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Volk

Die deutschen Grenzbewohner dieses Schauplatzes am Böhmerwalde behalten hinsichtlich der Körperbildung die sprechendsten Spuren ihrer deutschen Abkunft bei. Die Männer, im Durchschnitte über die mittlere Größe, haben blondes Haar, lieben unter geistigen Getränken besonders Bier. Von Natur heiter und kräftig, äußern sie bisweilen in ihren Gebräuchen Derbheit, was man aber, als Bewohnern rauerer Gebirgsgegenden, gern an ihnen entschuldigen wird, wo man im Körper den gesunden Kern entdeckt, und umso mehr, als nie eine wirklich böse Gesinnung derlei raue Äußerungen durchweht, die auf Schaden rechnet und anträgt und nur durch diesen sich zufriedenstellen lässt. Die Frauen erreichen im Durchschnitte nur die mittlere Größe, teilen aber häufig das blonde Haar, welches besonders bei der Jugend so allgemein ist, dass man ganze Scharen spielender Knaben und Mädchen mit schneeweißen Köpfen erblickt und wegen seiner Seltenheit einen Schwarzkopf als Spitznamen seines Hauses gebraucht. Mehrere Höfe jener Gegenden heißen »Zum Schwarzschädel«. Diese Deutschen besitzen musikalisches Talent und Vorliebe für die Musik gleich den eigentlichen Böhmen. Fast jedes Dorf hat seine Musikanten. Spielt der gegenwärtige Bauernsohn nicht Geige oder Klarinette, so beweist eines dieser Instrumente, in der Stube unter verschiedenen Hauswerkzeugen hängend, dass der Vater oder Großvater spielte. Nicht minder sind sie für Nationalgesang eingenommen. Unzählig sind Volksmelodien und Texte. Auch der Jodler ist da zu Hause. Jährlich komponieren die Burschen einzelner Dörfer Melodien und Texte, und die gelungensten werden allgemein. Das musikalische Gehör beweist sich dadurch, dass die schlechteste Stimme im Chor wenigstens keine Misstöne nimmt. Am Tage widerklingt Haus und Feld von Liedern. Nächtlich durchziehen erwachsene Burschen singend die Dörfer. Nicht nur heitere, auch rührende und ernste Lieder werden gesungen, und wenn ein solches durch die Mitternacht tönt, da richten sich Väter, Mütter und Jungfrauen im Bette auf, bis sich die Sänger entfernen. Meistens sind die einfachen, tief erschütternden Gesänge als Begräbnislieder jener Gegend gebraucht, die sich die Burschen vom Zuhören merken. Einst, als in später Nacht ein solches Lied erschallte, hörte ich in einer Nebenkammer ein altes Mütterlein heftig weinen. Ich stand auf und fragte, was ihr begegnet sei; sie antwortete, von der Wirkung des Gesanges durchschüttert: »Hört Ihr? Ach, hört Ihr, wie sie mich zu Grabe singen?« Und darin liegt wohl ein Zug deutschen Ernstes. Das Nähern einem deutschen Dorfe bei einbrechendem Sommerabend wird mit jedem Schritt anziehender. Die heimkehrenden Herden, denen Schwärme von Knaben und Mädchen folgen, singend und jubelnd, das Fahren, Zurufen der Landleute, Hämmern und Klopfen auf Sensen und Sicheln, um sie für den nächsten Tag zu schärfen – dieses und mehr gleicht den Szenen der Schweiz und Tirols. Ertönt die Abendglocke, so erlöscht plötzlich das lärmende Leben, die heimkehrenden Kinder gehen schweigend und betend nebeneinander hinter ihren Herden, im Dorfe ruht die Arbeit, Klopfen und Geschrei; jedermann richtet sich auf zum Gebet. Die Abendandacht wird regelmäßig nach dem Essen und unter Vorbeten des Hausvaters in Gegenwart der Familie, der Knechte und Mägde verrichtet. So auch das Morgen- und Mittaggebet. – Welch ein schönes Nachbarverhältnis man da oft trifft, möge folgendes dartun: Wenn ein ärmerer Hausbesitzer wegen zu wenig Zugvieh und Arbeiter zur Erntezeit in seinen Geschäften zurückbleibt, so unterstützt man ihn allseitig und hilft ihm vor. Nicht selten nehmen erwachsene Burschen in der Nacht einen Wagen, spannen sich selbst vor die Deichsel und schieben an Rad und Leitern; – wenn dann der Hausbesitzer zeitlich und seufzend aufsteht, sein Getreide mühsam einzuführen, liegt ein großer Teil in der Scheuer, und ein wohlbefrachteter Wagen steht vor der Türe. Zugvieh wird oft stundenweit aushelfend zugesendet. Man kann kaum eine freudigere Bewegung sehen, als wenn Brüder mit ihrem ganzen Hauswesen einander zu Hilfe kommen. Dieser Fall tritt häufig zur Erntezeit ein, und für die Hilfeleistung wird nicht einmal Mittags- oder Abendessen angenommen. Abends kommen die Männer zusammen und sprechen bei einem Kruge Bier über das segenreiche Tagewerk. – Für Böhmen als Vaterland zeigen diese Deutschen keine Vaterlandsliebe. Das ist wohl zu begreifen und zu vergeben. Soweit sie mit den anwohnenden Tschechen in Berührung kommen, haben diese wenig Anziehendes zu bieten. Die drückende Lage macht sie dumpf verschlossen, argwöhnisch, starr oder, wenn sie auftauen, lästig schmeichelnd. Harmlose Fröhlichkeit zeigt der hier anwohnende Tscheche nie. Tritt er einmal aus dem Dunkeln des Trübsinns, so schwingt er die sausende Fackel wilder Lust, um dann auf lange wieder seinem Robotpflug in träger Versunkenheit nachzuschlendern. Dieser arme Tscheche weiß, dass ihn sein Fleiß in höchster Potenz auf keinen grünen Zweig bringe, daher kein Funken Neuerungs- oder Verbesserungsgeistes aus seiner Beschäftigung blitzt, wenn ihn nicht Zwang aus seiner lahmen Gleichgültigkeit schlägt. Wenn eine Familie zu zahlreich wird, so treibt man die Kinder wie entbehrliche Schafe in alle Welt. In der Fremde erst, wo er mit seinem Fleiße frei ist, beweist dieser Tscheche die unbändigste Ausdauer, Sparsamkeit, Mäßigkeit, Ernst, Geschick und Lust zu jeder kräftigen Tat. Daher muß sich dieser Tscheche seine gute Meinung erst aus der Fremde holen. Leider zeigt sich aber in zu vielen Ausnahmen, wie Erstarrung der geistigen und körperlichen Natur durch Druck auch später in den freiesten Elementen nicht mehr freudig auftauen kann. Was würde dieses Volk aufbauen, wenn es zu einer großen Tat ebenso gesucht und gerufen würde wie zum Bau von Häusern und Palästen in der Fremde! Aber Umstände und so weiter. – Doch, liebe deutsche Landsleute, warum seht ihr mich so verwundert an? Ich sollte euch schildern und rede so viel über eure tschechischen Nachbarn. Wenn es euch gefehlt scheint, so habe ich Gründe anzuführen, die euch anders überzeugen. Das Lob eurer tschechischen Nachbarn könnte und möchte ich gerne noch weiter ausführen, denn ihr begreift noch nicht, wie dasselbe unbemerkt auf euch selbst übergehen müsste. Seht! Wenn z. B. einer aus euch dastände, angetan mit eurer schönsten nationellen Sonntagstracht: mit weißen Strümpfen (gmo'ltn Stimpfa'n) und Schuhen, einer schwarzledernen Kniehose, welche, mit weißen Schnüren an den Nähten ausgelegt, unter den Knien die Strümpfe aufrecht hielte mittelst schmaler Lederriemen und in der Schlitztasche an der rechten Seite silberbeschlagenes Besteck haltend; ja, und weiter angetan mit einer karminrot- oder blau- oder grünseidenen Weste, die nebst eingewebten Goldblümchen noch mit einer Reihe versilberter Achtecker- oder Zwanzigerknöpfe geschmückt wäre; und angetan mit veilchenblauer oder schwarzer Manschetjacke, welche bis zu den Hüften, ohne eng anzuschließen, herunterreichte; endlich mit karminrotem Seidenhalstuche: – und der so Hergestellte würde einen Bettlermantel umnehmen und auf den Kopf statt des ziemlich hohen, grobfilzigen, schwarzen, mäßig breitschirmigen Hutes eine zerfetzte Kappe setzen: – sagt, hielte man den nicht für einen Bettler, Gauner oder Spion, wenn man nicht wüsste, wer er ist und wie gut er unter dem Mantel gekleidet ist? Nun habe ich mit diesem Beispiele etwas vor. Wir werden gleich sehen. Wenn man betrachtet, wie die tschechische Bevölkerung euch am Rücken herumwohnt (denn euer Gesicht habt ihr nach Deutschland gerichtet!), bald tiefer in eurem Gebiete sitzt, bald weiter im Lande, so könnten wir uns unter dieser Anwohnung das Bild eines Mantels denken, der um eure Rücken hier eng ansitzt, dort weiter hinwegweht; und weil von euch gegen Norden die tschechische Bevölkerung so weit an die Landesgrenze vorrückt, dass sie euerm Gebiete gleichsam den Kopf überdeckt, so habt ihr sie auch gleichsam als Kappe auf dem Kopf. Ich habe euch so gefällig geschildert wie eure Tracht. Aber euch hängt ein fremder Mantel um und sitzt eine fremde Kappe auf. Ist's euch gleichgültig, was man von euerm Mantel und eurer Kappe denkt? Das Kleid macht den Mann, sagen die meisten. Wenn man nun den Tschechen schlecht schildert, so gilt euer Mantel und eure Kappe für schlecht und mit dem Kleide ihr selbst; denn, wird man kommen und euern Mantel auseinanderschlagen, um euch besonders zu betrachten, wenn man vom Böhmervolk überhaupt spräch'?

Laussts d' Beim no gei,
Sö san dö rächtn Läd scho;
Eiz fralö homants hold koa Glück, koa Fräd no.
Und Glück und Frad mocht d'Läd east guat und schei.

(Lasst nur die Tschechen immer geh'n,
Sie sind jawohl die rechten Leute;
Jetzt freilich fühlen sie nicht Glück, nicht Freude,
Und Glück und Freud' macht Menschen gut und schön.) –

Diese scharfe Verschiedenheit des Nationalcharakters trennt den Deutschen vom Tschechen natürlich, nicht aus Hass. Schlimmere Lage drängt diesen auch mehr, jenem sich anzuschließen, und der Fälle gibt es sehr viele, dass böhmische Burschen (nie aber Mädchen) und Knaben in den deutschen Dörfern dienen. Sie finden ein lebhaftes Vergnügen am Nationalleben der Deutschen. Ein deutscher Bursch oder Knabe wird nie im Dienste eines tschechischen Hauses gefunden. Wo nicht hie und da die Bevölkerung in einem Dorfe schon gemischt ist, geschehen höchst selten Mischungsheiraten. Der Verkehr zwischen dem Deutschen und Böhmen (Tschechen) wird, wo er nicht notwendig ist, nicht gesucht; viel lieber hat man mit dem anstoßenden Bayern zu schaffen, weil hier das Nachbarvolk viel Übereinstimmung in Tracht, Dialekt, Sitten und Charakter zeigt. Es leiten auch viele dieser Deutsch-Böhmen aus der Oberpfalz ihre Abstammung her. Man rückte im Böhmerwalde immer weiter vor, bis gewisse Schranken gesetzt wurden. Für die Urbarmachung des Böhmerwaldes aber erteilte man ihnen Privilegien. Diese Deutschen waren anfangs ganz steuerfrei, hatten freie Waldung und nicht die geringste Fronverpflichtung. Eigentumswaldung und Fronfreiheit besitzen die k. Freibauern und die Kammeraldörfer (jetzt der Stadt Taus untertänig und unmittelbar an der Grenze liegend, welche erst bei der Grenzberichtigung im Jahr 1766 zum Gebiete Böhmens geschlagen wurden) gegenwärtig noch; die meisten übrigen Dörfer begünstigt nur mehr ein äußerst wohlfeiler Holzbezug. Die Fronverpflichtung verbindet nur hie und da zu unbedeutenden Leistungen. Mit der Besteuerung sind viele Neuerungen vorgefallen. Privilegien in mannigfachen Beziehungen für Gewerbe usw. finden sich viele, manche sind in Prozessen verloren gegangen, wenige haben eine Umgestaltung erlitten. So hat ein Prozess über die Besteuerung des Waldlaubes (Streu), dort zwischen Herr- und Untertanschaft eines Gebietes viele Jahre geführt, endlich eine erfreuliche Wendung dahin genommen, dass dem Untertan statt des höchst wohlfeilen Bezugs von Schlagholz und des ihm unentgeltlich zukommenden »natürlichen Abfalles vom Baum« (Bestimmungen des Privilegiums) eine verhältnismäßige Waldung ganz abgetreten wurde. Diese vorteilhafte Wendung für den Untertan ging aber aus dem freien Entschluss des Herrn hervor und die Versöhnungsszene dieses edlen Deutschen Se. Exl. Franz von Stadion-Thannhausen, Gouverneur von Triest. Die nachstehende Novelle behandelt diesen Stoff. mit seinen deutschen Untertanen, welche diesen Sommer (September 1842) zustande kam, hatte viel Anziehendes und Rührendes, indem seinerseits ein Rückhalt der dauernden Liebe zueinander störte und der Herr seine Tränen ebensowenig zurückzwang, als zwei deutsche Bauern hervortraten und in einem eigens abgefassten Dialog voll Treue gerade heraussagten, wie fest und gerne sie immer zu ihm stünden als der Untertan, da der Herr voll Neigung zu ihm sprach. – So wie aber Privilegien aus der Bewohnung des Urböhmerwaldes sich herschreiben, so blieb diesen Deutschen auch ein auffallend origineller Hang zum Aberglauben zurück, der wohl gegenwärtig schon merklich die von Wald gelichteteren Dörfer im Mittelgebirge verlässt, weil er auch durch den Verkehr mit der Fremde geschwächt werden muss; aber in der k. Waldhwozd (Freibauerngerichten, Künischen), wo noch vielenteils Einschichten oder Waldhöfe zu finden sind, wurzelt dieser Hang zum Aberglauben noch tiefer und allgemeiner. Unter dem Titel: »Sagen, Aberglauben, Faxen, Volksgespenster und Volkspropheten« führe ich unten einiges der Art an. Aus der Bewohnung dieses großen Waldgebietes, wodurch der ansässige Deutsche gegen Westen vom Nachbarlande abgeschnitten wurde und gegen Osten durch seine scharf-verschiedene Nationalität getrennt blieb, lässt sich ferner das vielfach Originelle des hier vorhandenen Volkslebens erklären. Einst erzählte man sich hier Wunderbares von den Nachbarländern, weil selten eine bedeutendere Wanderung dahin geschah. In dieser letzteren Hinsicht aber besteht gegenwärtig eine gänzliche Umwandlung. Außer der Übersiedlung vieler dieser Deutschen ins Banat 1827, welche ihnen schlecht bekam, geschah noch keine Auswanderung; aber es begeistert sie ein eigentümlicher Drang nach der Fremde. Österreich vor allem zieht sie an. Der österreichische Volkscharakter und Dialekt übt einen eigenen Zauber über sie. Von Wien insbesondere kann ein deutsches Mädchen oder ein Bursche so seltsam gemütlich träumen, dass sich die Sehnsucht oft zum unwiderstehlichen Heimweh steigert. Diese Gemütsstimmung veranlasst daher jährlich, besonders im Frühjahre, ein regelmäßiges Wandern nach Österreich. Von all diesen jährlichen Wanderungen der Jugend aber ist keine Schwächung der Bevölkerung am Böhmerwalde zu besorgen; denn obwohl ohne Vaterlandsliebe für Böhmen, lebt die Liebe zur Heimat um so tiefer und lebhafter in ihren Herzen. Und dieser Umstand lässt sie ebenso freudig wieder heimkehren, als sie fortgewandert sind. Die, welche als Kinder schon in der Fremde leben, dauern auch am sichersten daselbst für die Länge aus. Erwachsene kommen fast immer wieder zurück, wenn nicht besonderer Zwang der Umstände sie ferne hält. Vorzüglich, wenn die Zeiten kommen, wo zu Hause eine oder die andere teuere Volkssitte gefeiert wird (vor allen das Kirchweihfest – o Kirda! o Kirda! wei höma dö gean!), braucht es besondere Selbstverleugnung, sich in der Fremde zurückzuhalten. Solche Gelegenheiten veranlassen viele wunderbare Beweise der Heimatliebe. Nicht bloß Burschen, auch Mädchen legen zu Fuß mit einer Wegzehrung von 30 Münzkreuzern und ohne Mildtätigkeit anzusprechen, den 40 Meilen langen Weg von Wien bis in ihre Heimat innerhalb vier Tagen zurück, um noch zurecht zu kommen bei einem teuern, gefeierten Volksbrauch. Die untilgbare Liebe zur Heimat hat daselbst die Nahrungssorgen vielfach erhöht und manche wohlklingende Saite des Volkslebens verstimmt. – Bedeutende Kenntnis des Auslandes sammeln sich diese deutschen Böhmerwäldler durch den Federnhandel, der nirgends sonst so viele Teilhaber findet als in diesen Gegenden. Er ist seit hundert und fünfzig Jahren ungefähr eine bedeutende Erwerbsquelle. Jedes Dorf zählt mehrere Federnhändler. Nicht nur Männer ohne Haus und Grund, auch Besitzer bedeutender Wirtschaften betreiben diesen Handel, obwohl seit mehren Jahren die Vorteile desselben merklich unsicherer und geringer werden. In den ersten Jahren dieses Handels konnte jeder eifrige Teilhaber auf nennenswerte Wohlhabenheit rechnen, und man darf sagen, dass die meisten Wohlhabenden am Böhmerwalde ihr Glück gerade aus dieser Erwerbsquelle schöpften. Reiche Unternehmer, welche an der Spitze dieses Handels stehen, beziehen große Federnmassen aus Ungarn, Böhmen, Mähren und Galizien für ihre Niederlagen am Böhmerwalde. Hier verkaufen sie ihre Ware an die kleinen Händler zu 10 bis 40 Zentner, welche im Auslande durch Hausierer abgesetzt werden. Die Ware wird nach kaufmännischem Interesse gesondert, verschieden benannt und taxiert. Anfangs durchzog man mit diesem Handelsartikel das angrenzende Bayern, kam aber gegenwärtig bereits nicht nur in ganz Bayern, Tirol, Preußen und im übrigen Deutschland hausierend herum, sondern versuchte sein Glück auch in Schweden, in den Niederlanden und in Frankreich. Man hat bedeutende Federnniederlagen in Frankfurt a. M., Lübeck, Bremen, Amsterdam, Köln usw., selbst in Paris. – Auf diese Weise konnte der pekuniäre Vorteil nicht der einzige sein; es haben diese Geschäftswanderungen in jeder Hinsicht energischere Tätigkeit angeregt um den eigenen Herd und viel richtige Kenntnis des Auslandes unter das Volk zu Hause gebracht; mancher schlichteste Mann äußert recht gesunde Ansichten über das Ausland. Das Federnschleißen ist am Böhmerwalde während der langen Winterabende eine zum Märchenerzählen ebenso geeignete Beschäftigung geworden wie das Spinnen. In neuester Zeit versucht man eine Unternehmung nach Amerika mit dem Federnhandel. Man kann nicht entscheiden, wie günstig oder ungünstig dieselbe ausfallen werde. – Von sonstigen Gewerben sind nur zu erwähnen eine berühmte Spiegelfabrik und mehrere Glashütten; außer diesen betreibt man alle nötigen Industriegewerbe, Landbau und Viehzucht nach Verschiedenheit der Begünstigung durch die Natur mit verschiedenem Erfolg. Gewerbe und Landbau vereinigt zu betreiben, ist der Bewohner des Hochgebirges gezwungen und diesem werden sonst nötige Dinge durch Hausierer zugebracht. Weiter in den Niederungen hinab, wo erst eigentliche Dörfer bestehen, teilen sich die Nahrungsquellen schon gesondert unter die Bewohner. Wie man im Hochgebirge die einzelnen Gehöfte mit einem Wohnhause für sogenannte Hintersassen (Inwohner, welche sich vom Tagwerken an jedem betreffenden Hofe nähren) findet, so bestehen sie auch in ganzen Dörfern, und die Hausnamen, nicht immer von des ersten Besitzers rechtem, oft von dessen komischen Spitznamen hergenommen, bleiben den Wirtschaften für alle Zukunft.

Die katholische Religion ist die allgemein verbreitete. Man denkt nicht mehr zu sehr überspannt. Der Gewissengurt hat ein Löchlein weiter gesteckt, ohne deshalb der gesunden Sittlichkeit nachteilig zu sein. Dessenungeachtet geht nichts über den Mutterwunsch, dass ein Sohn dem geistlichen Stande sich widme. Deutsche Studierende aus dem Böhmerwalde kennen recht wohl die Worte: »Weast a Pfarerl wean, Beiwl, galt?« (Wirst ein Pfarrlein werden, Söhnlein, gelt?), welche sie tausend Mal hören müssen. Die meisten geraten. Einer aber, der ein anderes Fach wählt, steht wohl in Respekt, aber: »as wä hold doch bössa, wenns a Pforerl woan wa« (aber es wär' halt doch besser, wär's ein Pfarrlein worden), heißt es. Einen merkwürdigen Fall hat dieser religiöse Eifer veranlasst. Seit einigen Jahren besteht auf Kosten eines wohlhabenden Federnhändlers eine neuerbaute Kirchen und leben auf dessen Faust zwei Geistliche daselbst. No! No!

Die Männertracht ist in obiger Angabe im wesentlichsten schon geschildert. Der Tuchrock, welchen die erwachsenen Burschen und Männer tragen, hat einen schmalen, einfachen, steif aufrecht stehenden Kragen, an der Schulterspitze einen kleinen Bauschfalten und reicht, wenig anliegend, bis zu den Knöcheln hinab. Darunter zieht man immer eine Jacke an. – Die Frauen binden über den Kopf ein farbiges Tuch und lassen nur an den beiden Schläfen ein wenig Haar hervortreten. Ihr Halstuch gleicht dem der Männer, aber ihre Zeug- (auch Tuch-) Jacke reicht nicht ganz bis an die Hüfte, ist um die Brust nicht stark ausgeschnitten und lässt oben über dem Ausschnitt das bis fast an den Hals reichende Hemd sichtbar werden. Diese Jacke ist um den Ausschnitt breit garniert. Unter der Jacke ziehen die Mädchen das Mieder an, das kaum ¼ des Rückens deckt, mit Goldborden belegt und an der Brust stark ausgeschnitten ist. Die Farbe bleibt fast allgemein die karminrote, öfters zu finden ist auch die schwarze. Mittelst eines kreuzweis über die Schulter gezogenen weißen Bandes wird der Rock gehalten, der sonst aus starkem roten Zwirnzeug bestand und kaum über die halbe Wade hinab reichte; jetzt aber findet man verschiedenstoffige, meistens Kattunröcke, welche über die ganze Wade hinabreichen und vorne durch ein farbiges breites Vortuch von gleicher Länge mit dem Kittel (Kidl, Weiberrock) überhüllt werden. Die Strümpfe sind meistens weiß, und dazu tragen sie Schuhe. – Wenn die Männer blaue Strümpfe tragen, so ziehen sie darüber Halbstiefel an, welche faltig bis unter die halbe Wade hinabfallen. Oft gebraucht sind auch solche Stiefel, deren weiches Röhrenleder weit über das Knie hinaufgezogen werden kann.

Jetzt nur noch ein Blick auf die Bauart der Häuser. Sie zeigt sich am eigentümlichsten durch die Dächer, welche von den Kaminen gegen die Dachrinnen eine Fläche von geringem Abfall bilden. Die Schindeln sind auf den vielen Querbalken neben- und aufeinander gelegt und zur Befestigung mit gewichtigen Steinen beschwert. Der Schutz solcher Dächer steht jenem der schneidigen hohen nicht nach. Gegenwärtig baut man die Wände aus Steinen und Ziegeln und das Dach nicht mehr flach. Ältere Häuser sind alle aus Holz gezimmert.

Und nun wollen wir dieses deutsche Volk in seinen Nationalgebräuchen auftreten und dessen Charakter tätig entfalten sehen.


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