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In aller Morgenfrühe klingelte unten der Malaie mit der Wagenglocke. Das prächtige Gefährt war angespannt und wartete schon eine Viertelstunde, auch das kräftige Pony scharrte ungeduldig mit den Hufen. Oben auf dem geräumigen Balkon beendeten Dok Mali und Malila gerade ihr Frühstück. Dok Mali steckte noch schnell einige Stücke Zucker für das Pferd ein.

Die beiden jungen Damen nahmen Platz, Dok Mali lenkte selbst. Die Malaienburschen hatten kaum Zeit, hinten auf ihr Trittbrett zu springen, und fort ging die Fahrt wie eine Windsbraut. Auf der schönen Allee am Kanal flog der Wagen pfeilschnell dahin; aber in den Straßen der Stadt kam er nur langsam vorwärts. Sie begegneten vielen Mönchen in gelben Gewändern, die sich auf dem Almosengang befanden. Vor den Türen standen die frommen Hausfrauen, neben sich die große Reisschüssel und das Gefäß mit Curry. Schweigend traten die Priester ohne Bitte und Frage heran, den Blick auf ihre eisernen Almosenschalen gesenkt. Jeder erhielt seine Gabe, und ohne ein Wort des Dankes gingen sie weiter. Sonst waren die Straßen verhältnismäßig leer. Aber trotzdem konnte Dok Mali nicht schnell fahren, da sie auf die Priester Rücksicht nehmen mußte. Sie bog daher am Kanal Klong Kut Mai ab und fuhr in der Richtung nach dem Königlichen Palast, wo die breiten Straßen der Hauptstadt angelegt waren. Hier begegnete sie auch einigen Autos und Wagen der hohen Würdenträger, die zu den Ministerien fuhren. Mancher von ihnen schaute sich nach dem stolzen Gefährt der beiden Damen um. In der Hauptstadt war man nun schon allgemein auf die beiden »Pariserinnen«, wie man sie nannte, aufmerksam geworden.

»Die Neugierde unserer Landsleute ist etwas aufdringlich«, sagte Malila. »Wir sind doch schon einmal dem Oberrichter Pra Rampai begegnet. Er scheint sich einen Spaß daraus zu machen, uns auf dem Morgenspaziergang zu umschwärmen wie die fliegenden Ameisen die Lampe.«

»Das beste ist, wir fahren nach dem Dusitpark, wo wir nicht weiter gestört werden. Hier in Bangkok kann aber auch nichts geschehen, ohne daß sich sämtliche Zeitungen darum kümmern. Daß die Bangkok Times ein großes Loblied auf das französische Nationalfest anstimmt, ist nicht weiter verwunderlich, daß sie aber noch in einem besonderen Artikel mein ganzes Kleid in allen Einzelheiten und meinen Tanz beschreibt, ist doch reichlich stark.«

»Gestern habe ich eine kleine Mappe mit Zeitungsausschnitten auf dem Schreibtisch Papas gesehen, die handeln alle von dem französischen Fest und deinem Tanz. Ich hörte auch, wie er zu Mama sagte, daß wir beide die Zeitungsartikel nicht lesen sollen, besonders du würdest zu stolz werden.«

Dok Mali lachte ihr silberhelles Lachen und knallte mit der langen Peitsche, an der sie eine violette Moiréeschleife befestigt hatte, die durch die Lüfte tanzte wie ein großer schillernder Tropenfalter. Sie fuhren jetzt im Trabe unter einer Allee schattiger Gummibäume dahin. Eine leichte kühle Brise von der See und die schnelle Fahrt machten die glühende Tropensonne erträglich. Der dahineilende Wagen bot ein herrliches Bild. Ihr Vater hatte ihn eigens auf ihre Bitte mit über mannshohen Rädern bauen lassen. In der ganzen Hauptstadt gab es kein so elegantes Gefährt. Durch das tiefe Schwarzgrün der großen Laubkronen lachte hier und dort ein Sonnenstrahl und ließ den Brillantschmuck der beiden Damen aufblitzen. Auf Wunsch des Vaters hatten sie sich siamesisch gekleidet. Aber sie unterschieden sich sehr von all ihren Landsmänninnen, die ihnen begegneten. Ihre üppigen, wallenden Haare waren zu wunderbaren Frisuren geordnet, blitzende Brillantkämme stützten diese Pracht; Pariser Spitzenblusen der letzten Mode, elegante, gestickte Strümpfe und weiße Wildlederhalbschuhe mit hohen Absätzen, von reichen Spangen mit Brillanten verziert, ließen der europäischen Mode doch den Hauptanteil an ihrer Kleidung. Siamesisch war eigentlich nur der wundervolle Panung, dieses Kleidungsstück, das die Siamesen täglich neu zu einem Beinkleid falten und knüpfen. Heute war Freitag, und sie trugen deshalb grauviolette, wolkenfarbige Seide, mit Silberornament durchwirkt, als Panung.

Auf dem Trittbrett hinten standen die beiden malaiischen Diener mit den Fliegenwedeln unter dem Arm, in geschmackvollen Kakilivreen mit reichen schneeweißen Aufschlägen; an den kecksitzenden schirmlosen Mützen war das Monogramm Dok Malis in großen Silberbuchstaben gestickt. Ihr gehörte das Gefährt, sie fuhr leidenschaftlich gern. Nie brauchte sie die Peitsche. Das große, weiße Pony ging stets in schärfster Gangart, wenn die Herrin ihm den Willen ließ. Sie taufte es Hanuman; die Diener hatten ihm in die lange, üppige Mähne Blumengehänge aus weißen, starkduftenden Blüten geflochten.

So kamen sie unter ständigem frohen Geplauder in die Nähe des großen Stadtschlosses. Plötzlich schlug das Gelächter einer größeren Menschenmenge an ihr Ohr. Bei einer Biegung des Weges mußten sie halten. Die beiden Diener sprangen blitzschnell ab, der eine wedelte Hanuman, der andere stellte sich neben den Führersitz.

Auf dem jenseitigen Ufer des Kanals stand ein weißer Elefant und räumte mit seinem Rüssel einen ganzen Obstladen aus, stets begleitet von den jubelnden Zurufen der Menge. Hanuman war sehr unruhig.

Auf den fragenden Blick der Herrin erklärte der ältere Diener: »Die weißen Elefanten kommen vom Baden in dem Menamstrom und wollen nun nicht in ihre Ställe zurück.«

»Kann man sie denn nicht zwingen?«

»Nein, das geht nicht, der Führer sitzt ja auf dem Hals des Tieres, aber er kann und darf dem verehrungswürdigen weißen Elefanten nichts zuleide tun, das weiß das schlaue Tier. Gestern haben die weißen Elefanten eine Straßenbahn angehalten und mit ihren Rüsseln das Dach eingeschlagen, die Fahrgäste konnten sich noch rechtzeitig in Sicherheit bringen.«

»Das ist aber schlimm, das dürfte doch nicht vorkommen.«

»Ach nein, Herrin; für das Volk ist das ein großer Spaß. Die Elefanten tun das nur zur Brunstzeit, wenn ihnen Öl aus den Schläfen und der Stirne tropft. Sonst gehen sie immer gleich gehorsam nach dem Baden in ihre Ställe, aber um diese Zeit machen sie immer erst noch einen Spaziergang in die Stadt.«

Mit einem Male wandte sich der Elefant um, der scheinbar alles, was ihm an Bananen schmeckte, verzehrt hatte. Er trug eine geschälte Kokosnuß im Rüssel, zerschlug sie geschickt auf seiner Stirn, schlürfte die Milch mit dem Rüssel und verspeiste den Kern. Einer der Stallwärter stieß ihn mit einer langen Bambusstange an die Rüsselspitze, damit er ärgerlich werden und ihm nachtraben sollte.

»Das tun die Wärter immer, und nur so gelingt es ihnen, die Tiere wieder in den Stall zu bringen, doch müssen sie sehr vorsichtig sein; dieser Elefant hat schon drei Wärter mit seinen Stoßzähnen zerschmettert.«

Dok Mali schauderte, sie fühlte ordentlich ihre Rippen an den Elfenbeinhauern des Tieres zerschellen. Der Elefant aber schien sich noch nicht von den Kokosnüssen trennen zu wollen. Jetzt stieß der Diener kräftig zu, mit einem Satz drehte sich das Tier und eilte ihm nach. Die Leute strömten über die Brücke vom jenseitigen Ufer. Hanuman scheute. Ein Schulmädchen aus der höheren Töchterschule der ersten Königin, das dicht ans Ufer getreten war, um besser sehen zu können, wandte sich erschreckt um, wollte dem sich aufbäumenden Hanuman ausweichen und stürzte mit einem Schrei ins Wasser. Nun standen die neugierigen Leute und drängten sich zu diesem Schauspiel. Der weiße Elefant war dem Wärter nachgelaufen und hatte sich weiter entfernt. Die beiden Diener konnten Hanuman mit Mühe halten.

Blitzschnell hatte Dok Mali ihre goldenen Haarkämme abgenommen, die Schuhe ausgezogen, war vom Wagen heruntergeklettert und dem Mädchen nachgesprungen. Allgemeines Erstaunen, das sich in verschiedenen Zurufen der Bewunderung und des Scherzes Luft machte. Ganz nach den Regeln rettete Dok Mali das Mädchen, und da die nächste Treppe in der steinernen Kaimauer an dem jenseitigen Ufer lag, schwamm sie über den Kanal hinweg, der an dieser Stelle nicht besonders breit war. Ohne Zwischenfall kam sie dort an. Malila hatte den Wagen inzwischen dahin beordert.

Alles ging sehr rasch, und die allgemeine Aufmerksamkeit richtete sich so auf das Schauspiel, daß man nicht gesehen hatte, wie ein großes, dunkelrotes Auto herangefahren war. Jetzt ertönte das Hornsignal. Es war der König selbst. Alles stob auseinander, machte schleunigst Platz, warf sich auf die Knie. Das Auto hielt genau an der Treppe. Pra Paramin hatte schon von weitem den Vorgang beobachtet. Dok Mali stieg die Treppe mit ihrer Last empor. Ein königlicher Diener kam ihr entgegen und nahm ihr das Kind ab, das sich bald wieder von seinem Schrecken erholte. Der König war sogar ausgestiegen und kam auf Dok Mali zu. Als diese ihn zu ihrem größten Schrecken erkannte, neigte sie das linke Knie vor ihm und hob die gefalteten Hände zum Gruß. Auch der König sah, daß es die schöne Tochter des Pya Prajura war; er ließ sie sofort aufstehen und sprach sie huldvoll an. Dok Mali schämte sich etwas. Wie sah sie nur aus? Die Bluse klebte ihr am Körper, und aus dem Panung rieselte das Wasser.

»Ich muß mich sehr über deinen außerordentlichen Mut und dein gutes Schwimmen freuen, ich habe alles gesehen und weiß nicht, ob ich mehr deine Hilfsbereitschaft oder – deine Schönheit bewundern soll.« Auf einen Wink des Königs reichte ein Diener Dok Mali die Decke aus dem Auto, die sie umschlug. Sie war so überrascht, daß sie nichts entgegnen konnte.

»Ich werde dich schnell nach Hause fahren zu deinen Eltern, damit du keinen Schaden an deiner Gesundheit leidest.«

Damit lud er Dok Mali ein, in seinem Auto Platz zu nehmen. Sie mußte folgen, obgleich es ihr sehr peinlich war. Der König setzte sich neben sie, und fort ging die Fahrt. Sie tastete nach ihren Haaren und war froh, daß ihre Frisur trotz der Strapazen gehalten hatte. Auch ihr Panung saß noch tadellos. Aber die Bluse! Durch den dünnen Spitzenstoff, der in nassem Zustande fast ganz durchsichtig geworden war, konnte man ihren herrlichen Busen sehen. Der König verwandte keinen Blick von ihr. Schon vorher, als sie die Treppe heraufstieg, bewunderte er ihre schlanke Gestalt. Mit welch jugendhafter Wildheit war sie ins Wasser gesprungen! Die nasse, enganliegende Bluse hob den eleganten, gut durchgeturnten Oberkörper hervor. Die wohlgeformten, festen Brüste waren im Gegensatz zu denen der anderen Siamesinnen eher klein und hatten einen wundervollen Ansatz. Dazu die klassisch-schönen Schultern und der edle Schwung der Halslinie! König Pra Paramin, einer der größten Kenner weiblicher Schönheit, hatte dergleichen noch nicht erlebt, alle diese Reize vereint! Dok Mali fühlte unwillkürlich seine Blicke, aber ihre Schüchternheit wich. Damit sie sich nicht erkälten sollte, hüllte der König selbst sie bis zum Hals in die weiche, reichgestickte Seidendecke. Er fragte sie nach gleichgültigen Dingen, nach ihrem Alter, nach ihrer Schwester. Dok Mali antwortete zuletzt ganz unbefangen und schaute dem König frei ins Gesicht. Wie milde und gut blickte er, wie warm strahlte sein Auge und wie jugendlich war seine Haltung! Pra Paramin sollte schon fünfzig Jahre alt sein! Kaum glaublich! Der Klang seiner ruhigen, vornehmen Stimme umfing sie und schmeichelte ihr. Sie wußte, daß sie schön war, aber daß ihr König es ihr sagte, das ließ doch ihr Blut schneller pulsen. Sie war erregt und mußte tief Atem holen. Halb von der Seite blickte sie auf den König, ihr Oberkörper straffte sich, sie fühlte, wie ihre Brustspitzen von der nassen Bluse umklammert wurden.

Der Wagen hielt vor dem Palais ihres Vaters. Pya Prajura wollte gerade ins Finanzministerium fahren. Er trat aus dem Hause, während ein Page den Schlag des Autos aufriß. Mit tiefster Hofverbeugung begrüßte er den außergewöhnlichen Gast, der lachend ausstieg. Dann erschien auch Dok Mali.

»Man kann in der Hauptstadt die interessantesten Dinge erleben«, sagte Pra Paramin in bester Stimmung. »Deine Tochter, lieber Pya Prajura, hat ein Bravourstück vollbracht.«

Inzwischen war man auf die große schattige Terrasse hinausgetreten. Nang Kulap kam und begrüßte den König untertänigst, der mit viel Heiterkeit die ganze Geschichte ausführlich erzählte. Dok Mali begab sich sofort in ihre Gemächer, wo sie von Dienerinnen aufs schnellste abgetrocknet und umgekleidet wurde.

Der König war gerade mit der Erzählung fertig geworden. Man hatte um einen großen, runden Tisch Platz genommen. Dok Mali erschien ganz in Silberbrokat, nicht nur das Beinkleid strahlte und glitzerte in tausend Lichtern, auch die Bluse bestand aus silberdurchwirkten Spitzen. Im Haar trug sie einen wunderbaren Schmuck von ganz großen Aquamarinsteinen, dazu passend Gürtelschnalle, Armband, Ring, Halskettchen mit Hänger und Schuhschnallen. Der Panung war so elegant gebunden, daß er ihre schönen Körperformen deutlich zeigte. Sie kredenzte dem König Früchte und einen kühlenden Trunk. Inzwischen war auch Malila mit dem Dogcart nach Hause gekommen. Der König winkte sie ebenfalls heran und zeichnete sie aus. Aber wenn sie auch noch so lieblich war, im Vergleich mit der sieghaften Schönheit Dok Malis erschien sie nur wie der bescheidene sanfte Mond gegen die herrlich strahlende Sonne. Pra Paramin ging nach kurzer Zeit und verabschiedete sich besonders herzlich von Dok Mali, der er die Hand reichte. Pya Prajura strahlte.

»Solch ein Glück hat noch niemand in ganz Siam gehabt! Solche Vorzeichen hat dir dein Horoskop geweissagt«, bemerkte Nang Kulap, indem sie die Hand der Tochter streichelte. Dok Mali entwischte, ihr war das ewige Gerede von den Sterndeutern sehr zuwider.

Aber es sollte noch mehr Glück kommen. Als Pya Prajura aus dem Ministerium zurückkam, wurde er telephonisch angerufen. »Der Palastminister. Seine Majestät haben heute abend acht Uhr Nang Dok Mali und deren Eltern zur großen Audienz befohlen.«

Nang Kulap war außer sich vor Freude und machte Dok Mali bedeutsame Bemerkungen. Aber Dok Mali ging auf ihr Zimmer, schloß die Tür hinter sich und schluchzte. Wenn man sie doch in Ruhe ließe! Heute morgen mit dem König allein war es ein holdes Märchen gewesen, aber wenn alle anderen zuschauten und aus ihrem Glück Nutzen ziehen wollten, wurde das Märchen von der nüchternen Wirklichkeit gemordet.

Am nächsten Tage aber las man in der Bangkok Times mit vielem Aufputz das Abenteuer Dok Malis. Zum Schluß stand da: »Seine Majestät haben allergnädigst geruht, der tapferen schönen Dame die große goldene Rettungsmedaille am Band des Maha-Chakkri-Hausordens zu verleihen. Eine so hohe Auszeichnung ist noch nie für die Rettung aus Lebensgefahr in diesem Königreich verliehen worden.«

*

Der König saß in voller Galauniform in dem Arbeitszimmer neben dem großen Thronsaal. Er hatte viele Unterschriften zu erledigen, es sollten heute noch Ordensverleihungen, Ernennungen und Beförderungen bei der Audienz bekanntgegeben werden, die nach der Gratulationscour des diplomatischen Korps angesagt war. Pra Rata war vom Palastminister befohlen, dabei behilflich zu sein. Im Vorsaal versammelten sich inzwischen die Prinzen des Königlichen Hauses und die Diplomaten. Man hatte sich viel zu berichten.

»Ja, an diesem Hofe hätte man das nicht für möglich gehalten«, begann der französische Gesandte. »Alles geht nur nach Gunst beim König, aber daß die Tochter des Pya Prajura, die noch nicht einmal seine Gemahlin ist, schon solchen Einfluß hat! Denken Sie nur« – dabei wandte er sich an den Italiener, der erst seit kurzem in Siam war – »Dok Mali ist in Paris erzogen, ist wirklich außerordentlich schön, besitzt sehr viel Charme – kurz gesagt, sie ist ein ganz entzückendes Wesen, aber politisch vollkommen harmlos, ein unschuldiger Engel – und doch hat sich der ganze Hof in zwei Parteien gespalten, eine für und eine gegen diese Dame.«

»Es ist ganz fabelhaft«, meinte der deutsche Legationsrat Schenk v. Kürenberg. »Sie wissen doch, daß die erklärte Lieblingsfrau des Königs seit dreiviertel Jahren Nang Cholani ist. Als nun vor einigen Tagen der König Dok Mali im Auto nach Hause fährt, findet er am selben Abend Cholanis Tür verschlossen. Er versteht Spaß und hält die Sache für einen Scherz. Als dann aber Cholani dem ungeduldigen Liebhaber immer noch nicht öffnet, zeigt er sein königliches Gesicht und übergibt die Sache dem Palastminister. Der läßt die Tür öffnen, und Cholani wandert ins Palastgefängnis, wo sie einen Selbstmordversuch gemacht hat – und das alles nur aus Eifersucht auf Dok Mali.«

»Der König wollte gar nicht, daß die Arme in Fesseln gelegt werden sollte«, warf der französische Gesandte ein, »das hat mir Pya Prajura selbst versichert. Aber der Palastminister, Prinz Naret, ist ja noch von der alten Schule.«

»Haben Sie schon gehört, daß der König eine begeisterte Rede auf Dok Mali gehalten hat, als er ihr die Auszeichnung überreichte? Auch so etwas soll sonst noch nie vorgekommen sein. Derartige Medaillen wurden bisher vom Minister des Innern übergeben«, sagte der Belgier.

»Was ist denn aus der Lieblingsfrau geworden?« fragte der Italiener.

»Zum Glück konnte man sie noch retten«, erwiderte v. Kürenberg. »Als der König es erfuhr, ließ er sie sofort aus dem Gefängnis holen und besuchte sie. Es soll ihr übrigens wieder besser gehen – aber ob sie sich die Gunst des Königs wieder in dem Maße erwerben kann wie früher?«

Es dauerte sehr lange. Der König, der sonst pünktlich war, erschien noch immer nicht. Die Diplomaten unterhielten sich weiter.

Inzwischen saß Pra Paramin sinnend vor seinem Schreibtisch. Die Unterschriften waren gegeben; Rata hatte die Mappe längst fortgetragen. Aber darunter lag ein Photo Dok Malis, mit der Widmung an Pya Tai. Er lächelte.

Wirklich sehr gut getroffen!

Der Hofmarschall, der auf Seine Majestät wartete, machte sich durch Hüsteln bemerkbar. Aber Pra Paramin sah nur auf das Bild, auf die schöngeschwungenen Lippen, die so bezaubernd lächelten. In ihrem Gesicht mit den kühnen Augenbrauen mischte sich der weiche Ausdruck siamesischer Frauenschönheit mit dem feurig energischen Temperament ihres Vaters, dessen Vorfahren von persischer Abstammung waren.

Prinz Naret kam und bat Seine Majestät untertänigst, zur Gratulationscour zu gehen. Der König erhob sich und übergab das Bild dem Palastminister zur Aufbewahrung. Er hätte gern weitergeträumt, aber das schreckliche Hofzeremoniell verdarb ihm jede Stimmung. Heute war sein Geburtstag. Am liebsten hätte er ihn überhaupt nicht gefeiert, älter wurde man ja von selbst – gerade in den letzten Tagen empfand er das unangenehm.

Er betrat, gefolgt von seinen Ministern, den Thronsaal. Überall tiefe Verbeugungen wie das Neigen von schweren, reifen Ähren im Kornfeld, wenn der Wind darüberfährt. Der holländische Gesandte, der Doyen des diplomatischen Korps, hielt im Namen aller auswärtigen Vertreter die Ansprache, in der die Beglückwünschung zum Ausdruck gebracht wurde.

Der König schien sehr gnädig gestimmt, er sprach jeden Einzelnen an und wußte jedem etwas Angenehmes zu sagen.

*

Die Gratulationscour war vorüber. Pra Paramin saß wieder in dem Arbeitszimmer und träumte. Was mußte er an seinem Geburtstage alles über sich ergehen lassen! Die Sterndeuter hatten für alles den richtigen Zeitpunkt ausgerechnet. Er mußte während der Feiertage mehrere Zeremonienbäder nehmen, das heißt, er wurde mit Wasser begossen, während er in weißseidenen, golddurchwirkten Gewändern auf einem besonders für diese Zwecke errichteten Thron saß. Dann die ganzen Empfänge und Feiern! Er hätte ja alledem ein Ende machen können, aber das Volk! Ja, das Volk wollte feiern, wollte ihn als einen Halbgott verehren, und so mußte er auch der Halbgott sein.

Wieder fiel ihm das Bild Dok Malis in die Augen, das der Palastminister in einen geschmackvollen, goldgeschmiedeten Rahmen gesteckt hatte. Wie glücklich war sie, sie brauchte sich nicht um das Sterndeuterdepartement zu kümmern. Die Astrologen schrieben sogar vor, wann die Eisenbahnzüge des Königs abfahren mußten. Aber die Zeit zur Reform war noch nicht gekommen.

Ob die Sterndeuter Dok Mali auch ein günstiges Horoskop gestellt hatten? Heute abend war Hofball, da würde er sie wiedersehen. In letzter Zeit beschäftigte er sich immer mehr mit ihr. Er konnte nicht schlafen um ihretwillen, sie erschien ihm im Traum wie im Wachen. Er hatte nun schon so viele Frauen aller möglichen Rassen besessen, aber noch keine liebte er so wie Dok Mali. Sonst war er ausgeglichen und ruhig, aber jetzt war er richtig verliebt wie ein heißblütiger Jüngling. Man hatte ihn von vielen Seiten vor ihr gewarnt, aber durch diese anonymen Briefe war er erst recht auf sie aufmerksam geworden.

*

Dok Mali und Malila waren in gespannter Erwartung. Heute sollten sie zum erstenmal am Hofball teilnehmen.

»Ich hatte euch doch ausdrücklich gesagt, daß ihr siamesische Tracht anlegen sollt. Aber ihr erscheint natürlich in europäischen Ballkleidern! Und das Auto wartet! Es ist jetzt keine Zeit mehr zum Umkleiden, wir müssen fahren. Ihr bleibt also zur Strafe zu Hause!«

Das Telephon läutete. Pya Prajura wurde an den Apparat gerufen.

Inzwischen bettelten die beiden bei ihrer Mutter. Nang Kulap war mit der Kleidung auch nicht einverstanden. Aber im Panung würden sie in der Menge der anderen verschwinden, überlegte sie.

»Liebe Mutter, wir sollen doch europäisch tanzen, und das kann man doch im siamesischen Kostüm nicht so gut.«

Der Vater kam zurück. »Der König hat dem Prinzen Naret die bestimmte Erwartung ausgesprochen, daß die beiden jungen Damen erscheinen werden.«

Man konnte unmöglich zu spät kommen. Er brummte, die Mutter beschwichtigte ihn. So fuhr man denn in zwei Autos zum Ball.

Die Palaststadt glänzte heute in festlicher Illumination, alle Zinnen der Umfassungsmauer trugen Kokoslampen. Lebendig flackerten die Lichter im Winde. Ein ganzes Heer von Dienern war damit beschäftigt, Öl nachzugießen. Als Dok Mali durch das Nordportal der äußeren Grenzmauer fuhr, blickte sie in ein Lichtermeer. Rechts leuchteten die Ministerien alle hellauf in dem strahlenden Glanz unzähliger Flammen, links die Staatsbibliothek und die Pagenschule. Die Zufahrtsstraße umsäumten zu beiden Seiten in Form von Ehrenschirmen geschnittene Bäume. Auch sie trugen Lichterkränze und waren durch Perlenschnüre von Glühbirnen miteinander verbunden. Das innere Tor war ein großes Fanal – oben, ganz hoch über dem Bogen, strahlte das mächtige Monogramm des Königs.

Garden in feuerroten Uniformen bildeten Spalier. Der Doppelposten salutierte vor ihrem Vater, der herablassend wiedergrüßte. Zum erstenmal sah sie nach ihrer Rückkehr das Hauptgebäude des Palastes mit dem großen Ehrenhof. Der Glanz der Illumination und Festpracht erreichte hier seinen Höhepunkt. Die Leibwache des Königs stand in altertümlicher Tracht am Fuße der breiten Marmorfreitreppe. Ihre malerischen Schwertlanzen und die riesigen Zeremonienschwerter der Offiziere lohten wie Feuerflammen im Widerschein der unzähligen Lichter.

Die Wagen hielten. Pagen in blauem Kostüm und in Silberstickerei halfen beim Aussteigen. Dok Mali war ganz hingerissen vor Begeisterung. Solch märchenhaften Zauber hatte sie auch nicht im Traum für möglich gehalten. Sie stiegen auf weichen Teppichen viele Marmorstufen empor. Wie mächtig war doch König Pra Paramin!

Oben empfing Pya Pipat Kosa, der Unterstaatssekretär des Ministeriums des Äußern, die Gäste. Er machte große Augen, als er die beiden Töchter des Pya Prajura sah. Das hatte noch keine Siamesin gewagt! Dok Mali und Malila mußten die große Zahl festlich geschmückter Säle durchschreiten, sie gingen nebeneinander. Ihre Kleider waren nicht zu lang, beide von gleichem Schnitt, reichlich dekolletiert, von weißem Plüsch mit Gold bestickt und prachtvollen Spitzen. Die königliche Haltung, der langsame, majestätische Gang, und die Art, wie sie ihre Schleppen zu tragen verstanden, gaben ihnen das Ansehen von Königinnen. Überall steckte man die Köpfe zusammen. Die altsiamesische Partei frohlockte.

»Das kann Seine Majestät nicht durchgehen lassen, und wenn nicht der König Einspruch erhebt, wird die erste Königin dafür sorgen«, sagte der weißhaarige Pya Apai zu seinem Nachbar.

»Ja, aber es sei dem, wie ihm wolle«, antwortete der, »schön sind die beiden. Übrigens habe ich bestimmt gehört, daß der König die ältere zur Frau nehmen wird, vielleicht auch die jüngere.«

»Wenn es so weitergeht, wird ihr Vater noch allmächtig!«

»Noch sind sie nicht die Frauen des Königs, wir werden ja sehen.«

Nang Kulap setzte sich zu verschiedenen älteren Siamesinnen, die mehr im Hintergrunde Platz genommen hatten. Dok Mali und Malila wurden von den Herren des diplomatischen Korps umschwärmt, sie waren entschieden bis jetzt der Mittelpunkt des Festes. Freudig erregt erblickte Dok Mali Pra Rata. Aber er konnte sie noch nicht begrüßen, da sie förmlich belagert war.

Allbekannt war der alte Familienschmuck der Prajuravong. In Paris hatte man ihn vollkommen modern umarbeiten lassen. Dok Mali trug ein Netz von Perlenschnüren im Haar, die Knotenpunkte waren jedesmal durch große Brillanten betont. Auch in die Stickerei des Kleides waren Brillanten von gelblich-rötlichem Feuer verarbeitet. In Siam sah man zwar viel kostbares Geschmeide, aber das war doch außergewöhnlich.

Da erklangen die ersten Töne der Tanzmusik – die neuesten europäischen Walzer! Dok Mali staunte. Sie tanzte die erste Tour mit dem französischen Gesandten, dann war Fürst Primaticcio ihr Partner. Endlich konnte Pra Rata sich ihr nähern. In der Pause ging er mit ihr in einen kühleren Nebensaal.

»Wir können nur bis zum Diner zusammen sein. Später erscheint die erste Königin, dann habe ich Hofdienst und darf mich nicht mehr am Tanz beteiligen.«

»Hast du mich noch lieb, Rata?« flüsterte sie.

Er küßte ihre Hand. »Du weißt, daß ich dich liebe,« und immer lieben werde, wollte er sagen, wurde aber durch das Dazwischentreten des Prinzen Saravat unterbrochen, der Rata aufforderte, ihn Dok Mali vorzustellen. Er war ein sehr einflußreicher Mann aus der Partei des Prinzen Prabodi.

»Sie sind die Krone des heutigen Festes, vor Ihrer Schönheit neigt sich alles«, sagte er galant.

Beide geleiteten Dok Mali zum Tanzsaal zurück, und der Prinz bat um den nächsten Tanz. Rata war wütend. Ausgerechnet der mußte ihm die Aussprache mit Dok Mali zerstören, nach der er sich nun schon so lange gesehnt hatte. Dieser Saravat mit seiner ungefügen Korpulenz, mit seinem unsympathischen Äußern. Dok Mali seufzte auch.

So kam der Augenblick, wo der König erschien. Pra Rata hatte sich stets in Dok Malis Nähe gehalten. Als die Begrüßung der Gäste vorüber war und Pra Paramin alle Säle durchschritten hatte, nahm er auf seinem Thronsessel im Ballsaal Platz.

Der Tanz begann wieder. Rata hatte den Augenblick richtig abgepaßt, es wurde ein Valse Boston gespielt. Noch tanzte niemand. Kurz entschlossen forderte er Dok Mali auf. Es dauerte lange, bis andere Paare folgten, und so konnten sie sich frei entfalten. Es war fast wie auf der Bühne. Zwischendurch tanzte Rata eine halbe Runde langsamen Walzer, bei dem die Schleppe, die Dok Mali aufgenommen hatte, sich in wundervollem Schwunge wie ein Segel wölbte. Die Musik spielte eine elegische Weise. Beiden war zumute, als wäre dieses ihr letztes gemeinsames Zusammensein. Wenn zwei sich lieben, zeigt sich das auch in der Harmonie ihres Tanzes. Pra Rata und Dok Mali achteten nicht auf ihre Umgebung; mit höchster Eleganz schwebten sie durch den Saal.

Der König konnte sich nicht satt sehen an Dok Mali. Der Tänzer war ihr an Schönheit der Bewegung und an souveräner Ruhe und Leichtigkeit ebenbürtig. Wie ein Falterpaar, das sich sucht und in den Lüften tändelt, erschienen ihm diese beiden Menschen.

Pya Prajura war auch unter den Zuschauern; was würde Seine Majestät zu den europäischen Ballroben sagen? Daß ausgerechnet Rata mit seiner Tochter vor den Augen des Königs tanzen mußte!

Pra Paramin ließ durch den Hofmarschall Nang Kulap mit ihren Töchtern zu sich kommen und sagte ihnen die größten Komplimente.

Sofort ging es wie ein Lauffeuer durch die Säle: »Der König hat das Kleid Dok Malis für das schönste des heutigen Abends erklärt.«

Ja, es war auffallend, daß er die Damen immer noch nicht entließ. Pya Prajura atmete erleichtert auf. Jetzt ließ der König auch ihn durch den Adjutanten bitten.

Er traute kaum seinen Ohren: »Ich wünschte, alle Siamesinnen wären imstande, sich so gut im siamesischen, wie auch im europäischen Gewande zu bewegen. Aber ich habe auch in Europa selten solch eine Anmut und Grazie gesehen.«

Man ging zu Tisch. Prinz Saravat führte Dok Mali, Fürst Primaticcio Malila. Der Prinz hatte sich gründlich in Dok Mali verliebt. Ihre Vertrautheit mit Pra Rata war ihm aber nicht entgangen, und er war eifersüchtig auf ihn.

*

Nach dem Essen trafen sich die erste Königin und Prinz Prabodi, auch Rata als ihr Hofmarschall war zugegen.

»Der König scheint ernstliche Absichten zu haben, Dok Mali zu heiraten, das muß vermieden werden«, sagte die Königin erregt. »Prinz Saravat interessiert sich auch stark für sie. Wenn der sie zur Frau nähme, könnte man ihn in eine Provinz schicken und ihn dort beschäftigen, daß er nicht zur Hauptstadt kommt.«

Pra Rata wagte zu bemerken, daß von unbekannter Seite Seiner Majestät ein Photo Dok Malis in die Hände gespielt worden sei. Er erhielt den Auftrag, alles weiter zu beobachten.

Prinz Prabodi wollte mit Saravat gleich am nächsten Morgen sprechen. »Das Einfachste wäre, wenn Saravat den König ersuchte, für ihn um die Hand Dok Malis bei Pya Prajura zu bitten. Ablehnen kann dann weder der König noch Prajura.«

Pra Rata wurde entlassen. Auch Prinz Prabodi verabschiedete sich.

*

Zur selben Zeit sprach der König mit dem Palastminister, dem Prinzen Naret, und gab ihm den Auftrag, am nächsten Morgen für ihn bei Pya Prajura um Dok Mali anzuhalten.

»Es wäre wohl am besten, wenn hierüber ein königlicher Befehl in aller Form erlassen würde«, sagte der Palastminister.

»Nein, wir leben nicht mehr im finsteren Mittelalter«, entgegnete Pra Paramin. »Gerade in diesem Fall halte ich das für ganz und gar nicht angebracht. Bringe aber Dok Mali diesen Gürtel als Geschenk von mir!«

Dabei öffnete er ein längliches Lederetui und übergab es ihm. Das elektrische Licht bestrahlte ein herrliches Kunstwerk altsiamesischer Goldschmiedekunst, das mit Brillanten ausgelegt war. Eigentlich war dieser Gürtel für die erste Königin bestimmt.

Prinz Naret stutzte.

*

Die gute Nang Kulap hatte es als Mutter wirklich nicht leicht. Am Tage nach dem Hofball – es war schon fast Mittag – trat sie ins Zimmer Dok Malis, die auf dichten, schweren Teppichen langgestreckt auf der Erde lag und ein phantastisches, selbst ausgedachtes Kostüm anhatte, das den Oberkörper ganz freiließ, wenn man das wundervolle Geschmeide nicht als Bekleidung rechnen wollte. Der prachtvolle Perlenschmuck von gestern abend straffte sich wieder um ihr volles, dunkles Haar. Malila saß daneben und fächelte die ältere Schwester. Die Mutter wußte nicht, was sie zu diesem Aufputz sagen sollte. Gewiß war es altsiamesische Sitte, daß die vornehmen Frauen innerhalb des Hauses, besonders wenn sie am Abend dem Hausherrn vortanzten, die Brust nur mit kostbarem Schmuck bedeckten, aber Dok Mali war weder verheiratet, noch war es Abend.

Aber sie schwieg.

Sie kam, um sich von Dok Mali die Zustimmung zu den Plänen ihres Vaters zu sichern. Wenn sie den Unterschied überlegte: Wer hätte noch vor zehn, zwanzig Jahren auch nur an die Möglichkeit gedacht, daß sich die Tochter eines Ministers ernstlich geweigert hätte, in das Lady-Departement des Königs aufgenommen zu werden – noch heute würden alle Jungfrauen Siams dies als höchste Ehre empfinden, nur ihr eigenes Kind sträubte sich dagegen. Hatten denn früher Töchter ernstlich einen anderen Willen als den der Eltern, besonders den der Mutter, haben dürfen?

Sie setzte sich zu den beiden. Malila entfernte sich auf einen Wink Nang Kulaps.

Die Mutter strahlte noch in Erinnerung des großen Erfolges von gestern.

Dok Mali hatte so sehnsüchtig diesen Hofball erwartet, um Rata wiederzusehen, sie hatten sich viel zu sagen, aber immer war durch das Dazwischentreten anderer eine Aussprache verhindert worden. Er steckte ihr gestern abend noch einen Brief zu, auch verabredeten sie, daß sie sich durch ihre Amme weiter verständigen wollten. Sehnsüchtig hoffte sie auf eine Vermählung mit Rata. Auch in der vergangenen Nacht hatten süße Traumbilder ihr die Erfüllung ihres Wunsches vorgegaukelt. Als ihre Schwester sie heute morgen weckte, konnte sie sich nicht sogleich zur Wirklichkeit zurückfinden.

Die Mutter ging vorsichtig, aber zähe auf ihr Ziel los:

»Wie bist du gestern beneidet worden? Hast du gesehen, wie sich der König über dich gefreut hat?«

Natürlich hatte Dok Mali das empfunden, tat aber so, als ob sie das nichts weiter anginge. »Der König fühlte die Verpflichtung, allen Menschen angenehme Worte zu sagen, besonders an seinem Geburtstage.«

Die Mutter ärgerte sich ein wenig. Wollte denn Dok Mali nie verstehen lernen? Sie lobte die Schönheit des Königs, seine Weisheit, seine Bildung, seinen Reichtum, seine Manneskraft und was alles an einem orientalischen Herrscher zu loben war. Dok Mali hörte kaum hin. Als Nang Kulap aber von der vornehmen Gesinnung des Königs seinen Frauen gegenüber anfing, erwachte die alte Kampfstimmung in ihr. Das Problem!

»Wenn der König nun wirklich gerecht und gut, edel, tugendhaft und ritterlich ist, warum knechtet er dann den Willen seiner Frauen, warum gibt er ihnen nicht die Freiheit? Warum hat denn die Natur bei aller Regellosigkeit im Durchschnitt ebenso viele Frauen wie Männer hervorgebracht? Doch nicht etwa, damit ein Mann sich hundert nimmt, damit neunundneunzig keine Frauen haben? Nur in der Vereinigung von Mann und Frau blüht letztes Glück. Warum nimmt der König es denn so vielen seiner Untertanen, sowohl Männern wie Frauen, wenn er so gerecht und edel ist? Wenn ein Mann hundert Frauen hat, macht er sie doch zu neunundneunzig Prozent zu Nonnen.«

Prozentrechnung verstand nun Nang Kulap wirklich nicht, noch viel weniger die modernen abendländischen Begriffe von Einehe. Sie hatte zwar viel in europäischer Gesellschaft verkehrt, aber überall nur gesehen, daß die sogenannten »Ein«ehen nicht bestanden. Sie hielt das für schwere Sünde und sagte es auch Dok Mali.

»Alle diese werden nach ihrem Tode in der Hölle für Ehebrecher an stachligen Bäumen emporklettern müssen, so daß die Dornen ihnen durch das Fleisch stoßen und sie unter blutigen Qualen sterben, um gleich wieder in derselben Hölle lebendig zu werden.«

Dok Mali kannte diese Predigt, sie hörte nur äußerlich zu. Ihre Gedanken weilten schon wieder bei Rata, sie drehte sich mit ihm im Tanze.

Nang Kulap sah die Zerstreutheit der Tochter. Da versuchte sie es mit Liebkosungen, damit erreichte sie noch immer das meiste bei dem Trotzkopf. Auch heute schmiegte sich Dok Mali an sie, denn trotz aller Unterschiede im Denken und in der Lebensauffassung liebte und verehrte sie ihre Mutter innig. Nang Kulap lenkte das Gespräch wieder auf den König und sagte, daß der Vater jetzt mit ihr beschlossen habe, sie ihm zu vermählen.

»Es ist Tradition in unserer Familie, daß stets eine Tochter Nebenfrau des Königs ist.«

Dok Mali wollte heftig erwidern, aber das sanfte Streicheln der Mutter übte eine fast magische Gewalt auf sie aus.

Wer kennt diese sammetweichen, zarten, ausdrucksfähigen Hände der siamesischen Frau? Sie braucht nicht viel zu sagen, sie kann durch das Streicheln ihrer wunderbaren Hände alles ausdrücken, kann ihre Gedanken und Gefühle auf den andern übertragen, ihn heiter und froh machen, Schmerz lindern, Groll und Haß fortzaubern, Leidenschaft erregen, zu Taten anfeuern und wieder besänftigen und sanft einschlummern lassen, wunschlos und selig.

Nang Kulap begann wieder ganz leise und zart von Pra Paramin zu erzählen. Für Dok Mali wurde Rata zum König, und während die Mutter ihr den König lobte, sah sie Rata. Sie schloß die Augen und wähnte seine Liebkosungen zu spüren.

Nang Kulap glaubte ihre Tochter besiegt. Sie sprach nicht mehr. Zum Fenster wehte Blütenduft herein, der Kühlung brachte und Sehnsucht weckte. Von allen Tempeln klangen die Glocken, zuerst folgten die Schläge langsam und laut, dann immer schneller und leiser, um schließlich ganz in der lauen Luft zu verklingen. Es war das Zeichen zur Beendung der Mahlzeit für die Priester. Dok Mali war in eine traumhafte Stimmung geraten, zum ersten Male seit langer Zeit fühlte sie sich wieder glücklich in der Geborgenheit ihrer Mutter. Sie dachte auch nicht weiter nach – sie war wunschlos und zufrieden.

Plötzlich hörte man draußen energische Schritte. Die Tür wurde rasch geöffnet, Pya Prajura stand im Zimmer. Die Frauen schraken empor.

Er war freudig erregt: »Weißt du schon das Neueste? Seine Königliche Hoheit, der Palastminister, ist bei mir und wirbt für den König um unsere älteste Tochter.«

Dok Mali wollte erwidern, doch sie kam nicht dazu.

»Schnell ankleiden, damit du den Prinzen Naret begrüßen kannst.« Nang Kulap sah ihren Gatten triumphierend an. »Das günstige Horoskop erfüllt sich!«

Dok Mali war wie betäubt, mechanisch erhob sie sich. Dienerinnen kamen und halfen ihr. Der Pya war wieder zu seinem hohen Besuch gegangen. Da erwachte ihr Wille halb. Vor ihrem Bewußtsein stand der König, aber er hatte die Züge Ratas.

Zu ihrer Mutter sagte sie halblaut: »Ich will den König Rata heiraten, sprich du bitte für mich zum Vater.«

Die Dienerinnen lachten.

»Das Glück hat ihr die Rede verwirrt«, sagte die Amme.

Nang Kulap hatte die letzten Worte nicht gehört, sie war fest davon überzeugt, daß Dok Mali jetzt vernünftig geworden sei. Sie eilte voraus und erwartete ihre Tochter im Vorzimmer.

Dok Mali ging ruhig und gefaßt zu ihr, sie wollte noch schnell mit ihr sprechen, aber im selben Augenblick wurde die große Schiebetür des Empfangszimmers geöffnet. Halb willenlos grüßte sie mit ihrer Mutter den Prinzen. Sie fühlte seine Blicke auf sich gerichtet. Pya Prajura sprach, auch Prinz Naret redete sie an, aber sie vernahm nur den Schall der Worte, der Sinn drang nicht zu ihr durch.

Doch jetzt hörte sie, wie der Vater sagte: »Heute nachmittag um fünf Uhr wird alles bereit sein, dann werden wir unsere Tochter dem König darbringen. Dok Mali selbst hat keinen sehnlicheren Wunsch, als dem König vermählt zu werden und ihm zu dienen und ihn zu erfreuen nach Art der besten Frauen des Landes.«

Weiter hörte sie nichts. Plötzlich kam ihr die Wirklichkeit mit ihrer bitteren Wahrheit wieder zum Bewußtsein. Prinz Naret wollte sich eben verabschieden – da trat sie vor, ruhig und sicher, und sprach mit einer ihr selbst fremden Stimme:

»Königliche Hoheit, die große überschwängliche Gnade des Königs hat unsere Familie überschattet, aber ich kann sie nicht annehmen. Ich glaube an das Recht der Frau, daß sie über sich selbst bestimmen kann, auch über ihren Körper. Ich will nur einem Manne angehören, der mich allein liebt und neben mir keine anderen Frauen hat. Deshalb kann ich nicht die Frau Seiner Majestät des Königs werden.«

Pya Prajura hatte sie unterbrechen wollen, aber auf einen Wink des Prinzen Naret geschwiegen. Dem Palastminister kam diese Entwicklung erwünscht. Das bedeutete den Sturz des Emporkömmlings! Doch ließ er sich äußerlich nichts merken; sein Gesicht war wie stets liebenswürdig, milde lächelnd.

Oh, dieses undurchdringliche Lächeln kannte Pya Prajura. »Ich bitte Eure Königliche Hoheit dem König zu unterbreiten,« beeilte er sich hinzuzufügen, »daß wir heute um fünf Uhr nach dem Befehl vor dem Angesicht Seiner Majestät des Königs mit unserer Tochter erscheinen werden.«

*

Der Palastminister war gegangen. Auf der Fahrt nach dem Dusitpalais mischte sich in seinen Jubel doch die bange Sorge: »Wie wird der König die Sache aufnehmen?« Je länger er darüber nachdachte, und je näher er dem Schlosse kam, desto unangenehmer erschien es ihm, die Nachricht persönlich zu überbringen. Als sein Auto vor der Rampe hielt, sah er unten bei anderen Beamten Pra Rata stehen. Er winkte ihn heran, teilte ihm den Hergang genau mit und beauftragte ihn, dem König darüber Vortrag zu halten. Er selbst wollte auf dem Heimweg seinem Freund und Bundesgenossen, dem Prinzen Prabodi, alles erzählen. Geteilte Freude ist doppelte Freude!

*

Der König erfuhr alles von Rata, auch was Dok Mali gesagt hatte. Er glaubte nicht recht zu hören und ließ es sich noch einmal bis in alle Einzelheiten wiederholen. Rata sprach in seiner anspruchslos zurückhaltenden Weise. Der König fragte nach dem Prinzen Naret, er war ungnädig und entließ Pra Rata mit dem Befehl, den Palastminister herbeizuholen.

Geräuschlos verschwand Rata aus dem Zimmer, vergeblich versuchte er, den Prinzen telephonisch zu erreichen. So setzte er sich in eines der stets bereitstehenden Autos und fuhr persönlich zu ihm. Seine Gedanken wirbelten durcheinander – wie liebte er Dok Mali, und wie mußte sie ihn lieben, daß sie einer solch heroischen Tat fähig war! Dergleichen war noch nicht vorgekommen, solange der Thron siamesischer Könige stand. Welche bösen Folgen konnte es für sie haben! Man wollte zwar ein moderner Staat sein oder doch werden, aber diese Belastungsprobe erschien ihm doch zu stark. Er hatte schon viel miterleben und hören müssen in den letzten Tagen und Nächten. Seine Nerven waren aufs äußerste angespannt. Er überlegte: Sollte er vor den König hintreten, ihre Liebe bekennen und um Gnade bitten? Mochte dann kommen, was da wollte! Nach altem Gesetz wäre beiden der Tod durch Henkershand oder doch finsterer Kerker gewiß gewesen, aber heute hatte Siam moderne Gesetze – doch waren sie noch nicht überall durchgedrungen. Er fürchtete sich nicht, aber sein Geständnis konnte Dok Mali sehr schaden, deshalb beschloß er, zu schweigen.

Als sein Wagen vor dem Palast des Prinzen Naret auffahren sollte, kam von der anderen Seite der Palastminister in seinem Auto. Pra Ratas Wagen hielt, um dem Prinzen den Vortritt zu lassen.


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