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Dok Mali hatte ruhig und tief geschlafen. Als sie am Morgen nach ihrer Begegnung mit dem König erwachte, mußte sie ihren Eltern noch einmal alles berichten, besonders ihr Vater fragte eingehend nach Einzelheiten.

»So hat der König also jetzt deine Einwilligung, und wir können in den nächsten Tagen über den Bau deines Palais im Dusitpark mit dem Prinzen Naret verhandeln.«

»Nein, ich habe noch nichts versprochen und muß mir außerdem alles reiflich überlegen.«

»Nun, überlegt hast du dir die Sache reichlich lange. Es ist wirklich ein Wunder, daß nicht schon großes Unglück für uns durch deine Unentschlossenheit entstanden ist«, sagte vorwurfsvoll der Vater.

Pya Prajura war sehr energisch und konnte leicht jähzornig werden. Den Trotzkopf hatte Dok Mali entschieden von ihm geerbt.

Er bezwang sich und fuhr freundlich fort: »Die Familie Prajuravong würde dir zu dem Familienschmuck, der dir vom König geschenkt worden ist, noch eine fürstliche Aussteuer und eine hohe Apanage mitgeben, so daß du uns würdig bei Hofe vertreten kannst. Denn von dem, was dir das Palastministerium an monatlicher Rente geben wird, könntest du nicht den zehnten Teil deiner Garderobe bestreiten.«

Dok Mali ärgerte sich über diesen geschäftlichen Ton.

Ihr Vater fügte lachend hinzu: »Bei Hofe gilt eben nur, wer Macht hat und sie entfalten kann, Geld ist und bleibt ein wichtiger Machtfaktor.«

»Es tut mir wirklich leid, daß ich euch alles erzählt habe, ihr versteht mich gar nicht. Der König würde ganz anders sprechen, er ist viel zarter als du.«

»Ich weiß nicht, warum du dich widersetzt. Du liebst ihn, wie du uns eben wieder bestätigt hast. In meiner Jugend und auch noch heute werden die Töchter im allgemeinen nicht lange nach ihrem Willen gefragt. Das gibt es nur in Europa und selbst dort nicht immer.«

»Der König hat aber mir gegenüber das Selbstbestimmungsrecht der Frau anerkannt, wenn er auch meinte, daß es für die große Masse des Volkes noch nicht anwendbar ist. Aber den hervorragendsten Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts sollte es unbedingt zugestanden werden.«

»Und dazu gehörst du natürlich«, sagte der Pya ironisch.

Je länger sie darüber sprachen, in desto größeren Gegensatz geriet Dok Mali zu ihrem Vater, der schließlich verärgert ins Ministerium fuhr.

Nach seinem Weggang suchten Nang Kulap und die Amme sie zu beruhigen.

In den letzten Tagen ereignete sich eine Skandalgeschichte bei Hofe. Eine Prinzessin hatte sich in den jungen und hübschen Vertreter einer englischen Firma verliebt. Fast täglich ging sie mit ihren Begleiterinnen dorthin, ließ sich Modeartikel zeigen und kaufte viel. Schließlich trafen sich die Liebenden heimlich in einer einsam gelegenen Villa an der Peripherie der Stadt. Nur kurze Monate dauerte ihr Liebesglück, dann wurden sie entdeckt. Gestern stand in der Zeitung, daß der König die Geschäftsräume der Firma habe schließen lassen, und heute morgen erfuhr man von dem Prinzen Naret, daß man die arme Prinzessin in den Kerker geworfen, ihr das Kind genommen habe, das sie unter dem Herzen trug, und daß sie jetzt hoffnungslos darniederliege.

Der Fall wurde in der Familie Prajura lebhaft erörtert. Dok Mali war empört, daß man Menschenglück so zerstörte, und nahm heftig Partei für die Prinzessin.

»Der englische Gesandte hat die Sache für die Firma soweit geregelt, daß die Verkaufsräume wieder geöffnet werden dürfen, wenn der betreffende Herr das Land innerhalb vierundzwanzig Stunden verläßt«, sagte Nang Kulap.

»Also dem Europäer, der ebenso schuldig oder unschuldig ist, geschieht nichts – aber die arme Prinzessin wird gemordet!« rief Dok Mali entsetzt.

»Ja, noch mehr,« sagte die Mutter, »er soll an die Firma die Bedingung gestellt haben, daß er nur dann das Land verlassen will, wenn man ihm eine Abstandssumme von fünftausend Pfund zahlt, und die Firma wird sie ihm wohl zahlen müssen, denn die Regierung tut es sicher nicht.«

»Das ist ja furchtbar. Die englische Firma kann doch nichts dafür, daß in Siam noch so vorsintflutliche Bestimmungen und Gesetze herrschen, und muß zahlen – warum, wofür? Der Liebhaber ist ein entsetzlicher Mensch, weil er obendrein noch ein Geschäft aus der Sache macht; ich an seiner Stelle würde mir mit List und Waffen Zutritt zur Prinzessin verschaffen und sie befreien. Er durfte es überhaupt nicht soweit kommen lassen, er mußte gleich mit ihr fliehen.«

Nang Kulap wollte nicht weiter in Widerspruch mit ihrer Tochter geraten und erzählte zur Ablenkung, daß die erste Königin einen Damenklub zu gründen beabsichtige, um die Frauenbewegung in Siam zu unterstützen. Die Stimmung wurde wieder heiterer.

Nang Kulap benutzte die Gelegenheit, um sich zu entfernen. Gleich darauf kam Malila, wahrscheinlich im Auftrage der Mutter. Bald drehte sich die Unterhaltung wieder um die traurige Liebesgeschichte bei Hofe.

»Das ist gar nichts gegen früher«, versicherte Mä Di. »Die Prinzessin Suvarna Tevi hat noch viel mehr leiden müssen, aber das wißt ihr alles nicht, damals wart ihr viel zu klein, um das zu verstehen.«

Auf Malilas Frage erzählte sie: »In dem Teil des großen Stadtschlosses, der hinter dem Gebäude Pra Tinang Mahachakkri liegt, wohnten die Prinzessinnen. Viele von ihnen hatten ein kleines Häuschen, das nur wenig Räume enthielt. Damals war es gestattet, daß die Mönche aus den großen, königlichen Klöstern dort auf ihrem Bettelgang jeden Morgen um Almosen bitten durften. Ein hübscher Mönch, Pra Narong, der nur zur Ablegung eines Gelübdes ins Kloster eingetreten war, hatte Freude an der schönen Prinzessin Suvarna Tevi, und, statt bescheiden auf seine Almosenschale zu sehen, schaute er sie mit leuchtenden Augen an. Beide verliebten sich ineinander, und eines Tages, ganz frühmorgens, ging der Priester zu ihr in die Wohnung und legte Frauenkleider statt des Mönchsgewandes an. Tagsüber hielt er sich auf dem dunklen Dachboden auf, nur des Nachts kam er zu der Prinzessin herab. So lebten beide ein kurzes Glück, denn durch Neid und Klatsch wurde das Geheimnis bald verraten. Man enthauptete den Mönch und Suvarna Tevi wurde in das Prinzessinnengefängnis geworfen. Damals war der alte schreckliche Prinz Prapetra Minister des königlichen Hauses. Er ließ ihr kaum etwas zu essen geben, und als sie krank und elend wurde, wollte er sie verhungern lassen. Suvarna Tevi erfuhr, daß ihr Liebster hingerichtet worden war, und weinte die ganzen Tage und Nächte, bis sie vor Schwäche in tiefe Ohnmacht fiel. Als sie mehrere Stunden wie leblos gelegen hatte, meldete man es dem Prinzen. Er kam herbei, erklärte sie ohne ärztliche Untersuchung für tot und ließ sie sofort verbrennen. In den Flammen des Scheiterhaufens erwachte die Prinzessin, starb aber schließlich doch an den Brandwunden.«

Dok Mali schüttelte sich vor Grauen.

Malila aber sagte: »Da habt ihr alten Weiber euch schöne Märchen aufbinden lassen.«

Aber Mä Di blieb bei ihrer Erzählung. »Deshalb fiel damals der Prinz in Ungnade. Der König hat es erst viel später erfahren und war sehr zornig.«

»Aber den Mönch hat er hinrichten lassen«, sagte Dok Mali bitter.

»Nein, der ist vom kirchlichen Gerichtshof verurteilt worden. Früher wurden solche Mönche auch verbrannt.«

Dok Mali ging erregt im Zimmer auf und ab. »Willst du mit mir ausfahren, Malila? Ich muß ins Freie.«

Aber die beiden Diener waren nicht aufzufinden, die sie auf ihren Fahrten begleiteten. So mußten sie zu Hause bleiben und gingen in den prachtvollen, schattigen Park. Unter einem großen Gummibaum ließen sie sich nieder.

Malila bemerkte die heftige Erregung der Schwester. »Das alles ist nicht mehr zu ändern, wir sind ja keine Prinzessinnen, uns wird so etwas nicht zustoßen.«

»Aber der König ist nicht so gut und edel, wie es immer heißt. Wenn er etwas befohlen hat oder auch nur zuläßt, daß es befohlen wird, so fällt die Schuld auf ihn. Was nützen denn alle Reformen, wenn das möglich ist?«

Ihre Wangen flammten. »Gestern hätte ich beinahe eingewilligt, ihn zu heiraten, aber heute ist mir klargeworden, daß ich es nicht will, kann und darf.«

Sie war aufgestanden und sah in ihrem ehrlichen Zorn sehr schön aus.

Da kam ihr Vater in den Park. Er hatte die Absicht, Frieden mit seiner Tochter zu schließen, und ging gerade auf sie zu.

»Ich habe mit dem Palastminister deinen ganzen Ehevertrag aufgesetzt.« Und er erzählte Einzelheiten.

All das interessierte sie sehr wenig, sie hörte überhaupt nicht zu, sie dachte noch immer an die Prinzessin, die, während sie hier sprachen, im Gefängnis schmachtete und vielleicht verblutete. Ein Wort des Königs hätte sie befreien, ja glücklich machen können. Es mußte ihm doch ein leichtes sein, den beiden irgendwo außerhalb Siams ein stilles Heim zu schaffen, wo sie, ungesehen von der Welt, nur ihrer Liebe leben konnten. Sie überlegte, ob sie nicht heute wieder in den Dusitpark fahren und ihn darum bitten sollte.

»Zum Schluß haben wir das genaue Datum der Hochzeit bestimmt ...«

»Da habt ihr euch umsonst die Köpfe zerbrochen,« rief Dok Mali heftig, »ich werde den König niemals heiraten!«

Pya Prajuras lange zurückgehaltener Zorn brach nun los, ein hartes und böses Wort gab das andere. Schließlich drohte er, sie als buddhistische Nonne in ein Kloster zu stecken.

Das war Dok Mali zu viel: »Du scheinst nicht einmal mehr die buddhistischen Grundlehren zu kennen! Man kann eben nur freiwillig ins Kloster gehen, und durch Drohung erzwungene Gelübde sind keine Gelübde.«

Damit eilte sie ins Haus und schloß sich in ihrem Zimmer ein. Hätte man sie doch nur in Ruhe gelassen!

Der Vater wollte sie zur Vernunft bringen, aber vergeblich rüttelte er an der verschlossenen Türe. Endlich entfernte er sich und unternahm eine Autofahrt in der Abendkühle rings um die Stadt. Er saß selbst am Steuer und steigerte dauernd das Tempo. Die begegnenden Spazierfahrer schüttelten die Köpfe: Es war hohe Zeit, daß für Bangkok eine Fahrordnung herausgegeben wurde, man war ja seines Lebens nicht mehr sicher.

Pya Prajuras heißer Kopf wurde allmählich ruhiger, aber er fuhr immer noch ein Teufelstempo. Da – an der Straßenbiegung wäre er beinahe mit einem anderen Wagen zusammengestoßen. Nur durch seine Geistesgegenwart konnte er das Auto auf einen großen Schotterhaufen beiseite lenken und zum Stehen bringen. In dem anderen Wagen saß Prinz Prabodi, der den Vorfall mit einem überlegenen Lächeln quittierte.

Das Auto war glücklicherweise nicht umgeschlagen, aber stark beschädigt und konnte nicht wieder in Gang gebracht werden. Pya Prajura setzte seinen Panama tief ins Gesicht, als er in einer einfachen Riksha auf dem Heimwege an vielen eleganten Limousinen vorbeifuhr. Man erkannte ihn aber doch.

*

Dok Mali war empört über alles und über alle. Wem konnte man überhaupt noch Glauben schenken? Jetzt spielte der König den ritterlichen Verehrer, um sie zu gewinnen – was würde aber später werden, wenn sie seine Gemahlin wäre? Auch sie unterstand dann dem Palastministerium und seinen Gesetzen. Oder wenn der König sterben sollte, würde man dann die ihr heute zugestandenen Rechte wirklich anerkennen? Nein, das würde man nicht tun. Sie fühlte sich namenlos elend und verlassen.

Es klopfte ganz leise. Das war sicher Mä Di, ihre Amme; die meinte es gut mit ihr, die konnte ruhig hereinkommen. Sie schloß auf, wirklich steckte auch Mä Di vorsichtig den Kopf zur Tür herein.

Dok Mali war sehr erregt. Wie sollte das alles enden? Den König würde sie nie als Gatten wählen, und Rata konnte sie unter diesen Umständen hier in Siam nicht heiraten. Wäre sie doch in Frankreich geboren oder sonst in irgendeinem zivilisierten europäischen Lande. Da hatten es die Menschen so leicht und brauchten nicht erst lange um die einfachsten Rechte zu kämpfen. Oder wäre sie nie aus Siam herausgekommen, dann würde sie das Drückende dieser tausend Fesseln nicht empfinden.

Sie hatte sich in Gedanken in einen großen Klubsessel gesetzt. Ihre Amme saß zu ihren Füßen und sah sie unverwandt an. Allmählich begann Dok Mali wieder klarer zu denken. Sie verfügte gegenwärtig über ein bedeutendes Vermögen. Der Familienschmuck gehörte ihr, den hatte ihr der König in aller Form geschenkt, und sie hatte ihn in Verwahrung. Außerdem besaß sie von früher her noch ein kleines Bankkonto in Genf; wenn sie sparsam und vernünftig wäre, könnte sie mit Pra Rata von den Zinsen leben. Großjährig war sie nach siamesischem Gesetz erst mit zwanzig Jahren, falls sie aber heiratete, schon eher. Sie rechnete: sie war achtzehn Jahre und sieben Monate alt. Bis zur Volljährigkeit konnte sie sich verstecken oder Pra Rata heiraten. Der würde aber nicht von hier fortkönnen – ob er wohl seine glänzende Laufbahn um ihretwillen aufgäbe? Sie hatten sich sicher sehr lieb, und durch die dauernde Trennung war ihre Liebe noch gewachsen. Wenn sie ihn nur erreichen könnte!

Mä Di schien ihre Gedanken zu erraten. »Gehe nicht fort von Hause, du gehst ins Unglück!«

Verwundert schaute Dok Mali auf. »Wer sagt dir denn, daß ich fort will?«

Mä Di schwieg. Dok Mali dachte weiter: sie würde morgen früh mit ihrem Dogcart allein ausfahren und durch den Lakai einen Brief zu Pra Rata schicken. Sie wollte dann solange spazieren fahren, bis der Diener zurückkäme.

»Du hast Pra Rata lieb, aber er hat noch nicht genügend Macht im Regierungsdienst, daß er dir gegen deinen Vater helfen kann.«

Dok Mali staunte.

»Ich fühle, was du denkst. Ich kenne dich von klein auf. Sei vorsichtig, du gehst schweren Gefahren entgegen! Ich bin gestern im Tempel Vat Sumplum gewesen und habe mir von den Sterndeutern die Zukunft für dich und mich sagen lassen. Ich werde bei dir bleiben, du wirst auf einem ganz kleinen Schiff über das weite Meer fahren, aber es droht viel Unheil von allen Seiten – deshalb ist es besser, nicht wegzugehen.«

Dok Mali war gerührt, sie legte ihre Hand auf Mä Dis Schulter. »Wirst du mich denn begleiten, wenn ich von Hause fortgehen muß?«

»Du mußt nicht fort, aber du willst deine Eltern verlassen. Wenn du es wirklich tust, gehe ich mit dir, wohin du willst, denn das hat mir der Sterndeuter prophezeit.«

»Du hast doch hoffentlich meiner Mutter oder Schwester nichts davon erzählt?«

Mä Di hatte niemand etwas gesagt. »Ich glaubte, du würdest die große Frau des Königs werden, und da wollte ich gerne wissen, wann das sein sollte, und ob du mich mitnähmst, und da ging ich zum Sterndeuter. Ich habe auch gefragt, ob du gut zu einem Manne paßt, der unter dem Sternbild des Löwen geboren ist, denn ich konnte doch nicht den König nennen. Da hat mir der Sterndeuter gesagt, daß du einen solchen Mann heiraten wirst.«

»Hast du denn meinen Namen erwähnt?«

»Nein, ich mußte nur den Stand der Gestirne bei deiner Geburt sagen, und den kenne ich ganz genau auswendig, das werde ich nie vergessen.«

Dok Mali erfuhr nun, daß sie unter dem Zeichen des Widders geboren sei, daher also ihre Widerspenstigkeit. Ihr Tageszeichen und Planet aber war Venus.

Am Abend war sie so guter Laune, daß sie den anderen etwas vortanzte. Man war ins Musikzimmer gegangen. Malila begleitete auf dem prachtvollen Steinway-Flügel.

Es war eine mondhelle Nacht. Als das Klavierspiel verstummte, hörte man vom nahegelegenen Kanal aus einem Boot die süßen Töne einer Laosflöte.

Dok Mali suchte ihr Lager auf, konnte aber keine Ruhe finden. Der Mond schien voll durch die großen breiten Fenster ins Zimmer. Im Palais schlugen verschiedene Uhren, es war zwei Uhr. Ganz leise öffnete sich die Tür, und Mä Di kam herein. Sie streichelte wieder die Waden ihrer Herrin und flüsterte:

»Ich wußte, daß du nicht schlafen kannst, und wenn du fortgehen mußt, verlasse ich dich nicht.«

»Ob ich gehen muß, weiß ich noch nicht ...«

Unter Mä Dis Einfluß entschlummerte Dok Mali ruhig, und auch die Amme schlief auf dem dichten, weichen Teppich vor ihrem Bette ein.

*

Dok Mali ging in den Park zur äußeren hohen Mauer, in der sich das schöne, schmiedeeiserne Tor befand. In der einen Ecke war oben ein kleiner Pavillon errichtet, dessen Fußboden so hoch lag, daß ihm die Mauer als Brüstung diente. Sie war wohl schon früher einmal hinaufgegangen, hatte aber nie länger dort verweilt. Man konnte von hier aus die ganze, lange Straße beobachten, die den Park vom Kanal trennte. Der Pavillon war ganz mit Kletterpflanzen umwachsen.

Sie stieg die steile Treppe hinauf und faßte dort Posten. In der Hand hielt sie einen Strauß japanischer Nelken, die sie eben gepflückt hatte. Ihre Armbanduhr zeigte fünf Minuten vor Zwei.

Eine Riksha kam auf der einsamen Straße daher. In dem Wagen saß Rata, aber er sah nicht herauf. Ihr Herz klopfte hörbar – sie zielte und warf. Sie hatte getroffen, die Blumen fielen in seinen Schoß.

Er stieg verwundert aus, und plötzlich fiel ihm ein, daß er ja um zwei Uhr hier am Palais vorbeifahren wollte. Dok Mali winkte ihn dicht an die Mauer heran und sagte ihm leise, daß er durch die Seitentüre in den Garten kommen solle. Ganz benommen ging er an der Mauer entlang, bis er an der kleinen Pforte die Amme traf, die ihn einließ und zu einem Teil des Parkes führte, in dem noch hoher Dschungel wuchs und wo erst einige Hauptwege angelegt waren. Dort kam niemand hin, dort waren sie sicher, Mä Di hielt Wache.

Nach kurzer, zaghafter Begrüßung fragte Dok Mali: »Du wirst alles gehört haben, was sich zwischen dem König und mir zugetragen hat. Aber ich will ihn nicht heiraten. Bist du bereit, mit mir zu fliehen?«

Pra Rata konnte nicht antworten. Er sah sie nur groß an, dann schloß er sie stürmisch in seine Arme. »Ja, ich will mit dir fliehen und sterben!«

Dok Mali lachte glücklich. »Nein, wir wollen leben! Könnten wir nicht nach Frankreich fahren und dort in einem verborgenen, trauten Heim wohnen, bis sich hier die Zeiten geändert haben?«

Rata hatte alle seine Sorgen vergessen. Dok Mali entwickelte schnell ihren Plan. Die Schwierigkeit lag vor allem darin, unbemerkt von Bangkok fortzukommen.

»Ich werde zum Hafen gehen und sehen, ob heute noch ein Schiff fährt. Mit einem Dampfer dürfen wir die Reise nicht wagen, da das zu leicht bekannt wird. Ich hoffe in zwei Stunden alles erledigen zu können. Wir wollen uns um halb fünf beim Vat Saket treffen, unten am Fuße des Goldenen Berges. Packe schon deine Sachen, aber möglichst wenig, da unsere Bewegungsfreiheit davon abhängt!«

Sie trennten sich schnell. Rata gelangte ungesehen durch die Seitenpforte wieder ins Freie. Seine Riksha wartete noch. Jetzt trieb er den Kuli zu äußerster Eile an und war in zehn Minuten bei seinem Hause.

*

Kurz vor halb fünf traf Pra Rata an der bezeichneten Stelle ein. Gleich darauf hielt auch das Dogcart Dok Malis vor dem Tempel. Sie ging durch den Hof, als ob sie im Heiligtum beten wollte. Der Wagen fuhr auf die Straße zurück und wartete draußen, so daß die Bedienung nichts beobachten konnte. Rata hatte sich hinter einem Gebüsch versteckt, doch Dok Mali sah ihn sofort. Langsam kam sie mit ihrer Amme näher. Rata führte sie weiter fort in eine Grotte, die mit einem verdeckten Gang in Zusammenhang stand.

»Ich habe Glück gehabt und gleich eine große Chinesendschunke gefunden, die heute abend noch den Hafen verläßt. Der Kapitän hat sich bereit erklärt, uns gegen hohes Entgelt nach Singapur mitzunehmen.«

Dok Mali war glücklich.

»Wir können natürlich nur im Dunkeln an Bord gehen. Ich komme um halb sieben mit einem großen Sampanboot an euren Wirtschaftskanal und warte auf dich und Mä Di. Wir fahren dann in spätestens einer halben Stunde bis zu der chinesischen Dschunke. Der Kapitän rechnet sieben Tage für die Überfahrt. Beköstigen müssen wir uns für die Zeit selbst, ich nehme deshalb meinen Koch mit.«

Jetzt, da die Aussichten so günstig waren, eilten sie, um keine Zeit mehr zu verlieren.

Kurz darauf war Dok Mali wieder zu Hause. Mä Di fürchtete sich sehr, aber ihre Herrin beruhigte sie.

Aber eine neue Schwierigkeit tauchte auf. Wie sollte sie es einrichten, daß ihre Flucht wenigstens bis Mitternacht unentdeckt blieb? Mä Di war es gelungen, alle Gepäckstücke, mit Ausnahme des Familienschmuckes, hinten an den Wirtschaftskanal zu bringen und dort im Gebüsch zu verstecken.

Plötzlich kam ihr ein rettender Gedanke. Sie ging zu ihrer Mutter und sagte in tändelndem Tone: »Ich komme soeben vom Tempel zurück und möchte gern wieder zum Dusitpark fahren.«

Nang Kulap verstand, sagte aber nichts.

»Vielleicht bleibe ich heute auch etwas länger, aber ich weiß es noch nicht. Ich werde Mä Di mitnehmen.«

Die Mutter liebkoste ihre Tochter. Wie unbeständig waren doch die Gedanken dieses Mädchens!

Das Dogcart war schnell wieder angeschirrt. Mä Di nahm ein kleines Bündel mit Kleidern und stellte es neben die Handtasche mit dem Familienschmuck unter den Sitz. Der Schmuck nahm nicht so viel Raum ein, wie sie gefürchtet hatten. Niemand hatte etwas gemerkt.

Dok Mali war übermütig geworden und grüßte ihre Mutter, die vom Balkon aus winkte, mit der Peitsche, an der sie eine große, feuerrote Seidenschleife befestigt hatte.

»Wie glücklich ist doch das Kind!« sagte die Mutter vor sich hin.

Kaum aber war Dok Mali eine kurze Strecke gefahren, da begegnete ihr das Auto Pya Prajuras. Als er seine Tochter erkannte, gab er ihr ein Zeichen; sein Auto hielt. Aber sie fuhr weiter und rief ihm nur triumphierend zu:

»Ich fahre zum Dusitpark, ich habe keine Zeit!«

Etwas erstaunt setzte er seinen Weg fort, wurde aber zu Hause bald über den Zusammenhang aufgeklärt.

Dok Mali kam ungefährdet bis in den Dusitpark, hielt aber an einer Stelle, die möglichst weit von der Insel entfernt war. Sie stieg mit Mä Di ab und nahm die Handtasche und das Bündel Kleider zu sich. Den Kutscher schickte sie mit dem Wagen an eine entlegene Wegkreuzung und sagte ihm, daß er ausspannen und bis zehn Uhr warten solle. Wenn sie dann nicht zurückgekehrt sei, würde sie im Auto nach Hause fahren.

Dieser Teil des Parkes lag sehr einsam und wurde wenig besucht. Nachdem ihr Wagen außer Sehweite gekommen war, ging sie mit Mä Di quer über den Rasen in ein dichtes Gebüsch, wo sie sich umkleidete, ihre Haare in Laotentracht ordnete und als ein hübsches Mädchen aus Chiengmai wieder zum Vorschein kam. Mä Di brauchte sich nicht umzuziehen, da sie in ihrer Kleidung nicht auffiel.

Auf dem kürzesten Weg gingen sie mit ihrem Gepäck wieder aus dem Park heraus und waren in wenigen Minuten auf einer Hauptstraße. Sie riefen eine Riksha an und fuhren mit dieser zum Kanal Hua Lampong und von dort mit einem Sampanboot in die Nähe des Palais Prajuravong.

Es war einige Minuten nach der verabredeten Zeit, als sie dort ankamen. An der seitlichen Parkmauer des Palais tasteten sie sich im Dunkeln bis zu dem hinteren Wirtschaftskanal und warteten dort. Mä Di fand das Gepäck noch unversehrt und vollzählig im Gebüsch. Die Minuten dehnten sich endlos.

Ein Sampan kam den schmalen Kanal entlang. Mä Di wollte aufspringen, wurde aber von Dok Mali mit hartem Griff zurückgehalten. Das war ihr Glück, denn das Boot hielt vor der hinteren Pforte. Es wurden irgendwelche Gegenstände ausgeladen. Sie versteckten sich noch tiefer im Gebüsch, so daß nichts von ihnen zu sehen war.

Es hatte schon sieben geschlagen. Endlich entfernte sich das fremde Boot wieder. Aber noch immer war von Rata nichts zu sehen. Da kam wieder ein Sampan, aber der fahle Mondschein ließ nur zwei Chinesen darin erkennen. Dok Mali war enttäuscht, doch gleich darauf hörte sie leise ihren Namen rufen. Es war Rata, der sich auch verkleidet hatte. Schnell verstauten sie das Gepäck, und bald war man aus dem Gewirr der Stadtkanäle auf den freien Strom gelangt. Pra Rata half rudern, und das Boot glitt mit großer Geschwindigkeit den Menamstrom hinunter.

Die Dschunke lag an der äußersten Südspitze des Hafens bei Bangkolem. Der Kapitän schaute schon scharf nach seinen Fahrgästen aus. Schließlich waren alle an Bord.

*

Langsam setzte sich die »Sampao Neng Fu« in Bewegung. Die Segel ächzten im Winde, der frisch von Nordnordost wehte, und so ging die Fahrt flott vonstatten. Der Chinese hatte auf Wunsch seiner Passagiere ein Zelt an Deck aufgebaut, in dem sich Dok Mali und Rata aufhielten. Mä Di hatte das ganze Gepäck in der Kapitänskajüte untergebracht, denn auch diese war gegen weiteres Aufgeld für die Dauer der Reise gemietet.

An den Ufern sah man die Schattenrisse der Palmen, manchmal auch lugte, vom Monde hell beschienen, ein weißer Tempel mit Phrachedispitzen aus der üppigen Vegetation hervor.

Dok Mali fühlte noch nicht die große Befreiung, auch Rata war sehr aufgeregt. In Paknam, an der Mündung des Stromes, war die letzte Zollrevision zu fürchten. Bis dahin waren es noch gut dreißig Kilometer. Der Kapitän war mit der bis jetzt zurückgelegten Strecke zufrieden. In einiger Entfernung vor der Mündung des Menam lag die schwer zu passierende Schlammbank, die Barre genannt, die nur bei Flutzeit von größeren Schiffen überfahren werden konnte.

Die Bemannung des Schiffes zählte vierzehn Köpfe. Außerdem befanden sich noch etwa fünfzig Kulis an Bord, die die Fahrt bis Singapur als Passagiere mitmachten. Pra Rata hatte seinen Koch auf die Dschunke vorausgeschickt; der bereitete ein leckeres Abendbrot, das er in der Kapitänskajüte auftrug; sogar eine Flasche Sekt schmückte die Tafel.

Als Dok Mali und Rata einander gegenübersaßen, mußten sie unwillkürlich über die Situation lachen. Er hatte der Vorsicht halber sein Chinesenkostüm anbehalten, das ihm nicht übel stand, und sie sah in ihrer Laotentracht hinreißend schön aus. Nach dem Essen, das ihnen nach all den überstandenen Strapazen gut mundete, gingen sie wieder an Deck und saßen dicht aneinandergeschmiegt neben dem Hauptmast. Mä Di trug Tücher und Polster herbei und ließ sich in der Nähe nieder.

Paknam kam in Sicht. Es war ungewiß, ob die dortige Zollbehörde das Schiff passieren lassen oder eine letzte Revision vornehmen würde. Seitdem Pya Prajura das Finanzministerium leitete, war es den chinesischen Kapitänen aufs strengste verboten, unfrankierte Briefe zu befördern. Hohe Strafen waren auf die Übertretung dieser Verfügung gesetzt.

Schon erblickte man die Lichter des Zollhauses. Ein Motorboot steuerte auf das Schiff zu und legte während der Fahrt an. Zwei Beamte kamen an Bord und ließen sich von dem Kapitän die Schiffspapiere zeigen. Da alles in Ordnung war, verließen sie die »Sampao Neng Fu« wieder.

Rata ging zum Kapitän und fragte ihn, ob er chinesische Postsäcke geladen habe. Zuerst verneinte er, gab es schließlich aber doch zu. Rata sah darin eine große Gefahr und versuchte den Kapitän zu bestimmen, sie über Bord zu werfen, und bot ihm eine Summe von zweihundert Ticals dafür. Doch der Chinese ließ sich nicht dazu bewegen. Rata verschwieg seine Sorge vor Dok Mali.

*

Die »Sampao Neng Fu« verließ jetzt die Menammündung, die Fahrt ging nicht mehr so schnell wie auf dem Fluß mit der Strömung, und man merkte den Wellengang der See an dem rhythmischen Heben und Senken des Schiffskörpers. Da man aber mit dem Winde fuhr, waren diese Bewegungen nur langsam und bald gewöhnten sich Dok Mali und Rata daran.

Kurz nach eins in der Nacht passierte die Dschunke die Barre, und nun segelte das Schiff in voller Fahrt südwärts. Man ließ die Insel Kosichang links liegen und erreichte das offene Meer. Dok Mali lehnte sich an Rata, der seinen Arm um sie legte, sie blieben an Deck. Ihre Erregung hatte sich gelegt und einer ruhigen Müdigkeit Platz gemacht. Dok Mali fühlte sich an der Seite Ratas in Sicherheit und fiel in einen leichten Schlummer.

Den Diebstahl des Halsbandes hatte er ganz vergessen. Nun wurde ihm plötzlich die Tragik seines Geschickes voll bewußt. Höchstes Glück und tiefstes Leid warteten auf ihn. Er hätte nicht fliehen dürfen, denn dadurch bekannte er sich ja schuldig. Dok Mali mußte möglichst bald in alles eingeweiht werden, so schwer ihm das auch fallen würde. Jetzt erst erkannte er die großen Gefahren, die ihnen in jedem Hafen drohten. Er besaß einen Paß, der auf den Namen Kim Seng Li lautete, und den er in seiner amtlichen Tätigkeit schon gebraucht hatte. Für Dok Mali konnte er keinen Paß mehr besorgen, da die Zeit zu kurz war. Er grübelte nun darüber nach, ob sie sich nicht besser nach Niederländisch-Indien oder nach Ceylon wenden sollten. Die größte Schwierigkeit – aus Bangkok fortzukommen – war jedenfalls überwunden. In Singapur mußte man sehr vorsichtig sein. Aber dort konnten sie ja so lange an Bord der chinesischen Dschunke bleiben, bis sie einen passenden Postdampfer nach Europa fanden. Das waren jedoch alles spätere Sorgen. Müde von seinen Gedanken schlief auch er ein, den Kopf an den Mast gelehnt.

Plötzlich wurden sie durch das Heulen einer Sirene aufgeschreckt. Ein schnelles, modernes Schiff mit abgeblendeten Lichtern kam mit Volldampf auf sie zu. Jetzt blitzten Scheinwerfer auf. Von drüben signalisierte man der Dschunke: Stoppen! Gleich darauf hörte man großes Geschrei, die Segel wurden eingezogen, und die »Sampao Neng Fu« drehte bei. Pra Rata eilte zum Kapitän, der ihm vor Furcht zitternd erklärte: »Ein siamesischer Zollkreuzer!«

Der Dampfer war dicht herangekommen und leuchtete mit seinem Scheinwerfer das ganze Deck der Dschunke ab. Rata stand in einem Lichtkegel und war geblendet. Glücklicherweise war das Zelt auf dem hinteren Teil des Decks von dem Koch inzwischen abgebrochen worden. Rata schickte Dok Mali in die Kajüte und blieb in der Nähe des Kapitäns. Von dem Zollkreuzer wurde ein Boot heruntergelassen, und mehrere Beamte kamen an Bord. Unter allen Umständen mußte er eine Durchsuchung des Schiffes verhüten, sonst wäre der Schmuck der Prajura gefunden worden.

Er fragte den Kapitän: »Wo sind die Postsäcke?«

Als er nicht antworten wollte, zog er seine Browningpistole und hielt sie dem erschreckten Chinesen unter die Nase. Es war keine Zeit mehr zu verlieren, schon nahten die Beamten. Die Postsäcke lagen im Vorderschiff.

»Du lieferst sie sofort freiwillig aus!«

Wieder hörte der Kapitän die Entsicherung des Brownings knacken. Mit schlotternden Knien ging der Chinese auf die Zollbeamten zu, die ihn barsch anfuhren und von ihm Auskunft verlangten, ob er unfrankierte Post an Bord habe. Er führte sie in den vorderen Teil des Schiffes und lieferte ihnen die Säcke aus.

Pra Rata hielt sich in der Nähe auf und hörte zu seinem Schrecken, wie der eine Beamte sagte:

»Die Dschunke ist von der siamesischen Regierung beschlagnahmt und muß zurück in den Hafen von Bangkok. Warum könnt ihr verdammten Chinesen nicht eure Briefe durch die Königliche Post schicken? Es kommt doch keine Dschunke mehr aus dem Hafen.«

Der Kapitän winselte und klagte. Rata ging zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr: »Frage doch, wieviel Strafgeld du zahlen mußt! Wenn die Summe nicht zu hoch ist, werde ich sie bezahlen, denn ich will unter keinen Umständen nach Bangkok zurück.«

Der Kapitän faßte sich ein Herz und fragte danach. Zuerst wollten die Zollbeamten nicht darauf eingehen. Die Postsäcke wurden in das ausgesetzte Boot des Zollkreuzers gebracht, und der Kapitän sollte den Beamten folgen.

Da griff Rata in die Verhandlung ein. Er mußte Erfolg haben. So nahm er all seine Kraft und Energie zusammen.

»Was kostet denn die Strafe?« fragte er auf chinesisch.

»Das Zehnfache der gewöhnlichen Taxe.«

»Und was beträgt die gewöhnliche Taxe?«

»Das muß in Bangkok ausgewogen werden.«

Rata vergaß sich und sprach auf einmal siamesisch.

Die Zollbeamten horchten auf. »Woher kommst du?« fragten sie.

Rata log frech: »Ich bin ein Halbchinese, ein Verwandter des großen Eng Liong Jong, und will meine Verwandten in Singapur besuchen. Außerdem habe ich einen großen Teil der Ladung dort zu verkaufen.«

Die Beamten wurden sichtlich höflicher. Eng Liong Jong hatte großen Einfluß, besonders bei ihrem vorgesetzten Minister – da mußte man vorsichtig sein. Er war am letzten siamesischen Neujahr geadelt worden, führte stolz den Titel eines Luang und galt jetzt als Siamese.

Rata merkte, daß seine Worte Eindruck machten.

»Das beste ist, ihr schätzt die Höhe der Strafsumme sofort ab. Ich werde euch das Geld übergeben, und Eng Liong Jong kann dann, wenn die Strafe höher sein sollte, den Rest zahlen. Zur Belohnung gebe ich jedem von euch beiden einhundert Ticals darüber, wenn die ›Sampao Neng Fu‹ und meine Ladung nicht nach Bangkok zurück muß. Außerdem ist der Prinz Marupongse an der Ladung interessiert.«

Die beiden Steuerbeamten winkten Rata beiseite.

»Wir haben strenge Anweisung, seitdem Pya Prajura Finanzminister ist, alle Dschunken mit Schmuggelpost nach Bangkok zurückzubringen. Vor allem muß dem Chinesenschuft von Kapitän in Bangkok der Prozeß gemacht werden. Wir möchten Eng Liong Jong aber nicht gern beleidigen. Ebenso wissen wir, daß Prinz Marupongse mit eurer Familie in engen Beziehungen steht. Nach unserer Praxis und Erfahrung würde das Briefporto für die anderthalb Sack einschließlich der Strafe zwölfhundert Ticals machen. Wir zweifeln aber, ob du so viel Geld gerade in bar bei dir hast, und Schecks auf irgendeine Bank dürfen wir als Strafgelder nicht annehmen.«

Schließlich hatte Rata Erfolg. Glücklicherweise war der höchste Zollbeamte des Kreuzers einer der beiden Siamesen, mit denen er verhandelte. Der Kapitän wurde an Bord des Zollkreuzers gelockt und dort verhaftet. Die Siamesen triumphierten. Man würde dem Chinesenschwein schon zeigen, was es heißt, gegen siamesische Gesetze zu verstoßen!

Der erste Steuermann war ein Verwandter des Kapitäns. Rata dachte im ersten Augenblick gar nicht daran, daß für den Kapitän Ersatz geschafft werden mußte. Eigentlich hätte Rata auch mit an Bord des Zollkreuzers kommen müssen, aber dann wäre er wahrscheinlich entdeckt worden. Einer der Beamten kam zurück und brachte ihm die Quittung. Daraus ersah Rata, daß sie es mit dem neuesten Zollkreuzer, der »Prajura Monthon« zu tun hatten, der erst vor vier Wochen in Dienst gestellt worden war. Er erfuhr auch, daß das Schiff noch dreieinhalb Tage im Golf zu kreuzen hatte.

Nach dreieinhalb Tagen konnte also der verhaftete Kapitän verhört werden, und dann mußte alles herauskommen. Rata wurde es heiß bei dem Gedanken, aber es gab kein Zurück mehr. Er suchte nach dem Notizbuch mit seinen glücklichen und unglücklichen Tagen, aber er hatte es in Bangkok liegen lassen.

Die »Prajura Monthon« blendete ihre Lichter ab und verschwand bald als Schatten, gespensterhaft, wie sie gekommen war.

*

Rata beruhigte Dok Mali und holte sie wieder aus der Kajüte an Deck. Sie glaube, daß ihre Flucht bekanntgeworden sei, und daß man sie verfolgt und eingeholt habe. Kaum legte sich aber ihre Erregung etwas, da erscholl lautes Lärmen vom Vorderteil des Schiffes her. Rata wurde aufmerksam, er ahnte nichts Gutes.

Der Steuermann Afuk kam gestikulierend auf ihn zu und erklärte ihm: »Wir haben gestern nach dem Austreiben der bösen Geister zu lange auf euch warten müssen, deshalb ist das Unglück geschehen. Die Schiffsbesatzung will nicht weiterfahren. Wir müssen in den Hafen nach Bangkok zurück. Diese Fahrt bringt Unglück!«

Rata fluchte. Diese verdammten Chinesen! Aber er wußte genau, daß gegen ihren Aberglauben nichts zu machen sei. So ging er mit dem Steuermann nach vorn und lachte laut.

»Das war wirklich ein großes Unglück. Wir müssen sofort die bösen Geister austreiben und mit Feuerwerk und Crackers eine Entsühnungsfeier veranstalten. Wenn wir jetzt nach Bangkok zurückfahren, geschieht wieder ein Unheil. Denn wenn man von Hause fortgegangen ist, soll man nie wieder umkehren.«

Die Chinesen stutzten. Es war richtig, was er sagte.

Rata fragte Afuk: »Sind genügend Crackers und Feuerwerk an Bord?«

»Ja, aber die brauchen wir bei der Einfahrt in Singapur.«

»Wir können dort neue Crackers kaufen und werden dann doppelt so viel abbrennen, wie sonst üblich ist.«

Als Afuk noch zögerte, bot er ihm eine Extraprämie von fünfzig Ticals und jedem Mann der chinesischen Besatzung zehn Ticals, wenn sie glücklich und sicher in Singapur ankämen.

Das wirkte. Rata und Dok Mali sollten selbst mit allen, die an Bord waren, an der Beschwörung der bösen Geister teilnehmen.

»Das ist doch lächerlich und kindisch«, sagte Dok Mali. »Laß doch mich und Mä Di aus dem Spiel!«

Rata sagte nichts.

Sie sah ihm ins Gesicht und erschrak. »Ja, ich will mitkommen, wenn es notwendig ist.« Sie streichelte seinen Arm.

Jeder der Anwesenden entzündete drei bis fünf Räucherstäbchen und hob sie vor der Ahnentafel kniend viele Male in die Höhe. Dann wurden auf dem Vorder- und Hinterdeck, auch in der Mitte bei dem großen Mast, eine Unzahl von Fröschen und Kanonenschlägen abgebrannt. Dok Mali zuckte jedesmal zusammen. Das Getöse und der Lärm dröhnten weithin auf dem Wasser; man hätte glauben können, mitten in einer Seeschlacht zu sein.

Endlich war das Widerwärtige vorüber. Dok Mali hatte sich still hingesetzt und war ganz verschüchtert; Mä Di saß ratlos zu ihren Füßen. Rata wanderte unruhig auf und ab. Die Chinesen aber waren guten Mutes, alle Segel wurden gesetzt; der Wind hatte sich etwas verstärkt, und man fuhr mit großer Geschwindigkeit.

Rata zwang sich zur Ruhe und ging zu Dok Mali. Aber erst, als der Morgen graute, fiel sie in Schlaf. Er legte sich auch, blieb aber wach.

Das also war ihre Fahrt ins Glück! Wie anders hatte er sich alles vorgestellt! Aber Reue kannte er nicht. Es ließ sich nichts mehr ändern – das einmal vorgezeichnete Schicksal mußte sich erfüllen.

Als die Sonne mit strahlendem Glanz aufging, wurde er wieder zuversichtlicher. Noch hatten sie einen oder zwei Tage sicherer Ruhe vor sich. Die Ermüdung kam auch über ihn, die Aufregungen und Anstrengungen der letzten vierundzwanzig Stunden hatten seine Nerven bisher aufgepeitscht. Die frische Brise und die Seeluft taten das ihre, und so fiel er in einen tiefen und gesunden Schlaf.

Akim, der Koch, kam herbei und spannte ein Sonnensegel über ihm auf, dann setzte er sich zu seinen Füßen nieder und hielt Wache bei ihm. Er liebte seinen Herrn und wäre mit ihm bis in die fernsten Länder gereist. In der Nacht hatte er die Verwünschungen seiner Landsleute gehört und war in großer Sorge um ihn gewesen. Nach der Austreibung der bösen Geister hatten sich die Chinesen erzählt, daß der Siamese viel Geld bei sich habe und sehr reich sei. Das bedeutete nichts Gutes, Akim kannte die Habgier der Kulis.

Die Sonne stand schon tief am Himmel, und die Zeit der Abendkühle war herangekommen, als Rata erwachte. Dok Mali war kurz vorher aufgestanden. Sie hatte fest und wunschlos geschlafen und fühlte sich wieder wohl. Wie freute sie sich, als sie Rata wiedersah! Sie setzten sich zusammen und hielten einen Rat ab.

»Wo ist der Koffer mit den Wertsachen?« fragte er plötzlich.

»Den habe ich die ganze Nacht bei mir gehabt und auf ihm geschlafen. Beruhige dich. Rata, es ist nichts weggekommen!«

Er faßte nach seinen Geldtaschen, die er in seiner Kleidung verteilt hatte. Sie stellten das Gepäck zusammen und verstauten es in einer festen Ecke unter einer Sitzbank in der Kapitänskajüte.

Akim ging nach vorn und machte sich sogleich daran, für seine Herrschaften zu kochen. Er war wirklich eine unbezahlbare Perle. Wenn er nicht gewesen wäre, hätten sie wahrscheinlich hungern oder die sehr primitiven Chinesenmahlzeiten an Bord teilen müssen. Und das wäre nichts für sie gewesen.

Da kam auch Afuk. Er zeigte sich sehr unterwürfig und liebenswürdig. Rata traute ihm nicht, denn er wußte, was Chinesen hinter ihrem Lächeln verbergen können. Die Fenster der Kapitänskajüte waren sehr klein und ließen die Brise nicht genügend durch. So beschloß man, in der Nacht das Zelt wieder an Deck aufzurichten. Es wurde mit Afuk abgemacht, daß nachts keiner der Chinesen das Hinterdeck betreten dürfe. Dann wußte man wenigstens das Gepäck in Sicherheit. Der Kurs war nach Südsüdwest gesetzt und brauchte während der nächsten Tage kaum geändert zu werden.

Rata begab sich zu Dok Mali auf das Hinterdeck. Das Schiff lag ruhig und stetig vor dem Winde. Sie gingen auf und ab.

»Wir müssen jetzt daran denken, daß wir während des Schlafes unsere Gepäckstücke genügend bewachen. Ich schlage vor, daß Mä Di und Akim sich in die Nachtwache teilen. Auf Akim kann ich mich verlassen, der ist ehrlich und treu, und über Mä Dis Zuverlässigkeit brauchen wir nicht zu sprechen.«

Nach einer Pause fragte er: »Wie denkst du über unsere Lage?«

Dok Mali sah ihm voll ins Gesicht. »Wir haben den Kampf mit dem Schicksal begonnen und können jetzt nicht mehr zurück, selbst wenn wir wollten. Es bleibt uns nur eins übrig: Wir müssen durchhalten! Übrigens hat Mä Di mir erzählt, daß die Chinesen auf uns wütend sind, weil sie glauben, daß wir das Unglück verschuldet haben. Sie wären schon gegen uns vorgegangen, wenn Akim sie nicht beruhigt hätte. Aber wir können uns verteidigen – ich habe meine Browningpistole mitgenommen und besitze zehn volle Rahmen Patronen.«

Lächelnd legte auch Rata seine Pistole auf den Tisch. »Nun, so weit sind wir ja noch nicht. Ich glaube, daß in Singapur alles gut gehen wird.«

Das war eine Lüge, innerlich war er nicht von dem überzeugt, was er sagte. Wie leicht konnte in Bangkok der ganze Fluchtplan entdeckt werden, ja, er mußte entdeckt werden, und dann spielte der Draht nach allen Richtungen. Bei klarer, ruhiger Überlegung sah er das Nutzlose ihres ganzen Unternehmens ein.

Sollte es kein Entrinnen mehr geben, so haben wir ja im äußersten Notfall unsere Brownings, dachte er.


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