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Mitte Oktober las man in den Wiener Zeitungen aufsehenerregende Notizen über ein neuentdecktes Tanzgenie, Mani Mekala, eine exotische Schönheit allerersten Ranges. Vor geladenen Gästen hatten die ersten Vorführungen stattgefunden. In den Redaktionen erzählte man sich von einer kommenden fabelhaften Sensation. Heute abend sollte nun der erste öffentliche Tanzabend stattfinden. Kolossale Plakate bedeckten die Litfaßsäulen, unzählige Schaufenster zeigten Mani Mekalas Bild.

Am Abend war der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt. Schon mehrere Tage vorher gab es keine Eintrittskarten mehr. Hunderte von Personen stauten sich an den Theaterkassen und prallten zurück vor dem Wort »Ausverkauft«; ganze Scharen zogen enttäuscht wieder ab, neue kamen herbei. Eine besondere Abteilung Polizeimannschaften mußte entsandt werden, um die Ordnung vor dem Theater aufrecht zu erhalten. Theos Vorarbeit hatte gewirkt.

Ränge und Parkett füllte ein illustres Publikum, ordengeschmückte Uniformen strahlten, Geschmeide und Brillanten blitzten, Perlen glänzten. Alles fieberte in atemloser Spannung, durch das Haus schwirrte das vielstimmige Getöse von Tausenden. Gerüchte flogen durch die Menge. Man wußte, daß Mani Mekala eine siamesische Prinzessin sei, die unter großen Gefahren von einem Wiener entführt wurde. Andere hatten gehört, daß sie die Lieblingsfrau des Königs gewesen sei. Über ihre Flucht aus dem Harem erzählte man die wildesten Geschichten. Die Musiker nahmen an ihren Pulten Platz und stimmten die Instrumente.

Hinter der Bühne herrschte ebenso große Aufregung. Regisseure, Bühnenarbeiter und Beleuchter rannten durcheinander. Scheinwerfer zischten, treppauf, treppab rannten Messenger Boys mit Blumenarrangements und Visitenkarten. In ihrer Garderobe ordnete Dok Mali noch einmal ihr Haar vor dem Spiegel, den ihr Mä Di entgegenhielt. Arno stand auf der Bühne, die Uhr in der Hand. Er begann nervös zu werden. Der Zeitpunkt des Beginns war vorbei, er hatte schon zweimal nach dem russischen Tänzer telephoniert, der merkwürdigerweise bis jetzt noch nicht erschienen war. Endlich stürzte Purtiloff die Treppe herauf, die Polizei hatte ihn unterwegs infolge einer Verwechslung angehalten. Er eilte in seine Garderobe. Arno ließ beginnen, da Purtiloff erst in der zweiten Nummer auftrat. Der Inspizient gab das letzte Glockenzeichen.

Die Musik setzte ein. Von unten klang gedämpft der berückende Rhythmus einer exotisch verhaltenen Melodie. Dok Mali stand am Guckloch des Vorhangs. Eine dunkle Masse gähnte ihr entgegen. Wie sie nun zum ersten Male auf der Bühne stand, stockte ihr doch sekundenlang das Herz. Sie hier die Einzige, dort dieser vielköpfige Moloch, dem sie ausgeliefert schien! Ein Gefühl der Unsicherheit überkam sie, sie taumelte, Arno hielt sie und führte sie zu einem Stuhl. Die Musik ging zu Ende, weiche Gongschläge zitterten auf – die Schwäche fiel von Dok Mali – der Vorhang rauschte auseinander. Der Beleuchter schaltete das volle Licht ein, die Scheinwerfer sprangen an und konzentrierten ihre Kegel auf die Mitte der Bühne. Ein Violonsolo süß und sehnsuchtsvoll klang auf. Auf einen ornamentierten Goldvorhang trat Dok Mali und tanzte »Blumenketten«. Es war kein bacchantisches Stürmen, es war ein gemessen melodisches Wiegen und Schreiten. Die Gespielinnen schwebten von beiden Seiten heran, blumenhaft, weghuschend und wieder entgleitend, zurückeilend. Arno lehnte an einem eisernen Gitterträger. Sein Herz pochte, obwohl er sonst kühl war, in hämmerndem Rhythmus. Mit überwachen Ohren spürte er den Kontakt der Tanzenden mit dem Publikum und glaubte jede Vibration am eigenen Körper zu spüren. Schließlich endete der Tanz in einer Apotheose. Die Gardine rauschte an, durch den Vorhang hindurch hörte man echohaft das Beifallklatschen, Dok Mali war bereits in der Garderobe, um sich umzukleiden, und erschien nicht auf der Rampe. Die Beleuchter wechselten die Farbenplatten, Bühnenarbeiter in Arbeitskitteln stellten das schwellende Ruhelager auf, das für den nächsten Tanz gebraucht wurde, zarte Schalmeientöne flatterten aus dem mystischen Abgrund des Orchesters. Der Inspizient rannte über die Bühne, Dok Mali zu holen, grell blendete das Licht. Der russische Tänzer machte einige prüfende Schritte, und schon klang der Gong wieder. Zu einer süßen Musik der Flöte tanzte Dok Mali den »Tanz der Liebe und der Schmerzen«.

Arno war etwas unruhig geworden. Er zog sich weiter zurück und lehnte an der Wand. Von ferne hörte er die schmelzenden Rhythmen der Musik, vor seinem Auge glaubte er alle Bewegungen zu erkennen, die ihm aus den vielen Proben gut bekannt waren. Er sah, wie einige Bühnenarbeiter gebannt hinter den Kulissen standen und den Tanz atemlos verfolgten. Selbst der Feuerwehrmann hatte seinen Platz verlassen und schaute begeistert zu.

Frenetisches Beifallklatschen scholl gedämpft herauf.

Arno ging zum Vorhangzieher und dirigierte die Vorhänge. Der Tanz schien Resonanz gefunden zu haben, denn der Beifall klang viel wärmer und stärker.

Umbau. Ein Schlangenthron wurde herbeigeschleppt, auf dem Purtiloff Platz nahm in der wilden Maske eines Dämons. Ein langer, roter Teppich wurde aufgerollt, die Gespielinnen Dok Malis in phantastischen Gewändern alter Kulte kauerten zu beiden Seiten mit Weihrauchstäben in den Händen. Blumenschalen und Wachskerzen standen vor dem Thron. Arno führte Dok Mali, während sich der Vorhang von neuem hob, in ein anstoßendes Zimmer, dessen Schiebetüren offen blieben und einen schmalen Durchblick zur Bühne gestatteten. Dok Mali war etwas müde. Während draußen der zündende Rhythmus von Beschwörungstänzen erklang, nahm sie in einem weichen Sessel Platz, Arno trat dicht neben sie und hielt ihre Hand. Das entfernte Klatschen des Beifalls weckte Dok Mali aus ihrem Halbschlummer. Sie stand auf und ging zur Bühne ...

Die Kronleuchter im Zuschauerraum flammten auf. Man erhob sich von den Parkettsitzen und strömte in die Wandelgänge und ins Foyer. Es bildeten sich Gruppen, die angeregt diskutierten. Am Büfett, im Vestibül, in der Vorhalle setzte man sich leidenschaftlich mit dem eben Gesehenen auseinander. Reporter eilten zum Telephon, um ihren Bericht in die Maschine zu diktieren. Der berühmte Theaterkritiker Birkner-Oschatz ging über die Freitreppe, umgeben von einem Schwarm andächtig lauschender Zuhörer, die jedes seiner Worte wie eine Offenbarung aufnahmen. Man war gerade in der eifrigsten Debatte, als die Lichter ausgedreht wurden und das Klingelzeichen ertönte.

Die Dekoration der »Versuchung Buddhas« war aufgebaut. Ein riesenhaft goldener Baum nahm die Mitte der Bühne ein. Unter ihm erhob sich ein erhöhter Thronsitz, auf dem Purtiloff in der Haltung Buddhas saß. Seine Arme und sein ganzer Körper waren golden geschminkt. Dieser Tanz war ohne Musik, nur rhythmische Geräusche des Schlagzeugs und mystische Gongtöne untermalten die Bewegungen. Langsam erwachte der Baum aus dem Dunkel. Die ganze sinnliche Schönheit Dok Malis offenbarte sich in diesem Tanz der Versuchung. Das zündete. Der Applaus schwoll zum Orkan.

Arno war inzwischen auf die Bühne geeilt, um die letzten Anordnungen und Instruktionen zu treffen. Sogar die Arbeiter und der Feuerwehrmann stimmten darin überein, daß sie eine solche Begeisterung des Publikums noch nicht erlebt hätten.

Eine phantastische Schlucht tat sich nun auf, deren Kurve steil nach oben ragte. Auf dem Gipfel des heiligen Berges glühte golden die Götterburg. In einer Felsspalte schlief träge und faul der böse Ramesuen mit seiner Axt. Unten auf blumiger Wiese tanzte Mani Mekala den Frühlingstanz der erwachenden Natur mit ihren Gespielinnen. Der Riese erwachte und wollte die Himmelsjungfrau fangen. Der Edelstein in ihrer Hand blitzte auf, schwarze Finsternis bedeckte die Bühne, die Axt des Riesen verfehlte unter unheimlichem Donnerrollen ihr Ziel.

Arno sah sich diesen Tanz von der ersten Parkettloge aus an, die durch eine Tapetentür mit der Bühne in unmittelbarer Verbindung stand. Er ließ sich in den Plüschsessel zurücksinken. Obwohl er diesen Tanz von den Proben her in jeder einzelnen Bewegung kannte, wurde er so mitgerissen wie ein Zuschauer, der zum ersten Male Dok Mali sah. Er spürte die Massensuggestion des Parketts in dem erregten Pulsschlag. Immer wieder mußte sich der Vorhang teilen, und Dok Mali nahm die Huldigungen eines ekstatisch begeisterten Publikums, das keine Grenzen mehr kannte, so selbstverständlich hin wie eine Göttin.

Der letzte Tanz war »Gattinnenwahl«, bei dem Farbe, Musik und Bewegung, dazu in unerhört gesteigerter Wirkung die Beleuchtung und dann ein wunderbar schöner Frauenkörper sich zu einem unerreichten Höhepunkt einten und als ein flammendes Finale der Erotik den Abend beschlossen.

Auch nicht der eiserne Vorhang machte dem rasenden Beifall ein Ende. Die sonst harmlosen Wiener waren außer Rand und Band. Immer wieder erscholl der eine Name: Mani Mekala! Fanatische Jugend kletterte über die Rampe und suchte die Bühne zu stürmen.

Endlich ließ Arno das Licht im ganzen Hause löschen. Eine erregte Menge wogte um den Bühnenausgang. Es war unmöglich, das Haus auf diesem Wege zu verlassen. Das Publikum ballte sich hier zu undurchdringlichen Knäueln. Aber der Feuerwehrmann führte sie mit seiner Taschenlampe durch den Zuschauerraum und öffnete ihnen einen Seitenausgang, wo niemand stand. So erreichten sie unerkannt ein rettendes Auto und konnten fortfahren.

Schlimmer erging es Theo, der die ungeheure Menge der Blumenspenden in zwei Wagen Dok Mali ins Hotel bringen wollte. Man hielt ihn an, weil man glaubte, daß die große Tänzerin Mani Mekala unter den Blumen versteckt sei. Als der Irrtum dann entdeckt wurde, ließ man ihn enttäuscht fahren.

Der Schwächeanfall Dok Malis vor Beginn der Aufführung hatte sich nicht wiederholt. Arno wunderte sich, mit welcher Kaltblütigkeit und sieghaften Sicherheit sie später die Bühne betrat. Nachdem aber der Applaus über alle Maßen anschwoll, geriet sie in ein heiliges Feuer der Begeisterung und steigerte ihre Leistungen von Tanz zu Tanz.

Als dann alles vorüber war, ruhte sie still an seiner Brust. »Wenn ich noch lange auf deine Liebe hätte warten müssen, wäre ich verzweifelt. Ich hatte so sehnsüchtig auf dich gewartet seit dem letzten Leuchten bei Korsika.«

*

Alle Zeitungen hatten in den Morgenausgaben spaltenlange Berichte. Der Erfolg war ganz außergewöhnlich. Die Begeisterung, die Dok Mali beim Publikum erweckte, der Sturm des Beifalls zitterten in den Kritiken nach. Sie erinnerten in nichts an sonstige Besprechungen. Es waren vielmehr Hymnen auf Dok Mali, die Priesterin, die Göttin der Schönheit. Das wunderbare Ebenmaß ihrer Glieder, die Sprache ihrer geschmeidigen, ausdrucksvollen Hände, der feine Rhythmus ihrer Gesten und die wie flammendes Ornament aufzüngelnden Bewegungen – zwar exotisch fremd, aber von großer Geschlossenheit und Ruhe – hatten alle zu ekstatischer Begeisterung hingerissen. Welch eine Stärke des Gefühls und der Innerlichkeit! Und dann diese blühende Erotik, die nichts mit der Lüsternheit mancher europäischen Tänzerin zu tun hatte! Das war wahre Natur, von alter Kultur verfeinert. Der übersinnliche Zauber ihrer melodischen Bewegungen und die magisch-suggestive Kraft ihres Ausdrucks ließen das Wunder des Märchens zur Wirklichkeit werden. Hier gab es keine Körperverrenkungen, keine wilden Pirouetten, nichts von alledem, was man bisher auf der Tanzbühne zu sehen gewohnt war. Alle stimmten darin überein, daß das Auftreten Dok Malis das große Ereignis sei und daß die fremdartige Schönheit, der eigenartige Stil ihrer Darbietungen europäische Tanzkunst befruchten und veredeln könne. Entwicklungsmöglichkeiten offenbarten sich, die man bisher nicht im entferntesten geahnt hatte.

*

Unüberwindliche Schwierigkeiten zeigten sich, als sich Arno und Dok Mali standesamtlich in Wien trauen lassen wollten. Dok Mali hatte weder einen Ausweis noch Personalpapiere. Nach vielen unerquicklichen Auseinandersetzungen auf den Ämtern ging Arno zu dem siamesischen Generalkonsul und trug ihm kurz sein Anliegen vor. Der war äußerst liebenswürdig, konnte aber seinen Wunsch ebensowenig erfüllen.

»Leider kann ich Ihnen im Augenblick nicht helfen.«

»Aber es ist doch unmöglich, daß man uns aus solchen Gründen die Eheschließung verweigert!«

»Ich werde für die gnädige Frau dringend die Ausstellung der erforderlichen Dokumente in Bangkok beantragen. Das ist das einzige, was ich für Sie tun kann. Es werden aber immerhin einige Monate vergehen, bis Antwort von dort kommt.«

Arno ging zum Hotel zurück. Das abergläubische Gefühl beherrschte ihn, daß ihm erst die Erfüllung dieser Formalität dauerndes Glück verbürge. Er war empört über europäische Rückständigkeit und Bürokratie. Seine mißmutige Laune prägte sich deutlich auf seinem Gesicht aus.

Dok Mali war in fröhlicher Stimmung. »Lieber Arno, ich verstehe nicht, warum du so viel Wert darauf legst. Wir führen doch eine so glückliche Ehe auch ohne Standesamt, und ein Stückchen Papier hat wirklich keinen Einfluß auf unser Glück.«

Arno wurde wieder froh und schloß ihr den Mund mit einem Kuß. Schließlich konnte er ja den offiziellen Schritt in Amerika oder England nachholen. Dort war man in dieser Beziehung nicht so engherzig.

*

Ursprünglich wollten sie nur zwei Tanzvorführungen in Wien geben, dann wurden es aber doch mehrere Abende. Von da wandten sie sich nach Paris, und hier wurde Dok Mali mit fast noch größerem Enthusiasmus aufgenommen. Sie eroberte im Sturm die leichtentzündlichen Herzen der begeisterungsfähigen Franzosen. Wohl nirgends in der Welt verstand man Frauenschönheit mehr zu würdigen als in Paris. Die Besprechungen in der Presse überboten noch die Wiener Kritiken. Schließlich nannten die Zeitungen doch ihren richtigen Namen, manche brachten Andeutungen über ihren Roman mit dem König.

Dok Mali war entrüstet, sie reichte Arno das Blatt.

»Ich finde es recht unhöflich, ja niederträchtig, daß meine Geschichte der Öffentlichkeit preisgegeben wird.«

»Ja, das sind die Schattenseiten der Berühmtheit«, entgegnete Arno.

Der »Figaro« berichtete sogar ausführlich über die Halsbandaffäre der Königin. Seitdem Arno in ihr Leben getreten war, füllte er ihr ganzes Fühlen und Denken aus. Erst jetzt wieder wurde sie an die Vergangenheit erinnert. »Was sagst du zu den Bemerkungen über Pra Rata? Wenn er nun doch unschuldig wäre?«

Arno schwieg. Er hatte den Artikel übersehen und war unangenehm berührt. Diese Notiz war geeignet, seinen Aberglauben aufs neue zu bestärken.

*

Im Park der Florentiner Villa wandelten Arno und Dok Mali unter schattigen Bäumen. Im Hintergrund öffnete sich durch einen Steinbogen der Durchblick auf eine verwitterte Tritonengruppe. Heller Sonnenschein lachte über Rasen und Bosketts, farbige Falter taumelten von Blüte zu Blüte. Auf dem großen, alten Tisch vor der Bank lagen viele Photographien, Erinnerungen an ihre Reisen.

Eine flinke, hübsche Zofe kam den Weg entlang und brachte einen Brief für Dok Mali.

»Von Hause.« Schnell öffnete sie ihn und las.

Arno betrachtete ihr Gesicht, das zum Schluß große Enttäuschung verriet. Ein paar Tränen fielen auf das Blatt.

»Das ist nun schon der sechste Brief von Malila, sie schreibt sehr lieb, aber keine Grüße von meinen Eltern. Im Gegenteil, sie sagt, daß mein Vater mir noch immer nicht verziehen hat.«

Arno tröstete sie. Dok Mali hatte ihren Vater stets abgöttisch geliebt. Der Gegensatz zwischen ihnen beruhte auf gleicher Veranlagung.

*

Sie verlebten glückliche Tage und ruhten sich von den Strapazen und Anstrengungen der vielen Reisen im letzten halben Jahre aus. Die wichtigsten Großstädte Europas hatten sie besucht. Überall entfesselte Dok Malis Kunst ekstatische Begeisterung, ihre Fahrt glich einem einzigen großen Triumphzug.

Sie waren in ihrer Liebe über alle Maßen glücklich. Von allem geselligen Treiben hielten sie sich fern. Nur wenn es gar nicht zu umgehen war, nahmen sie an größeren Veranstaltungen zu ihren Ehren teil. Arno war aus unbestimmtem Gefühl heraus eifersüchtig. Um seine innere Unruhe zu betäuben, wollte er einen prachtvollen Wohnsitz bauen. Als er Dok Mali seinen Plan mitteilte, geriet sie in helles Entzücken.

»Ich träumte in meiner Jugend immer von einem großen, schönen, eigenen Heim, ich dachte an ein Schloß am Meer.«

»Ja, du hast wirklich recht.« Und er ging sofort hinauf, holte einen Skizzenblock, und noch am selben Abend waren sie beide eifrig am Bauen, das heißt zunächst nur auf dem Papier. Dok Mali hatte selbst viele gute und brauchbare Ideen, so daß Arno darüber erstaunte. Theo kam bald darauf aus Stockholm und mußte an dem großen Werk teilnehmen. Man dachte zuerst daran, die schloßähnliche Villa an eine paradiesisch schöne Stelle der süditalienischen Küste zu bauen. Um eine solche zu finden, gingen sie auf Reisen. Doch es dauerte sehr lange, bis schließlich Arno eine ganz kleine Insel südlich von Lusinpicolo im Adriatischen Meer kaufte, die auch genügend Waldbestand aufwies. Bald waren die Pläne so weit fertiggestellt, daß die Weiterbearbeitung des Projektes und die Bauleitung Theo überlassen werden konnte.

Arno und Dok Mali wollten bis zur Fertigstellung ihres Heimes eine Reise nach Java machen, und wenn es die Verhältnisse gestatteten, auch Siam besuchen.

*

Die erste Königin hörte den Bericht des Prinzen Naret über den Verlauf und Ausgang des Prozesses in Singapur. Diese Halsbandgeschichte würde zu den berühmten internationalen Kriminalfällen gehören. Sie dachte an ihren Günstling Pra Rata. Wie unrecht hatte sie ihm doch getan! So konnte also der Schein trügen; sie bemitleidete ihn und suchte sich seine Gestalt zu vergegenwärtigen. Er war ihr aufgefallen durch seine fast frauenhafte Schönheit, durch seine zarten Hände, seinen eigentümlich elastisch wiegenden Gang. Sooft sie ihn im Dienst sah, schien er fast immer traurig, ernst und elegisch gestimmt; sobald sie aber das Wort an ihn richtete, war er anregend in der Unterhaltung; sie glaubte noch seine schmelzende Stimme mit dem gewissen gutturalen Unterton zu hören, der sie so merkwürdig berührt und für ihn eingenommen hatte.

Sie ließ ihre Hofdame Malila zu sich kommen und sprach sich über all dieses mit ihr aus. Auch fragte sie, ob sie irgend etwas über ihn gehört habe. Malila geriet in große Verlegenheit. Die in diesen Dingen wohlerfahrene Königin durchschaute sie sofort. Verwunderlich war es ja nicht, daß sich alle Damen in ihn verliebten. Aber angenehm berührte diese Entdeckung die Königin nicht.

Unwissende Leute wollten einen Irrtum der Sterndeuter feststellen, da durch das Halsband viel Herzeleid über die Königin gekommen war. Aber jene Leute hatten unrecht, und die Sterndeuter verteidigten sich auch gar nicht, denn in delikaten Angelegenheiten ist jedes Wort zuviel: Hätte die Königin noch weiter die verführerische Nähe Pra Ratas ertragen? Hatte das Perlenhalsband sie nicht vor noch größerem Herzeleid bewahrt?

*

Zur selben Zeit saß Pra Rata in einem bequemen Deckstuhl an Bord des Dampfers »Deli«. Er kam sich vor wie ein nach langer Krankheit Genesender. Träumerisch still und zufrieden schaute er über die weite Fläche des Sees, es wehte eine leichte, kühlende Brise.

Die schwarze, böse Hälfte eines Kreislaufs neigte ihrem Ende zu. Wenn er den ganzen Ablauf dieses für ihn so verhängnisvollen Vorfalls überdachte, konnte er sich nicht erklären, warum er sich damals ohne jeden Kampf seinem Schicksal ergeben hatte. Doch war er Buddhist genug, um einzusehen, daß Unrecht leiden viel verdienstvoller ist, als sich zu verteidigen oder gar selbst Unrecht zu tun.

Fast ein Jahr hatte er in Untersuchungshaft gesessen, dann gab man endlich dem Drängen seiner Verwandten nach, und das Verfahren wurde gegen ihn eröffnet. Der Prozeß wurde nicht einheitlich geführt. Zuerst gab sich die Staatsanwaltschaft die größte Mühe, alle Schuld auf ihn zu wälzen. Verdachtsmomente hatte er ja durch sein unkluges Handeln selbst genug geschaffen. Aber es war merkwürdig, daß, anscheinend auf höheren Befehl, mit keinem Wort der Flucht Dok Malis Erwähnung geschah. Unter solchen Umständen konnte natürlich ein Prozeß nicht konsequent durchgeführt werden und mußte wohl oder übel mit seiner Freisprechung enden, und zwar »aus Mangel an Beweisgründen«. Zwar freute er sich damals darüber, hoffte aber doch von Monat zu Monat auf eine vollständige Rehabilitation. Und diese Rechtfertigung war ihm jetzt zuteil geworden. Aus Singapur kam die überraschende Nachricht, daß man Perlen aus dem Halsband der Königin in einer chinesischen Pfandleihe beschlagnahmt hatte. Die Regierung schickte sofort Beamte dorthin. Als man der Herkunft der Perlen nachforschte, stellte sich heraus, daß sie durch eine ganze Reihe von Händen gegangen waren. Schließlich leiteten die Spuren auf einen Holländer, der in Singapur ohne besondere Beschäftigung lebte und den Namen Van Mieris führte. Die Verdachtsmomente häuften sich derartig, daß man ihn verhaftete, und nun fand man, daß er eigentlich Golenaar hieß und früher in Bangkok Shipping-Clerk war. Der Prozeß dauerte nicht lange, die Schuld Golenaars lag klar zutage. Er wurde zu mehreren Jahren Zuchthaus verurteilt. Sämtliche Perlen der Kette konnten gefunden werden und wurden Ihrer Majestät der ersten Königin durch den englischen Gesandten in Bangkok überreicht.

Als Pra Rata vor mehr als einem halben Jahr freigekommen war, versuchten seine Verwandten, ihn wieder in den Staatsdienst zu bringen, und das wäre auch sicher gelungen, wenn er mit einem bescheidenen Posten angefangen hätte. Aber das wollte er nicht. Rein gefühlsmäßig wäre er am liebsten in den buddhistischen Mönchsorden eingetreten, das konnte jedoch den Anschein erwecken, als ob er sich schuldig fühle und schwere Sünden zu büßen habe. So war er Privatmann geworden und ging seinen Lieblingsneigungen nach.

Wie hatte er sich während seiner Gefangenschaft danach gesehnt, frei zu werden und dann Dok Mali zu suchen, um ihr seine Unschuld zu beweisen! Aber als es nur zu einer Freisprechung »aus Mangel an Beweisgründen« kam, verlor er den Mut dazu. Vor anderthalb Jahren mußte er sich von ihr in Colombo trennen. Das Unglück ging ihm damals so nahe, daß er sich nicht mehr recht auf das letzte Zusammensein mit ihr besinnen konnte. Bis jetzt hatte er von ihr direkt nichts mehr gehört, aber um so mehr auf Umwegen. Der Bangkok-Klatsch war ja berühmt und berüchtigt. Seine näheren Verwandten, besonders die ihm wohlwollten, schrieben die ganze Schuld seiner verhängnisvollen Liebe zu Dok Mali zu. Von ihrer Seite wurde alles getan, um ihn von ihr zu trennen. Da er dies wußte, vermied er es ängstlich, mit ihnen über dieses Thema zu sprechen. Denn dieser Wahn, wie sie es nannten, war im Grunde seines Herzens doch das stille Lebensglück, und die Erinnerung an jene Tage auf der »Sampao Neng Fu« konnte ihm niemand nehmen.

Schließlich ließ es sich aber nicht vermeiden, daß er mit anderen Menschen zusammenkam, und so hörte er, daß Dok Mali längere Zeit in Europa vollständig verschollen und dann als Tänzerin aufgetreten war. Die Bangkok-Presse brachte Auszüge aus den glänzenden Besprechungen. Über ein halbes Jahr hatte sie die ganze Welt durch ihre Kunst zu staunender Bewunderung gezwungen und war dann plötzlich untergetaucht, man hörte nichts mehr von ihr. In den großen illustrierten Zeitschriften waren Abbildungen ihrer bedeutendsten Tänze erschienen, und auch er hatte sie gesehen. In den Besprechungen stand nur Gutes von ihr. Aber der Bangkok-Klatsch, dem auch er sich nicht entziehen konnte, hatte behauptet, daß sie ein ausschweifendes Leben führe und einem amerikanischen Manager ins Garn gegangen sei, der sie roh behandelt und gezwungen habe, öffentlich aufzutreten. Er habe mit ihr fabelhaft viel Geld verdient. Durch die brutale Ausnützung sei sie schwer an Schwindsucht erkrankt, da habe er sie schmählich im Stich gelassen. Das erfuhr er erst kurz vor seiner Reise nach Singapur. Damals krampfte sich sein Herz zusammen, und er wollte sofort ausreisen, um ihr zu helfen. Er hatte sogar versucht, Nachrichten über ihren jetzigen Aufenthalt zu erlangen, aber dann mußte er zur Verhandlung.

Auf dem dortigen siamesischen Generalkonsulat erfuhr er zufällig, daß ein durchreisender Beamter sie vor etwa vier Monaten in Florenz gesehen habe. Der erzählte, daß sie blühend und frisch aussehe; er hatte sie nicht selbst gesprochen, aber bestimmt erkannt. Und wer konnte Dok Mali vergessen, nachdem er sie einmal gesehen hatte!

*

Zahllose Boote umschwärmten die »Macedonia«, als sie vor dem Eingang des Kanals im Hafen von Port Said festmachte. Unter den Passagieren an der Reling standen auch Arno und Dok Mali. Um ihr eine Freude zu bereiten, hatte er, ohne daß sie vorher davon wußte, wieder diesen Dampfer bis Colombo gewählt.

Unten riefen die Taucher. Immer wieder sprangen sie um geringe Münzen ins Wasser, manchmal mehrere zugleich nach demselben Stück. Gewandt tummelten sie sich wie die Fische. Italienische Mädchen in orientalisch buntem Aufputz tanzten in einem anderen Nachen. Gleißend blitzten im Sonnenlicht die Goldflitter an ihren Miedern und die Schellen an ihren Tamburinen, mit denen sie um Geld bettelten. Dort in dem großen Boot konzertierte eine Kapelle. Auf der anderen Seite sang ein Tenor. Zauberer und Händler kamen an Bord. Hier standen und saßen einige Passagiere um einen Schlangenbeschwörer herum, der seine eintönigen Melodien auf der Schalmei blies; eine Brillenschlange wiegte sich vor ihm. Viel war nicht daran zu sehen. Überall tauchten die Händler mit Straußenfedern auf, mit arabischen Schals, seidenen Kimonos. Der Abschaum von Asien, Afrika und Europa strömte hier zusammen.

Arno und Dok Mali waren des ohrenbetäubenden Lärms müde und fuhren sobald wie möglich an Land.

»Ob wir wohl unseren netten, kleinen Araberbub wiedersehen werden?« fragte Dok Mali.

An Land drängten sich Fremdenführer, Kameltreiber, Kutscher, Händler und Bettler um sie, aber der ägyptische Polizist hielt mit seinem Knüppel gute Ordnung. Vor den Kaffeehäusern saßen die Passagiere aller Dampfer, die im Hafen lagen. Von Land aus konnte man das Übernehmen der Kohle deutlich beobachten. Man sah viele Negerfrauen unter den Kohlenträgern, die mit ihren schweren Lasten in langen Reihen auf schwankem Steg von den Kohlenprahmen zu den Kohlenbunkern emporstiegen. Dauernd erklang Geräusch fallender Kohlen eintönig herüber, nur unterbrochen von ihren lauten Rufen.

Nach einer Rundfahrt durch das Araberviertel mit seinen Schulen und der traurigen Moschee saßen Arno und Dok Mali wieder vor demselben Kaffeehaus wie damals. Wohl kamen viele Jungen und zauberten mit Kücken, Eiern, Bohnen und allen möglichen Dingen, die sie verschwinden und wieder erscheinen ließen, aber die beiden sahen sich vergeblich nach ihrem kleinen Freund um.

»Er ist wohl auch größer geworden und jetzt ein ebenso unausstehlicher Araberjunge wie alle die andern, die hier auf den Straßen herumlungern und mit ihren kleinen Profitgeschäften die Fremden prellen«, sagte Arno.

*

Da man in der kalten Jahreszeit reiste, war das Rote Meer erträglich, und hinter Aden lag der Indische Ozean da wie ein Spiegel. Die »Macedonia« pflügte in die glatte Ebene eine weithin sichtbare Furche. Für Arno und Dok Mali war die Seereise eine wahre Erholung. Wie im Fluge erreichten sie Ceylon, wo sie sich vierzehn Tage aufhalten wollten. Wohltuend wirkte die herrliche Landschaft mit ihren sanften Bergketten, überragt von der charakteristischen Silhouette des Adamspeak. In Kandy hatten sie Gelegenheit, die berühmten Kolam- und Teufelstänze zu sehen, und für ihre Kamera bot sich genug des Malerischen und Interessanten dar.

Als sie den herrlichen Park von Nuwara Eliya genossen hatten, waren sie des Umherreisens müde geworden und verbrachten die letzten Tage in dem wegen seiner schönen Lage weltberühmten Hotel auf dem Mt. Lavinia. Am Tage der Abfahrt sahen sie schon am frühen Morgen von der hochgelegenen Terrasse das schmucke Schiff »Koningin der Nederlanden« von weither dem Hafen zusteuern.

»Eigentlich, lieber Arno, hätten wir hier an dieser Stelle unser Heim bauen sollen.«

Er scherzte: »Wenn du noch einige Jahre recht brav und fleißig tanzest, können wir uns den ganzen Mt. Lavinia nebst Hotel als zweites Heim dazu kaufen.«

Zur Belohnung erhielt er einen Schlag mit dem Fächer auf den Arm. Aber das Bauen von Traumschlössern war mindestens so schön wie das wirkliche Bauen, und sie plauderten vergnügt über diesen neuen Einfall.

Am Spätnachmittag fuhren sie zum letzten Mal in zwei flotten Rikshas die herrliche Uferstraße vom Mt. Lavinia zum Hafen von Colombo hinab. Leise und zahm rauschten die Wellen an dem Uferstrand, und die malerischen Kokospalmen am Wege neigten sich weit über das Meer hinaus. Aus den Eingeborenenhütten am Wege kamen kleine Kinder und brachten Blumen, die sie in die Rikshas warfen oder Dok Mali auf den Schoß legten. Entzückend klang ihr Ruf: »Dear Papa, dear Mama«, während sie neben ihnen herliefen. Kleine Kupfermünzen lohnten ihre Anstrengungen.

*

Wolkenbruchartig prasselten die Regenmengen auf die Straßen Bangkoks und verwandelten die tiefen Rinnsteine bald in reißende Bäche. Kein Passant war zu sehen, der Verkehr war wie ausgestorben. Die armen Rikschakulis kauerten, in Gummizeug eingehüllt, in ihren Wagen und wurden trotzdem bis auf die Haut naß. Grelle Blitze und furchtbare Donnerschläge wechselten in rascher Folge. Zwei Stunden lang war der Himmel von pechschwarzen Wollen verhangen, dann aber strahlte wieder freundlich die Sonne. Die Luft war klar und rein, alle Farben glühten frisch und prächtig auf. Die Grillen zirpen ohrenbetäubend und wurden nur noch von dem Quaken der Ochsenfrösche übertönt.

Pra Rata freute sich, daß das Wetter zur rechten Zeit aufhörte. Der König hatte ihn zu sich beschieden; er sollte heute morgen in Audienz empfangen werden. Er stieg, in seinem Staatskleid, mit allen Orden angetan, in sein Auto und fuhr nach dem Dusitpark. Er war der Held des Tages und wieder bei allen in Gunst.

Da am Bahnübergang die Schranken gesperrt waren, hielt neben seinem Wagen eine Riksha. Eine ältere Siamesin saß darin, die ihm sehr bekannt vorkam. Richtig, es war die Amme Mä Di! Auch sie erkannte ihn im selben Augenblick und grüßte mit strahlender Miene. Er stieg sofort aus, fragte sie nach Woher und Wohin und erfuhr zu seiner freudigen Überraschung, daß Dok Mali sich auf Java befinde und bei bester Gesundheit sei. Er verabredete mit ihr, daß sie heute nachmittag in sein Haus kommen sollte.

Auf dem Weg zum Palast war sein Gemüt in hellem Aufruhr. Allerdings hatte er nur einige Worte mit Mä Di wechseln können, da die Audienz beim König keinen Aufschub duldete und er pünktlich sein mußte. Jetzt tat es ihm leid, daß er sie nicht mit zu sich ins Auto genommen hatte. Was die anderen dazu gesagt hätten, wäre ihm höchst gleichgültig gewesen. Er plante, sofort nach Java zu reisen, und malte sich ein Wiedersehen mit Dok Mali in den glühendsten Farben aus. Im Dusitpalais angekommen, mußte er warten. Aber ihm verging die Zeit im Fluge, denn jetzt konnte er wieder träumen – glücklich träumen.

Der König war sehr gnädig gegen ihn und bot ihm sofort wieder eine Stelle im Regierungsdienst an. Am liebsten hätte er ihn als Geschäftsträger nach Paris entsandt. Pya Prajura hatte sich jedenfalls zu weit mit den französischen Stellen eingelassen, und jetzt, nach seinem Sturze, wollte Frankreich daraus Nutzen ziehen. Die Situation war sehr schwierig und verwickelt, und der König wußte keinen besseren Vertreter für diesen augenblicklich verantwortungsvollsten Posten.

Pra Rata hätte diesen ehrenvollen Auftrag noch vor wenigen Stunden sofort dankbar angenommen. Nachdem er jedoch Mä Di getroffen hatte, beherrschten andere Pläne sein ganzes Denken. Aber eine Absage konnte und durfte er dem König nicht geben.

»Durch das Vertrauen Eurer Majestät bin ich aufs höchste geehrt, bitte Eure Majestät jedoch, in Erwägung zu ziehen, daß meine Gesundheit nach den überstandenen Aufregungen noch nicht die beste ist. Darf ich daher die untertänige Bitte vortragen, mich auf einige Zeit von dieser wichtigen Mission zu dispensieren.«

»Ich verstehe, daß Ihre Gesundheit geschont werden muß, und gebe Ihnen vorläufig Urlaub. Im übrigen sind Ihre letzten treuen Dienste im Palastministerium noch nicht anerkannt worden, und so verleihe ich Ihnen das Kommandeurkreuz des hohen Ordens vom Weißen Elefanten.« Hiermit reichte ihm der König ein kleines Etui, das auf dem Schreibtisch bereitstand.

Pra Rata war damit huldvollst entlassen. Im Vorzimmer wartete Prinz Naret auf ihn und suchte ihn zu bewegen, sein altes Amt bei der ersten Königin wieder zu übernehmen. Außerdem wünschte ihn Ihre Majestät in Audienz zu empfangen. Pra Rata hatte nun als willkommene Entschuldigung seiner Ablehnung den Auftrag des Königs. Allerdings hütete er sich, genauere Angaben darüber zu machen. Die Audienz bei der Königin blieb ihm jedoch nicht erspart. Der Palastminister hielt den heutigen Nachmittag für die geeignetste Zeit; da Pra Rata aber kategorisch ablehnte und seine angegriffene Gesundheit wieder ins Feld führte, wurde die Audienz auf den nächsten Tag verschoben. Glücklicherweise hatte er noch nichts von einer Erholungsreise nach Java gesagt, denn zufällig war die Königin durch Malila von dem jetzigen Aufenthalt ihrer Schwester unterrichtet.

Am Nachmittag konnte er die Ankunft Mä Dis kaum erwarten. Aber auch sie schien es eilig zu haben, denn schon um halb drei meldete der Boy sie und Akim. Groß war die Freude des Wiedersehens bei allen. Aber für Akim hatte Pra Rata noch keine Zeit und bestellte ihn für den Abend. Mißmutig trollte Akim seines Weges.

Da Pra Rata die Vorliebe Mä Dis für das Betelkauen kannte, das ihr im Palais Prajuravong und auch später in Begleitung Dok Malis streng verboten war, hatte er für sie ein besonderes Betelnecessaire bereitstellen lassen. Er selbst verabscheute diese Unsitte. Bald ärgerte er sich aber über seine Gutmütigkeit, weil Mä Di wegen des Betelkauens nur langsam sprechen konnte, und er wollte doch alles, was Dok Mali anging, sobald wie möglich erfahren. Und Mä Di erzählte außerdem gern ausführlich in epischer Breite.

Die Hauptsache fragte er sofort: »Ist Nang Dok Mali mit einem Farang verheiratet?«

»Ja, Kun Pra.«

Also für ihn verloren! Um Rata drehte sich alles, nur mit größter Energie vermochte er sich zu beherrschen.

»Du kennst ihn auch«, fuhr Mä Di unbeirrt fort. »Er war damals auf dem großen Schiff, als du von uns gingst.«

Pra Rata konnte sich nicht darauf besinnen, wen Mä Di meinte. Aber sie hatte verschiedene Photographien geschenkt bekommen, die sowohl Dok Mali allein, als auch mit Arno zusammen zeigten. Jetzt erinnerte er sich dunkel, einen solchen Herrn gesehen zu haben. Die Bilder von Dok Mali wollte er auf keinen Fall mehr herausgeben und verhandelte mit Mä Di über den Preis.

»Ich gebe dir zwanzig Ticals für jede.«

Sie war gutherzig, aber die Photographien wollte sie behalten. »Nang Dok Mali hat sie mir geschenkt, und wenn ich sie dir gebe, kann ich sie mir nicht mehr besehen.«

»Gut, ich werde dir fünfzig Ticals für das Stück geben. Es sind drei Photographien, das macht zusammen einhundertfünfzig Ticals.«

Schließlich hatte Rata gewonnen. »Ich will dir die Bilder schenken, nicht weil du mir Geld gibst, Kun Pra, sondern weil du Dok Mali so sehr gern hast.«

Pra Rata war gerührt. »Nun erzähle weiter!«

Es war Zeit zum Abendessen, und Mä Di war mit ihrem Bericht immer noch nicht fertig. Sie wurde für den nächsten Tag wieder bestellt, um ihre Erzählung fortzusetzen.

Pra Rata hatte eine schlaflose Nacht Am nächsten Morgen kam Mä Di schon sehr früh. Sie wohnte in Bangkok bei entfernten Verwandten, die in kleinen Verhältnissen lebten. Er machte ihr daher den Vorschlag: »Ich würde mich sehr freuen, wenn du in meinem Hause wohnen wolltest.«

Mä Di dankte überschwenglich und nahm an. Nun erfuhr Pra Rata auch von den vielen Aufträgen, die sie in Bangkok erledigen sollte: sechs schöne Mädchen sollte sie engagieren und Theatermasken, Kostüme und Musikinstrumente besorgen.

»Ich bin sehr traurig,« sagte sie, »daß ich nichts tun kann. Es ist alles so teuer geworden, daß ich bis jetzt nicht gewagt habe, etwas zu kaufen. Ich habe schon sehr schöne Theatermasken gesehen, aber der Händler will zwanzig Ticals für eine haben, und da wird Dok Mali mit mir sehr unzufrieden sein.«

Pra Rata mußte trotz seiner elegischen Stimmung lachen. »Liebe Mä Di, ich glaube, das Beste ist, ich helfe dir.«

Mä Di war sehr damit einverstanden.

»Jetzt aber muß ich zur Audienz bei der Königin.« –

Mä Di besuchte Nang Kulap. Immer wieder sollte sie ihr alles über Dok Mali erzählen. Sie war fast jeden Tag bei ihrer früheren Herrin, und während Pra Rata sich eifrig um die Erledigung der Aufgaben Mä Dis kümmerte, saß diese bei Nang Kulap, kaute Betel und schwatzte; mehrere Male mußte sie durch Hintertüren verschwinden, weil sie Pya Prajura nicht treffen durfte. Nang Kulap freute sich besonders über das Eheglück ihrer Tochter. Zum Abschied gab sie Mä Di geheimnisvoll noch eine Flasche: »Mä Di, es ist ein Liebestrank, ich habe ihn besonders für Dok Mali bereiten lassen, die weiße Baumwollschnur war darum geschlungen, als die Priester darüber beteten.«

*

Die welligen Hügellinien der Vorstenlanden begrenzten den Horizont. Von fernher sah man die Rauchsäule aus dem Krater des Bromo aufsteigen. In einem schmucken Bungalow des Hotels in Djogja saßen Arno und Dok Mali beim Tee auf der riesengroßen, von Areka- und Kokospalmen beschatteten Veranda.

»Mä Di ist nun schon drei Wochen unterwegs, wir hätten sie doch nicht allein nach Bangkok reisen lassen sollen. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn du mitgefahren wärest, Arno.«

»Dann hättest du mich begleiten müssen.«

Beide sahen sich an und brachen in ein Lachen aus.

»Weißt du, Arno, daß wir eigentlich immer zusammen sind?«

»Ja, und es ist wirklich schön so.«

»In den Romanen steht, daß das langweilig wird und die Liebe dadurch erkaltet.«

»Dann sind wir eben eine Ausnahme, mein kleiner Philosoph. Wir müssen doch nicht alles so machen, wie es in den Büchern steht. Oder hast du jemals einen Roman gelesen, der so wie der unsere war?«

»Nein, Arno. Aber vielleicht könntest du ihn schreiben, und dann malst du zu jedem Kapitel eine farbenprächtige Skizze«, neckte sie ihn vergnügt. Er konnte viel verschiedene Dinge im Leben ausführen, aber Romane schreiben? Das kam ihm selbst zu komisch vor.

Ihr ganzes Leben war ein einziges lachendes Glück. Dok Mali erschien das Dasein wie ein schönes Märchen. Selten paßten zwei Menschen so gut zusammen wie sie.

Ein Hotelboy überreichte ein Telegramm. Arno erbrach es schnell: »Mä Di und Akim eintreffen 20. Batavia mit 6 Siamesinnen und großem Gepäck.« Keine Unterschrift. Heute war der 17.

»Glänzend,« rief sie, »ich bin auf meine neuen Trabanten sehr gespannt.«

»Wollen wir ihnen entgegenreisen?«

»Das machen wir, Arno.«

*

Bis zur Ankunft des Dampfers hatten sie Zeit, sich Batavia und Weltevreden ein wenig anzusehen. Am 20. warf das erwartete Schiff im Hafen Anker. Arno und Dok Mali fuhren auf einer Dampfpinasse hinüber.

Mä Di war sehr stolz, und gleich nach der Begrüßung erzählte sie freudestrahlend: »Das war eine sehr große Mühe. Ich hätte das allein gar nicht machen können. Und wenn der Kun Pra nicht geholfen hätte, wäre ich nicht so schnell zurückgekommen.«

Arno hatte sich an Akim gewandt, und das war gut so. »Welchen Kun Pra meinst du?« fragte Dok Mali schnell.

»Ich habe die ganze Zeit im Hause von Pra Rata gewohnt, auch Akim. Und er sagte, daß die Zeit viel zu kurz gewesen sei, um sechs hübsche junge Mädchen zu finden.«

»Erzähle mir nachher, wenn wir im Hotel allein sind, weiter!«

Sie begrüßten die Siamesinnen, Mä Di stellte sie einzeln mit Namen vor. Sie waren sehr schüchtern und wußten nicht recht, was sie sagen sollten. Aber es schien ihnen gut zu gefallen, denn sie lachten in einem fort. Dok Mali freute sich, ihre neuen Trabanten waren wirklich ausgesucht schön. Am besten gefiel ihr Mä Vong. Als Arno herankam, richteten sich sechs strahlende Augenpaare erwartungsvoll auf ihn. Auch ihm gefielen sie, und sein wohlwollend prüfender Blick ruhte lange auf den anmutigen Gestalten.

Mä Di nahm Dok Mali beiseite. »Der Kun Pra hat gefragt, wozu die sechs hübschen jungen Mädchen bestimmt seien. Da ich es nicht genau wußte, habe ich ihm gesagt, daß es wahrscheinlich Nebenfrauen für den Herrn sein sollen.«

Dok Mali war außer sich, aber sie konnte im Moment nichts machen. Auch schienen die sechs in diesem Sinne von Mä Di instruiert worden zu sein, denn sie sahen immerfort zu Arno hin. Zum ersten Mal in ihrem Leben ärgerte sie sich schwer über ihre Amme.

Als man endlich die vielen großen und kleinen Kisten ausgeladen hatte, konnte die Reise ins Hotel losgehen. Die Dampfpinasse war fast zu klein, um die ganze Karawane zu beherbergen. Von der Kommandobrücke aus schauten der Kapitän und der erste Offizier belustigt ihrer Abfahrt zu.

Dok Mali bereute schon von ganzem Herzen diesen unglückseligen Plan. Hätte sie doch Mä Di niemals nach Siam geschickt! Unter dem Vorwande, allein mit ihr und den Siamesinnen zu tun zu haben, erhielt Mä Di eine sehr lange Privatvorlesung. Endlich schien sie zu begreifen und hatte nun die schwere Aufgabe, ihren sechs bildhübschen Schützlingen neue Instruktionen zu geben. Aber die nahmen die Sache nicht tragisch, sondern lachten genau so lustig und verschmitzt wie vorher.

Arno schien die Privatunterhaltung zu lange zu dauern; er kam unangemeldet herein. Und obgleich gar kein Grund dazu vorlag, lachten alle sechs wie auf Kommando.

Mä Di erhielt für den Nachmittag reichliches Taschengeld für alle. Dann schickte man sie weg, damit sie sich zusammen die Stadt ansehen könnten. Der Sicherheit halber aber mußte Akim sie begleiten, damit sie auch wieder zum Hotel zurückkämen!

Endlich war Dok Mali wieder mit Arno allein. »Wir wollen eine Spazierfahrt machen.«

»Ich habe auch daran gedacht und den Wagen schon bestellt.«

»Am Abend könnten wir in die Operette gehen.«

In der Stadt begegneten sie Mä Di und der ganzen Gesellschaft in Rikshas. Die Begrüßung war fröhlich. Die Mädchen warfen Blumen in ihren Wagen, doch fielen sie merkwürdigerweise alle in Arnos Schoß. Dok Mali übersah es.

Am Abend kehrten Arno und Dok Mali vergnügt von der Operette zurück. Sie gingen durch den Hotelgarten. Arno war ganz übermütig und summte leise die einschmeichelnden Melodien vor sich hin. Hinter einem dichten japanischen Nelkenstrauch umfaßte er Dok Mali und küßte sie herzhaft ab, sie entwischte ihm aber und eilte lachend voraus. Plötzlich fiel ein Schuß aus dem Gebüsch. Dok Mali stürzte mit einem Schrei zusammen, Arno sprang blitzschnell zu und faßte einen mittelgroßen Burschen, der ihn durch einen zweiten Schuß am linken Arm verwundete. Mit eisernem Griff hatte er sein Handgelenk umklammert und drückte ihn zu Boden. Der Revolver entfiel ihm.

Sofort eilten Bedienstete des Hotels herbei, und es gelang nach aufregendem Kampf, den Angreifer festzunehmen. Jetzt erst konnte sich Arno um Dok Mali kümmern. Sie hatte einen Schuß in die rechte Brustgegend bekommen und lag bewußtlos da. Boys brachten schnell eine Longchair herbei, auf der man sie sorgsam bettete und dann ins Hotel trug. Sofort rief Arno telephonisch beim großen Krankenhaus an und bat um ärztliche Hilfe, aber die Minuten schienen sich zu Ewigkeiten zu dehnen. Er litt unter starkem Blutverlust, es mußte irgendeine Ader getroffen sein. Mit seinem Taschentuch hatte er den Arm oberhalb der Schußwunde abgebunden.

Kurz darauf kehrte Mä Di mit den Mädchen und Akim zurück. Groß war ihre Bestürzung. Mä Di verlor ganz die Fassung und jammerte nur: »Putho! Putho!« Sie kniete an dem Lager nieder und streichelte ihre Herrin. Dann entkleideten sie und die Siamesinnen vorsichtig Dok Malis Oberkörper. Dicht unter der rechten Brust war die Kugel eingedrungen.

Arno saß neben dem Lager. Langsam sickerte das Blut aus der Wunde, die Zeit verrann. – Er telephonierte wieder. Schon hatte er zwei andere Ärzte vergeblich angerufen. Um diese Zeit waren die Europäer auf Gesellschaft oder zerstreuten sich sonst. Er verzweifelte, schon eine halbe Stunde vergeblichen Wartens war vergangen. Jetzt quoll auch Blut zwischen Dok Malis Lippen hervor. Tropfen um Tropfen der Lebenskraft verströmte! – Arno wankte wieder zum Telephon, aber seine eigene Schwäche war zu groß, er fiel ohnmächtig hin. Akim sorgte sich um ihn, nach einigen Minuten kam er wieder zum Bewußtsein.

»Akim, rufe einen Arzt!« Arno lehnte wieder in einem Sessel, bleich und mit verstörtem Blick. Das Blut rann weiter, es tropfte auf den Fußboden. – Arno ließ sich auf die Knie an Dok Malis Lager nieder und küßte ihre Hand. Gab es denn kein Mittel gegen dieses Einschlafen? Er fühlte tief seine Hilflosigkeit. Warum war er nicht Arzt? – Seine Sinne schwanden ...

Als er wieder erwachte, sah er den Chefarzt des Regierungskrankenhauses vor sich, der mit seinem Assistenzarzt aus einer Gesellschaft beim Generalgouverneur hergerufen worden war. Er verhehlte Arno nicht, daß eine sofortige Operation Dok Malis notwendig sei. An den ernsten Gesichtern der Ärzte sah Arno, daß es schlimm stehen müsse. Inzwischen war ein Krankenauto zur Stelle, und nach einer weiteren schweren Stunde des Wartens war die Operation geglückt, man hatte die Kugel gefunden. Glücklicherweise war es ein Stahlmantelgeschoß, das keine großen inneren Zerreißungen hervorgerufen hatte. Auch Arno war verbunden worden; er hatte nur eine Fleischwunde. Aber bei der großen Aufregung und seiner Schwäche war es ganz erklärlich, daß er schließlich wieder bewußtlos wurde. Dok Mali kam an demselben Abend nicht wieder zu sich. Die Ärzte hatten schwere Zweifel, ob sie bei dem großen Blutverlust durchkommen würde.


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