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Volksnovellen

Die Auswanderung in das Banat

1827

Eben wieder der prächtigste Frühling in der Heimat. Heute kann man ihn gerade recht mit Muße betrachten. Es ist Sonntag; und kein Tag stimmt wonniglicher, milder, um die stillen, fromm-heitern Eindrücke der Natur, der Menschen und ihres Lebens treu und rein aufzunehmen. Es ist drei Uhr nach Mittag. Bei gänzlich reiner Blaue der Luft und ihrer Ruhe wirkte früher die Sonne zwar mit voller Maikraft, aber um diese Stunde merkt man ein bedeutendes Mildern derselben. Wenn man's nicht fühlte, könnte man's an den Männern, Weibern und Kindern merken, die sich dort am östlichen Ende des Dorfes unter eines Birnbaums Schatten geschart haben; der Schatten ist seitwärts über sie weggerückt, und doch schäkern und plaudern sie fort, ohne den Sonnenstrahl unbehaglich zu fühlen und dem Schatten nachzurücken. Die Mutter, welche früher noch besorgt und oft vom Schatten des Birnbaumes zum tiefer unten durch die Wiese fließenden Bach hinab gerufen hat, um zwei weißköpfige, bloßköpfige Knaben, wovon einer ihr Sohn ist, aus der Sonne wegzubewegen, ist nun ruhig darüber. Die Knaben fahren fort, Zweige vom Weiden- und Erlengesträuch zu schneiden, herzurichten und auf den Schenkeln mit dem zugemachten Taschenmesser zu klopfen unter Zauber- und Beschwörungssprüchen, wie folgende:

Pföfferl gei owa,
Sist schloga dö owa;
Lei's Rintl, o drahdö eiz,
Heargotl pfeiz!

Pumpa pumpa Fella!
's Katzl schlächt in Kella,
Nödl liegt af da Schludrahil,
Summt und brummt, und daut nöd viel!

Nach einigen Augenblicken dreht sich leicht die Rinde, welche schon den Zuschnitt zu einer Pfeife bekommen hat, vom Zweige herab, ein Spunt wird eingesetzt, und wenn die Knaben einige Male prüfend geblasen haben, wird die neueste Pfeife zu den früher fertigen gelegt, und eine neue begonnen. Die Mäßigung der Wärme nimmt auch pflichtig jetzt der Dorfhirte wahr; man hört ihn am westlichen Dorfende blasen, dann wiederholt mit seiner großen Peitsche knallen. Geklingel von Halsglöcklein und »Rollen« des Rindes wird hörbar und nach und nach verstärkt. Die bewegliche, eilige Schafherde drängt sich schon ruhelos östlich aus dem Dorfe, bevor die schwerfällige Rinderherde noch ganz versammelt ist. Müssen dort im Teich die badenden, lärmenden, schäkernden Knaben bald ihren liebsten Schauplatz der wonnevollsten Zerstreuungen verlassen? Der Hirt, sooft er vorüberkommt, treibt seine Herde durch den Teich, und das schlammvermengte Wasser wird stundenlang zum Baden verdorben. Die Annäherung desselben macht die Knaben in ihrem Treiben toller, die Augenblicke wertvoller. Einige haben sich nackt wie Pferde auf alle Viere gestellt, auf denen andere Nackte sitzen und das Zeichen erwarten, um nach einem Ziele wettzureiten. Einige beschmieren sich mit schwarzer Sumpferde von oben bis unten, welche nach einigen tollen Sprüngen wieder in den Teich hinein plätschern, um rein und weiß wieder heraus zu tauchen. Die, welche müde sind und nach einiger Rast verlangen, lagern sich um einen Hügel, und – Wonne, dass ein Stück Weißbrot oder sonstig Essbares zu verteilen da ist. Die Hemden, die sie umgeworfen haben, werden gleich wieder vom Leibe fliegen; müssen musikalisches Talent haben, denn sie singen die heitersten Liedermelodien ohne einen falschen Ton, Diskant, Tenor, Bass, wohlverteilt und in ihrer natürlich brauchbaren Höhe. Wenn sie einhalten, hören sie die eben beendete Melodie im Dorfe von gleichjährigen Mädchen nachsingen, die sich wo in einem Garten, auf einem hölzernen Hausbalkon oder wo sonst zusammendrängen, und da sie Scham hindert, Blicke den tollen Knaben nachzuschicken, verbinden sie deren Gesang mit dem ihren. Auch schon! Sieh doch, verstehen sich auch schon! Man ahnt nicht, wie reif oft so ein ganz kleines Herzlein schon in Sehnsucht, Neigung, Liebhaben ist! Sind oft die Köpfe zum Lernen noch zu blöde, blüht schon ein Blümlein im Herzen. Beispiele, denen sich diese ganz junge Jugend nachbildet, liefert recht lebendige die ältere Jugend. Ein zahlreicher Schwarm Burschen und Mädchen hat sich vor einem Hause mitten im Dorfe gelagert auf Wandbänken, Stühlen und Rasen. Der Platz ist gut gewählt. Wie gerade die hier versammelte achtzehn- bis zwanzigjährige Jugend die lauteste, höchste Lebensflut der Dorfbevölkerung vorstellt, findet sich ebenso keine höhere, bequemere Stelle, um rings in das Dorf zu sehen und vom Dorf gesehen zu werden. Man sieht da wohl, was eine glückliche Stunde heißt bei glücklichen, jungen Menschen. Indem man scherzt, lacht, schäkert und singt, dringen diese heimatlichen Freuden und Eindrücke tiefer in jedes dieser gesunden, von Jugend schwellenden Herzen. Heimlich sind die meisten dieser Mädchen- und Burschenherzen gepaart; lagern aber nicht ebenso nebeneinander. Da flattert schäkernd ein Paar auf; sie den Hügel hinunter, kreuz und quer; er nach! Sie in kindischer Angst schreiend durch den Bach – allgemeines Gelächter – er hinterdrein und erhascht sie; die weiblichen Zuschauer stoßen einen Schrei aus, die Burschen ermuntern zu mäßiger Rache; aber der Bursch, ihr Kamerad, ist milder; er wiegt sie freundlich in den Armen einige Male hin und her und lässt die Taube wieder los. Ob die Zwei sich lieben? Andere lieben nicht so ausgelassen heiter, sind still dabei, können wohl mit andern scherzen, nie miteinander. Man sieht es denen leicht an. Wenn sie nicht gerade ins Gespräch gezogen werden, nehmen sie auch nicht Teil daran. Freiwillig nicht. Einige liegen scheinbar untätig und teilnahmslos. Die muss man nur näher betrachten. Es ist nicht wirklich so, wie es scheint. Der eine, der etwas abseits sich hingestreckt hat, versteht sich gar wohl mit einem Liebchen, das seine verstohlenen, flüchtigen Blicke freundlich und verlegen erwidert, ohne dass beide ein Wort wechseln. Während jetzt eben wieder Gesang beginnt, sehr heiterer und ernster, fällt einer der gegenwärtigen Burschen auf, der allein eine Ausnahme macht und nicht mitsingt. Es scheint, der Text oder die Melodie übe eine sehr trübe Wirkung auf sein Gemüt aus. Bei dem Liede:

O Hoamat! O Häuserl! O Deanal dazua!
Dahoamat bon Deanerl wiad 's Bürscherl a Bua!

dreht sich der Bursch seitwärts, um sein Gesicht nicht sehen zu lassen. Er weint. Vor einigen Wochen ist er unters Militär genommen worden; morgen muss er einrücken. Vor Tagesanbruch wird er aufbrechen und fort sein auf einmal von Heimat, Eltern, Kameraden, die er nie zuvor verließ, losgetrennt sein von süßen Gewohnheiten und Sitten. Wer weiß, was ihn sonst noch drückt! Man kann nicht wissen, was ihn noch drückt. Er möchte nicht gern merken lassen, wie weich er gestimmt sei; deshalb dreht er sich weg. Es sind nur wenige, aber schwere Tränen, die aus seinem Auge stürzen und wie große Tautropfen auf den Grashalmen unter seinem Kopfe hängen. Muss aber auch gerade heut Natur und Heimat alles aufbieten, seinen Abschied zu erschweren. – Gegenüber, etwa hundert Schritte entfernt, durch Bach und Gemeinwiese getrennt, steht auf einer Anhöhe die Dorfkapelle unter vier Linden, man riecht weit umher den Duft des jungen Laubes, und ein Schwarm musizierender Vögel lärmt darunter. An vielen Häusern steht noch der Maibaum (eine hohe, junge Fichte, deren Stamm geschält und fast bis zum Wipfel von Ästen befreit ist, und die an den übriggebliebenen Zweigen mit bunten allerlei Bändern, Eiern, Blumen usw. geschmückt, am ersten Mai vom Liebenden der Geliebten nächtlich vor das Haus gesetzt wird). Die Obstgärten sind von Blütenschnee bedeckt; am Himmel flaumige Lämmerwölklein, sehr hoch schwebend, und kaum merkbar weiterrückend; außer dem Dorfe frisches Dunkelgrün auf den Feldern, bunte Blumenscharen auf den Wiesen. Bei solcher Umgebung, an solchem arbeitsfreien, heitern, friedlichen Tage, in der schönen Jahreszeit muss freilich das Herz ganz freudig aufgehen und Gesang, dieser Jubel der Freude, aus jeder Brust klingen. Daher will auch Bursch und Mädchen nicht aufhören zu singen. Hören wir zu; hören wir nur zu:

's Bam'l bleit, 's Bächerl klingt!
's Wulkerl fluigt, 's Vögerl singt!
Wa dea r am Glück köä Diab,
Da Bua ohne Liab?

Hearzerlö! Deanerlö!
Sötzma r uis hi am Bö,
Sögma's krod, lauma's hean:
Höst mö denn gean?

Juche, kreuzhimmeldum!
Gofts nöd um Hearzla r um!
Is Oana hoigla woan,
Dea r is foloan!

Die Dorfglocke ruft jetzt zur Nachmittags-Betstunde. Aller Gesang und Lärm schweigt nun. Wer außer dem Dorfe zwischen den Feldern herumstreicht oder im nahen Walde sich ergeht, der lenkt nun eilig ein und schreitet nach dem Dorfe zurück, die Betstunde nicht zu versäumen. Im Dorfe ist schon ein langsames Zusammenrücken um die Kapelle nach und nach zu sehen. Alle Weiber und greise Männer voran; ihnen folgen jüngere Hausmütter mit kleinen Kindern auf den Armen; dann gehen die ernsten Hausväter rauchend, ihre Wirtschaft besprechend, die sich vor der Kapelle gruppieren; länger zögern Burschen und Mädchen, die, wie die Jugend überhaupt, ihre Pflichten gern im Tumulte verrichten. Sie warten, bis man den blinden Vorbeter nach der Kapelle führt; jetzt sehen sie ihn am Arme eines frommen Hausvaters durch das Dorf führen; aber sie warten, bis er über die Schwelle der Kapelle schreitet. Und nun brechen sie, ein fliehender, rauschender Schwarm auf und kommen zurecht, wie sie berechnet. Von den Knaben erscheinen nur wenige, und die, welche kommen, nähern sich zäh, lassen sich durch allerlei vom nächsten Wege ableiten, spielen oder zanken oder balgen sich noch früher, und da sie zu spät bei der Kapelle ankommen, lehnen sie sich an den Eingang hin, um nach geendeter Betstunde gleich wieder aus dem Nest zu sein. Alles ist hier nun bereits im vollsten, lauten Gebet: Litaneien, Vaterunser, Glaubensbekenntnisse und andere Gebete vor- und nachsagend. –

Aus dem nahen Walde treten zwei Männer, rotglühend von Sonnenbrand und feurigem Trank. Der Kleidung nach findet sich nichts ausgesprochen Rationelles an ihnen; ihre Hüte sind alt, breitschirmig, weichfilzig, so dass sie vorn- rück- und seitwärts ihre Krämpenflügel hängen lassen. Die Jacke, welche jeder über die Schulter geschlagen hält, hat den Schnitt wie Männerjacken der Gegend, in der sie eben erscheinen. Ihre Hosen sind aus Leder, eng anliegend, bei den Knöcheln endend und festgebunden. Daran schließen sich vielgeflickte, dann oftmals wieder zerrissene und wieder geflickte Schuhe, die zu zerreißen wieder im Begriff sind. Von Halstuch und Weste ist nichts zu sehen; das Hemd, so weit es zu sehen, schmutzig. Sind seltsame Gäste. Scheinen in die friedliche, zufriedene, ruhig-heitere Gegend störend zu passen. Sprängen zwei Panther in einen sicheren Wald, so glichen sich die zwei Fälle. Wer sind die zwei Fremden? Sind sie Fremde? Woher? Wohin führt ihr Weg? Wollen sie mit diesem Sturmschritt vorüber, gleichgültig gegen das freundliche Bild der Gegend und deren Bewohner? Sie kommen dem Dorfe näher, und sichtlich scheinen ihre Schritte zu erlahmen. Wer am letzten östlichen Hause stände, könnte nun ihre Gesichtszüge schon genau prüfen. Der eine ist am Leibe wie in jedem Gesichtszug knochiger, derber, in jeder Bewegung heftiger, mit seinen Schritten rascher, im Auge Glut wüster Trunkenheit, ohne die geringste Silbe von Gewissenssprache. Steht seltsam mit ihm. Wenn der Brand legt, so genügt es ihm nicht, nur ein Haus brennen zu sehen; sein Zorn muss ein wahnsinniges Ungeheuer sein, mit Wollust vernichtend und verheerend. Wenn man wüsste, was er vorhat, könnte man seine Mienen dem Vorsatze gegenüber stellen und mit einem den ganzen Charakter klar haben. Hat er vor, Brand zu legen? Hängt sein finstrer Vorsatz schon wie eine schwarze Wolke über einem friedlichen Haupte, auf das er absieht plötzlichen Mord? Um seinen Mund schwebt ein böses Lächeln, weiches Moos über gefährlichem Abgrund. Man wird sich doch hüten, ihn in ein Haus zu lassen. Greis, Mutter, Kind, wer von euch allein zu Hause ist, seht euch vor, dass ihr die Haus- und Stubentüre absperrt, bevor er davor steht, und ruft Leute zusammen, bevor er etwas versucht! Wenn er das Dorf nur durcheilt, so umwacht Scheune und Haus, ob nicht Feuergefahr, wo er nahe kommt, oder ob – seid nicht sorglos, seid wachsam! – Sein Nebengeselle, außer einem mäßigeren Körperbau, besitzt auch ein milderes Auge; all die Glut der Getränke kann nicht verdrängen die ernste Trübe. Es scheint, wenn es Tränen fände, würde es weinen. Betrauert dieses Wüstlings Auge eine Trübsal, das über das nahe Dorf, über die Gegend kommen soll, das er selbst über die friedlichen Menschen bringen will oder jetzt, gegen seine eigene Herzensregung, muss bringen helfen? –

Beide erreichen jetzt das Dorf. Wie sie an der Kapelle vorüber wollen, bemerken sie, dass Betstunde gehalten wird. Da scheinen sie zu überlegen, ob sie weiter sollen, oder bleiben. Wie? Sie treten unter die Linden zur Kapelle. Jeder lehnt sich an eine Linde, die Hüte nehmen sie ab, wohl mehr aus Schicklichkeit, und um andere nicht zu stören, als aus frommem Eifer. Einige Weiber, die auf den Eingangsstufen der Kapelle knien, weil sie kleine Kinder am Arme mitbrachten, die, im Fall sie weinen oder schreien sollten, leicht ohne große Störung so entfernt werden könnten, bemerken in ihrer lauten Andacht die Ankunft der beiden Fremdlinge nicht. Auch die Burschen und Männer, welche hinter der Kapelle um deren offene Fenster mit entblößtem Kopfe lehnen, wohin sie recht wohl die Stimme des Vorbeters dringen hören, erblicken sie nicht. Nur einigen leichtblütigen Knaben, die zu spät gekommen sind und sich am Eingänge in die Kapelle drängen und mit ihren Mützen fechten, fallen die beiden wüsten Fremdlinge gleich auf. Sie lassen gleich Zank und Streit und drängen sich scheu zusammen. Bei aller Ängstlichkeit kichert der eine dem andern ins Ohr über den Vagabundenanzug und die roten Nasen der Fremden. »Jessas, nö! Dös wa ra Gwonta! Möcht' oas hob'm a so a Gwonta! Dös wa's röcht! Jessas, und dö Brisilnosna, wei d' Föglbüala so raut!« – Der Vorbeter in der Kapelle schließt jetzt, die Versammlung endet. Kinder stürzen zuerst aus der Kapelle, weichen aber, statt lärmend durcheinander zu laufen, furchtsam schweigend seitwärts aus, mit großen Augen die Fremden messend und neugierig erwartend, was Ältere, Mütter und Väter sagen werden. Die Weiber am Eingange sind auch bereits aufgestanden, um Platz zu machen; sie schauen – schauen – es ist ihnen unheimlich, dass diese Fremden jemand ähnlich sehen, und doch wieder nicht – und wieder dennoch, und dass die Fremden sie anlächeln, ihnen freundlich winken, sie bei Namen nennen; – nein! nein! nein! sie wollen doch lieber behutsam sein und zurückweichen – wer weiß! – man kann nicht wissen! Mehr und mehr Kinder, Mädchen, Weiber sind heraus, aber alle ziehen sich scheu seitwärts. Was werden denn die Burschen sagen und die Männer? Diese erscheinen jetzt; wer von ihnen nicht gleich die Fremden erblickt, wird von Weib oder Kind schüchtern aufmerksam gemacht. Die Burschen bemerken laut lachend zueinander: »San dös zwei Lumpn.« Die ernsteren Männer aber treten um die Fremden zusammen, als sie sich von diesen anrufen hören: »Willkum, Mona (Männer)! Mona, willkum!« Man betrachtet sie schärfer und näher – und, wirklich! wahrhaftig! – man erkennt sie, man nennt sie bei Namen; als früheren Bekannten ziemt sich's, ihr Äußeres nicht so genau zu nehmen. Die Männer nehmen es auch nicht so genau; die Burschen von diesem Augenblicke an nehmen es auch nicht mehr so genau; die Fremden müssen so viele Hände zum Willkommen drücken, als eben Männer und Burschen da sind. Weiber und Kinder drängen sich nun furchtlos hinzu; viele Stimmen fragen schon, während andere noch ihre Grüße rufen: Wie kam das so? Was kann denn plötzlich einen so heftigen Durst der Neugierde erregen, an den Fremden solches Interesse erwecken? Kaum dass sich diese umdrehen können, hat man sie in dichtem Kreise umstellt. Der wüstere der beiden Fremden redet laut und heftig; umso stiller sind die Zuhörer. Er fordert die Männer jetzt auf, mit ihm in das Wirtshaus zu gehen; dort wolle er erzählen und Wunderdinge erklären. Stürmisch zustimmend folgen nicht nur die Männer, auch die Burschen, Weiber und Kinder, fast das ganze Dorf. – Diese beiden sonderbaren Ankömmlinge waren vor zwei Jahren in der Gegend Besitzer zweier Bauernhöfe. Bei einem dunklen Gerüchte, dass im Banate viel fruchtbares, herrliches Land an alle Einwanderer verschenkt würde, haben sie ihr Besitztum in dieser Gegend eilig verkauft, meinend ein halbes Paradies zu finden, wenn sie dem lockenden Gerüchte folgten in das Banat. Obwohl schon damals ihr Beispiel und Enthusiasmus unter den Deutschen am Böhmerwalde viele andere zur Auswanderung bewegen wollte, besonders Leute, die daselbst ohne Haus und Grundbesitz waren und die nun auf einmal einen reichen, weitläufigen, freilich großen Teils erst urbar zu machenden Grund und Boden durch unschätzbare Schenkung zu erhalten meinten; so hielt doch die tief wurzelnde Liebe zur Heimat, die Sorge, das Gewisse des Erwerbes zu Hause vielleicht doch mit einer halben Erdichtung des Gerüchtes zu tauschen, alle noch von dem Auswandern zurück. Man beschloss den Erfolg dieser zwei Beispiel gebenden Enthusiasten abzuwarten und überhaupt nur ganz bestimmten Nachrichten zu trauen, die aus dem Munde von Augenzeugen kamen. So kam man mit diesen Männern überein, dass sie genaue Kunde aus dem Banat brieflich nach dem Böhmerwalde befördern oder persönlich zurückkommen sollten, wonach man sich entschließen würde, ihnen zu folgen oder bei nicht sonderlich überwiegenden Vorteilen der Heimat nicht Lebewohl zu sagen.

Nachdem bereits ein volles Jahr herum und von diesen zwei ersten Auswanderern keine Silbe Nachricht angekommen war, auch Kenner von statistischen Tatsachen nicht eben die glänzendsten Schilderungen des Bodens und Klimas machen konnten, so drückte sich die schwellende Auswanderungslust malig in die Grenzen mäßiger Erwartung zurück. Das dunkle Gespenst des Gerüchtes ging zwar immer noch um, und bei einzelnen, die eine leicht entzündbare Fantasie und rühriges Herz besaßen, nicht ohne Erfolg. Doch im Ganzen war die Begeisterung nicht mehr zu wecken, und man fing an, die zwei kühnen Auswanderer als unglückliche Verirrte zu betrauern, indem sie ihr ruhiges, schätzbares Eigentum in der lieben Heimat wohl für ein fantastisches, unerreichtes Glück mochten hingegeben haben. Darin bestärkten manche andere Nachrichten das Volk; denn es hieß, viele Deutsche aus andern Gegenden Grenz-Böhmens, die früher in das Banat ausgewandert wären, kämen jetzt einzeln, im vollen Zustande von Bettlern zurück, weil sie ihr bisschen bares Geld und ihre sonstige Habe auf der Wanderung teils verbraucht, teils mit dem Reste die Rückwanderungs-Erlaubnis erkauft hätten. Das Banat, erzählten sie, wäre mit fruchtbarem, aber in den angewiesenen Landstrecken den Einwanderern ohne die tüchtigsten Hilfsmittel gar nicht nutzbringend zu machendem Boden gesegnet, und das Fieber raffe viele Opfer weg. So fing es endlich wieder an, den genügsamen, ruheliebenden Deutschen am Böhmerwalde wieder recht heimlich und behaglich zu werden. Mit Neugier hörte man zwar jede jüngste Nachricht an, aber der Entschluss, jemals wieder sich zur Auswanderung bereitfinden zu lassen, war erstorben. – In solcher Stimmung ist das zweite Jahr hin geflohen, ohne von den beiden Männern eine Kunde zu erfahren, bis wir sie vor wenigen Augenblicken selbst plötzlich, unerwartet ankommen sahen. Ihr Aussehen und Empfang ist bereits geschildert. Was aber werden sie erzählen? Was haben sie erlebt? Wie wollen sie das harmlose Volk stimmen? Sie werden es doch nicht zur Auswanderung bewegen wollen? Wie? Vielleicht doch? Oder – worauf soll man denn raten, um ihre geheimen Absichten zu ertappen? –

Gehen wir ihnen nach. Das ist sonderbar! Gehen wir ihnen nach. Sie sitzen eben schon in der nächsten Bauernstube am großen Ecktisch. Wie ein Bienenstock wimmelt das Haus von neugierigen Männern, Weibern, Burschen, Mädchen, Greisen und Kindern. Wer nicht in der Stube Platz findet, klammert sich außen an die Fenster fest, hineinhorchend auf die prahlende, starktönende Wunderrede der Fremden, welche, abwechselnd und sich unterstützend, meisterhaft in Geläufigkeit und Stofffülle wahre Volksredner präsentieren. Was sie schon vorgebracht haben, können wir nicht mehr nachholen, aber wir mögen genügend finden, was sie reden und reden werden. – »Sakra! Dös is a Lond! Dös is a Glück! Dös is a Lö'm!« – Das sind die ersten Worte, die wir hören. Der fernere Inhalt der mehr wütenden als begeisterten Rede dreht sich um das unerschöpfliche Lob des Banates und das ruhmwürdige Glück der Redner selbst. Wo das Wort und die donnernden Stimmen der Redner nicht kraftvoll genug ausreichen wollen, da müssen die heftigsten Gebärden oder das Trommeln ihrer Fäuste auf dem Tisch nachhelfen. Die Zuhörer atmen kaum; blass, schweigend, hinstarrend auf die imponierenden Redner verändern sie nicht ein Haar breit ihre angewurzelte Stellung. Viertelstunden, Stunden sind vorüber, es wird Abend, und die Männer sind nicht zu Ende noch. In der Stube sieht es aus jetzt wie in der belebtesten Wirtsstube, Bierkrüge lassen die Redner herumgehen unter Männern und Burschen und allen, die nur zusprechen wollen. Endlich naht die Begeisterungsrede dem Schluss. Ein goldner Regen von Dukaten stürzt klingend und springend auf die Tischplatte nieder, von den Rednern hingeschüttet. Ein kräftiger Epilog, der alle Wiederholung der Rede in Kürze erspart. – »Willt's nöd glob'm? Hölt's uns füa Bettla?!« sind die Schlussworte. – So freilich, was soll man denken? – Seit zwei Jahren also solch einen Reichtum gesammelt im Banat, das Herz ist in solchen Dingen bestechlich – wenn's ein jeder so haben kann im Banat – man kann, wenn man Geld hat – ja, man könnte ja. – Es ist spät Abend geworden. – Seid ruhiger, gute Leute! Denkt nur auch nach! Stürzt nur nicht so durcheinander! Möchtet ihr nicht sagen, was ihr meint? Entflammte Träumer, verbietet euerm Blut den Aufruhr, und lasst vernünftig mit euch reden! Ist es denn wahr? Scheint ihr nicht leichtgläubig? Wenn nun doch – aber – ja, die Abendglocke ist's, die euch auf einmal alle stille macht. Seid nicht voreilig, indem ihr euch der Hand des Himmels empfehlt, dass sie euch aus Ägypten führe; die Hand des Himmels könnte euch in ein Meer von Leiden führen und vielleicht nicht retten, weil ihr undankbar seid. Sagt nicht, dass es euch übel ergangen in eurer lieben Heimat. Könnt ihr Trübsale aufzählen, die euch getroffen, die nicht schlimmer in allen andern Gegenden aufgetreten? Ist euer Dorf je in Asche gelegt worden? Nein. Hat eure Habe je eine Überschwemmung vernichtet, wie die traurige Kunde oftmals kommt von fernen Dörfern, Markten, Städten? Nein, diese schreckliche Trübsal habt ihr nie gesehen, umso weniger erlitten. Könnt ihr leugnen, dass nach jenem schrecklichen Hagelschlage am Tag der heiligen Magdalena, der eure ganze Ernte vernichtete, viele höchst fruchtbare Jahre gekommen sind und durch nie gesehenen Segen nicht nur den Verlust ersetzten, sondern euch an Habe weit über den früheren Wohlstand erhoben? Habt ihr euch nicht erholt seit den Tagen des Napoleonkrieges, der euch in der letzteren Dauer schwer mitgenommen? Was wollt ihr? Was übereilt ihr? Habt ihr keine Dankbarkeit mehr im Busen, die euch mahnte, so glückliche Wohnsitze, so ergiebige, teure Erde, die euch und eure Voreltern ernährte und eure Verstorbenen friedlich deckt, nicht so hastig zu verlassen wie ein feindliches Gebiet auf eiliger Flucht? Wo ist eure Empfänglichkeit für die süßen, tiefwurzelnden Gewohnheiten und Sitten der Heimat, welche alle Eingebornen, wenn sie kurz oder lange durch die Fremde gewandert, wieder mit Heimweh zurückbringt? So plötzlich wollt ihr die Anhänglichkeit an all die bekannten Berge, Wälder, Hügel und Bäche abwerfen wie ein altes Kleid? – Nein, viel an eurem Entschlusse übereilt das unnatürlich aufgereizte Blut. Euer Blut soll mehr Mäßigung gewinnen. Ihr könnt und werdet ja nicht alle fort, wie ihr im Fieber gedenkt! –

Da es jetzt gegen Mitternacht geht, ließe sich eine anziehende Runde machen, um die geläuterte Stimmung des Dorfes abzulauschen. –

Um die Häuser herrscht völlige Ruhe – horch! – Nein doch, dieser dumpfe Lärm kam aus einem Hause – um die Häuser ist es ruhig. Die sonst nächtlich singenden und jubelnden Burschen sind nicht rührig; nicht einer lässt sich sehen oder hören. Die wolkige Atmosphäre hält das Sternenlicht zurück. Sehr finster ist's. Wer ohne Laterne gehen wollte, dürfte schwerlich ohne Unfall auch den bekanntesten Weg forttappen. – Was gibt's denn im ersten Hause da? Zwei tiefe Männerstimmen reden halblaut und halb schläfrig. Es sind die Knechte, die unter dem Dache auf dem Heuboden liegen. Man kann nicht recht ausnehmen, was sie reden. Sonst ist es still im Hause. Niemand in der Stube? Die Wanduhr lässt ihren holprigen Pendelschlag hören; dann und wann summt schläfrig eine Fliege auf, deren ein Heer bei Tage die Räume durchschwärmt; zeitweilig ein Schnalzen des Geschirrschrankes oder des großen, buchenen Ecktisches. Am Kammerfenster vorbei – das Kammerfenster ist offen; an demselben, von innen, erscheint etwas wie ein weißer Schimmer – entfernt sich wieder – und kommt nach einem Augenblicke zurück; da sich jetzt plötzlich in der Kammer eine weinende Kinderstimme hören lässt, meldet sich beschwichtigend die Mutter, welche in der Kammer auf- und niedergeht, und abwechselnd am Fenster erscheint und verschwindet. Sie ist noch aufgeregt vom Erlebnisse des Tages her und erwartet ihren Mann mit heftiger Ungeduld. Vielleicht ist all ihre Liebe zur Heimat wach geworden, vielleicht sieht sie nun ein, wie unsäglich der Trennungsschmerz von der Heimat sein müsse, und will ihren Mann, wenn er nun nach Hause kommt, dahin bewegen, von Neigung und Entschluss zur Auswanderung abzulassen. Sie hört an der Haustüre klopfen – horch! – wieder – er ist zurück! – sie eilt, zu öffnen – »Gute Nacht!« –

In der Stube des zweiten Hauses ist Licht. Der buchene Span am stangenförmigen Leuchter mit der dreizackigen Eisenzwänge oben ist fast bis an diese zurückgebrannt. Die glühende Kohlenzunge des Spanes, bereits mehrere Zoll lang, löst sich jetzt ab und fällt, in sprühende Stücke zerspringend, zu Boden. Wenn die Kohlenzunge des Spanes so lange sich erhält, so soll jemand Bekannter des Hauses denselben Abend noch aus der Fremde kommen. Aber die zwei Menschen, welche sich in der Stube hier befinden, sehen weder, wie weit der Span zurückgebrannt, noch bemerken sie dessen lange Kohlenzunge, noch denken sie dem Aberglauben nach. Nicht weit vom Leuchter sitzt die Hausfrau am Tisch, den Kopf auf die Hand stützend, schweigend, sinnend. Auf und ab mit verschränkten Armen geht der Mann, ebenfalls schweigend, nachdenkend. Wie jetzt das letzte Stückchen Span verlodert, nähert sich der Mann seinem Weib, klopft sie auf die Schulter und spricht: »Gemma schlofa! – I moi, mia homa r a Hoamat, Kina, a Hos und koi Schuld'n – wos? – Sollma dafögei, und d' Hoamat folauss'n?« Das Weib fällt ihm freudig an den Hals. –

Gleich daneben, nur durch einen Garten getrennt, steht ein kleines Haus, von einem höchst sanguinischen Männlein bewohnt. Da poltert's aber auch, als ob ein ganzes wildes Geisterheer Unwesen triebe. Den höllischen Lärm macht das sanguinische Männlein ganz allein. Ganz allein? Das Männlein ganz allein. Sein Weib ist lange tot. Kinder hat er nie gehabt. Er hat sich nie Zeit gelassen, welche zu haben. Tür' auf und zu! – Stühle, Hausgerät hin und her! – Wozu springt denn der Tolle plötzlich wieder zur Haustüre hinaus? Wohin? Im Eifer nicht einmal das Haus verschließen? He da! Wohin? Was »Dort muss jemand im Finstern an einen Holzstoß angerannt sein! Gebt acht! Es ist finster!« –

Warum weinen denn vor dem nächsten Hause Vater, Mutter, mehrere Kinder und drei Dorfburschen so heftig? Das Licht, welches eine Magd jetzt aus dem Hause bringt, lässt uns den Burschen in der Mitte der Weinenden erkennen, welcher vor Kurzem zum Militär genommen, noch vor Tagesanbruch fortwandern wird, um sich den Abschied zu erleichtern. Nur seine zwei liebsten Kameraden hat er zum Abschied herbestellt. Als er spricht: »Nö, Muaderl, löbt's gsund! und Vöderl und Gwistala und Bauma« – wird er schluchzend von allen angehalten; die Mutter will ihre Arme nicht losschlingen von seinem Halse und kann nur immer die Worte sagen: »Ma Beiw'l! Ma Gongerl!« Schweigend, ein Tuch mit der linken Hand in die Augen drückend, mit der Rechten des Sohnes Hand festhaltend, steht der Vater dabei, der, reisefertig, den Sohn begleiten wird. Beide machen sich endlich los und schreiten, im Schmerz den Nachruf der zurückbleibenden Weinenden kaum hörend, fort aus dem Dorfe. – Als sie fähig sind zu sprechen auf ihrem Gange, da legt der Sohn dem Vater die schwärmerischste Liebe zur Heimat ans Herz und fordert ihn beschwörend auf, niemals sein liebes, liebes Dorf und Haus zu verlassen. Gerne stimmt der Vater ein, der am Tage zuvor unter den Mäßigsten war, und nun vollends vom Taumel der Auswanderung frei bleibt. –

Bei der Mühle wollen wir nicht horchen; die Räder klappern, das Wasser rauscht und schäumt heftig. In der Stube ist wohl Licht. –

Im nächsten Hause aber finden wir einen wunderbaren Schwärmer. Mehrere Verwandte haben sich hier versammelt, um des verständigen Großvaters Rat und Meinung zu hören. Der ehrwürdige, verständige Greis spricht entschieden gegen den Fanatismus der Auswanderung. Ihm ein heftiger Gegner ist der Enkel, ein Bursch von achtzehn Jahren. Während alle andern um den Tisch sitzen, geht dieser lebhaft auf und nieder, weniger Gründe als Sehnsucht für die Auswanderung aussprechend. »Wenn sie fort wären«, meint er »da würde ihnen wohl! Da würden sie nicht mehr sehen und hören, was ihnen unangenehm ist zu Hause; – es könne gar nicht anders sein, als dass es besser werde, wenn man auswanderte!« – Man streitet, erwägt, beschließt und verwirft noch lange. »Seid behutsam! Übereilet euch nicht! Gute Nacht! Gute Nacht!« –

Wie? Da drinnen ist schon ein Kauf abgeschlossen. Dieser ernste Mann, der sich von einem andern ernsten Manne Geld vorzählen lässt, hat sein Haus und sein Stück Feld verkauft und will in wenigen Tagen schon aufbrechen, um nichts zu versäumen. Sein Weib, ein Kind auf dem Arme haltend, steht mit verweinten Augen dabei; auf den Wandbänken herum sitzen drei Knaben und ein Mädchen, bitterlich schluchzend, dass sie ihr Haus und ihre Heimat verlassen sollen. Sie denken an ihre Spiele, Kameraden, Pläne, die sie für die kommenden Jahreszeiten vorhatten usw. Da aber werden sie fort sein, und heim werden sie nie mehr kommen. Ihr Vater ist rasch; ihr Vater greift schnell zu! –

So, mehr oder minder gärend, bewegen sich die Gemüter diese Nacht im ganzen Dorfe. Mancher Rausch macht besserer Nüchternheit Platz; Entschlüsse, schon einmal fest, wanken wieder. Wo der Mann sich vom Eifer hinreißen ließ, retten ihn das gemütlichere Weib und weinende Kinder zurück. Manche, die weniger begeistert den Entschluss der Auswanderung anfangs erfassten, greifen ihn jetzt mit Konsequenz fester Gesinnung auf. Toll, lärmend, jubelnd, halb oder ganz betrunken tobt noch eine Männerschar um die wüsten zwei Ankömmlinge aus dem Banat, die sich jetzt in das Wirtshaus begeben. Ihre wilde Wirtschaft dauert daselbst bis zum hellen Morgen. –

Diese Begebenheit erlebte ich als Knabe in meiner Heimat. Bis zur Hälfte Juni 1827 hatten sich die Auswanderer bereits entschieden herausgestellt. Ihre Zahl stieg nicht so hoch, als zu fürchten war. Die meisten, welche dazu gehörten, lebten früher als Inwohner in den Dörfern; mehrere hatten ihr kleines Haus mit dem wenigen dazugehörigen Feld verkauft. Größere Haus- und Grundbesitzer, welche an der Auswanderung teilnahmen, waren nur wenige. Einzelne der Gegend schlossen sich an, um die Reise aus Neugierde mitzumachen, oder aus Spekulation, um aus dem Banat mit Gold beladen in die Heimat zurückzukehren. Die zwei Ankömmlinge, die ich geschildert habe, wurden während ihres Aufenthaltes in der Gegend täglich in einem andern Hause verschwenderisch bewirtet. Sie boten sich als Führer und Ratgeber an und rühmten ihren Einfluss im Banat. Mit Freude nahm man sie in dieser Eigenschaft an. Mit Anfang Juli sollte die Wanderung beginnen. Es geschah. Am Vorabend, als bereits die mitzunehmenden Habseligkeiten auf einzelne Wagen gepackt vor den Häusern standen, war plötzlich spurlos der eine von den Ankömmlingen aus dem Banat verschwunden. Man hatte ihm einiges Geld vertraut. Die Wirkung dieser Flucht war sehr niederschlagend. Misstrauen erwachte, und nur der imponierenden Geistesgegenwart des andern Ankömmlings, der sogleich den Schaden aus Eigenem ersetzte, gelang es, Ruhe und Zutrauen herzustellen. – Am folgenden Morgen, sehr früh, begann der bereits aus mehreren Ortschaften versammelte Zug unter lautem Weinen der Fortziehenden und Bleibenden. Solcher Augenblick erweckt fast einen trostlosen Zustand. Alle Zukunft verschwimmt vor der Seele und des Körpers weinenden Augen. Solange der bloße Schmerz dauert, sehen sich die Scheidenden gleichsam lebendig begraben. Weit über die Dörfer und Hügel hinaus begleitete man die Auswanderer. – Wie die Kinder weinten! – Als die Begleiter zurückgehen wollten, wiederholte sich zum letzten Male ein Schreien und Umklammern, dass das Fuhrwerk bereits weit voraus war, als man sich trennte. Unter den Scheidenden war auch jener Bursch, den wir in der Nacht so seltsam für die Auswanderung schwärmen sahen. Trotz des ehrwürdigen Großvaters und der Eltern Widerspruchs und Flehen war er nicht zurückzuhalten. Ihn trieb unglückliche Liebe fort. Als er sich von seiner Mutter trennte, biss sie ihn im wütendsten Schmerz in die Wange. Er aber übertäubte den äußern Schmerz mit dem größeren inneren, küsste nochmals seine Mutter für ihre Liebe und war fort mit den andern. –

Viele Wochen nach der Auswanderung kam ein Brief in der Heimat an, der die tiefste Trauer verbreitete. Er war auf einer ungarischen Heide geschrieben, und folgenden Inhaltes:

»O ir liben Zu Hause!

beglaget und beweinet uns, den der Her hat uns arme gestrafft. Wier sizen weit im Ungerlant weinend und glagend auf einer weiten Heide, wo nichts als Sant und Strauchwerck ist, und sint alle zu Bettlern worten. O ir lieben zu Hause! dass kennt ir nicht glauben und vorfielen, wi unglüklich wir Verlasene sint. Heit frü ist Wolfgang … auf einmal verschwunten, und had unser Meistes Gelt geraupt. Jetzt sint wier Arme, verlaine bettler, und müssen unser anderes Habe verkauffen, damit wir nur türftich weiter und an Ord und Stele komen. O ir lieben Zu Hause! betet für uns alle Tag und denkt an uns, dass wir doch den troßt haten, das jemant um uns weinet und um uns Arme trauert. – O ir glüklichen Zu Hause in der guden Heimat, lasset eich nicht in eierer Heimat Goldne Berge vormachen, und um eiere ruhigen Heiser bedrügen. Dass ist gefellt mit uns auf imer! O ir lieben Zu Hause! wier wern Zufrieden mit dem halben von dem, was wier dort bey eich gehabt – und nun sint wier Arme, unglükliche Bettler. Da sitzen wir um ein feuer wie ir manchesmall zu Hause zigeinerbanten sehet, und kochen uns eine Sube. Nicht weid von uns steht eine Hiten, es wird eine Rauberhitten sein; weil dan und wan ein wilder Kerll hinein und herauslauft. Aber wen wier angepackt werden sollten, so haben wir schon große Steken, mit denen woll'n wier zu Gunsten fir uns selbst mutig zuschlagen. Dieseß Jamertal verlassen wier aber gern, wen es sein mus. – Wier weinen nach eich, O ir lieben zu Hause, und empfelen uns Got und eierm Gebet.« ...

Unterschriften und x…

Von der Ankunft der Auswanderer im Banat mit Anfang des Herbstes desselben Jahres werden noch immer höchst traurige Szenen erzählt. Im Allgemeinen fanden sich die Unglücklichen sehr in ihren Träumen getäuscht. Land wurde ihnen angewiesen, aber sie hatten keine oder nicht auslangende Werkzeuge zur Bearbeitung des Bodens, und überhaupt nicht jenen nötigen Vorschuss, die rechte Basis einer Wirtschaft zu gründen. Viele wurden von dem Anblicke des ungepflegten, rauen Bodens, durch die weite Einsamkeit und das allgemeine Elend so abgeschreckt, dass sie ihr Letztes hingaben, um sich die Erlaubnis der Rückkehr zu erkaufen. Die meisten besaßen nicht mehr so viel, um dieser Wohltat der Rückwanderung teilhaftig werden zu können. Sie mussten unter dem tiefsten Jammer ihr Los ertragen und ihre Sehnsucht der Heimkehr nach dem Böhmerwalde hinaus trösten, bis sie sich durch Arbeit und Betteln das erforderliche Geld sammeln konnten, sich den freien Rückweg zu erkaufen. Vor allen Trauerereignissen jener Tage der Ankunft im Banat ergreift am meisten folgendes. Wie allen andern wurde auch einer Familie eine Strecke Land angewiesen. Der Familienvater, der lange seinen tiefsten Gram nicht mehr verbergen konnte beim ärmlichen Anblicke seiner Kinder und seines Weibes, wurde plötzlich vom Schlage gerührt und starb wenige Stunden darauf. Den folgenden Tag spielten seine Kinder unweit der trostlos weinenden Mutter, als der eine Knabe, unvorsichtig einen Stein schleudernd, ihr ein Auge auswarf. In solcher hilflosen, jammervollen Lage machten sie sich auf und zogen bettelnd bis zum künftigen Jahre herum, dass sie dürftig das leidensschwere Leben fristeten. Zum Glücke für sie lebten in Wien zwei ältere Geschwister, welche jetzt im Stande waren, für die Rückkehr der Ihrigen die Erlaubnis zu erkaufen. Alle kehrten zurück. Die Kinder leben bis jetzt in Wien, die Mutter wieder in der Heimat. – Seitdem sind die meisten jener Auswanderer zurückgekehrt; jene, welche nicht wieder kamen, sollen jetzt ein erträgliches Los erkämpft haben. –

Die Geschichte meiner Schwester.

 

»Gfräa tauts mö, doss du uns ollö guat kennst,
Owa flenna mächtö, wenn du mä Schwösterl nennst.« Wie freut es mich, dass du uns alle so gut kennst;
Aber weinen möcht' ich, wenn du mein Schwesterlein nennst.

 

Den 10. August 1836 sollte ich wieder die liebe Heimat sehen, das freundliche Dorf in der freundlichen Gegend, alte liebende Eltern, viele teure Geschwister und Freunde. Zwar nur ein Jahr hatten mich die Studien ferne gehalten, allein es war das erste Mal, dass ich so lange fern war, und das machte meine Sehnsucht so groß, meine Erwartungen so gespannt auf die Veränderungen in und außer meinem Elternhause. Auf einem Hügel, der mir die ganze heimatliche Umgegend auf ein Mal vor die Augen breitete, stand ich still und musste vor Freude weinen, wie alles so schön war; wie meine Brüder dort mitten unter Knechten und Mägden die goldenen Kornwogen mittelst der Sichel niederbreiteten; wie unser weißblinkendes Haus durch die wenigen, aber großen Birnbäume mir entgegen grüßte, wie um und um die Felder grünten, blühten, reiften und rings die Kornernte lustig begann. Ich trieb ja auch einmal meines Vaters Herde auf die Weide, und da lag das Brachfeld wieder, dasselbe, und mein kleines Brüderlein lief mit einem bellenden Hunde um eine weidende Herde. Dort das Kleefeld, der Bach mit der Erle am Ufer, die ich einst mutwillig bestieg und von der ich samt einem Aste in das Wasser fiel, darum ich sie im Zorn zerschlug. – »Willkommen, gewaltige Eichen dort am Waldessaum! Kleiner Weiher, der mich tausend Mal badend umfing! Wiesen und Hügel, willkommen!« – In wehmütiger Freude stehend, ersahen mich meine Brüder, und mit Jubel stürmten sie um mich zusammen, mit klopfendem Herzen und wallendem Blut in den Wangen. »Ist es wohl um Vater und Mutter?« Alle bejahten. Da wanderten plötzlich, in einfaches Gespräch vertieft, meine alten Eltern uns entgegen, die bis jetzt ein Hügel verborgen hatte. Meiner ansichtig in der Mitte ihrer übrigen Söhne, blieben sie stehen. Der Vater wehrte mit der Hand die blendende Sonne vom Auge, und die Mutter stemmte die Hände auf die Hüfte. Jener erkannte mich zuerst und rief: »Bist's oder bist's nicht?« Ich flog, ohne ein Wort sagen zu können, der Mutter in die Arme, umhalste dann den Vater, und die Alten weinten in ihrer Freude wie Kinder. – Als wir an unser Haus kamen, stürzte mir meine Schwester laut weinend entgegen, umklammerte meinen Hals und schrie, ich möchte ihr vergeben, sie nicht verachten und verstoßen! Ich sah verwundert Eltern und Brüder an, die traurig und verlegen herumstanden, und fragte um den Grund, der sie alles dessen würdig zu machen im Stande wäre? Niemand wollte sagen und gestehen, – bis ich in der Stube auf eine Wiege stieß. – Die Schwester warf sich in einen Winkel, und verhüllte jammernd ihr Gesicht, der Vater schritt voll Gram und schweigend zur Türe hinaus, die Mutter schluchzte am Fenster, und meine Brüder standen in verlegen trauriger Gruppe um mich. Mitleid und Zorn wollten wechselweise Meister werden in meiner Brust. – Also mehr als Alter hat den Eltern am spärlichen Haare gebleicht, mehr als die Zeit an ihrem Rücken gekrümmt? Nur eine Schwester, – und diese eine –! Ich wusste, dass sie bei meinem Abschiede daran war, einen recht lieben Burschen im Dorfe zu heiraten. Der erste Brief der Eltern nach meiner Abreise sprach noch erfreulich von diesem Verhältnisse; hierauf aber brach jede Erwähnung ab, und selbst meine brieflichen Nachfragen verklangen umsonst. – »Verführt und verlassen bist du, Schwester? – Wer ist der Vater dieses Kindes? Du weinst mit einer Heftigkeit, die die Größe deiner Reue und deiner Schuld anzeigen könnte. Was war schuld, dass deine so nahe Heirat sich zerschlagen?« So sprechend stand ich vor ihr und erwartete vergebens ihre Antwort. Sie schluchzte und weinte heftiger und stürzte hierauf aus dem Zimmer. Eben wollte die Mutter ihre Erklärung beginnen, als außer dem Hause die Stimme meiner Schwester in verzweifeltem Ausbruche Worte der Drohung, des Hasses hören ließ. – Als wir hinaus eilten, lief schon eine Menge Nachbarsleute zusammen. Die Schwester mit aufgelöstem Haare, wildbewegten Augen und krampfhaft vorgestreckten Händen musste gewaltsam zurückgehalten werden, um nicht nach einem Hause zu stürzen, gegen das ihre Schmähungen gerichtet waren. Ein junges Weib, dessen Verwandte dieses Haus bewohnten, kam jetzt eilig heraus und floh scheu hinter den Häusern davon. – Meine Schwester ließ nicht ab, das Weib zu verwünschen und die Umstehenden anzuflehen, dasselbe aus dem Orte zu peitschen. Rührende Teilnahme sprach aus jedem Gesichte der Anwesenden, man redete beschwichtigend meiner Schwester zu, man vermochte sie etwas zu besänftigen, sie ging trostlos weinend in das Haus zurück. – Ein unwilliges Gemurmel verbreitete sich unter der auseinander gehenden Menge. Viele, die meinem Elternhause besonders zugetan waren, ließen Drohungen hören sowohl gegen dieses Weib, das eben aus dem Hause entfloh, als gegen jenen Burschen, der vor einem Jahre meine Schwester heiraten sollte. Ich schloss also daraus leicht auf die schändliche Untreue jenes Burschen, dessen große Entartung ich fast unglaublich fand. Mein armer, tiefgebeugter, greiser Vater ging wankend im Garten auf und ab, und ich näherte mich ihm, teils um, so trostlos auch seine und meine Gemütsstimmung war, doch der traurigen Lage eine trostfähige Seite abzugewinnen, teils um den Zusammenhang der Unglücksgeschichte meiner Schwester zu erfahren. Die war kurz.

Der liebenswürdig scheinende Bursche ging in Gedanken ganz anders um mit den Menschen als im äußeren Betragen. Solange er noch mit meiner Schwester auf dem vertrautesten Fuße lebte, besuchte er längst auch ein anderes Mädchen, das reicher, aber nicht so schön war als meine Schwester. Bei jener liebte er das Geld, bei dieser, solange er noch unverheiratet war, die Schönheit. – Er täuschte beide: jene mit der Liebe, diese mit der Hoffnung auf Heirat. Als der Bösgesinnte sah, dass er zum Heiraten gezwungen sei, betäubte und verwirrte er meine Schwester mit allem Duft und Weihrauch einschmeichelnder Liebe und naher Ehe in solchem Grade, dass sie seinem schändlichsten Zwecke erlag. –

Den folgenden Tag war Sonntag. Meine Schwester wagte sich kaum unter den freien Himmel, ihr Auge schien jedermann ihres Herzens Schuld zu verraten. Weinend ging sie in die Kirche und kniete betend und mit zerknirschter Seele am Eingange nieder. Der Prediger sprach verdammend über die Schuld und Strafe der Verführung und erhob mit den glänzendsten Farben der Rede die Wonne und Belohnung der Unschuld. Wie sank meiner Schwester das Haupt, wie zitterten ihr alle Glieder, wie rollten ihre Tränen über die Wangen! Alles war rein, gut, schuldlos um sie, allen galt die himmlische Verheißung, ihr nur galt die Verdammung Gottes. An einem Pfeiler hinter ihr lehnte ihr Verführer, wüst, verstockt, vielleicht noch süß betäubt. Als der Priester das »Amen« seiner Predigt sprach, und »Gelobt sei Jesus Christus!« sah plötzlich der Bursche blass wie Kreide und stieß seinen Nebenmann, sagend: »Amen!« statt: »Hilf mir aus der Kirche!« Er taumelte hinaus. Der Priester las jetzt von einem kleinen Zettel mit langsamer Stimme: »Es werden in den Stand der Ehe sich begeben (hier nannte er den treulosen Burschen und jenes erwähnte Mädchen). Die Brautleute werden zum ersten Mal aufgeboten. Wer ein rechtliches Hindernis weiß, wird aufgefordert, es zu rechter Zeit anzugeben!« – Zu dem Weihwassergefäß an der Kirchtüre schleppte man eine Tote und wusch und rieb ihr das Gesicht. Es war meine Schwester. – In die Sakristei stürmte ein entrüsteter Greis, er schrie, dass das heilige Gebäude widerhallte: »Mein Kind! Meine Tochter! Er ist treulos! Er hat sie verlassen!«

Ernst und mild fragte der würdige Geistliche: »Wie hat er eure Tochter verlassen?«

»Er kam seit Jahr und Tag ins Haus, schwatzte immer von Heirat und schwur, nur meine Tochter zu nehmen. Sie wies deshalb jeden anderen mit Heiratsanträgen zurück. Noch gestern, gestern noch log uns der Unverschämte Hoffnungen vor, denen er heute so treulos ward. Diese Schändlichkeit raubt meiner Tochter das Leben! –«

»Das reicht nicht aus, lieber Alter«, sagte der Priester, »ihm in seine Heirat ein Hindernis zu legen. Er hat sich wider seine Seele verschuldet, nicht wider ein äußeres Gesetz. Geht heim, tröstet und beruhiget die Leidenschaft eurer Tochter. Sie wird, wenn sie die Schändlichkeit dieses Burschen erwägt, eher froh als traurig sein, ihm nicht als Gattin in die Hände gefallen zu sein.«

Indes ward meine Schwester ins Leben zurück und nach Hause gebracht. – Acht Tage lang schwebte sie in Todesgefahr. Fieber- und Wahnsinnsanfälle raubten ihr ganz die klare Auffassung der Gegenwart. Als sie ruhiger und fähiger wurde, ihr Elend wieder deutlicher zu fassen, war der Hochzeitstag des Ungetreuen erschienen. Schießen, Glockengeläute und Jauchzen drangen an ihr Ohr, man musste sie, ungeachtet aller Widerrede, unter den Birnbaum vor das Haus führen. Niemand, außer meinem Vater, sollte bei ihr bleiben. Den Hochzeitszug sah sie nach der Kirche gehen. Die ländliche, heitere Musik schmolz ihre schroffen, wilden Gefühle zu sanfter Wehmut. Meine Schwester weinte heftig. Als die Glocken schwiegen und der Zeitpunkt erschien, wo die Segnung des Brautpaares vollzogen wurde, ging ein Dorfbursche, eine Pistole in der Hand, zu einem großen Stein in der Nähe der Kirche und schlug darauf mit wütender Kraftanstrengung den eisernen Ladstock in das Rohr. Dabei fluchte er über das langsame Nachgeben des eingestopften Papieres, schüttete dann Pulver auf die Zündpfanne und wartete den Moment ab, wo die Segnung endet, um die Ladung loszubrennen. Ein Klingeln der Altarglöcklein zitterte durch die Luft herüber – der Bursche stand in Feuer und Dampf – dem Pistolenknall pfiffen tausend Metalltrümmer von dem geborstenen Gewehre nach. Ein Kirchenfenster, das nächste am Burschen, war zerschmettert, in die übrigen Sprünge gerüttelt. Dem Burschen hatte es beinahe die Hand zerrissen. Man lief bestürzt um den Verletzten zusammen. Manche beschlich eine seltsame Stimmung. Der Schuss, der Lärm, das Unglück, die ernste Feier der Kirche, das Gerücht von des Bräutigams Treulosigkeit – wirkte unheimlich zusammen. Mehrere standen bei Seite und winkten sich verstohlen zu; denn sie bemerkten, dass unter dem Birnbaum bei unserm Hause ein alter Mann, mein Vater, wie in Verzweiflung herumlief, sich mit seinen Nägeln die Brust zerfleischte, das Haar ausraufte, und die Worte in den wildesten Jammer tauchte. Er hatte während der Trauung die Verführung seiner Tochter aus ihrem eigenen Munde erfahren. Diese sank nach ihrem Schreckensbekenntnisse, aller Sinne beraubt, auf den Rasen nieder und gab kein Zeichen des Lebens von sich. In seiner zerrüttenden Raserei ließ sie mein Vater unbeachtet liegen und sah und fühlte nichts mehr in dieser Welt als sich und seinen wütenden Schmerz. Die heitere Hochzeitsmusik führte das Brautpaar aus der Kirche. Jedes Herz flüchtete dort schnell wieder zur Freude zurück. Allein, wie lispelnde Wellen an den Leichnam, den das Meer ans Ufer warf, so schmeichelten umsonst die lustigen Töne der Musik an meiner Schwester betäubtes Ohr, umsonst um meines Vaters graues Haupt, umsonst um und in mein Elternhaus, wo es schien, als hätte der Himmel allen Jammer hier zusammengeschüttet, um die ganze übrige Welt jubelnder Freude überlassen zu können.

Gedenke man einem Greise nicht allzu sehr manche willenlose Grausamkeit, zu der ihn die jammervollste Gemütsstimmung hinriss. Ihm war der unbefleckte Ruf der Kinder alles. Seine schlichte, fromme Leitung der Kinder war in der Gegend fast berühmt. Man hat seinen Rat vielfach gesucht, wenn es sich um das Wohl einer Familie handelte. Sein Stolz lag darin, auf das Betragen der Seinigen zeigen zu können, wenn es sich darum handelte, anderen Kindern ein Muster zu geben. –

Zwei Tage nach der erwähnten Hochzeit saß mein Vater im Winkel der Stube an einem Tische, das Haupt in die Hände geworfen, stumm vor sich hinblickend. Es war gegen Abend. Draußen klang es von allen Seiten aus den Kehlen der heimkehrenden Dorfbewohner und erinnerte den gequälten Greis an seine Freuden, als auch seine Kinder unter den Jubelnden waren. Er sah hinaus und erblickte meine Brüder, wie sie, abgesondert vom Schwarm, traurig und langsam neben einander hergingen. Meine Schwester ging eben über das Zimmer. Heiß, wie des südländischen Jünglings, wallte sein Blut. Vor ihm auf dem Tische lag ein großes Messer. »Mir, und ihnen, und allen das Leben vergiftet!« schrie er und schleuderte das Messer ihr entgegen. Es fuhr zwischen Schulter und Ohr vorüber, und tief in die Stubentüre. Kaum aber war die Waffe aus seiner Hand, als er einen Entsetzensschrei über seine rasende Tat ausstieß, dem misshandelten Kinde entgegenstürzte, wie vor Angst erblindet auf Gesicht, Hals und Brust das Mordmesser suchte, und lange wilde Worte der Verzweiflung ausstieß über das Blut, das er an seinem Kinde vergossen hatte. Er weinte und konnte lange nicht überzeugt werden, dass die Tochter unbeschädigt sei.

Heftige Szenen dieser Art wiederholten sich oft in meinem Elternhause, bis die Gewalt des Schmerzes zu milderen Regungen schmolz und in Tränen zuletzt bis zu beinahe friedlicher Ruhe erleichtert ward. So kam das Jahr um, ohne dass ich durch den leisesten Wink in die Trauerszenen der Meinigen gezogen worden wäre. Als große Wohltat muss ich diese zarte Schonung meiner Eltern betrachten, durch die ich vor vielen schmerzlichen Berührungen gesichert blieb…

Einige Zeit nach meiner Heimkehr war Musik in unserem Dorfwirtshause, das durch eine Wiese vom Hause meiner Eltern getrennt liegt. Durch die geöffneten Fenster der Schänke konnte man die heitere Musik hören. Meine Schwester war allein zu Hause geblieben, die Eltern wanderten um die Fluren, ich trieb mich im Walde herum, meine Brüder waren bei der Musik heiter und tanzten. Die Schwester ging vor das Haus, setzte sich mit dem Kinde auf dem Arme unter einen Baum. Da hörte sie jauchzen und spielen und verfiel in tiefe Trauer bei der Erinnerung an ihre Unschuld, an ihre einstigen Freuden am Tanz, wo sie stets zu den Fröhlichsten und Schönsten gehörte. Plötzlich erblickte sie einen Mann, der vom Wirtshause her über die Wiese gerade auf sie zuschritt. Sie erkannte ihn nicht gleich, weil ihre Augen in Tränen schwammen. Doch als er näher kam, erschrak sie heftig – denn es war ihr Verführer. Er ging in ihrer Nähe immer langsamer, zerpflückte einen Strohhalm zwischen den Fingern und war blass im ganzen Gesichte. Seine Mundwinkel zeigten ein höhnisches Lächeln. Vor meiner Schwester stand er still. – Angstvoll und verlegen sah sie ihn an. Einen Augenblick schien er unschlüssig, wechselte schnell nacheinander die Gesichtsfarbe, dann fuhr er plötzlich auf die Unglückliche los und versetzte ihr einen solchen Schlag ins Gesicht, dass sie wie tot liegen blieb. Das Kind war ihr schreiend und hilflos vom Arm auf die Wiese hin gerollt. »Das hast du für den Schimpf und die Beleidigung meines Weibes!« schrie der Wicht. Vor dem Wirtshause hatten sich Weiber, Männer und Mädchen, seine Anhänger, versammelt, um mit boshafter Freude der Misshandlung zuzusehen. Als die schändliche Tat geschehen war, schlugen sie ein lautes Gelächter an. Schnell verbreitete sich das Gerücht im Wirtshause. Meine Brüder und mehrere ihnen anhangende Burschen standen gerade um den Tisch der Musikanten, sangen und ließen sich spielen. Da hörten sie das eben Geschehene. Wie ein glühendes Messer fuhr es ihnen durchs Herz. – Ihr lang verhaltener Grimm sprang jetzt wie ein entfesselter Tiger hervor. In wenigen Sätzen waren die Entrüsteten über Schwelle, Hof – auf der Wiese, wo bereits der Schurke, Gefahr ahnend, flüchtend nach dem nächsten Dorfe rannte und noch zu rechter Zeit in einem Hause einen Versteck fand. Alles strömte aus dem Wirtshause dem Flüchtling und seinen Verfolgern nach, teils um jenen im Notfalle zu schützen, teils um diesen beizustehen. Spaten und Stangen waren in jeder Faust, allein der Flüchtling war nicht zu finden und so jeder blutige Auftritt vermieden. Mehrere Tage wagte sich jener nicht ohne Begleitung hervor, denn fürchterlich waren der Zorn und die Drohung meiner Brüder. –

Die Kirche unseres Dorfes war erst neu erbaut und nicht lange daselbst ein Priester eingesetzt. Es fehlte noch immer ein Gottesacker. Hinter dem Hause des vielerwähnten Bösewichts besaß ein Nachbar eine unfruchtbare Strecke Feld, die weder als Acker genug Getreide hervorbrachte, um der Bearbeitung wert zu sein, noch als Wiese hinlänglich Gras nährte. Der Platz und Preis waren geeignet, den Kirchhof dort aufzuschlagen. So geschah es. Der Bösewicht hatte nun den Kirchhof vor den Fenstern seiner Schlafkammer. Meine Schwester hatte seit jener letzten Misshandlung fast Klagen und Tränen verlernt. Sie war still, ganz still geworden. Wenn man von ihrem Beleidiger zu sprechen anfing, ging sie hinaus. Als man auf Bestrafung seiner letzten Untat mit Nachdruck dringen wollte, ließ sie es durchaus nicht zu. Ihr verschlossenes Seelenleiden griff sichtbar zerstörend ihren Körper an. –

Den ersten Oktober nahm ich Abschied vom Elternhause. Meine Schwester war nirgends zu finden. Ich musste fort – und mit schmerzlichem Vorgefühle empfand ich's, ich werde sie nimmermehr sehen. Auf jenem Hügel, wo ich bei meiner Heimkehr mit freudiger Rührung den Willkommensgruß ausrief, saß meine Schwester am Rain zwischen zwei Kornfeldern und wartete auf mich, bis ich vorüber musste. Der Wagen war bereits voraus, alle, die mich begleitet hatten, bereits zurückgekehrt. So trafen wir beide allein zusammen. Wir konnten nicht mehr sagen, als »Bruder!« und »Schwester!« und weinten lange einander am Halse. Hierauf machte ich mich los, sie setzte sich wieder auf den Rain, und ich hörte sie noch lange bitterlich schluchzen und weinen. –

Aus vielen Briefen von den Eltern las ich, dass die Schwester sehr abnehme an Kräften und stets verschlossener, stiller und einsamer lebe. Am 26. Oktober erhielt ich einen schwarz versiegelten Brief. – Darin hat mir der Vater meiner Schwester – Tod geschrieben. Sie ist die erste Leiche im neu errichteten Kirchhofe. Ihr Mörder kann aus seinem Fenster auf ihr Grab sehen. – Von jenem aber erzählt man seit meiner Schwester Tod allerlei Seltsames. – Er bat bei meinen Eltern um das Kind. Sie haben ihm die Bitte abgeschlagen. Er lebt äußerst zerfallen mit seinem Weibe. Um sich zu zerstreuen, hat er in seinem Hause eine Bierschänke errichtet und treibt sich oft in unglücklichen Handelsgeschäften lange in der Welt herum. –

Vor Kurzem waren meine Brüder durch anwesende Gäste gezwungen, sein Haus zu betreten. Verlegen und traurig grüßte er sie. Sprach wenig. Als die Gäste aufbrachen, sagte einer derselben: »Euer Haus ist alt, seht, wie die Balken faulen – es riecht hier drückend dumpf. Wirt, ihr müsst bauen!« Dieser sagte in Gedanken verloren und mit traurigem Nachdruck: »Mir faulen die Toten zu nahe, ich werde nichts mehr bauen!« – Dabei fasste er die Hände meiner Brüder, drückte sie krampfhaft und rief weinend wie ein Kind: »Ich habe eure Schwester geschlagen!« – An dem Pfosten der Haustüre lehnte er noch lange und sah meinen Brüdern nach. Dieselbe Nacht sah ihn ein Bursch, der am Kirchhofe vorüberging, auf dem Grabe meiner Schwester knien und beten. Am folgenden Tage war er verschwunden; – man sucht und sucht ihn umsonst. –

Ein Kirchweihfest

Langsam rückt eine dichte Herbstnebelmasse im mittleren Böhmerwalde hin und her; Dörfer, Höhen und Wälder sind davon umhüllt, und der nahe Morgen kann kaum eine schwache Dämmerung verbreiten. Während alles Regen und Leben in den Dörfern noch ein lähmender Schlaf niederhält, als wüsste er recht wohl, zum Genuss der Freude wie zum Ertragen von Beschwerden gehöre eine harmonische Stärkung der Glieder und Gefühle, verträgt sich ein einziges Herz allein nicht mit der einförmigen Ruhe der allmählich verschwimmenden Nacht. Aus dem Hause am östlichen Ende eines deutschen Dorfes drückt sich sachte ein hübscher, kräftiger Bursch, ganz angekleidet, aber ohne Halstuch und Hut. Seine schöne, schwarzlederne, mit weißen Schnüren an den Nähten ausgelegte Hose hält weiße Strümpfe unter den Knien aufrecht. Eine karminrotseidene Weste mit Goldblümchen und Silberknöpfen blickt scharf unter der veilchenblauen Manchesterjacke hervor. Offenbar ist das des Burschen Sonntagsanzug. Er scheint eine Wanderung vorzuhaben. Nachdem er sich die brennenden, schlafbegehrenden Augen gerieben, blickt er ernst und betrübt einige Augenblicke starr in die Dämmerung und den Nebel hinein, geht dann zum Bach hinab, der etwas tiefer am Haus vorüberfließt, hebt einige plaudernde Wellen heraus, um sich Gesicht, Hals und Haar zu waschen. Ein reines Schnupftuch dient zum Trocknen. Und nun zieht er einen derben knotigen Stock aus dem Zaun, bekreuziget Stirn, Mund und Brust, worauf er sein Morgengebet spricht: »Himmlischer Vater! Dir dank' ich für Schlaf und Ruhe; Heiland, stärk' meine Seele; Mutter Christi, bitt' für mich!« Es zittert seine Stimme, da er von Schlaf und Ruhe spricht, er weint, da er zum Heiland um Stärkung der Seele ruft, und bei seiner letzten Bitte wandert er bereits langsam in Dämmerung und Nebel hinein, ohne Ziel, ohne Plan, ohne Ruhe. – Hinter ihm fängt nun hier und dort ein Haushahn zu krähen an, bald mehr und mehre. Auch die Nebel fangen an, sich lebhafter zu dehnen und zu wiegen, was ein leichtes Morgenlüftchen verursacht; der nahende Morgen wirkt sichtbarer. Nach und nach scheint es, als ob Haustüren klappten und Menschenstimmen hörbar würden im Dorfe. Das Klappern der Dorfmühle dünkt freudiger, rascher, lauter. Wie ein plötzlich erwachendes Kind, halb schläfrig, halb erschrocken, ob nichts versäumt sei am Geburtstage der Mutter, vom Lager springt und mit einem Freudenschrei Worte des Glückwunsches stammelt: voll Treue, Liebe, Freude, Gott und Tugend, so ruft jetzt die kleine Dorfglocke zum Erwachen, zum Gebet, zu Friede und Freuden am Leben. Nun wird 's reger und lauter überall. Kinder, Burschen und Mädchen lärmen zuerst. Hausväter und Mütter sind still erfreut, freundlicher Ernst unter jubelnder Freude. Da geht's an kein Tagewerk; denn schon haben sich die Nebel enger und tiefer in die vielen kleinen Täler zusammengedrückt; die freigewordenen Spitzen der Höhen und Wälder stehen in milder Beleuchtung der Herbst-Morgensonne, ohne dass sich Leben und Lärm der Dorfbewohner auf die nahen Felder verbreitet. Wer nun außer Hause sichtbar wird, eilt zum Bach oder nähern Brunnen, um sich Kopf und Füße zu baden, oder man klopft dem Nachbarn ans Fenster zu einem freundlichen Gruß und Morgenplausch, oder man beeilt sich, die seit mehreren Tagen begonnene Ordnung und Reinigung um das Haus zu enden. Während man nun wäscht, plaudert, ordnet und drängt, steigt die Sonne in milder herbstlicher Verklärung im Osten höher herauf, wird der Himmel rein und prangt in ernstheiterer Blaue, feuchtet der Nebel bereits als Tau den Boden. So ist die Natur mit den Morgenvorkehrungen zu einem schönen Herbsttage eben noch etwas früher fertig, als die Dorfbewohner in Ordnung kommen können zum heutigen und herrlichsten Festtage des Jahres im südwestlichen Deutschböhmen. Es ist der Sonntag der Kirchweihe. Allgemeiner, nationaler, tiefer ist keine Festfreude in jener Gegend als an diesem und den beiden folgenden Tagen. Im dortigen Dialekt heißt das Fest: »da Kirda«. Jede Familie ist nach Vermögen ganz neu gekleidet. Nie im Jahre wird der Mittagstisch so reichlich mit Speisen bedeckt; drei Nachmittage und Nächte hintereinander ist Musik und Tanz. Es ist das Fest der Liebe. Verschwiegene Liebe bewahrt selten dieses Fest über ihre Verborgenheit, glückliche Liebe ist selig, unglückliche Liebe aber muss da die gefährlichste Krisis bestehen. Der Bursch, der liebt und wieder geliebt wird, verschafft dem Liebchen einige Tage vor dem Kirchweihsonntag (»Kirdasunta«) seinen neuen Hut und erhält diesen am Festvorabend mit einem großen Rosmarinstrauß zurück. Je reicher das Liebchen, umso reicher verziert es die Zweige und Blätter des Straußes mit silbernem Zitterdraht, goldenen Herzlein, Kunstblumen, Flittergold, kleinen farbigen Täubchen etc. Der Strauß ist quer um die Rundung des Hutes herum gewunden und lässt oft außer dem Schirme wenig von der Schwärze des Hutes sichtbar werden. Die Wahl des Rosmarinstraußes entspricht der Zartheit des Geschlechtes auch am ungebildeten, liebenden Mädchen; die bunte Verzierung ergibt sich aus dem Volksgeschmack. Diese Sitte hat eine liebliche Seele. Will sie nicht sagen, es kröne das liebende Weib sein Oberhaupt und seinen Herrn, schmücke sein Liebstes, wolle sinniges Spiel um das ernste Männerhaupt sehen, pflanze ein Freudenfähnlein ihrer Liebe aus, da es erlaubt ist und öffentlich sein darf? – Voll stolzer Verklärung erscheinen die Burschen mit dem Strauß am Hut, gehen damit in die Kirche und hängen den geschmückten Hut beim Tanze nur dann bei Seite, wenn sie ihn ohne Gefahr der Verletzung nicht mehr auf dem Kopfe behalten können. Leichte Fieber der Verlegenheit müssen freilich die Mädchen bestehen. Die Jahre, welche Burschen und Mädchen zu Helden dieses Festes machen, nennt man mit Recht in jenen Gegenden die goldene Zeit. Greise verjüngt die Erinnerung, und Kinder träumen in die Zukunft hinauf, wo ihnen diese Freuden, die sie kaum begreifen, zuteilwerden sollen. Junge Ehemänner werden beim Tanz zu Burschen, junge Frauen zu Mädchen. Ihnen liegt die goldene Zeit zu nahe. In den ersten Jahren der Ehe feiert man diese Tage als teures Nachfest. Die Mütterlein raten, beobachten, bekritteln und freuen sich an den Liebesspielen der Enkel. Diese allgemeine Festfreude spricht ein Volksgedicht aus.

Heargotl! wei is am Kirda so schei,
Wiad'n gonz'n To göss'n, gurzt und gsunga,
Deafma drä Ta zon Spiellädn gei,

Is nöd zon Schloffa r und Oarbatn zwunga
Is eng an Neidn sa Gwonta r east nui,
Glonznt do d' Stroßn – o jekassl ui! –

Doss du foa Stroßn koan Haud nöd sagst.
Standst a foan Haud durt'n znagst. –
Kirda! r o Kirda! wei homa dö gean,

Wei weama no dia so troarö wean!
's Gwonta wiad zrissn sa, d 'Flock'n san nimma,
Heatma wei long koan Spielmo mea stimma.

Der milde, ruhige Herbsttag ist heute eine freundliche Gunst für dieses Fest. Jedes Herz ist lebhaft rege. Wie das erste Zeichen der Kirchenglocke zum Gottesdienste ruft, ist jedermann schon gekleidet. Eine Familie lärmt um ihren Burschen, der sich mit seinem Hutstrauß zeigt, eine Mutter plaudert mit ihrer verlegenen Tochter, die einen Strauß gegeben hat. Man beeilt sich mit dem Frühmahl, nach welchem jede Hausfrau mehrere »Flock'n« auf dem Tische zerschneidet, für alle gemeinsam: Vater, Kinder, Knechte und Mägde im Haus. Der nahe feierliche Gottesdienst hält noch jeden Freudenlärm außer dem Hause nieder. Wo der beliebteste Bursch, da kommen nun die übrigen zusammen, um den Weg in die entfernte Kirche gemeinsam anzutreten. Alle Köpfe drängen sich an die Fenster, wo die Burschen vorüber müssen. Wer hat einen Rosmarinstrauß? Welcher keinen? Von wem ist jener und dieser? Und nun der Jubel der Burschen untereinander! Und nun das Gekicher, Verlegenheitsfieber, Necken, Plaudern der Mädchen, die sich gleichfalls versammeln, um zugleich den Kirchengang zu beginnen. Freilich sitzt auch auf manchem Hut ein Strauß, und das Mädchen, das den Burschen heimlich liebt, sieht nun die Liebeserklärung einer andern auf seinem Hute öffentlich zur Schau getragen. O mein Gott, das sind alltägliche Dinge, aber schmerzlich neu immer für den, der es eben an sich erfahren muss. O mein Gott, das hat die Liebe tausend- und tausendmal so gemacht, aber sie hat damit immer elend gemacht. – Nun muss man sich vorstellen, wie die Dorfpfarre, von welcher jetzt das zweite Glockenzeichen ertönt zum feierlichen Gottesdienst, inmitten vier reinlicher, anmutig gelegener Dörfer steht, aus denen bunt durcheinander, einzeln, gepaart und in Schwärmen über Wiesen und Felder die Bewohner zusammenströmen. Es zeigt sich ein Drängen und Treiben; jeden Augenblick scheint ein Jubel laut aufjauchzen zu wollen. Betrachtet werden von aller Augen Burschen und Mädchen. Nahe und weit sucht man die Gegenstände seiner Neugierde. Das Zusammenläuten der beiden Pfarrglocken treibt zur Eile, den nahen Beginn der Predigt verkündend, und wirft das Bunte der Nationalkleidung noch bunter durcheinander. Der Strom der Kirchengänger mündet in das Dorf, in die Kirche. Die Orgel tönt und begleitet ein Lied »Zum heiligen Geist«. Jetzt ist das zu Ende. Durch die geöffneten Kirchenfenster hört man den Prediger reden. Alles in der Kirche ist still und horcht auf; Frühling ist's in den Herzen der Zuhörer, die Freude will hervorbrechen und blühen; milder Ernst des Herbstes weht in den Worten der Predigt, manches Herz gleicht der Linde vor der Kirche und lässt dann und wann ein Blatt der Freude fallen. – In der ganzen Gegend ist es ruhig, still, ernst und feierlich. Nur selten da und dort ein flüchtiges Aufrauschen und schnelles Setzen versammelter Zugvögel auf den Stoppelfeldern. Gottesdienst hält auch die Natur. Von der Pfarrkirche eine Viertelstunde entfernt, erhebt sich eine Anhöhe, kegelförmig und kahl. Jetzt, in der milden Herbstsonnenbeleuchtung, bei der frommen Ruhe der Natur scheint sie ein betendes Greisenhaupt. An der westlichen Senkung der Höhe, von wo sich die Landschaft am Böhmerwalde mit dem Pfarr- und den vier andern Dörfern den Augen bietet, liegt der wunderbare Bursch, der vor Tagesanbruch seine trübsinnige, ungewisse Wanderung angetreten hat. Auf dem hingebreiteten Schnupftuche ruht sein Gesicht. Er weint heftig. – Wunderbar! – Der doch die rauere Nähe der Freude nicht sehen konnte und ihr auswich, sollte er diese Stelle aufsuchen, wo sie ihm aus sanfter Ferne lieblich und voll heiterer Liebe vor die Augen treten muss? Er wollte forteilen und sich verbergen. Was trieb ihn gerade her? Was sucht oder beklagt er? Als er diese Stelle noch lange vor Sonnenaufgang erreicht hatte, schien er gefasst, sein milder Ernst auf dem blassen Gesichte zeigte von innerer Kraft und Überwindung. So sieht resignierter Schmerz. Mit dem Kommen der Sonne und dem Verschwinden der Nebel trübte sich sein Inneres mehr und mehr. Er vernahm das Lärmen im Dorfe, es schien ihm, als hörte er Vater und Mutter und Geschwister nach ihm fragen. Das ließ ihn nicht unbewegt. Mit den Häusern des Dorfes erschienen seiner Phantasie dessen Bewohner. Er konnte erraten den Jubel seiner Kameraden, derber, glücklicher Burschen. Das regte ihn auf. Zwei Häuser in seinem Dorfe aber hatte er gerne zu sehen vermieden. Sie stehen durch eine Wiese getrennt und beide bedeutend von Nachbargebäuden abgesondert. Je mehr er hinzusehen sich sträubte, desto prüfender, unverwandter ruhten seine Augen darauf. Jede Gestalt, die aus einem oder dem andern dieser Häuser sichtbar wurde, schien ihm eine zu sein von den Gestalten, die sich vor allen in seiner Seele festgestellt haben. Es sind die Nachbarkinder der beiden Häuser, ein Bursch und ein Mädchen. Und als man sich zum Kirchengang aus allen Häusern drängte, half seine Einbildungskraft seinen Augen in solcher Aufregung nach, dass er aus allen Gestalten jene zwei deutlich herauszusehen glaubte. Er meinte einen herrlichen Strauß zu sehen auf des Burschen Hut und meinte zu merken, das Mädchen suche auf dem Weg nach der Kirche die zahlreichste Schar Mädchen, um sich verlegen unter sie zu mengen und zu verbergen. Endlich war alles in der Kirche versammelt, und er blieb sehr einsam mit seinem nun ganz wieder lebendigen Schmerz in der einsamen Natur zurück. Er drückte sein Gesicht zu Boden und konnte nicht hindern, dass er weinen musste. So finden wir ihn. – Da hört er plötzlich das Glockenzeichen der Wandlung von der Kirche her tönen, und er hebt sich voll tiefer Betrübnis auf die Knie, dreimal andächtig an die Brust klopfend und sprechend: »O Herr, ich bin nicht würdig« etc. Seine Tränen bleiben nach und nach aus. Der Augenblick schlichter Andacht wirkt wie milder Balsam. Er richtet sich ganz auf. Sechs Männer sieht er jetzt eilig die Kirche verlassen und quer über alle Wiesen dem Wirtshause seines Dorfes zueilen. Das sind die Musikanten mit Bassgeige, Zimbal, Violinen, Klarinette und Flöte. Das Hochamt muss bald zu Ende sein. Scheint fast, als ob ein Rauschen durch die ganze Gegend liefe; wie nach feierlichem Gottesdienste die stillen Andächtigen erwachen und laut werden durch Bewegungen, so scheint die Luft nun erst zu atmen, ein leichtes Bewegen der Wälder stört die gänzliche Ruhe der Natur. Einzelne Hausfrauen eilen aus der Kirche und nach Hause, um die letzten Vorkehrungen zum Mittagstisch noch zu rechter Zeit zu besorgen. Ihnen folgen bald Schwärme übermütiger Knaben, die vor der Kirchentüre erst ein wenig raufen und balgen, dann nach allen Seiten zerstieben. Nun einzelne Burschen – Männer, Greise, die folgen schnell und schneller aufeinander. Bald ist ein Gedränge. Bunte Wogen zerschlagen sich lärmend. Der Jubel will nicht mehr schweigen. Es wird ein Wettlauf nach Hause. Aus den offenen Fenstern der Wirtsstube hört man Stimmen und Versuchen der Instrumente. Aus den Kaminen steigt der Festrauch, verheißend des Jahres beste und reichste Tafel. Vor den Häusern hungrige, ungeduldig wartende Kinder, lauter Weißköpfe, und reinlich in neuen Kleidern. Und endlich das Grüßen, Schreien, Jubeln. Väter, Mütter, Kinder, Knechte und Mägde sind beisammen. Man betet, man isst. – Nach Tisch sammeln sich die Burschen in schönen weißen Strümpfen, schwarzledernen Kniehosen, rot- und grünseidenen Westen, karminroten Seidenhalstüchern um den Hals und schwarzen oder veilchenblauen Manschetjacken in der Wirtsstube. Geschämiger und ängstlicher gelangen die Mädchen auf Umwegen hinter den Häusern heran. Vor der Stubentüre im Vorhause bleiben sie stehen, und keine will den Anfang machen, einzutreten. Während sie nun kichernd sich hier zusammendrängen, lassen die Burschen Musik von innen ertönen, da sie die Gegenwart der Tänzerinnen merken. Die Aufregung der Musik belebt die Mädchen mit Mut. Es wagt die Kühnste ihre Hand auf die Klinke zu legen – patsch, schlägt eine zweite ihr die Hand nieder und der Andrang schleudert nun weit die Türe auf, dass die Vordersten bis in die Mitte des Zimmers vorgestoßen werden, die sich wieder verlegen zurückzudrängen suchen. Allein schon hat dem verlegenen Gekicher und Gewirre der tanzlustigste Bursch abgeholfen, indem jeder einer Gewissen winkt und pfeift und sie beim Namen ruft. Die Gemeinte springt frisch zum Tänzer hin, und sogleich geht es voll Leben in der holprigen Stube herum. – Der beliebteste Tanz ist der Ländler. Er wird auf steirische Weise getanzt von denen, die im Rondeau sich bewegen, allein innerhalb des Kreises stellen sich zugleich so viele Paare auf, als nebeneinander Platz finden, um sich gleichsam um ihre Achse drehen zu können. Dieses Herumdrehen geschieht taktmäßig so, dass ein Takt zu einer gänzlichen Drehung hinreicht, und der Schluss jedes Taktes wird durch ein Senken und Stampfen des Paares markiert. Mit diesem eigentümlichen Tanze ist ein häufiges Aufschwingen der Tänzerin verbunden. Originell ist der musikalische Vortrag des Ländlers. Der erste Teil wird zweimal gespielt, wobei die Klarinette das Hauptinstrument ist. Eine Flöte sekundiert harmonisch, und zwei Violinen, ein Zimbal und ein Bass akkompagnieren piano dazu. Ist nun der erste Teil zweimal gespielt, so wird er gleichsam umgekehrt und wieder zweimal vorgetragen. Hierauf wird die Geige das Hauptinstrument und verändert denselben ersten Teil des Ländlers in ein willkürliches Gefiedel, aber in veränderter Tonart (z. B. aus C-Dur in G-Dur übergehend). Mit dem Vorgeiger klimpert nun auch das Zimbal die gleiche Partie, die Sekundgeige und der Bass arbeiten lebhaft mit, wozu bisweilen das Schmettern einer Trompete sich gesellt. Klarinette und Flöte rasten. Während der zweite Teil des Ländlers abermals vierfach abgefiedelt wird, gehen die Tänzerpaare, wenig angeregt, nur langsam herum oder stehen, ein Gespräch unterhaltend, zur Seite. Die Tänzer – »af oan Platzl« – wie sie den Tanz innerhalb des Rondeaus nennen, treten auch nur von einem Fuß taktmäßig auf den andern, ziehen abwechselnd eine Hand der Tänzerin nach der andern ebenso taktmäßig an sich und stoßen sie wieder ab, so dass die Tänzerin in einer Halbdrehung erhalten wird. Wie man aber den Schluss des zweiten Teiles merkt und nun das Klarinett-Flötensolo mit Akkompagnement der übrigen Instrumente beginnt, da scheint eine entzückende Raserei in die Tänzerpaare zu fahren; es entsteht ein Jauchzen und Springen, viele Burschen brechen vor Entzücken in ein durchdringendes, taktmäßiges, grelles Pfeifen aus, andere singen den Ländler mit. Je wilder sich da der Bursche äußern kann, desto willkommener ist es ihm. In der stark gefüllten Tanzstube ist nun der Tanz eine wahre Schlacht. Dort und da bleibt einer, voll Seligkeit sich vergessend, im Rondeau ohne Umstände stehen und beginnt »af oan Eartl« zu drehen. Die Nachtänzer schwellen hinter ihm an und sind gezwungen, um das schöne Solo nicht unbenutzt zu lassen, ebenfalls »af oan Platzl« anzufangen, so dass es plötzlich im ganzen Zimmer ein Drehen, Heben und Senken ist. Die Tänzerinnen fliegen häufig über die Köpfe, und die Szene gleicht einem Wirbel, auf den ein häufiger Platzregen fällt, wo die scharf aufschlagenden Wassertropfen über der drehenden Masse hüpfende Figürchen bilden. Vier solche Ländler machen eine Tour, während welcher kein Bursch seine Tänzerin wechselt oder aufhört. Beim letzten Klang der Musik fasst der Bursch seine Tänzerin, führt sie in die Kammer, wo mehrere Tische besetzt sind, reicht ihr sein Glas zum Trinken und lässt sie dann laufen, wenn sie ihm gleichgültig ist, oder setzt sie zu sich an seinen Tisch, wenn sie seine Dulcinea ist. In der Tanzstube aber gruppieren sich die meisten Burschen um die Musikanten, indem sie sich gegenseitig die Arme um den Hals schlingen, und singen eine beliebte Volksmelodie, der sie immer abwechselnd andere Texte unterlegen, wie:

Deanal gei hea zon Zau,
Los ma do rächt oschau,
Wos du füa r Äugerln host:
Schwarz oda brau?

Äugerl mein is nöd schwoarz,
Äugerl mein is nöd brau;
Äugerl mein is jo nur,
Di onzuschau!

Glonzat koan Äugerl dia,
Klopfat koa Hearzal dia,
Was o koa Lö'm mea, galt?
Af deara Walt.

Dös is a Taiflsgschboas,
Doss eiz da Voda woas:
Doss i a Deanerl ho –
Durt hinta 'n Zo.

Juche! du frischa Bua,
Knöpf dia da Tascherl zua,
Wenn a mol 's Tascherl springt –
's Geldl foklingt!

Wissat i goa so gean,
Wear ihra Schotz wiad wean,
Mia r is von Hearz'n guat
Sogt mia ma Bluat. – usf.

Nach jedesmaligem Absingen eines solchen Textes spielt die Musik die Melodie nach, und die Burschen jauchzen und springen dazu, die Mädchen aber hangen sich zu zwei und zwei zusammen und tanzen nach derselben »af oan Eartl«. Die Burschen, die gesungen haben, zahlen hierauf die Musikanten, und fordern mit folgendem Texte zur Erneuerung der Tanzmusik auf:

Spielleut spielt's ummat um,
Doss i zo man Deandla kum,
D' Buama fodrüaßats scho,
Doss ma nöd tonz'n ko. –

Die Musikanten spielen die Melodie zum letzten Male nach. Indes sucht und paart sich alles, und die Primgeige bildet durch einige Striche zum neuen Ländler den Übergang. – Eben lärmt dieser Jubel in der Wirtsstube. Man drängt, man sucht sich zu halten und zu drehen. Nie waren mehr und derbere Burschen beisammen. Hübsche Mädchen in Menge. Die Hüte mit den Rosmarinsträußen hängen bereits auf den Hirschgeweihen herum oder sind besonderer Sorge halber dem Wirt übergeben worden. Die Burschen bedecken nun mit kleinen, ledernen Käppchen den Wirbel des Kopfes. Der beliebteste Ländler beginnt. Dichtes Gedränge vermehrt die wütende Lust freier Bewegung. Alles dreht »af oan Eartl«, gewaltsame Bahn erkämpfend. Keine Jacke ist bereits den Burschen am Leibe. Man kämpft eine rasende, selige Schlacht. Die Männer, welche nun bereits als Zuschauer an Ecktischen sitzen, halten ein mit Trunk und Diskurs. »Sakra!« ruft einer, und haut auf den Tisch – »Sakra! A so san ma r a gwöst foa Zatn!« – »Jessas, i holts nimmar os! – Laussts mö oi! – Kirda, o Kirda! wei ho ma dö gean! Dös Gwirr! Dö Musö! Sakra, ma Bua durt! ATaiflsbursch! Und ma Tochta! Dö kimmt's! Wea hot wieda an söchan Burschn, und wea hot wieda a söchanö Tochta!« So schreit man durcheinander. Und mancher schwingt entzückt seinen Hut, wenn er den Sohn oder die Tochter im lustigen Tanzgewirr sichtbar werden sieht.

Ein ziemlich bejahrter Mann aber sitzt still und betrübt am Ecktische zunächst der Türe. Er hört wohl die anregende Musik, aber sein Gesicht kehrt er weg vom Tanze. Der Freudenruf seiner Nachbarn am Tische regt ihn endlich auf. Er will sich betäuben, dass er den Druck seines Grames nicht fühle. Glas um Glas stürzt er hinab. Alle um ihn loben ihre Söhne, jeder den seinen als den bedeutendsten. Das wird zum Wortgefecht, und die Farben des Lobes werden immer greller aufgetragen. Der stille Mann trinkt und schweigt noch immer. Aber eine heftige Glut steigt ihm nach und nach in das Gesicht. Er muss anhören, wie zwei seiner Nachbarn auf die Tischplatte hauen, aufstehen und in wildem Eifer die Eigenschaften ihrer Söhne zergliedern, besonders hochrühmend ihre Gestalt und Stärke. Jeder spricht mit Übertreibung die Behauptung des andern ab. In die Hitze des Wortwechsels mischt sich Erbitterung. Die lauttönende Musik, das Geräusch des Tanzes, das Schnalzen, Pfeifen, Jubeln der Burschen und das Gekicher und Gelächter der Mädchen lässt den Streit am Tische nicht weiter als gerade den Nebensitzenden merkbar werden. Man ermahnt die Streitenden, die Sache nicht zu verfolgen; sie geben auch nach. Aber da sie in Hitze und Zorn viel getrunken, ist ihre Ruhe die eines fernen Gewitters, der Blick Wetterleuchten, das Wort fernes dumpfes Donnern. Der eine von den Streitern hat überdies einen seltsamen gefährlichen Nachbarn, die hagere boshafte, bissige Gestalt eines Binders, der vor wenigen Tagen erst aus der Fremde zurückgekehrt ist. Dieser scheint den Ausbruch eines Kampfes sehr zu wünschen. Seine anreizenden Winke und unausgesetzten Anspielungen müssen, wenn er fortfährt, am Nachbarn zünden. Er fährt auch fort. Umso mehr plänkelt er, als er bereits parteiliche Stimmungen unter den Herumsitzenden gemerkt hat. Jetzt ist der Tanz zu Ende. Die Tänzer ziehen ihre Tänzerinnen in die Kammer und an Tische, dass sie trinken. Der frühere, sozusagen taktmäßige Lärm zerschlägt sich in freudiges wellenähnliches Gemurmel. Um die Musikanten reihen sich singende Burschen, liebende Paare rasten und schäkern auf den Wandbänken herum, andere drehen sich nach dem Takt der gesungenen Melodie mitten in der Stube. Die Szene zeigt argloses munteres Bewegen. Da fällt es einem Burschen bei, mit seinem Lederkäppchen einen zweiten scherzend auf den Rücken zu schlagen. Der zweite erwidert den Schlag, auch scherzend. Der Spaß unterhält sie. Das schallende Patschen der Lederkappen auf den von Schweiß feuchten Rücken macht aufmerksam und sammelt mehrere Zuschauer. Man lacht und neckt wieder im Scherz. Die Hiebe fallen schneller und derber. Immer noch im Spaß. Da sich Zuschauer und Bemerkungen vermehren, setzen die Burschen ihre Kappen auf und beginnen einen Versuch ihrer Kraft. Sie verschlingen die Finger ihrer Hände und versuchen so einander rückwärts zu drängen. Nun tritt einigermaßen die Eitelkeit ins Spiel. Die Kraft der Arme steht beim Landvolk in Ansehen. Wer den Arm bezwingt, ist gewöhnlich Meister über den Körper. Und die Überlegenheit der Stärke schmeichelt dem männlichen Stolz. Die Burschen widerstehen sich ziemlich gleich. Nach mehreren Versuchen muss der eine sichtbar rücken. Das Lachen und Anfeuern von Seiten der Zuschauer zieht die Aufmerksamkeit des ganzen Hauses an sich. Man drängt sich von den Tischen herab und hinzu. Auch der Ecktisch an der Stubentür wird leer, und die beiden Männer, die früher in Streit geraten waren über die Vortrefflichkeit ihrer Söhne, sehen nun, dass gerade ihre Söhne im Wettkampf der Stärke begriffen sind. Das spannt ihr höchstes Interesse. Die beiden Burschen hören den Aufmunterungsruf ihrer Väter. Sie werden ernst. Ein heftiger Versuch macht den einen abermals rücken. Der Besiegte hört Schmach und Fluch über sich rufen aus dem Munde seines betrunkenen Vaters. Beifall belohnt den andern. Die Zuschauer stehen bereits auf Bänken und Tischen. Die Armprobe hat den Besiegten entmutigt, aber er will seinen Stolz entschädigt sehen. Er sucht zu lachen. Es geht nicht recht. Scham verzieht ihm die Lippen. Unter halbem Zähneknirschen und Lachen umschlingt er den Sieger und ruft »Moch ma 's a so!« Die Vorteile, welche er als Angreifer sich ungerecht herausnimmt, sind ihm lange nicht abzugewinnen. Hände und Füße der Ringer verflechten sich gewaltig. Die Umstehenden sind ganz still. Kaum dass sie atmen. Man hört nur die Kämpfer heftig schnaufen. Plötzlich stoßen die Zuschauer einen allgemeinen Schrei aus. Der frühere Sieger schwebt, um zu fallen. Aber eine meisterhafte Kraftanwendung stellt ihn fest, und der Gegner liegt in diesem Augenblick selbst auf den Knien. Betäubender Lärm vermengt die lauten Äußerungen des Beifalles und des Missfallens. Unruhestifter hätten jetzt gutes Spiel. Da ist schon einer, der hagere Binder. Seine Absicht wird gerade durch den Umstand begünstigt, dass der Sohn des Freundes der Sieger ist. Ein Schwall von Lobpreisungen und Kränkungen stürmt aus dem Munde desselben; erstere über seinen Sohn, letztere über den besiegten Burschen und dessen Vater. Die friedlich Denkenden sehen die allgemein bedenkliche Spannung und wollen vorbeugen. Die Ringer werden auseinander gebracht. Dem Sieger blutet die Lippe stark. Er hatte sich im gefährlichen Momente stark gebissen. Der Wirt, ein edel denkender Mann, redet lauter friedliche Worte. Die Zuschauer drücken sich in verschiedenen Stimmungen lärmend auseinander. Man sucht den Vater des besiegten Burschen zu beschwichtigen. Er muss gewaltsam an den Tisch gebracht werden. Was aber friedenstiftende Männer an dem Vater des Siegers verbessern, das verschlimmert heimlich der hagere Binder wieder. Eine sehr gefährliche Währung erhält sich am Ecktisch bei der Türe. Der Kampf beider Burschen hat die Gemüter noch mehr gespalten, und weil Wirtshausgefechte zwischen Burschen und Männern nicht selten sind, so scheint einige Sorge gegründet zu sein. Löblich, wirklich äußerst brav benehmen sich aber jetzt die beiden Burschen. Der Sieger nähert sich dem andern, reicht ihm die Hand, und sagt mild: »Brüaderl! Wos is denn? Wea hot's denn a so gmoit?« Der Besiegte wischt sich den Schweiß vom Gesicht, hört hinter sich Worte der Versöhnung und gibt ein wenig betrübt, aber lächelnd die Hand hin, indem er sagt: »An onas mol i!« – Einige lustige Burschen machen in diesem Augenblicke freudige Bocksprünge und brechen in betäubendes Jauchzen aus. Ein schallendes Gelächter der Mädchen folgt; die Musik beginnt und glättet zufrieden die meisten Herzen. Während des Tanzes aber werfen die erhitzten Gemüter am Ecktisch bei der Türe von Zeit zu Zeit glühende Lava der Erbitterung aus. Es gelingt einige Male, Ruhe herzustellen. Der hagere Binder aber legt immer wieder heimlich Feuer. Wild, außer sich vom Trunk, erhitzt und betäubt, mischt sich endlich der früher erwähnte stille Mann wütend in den Streit. Soll er anhören und dulden, dass man sich nun sogar Bemerkungen über seinen Sohn erlaubt, ihn Träumer und Kopfhänger nennt, der die Menschen scheut, und nicht das Herz hat, vor andern laut und lustig zu sein? Soll er nicht auf die Gestalt seines Sohnes pochen, die sich geregelter und lieblicher darstellt als jedes andern Burschen im Dorfe? Weiß er nicht, dass eben sein Sohn vor kaum einem halben Jahre den Burschen, der eben im Ringerkampfe gesiegt hat, bei einem ähnlichen Kraftversuch zu Boden geworfen? Und er soll nun Bedenken äußern hören über seines Sohnes Kraft? Und er soll tadeln lassen, wo er mit so vielem Recht loben kann? Das lässt er nicht zu; das will er nicht hören! Gewaltsam, dass ihm der Schweiß der Mühe auf sein rotglühendes Gesicht stürzt, will er die lahme Zunge lebendig machen, dass sie seiner wilden Begeisterung für seinen Sohn lobreden helfe. »Wei ma Su, koa onana mea! – Koa onana mea!« Wie mein Sohn, kein anderer mehr! Kein anderer mehr. Mehr Worte bemeistert er nicht für seine Begeisterung. Sein Zorn unterbricht ihn oft und heftig. Tisch und Gläser zittern vor seinem wütenden Faustschlag – »wei ea, koa onana mea! Koa onana mea!?« – Der hagere Binder winkt zwei andern seines Gelichters und geht mit ihnen hinaus. Indes haben einige Burschen vom Tanz aufgehört und sich achtsam oder beschwichtigend um den Tisch gestellt. Die beiden Burschen, die früher gerungen, reden versöhnend. Der Sieger kommt nun auch zum neuen Gegner des Vaters, lehnt sich über dessen Schulter, spricht mild und besänftigend, sagt, dass sein Sohn und er sich lieben wie Brüder, dass sein Sohn der beste Bursche sei in der ganzen Gegend, dass er gern eingestehe, ihm an Kraft nachzustehen, dass er und alle Burschen betrübt seien, ihn nicht unter sich und lustig zu sehen, dass man bedaure und sich verwundere, wie sein Sohn so still, verschlossen und wehmütig sich absondere von seinen Kameraden und sich vom liebsten Fest des Jahres seltsam ausschließe, wie man wundersam betrübt werde, sooft man seinen Sohn erblicke. Der Angeredete ist so ergriffen, dass ihm zwei große Tränen über die Wangen laufen. Eine tüchtige Hausfrau, die seit einiger Zeit gekommen und sich zu ihrem Manne an den Tisch gesetzt hatte, bemerkte bald die heimlich reizende Bosheit des hageren Binders, der nun eben wieder hereinkommt mit seinen zwei Freunden und sich auf seinen Platz begibt. Die Streiter beginnen eben zu schweigen, vor sich auf den Tisch zu starren und zeitweise zu trinken, ohne wechselseitig sich noch die Umstehenden anzusehen. Der hagere Aufwiegler beginnt aber kaum sein heimliches Manöver wieder, als das gegenübersitzende Weib aufspringt, und hocherzürnt ihn anredet im Volksdialekt: »Was hast du im Sinn, Halunk? Bist du nicht froh, dass des Lärms ein Ende ist? Lump! Machst du mir die Männer noch einmal wild, so henk' ich dich auf, du Gespenst, du!« Dabei schlägt sie auf den Tisch, dass die Gläser klirren. Der von dem Burschen zuletzt beschwichtigte Mann erhebt sich jetzt aus seinem stummen Hinbrüten, steht auf und sagt mit verweisendem Blicke auf den hageren Aufwiegler: »Na, na, na! Fronz, heund nimma!« Dann reicht er die Hand über den Tisch dem Vater des siegenden Burschen, und spricht: »Bruada, gi ma d' Hand – 's is nix – sama guat!« Der Angeredete steht nun auch auf, indem mehrere Stimmen rufen: »So is rächt! Kemt's zom!« Wie sich aber die Versöhnenden die Hände reichen, tut der erstere die arglose Frage: »Bruada, wie viel Finga host du?« Der Gefragte, der sich in der Jugend den Mittelfinger der rechten Hand verstümmelt hatte, meint das als Spott: »Himmelsakrament!« donnert er, reißt seine Hand zurück, ergreift sein Glas und schleudert es nach dem Kopf des Fragers, der sich bückt, dass es an der Wand in tausend und tausend Scherben zersplittert. Man tanzt eben wieder. Die Burschen lassen ihre Tänzerinnen los, die schreiend entfliehen oder zurückhalten wollen; im Augenblicke sind alle Stühle zerschmettert und die Stuhlfüße zu Waffen geworden. Wie durch langes Verständnis teilt man sich in zwei rasende Parteien. – Knaben, die vor den Fenstern auf dem Rasen spielen und lärmen, hören das fürchterliche Getöse und sehen Stuhlfüße und Gläser aus den Fenstern fliegen. Sie ergreifen die Flucht und laufen nach Hause. Ein Weißkopf, der gehört hatte, dass sein Vater dabei sei, will die Schreckensnachricht seiner Mutter bringen und stürzt fort bis an das östliche Ende des Dorfes, wo er in eben das Haus eilt, aus dem wir vor Tagesanbruch den schwermütigen Burschen kommen und fortwandern sahen. Als der Weißkopf in die reinliche Stube springt, sieht er die Mutter am großen Tisch sitzen und heftig weinen. Neben ihr auf dem Tische liegen ein Hut und ein Halstuch. Was sollte sie sich vorstellen? Konnte er so unter Menschen gegangen sein? Das geheimnisvolle Verschwinden ihres Sohnes vor Tagesanbruch und sein Ausbleiben, da es sich bereits stark gegen die Abenddämmerung neigt, veranlasste sie, seinen Kleiderschrank zu untersuchen. Sie fand ihres Sohnes Sonntagskleid nicht, aber Hut und Halstuch. Was sollte sie sich vorstellen? Musste es nicht auf traurige Seelenzerrüttung weisen, die man seit längerer Zeit im Burschen überhand nehmen sah? – Der kleine Weißkopf bringt lärmend die Nachricht vom Wirtshausgefecht und der Gefahr des Vaters. Heftige Angst erfasst die Mutter, und sie will eben zur Türe hinaus und fortstürzen, als der wunderbare Sohn ihr entgegentritt. Er erschrickt, die Mutter so zu finden, und weiß kein Wort zu sagen. Weinend vermengt die Mutter Worte des Vorwurfes mit stürmenden Worten der Angst und fällt dem Sohne an den Hals. Blühende Rosen sind plötzlich des Burschen Wangen, da er von der Gefahr des Vaters hört. Seine Gestalt schwillt von Kraft. Man sieht wohl, ein tätig reger Geist würde den Burschen über jeden andern stellen. Ein Wink und Wort sagt der Mutter, da zu bleiben und ruhig zu sein. Er ist fort, ohne Hut und Halstuch, wie er war, bevor sie antwortet. Wie er an das Wirtshaus kommt, sieht er den Binder und mehrere seiner Partei fliehen. Dumpfes Stimmengewirr dringt aus der Tanzstube, die Fenster sind von außen mit Zuschauern umstellt. Der Bursche erreicht die Schwelle der offenen Türe. Der erste Blick sieht den Kampf geendet, hie und da noch Wortwechsel. Die meisten Burschen atmen heftig wie nach der anstrengendsten Arbeit und wischen sich den Schweiß vom Gesichte. Weiber hängen an den Männern, Mädchen am Geliebten, Geschwister und Eltern an Burschen, vorwurfsvoll zurechtweisend, beschwichtigend, ängstlich nach Verletzungen suchend. Der eben eintretende Bursch erblickt jetzt auch seinen Vater, der im Winkel an der Türe lehnt, müde und betäubt, wie ihn einige kräftige Gegnerfäuste dahin geschleudert haben. Wie dieser seinen Sohn erblickt, richtet er sich auf. Schwere Vorwürfe will er ausstoßen, aber er kann nicht gleich reden. An den Schultern fasst er ihn krampfhaft, Vaterliebe übermeistert ihn, und all seine Leidenschaft bricht in die Worte aus: »Du – na, na, na! – Wei du koa onana mea!« Du – – nein, nein, nein! – Wie Du kein anderer mehr! An sich reißt er den Sohn, klopft ihm schluchzend den Rücken und herzt und küsst ihn wie ein Kind: »Wei du, koa onana mea!« Dann erzählt er die Ursache des Streites, wie er nicht haben wollte, dass man seinen Sohn zurücksetze, wie er seinen Sohn keinen Träumer und Feigling heißen ließ, wie er seines Sohnes Kraft gerühmt und endlich die Geschichte der Versöhnung und mit dem Finger. »Jetzt wären viele ihrer Feinde davon«, setzte er fort, »sein Sohn müsse beweisen, dass er kein Träumer und Kopfhänger sei, dass er lustig sein könne wie andere, damit die Feinde, die noch da wären, überzeugt würden, was er Besseres sei, als Träumer und Kopfhänger!« Die Burschen, die weiter kein Groll bewegt, eilen herzu, zeigen ihre herzliche Freude, dass ihr liebster Kamerad nun kam, und sagen, wie sie nur kämpfen mussten für die Sicherheit ihrer Verwandten, jetzt aber wieder ganz friedlich und lustig sein wollen. Die meisten berauschten Männer brachte man schon fort. Bescheiden dankend reicht der begrüßte Bursch allen die Hand, und da seine frühere Aufregung sein Blut noch lebhaft bewegt, scheint er nicht teilnahmslos den Tanz eben wieder beginnen zu sehen. Sein reges Gemüt wird durch die Musik noch reger. Aber betäuben wird er sich müssen, das fühlt er wohl. Das Schlimmste, was er geflohen, muss er jetzt vor Augen haben. Beim Tanz wird er auf Dornen treten, jeder Freudenschrei der andern wird ihn verwunden in tiefster Seele, das Auge wird ihm übergehen, will er lachen. Er hat es schon erblickt, das liebende Paar, das blonde Mädchen mit dem erwähnten siegenden Burschen dort in der Ecke, und wie sie herzen und sich freuen der überstandenen Gefahr. Er setzt sich und trinkt. Sein Auge will den Anblick meiden: »Brüaderl, mochs no! Brüaderl, mochs no!« rufen ihm die Kameraden da und dort zu. Er winkt ihnen, und legt die Hand über die Augen, die Stimme seines anfeuernden Vaters tönt ihm in die Ohren. Er trinkt und trinkt. Seine Hitze wird vermehrt, aber ihm ist nicht geholfen. »Wei du, koa onana mea!« ermuntert der Vater. »Trink, Brüaderl, mochs no!« muntern die Burschen ihm zu. Lärmende Freude umwirbelt ihn. Er trinkt und trinkt – aber ihm ist nicht geholfen: »Jessas und Brüaderl, du a do?« hört er eine freundliche Stimme. »Willst du nöd tonzn? Wos is dia, no sog? Und willst du nöd tonzn?« Das liebende Paar steht vor ihm und hat ihn so angeredet. Die Blonde schäkert und nennt ihn bei Namen. »Gongerl«, sagt sie, »wea wiad denn so troarö sa? Und willst nöd tonzn mit mia? Is denn nöd Kirda? Wos und nöd tonzn und singa? Wei ko ma so troarö sa?« Vater und Freund und Nahestehende stimmen ein und drängen, dass er tanze, gleich mit der Blonden. Die Betäubung, mit der seine Sinne und Seele ringen, kann er dem Trinken nicht zuschreiben. Man treibt, befeuert, jubelt ihm nach. Er tanzt mit der Blonden, die freundlich schäkert und all die Dolche arglos übersieht, die dem Burschen das Herz durchstechen. Er hört und sieht nur, die er im Arme hält. Alles um ihn ist Blendung und Brausen. Er wütet und dreht, wie beim aufregenden Klarinettsolo, so beim Gefiedel der Geigen und der zitternden Tränenflut des Zimbals, Ländler um Ländler, bis die Tour zu Ende ist. Außer Atem lächelt ihn die Blonde an und patscht freundlich lächelnd ihre Hand in die seine, als jetzt die Musik schweigt. Jubelnd strömt man um ihn zusammen. Er jauchzt! Es schwimmen und glänzen ihm die Augen. Mit der Linken umschlingt er die Blonde und wirft wie abwehrend die Rechte ihrem Liebsten, seinem Freunde, entgegen und ruft taumelnd: »Brüaderl! Brüaderl! O Brüaderl!« Dann umfasst er die Blonde mit beiden Armen, küsst sie auf die Stirne und küsst sie wieder, und man lacht und neckt. Es suchen ihre Augen, Wangen und Mund seine Küsse. Man findet es lustig. Man sieht es, dass er wie rasend jetzt ausbrechen will in sonderbare, geheimnisvolle Worte, dass ihm die Sprache versagt. Wie glühendes Erz stürzt ihm Träne um Träne aus den Augen. Das scheint wohl nicht Scherz mehr. Fort zieht er das Mädchen. Das erste Glas, das er erreicht, stürzt er hinab. Man will ihn halten. Man reißt ihm das Mädchen mit Gewalt aus dem Arme. Man wehrt ihm zu trinken. Laut weinend liegt er endlich seinem liebsten Freunde an der Brust und stößt, die Sprache wiederfindend, die Worte aus: »Brüaderl, sie is! Brüaderl, sie is!« Verwunderung zeigt jedes Gesicht. Teilnahme erregt ein leises Gemurmel. Die Blonde steht regungslos und bleich dabei. – Der unglückliche Bursche bricht selbst nach einer Pause auf. Er erhebt sein Angesicht, sieht sich flüchtig um und begehrt, dass ihn die Musik begleiten möchte, er wolle nach Hause gehen. Die sonderbare plötzliche Ruhe des Burschen bewegt jedes Gemüt. Man fordert seinen Vater auf, ihn zu begleiten. Mehrere Freunde schließen sich an. Die Musik beginnt. Aber an der Türe dreht er sich um und sagt dem Burschen, der ihn am Arme führt, dass er ihm helfen möchte zurückzukehren; – auch stören ihn der Hut und das Band, das ihm über die Augen herabhänge. Der Bursche führt ihn einige Schritte zurück, bemerkt ihm aber, dass er keinen Hut auf dem Kopfe habe und von einem Bande nichts zu sehen sei. In diesem Augenblicke sinkt jener zu Boden. Man schreit und will retten! Der Bursche drückt beide Hände krampfhaft gegen die Brust, dann zuckt er einige Male mit dem linken Fuße und erstarrt.

Die Musik lässt der menschenfreundliche Wirt nicht mehr fortsetzen. Es ist bereits Nacht geworden. Die Burschen und Mädchen wünschen auch nicht mehr zu tanzen. Die meisten weinen und stehen seitwärts oder gehen betrübt nach Hause. Der betrunkene Vater des Toten wird von mehreren gehalten, dass er in seinem wilden sprachlosen Schmerz nicht Unerwartetes begehe. Sein Gesicht ist aufgetrieben und dunkelrot. Seine Augen stehen nur ein wenig offen, und die rechte Hand presst er krampfhaft um den Arm eines ihn haltenden Nachbarn. Man führt ihn fort, die Leiche wird ihm nachgetragen. Da sich alle Gäste tiefbetrübt zerstreuen, werden sonderbare Momente aus dem Betragen dieses toten Burschen in letzterer Zeit erzählt. Jetzt, da man sein Geheimnis weiß, beginnt alles wichtig zu werden, und weil jedermann einen so auffallenden Gegenstand gerne mit Wunderbarem ausschmücken sieht, so ermangelt es auch nicht an seltsamen Beobachtungen. Viele geben an, der Bursche hätte schon ein volles Jahr seine heimliche Liebe empfunden, und weil er die erstere Zeit noch alle Stärke besessen, zu verschweigen und zu unterdrücken, wäre es auch sehr schwer gewesen, auf eine Spur zu geraten. Aber das widerlegen andere; denn man wisse ja wohl, sagen diese, dass am Kirchweihfeste des vorigen Jahres ein Strauß auf seinem Hute zu sehen war, der bekanntlich von einer andern gegeben wurde. Und gerade das, meinen die ersteren wieder, zeuge dafür, weil es ja denkbar sei, dass er des Verbergens seiner Leidenschaft halber den Strauß von einer andern nahm, dass aber schon am zweiten Kirchweihtage der Strauß verschwunden und das Mädchen ohne viel Aufmerksamkeit behandelt worden wäre. – Manchen überrascht die Erinnerung, den Burschen oft gehört zu haben, wie er von Wanderungen in die Fremde sprach und wie seine Ungeduld und Sehnsucht danach immer lebendiger wurde, je sichtbarer seine Schwermut zu werden begann. Darin stimmen alle überein, dass der Bursch den letzten Sommer hindurch jeden Gesang aufgegeben habe, da man doch sonst ihn den singenden Tag- und Nachtvogel nannte. Er besaß die wohlklingendste Tenorstimme und leitete stets den Gesang nächtlich wandernder Burschen. Auch ist niemandem entgangen, dass der unglückliche Bursche seit langer Zeit keine Tanzstube mehr betrat, und wenn es geschah, nur auf Augenblicke – und wie man nun erst entdeckt – wenn die Blonde nicht zugegen war. Nach und nach fand man ihn immer seltener in Gesellschaft seiner besten Kameraden. Einige derselben erinnern sich, dass er sich immer unruhig zeigte, wenn man untereinander von den Dorfmädchen sprach, und dass er einige Male sich plötzlich entfernt habe, wenn man von dem Mädchen Margerl zu reden anfing. Bei Kirchengängen war er entweder der erste oder letzte, um aller Berührung mit Bekannten auszuweichen. Sonntags nach Mittag ging er um die Felder oder im nahen, einsamen Gehölze herum. Häufig fand ihn der Jager auf einer Anhöhe unter einem Baum schlafen. Der Schatten war längst weiter gerückt, und die Sonne brannte auf des Schlafenden unbedecktes Angesicht, als ihn vor nicht gar ferner Zeit der Förster wieder da schlafend fand. Er breitete ihm ein Schnupftuch über das Gesicht und ging weiter. Am anderen Tage erschien der Bursch vor dem Jager mit dem Schnupftuch, das ihm bekannt war, und stellte dieses mit Verlegenheit zurück, wehmütig dankend für die Güte, ihn nicht im Schlaf gestört zu haben. Nicht selten suchte er in solchen freien Stunden die Hirtenbuben auf, welche die Dorfherden weiden ließen. Ihre Spiele, Balgereien und ihre kernige Heiterkeit zerstreuten ihn am meisten. – Die Schwermut unglücklicher Liebe ist ein furchtbares, schleichendes Übel. Nachdem einmal die erste Kraft des Widerstandes ermüdet ist, schreiten die Seelenzerrüttungen rascher und sichtbarer vor. Seit wenigen Wochen bewies sich das auffallend an diesem Burschen. An jedem folgenden Tag war sein Leiden unbedingt schlimmer. Es ergingen zuletzt besorgte Fragen an ihn, denen er ausweichend antwortete. Die geängstigten Eltern wollten Ärzte zu Rate ziehen, allein dagegen sträubte er sich mit Eifer. Und da man endlich das Übel nicht finden und nicht heilen konnte, sah man betrübt den Wirkungen zu und überließ es Gott und der Zeit, die vielleicht noch helfen würden. Besonders mannigfaches Wunderbare will man die letzten Tage und Nächte vor dem Kirchweihfeste gesehen haben. Ein Knecht, der im Vaterhause des unglücklichen Burschen dient, erzählt, wie er freitagnachts spät nach Hause gekommen sei, und durch ein Geräusch im nahen Obstgarten aufmerksam gemacht, sich dahin begeben, um nachzusehen, wer das sei, was es gebe, ob nicht verdächtiges Gesindel oder Pascher ihr Wesen da treiben. Zu seiner Verwunderung aber habe er den Sohn des Hauses erblickt, wie er halb angekleidet mit bloßem Kopfe zwischen den Bäumen schnell hin- und herging, halb Gebet halb Klagen jammernd, und wie er endlich zusammenstürzend ausgerufen habe: »I ko nimma löm!« Nach einiger Zeit, als sich der Knecht nähern und helfen wollte, sei der unglückliche Bursche aufgesprungen und davon gestürzt. –

Jetzt langt man mit der Leiche des unglücklichen Burschen vor seinem Vaterhause an. Man will die Mutter nicht wecken, um sich die Haustüre öffnen zu lassen; denn außer ihr und zwei Kindern ist niemand zu Hause. Allein ihre Unruhe über die gefahrdrohenden Unfälle im Wirtshause und eine Beengnis, die sie nicht erklären konnte, halten sie wach. Sie ist eben aufgestanden und sieht und horcht zum Fenster hinaus. Das sonderbare Gemurmel vor der Haustüre macht sie aufmerksam. Sie fürchtet sich. Was wollen so viele Menschen vor der Haustüre? Wer sind sie? Etwa Diebe, welche, die Abwesenheit der Männer benützend, in das Haus dringen wollen, um zu plündern und den hilflosen Frauen Leides zu tun? Was soll sie tun, wie ihre Kinder schützen? In verzweifelter Angst läuft sie in die Schlafkammer und horcht mit klopfendem Herzen heraus. Jetzt hört sie den Versuch machen, ein Fenster zu öffnen. Eine Messerklinge schiebt die kleinen Flügelklammern seitwärts, – das Fenster ist offen und wird von einer Männergestalt benützt zum Einsteigen ins Zimmer. Vor den Fenstern mehrt sich das Gemurmel und wird etwas lebhafter. Der Mann, welcher durch das Fenster gestiegen, verlässt die Stube, um die Haustüre zu öffnen. Man dringt herein. Blass entsetzt atmet die Mutter kaum. Jetzt, da eine Schar Männer in die Stube tritt, bemerkt sie, so viel die Dunkelheit sie sehen lässt, dass man etwas wie einen menschlichen Körper trage und es auf die Wandbank neben den großen Tisch hinlege. Gleich darauf treten noch einige Männer herein, die einen in ihrer Mitte führen, der taumelt und heftig zu weinen scheint. Mehrere zischeln leise, dass man stille sein soll. Der Geführte aber scheint nicht folgen zu wollen oder nicht zu hören, was man ihn bittet. »Ma Su! Ma Su! Ma Su!« presst sich schmerzlich aus seiner Brust. Den Ton kennt die horchende Mutter – er verrät die Stimme ihres Mannes – »Jesus Maria!« schreit sie und stürzt heraus – und unter die Männer – und an des Gatten Brust, betastend Haupt und Gesicht, ob er blute oder verwundet sei – und zur Wandbank, wo man hingelegt – das – ja das – diesen Körper! – Sie springt auf und schreit und will Licht haben! Man redet ihr zu, es sei ein Fremder, der da tot liege – sie will Licht – es sei sonst kein Unglück geschehen – sie will Licht – sie möchte nur ruhig sein und schlafen gehen – sie will sehen, wo ihr Sohn wäre, und Licht! – Man gibt ihr durch Zögern Wahrscheinlichkeit; man will sie vorbereiten – in der Kammer weinen die Kinder, denn sie wissen nicht, was der jammernden Mutter fehle. – Es wird mit Zagen und öfterem absichtlichem Verlöschen endlich Licht gemacht. – Mehrere wollen nicht dabei sein und gehen hinaus und eilen fort – und können doch den Entsetzensschrei der Mutter nicht aus dem Ohre bringen, der ihnen nachdringt. –

Das blonde Mädchen ist nicht lange noch zu Hause. Ihr Geliebter, der Freund des Verstorbenen, sitzt bei ihr. Beide sind von Eltern und Geschwistern des Mädchens umgeben. Betrübnis erfüllt alle. Die Blonde weint heftig. In ihr geht jenes wunderbare Gefühl auf, zu erfahren, wie unbewusst eine Menschenseele seit so langer Zeit ihre stille Begleiterin gewesen, ihretwegen Tage und Nächte gelitten habe und endlich, ein Opfer unerträglicher Qualen, Körper und Erde verlassen musste. Welch unsägliches Interesse spannt ihr Herz für den Toten! Mitleid, Kummer, Erbarmen, Verehrung, Trauer, Beengnis drängt ihre Seele. Das ganze Betragen des Burschen seit einem Jahre liegt erklärt vor ihrer Erinnerung. Das alles ihretwegen! – Man versucht gar nicht mehr zu schlafen und erwartet den Morgen. –

Als zum Morgengebet geläutet wird, verkündet die Glocke auch das Absterben des Burschen. – Im ganzen Dorfe betet man für die abgeschiedene Seele. – Alle Kameraden weinen um den lieben Kameraden. – Keine Zunge redet ihm Schlimmes nach. – Wer je ein ähnliches Unglück einer verheimlichten unglücklichen Liebe erfahren, der weiß wohl das Elend nachzufühlen, welches dieser Jüngling muss ausgestanden haben. – Darüber ist nicht zu reden. – Man sagt wohl leicht: ein Glück sei's, dass er gestorben; allein wann ist ihm dieses Glück zu Teil geworden? »Ruhe deiner Seele! Wenn du aber deine Liebe mitgenommen hast, und mit ihr dein Elend, – wo wäre eine Seligkeit, die dir ein solches Leiden versüßen könnte?«

Der Tote liegt bereits im Totenhemd auf dem Bette. Beim Kopf steht eine brennende Lampe und ein Glas mit Weihwasser. Die Nachbarn und Dorfbewohner kommen nach und nach, treten still weinend herein, schreiten langsam zur Leiche und knien nieder. Dann beten sie ein Vaterunser, tauchen eine kleine, aus 6 Kornähren zusammengebundene Garbe in das Weihwasser, besprengen und schlagen dann das Leichentuch über Kopf und Brust des Toten hinab, um den Toten wehmütig zu betrachten. –

Laut weinend und verstört kommt auch das so unglücklich geliebte Mädchen. Es stürzt über die Leiche und will lange nicht aufstehen und sie verlassen. Ihr Geliebter, des Toten liebster Freund, der mit dem Mädchen kam, bleibt bei der Türe stehen und weint bitterlich; dann geht er auch zur Leiche, schlägt das Tuch zurück und kann vor Kummer nicht reden und beten. Um die der Tote so viel gelitten, die leiden nun wieder so viel um ihn. Das ist wohl ein Trost für ihn, wenn er es sieht von dort herüber. –

Heute wäre der zweite Festtag der Kirchweihe. Sonst ziehen die Burschen mit Musik in die Kirche, nach der Kirche wieder mit Musik nach Hause. Auf einer Wiese auf dem Heimwege ist man gewohnt, einige Ländler zu tanzen. Nachmittags wird von Haus zu Haus mit Musik gezogen, überall ein wenig getanzt, und jede Hausfrau ist Ehren halber verpflichtet, mit »Flock'n« und Bier aufzuwarten oder erstere in das Wirtshaus zu geben. – Aber all diese Volkszeremonien sowie die Musik sind abgesagt im Geburtsdorfe des Toten. Es geschieht auf allgemeines Übereinstimmen. Weil der unglückliche Bursch sonntags vor Mitternacht starb, so wird er Dienstag begraben. Die Trauer um ihn erneuert und verbreitet sich da in der ganzen Gegend. –

Vor sieben Jahren hat sich diese Geschichte ereignet. Seitdem hat das blonde Mädchen ihren verlobten Burschen geheiratet und auf das Grab des Unglücklichen einen Leichenstein setzen lassen. Die jungen Eheleute haben gelobt, das Grab wenigstens einmal in jeder Woche zu besuchen, und wenn sie sterben, sich rechts und links an demselben begraben zu lassen.

Sagen wir: Falstaff II.

Falstaff ist eine Figur, die in den Dramen des englischen Dichters Shakespeare vorkommt. Es handelt sich um einen wohlbeleibten, trink- und raufsüchtigen Soldaten, der in ›Die lustigen Weiber von Windsor‹ als zur Selbstüberschätzung neigend und in ›Heinrich IV.‹ als melancholisch dargestellt wird. Der Name Falstaff wird oft für einen dicken Angeber und Genießer verwendet.

Ein Charakterbild nach dem Leben.

 

A so hod a r osgschod, ghrödt und to; –
Wenst'n a nöd gsegn host, du globst ma's scho.

 

Ich schildere einen Mann von mehr als mittlerer Größe, mit bedeutender Wölbung des Bauches, etwas krummsäbelartigen Füßen; über breiten Schultern und auf kurzem Halse lehnt ein langer aufgedunsener Kopf, ziemlich hängend, um den Wetterzug so manchen Kopfgewitters zu weisen, denn des Mannes kleine Schweinsaugen ahmen unablässig das Wasserziehen der Sonne nach (nur in der Flüssigkeit sorgfältig sondierend, da im Gehirn Bier- oder Weinwolken gewittern), und wenn von da ein Blitz in seine Nase fährt, soll der Mann immer auf die linke Seite fallen. Die Zahl der dahin abgeleiteten Blitze schätzt man so hoch, als die Zahl Rotsternlein auf der Nase selbst, die unendlich ist, und die wegen Mangel an Raum die Ober- und Unterlippe zu einer Vorratskammer solcher Tipfeln gemacht hat, um, wenn etwa die Nase einmal vor Gram oder Liebe erbliche, von da eine Fuhr Rotsternlein zugeschickt zu bekommen; das ganze Gesicht fällt von einem Angstschrei in den andern, denn es kommt nie aus der blassen Farbe des Schreckens heraus, um sich wie das Morgenrot des jungen Tages umzusehen, wohin es die Rosen seiner Freude streuen soll. In der linken Wange muss unser Original von jeher mehr Gram gelitten haben, weil wir sie eingefallener kopieren als die rechte; und weil der Kopf links hängt und die Nase lebhafte Sehnsucht hat, im Tale der Wange zu schlummern, so hängt auch sie ihrer Sehnsucht nach und biegt links ein. Der Mund aber folgt derselben Richtung und scheint den Gram, der sich in der Wangengrube lagert, beißen zu wollen. Dieser Mann ist kein Mann, weil er kein Weib hat und gehabt hat und ihm gänzlich der Bart ausblieb. – Sein Herz schildere ich mild, weich und melancholisch in der Liebe; sehr zerfallen, missmutig, räsonierend bei Unfall in nichtssagenden Dingen. Wortreich ist sein Mut am Tage oder wo man ihn zu keiner Probe veranlassen kann oder wenn kein gefährlicher Gegner da ist oder wenn es kein Gewitter hat. Er versteht die Violine zu spielen, der er oft schmelzende Töne entlockt, um die Regungen seines liebentbrannten Herzens auszudrücken. Seine Bildung hat einige Stufen erklettert. Während seiner Studien erbte er plötzlich viel und vermachte sofort seine fernere Studienlaufbahn jedem anderen, der kein Geld hat, um bald zu Gelde zu kommen. Ohne Eltern und Geschwister privatisierte noch dieser Held an der südwestlichen Grenze von Deutschböhmen. Seine Wirtschaft hatte lange Zeit schwankende Pfeiler, verfestigte sich aber endlich so, dass er selbst sich als Regel der Unordnung innerhalb gewisser Lebensgrenzen nun bewegt. Er kocht, er beschmutzt und reinigt, er ist seiner Liebe begeisterter Bote, er ist sein Prediger, seine Kirche, er ist seine Lektüre, sein Schauspielhaus, die Umgegend ist seine Bühne, und auf dieser Bühne hat er nicht selten einen Rausch. Es gibt nicht ein Mädchen, das er nicht zugleich liebt, wenn er es sieht, und kann er seiner Liebe Flamme nicht zeigen, so ist doch der Rauch zu riechen. –

Vor fünf Jahren, im August traf ich eine Gesellschaft mehrerer Damen und Herren im Grenzwirtshause, dessen einen Teil unser geschilderter Held bewohnte. Man machte sich um einen Tisch auf dem Rasenplatze vor dem Wirtshause bequem, da die abendliche Sonne eben die Schatten des Hauses darüber warf. Die Bekanntschaft eines jungen Doktors unter der Gesellschaft empfahl mich und veranlasste mich ungezwungen anzuschließen. Nach einiger Zeit fiel mir das unaufhörliche Kichern der jungen Damen auf, das Schmunzeln der Alten und witzelnde Bemerkungen der Herren. Beinahe war ich verlegen, noch länger die ernste, einzige Ausnahme spielen zu müssen. Die lustige Aufregung mehrte sich, und indem ich die Richtung aller Augen verfolgte, bemerkte ich auf dem beinahe flachen Dache des Wirtshauses in der Nähe des Schornsteines einen Männerkopf, der sich leicht bewegte und eine gewisse Richtung zu suchen schien. Vor dem Kopfe zeigte sich etwas wie ein Fernrohr.

»Wenn ich nicht irre«, sagte ich, »so ist dort ein Fernrohr auf uns gerichtet. Wer ist der Mann?«

Bei dieser Frage brach ein allgemeines Gelächter los, weil sie der ergötzliche Umstand begleitete, dass dem Astronomen das Fernrohr entfiel und die gegen uns gekehrte Dachfläche langsam und polternd herab kollerte, während der Mann, schnell nachgreifend, bis zur Hälfte des Körpers sichtbar wurde und platt auf den Bauch niederplumpte, worauf er verschwand. Das Fernrohr war indessen in die Dachrinne gerollt. Tränen in den Augen vor lustiger Erschütterung, brachte man mir ungefähr obige Schilderung von dem Astronomen zu Ohren, mit der Endbemerkung, dass Falstaff (wie wir ihn heißen wollen) auf dem Dache seine Lugwarte aufschlage, um die Gesellschaften auf der Wiese zu beobachten und einen lieben Gegenstand seiner Liebe herauszusuchen. Jetzt trat der Wirt, der an dem Mann des Daches einen Magnet für Gäste besaß, lachend herzu und sagte: »Da rutscht Herr Falstaff auf dem Bauche die andere Fläche des Daches hinunter und glaubt, es hab' ihn niemand gesehen. Die Herrschaften werden bemerken, dass er gleich hier sein wird.«

Eine Magd schleppte jetzt einen Tisch auf den Wiesenplan und stellte ihn, wie uns der Wirt erklärte, so auf, dass Falstaff der schönsten Dame ins Gesicht sehen konnte, wenn er an demselben Platz nehmen würde. »Aber eine Hauptsache sei es für Falstaff keinen Stuhl an den Tisch zu stellen«, bemerkte der Wirt.

»Weshalb das?« fragte ich.

»Still!« lächelte ein alter Herr zu mir herüber, »still, wir werden Kunstgriffe zu bewundern haben.«

In diesem Augenblicke schritt der Astronom, eine Hand über den Rücken schlagend, mit der andern die Halsbinde etwas verlegen betastend, hinter der Scheuer hervor und blickte wie in Gedanken vor sich hin, ohne uns zu bemerken zu scheinen.

»Markär! Markär! Markär!« rief er dann plötzlich, »bin über Felde gewesen, glühe ganz und habe Durst!«

Hier wendete sich der Redende gegen unsern Tisch mit leichter Verbeugung und im Auge ein zärtlich verliebtes Flimmern.

»Ein ganz ergebener Diener, hohe Damen und Herren!« sprach er, indem er das lieblichste Fräulein fixierte.

Wir dankten alle freundlich.

»Sie wagen sich so barhaupt über Feld?« fragte der Verwalter und Vater dieses hübschen Mädchens.

»Wieso? Wieso?« meinte Falstaff und griff nach dem bloßen Kopfe. »Ha, ha, gut bemerkt! Ich habe – Sie zwingen mich die Wahrheit mit vieler Verlegenheit zu gestehen. Am Waidenbach dort schenkt' ich meinen Hut einem Wanderer, der so arm und nackt war, dass meine Damen bei seinem Anblick in hoher Schamröte würden konfus geworden sein. Meine Verlegenheit war groß, und ich brach einen Weidenzweig ab, wehte damit Kühlung meiner Stirne zu und hieb mir die Blatter in die Augen, dass sie nicht sündigten – und sagte: Lazarus, auf, und mache dich her, nimm mir den Hut vom Kopf rückwärts ab, damit ich nicht sehe, – und er hielt den Hut dort vor, wo er bloß war. Und er war bloß.«

Jetzt sprangen die Damen mit einem Schrei vom Tische weg und ergriffen vor dem Erzähler die Flucht. Dieses Aufflattern der schüchternen Tauben bemerkte Falstaff mit Lächeln und einem lüsternen Katzenblick.

»Was ist geschehen?« fragte er im arglosen Erstaunen.

»Will niemand die geängstigten Wesen befragen und beschwichtigen? Muss ich der einzige sein, der sich um ihre Angst bekümmert? Wohlan, Herr Verwalter, Sie lassen Ihr Töchterlein fortlaufen – ich will ihnen Art und Manier zeigen.« Dabei ging er auf die Damen los, die atemlos vor Gelächter auf dem Wiesenplan zerstoben, und richtete folgende Worte an das schöne, schüchterne Fräulein, das nicht wusste, sollte es entlaufen oder sehr verlegen stehen bleiben: »Rosa genarum – du selbst! Lassen Sie in diesem Zauberringe (er meinte seinen Arm) Ihr milchweißes Händchen gefangen nehmen, um Sie wohlbehalten an den Tisch zurückzuführen.«

Er machte eine Verbeugung mit möglichster Zierlichkeit, bog den rechten Arm mit Aufwand vieler pedantischer Grazie aus, wie man ihn den Damen zärtlich anzubieten pflegt, kokettierte süß lächelnd mit glänzenden Augen und blieb in dieser Positur mit steif geregelt ausgebogenen Waden stehen, um den Entschluss des Fräuleins abzuwarten. Um einem solchen Anerbieten auszuweichen, waren die übrigen Damen bereits alle wieder zurück an den Tisch geflüchtet. – Falstaff und das Fräulein standen allein und noch unbeweglich da, zum nicht geringen Ergehen der Gesellschaft. Dann fuhr der galante Falstaff fort: »Tausendmal Vergebung! – O Taube! Lilie! Biene! Duftige Rose! Hat meine Erzählung Sie so heftig berührt? War mein Wort Pfeffer für Ihr Herz? O, Sie können meine Verlegenheit nicht erfassen, als ich den über einen nahen Hügel schreitenden Bettler wieder gewahrte im Spiegel des Baches. Wie? Sie entlaufen? Ich verzweifle! Meine Knie schlottern! Mein Seelenaufruhr ist nicht mehr zu bemeistern!«

Das Fräulein war an den Tisch geeilt und schmiegte sich lachend an des Vaters Brust, während die Gesellschaft den hinweg stürmenden Falstaff zurückzurufen vergebens sich bemühte. Er floh in das Haus, riss die Violine von der Wand, und wir hörten ihn mit gewandtem Vortrage eine gefühlvolle Melodie spielen.

Nach einiger Zeit, als man bereits Bier auf den für ihn bestimmten Tisch gestellt hatte, kam er sehr aufgeregt zurück. Der Verwalter gab seiner Tochter einen Wink, Falstaffs Violinspiel zu loben. Sie machte ihm ein Kompliment. Das stimmte ihn schwermütig. Er stützte sich mit einer Hand auf den Tisch und sah starr und mit feuchtem Auge das Fräulein an. »Wirklich?« sagte er ohne Stellung und Miene zu ändern, »Fräulein hätten gehört? Mitgefühlt? Fräulein wären gerührt und entflammt? Wovon ergriffen? Verstehen Sie die Sprache der Saiten? Wissen Sie etwas von den Saiten des Herzens, und dass Liebe, Sehnsucht, Freude, Trauer und Verzweiflung Sie rührt? Mein Herz klingt immer auf der Violine wieder, – wovon haben Ihre Saiten geklungen?«

»Von schmelzender Sehnsucht der Liebe!« sagte das Fräulein und warf ihr Gesicht kichernd an des Vaters Brust.

Falstaff liefen zwei ungeheure Tränen über die Wangen, er griff nach dem Glase und trank in einem langen, vollen Zuge. »Kein Stuhl da?« rief er dann. »Himmel und Erde, kein Stuhl da? Wirt, Ihr seid ein kopfloser Mann, ein herzloser Wicht! Ist's nicht genug, dass ich einsam an einem Tisch sitzen muss? – Soll ich mich auch noch auf das Gras setzen? Kein Stuhl? Vernachlässigung habe ich von jeher nicht ertragen, und Ihr übergeht mich so, Herr Wirt? Wenn ich Euch nun herunter machte wie in Wien ein Schubkarrenschieber einen Herrn, weil er ihm zwischen die Füße geschoben ist? Gesetzt, ich wäre der Schubkarrenschieber! Prügeln möcht' ich Euch, wär's nicht gemein, in Ketten legen, wär's nicht der Obrigkeit Sache. Verstanden Er, der Derjenige ist, welcher mich reizt: Wirt, Diener, Knecht?« –

»Verzeihen –«, sagte der Wirt, indem er ihm einen leeren Stuhl von unserm Tisch bringen wollte.

»He! Was ist Er gesonnen? Lass Er den Stuhl dort! Es möchte ein Gast kommen, der, weil er der Gesellschaft angenehmer ist als ich, eingeladen werden dürfte, an dem Tische Platz zu nehmen. Kapiert? Wo schöpft Er so viel Wasser in sein Gehirn? Etwa aus seinem Bier?« Hier schmunzelte Falstaff, denn es schien ihm, als hätte er in den letzten Worten einen Witzfunken entdeckt.

Mehrere Herren standen auf und boten ihm ihren Stuhl an: »Es wird uns angenehm sein, wenn Sie sich eines unserer Sitze bedienen wollen.«

»Die Aufforderung ist nicht allgemein, und meine Schonung ist zu zart, als dass ich eine halbe Verstimmung veranlassen möchte.« Sein Blick war auf meinen bekannten Doktor gerichtet, der dem schönen Fräulein gegenüber saß und in ihren Anblick sehr vertieft schien. Bei Falstaffs Worten stand er auf, um der Unterhaltung keinen Eintrag zu tun, und musste im nächsten Augenblicke sehen, dass Falstaff geradezu seinen Stuhl wählte. So saß er denn in unserer Mitte. In demselben Augenblicke lief aber ein Knabe über das Dach des Wirtshauses und nahm aus der Dachrinne das Fernrohr.

»Seht einmal den Knaben!« sagte eine Dame. »Ist's nicht, als habe er ein Fernrohr in der Hand?«

»Erlauben Sie, dass ich entgegne: Es ist ein Stück Stab!« eiferte schnell Falstaff. »Im Spiele tat der Knabe einen unglücklichen Wurf – daher – Es besitzt hier außer mir niemand ein Perspektiv. Meines ist von Plößl und hat durch zwei Reparaturen in Straubing bedeutend gewonnen. Wollen Sie nur glauben, dass es ein Stück Stab ist, das der Knabe hinaufwarf und nun herabholt.«

Der Knabe stellte sich aber auf dem Dache in Positur, durch das Fernrohr auf uns herabzusehen, weil ihn die Neugierde trieb, dieses Wunderinstrument kennen zu lernen.

»Es ist denn doch ein Fernrohr!« riefen mehrere.

Falstaff stemmte unwillig den Fuß gegen den Tisch, und indem er hastig trinkend sich zurückbog, fiel er samt dem Stuhle auf die Wiese nieder.

Wir sprangen hin, ihm aufzuhelfen, allein er half sich selbst schnell wieder auf die Füße, entschuldigte bei den Damen das ungraziöse Ausschwingen der Beine während des unästhetischen Falles und begann gegen die verdorbene Jugend zu eifern, die durch Nachahmungssucht viel Affenheit anziehe. Vom Dache herunter lachte aber der Knabe so herzlich und laut über Falstaffs Fall, dass wir uns nicht enthalten konnten, einzustimmen.

»Vor kurzem«, eiferte Falstaff fort, »sah ich in München einen Knaben von zehn Jahren, der im Theater durch einen Doppel-Tubus die erste Liebhaberin beschaute, da sie eben klagte, es verzehre ihr Herz die Flamme der Liebe. Was wollte dieser Windelheld, der »ala« mit Flegel und »Tuba« mit Turban übersetzt? Laufen nicht solche Ameisen durch die Straßen mit Gläsern vor den Augen, um recht zeitlich anzufangen, die Welt weltlich zu beschauen? Huldigt der Mode! Seid Affen! – Wirt, jagt den unmoralischen Knaben vom Dache, der durch ein Stück Holunderstab die Gäste geniert!«

»Weh meiner Tochter!« rief der Verwalter jetzt. »Scheint sie nicht Bezauberung zu saugen aus Euerm Gesichte? Bringt sie die Augen los von Euerm Gesichte? Wehet nicht heftige Glut über ihre Wangen?«

Falstaff lächelte, ergriff den Becher und sah mit starren, flimmernden Blicken das rekommandierte Fräulein an.

»Fräulein, Fräulein!« sagte er, »Halten Sie Wache über Ihre Augen. Gehen Sie in dieser Altersperiode nicht ohne Schleier, denn wenn dieser Vorhang aufgezogen wird, so beginnt das Liebestheater der Augen, und verraten sind die Personen. Sie haben mich zu offen angeblickt, und da ist's heraus und entdeckt. Wir können die Sache nicht mehr geheim halten. Sei es offenbar! Wisse man darum! Ist doch die Schamröte eine liebliche Röte! Sind wir nicht heiratbar? Bis die Welt sich zunäselt und zuraunt, sind wir gesegnet! Der Verrat Ihrer Augen beschleunigt so nur unser Glück. Sie sehen, Herr Verwalter, dass Sie umsonst eine Grausamkeit gegen unsere Liebe entwickeln werden. Wenn das Wasser siedet, so hebe man den Deckel ab, sonst geht es über. Heiraten muss Ihr Kind. Ihr besitzt die Einsicht und das Kind, also bin ich der Mann, der es schätzt und nimmt und Geld hat, es zu nehmen.«

Er glühte und trank und trank wieder.

»Elende Kreatur, Mensch!« fuhr er fort. »Stroh bist du, voll Geräusch und Dürre, solange dich nicht die Flamme der Liebe entzündet, dann aber gibst du eine prachtvolle Flamme! Zünde! Lod're! Der Liebentflammte ist die Zierde der Welt. Er wird Fackel aus Pech, der duftet als Blume auf der Erdscholle Leben, der klingt als Goldmünze unter Kupfermünzen, der lächelt als Prachtregenbogen über schlüpfriger Erde. Hui! Blas ich in diese Staubwolke Menschheit, d'rin mir nur zwei springende Funken gefallen, – das bin ich und hier meine Braut. (Er trinkt.) Wer sich widersetzt, dem weis' ich die Türe – Hinaus! – Warum so viele Bräutigame zaghaft werden, eh' sie eine Schürze mausen? (Trinkt.) Augen zu und – Sturm!«

Der Knabe legte jetzt das Fernrohr vor Falstaff hin und sagte im dortigen Dialekt: »Do is enga Schmearpegif.«

»Sturm!« fuhr Falstaff fort. »Ist ohnehin ein Holunderstab und ein Stück Stock, wie Herr Verwalter meinten, und indem ich heiraten will, geh' ich auf jene zwei Bengel los, die dort über die Wiese schreiten, und will sie lehren links umzukehren, wenn sie rechts schwenken!«

Die ganze Gesellschaft hing schlaff vor Lachen an den Stuhllehnen herum; Falstaff aber ging auf zwei Wirtsknechte los, die eben vom Felde heimkehrten und zu Fleiß langsam über die Wiese her schritten, als sie den Feind auf sich zukommen sahen.

»Wenn Ihr Männer seid, so bleibt stehen und widersachet mir!« schrie sie Falstaff an. »Woher des Weges? Weshalb Übermaß im Trunk? Dein Strumpf hat ein Loch und dein Hut zwei – und was dazwischen liegt von oben bis unten, das will ich prügeln!«

Die Knechte beschleunigten scheinbar ängstlich ihre Schritte, und Falstaff verfolgte sie eifriger und heftiger.

»Kann Euch ein Frauenherz lieben? Nimmt Eure Louise Gift? Setzt Eure Kleopatra eine Natter an die Brust? Um Euch? Murr't Ihr? Heran: Fugali! Miserabiles! Inculti! Rudes!« –

Die Knechte flohen schnell. Falstaffs Freude war groß. »Hofft Ihr so? Schneider! Wichte! Schu…« –

Plötzlich drehten sich die Knechte um und sahen ihn drohend an. – Er schwieg, stand, drehte sich um und kam räsonierend zur Gesellschaft zurück.

»Wär' mir nicht um ihre Kinder, um ihr Weib, um ihre künftig möglichen Kinder zu tun, und auch um ihr zweites drittes mögliches Weib – dann bei der Ambraser Sammlung in München!« – Er wollte sich niederlassen auf seinen Stuhl – und sah die beiden Knechte, die man heimlich herbeiwinkte, auf sich losgehen.

»Bring mir Hut und Stock nach, Knabe, ich will sie verfolgen im Sturm der Rache! Hinweg! Mein Herz ist vielfach zu kühlen!« Somit beeilte er sich ohne Abschied von der Gesellschaft und Braut landeinwärts nach Böhmen, um den Knechten zu entgehen.

   

Doktor *** forderte mich auf, ihm zu folgen, indem er behauptete, Falstaff werde sich zuverlässig in das nächste böhmische Dorfwirtshaus begeben, wo er sich lange her um die hübsche Tochter bewarb.

Falstaffs Aufregung war von der Art, dass man noch ergötzliche Szenen erwarten konnte.

Es dunkelte, und wir beide verließen die Gesellschaft. Vor uns auf der Landstraße lief der Knabe mit Falstaffs Hut und Stock und schrie aus vollem Halse, dass er warten solle. Umsonst! Der Flüchtling, ein in der Ferne eilender schwarzer Punkt auf der weiß schimmernden Straße, hielt nicht an und wurde erst spät vom kleinen Verfolger eingeholt. – Wir aber trafen lange nach ihm in der Dorfschänke ein und fanden hier eine bereits eingeleitete Szene in voller Entfaltung.

Zu ihrem Verständnis nur Folgendes: Den Tag zuvor war in einem nahen bayerischen Flecken ein Kirchenfest und zugleich Jahrmarkt daselbst. Stets ist da ein großes Zusammenströmen der Deutschböhmen und Bayern an diesem Tage. Falstaff, um zu erfahren, ob auch Reserl, die Wirtstochter und seine Geliebte, das Kirchenfest besucht habe, kam gegen Mittag in das Wirtshaus und sah Reserl durch den Garten vor ihm die Flucht ergreifen. Das wurmte ihn. Doch legte er es mehr für Scherz aus und fragte die Wirtin, ob Reserl auch nach Neukirchen (dort war das Kirchenfest) gegangen sei.

»Maigotl! fralö (freilich)! Kan't dös jungö Burschat dahoimat blä'm, wenn's wos osötzt?«

Bei dieser offenbaren Lüge drehte sich Falstaff höchst ergrimmt um, tobte und fluchte und gelobte schwörend, nie wieder dieses Haus des Pöbels, der Lüge, der heimlichen Verschwörung zu betreten, das in Verbindung stehe mit Räubern und Mördern.

Heute kam also dieses Zerwürfnis in Gärung. Als ich mit dem Doktor eintrat, saß Falstaff an einer Tischecke, finster, schweigend und trinkend, während Reserl ihn schelmisch um den Grund seiner gestrigen Entrüstung fragte, von der man ihr, als sie vom Kirchenfeste heimgekehrt war, mit vieler Besorgnis erzählt habe.

»Weiche Sie von mir, schuldige einzige! Beweinenswert, wenn auch tüchtig und schön! Ich habe Sie aufgegeben. Meine Lust ist fortan, Sie zu quälen mit Kälte, Verachtung und Fluch!«

»Da Hear is grimmö; mö (warum) owa goa ra so, haz?« lächelte das Mädchen.

»Garten! Davonlaufen! Kirchenfest! Sündige eine, du wirst nicht rot? Mache sich die Falsche weg von mir!«

»Wenn i will! Eiz krod (gerade) nöd! Mo schuißt's a so af und rummelt's eng an Zoan os!« trotzte das Mädchen.

Die Unterredung wurde nicht gestört, indem ich mich mit dem Doktor an denselben Tisch setzte. Falstaff fuhr eben wieder die Wirtstochter an: »Kennt Sie Art? Bleibt doch der Stern, was er war, wenn er sich schnäuzt, und ich, was ich bin, wenn ich dich, schöne Schnuppe, von mir schleud're.«

»Diese barsche Bewegung«, fiel der Doktor ein, »scheint mich zu berechtigen, das Mädchen in Schutz zu nehmen; denn es kann wahrlich nicht so viel Strafbares begangen worden sein von diesem lieblichen Kinde, um es mit so harter Strafe zu strafen.« Er zog das Mädchen an sich, ließ es seine Gesundheit trinken, und tändelte zärtlich mit ihr. – Falstaff hustete und rückte hin und her, plötzlich in voller Eifersucht lodernd. Er stierte dann einige Augenblicke vor sich auf den Tisch nieder, fuhr in die Tasche und zählte Geld, um seine Zeche zu machen.

»Solch ein Getränk mir zu geben, ohne Geschmack, Feuer und Frische!« räsonierte er, um sich Luft zu machen. »Hätt' ich nicht Geld – ha, ha, ha! Ist das auch etwas, eine Frauenzimmerhand? (er schielt auf Reserl's Hand, mit der der Doktor spielt.) Wenn das Auge nicht – (das Mädchen sah den Doktor eben zärtlich an) – dieses blöde Fenster – he! Geh' Sie mir einschenken! Und wenn ich auch Ihr Kind wäre – so habe ich dennoch Durst!« –

»Dät (tät) eng guat mocha, wenn i kant!« sagte schalkhaft die Wirtstochter und ging einzuschenken.

Wir befragten jetzt Falstaff über das Zerwürfnis, und er erklärte sich bitter über die Beleidigung, ihm die Geliebte verleugnet zu haben, und über die Verstellung des Mädchens.

Die Wirtstochter kam zurück.

»Lassen Sie uns die Schlange prüfen!« sagte er zu uns.

Der Doktor nahm Reserl wieder am Arm und nach kurzem Zärtlichtun begann Falstaff dem Doktor lateinisch zu zurufen: »Interroga istam personam, ubinam fuerit heri circa horam decimam secundam?« (Frage jene Person, wo sie gestern um die zwölfte Stunde gewesen sei?) Er trank, lehnte sich auf den Tisch und sah brummend zum Fenster hinaus.

»War nicht gestern zu Neukirchen Jahrmarkt?« fragte der Doktor weiter. »Wie hat's Euch dort gefallen?«

»Guat – rächt guat!« erwiderte Reserl .

»Guat!« karikierte Falstaff grimmig nach, blies einen langen schnarrenden Ton durch die Nase und sagte: »Porro detrahe isti pellem, et percontare: quotnam equis, quo curru, quocum auriga, an pedibus – verstanden? (Ferner zieh' ihr das Fell ab und frage: mit wie viel Pferden, mit welchem Wagen, mit welchem Fuhrmann oder zu Fuß –) Daher gefällt mir die Gegend um München so gut.«

»Wen i nö dös Latainasch fostand!« neckte die Wirtstochter.

»Ich will's Euch übersetzen«, sagte der Doktor. »Es heißt: Ferner zieh' ihr das Fell ab und untersuche, warum Sie gestern statt des Knechtes die Pferde in die Schwemme geritten, die Wagenräder geschmiert, den Fuhrmann geküsst habe, und so spät vom Jahrmarkts zurückgekommen sei, und zwar zu Fuß?«

»Non est sensus!« (So ist der Sinn nicht!) schrie Falstaff ärgerlich.

»Das heißt, deshalb gefällt ihm die Gegend um München so gut«, sagte der Doktor.

»Dös is üwa ra Kummedö! Au!« lachte Reserl und lief in die Küche.

Jetzt kam eine Magd in die Stube, welche Falstaff herbeirief und also anredete: »He, trete Sie her zu mir. Mag Sie trinken? Aber ich halte Sie für verständig, aufrichtig, fromm, für ein Wesen, mit dem sich reden lässt, und das über Kabalen hinaus ist. Gestehe Sie stehend, spreche Sie mit der Zunge der Wahrheit, die Ihr eigen scheint: Wo war gestern um die Mittagszeit Eure Wirtstochter?«

»Wo wiad's denn gwöst sa?« sagte die Magd.

»Zu Neukirchen am Fest?« half Falstaff nach.

»Na. Sie is goa nöd furtkäma 'n gönz'n To«, antwortete die Magd, die von der ganzen Sache nichts wusste als die Wahrheit.

In der Küche horchten die Wirtin und Reserl und kicherten heftig, als sie die Worte der Magd hörten.

»Sie kann gehen, Magd. Ihre Aussage ist wahr und ohne Falsch. Enteile Sie diesem Hause der Verderbnis. Hier wird Sie zu Trunk und Liebhaberei verleitet und dennoch geprellt. Will Sie saubere Strümpfe haben, so streife Sie durch keine Kotlache. Was meine ich? Die Wirtin, diese alte, reiche Witwe entgeht doch dem Fegefeuer nicht, wenn sie auch für die Hölle bestimmt ist. Verflucht sei dieses Haus mit Wänden, Ofen, Löffeln und lebendigen Ungetümen! Junge wie Alte, ein Gezücht! Kehr' ich je wieder hier ein – und das wird bald geschehen, so häng' ich mich auf! Krieg und Pest über Euch!« –

Bei diesen Worten warf er Geld auf den Tisch und machte sich auf die Flucht! Ein lautes Gelächter schlugen die Weiber in der Küche an, als Falstaff fort war.

Wir zwei Trabanten folgten ihm schnell. Nutzlos blieb alles, ihn zu besänftigen. Er ging auf Menschen und Menschheit los und verstieg sich in seinem Zorn bis an die arglosen Sterne.

»Betrug, Hinterlist, Verleumdung, Schmutzigkeit, Hass, Lüsternheit, Trunk, Neid, Völlerei und Liebe, was das für eine Bevölkerung fast aller menschlichen Herzen ist! Feigheit ist Tugend geworden! Solche Schelme soll man bei den Beinen fassen und zu allgemeiner Warnung in einen schlammigen Fluss tauchen!« –

Plötzlich fuhr er zusammen, und wollte nicht weiter gehen.

»Herren!« sagte er, »ich habe zahllose Feinde in dieser Gegend. Ich muss aufrichtig sein. Fliehen Sie mit mir, wenn Sie nicht meinen Untergang teilen wollen.«

Er machte Anstalt, Reißaus zu nehmen. Wir hielten ihn zurück und erklärten, es wäre nur Gesang nächtlich schwärmender Burschen, was ihm verdächtig scheine. Wir standen ruhig und hörten folgendes Lied jodeln:

Bist denn du a ra Bua?
Host denn du a ra Glück?
Steit da koa Deanal af,
Wenn's a mol liegt?

»Das sind gefährliche Burschen! Weichen wir straßab!« sagte Falstaff kleinmütig.

Wir hatten Mühe, ihn weiter zu bringen. Als wir dem Burschenschwarm näher kamen, wichen sie bescheiden auf die Seite und rückten grüßend die Mützen. Falstaff ging zwischen mir und dem Doktor, war mäuschenstill und zitterte heftig. Kaum waren wir aber einige hundert Schritte entfernt, als er sich plötzlich losriss und mit Wut einen Angriff gegen die Burschen machen wollte. Aus seinem Stocke fuhr eine dreischneidige Waffe, die er kampflustig aufschwang und schrie: »Heran! Wie zahlreich ihr auch sein mögt, immer doch eine ärmliche Schar für meine Faust! Wartet ihr, dass ich die Straße kommen werde? Warum habt ihr gebebt und gezittert, als ich vorüberging?«

In diesem Augenblicke wurde in der Ferne ein Rufen, Fluchen und Schnaufen von Laufenden hörbar. »Halt! Brennt los auf sie! Halt!« – Querfeldher gegen uns stürzte ein Rudel Pascher von Grenzjägern verfolgt. Falstaff entsprang wimmernd in ein nahes Gehölz. Die Jäger, in der Meinung einem Pascher nachzusetzen, verfolgten ihn. Wir wollten sehen, was sich aus dieser Szene ergebe, und hörten bald aus dem Gehölze ein klägliches Hilfegeschrei. Die Stimme war Falstaffs. Als wir näher und an die Stelle kamen, woher der Hilfeflehende sich hören ließ, sahen wir Falstaff in eine Fuchsfalle eingegangen und an einem Aste in die Luft gehalten. Es bestand nämlich die Falle aus einem herab gebogenen Baumaste, der durch eine Vorrichtung am Boden festgehalten wurde. Am Ende des Astes war ein Fangeisen angebracht. Trat nun jemand an eine gewisse Stelle, so fasste ihn das Fangeisen um die Mitte, und der Ast schnellte in die Luft auf. Mit Mühe brachten wir Falstaff los. Er war in hohem Grimm über sein heutiges Geschick und rief nur ein über das andere Mal: »O nur heute noch ein blutiges Duell!«

Die Heimsuchung.

In einem Dorfe, dicht an der bairischen Grenze, fällt gegenwärtig ein niedliches Haus auf. Es dürfte einem gebildeten, wohlhabenden Privatmann gehören. Selbst in der Nähe einer bedeutenden Stadt, umgeben von geschmackvollen Villen, müsste man es noch zierlich nennen. Die Wände in länglichem Viereck aufgeführt, mit verhältnismäßig vielen und großen Fenstern und freundlich weiß getüncht, tragen ein rotes Ziegeldach. Was den günstigen Eindruck noch erhöht, das sind die wohlgepflegten Blumen- und Gemüsebeete um das Haus, eingegittert mit gleichgeschnittenen Holzlanzen, und vorzüglich die Blumen in den Fenstern zur Frühlings- und Sommerszeit. Dem Besitzer gehört ein Bauerngut. Er ist nicht wohlhabender und nicht gebildeter als seine Nachbarn herum; viele von diesen sind sogar in der Welt herumgekommen, was mit jenem nicht der Fall ist, und dürfen sich erfahrener halten. Und doch unterscheidet sie eine eigene Beseelung. Die Nachbarn lassen ihre Häuser gebräuchlich fortbestehen, aus Holz gezimmert, mit flachen steinbeschwerten Schindeldächern, kleinen Fenstern, die kaum die nötige Beleuchtung durch die runden, bleiumränderten Scheiben in die alt-ernsten Stuben dringen lassen. Sie denken nicht daran, den Stall einmal vom Wohngebäude zu trennen, diese zu lichten, Scheune und Tierunrat wegzuschaffen, dass den Blick vom großen Ecktisch in der Stube eine freie, grüne Aussicht erfreue. Wenn nicht Sohn oder Tochter eitel genug wären, sonntags einen Strauß an der Brust oder auf dem Hut zu tragen, so wäre selbst hie und da im weitläufigen Baumgarten kein Winkel umgestochen für Rosen- oder Nelkenpflanzung. Was sie geerbt, bleibe. Ihre Freiheit von Zwangsarbeiten, ihre unbedeutende Steuerverpflichtung, Besitz bedeutender Gründe und freier Waldungen lehrt sie eher genießen als verbessern. Man hat Leute, regsame Weiber zur Bestellung der Wirtschaft und des Hauses, daher dem Hausvater Zeit bleibt, sich nach Gefallen selbst zu leben. Gleich über der Grenze hat das bairische Bier Ruf und Reiz, wo anders eine Gesellschaft lustiger Freimänner. Auf den Tag folgt die Nacht und oft ein zweiter Tag und eine zweite Nacht, bis man sich wieder zurück zum Haus und Weibe sehnt. Ist das Taschengeld zu Ende, so hat man Bäume im Wald, die der Wirt brauchen kann. So leben die meisten dieses Dorfes oft, nicht immer. Weil man besitzt, meint man auch, diesen Genuss haben zu müssen. – Glück ist, was man dafür hält. Aber der Hausvater des erwähnten modernen, zierlichen Hauses hält ganz was anderes für Glück, obwohl man weiß, dass er vor zwei Jahren noch lebte wie seine Nachbarn. Sein ganzes Streben, Sorgen und Lieben bleibt inner der Grenzen seines Hauses und Besitzes. Der hält Leben und Glück an der rechten Stelle. Ein Weib besitzt er – doch das ist eine eigene Geschichte. –

Vor zwei Jahren heiratete er ein Mädchen aus leidenschaftlicher Liebe. Weit entfernt, im Wege zu stehen, gaben sich ihre Eltern, den Fall merkend, zustimmend die Hand. Die Kinder hatten sich eher, als sie dachten. Süße, heilige Tage und Nächte! Wollte das enden? Viele haben das erlebt und sagen: »Wir haben das Seligste der Erde gelebt!« Für diese nur ist es hier erwähnt. Aber bekannt ist weit mehreren, dass Liebende nicht ohne Pausen lieben können. Sonderlich in der Ehe. Das schien der junge Mann zu fühlen. Er musste Leute sehen, gegen Abend ein Glas Bier kosten. Nach einigen Wochen schränkte er zu Hause seinen Himmel auf wenige Stunden ein. Zwei und zwei Mal zwei Gläser Bier standen ihm zu. Das sah sein liebes Weib ein; – das stand ihm zu, obwohl sie nicht gerade »ja« sagte, so sah sie es doch ein. Zu Hause hätte sie ihm sechs und acht Gläser gegönnt, weil der Diskurs in der Schänke viel Zeit wegnimmt; aber das muss man den Männern lassen: Diskurs geht ihnen über alles. »No lau«, heißt's – »do kemma zom – gukma r is Glasl – heat ollahond – segt ollahond – rödt ollahond – und d' Zät geit dahi – ös moits ös goa nöd!« – Einmal versah's der junge Gemahl im Diskurs und kam, nachdem er um vier Uhr nach Mittag vom Hause weggegangen war, erst um Mitternacht zurück. Zwar hörte er keinen Vorwurf, aber das Schweigen des Weibes sagte ihm mehr. Er meinte, einen Vorwurf erzwingen zu müssen durch wiederholte freundliche Fragen, was sie meine, dass er so lange ausgeblieben sei. Sie aber erwiderte, man wisse ja, dass bei Männern oft – und dann, weil gerade bei Männern bisweilen – dass die Wirte mit ihren zurückgerückten Uhren – und dann hätte sie recht gut geschlafen.« – Er hörte recht gut, wie sie das Gesicht in den Polster drückte und weinte. Er ärgerte sich über sich selbst. Wie man aber auch so lange sitzen könne, dachte er sich, das sei aber auch unbegreiflich. »Sa guat, Nanerl!« sprach er mild und bestieg sein Bett. Liegend drehte er seine offenen Augen hin und her, und brummte sich selbst an: »Pfui owa r a! Lau, kimt ma denn wäda? Kantma r oanö ofluign laussn! Guatö Nocht, Nanerl!« – Am folgenden Morgen war alles wieder gut. Eine Schuld ist keine; die erste Verzeihung ist Pflicht. Es kam auch gar nicht zur Sprache. – Während des Mittagessens sprang des Nachbars weißköpfiger Knab' in die Stube, zwei Trommelschlägel in der Hand haltend, welche vom Dorfrichter kamen: »Sollts umöbuitn, doss a neida Boa sald i d'Gmoi geit!« (Sollt weiter entbieten, dass jeder Bauer selbst in die Gemeindeversammlung komme!) Der junge Hausvater ließ durch einen Knecht weiter entbieten. Gegen Abend ging er in die Versammlung. Beim Abschied sah ihn das liebe junge Weib ein wenig trüb an. Das sagte ihm genug. Es schien ihm Geschwätz, darüber zu sprechen, zu versichern. »Is scho rächt!« meinte er, lächelte zurück auf sein Weib, das an der Haustüre lehnen blieb, und ging, fest entschlossen, nach der Versammlung schnell wieder zu Hause zu sein. – Die Versammlung beim Richter war längst zu Ende, aber der junge Gemahl noch nicht zu Hause. Man hatte beim Richter gerade über einen Punkt sich vereinigt, der alle nahe anging; daher kein Ausschließen galt, vom Richter zum Wirt zu gehen. Beim ersten Glas saß unser junger Hausvater trüb, beim zweiten musste er lächeln über die Possen der Nachbarn, beim dritten entschlüpfte ihm selbst schon ein Scherz, beim vierten Glase brach ein Nachbar auf – und da wollte er wieder ernst werden und mitgehen, aber das volle Glas wollte er doch nicht zurücklassen. Der Nachbar ging, der erste beste Spaß verwischte des jungen Hausvaters Ernst so leicht, wie ein Tuch ein angelaufenes Fenster lichtet. »Ei, was und was da!« – Man sah gerade das Morgenrot im Osten, als man nach Hause aufbrach. Vor dem Wirtshause stand man noch einen Augenblick beisammen, wankend vor Schlaf und Betäubung. Dann taumelte hier einer in einen Winkel – »halt ah!« –, ein anderer, die Hände tief in die Taschen tauchend, gähnte den frischen Morgenhimmel an, und zwei andere wieder flochten, einen Halt suchend, ihre Arme ineinander und zerrten sich klugredend hierher und dorthin. – Am sichersten, allein, fast wieder klar bei Sinnen, fand unser junger Hausvater den Heimweg. Vor seinem Hause traf er den Knecht schon an, Pferde vor den Pflug spannend, pfeifend und singend, um auf das Feld zu fahren. Sogleich befahl er ihm eine andere Arbeit und fuhr selbst auf das Feld. Auf dem Hinwege wusste er vor Gedanken und Sorgen nicht aus. So fortsinnend kam er auf ein fremdes Feld und ackerte, dass ihm der Schweiß in Tropfen auf der Stirne stand, bis ihm der Eigentümer des Feldes lachend den Irrtum entdeckte. – Zu Mittag musste er nach Hause. Beim Heimfahren hatte er Bremsen und Gedanken zu verjagen. Unweit seines Hauses erblickte er sein Weib, das Holz auf dem Arme ins Haus trug. »Sakra!« sagte er zu sich und zog den Hut über die Augen. Sie musste ihn sehen, aber sie tat, als ob sie ihn nicht sähe. »In Gotts Nom!« sagte er wieder für sich, und hieb auf die Pferde, damit sie ihn rascher ins Feuer trügen. Ausgespannt – ins Zimmer getreten. Es waren eben alle Dienstboten da, welche sich zum Essen an den Tisch setzten. Vor diesen, hoffte er gleich, werde sein liebes Weib nichts sagen. Sie kam eben aus der Kammer. Er setzte sich an den Tisch, und zwar absichtlich an die unterste Ecke, damit er niemand störe, wenn er aufstehen und wegen drückender Luft hinausgehen müsste. Das liebe Weib setzte sich auch an den Tisch, sprach nichts und sah betrübt. Die Luft drückte wirklich. Er war kein Freund davon, der junge Hausherr, deshalb ging er hinaus. Dort traf er auf seine alte Mutter. Wie eine heftige Ohrfeige traf ihn deren erstes Wort. Sie wusste von seinem nächtlichen Ausbleiben und war von je die geißelndste Gegnerin solcher Unart. Sie hatte es ihrem Manne abgewöhnt – und dachte auch den Sohn im ersten Sturm zu nehmen. Dieser war ohnedies eben mürbe im Innern, dass ihn ein sanft verweisendes Wort schon zerbröckeln konnte. Das hätte die erhitzte Mutter bedenken sollen, so wäre die Sache zu Ende gewesen. Zwei Sünden sind erst eine; eine ist noch keine. Nun, so stürzt denn der Himmel ein? Mutter, das ist zu scharf. Übertriebene Strafe ist ungerecht. Ei, da muss der Sohn doch bitten – so arg war's nicht! Das muss er doch widerlegen. Lumpereien kann man ihm nicht vorhalten, das ist einmal nicht wahr! Das ist einmal zu viel! Da will die Mutter mehr gut machen, als der Sohn schlimm gemacht hat. So kann er nicht alles hinnehmen. Ja nun – was glaubt denn die alte Mutter? Hat sie denn einen Esel erzogen? Sie wird ihn so lange schwarz färben, bis er sich weiß vorkommen muss. Es ist wirklich nicht mehr weit dahin. Phlegmatische Leute wie der Sohn, sind nicht leicht bitter zu machen, aber einmal bitter, nicht leicht wieder süß zu machen. Gleich wird das die geißelnde Mutter erfahren müssen. – Schon hatte der zu heftige Angriff der alten Mutter dem Sohne einige harte Erwiderungen entlockt. Diese sprangen rascher und schlimmer aus seinem Munde, je hitziger die Mutter wurde. Endlich verließ er diese sehr verstimmt. In die Stube zurückkehrend, fand er seine Leute bereits aufgestanden vom Essen und sich entfernend. Aber ein neues Unheil erwartete ihn da. Sein Weib begann jetzt einen milden Ausfall auf sein Vergehen. Sie sagte nicht viel, aber sein – »…alle Teufel! Was will man denn haben? Was hetzt man ihm denn die Weiber auf den Hals, dass er vor Kneifen und Keifen nicht Rat mehr weiß? Was geschah denn? Was gibt's denn? Stürzt denn das Haus ein? Ist's der jüngste Tag?!« –

Er griff heftig nach seinem Hut und ging. Aber da hätte er bedächtiger sein sollen. Was ihm sein Weib sagte, war mild, ohne Bitterkeit. Sie eilte ihm nach bis an die Haustüre, noch weiter, weinte und wollte ihm nachrufen mit beschwichtigenden Worten, dass sie – oder –. Er sah und hörte nicht mehr. Ihm war fast wohl. Sein Vorsatz war, nun mit Absicht eine volle Nacht zu durchtrinken. Nach einer leidenschaftlichen Wanderung von zwei Stunden setzte er sich in einer Schänke fest. Hier trank er rasch. Bekannte gesellten sich zu ihm. Lärmen und Trinken nahm bald gewaltig überhand. Jeden mahnenden Funken im Herzen übergoss unser Flüchtling mit dichten Strömen. –

Gegen Abend saß sein Weib recht abgeweint in ihrer Stube. Noch immer räsonierend, ging die Schwiegermutter aus und ein, setzte sich endlich zu jener hin, erzählte ähnliche und andere Geschichten und räsonierte wieder dazwischen. Das eintönige Gerede und der vorgerückte Abend schläferten das junge Weib endlich ein. Dies gewahrend, hieß sie die Schwiegermutter schlafen gehen, beschwichtigend, räsonierend, des Sohnes Besserung mit Zuversicht verheißend. »Gute Nacht! Gute Nacht!« Lange noch weinte das traurige junge Weib im Bett, während die Schwiegermutter in der Hoffnung, der Sohn werde wohl bald zurückkommen, aufblieb, hier und dort in der Stube rückte und räumte, Feuer machte, und – ah, das war ihr außer Acht gekommen: frische Butter sei noch zu zerlassen. Ja, recht; indes kann der Sohn zurück sein – die Butter zerlassen! – Licht flackerte auf dem Herde, ach, und das Mütterlein sprach halb singend das Stoßgebet:

Schutzengal, gei, gei, blä schei af bö mia.
Und lau koa Unglück ena zo da Dia!
(Schutzengerl, komm, komm, bleib schön auf bei mir,
Und lass kein Unglück ein zu dieser Tür!)

»Vater im Himmel« – »ach« – und die Butter zerlief hastig – »beschütze« – »als auch wir vergeben« – »arme Sünder« – »jetzt und in der« – »Amen.« – »Schutzengal, gei, gei, blä schei af bo mia« – Sie nickte ein, im Winkel der Küche sitzend. Das war nicht gut. Wer sah auf die Butter und das Feuer? War das Sorgfalt? Niemand da? Butter und Feuer! Der Topf ist ins Feuer gestürzt! Maria und alle Engel!! –

Durch das Dorf wandernd sah sich der Nachtwächter die Sterne an. So viele glaubte er nie gesehen zu haben. Wenn viele Sterne zu sehen, kommt bald Regen nach. Nun, man brauche Regen, dachte er – »wei Gott will!« – Aber so viele Sterne singend:

»Schutzengeln, Engeln und Patriarchen,
Vor Feuer –«

»Fikara! Durt hupft an Ialleidl am Doch um!« (Ei, dort hüpft ein Irrlicht auf dem Dache um!) Er sah, dass dann und wann ein großer Funke zwischen den Schindeln des Daches hervordringend, hin und her taumelte und verlosch. Bald raschere und dichter – dann Rauchwolken – lange Flammen – endlich Feuerzungen dort und hier – Maria! Gnadenvolle! Und hier und dort! »Feuer! Feuer! Feuer!« – Der Nachtwächter schrie, als ob die halbe Welt in Brand aufginge. –

Was dachten die Männer beim Bierglas an Dinge, die sie nicht sehen und hören mochten? Da ging es her, wie unter lustig-tollen Männern, Lärm, Rauch und Streit hatte Geltung und Reiz. »Was da!« Was konnten sie wissen. Unser junger Hausvater jubelte, dass er sich vor toller Seligkeit selbst nicht mehr kannte. Juche! und er sang:

»Ma Hearzerl is zriss'n,
Ma Gwonterl is guat.
Und so Flick' i mä Hearzerl« – –

»Häratn sol koana!« (Heiraten soll keiner!) rief er dann aufspringend, wie um das zu beweisen; – »Hoist mit koana wos!« (Heißt mit keiner was!) und – –

Sein Nachbar wollte schon längst aufbrechen. Er bot jetzt alle Mittel auf, den jungen, berauschten Mann mit sich zu nehmen. Endlich, da alle andern auch aufbrachen, gelang es. Es war schon über Mitternacht. Viel Spaß und Lärm verursachte der betrunkene junge Mann. Der Spaß ging nicht recht, doch nicht recht von Herzen. Seine Ausfälle auf Weib und Mutter gerieten durchaus nicht. So erreichten sie den Wald, welchen sie passieren mussten. Als sie dessen Ausgange nahe waren, bemerkte der Nachbar, wie sonderbar licht es mählig vor ihnen werde. Der Mond könne doch nicht – es bleibe immer etwas Unnatürliches – es müsse Feuer geben! Darüber lachte der betrunkene junge Mann, dass er sich den Bauch halten musste und nicht weiter gehen konnte. – Jetzt ganz aus dem Walde tretend, sahen sie deutlich vor sich ein Haus in lohem Brand. Dumpfes Getöse schallte herauf. Mit einem Entsetzensschrei machte sich der Nachbar vom Betrunkenen los und stürzte fort. Dieser aber stand plötzlich aufrecht, fest und sicher da, auf das Feuermeer starrend. Er war so wohl bei sich – ja wie war er so wohl bei sich? – Das war doch ein Haus – sein Haus – wie ihm war? Ob er an Weib oder Habe dachte? – Auf sein Angesicht stürzend, biss er vor wütendem Schmerz in die Erde. –

Mit Tagesanbruch war das Haus glimmender Schutt. Die alte Schwiegermutter war verbrannt in der Küche; die junge Hausfrau hatte man aus dem Bette noch im rechten Augenblicke gerissen; Knechte und Mägde waren im Hemde entsprungen und von den wertvollsten Habseligkeiten rettete man wenig. Der Brand griff nicht weiter um sich. –

Nun waren die nächsten Fragen und Sorgen um den jungen Hausherrn. Der Nachbar wusste, wo er ihn nachts verlassen hatte. Dorthin eilte man auch. Regungslos lag er noch da, nur dann und wann am ganzen Leibe durchrüttelt von einem endlos schmerzlichen Seufzer. Man sprach ihn mild und mitleidsvoll an, er gab keine Antwort. Man hob ihn auf; schlaff bogen sich Körper und Arme über die Hände der Beschäftigten. Die halbgeschlossenen Augen schienen auf Ohnmacht zu deuten, allein er war wohl bei sich. Sein Gesicht sah eingefallen, blass, und ganze Stellen des Haupthaares waren schneeweiß. Man ermahnte, tröstete, führte ihn nach Hause. Nur einmal sprach er auf dem ganzen Wege, als er plötzlich einem seiner liebsten Begleiter um den Hals fiel und aufschrie: »Wos is mit man Wä?!« (Was ist's mit meinem Weibe?!) – Im Nachbarhause traf er mit seinem Weibe zusammen. Schreiend stürzte sie ihm an den Hals; er sagte nichts. Nur dann und wann erschütterte ein wildes Schluchzen sein ganzes Wesen, bis es ihn auf einmal wütend überfiel, er sein Weib so gewaltig im Schmerz umfasste, dass man sie ihm mit Gewalt entreißen musste, um sie vor Lebensgefahr zu schützen ...

Seit dieser Heimsuchung ist der Schade der verbrannten Habe ersetzt; an der Stelle steht jetzt das oben erwähnte geschmackvolle Wohnhaus. Als suchte der Besitzer außer demselben keine irdische Freude mehr, flieht er alles, was ihn sonst locken konnte. Haus, Heimat und Weib bleibt ihm das Höchste des Lebensglückes. So abgeschlossen lebt er glücklich bis auf die tiefe Wehmut, womit ihn oft die Erinnerung heimsucht. –

's narsch Deanal!

Vor mehreren Jahren erschien in den Gegenden des Böhmerwaldes ein Mädchen von achtzehn Jahren, welches ungewöhnlich schön, aber geistesverwirrt war. Die Kleidung der Fremden bestand aus einem kurzen Rock von dunkelbrauner Farbe, der sich um die wohlgebaute Hüfte an einem schwarzsamt'nen Spenzer schloss. Die Füße waren bloß, so auch Hals und Kopf, außer dass sich um letztem ein schmales hochrotes Band um Stirn und wohl gekämmte Haare schlang. Die schwarzen, großen Augen zeigten nicht jene unheimliche Starre stillen Wahnsinns, vielmehr durchschütterte eine tiefe Wehmut alle, auf welchen sie ruhten. – Es war Herbstanfang, und man hatte die Wiesen das letzte Mal gemäht. An einem sonnigen, aber mäßig kühlen Nachmittag war ein Hausvater laut und regsam auf seiner Wiese in der Nähe eines Gehölzes. Augenblicke der Ruhe wurden zu Scherz und Gesang bei Knechten und Mägden: »Onnamial! Eiz bist dö mä!« – »Au! Kants nöd sog'n, du Schwoarza!« – »Wos bin i? Wea bin i? Sakra! Owa 'r eiz – kimst ma nöd os! A Schmozal, du Obrenndö! Woart, Häxl! Weast mö schmoz'n? Weast guatwillö?« – »Halfts ma!« – »I bin da Kadl!« – »Wea? Du?« – »Schots dö zwoa r o!« – So hetzte sich hier und dort ein Paar; andere sangen:

»Spinnawöda fluigt – holt's eng zom!
's Deanal goa 'r oftmol luigt!
Spnnawöda fluigt – sog's ohne Schom,
Deanal: wo 's zuigt?«

Deanal dräbäx'n dum!
Tonzma 'ram Mos'n um;
Durt'n hräßt's – und do bricht's;
Deanal: wo sticht's?«

Plötzlich zerteilte sich rauschend das nahe Gebüsch; angstvoll schreiend stürzte die schöne, geisteswirre Fremde aus dem Gehölze und erkletterte in wilder Angst, wie vor haschenden Händen flüchtig, die untersten Äste einer am Waldsaume einzeln stehenden Fichte. Alles stürzte zu Hilfe. Doch es zeigte sich kein Verfolger, und die Fremde schien die Umstehenden nicht zu beachten. Sie hatte sich auf einem schaukelnden Aste festgesetzt und redete unbekümmert für sich: »Bleiben wir hinter der Mühle! Wenn das Rad klappert, so dürfen wir uns sehen lassen, denn man hört uns nicht! Dann haben wir getanzt und sind hinausgegangen – und dazu gegangen, – freilich!« – Die herumstehenden Leute sagten verwundert durcheinander: »Sakra! Is dö nöd narsch? O mai Gottl, sie is narsch! Narsch is, maina Seel! Und narsch is, dös sog eng i! Heargottl, wenns no owagang vom Bam! – Lädln, geit's umma do! Geit's hea do«! Von den nahen Wiesen und Feldern liefen die Arbeiter zusammen, indes sich die Fremde noch immer mit sich selbst unterhielt: »O mein Vater! Es wird ja gleich Tag werden! Alle wandern aus! Ohne Gepäck und Schuhe. Wenn die, welche ihr mir mitgeben wollt, rechts einschlagen, so setz' ich mich hinter das Korn – und krieche links gegen den Bach. Lustig am Ufer! Auseinander Haare! Gerade oben am Hügel bindet er Garben; dann werf' ich ihm diese zwei Zöpfe als Schlingen um die Füße!« Singt:

»Eine hat ihn eingefangen,
Eine hat er lieb;
Eine ist davongegangen,
Die er von sich trieb!« –

»Dass es immer noch die Mutter nicht begreifen kann. Weint ihr? So will ich euch nicht mehr belästigen. Das glaubt! – Und die Musik tändelt und lockt uns: »O komm!' – Mutter, du weißt, dass ich den Abschied hasse, darum leb wohl, leb wohl, leb wohl, ohne ihn! Jetzt werd' ich das Haar von der Stirn streichen und aufwachen. Hinter dem Holzstoß hervor: Mutter rufst du mich? Weiter vor! Da bin ich ja! Da bin ich schon!« – Bei diesen Worten ließ sie die Hände von den Ästen los und fiel auf den weichen Wiesengrund herab. Man hob sie auf, da sie bewusstlos schien, und trug sie in das nächste Bauernhaus. – Vor ihrem Erwachen zeigte sich ein leichtes Fieber, sie träumte wüst und sprach irre. Indes war es Abend geworden. Das Gerücht versammelte alle Einwohner des Dorfes um die geistesirre Fremde, welche nun plötzlich ruhig zu schlummern schien. Man betrachtete sie verwundert und neugierig auf das, was folgen würde. Eine leichte Röte auf den Wangen der Fremden und das schöne Weiß der übrigen Gesichtsteile veranlasste bei den Zuschauern des Dorfes den Ausdruck, dass sie »wei Mil und Bluat« (wie Milch und Blut) ausgesehen habe. Während des ruhigen, sanften Schlummers liefen ihr einige Tränen zwischen den geschlossenen Wimpern hervor auf die Wangen. Das ließ schließen: ein verhärtetes Leid der Seele erleichtere die Brust und schmelze. Dann folgte das Aufzucken eines heftigen Seufzers, die Fremde öffnete die schwarzen, schwermütigen Augen, unterschied aber nicht die Gegenstände ihrer Umgebung. Das Auswerfen der Arme und die folgenden Armbewegungen zeigten, dass sie den Gedanken habe, ein Kleid überzuwerfen und in Ordnung zu bringen. Sie befühlte die Haare und schien durch ihre Glätte zufriedengestellt, denn ein leichter Freudenschein streifte erheiternd über ihr Angesicht. Dann stellte sie sich ganz aufrecht, die Ärmel des Kleides zurückstreifend, und sagte, indem sie halb lächelnd die vor ihr Stehenden starr ansah: »Ich bitt' euch – Wasser! Waschen wir uns? Da her! Da! Bitt' ich:

Der ist nachgegangen,
Hat sich eingefangen! –

Ins Bad! Geht hinaus und wartet. Es ist euer aller Kind, die euch bittet – die euch bittet!« Man entfernte sich schweigend. Wehmut hielt alle befangen. Beklagend sprach man vor dem Hause untereinander: »Oarms Deanal! Wo's is ia wol gscheg'n? So schei und so narsch! Omai Gott, wo wiad ira Voderl sa; wo ira Muaderl sa? Frognma no, wo's hea'r is! Lauss ma's nöd furt, doss's do bläbt und do löbt, bis's Hoamat und Ilta'n gwiss san, wo's hikeat.« – Drei junge Dorfburschen fühlten sich bei diesem Bedauern und Reden sonderbar angeregt. Sie sprachen nichts, gingen hin und her unter den Leuten, hätten gern alles abgehorcht, wurden aber mitten bei all ihrer Aufmerksamkeit stets gedankenvoll, und wussten am Ende nicht, was um sie gesprochen wurde.

Einer: Gema nöd hoam, Säperl?

Zweiter: Hot's dias gsogt? –

Erster: Wea? Wos?

Zweiter. Ah!

Dritter: Gemma – Nocht is und dunkal – Jessas no! – No! Dös is krod gschboasö, no! Brüadala, geit's föaros – i wea nokemma.

Zweiter: No! I ho wos foloan do – geit's faros – i wea nokemma.

Erster: Gemma, Micherl!

Dritter: Gemma; Säperl, du host wos foloan do?

Einer blieb, zwei gingen. Jeder von den Letzteren meinte viel zu reden mit seinem Begleiter, allein sie schwiegen beide. Am nächsten Hause sagte Micherl: »Guatö Nocht, Fronz!« und Franz: »Guatö Nocht, Micherl!« Jeder glaubte dem Freunde die Hand zu reichen, legte sie aber über den Rücken und schlenderte in Gedanken und auf Umwegen zum Hause zurück, wo die Fremde sich aufhielt. Diese hatte sich indes in einen Winkel des Zimmers zum Waschen bereit gemacht. Sie sang und schäkerte. Als die Hausfrau kam, um ihr den Krug Wasser hinzustellen, rief die Fremde sich verhüllend: »Hilfe, Vetter! Neugieriger Vetter! Schätzt die Kunst daran und geht, Vetter!« Schnell warf sie nun die Haare auseinander, lief nach der Türe und hinaus. Der Vollmond steckte noch hinterm Gewinzö und umsäumte das Berghaupt mit einem weichen Heiligenschein, wodurch die Gegend in eigentümlichem Halbdunkel schwamm. Am Ufer des nahe vorbeifließenden Mühlbaches blieb sie sitzen, ließ die Füße in die spielenden Wellen hängen und sang. Im Obstgarten stiegen drei Gestalten umher, die sich gegenseitig nicht bemerkten, aber wie es schien einen Weg zu gehen im Sinne hatten. – »I woas goa nöd – wos is sched dös mit mia? – I kon's nöd sog'n – nöd sog'n!« sprach der eine für sich. – Es war Micherl.

»Jessas! Oarms Deanal, wei's singt! Wos is denn mit mia? – Goa flenna? Goa – bin ö narsch?« sprach der Zweite. Es war Säperl.

»Wos moch ö durt? I woas, doss ö weggei, und wieda kim. Wos willö? Wos sogö? Fosteit's mö? I zida gonz und fürchtma und bi woach – o Himl! Wenn oa Mensch dös wissat. – Sa stad, Fronz, sa stad wos hriad sö durt? Wos? Wea do!«

Auf diesen Ruf standen die beiden andern Burschen verlegen still.

Micherl: Bist du's, Fronz?

Franz: Wos bringt denn di dohea?

Micherl: A! –

Säperl: Wei kimst denn du dohea, Fronz?

Franz: A!

Säperl: I ho wos foloan!

Micherl: Und i bin eng nogonga– Zfläß! Wei eng osloch! Jeskerl ui! Ha, ha, he!«

Fronz: Wa dös glocht? Ma i Löttä 'ris dös gflennt gwöst, wei du lochst! Dös Schnagln und Gilsl'n – owa na, Micherl – wos is dia denn?

Micherl: Sakra! Sakra! I flenn nöd – owa heats dös narsch Dean'l singa – heats no! I mau mö do nieda weafa – und flenna, wei a Kid, wei a Kid!

Man hörte die Fremde wirklich eine wunderbare Arie singen, tiefergreifend, durch die düstere Konsequenz des Vortrages dem Zuhörer umso schmerzerregender, da Stimme, Text und Haltung durch die schnell eingreifende Tollheit der Sängerin bald wieder jammervoll zerrissen wurde. Sie sang in helleren Augenblicken so ihrem Geist das Schwanenlied nahen Todes. – Nach einigen Gebärden und Reden, die wieder eine Geistesirre verrieten, ging sie in die Bauernstube zurück, begehrte nach weiblicher Arbeit, und da man die Modeausdrücke, die sie zu ihrer Bezeichnung wählte, nicht verstand, so begann sie ohne Werkzeug zu nähen, auf diese Weise redend: »So, Tini, und da, Fritz! Ihr müsst hören! – Das ist zu bedauern. – Gleich müssen wir denken, im Klostergang sei kein Licht. Die armen vergessenen Seelen müssen sich da bemerkbar machen, und so stand sie vor der schweigsamen Zelle und – ich bitt' euch, kommt mit einem Lichte her! Weinen können wir sie hören, aber sie ist im Grabe vergessen und vor der Zelle vergessen, und man beschuldiget den verzauberten Bruder, was aber eine Finte ist! So kann man es lange verschweigen, doch nicht halten und verhehlen; denn der Zauber liegt im Kleide. Erbarmen! Da erkennen sie die Schuldige, niemand verteidigt sie! Mutter, geh' nicht rückwärts, wenn ich dir nahe komm'; da hab' ich dich! Dein Kind! Dein Töchterlein! Dein Kind! Da bin ich wieder! Man kennt es nicht an mir! Weil es ruhig wird – enden wird!« –

Heftig weinend, aber fortnahend blieb sie sitzen. Von diesem Augenblicke an blieb sie auch stumm. – Man führte sie auf ein Lager, um sie wo möglich gänzlicher Ruhe zu überlassen. Sie ließ schluchzend und willenlos alles geschehen. Kaum befand sie sich auf dem Lager, so winkte sie einige Male, dass man sie ruhen lasse; dann biss sie mit den Zähnen den Hals eines Fläschchens ab, goss eine Flüssigkeit, halb verschüttend auf Hals und Kleider, in den Mund, und blieb heftig atmend, aber ruhig liegen. Die Hausleute bemerkten den Akt nicht, gingen zur Ruhe; eine Magd blieb bei der Fremden in der Stube für die Nacht. Beide schliefen bald. Gegen Mitternacht erwachte die Magd. Sie horchte, hörte nichts.

»Sie schloft hrauö, sie schloft guat!« sprach die Magd.

Ein ferner Lärm hielt sie wach. Es schien ein Wagen näher zu fahren, Menschenstimmen sprachen unverständlich, zuletzt wohl vernehmbar.

Erste Stimme: »Nur herunter gleich,« und »Diener! he da!«

Zweite Stimme: »Hear! Folaußt's eng – do is!«

Heftig wurde an die Haustüre geschlagen. Der Knecht war durch den Lärm geweckt und wollte öffnen, doch kam ihm der erschrockene Hausvater zuvor.

»Ena do! Wos is denn! Christas, wos git's?« Ein Schwarm fremder Menschen, Herren und Damen, livrierte Diener drangen mit Laternen herein, sprachen nicht weiter, wie in Verwirrung halb bewusstlos. Ein Bauer aus dem Dorfe war ihr Führer. Beim Anblick der Fremden weinte der älteste Herr heftig und winkte, man solle sie sanft aufheben und fortschaffen. Es geschah tumultuarisch. Ein schwarzgekleideter Herr erblasste, als man das Licht dem Angesichte der Fremden näher brachte, und sagte, traurig bei Seite tretend: »Das ist kein Schlaf!« Ein Diener rief: »Herr! sie ist kalt!« – Ein zweiter schrie: »Herr! sie scheint tot!« – Und Jammer und Entsetzen erregten ein wirres Geschrei. Alles strömte jetzt in den Hof und zu den Wagen, die vor dem Hause hielten. Wie eine dunkle Woge zerschlug der Schwarm der Fremden sich hin und her, die Lichter gingen hie und da aus, die Wagen klappten zu, das dumpfe Gemurmel der Stimmen wurde von Pferdehuf und Fortrollen der Wagen verschlungen. Von der ganzen Szene blieb nichts zurück als das stumpfe Nachstarren der schlaftrunkenen Hausbewohner und eine zerschlagene Laterne, deren Lichtstumpf noch glimmte, und die reich mit Silber verziert am Postamente zwei mit Zierlichkeit eingegrabene Buchstaben A und L zeigte. – Keine Spur von erklärenden Nachrichten über diese Begebenheit hat sich seitdem gefunden. Wir enden damit die Darstellung, die zum Zwecke sich gemacht hat, die seltsame Begebenheit nur als flüchtige Erscheinung festzuhalten.


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