, Rothmann zum Kanzler avanciert und daß wir unter den Räten und hohen Staatsfunktionären die altbekannten Täufernamen Gert tom Kloster und Redeker und Krechting finden, ist selbstverständlich. Was es aber da sonst an königlichen Vorschneidern, Kellermeistern, Mundköchen, Zapfmeistern, Trabanten, Hofmetzgern, Büchsenspannern, Lakaien, Garderobiers, Hofjuwelieren, Trabanten und Küchenchefs ›über die fette‹ und ›über die magere Kost‹ gibt, ist nicht auszudenken. Wobei bedacht werden soll, daß der Hofstaat der sechzehn königlichen Frauen in der Liste überhaupt noch nicht angeführt ist.

Interessant aber ist es, die Liste auf Namen durchzusehen, deren Trägern eine Stellung im Gefolge eines Schneidermeisters an der Wiege kaum gesungen war Dort, wo die Namen sich mit denen von namensgebenden Sitzen decken, besteht natürlich immerhin die Möglichkeit, daß es sich um simple Herkunftsbezeichnungen und um Leute handelte, die aus den betreffenden Orten in die Stadt gelaufen waren. Nicht überall freilich besteht eine solche Möglichkeit, und in einzelnen Fällen beweist das unzweifelhafte Auftauchen des eingesessenen Adels in niederer Stellung hierselbst nur die schauerliche Macht der Massenpsychose.. Der Name Krechting ist – in hoher Stellung! – zweimal vertreten, der der Bispings und Spees erscheint je einmal auf der Trabantenliste, wohingegen die Bussches dreimal, einmal unter den königlichen Ofenheizern, einmal in der Liste der königlichen Frauen, einmal aber auch unter den Lakaien des königlichen Harems, erscheinen. Und was soll es wohl, daß diese Liste auch einen Christoph von Waldeck, einen Namensvetter des bischöflichen Erzfeindes von Zion, anführt? Es ist, man staune, sogar ein leiblicher Sohn Se. bischöflichen Gnaden, der von den Täufern gefangen wurde und sich nun leider gezwungen sieht, den königlichen Schneider bei den Allerhöchsten Ausritten zu begleiten Christoph von Waldeck, der unter den königlichen Pagen genannt wird, ist dann am 2. Juni 1535 die Flucht aus der Stadt gelungen..

So also kann der ehemalige Kneipenwirt und ›Rederyker‹ in seinem Hofalmanach den Träger eines uralten deutschen Geschlechternamens als Pagen benennen, bei einem norddeutschen Edelfräulein schlafen und sich von ihrem Herrn Vetter den Ofen heizen lassen. Da aber nun einmal zum Königtum Krone, Szepter, Reichsschwert, Hermelinmantel, Reichsapfel und Siegel und alle jene Attribute gehören, mit denen nach allgemeiner Vorstellung ein König dauernd behangen ist, so haben in den nächsten Wochen die Hofjuweliere zu schaffen! Dieses Königs Krone besteht gleich aus zwei und nach anderen Nachrichten gar aus drei Teilkronen, die, übereinandergeschmiedet, eine Art Tiara gebildet haben mögen, sie sind aus reinstem Dukatengolde gefertigt und umschließen einen schwarzen Samthut. Außerdem aber ›hadde der konningk ein gulden ketten / in derselven ketten dair hadde hei innen hangen die werlt – Weltkugel – glick als sein wappen mit einem golden runden appel und boven – oben – auf dem appel ein golden creutze stecken‹ Die Echtheit der beiden in zwei westfälischen Adelsfamilien aufbewahrten ›Bockelsonketten‹ wird angezweifelt.. Diesem Aufwand an Gold entsprechen goldene Sporen, ein goldbeschlagener Sattel, ein Staatsschwert Die Waffen des Königs wurden etwa zwanzig Jahre nach dem Sturz des Bockelsonschen Königtums von dem bischöflichen Kanzler v. Elen der Stadt vermacht. Wovon noch eine beglaubigte Abschrift des Testamentes zeugt.
Die Waffen sind noch bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges als städtisches Eigentum nachweisbar: 1619 noch quittiert ein Münsterer Schwertfeger dem Rat über den für die Reinigung der Waffen empfangenen Betrag. Neuerdings ist ein im Münsterer Rathaus aufbewahrter, durch seine außerordentliche Schlankheit auffallender Panzer durch den Direktor des westfälischen Landesmuseums zu Münster, Professor Geisberg, als der des Königs angesprochen worden.
mit goldbeschlagener Scheide, ein von drei goldenen Reifen umgebenes Szepter und, nach der Sitte der Zeit, Fingerringe Der Ring mit dem Staatssiegel zeigte den Reichsapfel mit dem Kreuz, durchbohrt von zwei Schwertern. Das Siegelbild war umgeben von der Umschrift ›De konningk in dem nien – neuen – tempel fort dit vor ein exempel‹. Der Bischof schenkte nach der Einnahme der Stadt auch diesen Ring an Dietrich v. Elen, der ihn dann bei seinem Tode samt den schon erwähnten Waffen der Stadt vermachte. Der Ring wurde später vom Rat an den münsterischen Goldschmied Knop verkauft. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt. an sämtlichen Fingern. Tizian hat den fünften Karl nur wenige Jahre später in einem einfachen schwarzen Gewand mit dem Goldenen Vließ als dem einzigen Schmuck gemalt – dieser König trägt, nach Kerssenbroch wenigstens, meist ein scharlachrotes, oft aber auch ein mit Gold und Silber reich geziertes oder ein in allen Farben schillerndes und mit figürlichen Mustern reich durchwirktes Wams, und nach Gresbeck war es eben des Vaters Wille, ›dat hei sick so rüsten solte. Der gemein man konde nicht wieder kriegen von seinem gelt offe von seinem silver oder golt / aver der konningk und die rede droegent und heddent under handen‹, und in der Tat hat es wegen dieses Aufwandes mancherlei Murren gegeben in Münster Die Folterbekenntnisse der gefangenen ›Apostel‹ schildern Johanns Anzug zwar schlichter, immerhin aber noch prunkend genug. Die königlichen Trabanten trugen übrigens die königlichen Wappenfarben Rot und Grau, dazu auf den Ärmeln die bekannte, von Schwertern durchbohrte Weltenkugel..

Dem Kleiderluxus entspricht die ureigentliche Hofhaltung. Daß es in der Königlichen Wohnung, der ehedem an der Stelle des jetzigen Postgebäudes gestandenen Buerenschen Kurie, eine Hofkapelle, eine Hausorgel, einen Hoforganisten gab, daß der königlichen Tafel auch die in der Stadt längst verschwundenen Leckerbissen zur Verfügung standen, versteht sich beinahe von selbst, und von selbst versteht es sich auch, daß die sechzehn königlichen Frauen ein nicht minder üppiges Leben führen. Die königliche Wohnung verbindet ein eigens hergestellter Durchbruch direkt mit dem unmittelbar daneben gelegenen Frauenhause, wo Divara Richtiger wohl in der Schreibweise der holländischen Zeitung ›Differe‹. Sie stammte aus Haarlem., des seligen Matthys hinterlassene und von Bockelson auf Gottes eigenen Befehl geehelichte Witwe gebietet. Sie ist nach zeitgenössischen Presseschilderungen eine außerordentlich schöne Frau, sie ist die einzige unter diesen sechzehn, die zur ›Königin‹ erhoben ist und als solche auftritt. Unter den weiteren fünfzehn erscheint einmal der Name Kibbenbrock, einmal der Name Kerkerinck, zweimal der Knipperdollings. Wobei freilich bemerkt werden muß, daß es sich in einem Falle möglicherweise nur um Knipperdollings Magd gehandelt hat, während Clara Knipperdolling, der Tochter des Statthalters, der Umgang mit dem Könige so miserabel bekam, daß, nach Kerssenbroch, auch in diesem Falle die ›Meestersche‹ Knupper in Funktion treten mußte. Kerssenbroch berichtet noch mancherlei Einzelheiten aus diesem Harem – Einzelheiten, die das Peinliche streifen. Wichtiger erscheint die schon einmal erwähnte und von Gresbeck so derb kommentierte Tatsache, daß im Laufe der nächsten zwölf Monate in diesem ganzen königlichen Harem nur zwei Kinder – eines von Divara selbst und eines von Margarethe Moderson – geboren werden. Übrigens hält der König darauf, daß ihm jede in der Stadt vorgekommene Geburt stracks gemeldet wird. Das Kind der Divara, das ja noch von dem toten Matthys empfangen wurde, erhält, um seine etwas heikle Stellung innerhalb der königlichen Nachkommenschaft zu bemänteln, den Namen ›Kind Neugeboren‹.

So die Hofhaltung des Königs, nach der sich der Bischof bei allen inzwischen gefangenen Täufern höchst eingehend erkundigt. Bockelsons Auftreten als Staatsoberhaupt, zumal als oberster Richter des Gottesreiches, entspricht diesem Aufwande. Mit Teppichen bedeckt steht auf dem Markt zwischen den für den Hof bestimmten Bänken auf einer Empore von drei Stufen der Thron und Richterstuhl, und dreimal in der Woche vernehmen wir hier auf unsere mannigfachen Klagen und Beschwerden aus dem Munde des Königs den Wahrspruch. Dann betritt den Markt ein feierlicher und pomphafter Aufzug: ein Hofmeister mit weißem Stab und nachfolgenden Trabanten eröffnet, es folgen die Räte und Würdenträger, es folgt zu Roß der König und in ihrer Kutsche Königin Divara, es folgen – Kerssenbroch beliebt, von Huren zu reden – die übrigen königlichen Frauen und verlassen dann auf dem Markt den Aufzug und nehmen die Fensterplätze eines nahen Hauses ein und schauen zu, wie er, der Herrlichste von allen, Recht spricht. Der sitzt, zwei Pagen vor sich auf den untersten Stufen, auf seiner Sella curulis, der linke der Pagen hält das Alte Testament, der rechte das Reichsschwert. Der liebe Rothmann, der natürlich auch zugegen ist, gibt gern nach gefälltem Richtspruch einen Kommentar in Form einer Predigt, wozu, da die meisten der hier verhandelten Fälle sich um die neuen Ehegesetze des Staates und ihre mannigfachen Verletzungen durch unbotmäßige Frauen drehen, mancherlei alttestamentliche Handhabe sich bietet. Denn siehe, obwohl doch auch unser neuer Prophet Dusentschnuer erst kürzlich wieder zum willigen Hinnehmen dieser Ehegesetze aufgefordert hat, wagt Elisabeth Hölscher es, sich ihrem Manne zu entziehen, wagt Katharina Koekenbecker, es mit zwei Männern zugleich zu halten, wagt es Margarethe von Osnabrück gar, unseren zu ihrer Ermahnung erschienenen Prediger Schlachtschaf nicht nur gröblich zu beschimpfen, sondern auch anzuspucken und mit unappetitlicher Flüssigkeit zu begießen. Während Barbara Butendieck es sich herausgenommen hat, mit scharfer Zunge ihrem Eheherrn zu widersprechen.

Das Richtschwert liegt ja für solche Fälle immer bereit, und nur Barbara Butendieck, die schwanger ist, entgeht ihm vorerst und wird sogar nach der im Februar 1535 erfolgten Niederkunft begnadigt, da sie ja genug Angst ausgestanden hat. Die anderen Damen aber werden erbarmungslos geköpft. Meist beschließt übrigens ein von einem der Pagen verlesener Psalm, mitunter wohl auch ein öffentlicher Tanz der Hofgesellschaft oder gar ein Konzert der königlichen Kapelle die Tagung. Worauf die Majestäten in dem gleichen feierlichen Aufzug wie beim Anmarsch sich wieder in den Palast zurückbegeben.

So ist es, und dies kann wohl die etwas kurz befristete Blütezeit des jungen Königreiches genannt werden. Es ist die Zeit der sonnigen Herbsttage, da der abgedankte Schneider an den Landgrafen Philipp von Hessen Briefe schreibt, die – man ist ja unter sich und verhandelt also als ›Reichsfürst‹ mit dem Reichsfürsten! – mit ›Lieber Lips‹ beginnen ... es ist die Zeit, da der selbstbewußte junge Staat Münzen schlägt mit den Inschriften ›Das Wort ist fleisch worden und wonet under uns‹, oder, noch markanter, ›Ein Koningk oprecht over all / ein glaub / ein tauff to Monster‹. Und so wären wir ja wohl, in der historischen Parallele zur Französischen Revolution, etwa angelangt bei der Staatskonsolidierung und in jenem Abschnitt, da Napoleon St. Cloud und Malmaison bezog und die Jakobiner verfolgte und den alten emigrierten Adel zurückrief?

Hätte hinter Münster etwas mehr Macht gestanden, wäre die holländische Intervention tatsächlich erfolgt, es wäre vielleicht ähnlich gekommen und vielleicht hätte dann dieser heillose Sohn des Chaos seinen Frieden gemacht mit der Ordnung der Umwelt, hätte die Wiedertaufe samt Propheten, Altem Testament, Haremsdamen und dem ›Seid fruchtbar und mehret euch‹ hinter sich gelassen und mit Bischof und Reich seinen guten Frieden geschlossen. Just so wie Napoleon, als die Zeit reif geworden war, die Freundschaft mit den beiden Robespierres vergaß, die Jakobinermütze, die revolutionäre Zeitrechnung hinter sich ließ, Baboeufs Jünger in eisernen Käfigen nach Martinique spedierte und langsam seinen Frieden mit dem übrigen Europa und die angestrebte Legitimierung seiner Dynastie vorbereitete.

Wäre es nun auf diesen Bockelson, der seinen ›Brumaire‹ zu früh angesetzt hatte, allein angekommen, es hätte wahrhaftig einer ähnlichen Lösung nichts im Wege gestanden. Ich zweifle nicht im mindesten daran, daß im Grunde diesem Sproß der mittelalterlichen Unterwelt die ganze täuferische Ideologie herzlich gleichgültig, daß sie ihm lediglich Mittel zur Gewinnung persönlicher Macht war ... daß er selbst zu jedem Verrat an der Sache und zu jedem Verrat an all diesen Propheten und Amokläufern bereit gewesen wäre, wofern er sich dadurch den Frieden mit dem Reich und einen Abgang mit leidlichem Gewinst hätte erkaufen können.

Er konnte es eben nur nicht, und daß just in diesen Tagen der Bischof einen Vorschlag der Stadt Bremen zur Vermittlung des Friedens ablehnt, spricht wohl dafür, daß er Bockelsons Lage durchschaute. Die oben ausgesprochene These, daß Revolutionen in der Regel Sicherheitsventile zur Entleerung angestauten Massenressentiments darstellen, und daß vor solcher Entleerung jede gegenrevolutionäre Maßnahme und auch jeder vorzeitige ›Brumaire‹ zwecklos ist – diese These wird hier wieder einmal erhärtet. Als Napoleon den seinen vorbereitete, hatte Paris die Carmagnolen und die Schreckensherrschaft längst hinter sich. Als Bockelson sich zum König machte und Philipp von Hessen mit ›Lieber Lips‹ anredete, war in Münster das Geschwür noch lange nicht geplatzt. Wofür wir ja nun bald die Beweise sehen werden.

Die von Rothmann und Klopriss verfaßte Schrift, die in diesen Tagen in Münster gedruckt wird und an Pfeilen und Stöcken ins bischöfliche Lager und in alle Welt hinausfliegt – diese in der Geschichte des münsterischen Königreiches als ›Restitution‹ bekannte Schrift ist nur ein Beweis dafür, daß Münster an einen Frieden mit der Umwelt noch gar nicht denken konnte. An sich ist sie eine Wiederholung der oben schon erwähnten täuferischen Theologie in noch selbstbewußterer Form. ›Restitution‹ heißt sie, weil Gott ja von Zeit zu Zeit durch höchst persönliche Offenbarungen die verlotterte Menschheit ›restituiert‹. Christi Erscheinen war eine ›Restitution‹, nur fiel die Menschheit hinterher um so tiefer, und weder die Juden noch die Sarazenen und Türken haben Gott je so verachtet wie die sogenannte Christenheit. Wie der Papst, der nun den allertiefsten Abfall darstellt, wie die Theologen, die Christi Lehre verdarben, wie die Universitäten, die ein Gleiches taten, wie die Fürsten, die das Christentum nur als Mäntelchen für ihr pestiges Streben nach Macht benutzen ...

Eine ›Restitution‹ hätte, ehe er ja nun leider in seinem Hochmut steckenblieb, Luther mit seiner Rebellion bringen können, so aber kam die einzige wirkliche Restitution von Melchior Hoffmann, von Matthys und ›unserem Bruder Johann‹. Restituiert ist in Münster die Welt durch die Neuoffenbarung des Alten Testamentes mit all seinen noch lange nicht erfüllten Verheißungen, restituiert ist die Menschwerdung Christi im Fleisch, bei der ›das Wort Fleisch ward‹ ... restituiert ist die Erlösung des Menschen von seinen Sünden in gottesfürchtigem Wandel, den die Altgläubigen über ihrem wüsten Leben ja ganz und gar vergessen haben.

Dies alles haben unsere Propheten ›restituiert‹. Restituiert haben sie in diesem Sinne die Taufe, aus der der Antichrist ›ein Kinderbad und ein Zauberkunststück mit Blasen und Scheuern gemacht hat‹, restituiert ist sie, weil sie nunmehr dem bewußten Erwachsenen gehört. Restituiert ist in Münster die Kirche, da die Lutherischen wahrhaftig besser daran getan hätten, Papisten zu bleiben, statt die römische Messe, als sei eine deutsche Sünde leichter denn eine lateinische, durch eine deutsche Messe zu ersetzen. In all diesen Messen aber macht der Antichrist sich einen ›Gott aus Brot‹, zeigt ihn dem Volke und verlangt seine Anbetung und frißt hinterher diesen ›Brotgott‹ auf. Haben wir nicht auch hier Restitution geschaffen mit unserem Nachtmahl ohne alle Zauberformeln?

Restituiert ist die Ehe, weil die Vielweiberei bezeugt ist durch die Patriarchen und die Apostel, Vielweiberei ist notwendig, weil anders das Gottesgebot der Menschheitsmehrung sich nicht erfüllen läßt. Restituiert ist auch, da die bisherige nur ein Zerrbild der göttlichen war, unsere Obrigkeit, restituiert endlich ist nicht zuletzt die menschliche Gesellschaft aus der Gemeinde der Heiligen. Aus der Gütergemeinschaft, aus dem Fehlen jeder Eigensucht, aus einem idealen Zustande, ›bei dem es kein Kaufen und Verkaufen, keine Arbeit um Geld, keine Rente und keinen Wucher, kein Essen und Trinken von der Armen Schweiß gebe‹.

Das ungefähr ist diese berühmte ›Restitution‹ des lieben Rothmann – ein neues Taschenspielerkunststück der münsterischen Propaganda, ein neuer Wink für die unzufriedenen Massen, die damals gegen den jungen Frühkapitalismus aufbegehren ...

Ein neues Irrlicht für alle die trüben und die ehrlichen Gottsucher und für das idealistisch-häretische Wüten einer großen Zeitwende, eine Fanfare für alle, die in solcher Zeit ständig Bastillesturm und Pikenfest, kurzum jeden Tag revolutionären Geburtstag haben möchten.

Abermals, wie ihre Vorgängerinnen, befleißigt die Schrift sich einer gefälligen und biedermännischen Diktion, abermals stellt sie die münsterische Bühne hinter rosenrotes Lampenlicht, abermals verschweigt sie den Blocksberg und die ... ich kann nur sagen alttestamentliche Besoffenheit, die just damals die münsterischen Gassen mit ihrem Gegröl erfüllte. Zur Zeit – obwohl ja auch das wiederkehren wird! – läuft zwar niemand mit Bußerufen durch die Stadt, dafür erleben wir in Münster gegenwärtig das angenehme Schauspiel, daß zwei kleine Mädchen – Kinder von acht oder neun Jahren – alles terrorisieren, was sich noch erlaubt, an halbwegs eleganten Kleidern einigen Schmuck zu tragen. Dies aber vollzieht sich nicht etwa in den üblichen Bekundungen einer etwas verluderten Jugend, es vollzieht sich in einer grotesken und schauerlichen Weise, aus der uns der zeitweilige Massenwahnsinn eines großen Gemeinwesens von zehn- oder zwölftausend Einwohnern – also einer für mittelalterliche Verhältnisse schon bedeutenden Stadt! – angrinst.

Diese kleinen Bestien also stellen sich gutgekleideten Leuten – Männlein und Fräulein – in den Weg, weisen mit ihren Fingern stumm auf unzeitgemäßen Schmuck, springen, um bunte Hauben und Seidentücher abzureißen, den Weibern an den Hals, bekommen, wofern sie auf Widerstand stoßen, Schreikrämpfe, alarmieren damit die ganze Stadt und verfahren entsprechend auch bei Mannsbildern mit elegantem Anzug. ›Wan sie denn bei die mans kemen / die schone hosenbende hedden / dar gingen sie tegen stain – blieben sie stehen – und weiseten mit den fingeren und gaben ein gelaut von sich / recht wie ein mensch / der stum was. Wolte der man die hosenbende afbinden willich / so weren die medeckens wol thofreden und sprungen up in die lucht und schloegen die hände tho hope und sagen – sahen – mit dem angesicht in die lucht und stelten sick an / glick als ein stum mensch plecht tho doin. Wolde der man die hosenbende nicht laten afbinden / so wurden die medeckens tornich und schreiden. So giengen ouck diese selven medeckens doir die stat und suchten die frowenluede / die schoene halsdoeker umme hedden und dair liepen die medeckens na und springen den frowenlueden an den hals und toegen oem af / wer des nicht willen wolde von sick geven.‹ So verhält es sich gegenwärtig in Münster, und die Folge ist, daß die Stadt sich diesem Terror willig fügt und, gleich als hätten diese kleinen Bestien eine neue Erkenntnis gebracht, nun aus freien Stücken noch weiter geht: hinfort trägt man nur noch schwarze Hauben und färbt selbst die roten Schlafmützen schwarz, man zerbricht sämtliche Spiegel und läßt den abgerissenen Tand den beiden kleinen Furien zum Verbrennen. Die aber bekommen ihre Anfälle auch dann, wenn sie gerade keine Razzia veranstalten, sie stecken mit ihrem bekannten Gebrüll ›O Vater, gib, gib!‹ auch wieder einmal die erwachsenen Frauen an. Bis der König und die Prädikanten auf diese Exzesse aufmerksam werden und dafür sorgen, daß die Kinder aus der Öffentlichkeit verschwinden.

Denn Bockelson war kühl und klug genug, um die Gefährlichkeit und das Kompromittierende solcher Dinge zu ermessen, und dort, wo wir ihn in Zukunft an solchen Szenen selbst beteiligt sehen, da merkt man noch heute, nach vierhundert Jahren, diesen Schilderungen an, wie sehr dieser vielgewandte Odysseus Theater spielte. Da aber die weiteren Exzesse dieser Art nicht etwa von zwei hysterischen Kindern, sondern von Knipperdolling und somit von dem königlichen Statthalter selbst ausgehen, so sei hier vorweg die prinzipielle Frage aufgeworfen, ob es sich bei dem folgenden um eine beabsichtigte Kompromittierung des Königs handelte ...

Oder ob der Herr Statthalter in solchen Augenblicken wirklich närrisch war und, nach Gresbeck, ›nicht recht bei Verstande, wenn hei den geist bei sick hedde‹ Aus seinem späteren Bekenntnis zu den folgenden Vorgängen: ›Item / er sey einmal gefengelich angenommen / der orsake / dat he etzliche verblyndung gehat / dat er nit wisse / wat er dede.‹.

Die Frage beantworten, heißt erstmalig genauer jenen seltsamen Mann betrachten, der so dunkel und rätselvoll neben dem Thron steht und so wenig gemein hat mit diesem Bockelson, dem wir ja in den Bravos der Dostojewskischen ›Dämonen‹ und in den mannigfachen Abwandlungen des bolschewistischen Menschen allenthalben begegnen. Wer aber war dieser Knipperdolling? Sein Bild zeigt statt der verquollenen und gedunsenen Züge des Königs die Merkmale der guten Herkunft ebenso, wie es die Züge des Paranoiden und des stigmatisierten Propheten zeigt. Das Henkeramt, das den Ausübenden nach den Begriffen der Zeit unehrlich machte, scheint ihm keine sonderliche Bürde gewesen zu sein, da er nach dem Mollenheckschen Aufstande die Köpfe der Gefangenen ja sicherlich mit einigem Behagen abschlägt Aus dem gleichen Geständnis Knipperdollings: ›Item / er hebbe XI oder XII mit syner handt gerichtet / ouck etzliche mit schrouven up den benen gepyniget.‹
Die Zahl erscheint reichlich niedrig angesetzt. Der König, der als Scharfrichter doch sozusagen dilettierte, gibt für seine Person allein sechs bis acht Köpfungen in seinem Geständnis zu.
. Die Anfälle aber, deren wir Zeuge waren, tragen bei ihm den Stempel der Echtheit dort, wo sie bei Bockelson immer als übles Theater erscheinen.

Und doch muß in dem, was im Herbst zwischen den beiden Männern sich ereignete, auf Knipperdollings Seite ein Stück Berechnung gewesen sein. Die entsprang dem Groll auf diesen, um ein Hamlet-Wort zu gebrauchen, ›Geflickten Lumpenkönig‹, der hinter dem Zaun geboren war und nun den Souverän Bekenntnis des gefangenen Königs: es sei zwischen ihnen oft Zwietracht gewesen. ›Denn Knipperdolling hebbe gesecht / se handeln butten der Schrift und wolde dem Koningk gelik syn.‹ Gresbeck berichtet, daß Knipperdolling die Königswürde Bockelson mindestens mißgönnte, was Kerssenbroch und zahlreiche andere Quellen bestätigen. spielte, sie setzte es sich zum Ziel, Bockelson durch planmäßiges Komödienspiel vor dem Pöbel lächerlich zu machen und ihn in Situationen zu bringen, denen der ›Theaterkönig und Hurenoberst‹ nicht recht gewachsen war. Ziel und Mittel dieses seltsamen Beginnens sind also ohne weiteres klar, unklar bleibt eben nur die Gemütsverfassung, in der er es begann. Es dürfte mit ihm hierbei nicht viel anders gestanden haben wie mit dem Dänenprinzen Hamlet: er schlüpft, um sich freies Spiel und Straffreiheit zu sichern, in des Narren Kleid. Nur daß beiden, dem Shakespeareschen Helden wie dem münsterischen Tuchhändler, in ihrer Exaltiertheit der Augenblick kommt, wo ihr Spiel allzu natürlich wird und wo die freiwillig gewählte Rolle des Narren Herr wird über die Komödianten selbst.

So steht es wohl mit dem seltsamen Manne, der Knipperdolling heißt. Den Beginn dieses tollen Narrenspiels haben wir wohl in die Wende vom September zum Oktober 1534 zu verlegen, als Knipperdolling in einem seiner bekannten Anfälle, die ja lange genug ausgesetzt haben, wieder einmal auf die Straße rennt und sein bekanntes ›Tut Buße / bessert euch!‹ brüllt. Genau so, wie wir es aus seinem Munde im Februar gehört haben.

Was nun aber im Februar sehr am Platze erschien, klingt heute doch wohl unschicklich und anstößig, denn seither, du außer Rand und Band geratener Tuchhändler, haben wir doch wohl ein neues Leben begonnen, ein Register der bösen Werke aufgestellt, uns selbst aber der guten so eifrig befleißigt, daß ein Aufruf zum Bußetun in dieser vor Gott untadelig dastehenden Gemeinde nachgerade eine Beleidigung darstellt.

Knipperdolling aber, anscheinend ganz und gar von Sinnen, rast auf den Markt, wo der König gerade Gerichtstag hält und wo er, Knipperdolling, nun nach Kerssenbrochs Worten ›instar apri spumans humi prostatus tacuit‹ ... mit Schaum vor dem Munde wie ein Eber sich zu Boden wirft und vorerst einmal mit seinem Gebrüll Ruhe gibt.

Was aber nicht lange dauert und wohl nur als kleine Erholungspause für den malträtierten Kehlkopf gedacht ist. Denn urplötzlich springt er auf, kriecht nach Kerssenbrochs Schilderung in einer wirklich nicht ganz leicht nachzuahmenden Technik wie ein Quadrupede auf den Köpfen (!) der Stehenden (!) herum, verkündet ihnen ihre Heiligung durch Gottvater, bestreicht auch mit Speichel die Augen der Blinden und verkündet ihnen das Wiedererwachen ihrer Sehkraft ...

Die Blinden hören deswegen leider nicht auf, auch weiterhin blind zu sein – wer aber wird sich inmitten solcher Szenen sofort der paar enttäuschten armen Tröpfe erinnern? Denn zu Ende ist diese maniakalische Entleerung noch lange nicht, und von jetzt an nimmt sie Formen an, die nachgerade unerhört sind vor einem Thron und die Autorität Se. Majestät selbst schwer gefährden.

Der König hat bislang in all seiner Pracht auf seinem Stuhl gesessen und nach dem üblichen Gerichtstag der Predigt der Prädikanten gelauscht. Nun aber erscheint urplötzlich in einer Pause dieser Predigt der Herr Großvesir, steht, was bei der damaligen Tracht immerhin ein erhebender Anblick gewesen sein mag, vor dem Thron auf dem Kopf, bezeichnet sich als des Königs Narren, stemmt die Hände in die Hüfte, verneigt sich vor Bockelson ...

›Her Koningk guden tagh / wi sitte jy hir / her Koningk?‹ Das wäre also wohl das, was der neudeutsche Dialekt als ›Anpflaumen‹ bezeichnet, und das alles wird nicht weniger unziemlich dadurch, daß der Herr Premierminister plötzlich vor seinem königlichen Herrn herumzutanzen beginnt, ihm zuruft, ›er tanze jetzt vor ihm just so, wie er früher mit Huren getanzt‹, ... daß er einem königlichen Trabanten die Hellebarde entreißt, sie schultert, vor Bockelson damit herummarschiert und ihn anschreit, ›so wollten sie nun beide ausziehen und die Gottlosen strafen‹. Das Furchtbare dabei ist, daß dieser Anfall sofort auf die Umgebung übergreift. Denn als Knipperdolling nach diesem Tanz vor dem königlichen Thron sich wieder an die Umstehenden wendet und sie durch Küsse auf Mund und Wange in seiner Art von neuem ›heiligt‹, da beginnt unter denen, an denen er mit dieser Heiligung vorübergeht, ein großes Wehgeheul, ›und ein deil luede / die hei nicht hilligen wolde / die hebben geschrien / die arme zimpel – einfältigen – luede / die nicht besser wisten. Ein deil merckede aver wohl / dat der duvel so mit inen regierte‹.

So also steht es mit Münster um diese Zeit. Keine Beruhigung, keine Festigung, sondern ein weiteres Hochklettern des Fiebers – kein Sichzurückfinden in die nüchterne niederdeutsche Welt ringsum, sondern ein rettungsloses Sichverfangen in den roten Schleiern und Schlingen der Massenpsychose. Da aber in einem Gemeinwesen, in dem Verrücktheit zum üblichen Durchschnittszustand wird, der König als der einzige Geistesgesunde unmöglich ist, so fühlt sich Bockelson, der während dieser peinlichen Szene auf seinem pathetischen Thron eine ziemlich unglückliche Figur gemacht haben mag, seinerseits zu einem Anfall verpflichtet, der dann freilich, sehr im Gegensatz zu dem des Statthalters, durchaus den Eindruck verzweifelter Komödienspielerei macht. ›Als nu der Koningk heft gesetten up seinem stoel und heft tho gesehn / so ist im gekomen des doepers geist unde er is von seinem stoel gefallen und das scepter is ime uth der hant gefallen und heft seine hende gefoldet und heft lange gesetten / recht wie hei beschweiget – stumm – was. Da hebben ouck die wiver gekrischen und der geist begunt irer ouck ein deil tho plagen / dat sick ein mensch mochte verschrecken / der datselve ansach. Als nu Knipperdolling heft gesehn / dat der Koningk is von seinem stoel gefallen / so heft he gelopen na dem Koningk und heft den Koningk umbfangen unde heft in wedder up den stoel geset unde heft im do den geist eingeblasen. So is der Koningk wedder levendigh worden und heft gesacht mit einer bevende stim: »Leven broeders und susters, wat sehe ick for grote frewde.«‹ Und siehe, plötzlich sind in den Augen der halluzinierenden Majestät alle die spitzbäuchigen Bürger und alle die alten Hutzelweiblein engelschön geworden, und, was am bedeutsamsten ist, es kreist vor dem Auge des königlichen Schneiders der Markt mit seinen Häusern, die demolierten Kirchtürme, ganz Münster ...

Was natürlich nichts anderes heißen kann, als daß der König nun mit seinem Volk rund um die Welt ziehen und König des ganzen Erdballes werden soll. Worauf die anwesenden Damen erneut Beifall kreischen und der Geist der visionären Heimsuchung Seine Majestät langsam wieder verläßt.

Leider aber gelingt mit diesem Theater eine Beendigung der peinlichen Szene nicht, leider treibt der Statthalter seinen groben Unfug weiter. Er ruft sich aus der Menge nun jene Männer heraus, die in der bewußten Februarnacht, als des Bischofs Leute Einlaß begehrten, mit ihm als Geiseln der Altgläubigen im Überwasserturm gesessen haben – er setzt sie auf die Bank vor dem Thron, bläst ihnen ›einen lebendigen Odem‹ ein, ›konde aver inen den geist nicht ingeblasen‹. Was vielleicht, da es sich um lauter alte und gebrechliche Männer handelt, kein Wunder ist, was aber den Herrn Statthalter keineswegs hindert, die alten Leutchen, die da etwas verstört und etwas blöd auf ihrer Bank sitzen, als seine Apostel zu bezeichnen und sie mit den entsprechenden Namen Petrus, Paulus, Simon usw. auszustatten. Die Majestät auf ihrem Thron fühlt, daß diese lächerliche Szene ihrer Würde immer mehr Abbruch tut und äußert den lebhaften Wunsch, nach Hause zu gehen, wird aber von Knipperdolling zurückgehalten. Der nämlich läßt vor dem König die von ihm Geheiligten das Knie – die Männer das rechte, die Weiber das linke – beugen, und zuletzt spricht er zu den Aposteln den verschrobenen und etwas apokryphen und nebst seinen wunderlichen Wiederholungen von Gresbeck offenbar selbst mitangehörten Satz, der beinahe wie ein Bestandteil der Merseburger Zaubersprüche klingt ...

›Got Got weise. Got Got gift iw erlof erlof – Urlaub – / dat gy – ihr – solt tho huiss huiss gain gain.‹ Worauf denn diese psychiatrische Klinik sich langsam verzieht und zu Mittag geht.

Leider aber beginnt am nächsten Tag der Hexensabbat von neuem, und von neuem kommt über den Markt getanzt der Herr Statthalter, setzt sich zum König auf den Thron, schreit in die Menge, er habe Bockelson zum König gemacht und ›dat hei wolde ouck ein Koningk sein‹. Das aber ist natürlich ein bitterböses Wort, das den Tatbestand des Hochverrats erfüllt, und natürlich hat es schlimme Folgen. ›Do der Koningk sach und hoerde / dat Knipperdolling sachte / dat hei von rechten solde ein Koningk sein und dat hei in tho einen Koningk gemacht / do is der Koningk tornich worden‹, was ihm keineswegs verdacht werden kann, und was in diesem Falle zur Folge hat, daß der König, ähnlich wie der hamletische nach dem bekannten Schauspiel, mit Geräusch aufbricht und der unwürdigen Szene den Rücken dreht und ›tho huiss gait‹. Nur muß eben ein König, wofern er einmal fortgegangen ist, nicht wieder gleich zurückkehren – er tut in solchem Falle doch wohl besser, einen Gardehauptmann zur Aufhebung des Unruhestifters zu schicken, sich selbst aber, nachdem seine Würde gekränkt ist, dem Volk lange nicht zu zeigen ...

Diese Regeln des Königsspiels aber kennt der ehemalige Kneipenwirt nun einmal nicht, und was er tut, ist nicht gerade würdevoll. Wie ein Marktweib, dem noch ein paar nicht verschossene Scheltworte nach dem Hader mit der Nachbarin eingefallen sind, kommt Bockelson zurück, befördert Knipperdolling, der sich's inzwischen auf dem Thron bequem gemacht hat, eigenhändig herunter und ›heft im verbaden / dat hei stil schweigen solt. Und do heft Knipperdolling geschwegen‹. Da aber Bockelson merkt, daß die Szene auf die Anwesenden einigen Eindruck gemacht hat, fordert er das Volk auf, ›auf den sonst hochverdienten Statthalter nicht acht zu geben, da er von Sinnen sei‹, läßt ihn endlich verhaften und gefesselt ›in thorn‹ werfen. Wo Knipperdolling drei Tage verbleibt.

Beide Herren kannten ja wohl einander und wußten sehr genau, was bei guter Gelegenheit ein jeder vom andern zu erwarten hatte, und da das auf beiden Seiten kaum etwas Gutes ist, fühlt Knipperdolling den Kopf auf der eigenen Schulter wackeln, und es überkommt ihn in seinem Kotter die große Reue, und er läßt den König wissen, daß er in heller Verwirrung und sicherlich unter dem ›Einflusse eines unsauberen Geistes‹ gehandelt habe. Der König andererseits, der ohne lautes Murren der Einheimischen einen Alteingesessenen und hohen Funktionär nicht köpfen lassen kann, schreibt ihm ins Gefängnis einen von Komplimenten und von Nachsicht überfließenden, im übrigen aber ziemlich süßsauren Brief, empfiehlt ihm in der Schrift die Lektüre der Geschichte von Josua, von Mardochai und auch die des letzten Esra-Kapitels und verbleibt im übrigen sozusagen sein wohlaffektionierter König Johann und schreibt unter seinen Namenszug nach gewohnter Weise: ›Gots kracht ist mein macht.‹ Worauf er ihn freiläßt und in Gnaden wieder in sein Amt einsetzt.

Dies ist der erste schwere Skandal um den jungen Thron und er bleibt insofern nicht ohne nachhaltige Wirkung, als ›do ein deil wiederdoepers was / die wolden hebben / dat man solde noch einen Koningk kiesen‹, zum weltlichen Bockelson nämlich noch den geistlichen Knipperdolling. Was Bockelson dadurch beantwortet, daß er jeden, der solch vermessenen Gedanken äußert, unverzüglich einsperren läßt.

Dies sind die skandalösen Vorgänge, wie sie sich Ende September oder anfangs Oktober in Münster ereignet haben mögen. Wohl läßt sich ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen ihnen und dem, was nun folgte, nicht nachweisen ... dem unbefangenen Beobachter fällt es auf, daß alles, was nun kam – die Ernennung von Aposteln und der Plan eines Auszuges ins gelobte Land – schon während des Knipperdolling-Skandals in den beiderseitigen Visionen des Statthalters und auch des Königs aufgetaucht ist. Hatte der König nicht von einem Auszug geredet und war am Ende schon für jetzt mit den Brüdern in Holland ein Ausfall allergrößten Stils geplant, war am Ende späterhin das berühmte ›Abendmahl auf dem Berge Zion‹ nur ein Manöver, mit dem die Aufmerksamkeit der Massen von den eigentlichen Plänen der Staatsleitung und vielleicht auch ein wenig von dem eben überstandenen Knipperdolling-Skandal abgelenkt werden sollte?

Wir wissen es nicht und haben nur eine recht geschickte Vorbereitung der Massen auf alle die wunderlichen Geschehnisse zu verzeichnen. Seit einiger Zeit nämlich hinkt durch die Straßen wieder der Prophet Dusentschnuer, macht dunkle Andeutungen über große Ereignisse, die nun bald kommen sollen, macht Andeutungen über Gottes Posaune, die zu ihrer Ankündigung dreimal aus den Wolken geblasen werden wird.

Das sind ja nun erschreckende Worte, und zumal auf diese aus den Wolken tönende Posaune des Herrn wartet alles in großer Beklommenheit. Inzwischen schleichen wie Gespenster die Gerüchte durch die Gassen. Daß wir von der Posaune zu einem gemeinsamen Abendmahl aufgerufen werden sollen, mag hingehen, viel schlimmer ist etwas anderes, was nun in Münster gehört wird: mit Sack und Pack sollen die Gläubigen die Stadt verlassen, mit Gottes Hilfe und Schutz werden sie, just wie ihre israelitischen Vorbilder beim Marsch durch das Rote Meer, durch die bischöflichen Linien geführt werden, mit Gottes Hilfe werden sie ein gelobtes Land, herrlicher und reicher als die alte Heimat, erreichen.

Zu solch großen Dingen soll in drei Stößen die Posaune Gottes rufen, und man mag sich erneut fragen, ob die Staatsleitung, die solche Gerüchte planmäßig verbreiten ließ, nicht ihre ganz bestimmten, wenn ja später auch nicht verwirklichten Absichten gehabt haben muß. Die Hochstimmung des Sommers sank mit dem schwindenden Lichte des Herbstes sowieso, der kluge Bursche, der nun Herr der Stadt war, wußte um die schwindenden Vorräte und konnte den Ausgang sich leicht errechnen. Rings um Münster aber tobt ja damals das Täuferfieber, in Ostfriesland wartet man nur darauf, daß König Johann mit seinem Heerbanne gezogen käme. In den Niederlanden schreit es, ›es müßten alle Edelleute und Pfaffen erschlagen und es müßte in der ganzen Welt so werden wie in Münster‹, und in Amsterdam war es schon zu bewaffneten Krawallen gekommen: sollte da Bockelson mit diesem angekündigten Auszug nicht an einen verzweifelten Durchbruch nach den Provinzen gedacht haben?

Wir wissen nicht genug von den unterirdischen Verbindungen der Stadt mit Holland, wir können die Maschinerie des Hintergrundes uns eben nur aus dem rekonstruieren, was sichtbarlich auf der Vorderbühne geschah. Auf dieser Vorderbühne stehen die Menschen, verstört oder verzückt, gläubig oder schon skeptisch und insgeheim der ganzen Täuferei vielleicht schon satt, und alles wartet auf die angekündigten Trompetenstöße. Bläst sie nun wirklich, Gottes gewaltige Posaune? O gewiß, sie bläst. Nur eben, als die Fanfare wirklich erklingt und die neuen Israeliten aus den Betten fahren und in den grämlichen Herbsthimmel schauen – sehen sie da etwa Gottvater, wie er in das Horn Oliphant stößt? O nein, sie sehen dort oben nichts als ziehende Nebel und schreiende Krähenschwärme, sie sehen dafür auf der Straße unseren bewährten Dusentschnuer, wie er eben vorüberhinkt und dabei in ein altes verbeultes Kuhhorn stößt. Da aber die Leute einen himmlischen und nicht einen Warendorfer Fanfarenbläser erwartet haben, verbeißen sie mit Mühe das Lachen, dürfen es aber, da die überzeugten Täufer auf alles acht geben, beileibe nicht zeigen. Dafür laufen Bockelsons Anhänger straßauf und straßab und bereiten auf das zweite und gar auf das dritte Signal vor, und auch die Prädikanten predigen täglich darüber. Und dann, nach zwei Wochen, ›is die basun – Posaune – tho dem andern mail geblasen und so heft dieser solve prophet doer die Stadt gehumpelt und heft geblasen, glick als hei dat erste mail dede‹. Und jetzt, zwischen dem zweiten und dem dritten Signal, scheint es ernst zu werden mit dem Auszug. Es rüste sich jeder dafür, es warte jeder wehrfähige Mann in Waffen, es komme bei der dritten Fanfare jeder auf den Domhof, der nun als unser heiliger Berg Zion gelten soll. Komme auch jedes von euch, ihr Weiber, bringt eure Kinder und eure Habe und allen Proviant ... Butter und Fleisch und euern Rauchspeck mit, ihr massiven Westfälinnen. Und wirklich strömt alles, als es zum dritten Male bläst, auf dem Domhof zusammen, bei eintausendfünfhundert wehrfähige Männer und achttausend Weiber, und mit ihnen nicht wenige mit kleinen weinenden Kindern, die man eben aus den Betten riß. Blinde und Lahme und Gebrechliche nicht zu zählen.

Da stehen sie also, die Männer im Harnisch in sieben Gliedern, die Weiber aber in sieben Todesängsten und allesamt sehr verdrossen. Denn man soll nun einmal keinen posaunenblasenden Gottvater ankündigen, wenn man hinterher nur mit einem trompetenden alten Unflat aus Warendorf im Münsterlande aufwarten kann, und vielleicht bergen gerade diese bangen Stunden denjenigen Augenblick, wo man sieht, daß Tatsachen und Versprechungen sich allzu wenig decken und wo für immer die Stimmung kentert. Denn wenn es mit all euern Wundern so steht wie mit diesem Posaunensignal – steht's denn am Ende mit eurem gelobten Lande gerade so? Und wie weit ist's denn bis nach Kanaan, und wie, ihr Herren, sollen wir denn nun auf dem Wege dorthin alle die Blockhäuser und Lünetten und die kanonengespickten Schanzen des Bischofs passieren? Diese neunmal vermaledeiten Fremden hier, die ja mit dem weißen Stab in unsere Stadt gelaufen kamen und nichts mehr zu verlieren haben – die haben's gut, von Gottes Wundern und Auszug aus Ägypten zu reden, wie aber wird es mit uns, die wir mit unsern quäkenden Kindern hier stehen und unsere Häuser leer und kalt unsere Herde gelassen haben?

Und alle die armen kleinen Leute machen finstere Gesichter, und die Stimmung, wie gesagt, verflaut, und Knipperdolling, der sich bei dieser Gelegenheit wieder einmal unnütz macht, hat gut trösten und den Lahmen und den von ihren Leuten hierhergeführten Blinden die gesunden Glieder und das sehende Augenlicht zu versprechen – ja, hast du ähnliches nicht schon neulich versprochen, Bruder Tuchhändler, als du auf dem Markt die umnachteten Augen mit deinem Speichel bestrichst und dazu die Worte des Heilandes sprachst, von dem ihr wütenden Propheten des Alten Bundes sonst doch überhaupt nicht mehr sprecht?

›Mehr – aber – die lamen unde die blinden bleven glick als sie weren und solcke teicken wolden nicht geschehn upm domhof.‹ Um zehn Uhr nachts aber tritt insofern eine Wendung ein, als mit Krone und Kette und allem Schmuck und mit all seinen Trabanten, Hofbeamten und Pagen und natürlich auch mit all seinen Weibern die Majestät von Münster selbst erscheint und mit einer Ansprache die bekümmerten Herzen sehr erleichtert. Zuerst bei seinem Eintreffen sieht noch alles sehr grimmig und kriegerisch aus, zuerst teilt man die versammelte Mannschaft nach der Taktik der Zeit in ›Gewalthaufen‹ und ›Verlorenen Haufen‹ und läßt beide prächtig gegeneinander manövrieren auf dem großen Platz. Dann aber erhebt im Namen Se. Majestät ein Offizier die Stimme und verkündet den Anwesenden große Freude. Nein, es ist Gottes Wille doch nicht, daß man nun auszieht und das alte liebe Münster den Wölfen überläßt – dies, Freunde, war eben nur eine Probe auf euern Gehorsam. Nun aber, da ihr die Probe bestanden habt, seht, da lassen wir in aller Eile Tische und Bänke für euch aufschlagen, und da ihr die Wegzehrung ja bei euch habt, so setze sich doch jeder mit den Seinen, gebe von seinem Überfluß dem Entbehrenden und nehme getrost vom Überfluß des Bruders und sei fröhlich im Herrn ...

So ungefähr, und es mag wohl beides gewesen sein – Probealarm zuerst und dann Massenbelustigung. Eine kleine Weile entfernt sich der König, um den unbequemen Panzer abzulegen, kommt, die Krone auf dem Kopf, sogleich wieder und gibt nun ein leuchtendes Beispiel christlicher Demut. Denn nun entbietet er sich, samt seiner Königin – mit Nummer 1 der sechzehn, wohlverstanden! – die Anwesenden zu bedienen, und wirklich sieht man ihn nebst der schönen Divara Speise reichen, und hinterher geht das Paar leutselig von einem zum andern und fragt nach der Anzahl der Kinderchen und der Anzahl der Frauen. Und wie der König, so tun auch die Prädikanten und loben die Vielbeweibten, und alles in allem ist man nun guter Dinge auf dem Domhof, und nur Knipperdolling ist es vorbehalten, die Gemütlichkeit wieder einmal zu stören insofern, als er allen Ernstes an den König die Aufforderung richtet, er solle ihm auf der Stelle den Kopf abhauen – er, der Tuchhändler, werde in drei Tagen wieder auferstehen. Was aber die Majestät von Münster lieber bleiben läßt. Seine Majestät nämlich hat, vorerst wenigstens, etwas anderes zu tun, Se. Majestät ist nicht umsonst ja auch oberster Priester dieses Gottesreiches: ein Abendmahl wird das gemeinsame Tafeln beschließen und vor seinen Räten steht das Königspaar ›midden up dem doemhof und hebben kleine runde koekesken gehat und hebben die entwe gebrocken / und al dat volck / man und frowen, iunck und alt / sind tuschen dem Koningk und der Koninginnen und Knipperdolling her gegain / und heft do ein ieder ein koekesken von den koken getten und einen drunck weins tho gedruncken und hebben so dat aventmail geholden‹. Worauf die Menge ›Allein Gott in der Höh sei Ehr‹ singt, worauf die Prädikanten über den Sinn des Abendmahles erbauliche Worte reden, worauf endlich als Letzter Dusentschnuer auf einen Stuhl steigt und die Anwesenden an diesem ereignisreichen Abend mit einer letzten Sensation überrascht ...

Gott nämlich hat Dusentschnuer siebenundzwanzig Männer aus Münsters Mitten benannt, die in alle Welt ziehen und das neue Evangelium aus den Mauern in die vier Himmelsrichtungen tragen und dabei unter Gottes Schutz stehen werden. Wehe aber dem Ort, der sie nicht aufnimmt und dessen Staub sie von den Füßen schütteln ... ›so sol die stat mit der stunt versincken und sol in dem hellischen fuer verbrenen‹. Und Dusentschnuer verliest die Namen der siebenundzwanzig, die nach Soest, nach Osnabrück, nach Coesfeld und nach Warendorf ziehen werden, und unter dem Soester Häuflein ist er selbst, der hinkende Prophet.

Er ist unter den siebenundzwanzig der einzige ›Prominente‹ nicht, Herr Hermann Kerkerinck ist dabei, Herr Heinrich Schlachtschaf, der Schulmeister Heinrich Graes, der Pastor Dionysius Vinne, der Pastor Regenwart, der Kaplan Johann Beckmann, Herr Gotfried Stralen, Herr Dietrich von Alfen. Und vor allem Herr Johannes Klopriss, der gelehrte Theologos, der eben mit Rothmann zusammen die ›Restitution‹ ausgearbeitet hat. Wie man sieht, lauter auserwählte Täufer, die Elite der alten Genossen aus den schon ein wenig fernen hoffnungsvollen Frühlingstagen. War es schon so weit mit Münster, daß der König nun seine Getreuesten hinausschicken mußte in ein verwegenes Spiel, dessen Ausgang eigentlich nicht zweifelhaft sein konnte?

Was sich unterdessen bei diesem Abendmahl hinter den Kulissen für ein wenig abendmahlmäßiger Zwischenfall ereignet hatte, davon wollen wir lieber erst ein wenig später sprechen und wollen vorerst halten bei diesen siebenundzwanzig Auserwählten, die nun ihre Marschorder empfangen, zu guter Letzt noch einmal an der königlichen Tafel speisen und aus dem Munde Se. Majestät zum Schluß noch ein klirrendes Abschiedswort hören. Daß sie nämlich ›ihm, dem König, den Weg bereiten sollten, daß er, der König, mit Waffen hinter ihnen gehen und ihre Verächter und Beleidiger mit dem Schwert strafen werde‹ ...

So starke Worte spricht er, der König. Die siebenundzwanzig Auserwählten haben derweil ihre Ränzel aufgehoben und nehmen nun Abschied auch von ihren Weibern. Insgesamt von einhundertundzwanzig, und im Durchschnitt mithin jeder von deren vieren. Was in dieser Situation bei aller Tragik ein wenig komisch anmutet. Mitternacht ist vorüber.

Es ist Mitternacht vorbei, und, wenn man sich streng an Gottes Sonderbefehl halten will, müssen die Apostel vor ein Uhr nachts die Tore passiert haben. Draußen auf den Wällen hält wie gewöhnlich ein Dritteil der wehrfähigen münsterischen Mannschaft, halten bei sechshundert Wacht, in ihrem Schutz ist hier, im Herzen der Altstadt, ein hell erleuchteter Platz, eine reich besetzte Tafel mit Wein und Rauchfleisch, ein König in buntem Wams und güldener Krone ... ein wahrer Coeur-König mit Höflingen und einer Kapelle von Flöten und Geigen und Pauken und einem Harem von sechzehn Weibern. Jenseits des festlichen Lichtkreises aber ist Herbstnebel und Herbsteskälte. Das Chaos und des Feindes Schwert.

Ein Uhr nachts. Die Gassen an den Mauern sind in alten Städten gemeinhin die Armeleutegassen, sind dunkle, schmutzige und übelriechende Gassen, wo man in Unrathaufen und auf tote Katzen tritt und wo man auf den Zinnen schon die dunklen Silhouetten schweigender Wächter sieht.

Paukenkrach klingt nun ganz leise schon, der Schein des unentwegt weitergehenden Festes leuchtet noch rötlich wie eine ferne Feuersbrunst, hier aber ist Dunkelheit, herbstliches Naßkalt, Flüstern der Wächter, die da leise, leise, auf daß kein Feind den Aufbruch bemerke, die Schlüssel drehen.

Hier ist die liebe Nacht. Und gleich hinter den eichenen Torflügeln, da steht er, Arzt aller verwirrten Herzen, Heiler aller verirrten Hirne, Tröster aller zerbrechenden Kreatur, Beichtvater aller Sünder. Komm her, du Knecht Gottes. Komm denn, lieber Tod.


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