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Die Stadt-Frohne

I.

Das Behagen des Sommerabends war groß.

Vor den Häusern saßen Männer und Weiber beisammen, redend, sinnend, scherzend; Mädchen und Burschen, sonntäglich geputzt und still vergnügt, kamen einzeln oder in Gruppen hinzu und gingen wieder weiter; die Kinder jubilierten auf den Angerplätzen, und als es einemwilden Buben einfiel, auf hohen Stelzen durchs Dorf zu gehen, stürmten sie in Scharen herbei, um ihn wie Schwalben den Habicht schreiend zu umkreisen.

»Der Märkle hat da einen, der ist dem Bockfuß ausgekommen«, sagte die alte Walpurg lächelnd zum nächsten Haus hinüber: »Mich wundert nur, dass euer Jogli nicht auch bei dem Gesäuse ist!«

»Er wär's gewiss, wenn er eurem Ambros nicht wieder nachgelaufen wäre«, erwiderte der Veit, nicht undankbar gegen die Erinnerung an seinen Knaben: »Ich bin nur neugierig, wie lang die Freundschaft zwischen beiden dauern wird!«

»Von Ostern bis Pfingsten gewiss«, sagte eine angenehme Mannesstimme, welche sich unerwartet ins Gespräch mischte.

Man blickte auf und sah Ambros näher treten mit dem Jogli an der Hand.

»Da ist er wieder, pünktlich abgeliefert«, fuhr Ambros lächelnd fort, »aber dass ich ihm nicht schenke, was er angerichtet hat; diesen Salvei hat er unerlaubter Weis' dem Burger abgerissen.«

Der Veit hob seinen Finger gegen den Knaben und sagte zu Ambros:

»Wo seid ihr denn herumgestiegen?«

»Ein wenig hinter den Gärten durch die Felder, gegen das Walcherbergel hin«, erwiderte Ambros freundlich, und indem er leicht an seinem Hutschirm rückte ging er weiter und sagte:

»Gute Nacht!«

»Wie Gott will und dir auch!« dankte die Veitin und blickte dem hübschen Burschen nach.

»Es wird mir immer wohl, wenn ich den Ambros seh'«, bemerkte der Veit, dem Burschen gleichfalls mit den Augen folgend: »Still, treu, fleißig und mit ein paar Schultern wie sein Vater!«

Ein leichtes Peitschenknallen veranlasste jetzt das halbe Dorf der Sägemühle zuzublicken, wo ein Wägelchen, von einem wohlgenährten Eisenschimmel gezogen, den Fahrweg herein und am Gemeindebrunnen vorüber lenkte.

Der Gemeinderat Gruber, der Gold-Gruber genannt, saß auf dem Wägelchen und hinter ihm sein Weib und seine Tochter Vrone.

Der Gruber sah zufrieden drein und schnalzte, wie es schien, nicht ohne Absicht, Aufmerksamkeit zu erregen, so fleißig mit der Peitsche; noch vergnügter blickte die Gruberin um sich, indem sie hier und dort Bekannte grüßte und dabei stets eine dunkelrote Stirn bekam.

»Die Stadt-Frohne lässt sich hübsch spazieren führen«, bemerkte eine hagere Frau jetzt, als das Wägelchen an ihr vorüber war, »den vorigen Sonntag in Oberholzheim, Mittwochs drauf in Schwehingen und heute in Naheim, freilich, wie soll ein rechter Mann gefunden werden, wenn nicht weit und breit die Gegend durch gestöbert wird?«

»Es heißt ja, dass der Oberförster Rehfuß ein Aug' auf die Vrone habe!« flüsterte die Härtl.

»Ich hab' vom Conterlor in Naheim gehört«, sagte die Hagere rasch, »das stimmt auch ganz mit der Fahrt von heute!«

»Und mir hat man gesagt, der dicke Rentamtmann sei gestern dagewesen und habe sich als Witwer breit gemacht«, bemerkte eine Dritte.

Es klang wie neckisches Gelächter über diese Heiratskonjekturen, als in diesem Augenblicke die Gruber-Vrone vom Wägelchen herab allerlei Geschenke unter die Kinder warf und sehr ergötzt über die Jagd derselben lachte; in ihrer lebhaften Art nahm sie auch Partei für dieses oder jenes unbehilfliche Kleine und trieb mit dem Sonnenschirm manchen keck zugriffigen Buben aus dem Bereich der Geschenke, was sich freilich mit ihrer städtischen Tracht, dem Schleier und Federhut, nur seltsam reimte.

»Schön und wild wie ehvordem – die Stadt hat ihr wenig abgeschliffen«, sagte jetzt die alte Walpurg, welche in ihr Stübchen zurückgekehrt, dem Ambros seine Abendsuppe vorgesetzt hatte und vom kleinen Eckfenster aus dem Treiben der Vrone zusah. »Neugierig bin ich nur, wem diese Goldammer endlich ins Nest fliegen wird; unter einem Grafen wird sie schwerlich einen suchen!«

Dies setzte sie hinzu, indem sie wieder nach dem Stübchen zurücksah und die Schüssel prüfte, aus welcher Ambros essen sollte.

Zu ihrem Staunen war die Suppe fast noch unberührt, und sie sagte drängend:

»Ei, so iss doch, Ambros, ich glaube doch, das Essen ist geraten!«

»Das ist's auch, Base«, erwiderte Ambros leicht errötend: »Ihr wisst, am Sonntag ist der Hunger niemals groß«, und indem er den Löffel ganz weglegte, fügte er hinzu: »Morgen mit der Arbeit wird der Appetit auch wieder kommen!«

»Was hat da meine Kost davor? Die Woche bist du kaum daheim; und morgen – dass ich nicht vergesse, der Baumhoch hat geschickt, ob du ihm nicht mähen helfen willst.«

»Das kann ich, Base.«

»So hab' ich recht getan und zugesagt?«

»Ja freilich; ihr wisst ja manchmal besser als ich, was an der Ordnung ist.«

Diese milde Art des Burschen entschädigte die Walpurg für den Gram, die Suppe fast unberührt wieder forttragen zu müssen, und sie gab jetzt ihre Zufriedenheit und ihre Sehnsucht nach Ruhe zugleich durch ein leises Summen zu erkennen, nicht unähnlich dem Schlummerläuten eines Abendkäfers, der noch flüchtig durch die Lüfte streicht.

»Maria und Jesus«, sagte sie halb sinnend und hie und da im reinlichen Stübchen ordnend – »wieder ein Tag dahin; wie werden wir bestehen? Seid uns und allen armen Sündern gnädig!«

Und wie ein helles »Amen« fiel die Abendglocke jetzt zu diesen Worten ein, der Kinderlärm im Dorf verstummte, und die Gruppen vor den Häusern erhoben sich, um zur Nacht und zur Abendsuppe heimzukehren.

Auch Ambros versuchte seine Abendandacht jetzt, indem er aufstand und, die Hände faltend, an ein Fenster trat; – aber schon nach wenigen Worten umwölkte sich der Sinn seiner Andacht, und irdische Gefühle, so hold und feurig, als sie nur ein Menschenherz bewegen können, erfüllten seine Brust.

Dort drüben auf dem schön geschnitzten Galeriegang war die Vrone Gruber erschienen, noch im vollen Sonntagsputz, nur ohne Hut und Überwurf; sie schien zwar auch der Andacht halber aus dem Oberstübchen getreten zu sein, aber ihr rasches Wechseln der Stelle, ihre unruhigen Bewegungen, namentlich des Kopfes und der Arme, zeigten deutlich an, dass sie die rechte Fassung zur Andacht doch nicht haben könne. Ambros sah auch bald, dass ihr Gesicht sich sehr bestimmt nach eben dem Fenster kehrte, wo er stand – und als hierauf die Abendglocke schwieg, bemerkte er mit glänzenden Augen, dass Vrone ein Stück Papier zerpflückte, die Stücke desselben nach kleinen Zwischenräumen über die Brüstung fallen ließ und schließlich mit einer raschen, koketten Wendung wieder hinter der Türe ihres Balkonstübchens verschwand.

Ambros legte beide Hände über die Brust und atmete tief auf; er hatte das Zeichen wohl verstanden.

Ein leichter Schwindel und dann eine klare Fülle von unsäglicher Freude erfassten sein ganzes Wesen. Er warf einen prüfenden Blick nach dem Abendhimmel, wo der schimmernde Lichtstreif noch immer einem völligen Dunkel nicht weichen wollte, und trat dann vor das Haus, um anzuzeigen, dass er die Winke wohl beachtet habe – und kommen wolle!

II.

Guten Abend, gute Nacht
Mit Rosen bedacht,
Mit Näglein besteckt
Schlupf unter die Deck:
Morgen früh, wenn's Gott will,
Wirst du wieder geweckt!

Diese Worte hörte Ambros von einer schläfrigen Knabenstimme sprechen, als er gegen zehn Uhr abends am offenen Kammerfenster des Nachbarhauses vorüber ging, er musste lächeln und dachte:

»Der Jogli hat sich das Sprüchlein wohl gemerkt!«

»Und woher hast du das?« fragte jetzt die Mutter des Knaben in der Kammer.

»Vom Ambros«, erwiderte der Knabe: »Er hat mir's heute vorgesagt, bis ich's wusste.«

»Ja ja, der Ambros ist brav, an den halt' dich; und das Sprüchlein sag' nur her jeden Abend!«

Der Ambros ist brav – dieser Ausdruck war nicht neu für unsern Wanderer; aber der Ambros ist glücklich – dieses Wort hätte ihn jetzt wahrscheinlich noch tiefer bewegt als er es schon war.

Ja, glücklich war er, so glücklich, dass die Freude seines Herzens leichte Schauer borgte, um sich selbst zu dämpfen und nicht in Lied oder Ausruf laut hervorzubrechen.

»Wär' doch eine Meile weit Wüste und Wald um mich, dass ich aufschreien könnte«, dachte Ambros weiter gehend, »es würde mir leichter machen, was ich wie vermauert in mir tragen muss!«

Es war auch keine Kleinigkeit, eine Liebe in die Brust zu verschließen, die von dem ersten Mädchen des Orts, ja der Gegend erwidert wurde.

Während die Leute in Vermutungen sich erschöpften und nach beneideten Bräutigamen forschten, wussten Ambros und Vrone allein, wie weit vom Ziel geschossen wurde; noch neulich hatte die Vrone unter feurigen küssen geflüstert:

»Lass' die Leute raten und im Weiten herumfahren, das macht nur sichere Nebel um unser Glück; – ich werde schon auftreten, wenn's Zeit ist, und sagen, dass du und niemand als du der Meine bist!«

Darum war Ambros aber auch fest gegen jede Versuchung, sein Glück zu verraten, ein stilles, kaum merkliches Lächeln war das einzige Zeichen von Teilnahme, welches er sehen ließ, wenn in seiner Gegenwart von der Vrone und ihren vermeintlichen Freiern die Rede war; selbst wenn er unter dem Schleier der Nacht zur Geliebten schlich, wenn er vollkommen sicher war vor Lauschern und Zuträgern, entschlüpfte seinen Lippen kein Gedanke seines Glücks, vor allem der Name der Geliebten nicht.

Und so ging er denn auch diese Nacht mit wohlverwahrtem Geheimnis durchs Dorf und spähte nur, manchen bedachten Umweg nehmend, ob auch seine Wanderung unbeachtet bleibe.

Dies schien denn glücklich der Fall zu seine; ein tiefes Dunkel begünstigte seine Schritte, im Dorfe schien alles schlafen gegangen, und selbst die Kameraden, die sonst um diese Stunde noch gerne Dorf auf und ab zu singen pflegten, schienen Ruhe zu suchen für die schwere Arbeitswoche, die bevorstand.

Jetzt glaubte daher Ambros auch, dass er seiner Vorsicht ein Ziel setzen und die Geliebte nicht länger warten lassen dürfe.

Beim Gemeindebrunnen machte er Linksum, ging rasch noch einmal bis in die Nähe des Dängelhofes, dann über den Steg des Mühlbaches in gerader Richtung auf den Gruberhof los, wo er forschend noch einmal inne hielt und tief atmend beide Hände über die Brust legte; – da alles stille blieb ringsum, war er mit wenigen Schritten an der Scheuer vorbei am Hause selbst und kletterte mit gewandter Kraft das Gebälk bis zur Holzgalerie empor, die er auch bald mit einem kühnen Schwung betrat. Noch einmal wollte er horchen, ob das Krachen des Gebälks nicht einen Horcher aufmerksam gemacht habe; aber schon hörte er in der Nähe einen Riegel sachte von der kleinen Galerietüre schieben – ein süßer Horcher, die Geliebte selbst, hatte ihn belauscht und steckte den Kopf durch die Türe, während der Saum ihres weißen Nachtkleids auf der Schwelle spielte; – da gab es freilich kein Besinnen und Halten mehr, Ambros eilte mit offenen Armen der Türe zu, trat auf den Zehen über die Schwelle und war im nächsten Augenblicke mitsamt dem fliegenden Saum des Nachtkleids hinter der Türe verschwunden, die sachte, sachte wie von schonender Geisterhand wieder zugezogen und ins Schloss gedrückt wurde ...

Eine Weile blieb es ringsum stille wie zuvor, dann fuhr der Kettenhund einmal wie im Traum empor und legte sich wieder zur Ruhe; – die Gestalt aber, welche an der Scheuerecke stehend, dem Ambros mit den Augen gefolgt war, als er sich dem Hause näherte und den Holzbalkon bestieg, trat jetzt langsam einige Schritte vor und sagte vor sich hin:

»Er ist bei ihr. So ist es also, wie ich dachte. Sie führt's weiter, mit einem andern weiter! ... Gut. Auch ich weiß mir weiter zu raten; auch ich führ' es weiter!«

Es war eine dumpfe, heisere Stimme, welche also sprach, und es war eine seltsame Gestalt, welcher diese Stimme gehörte.

Das Haupt voll wirren Haares gesenkt, die Blicke am Boden, und beide Hände geballt, trat die Gestalt nach einer Weile einen Schritt näher gegen das Haus und sagte brütend wie zuvor:

»Ich will ihn erst recht ins Netz lassen. Er soll nur warm und sicher werden. Macht es der Lärm nur ordentlich geschäftig, so sind Zeugen da, eh' er entspringt; das Strafgericht trifft ihn wie sie und ihren Alten!«

Und rasch, wie von Sorge getrieben, dass er gesehen oder gehört werden könne, trat er wieder an die Scheuer des Gemeinderats zurück und verschwand hinter den Ästen eines Holunderstrauches ...

Gegen elf Uhr begann der Nachtwächter seine erste Runde durchs Dorf und sang beim Algäuer mit schläfriger Stimme sein: »Ihr Herren, lasst euch sagen«, dann stieß er dreimal in sein schauerlich tönendes Horn, ging langsam weiter und murmelte vor sich hin:

»'s ist wacker finster heut, man geht wahrhaftig wie in einem Ledersack!«

Vor dem Heinzelhofe stehend, erhob er zum andern Male seine Stimme und sang sein Lied zu Ende; als er aber auch das Horn an den Mund setzte und den ersten Ton aus dem Rohr geholt hatte, hielt er plötzlich inne und blickte überraschte nach dem Gruberhof hinüber, wo es ihm vorkam, als sein eine Sternschnuppe über die Gebäude hingefahren; er sann eben noch hin und her, was der leuchtende Gegenstand gewesen sein mochte, als ein zweiter in Gestalt eines Leuchtkäferleins aus dem Dache der Scheuer aufstieg, welchem sofort ein dritter und immer rascher ein vierter und fünfter folgte, aufwirbelnd, über die Schindeln tanzend und wieder verlöschend.

Es wär jetzt schwerlich noch einen Moment im Dorfe ruhig geblieben, wenn nur der Nachtwächter nicht eine Weile vor Entsetzen wie gelähmt gewesen wäre; erst nach einigen Sekunden war er im Stande: »Feuer! Feuerjo!« zu rufen und dann aus seinem Hone so weh- und schauervolle Töne zu stoßen, dass es des ewigen Schlafes bedurft haben müsste, um nicht alsbald mit Schrecken emporzufahren.

Der Heinzelbauer war der erste, der ein Fenster seiner Schlafkammer aufstieß, um mit stockendem Atem zu fragen, was denn Peinliches geschehen sei.

Aber das Fragen ward ihm bald erspart, da er selbst nun das immer raschere Aufsteigen der Funken aus dem Scheuerdache des Gemeinderats gewahrte; im nächsten Augenblicke war er dann der zweite Schreckensheld, welcher seinem Hause und dem Dorf die Gefahr eines Brandes verkündete; und von nun an stürmte die Unglückskunde wie ein Lauffeuer von Haus zu Haus, eine Heerschar von Schutzengeln schien geschäftige, Väter und Mütter, Kinder und Gesinde, Greise und Kranke von ihren Lagern aufzulärmen und sie zu Hilfe zu rufen oder in Sicherheit zu bringen.

Bald wälzte sich auch der Lärm und die Verwirrung aus dem Innern der Häuser in das Freie und nach dem Gruberhofe hin, wo sich um die hochaufschlagende Flammensäule eine wogende Menge drängte, helfend, kommandierend, hindernd und fördernd.

Je kühner und gefährlicher die Feuersäule gegen die geröteten Wolken sich erhob, desto besser begann die menschliche Hilfe ineinander zu greifen, der Mühlbach und die Brunnen erseufzten von hundert in die Fluten getauchten und herausgerissenen Eimern; das Ringen des Wassers mit den Flammen wurde immer mächtiger, zischen und dampfend rang sich von gelöschten Stellen der Brand aufs Neue empor, bis er von den reicher und reicher zuströmenden Fluten enger umgossen und er leicht verzehrbaren Nahrung beraubt, seine Flammensäule langsam schmälerte und senkte; bis er endlich nur noch in einzelnen Sprühflammen aufschoss und zuletzt in einem schwarzen Walldampf endete, der von der bewältigten Brandstätte aufstieg ...

Die Gefahr war beseitigt, die umgebenden Häuser gerettet, die anwohnenden Menschen ihres Lebens und ihrer Habe wieder sicher ...

Darum geschah es denn auch, dass, während die eifrigsten Helfer noch eine Weile Fürsorge trafen, damit auch die Möglichkeit einer neuen Gefahr nicht aufkommen könne, die weiter Stehenden nach und nach in ausruhende und betrachtende Gruppen sich verwandelten.

Noch zitternd am ganzen Leib hob jetzt mancher erst recht alle möglichen Arten der überstandenen Gefahr hervor, der rasche Übergang von Entsetzen zum Bewusstsein von Sicherheit entlockte hier den bebenden Lippen ein Gebet, dort einer Mutter, die ein Kind an der Brust trug, eine stille Träne, während viele den Verlust des Gemeinderats beklagten und einige überall leicht Resolvierte bereits wieder zu lächeln und über manchen Zwischenfall sogar zu scherzen wagten ... Schließlich war es freilich die eine Frage, welche jedermann besonders beschäftigte:

»Wie ist der Brand ausgekommen, ist er durch Zufall entstanden oder böswillig angelegt worden?«

Niemand wusste Antwort zu geben; und das war auch gut. Denn hätte man gewusst, wer von Seite des Gemeinderats und einiger Männer, die mit ihm in aller Stille beratschlagten, jetzt für schuldig angenommen wurde – manches Auge hätte sich in der Nacht nicht mehr geschlossen, die Überraschung und Teilnahme wäre zu mächtig gewesen.

Erst dem nächsten Morgen war es vorbehalten, ein Geheimnis offenbar zu machen, welches gewaltiger und länger als der Brand selbst die Gemüter des Ortes beschäftigte.

III.

Ein stiller Morgen folgte dieser stürmischen Nacht.

Schon vor Sonnenaufgang rauschten geschäftige Sensen auf den Wiesen, und flinke Dirnen zerschlugen hinter den Mähdern her das tauschwere Gras in dünnlagernden Schichten.

Auch die Hangwiese des Baumbach, wo Ambros heute die Vormahd führte, zeigte schon frühe ein regsames Leben; nur selten wurde einmal angehalten und die Sense geschärft oder ein Wort mit derm Nachfolger verloren.

Als daher bald nach Sonnenaufgang die Morgensuppe gebracht und auf einer trockenen Stelle des Rains zurechtgestellt wurde, durfte sich jedermann dieselbe wohl munden lassen und sagen, kein unnützer Kostgänger Gottes zu sein. Man sammelte sich auch rasch und wohlgemut um Schüsseln und Töpfe, und indem man wacker zugriff, entschädigte man sich durch manches Wort für das lange Schweigen während der Arbeit.

Der nächtliche Brand beim Gemeinderat war natürlich bald der Hauptgegenstand des Gespräches, und Baumbachs Oberknecht sagte endlich:

»Ich wünsche jetzt nichts, als dass der Mordbrenner gefunden wird, der das Feuer gelegt hat; gelegt ist der Brand worden, dafür lass' ich mir den Hals absägen!«

Dieser Ansicht traten auch einige andere bei, und man war noch eben in voller Erwägung für und wider diese Meinung, als die Dornhalde herauf erst zwei blitzende Bajonette und Helme, dann die Gestalten zweier Gendarmen erschienen, die, von einem Knaben geleitet, auf die Wiese Baumbachs zuschritten und endlich vor den lagernden Arbeitern hielten.

»Seid Ihr Baumbachs Leute?« fragte der ältere Gendarm, ein großer, bärtiger Mann mit einer behaarten Warze auf der Wange.

»Das sind wir«, sagte der Oberknecht mit jenem unheimlichen Gefühl, das auch den Unschuldigsten zu befallen pflegt, wenn er sich plötzlich martialischen Häschern gegenüber sieht.

»Dann sagt, wer von Euch Ambros Leihring heißt«, fuhr der Bewarzte fort.

»Ambros Leihring heiße ich«, erwiderte Ambros und legte den Löffel weg, der schon eine Weile untätig zwischen seinen Fingern wankte.

»Ambros Leihring hat uns zu folgen, wie er geht und steht; wir haben Befehl, ihn zu verhaften!« sagte der Gendarm und nahm bedeutungsvoll sein Gewehr von der Schulter.

Einige Augenblicke war es, als hielten zwei unsichtbare Fäuste den entsetzten Burschen unbeweglich am Boden, dann versuchte er aufzustehen, was ihm erst nach einigem Ausgleiten gelang, und zur Not gefasst, sagte er endlich vor den Bewaffneten stehend:

»Da bin ich; ich kann euch nicht wehren; aber was hab' ich getan?«

»Was Er getan hat, wird sich zeigen«, erwiderte der Gendarm: »Jetzt kurz resolviert und mitgegangen! Was Er sonst noch braucht, wird Ihm nachgebracht werden!«

Es war, als stünde erst jetzt die ganze Schmach einer öffentlichen Verhaftung vor den Augen des Burschen, und die Hände ballend und dunkelrot im Gesicht trat er einen Schritt zurück und rief mit zuckenden Lippen:

»Ich geh' nicht mit, ich lass' mich nicht in Verhaft nehmen wie einen Dieb, ich will wissen, was geschehen ist!«

Die Gendarmen fällten die Gewehre und traten dem Wütenden näher.

»Will Er gebunden ins Loch marschieren? Sollen wir Gewalt brauchen?« rief der Bewarzte.

»Braucht, was Ihr wollt«, erwiderte Ambros uneingeschüchtert: »Ich lass' mich eher schießen und in Stücke hacken als wie einen Hund wegführen; sagt erst, was ich getan hab'.«

»Brandstifter!« schrie der Gendarm, bis hinter die Ohren kirschbraun –»Er hat beim Gemeinderat Feuer gelegt, man hat Ihn echappieren sehen, sein Hut und seine Schuhe sind gefunden! Will Er mehr noch wissen? Vorwärts jetzt oder Er soll erfahren ...«

Diese Drohung war jetzt nicht mehr nötig; Ambros war von innen entwaffnet, die Arme sanken, die Fäuste lösten sich, und langsam erblassend, widerstand und widersprach er nicht mehr.

»Wer hat mich gesehen?« fragte er nur mit schwacher Stimme, indem er sich ruhig von den Gendarmen in die Mitte nehmen ließ.

»Ich bin Ihn nicht Red' und Antwort schuldig«, erwiderte der Gendarm, sich mit dem Gefangenen sofort in Bewegung setzten, »aber weil er vernünftig ist und folgt, mag er wissen, dass Ihn der Gemeinderat selbst gesehen hat.«

»Und er hat angezeigt, dass ich ihm den Brand in die Scheuer gelegt?«

»So ist's und genug jetzt«, sagte der Gendarm, den Weg nach der Straße einschlagend.

Ambros verlangte auch weiter nicht nach Unterredung, nur einen wehmütig lächelnden Blick warf er noch dem Gruberhofe zu, wo vielleicht aus einem stillen Versteck die Vrone seiner Verhaftung mit bitteren Tränen und Schmerzen zusah.

»Sei ruhig«, dachte er, sich getröstend, »die Hauptsache ist gewonnen, dein Vater weiß nicht, dass ich bei dir gewesen, so bleibt deine Ehr' in Ehren, und du weißt, dass ich nicht schuldig bin – das ist mir alles!«

Während Ambros auf seinem Leidensgange sich so zu trösten wusste, saßen die übrigen Arbeiter noch immer wie erstarrt auf ihrer Lagerstelle und konnten die Möglichkeit des eben geschehenen Vorfalls nicht begreifen.

»Für den Ambros hätt' ich Seel' und Seligkeit verschworen«, sagte der Oberknecht endlich: »Ist den so was wirklich möglich? Ich kann's nicht glauben, dass es der Ambros ist, der da vor meinen Augen ergriffen und fortgeführt wird!«

Ähnliche Äußerungen wurden auch bei den übrigen Arbeitern laut, und der Oberknecht sagte aufstehend zu einem Mädchen, das die Morgensuppe gebracht hatte:

»Rickele, mach' und spring' zu deinem Vater heim und sag' ihm, was geschehen ist!«

Das Mädchen, vor Schreck und Teilnahme weinend, raffte Schlüssel und Esszeug zusammen und eilte dann dem Dorfe zu.

Aber die Nachricht was da nicht mehr neu.

Er Baumbach hatte durch den Gemeinderat indessen selbst erfahren, dass der Ambros verhaftet sei und warum.

Der Gruber hatte den Ambros wirklich in dem Augenblicke, da er durch den Feuerlärm erschreckt ans Fenster eilte, zwischen der brennenden Scheuer und dem Haus entspringen sehen und erzählte, als der Brand gelöscht war, dem Ortsvorstand seinen dringenden Verdacht; der Hut und die Schuhe des Burschen, beide während der Flucht verloren, halfen das Zeugnis gegen Ambros schlimm genug verstärken, so dass der Ortsvorstand noch in der Nacht einen Boten an das Amt absandte, um die Verhaftung einzuleiten ...

Das Aufsehen, welchen dieser Vorfall machte, war groß und allgemein.

Nur mit tiefem Schauder nahmen die meisten die erste Nachricht von der Verhaftung hin, da sich notwendig anfangs der Gedanke an die unergründliche und gefährliche Tiefe auch des besten Gemüts regen musste; aber diesem ersten Eindrucke folgten doch bald Zweifel um Zweifel, ob denn Ambros wirklich ein Verbrechen begangen haben könne, dessen ihn selbst der ärgste Feind nicht fähig gehalten hätte; und mit den aufsteigenden Zweifeln wuchs auch die Teilnahme für den stillen und allgemein geachteten Burschen.

Selbst der Gemeinderat gestand jetzt gerne, dass er es nie gewagt haben würde, den Ambros ohne dringenden Verdacht einer solchen Schandtat anzuklagen; er glaubte den Leuten die Tatsachen des Verdachtes, die freilich sprechend waren, zur Rechtfertigung seines Verfahrens nicht oft genug vorhalten zu können.

Dass die alte Walpurg ihren Ambros vom ersten Augenblick an nicht für schuldig hielt und ihn mit wachsendem Nachdruck verteidigte, war umso mehr begreiflich, als sie den früh verwaisten Knaben von Jugend auf in Pflege und Aufsicht gehabt und gerade seine tadellose Aufführung stetes als ihren besten Lohn und Ruhm betrachtet hatte; sie war daher vom ersten schmerzlichen Entsetzen über des Burschen Verhaftung kaum zu sich gekommen, als sie mit stolzen Schritten unter die Leute ging und die Verteidigung des Zöglings rastlos zu führen begann; auch die Schwelle des Ortsvorstands und der Gemeinderats Gruber vermied sie nicht und sagte diesen Männern Dinge, welche nur dem erbitterten Gram der Alten nachgesehen werden konnten.

»Ja, ich sage euch«, rief sie schließlich, ihre geballten Hände heftig über dem Kopfe schwingend, »mit Gendarmen habt ihr meinen Ambros zum Ort hinaus schaffen lassen, mit Trompeten und Trommeln sollt ihr mir ihn wieder heimführen müssen, ich will nicht ruhen, bis ich das erlebe!«

Nach diesem ersten Rundgang durch das Dorf eilte sie dann gestärkt nach Hause, steckte all' ihr bares Geld zu sich, packte Kleider, Wäsche und auch einiges Bettzeug zusammen und begab sich so belastet auf den Weg zum Amt, wo sie ihrem lieben Gefangenen Bequemlichkeit schaffen und Trost zusprechen wollte.

Leider wurde ihr eine Zusammenkunft mit Ambros jetzt noch nicht gestattet, und sie musste bis auf etwas Wäsche und Kleidung ihre Lase von Sachen wieder ganz nach Hause tragen; das ging ihr denn freilich so zu Herzen, dass sie den langen Heimweg nichts als weinte und heftig mit sich selber sprach ...

Den gewaltigsten Eindruck musste die Verhaftung natürlich auf die Vrone selber machen.

Sie sah einen Burschen der Brandstiftung angeklagt, der mit ihr im vertrauten Verhältnisse stand und dessen Unschuld gerade für sie auf der Hand lag.

Wie sollte Ambros, der sich um die Zeit der Brandlegung bei ihr befand, dieses Verbrechen wirklich begangen haben?

Aber wie war er von der Anklage des Verbrechens anders los zu machen als durch eine freimütiges Bekenntnis von Umständen, welche die Ehre des Mädchens preisgeben und den Zorn der Eltern im höchsten Grade erregen mussten?

Die Lage war schwierig und verzweiflungsvoll; sie setzte auch der Vrone sichtlich zu, bleich und mit gesenkten Blicken schlich sie umher, und wen sie über ihre Kümmernis befragt wurde, sage sie nur, der Schreck vom Brande her liege ihr noch in den Gliedern.

Ob die Erschütterte daran dachte, für die Rettung des Burschen auf alle Fälle tätig zu sein, selbst auf die Gefahr hin, ihre Ehre einzubüßen und von den Eltern misshandelt zu werden, ist mit Bestimmtheit nicht anzugeben; aber dass die Vrone mit außerordentlicher Spannung erwartete, was über die ersten Aussagen des Gefangenen bekannt werden würde, das ließ sich ohne Schwierigkeit wahrnehmen. Denn sooft der Name Ambros in ihrer Nähe genannt wurde, wechselte sie plötzlich die Farbe, nahm ihr Gesicht den Ausdruck der höchsten Aufmerksamkeit an, und nicht eher wich sie von der Stelle, als bis die Rede wieder auf andere Dinge kam.

Diese fieberhafte Neugierde wurde aber Wochen lange hingehalten, und erst als alle Personen des Dorfes, welche mit Ambros je in einiger Beziehung gestanden, verhört worden waren, vernahm man eines Tages, der Gefangene leugne hartnäckig jede Schuld an dem Verbrechen; er wolle nur zufällig, wie die Burschen ja allnächtlich pflegten, durch das Dorf gegangen sein, wonach er sich, um auszuruhen, an einem Nebenbau des Gruberhofes, wo Stroh gelagert war, eine Weile hingestreckt habe; so sei er gegen seinen Willen eingeschlafen und habe später durch das Knistern des Feuers und durch den Lärm geweckt, noch ganz schlaftrunken, die Flucht ergriffen!

Diese Aussage mochte vor Gericht und vor den Leuten Glauben finden oder nicht – für die Vrone war sie eine wahre Jubelbotschaft, eine Erlösung von dem Alp der nächsten Sorgen.

Ambros zeigte also, dass er ihrer besten Liebe wert war, dass er sich tapfer vor sein Geheimnis stellte und die Ehre der Geliebten nicht preisgab.

Wie durch einen Zaubertrank gestärkt, blühte von diesem Tage an die Vrone wieder auf, ihre Wangen hatten bald ihr Rot, die Augen ihr Feuer wieder, und mit dem Behagen des Herzens kam auch ihre Neigung wieder, sich sorgfältiger zu kleiden, ja zu putzen.

Ambros hatte also sein Bestes getan, um auf seine Gefahr hin die Ehre der Geliebten öffentlich zu schonen; – Was aber wollte nun die Vrone tun, um ihrerseits den wackeren Burschen von dem Verdacht und der Anklage eines Verbrechens zu retten?

IV.

Die Untersuchung zog sich in die Länge.

Ambros blieb bei seiner ersten Aussage, die er trotz der Kreuz- und Querfragen des Untersuchungsrichters immer fest im Auge hielt und stets beinahe wörtlich wiederholte.

Bei einiger Kenntnis der Dorflebens musste dieser Aussage viel Wahrscheinlichkeit zugesprochen werden, und die Ruhe, ja Seelenheiterkeit des Burschen während seiner Haft trug nicht wenig dazu bei, den Richter selbst mehr und mehr an dessen Unschuld glauben zu machen.

Eines Tages fragte der Richter seinen Angeklagten, ob er etwa einer der hübschen Mägde des Gemeinderats geneigt sei und nun aus Zartgefühl verschweige, dass er in der Nacht des Brandes vor ihrem Kammerfenster gewesen und von da die Flucht ergriffen habe.

Ambros erschrak bei dieser Frage so, dass er eine Weile gar nichts sagen konnte; purpurrot bis hinter die Ohren, verneinte er dann die Frage.

Der Untersuchungsrichter hätte aus dieser Verlegenheit wahrscheinlich entnommen, dass er auf einer lohnenden Spur des Verdachtes sei, wenn er nicht schon aus vorhergegangenen Forschungen gewusst hätte, dass der Angeklagte mit den bezüglichen Mädchen nie in nähere Beziehung gestanden habe; so wurde denn in dieser Richtung nicht mehr weiter geforscht, und der Inquisitor lenkte gerade vor der rechten Türe wieder um, da es ihn unmöglich dünkte, dass der Angeklagte ein Verhältnis mit der Tochter des Gemeinderats haben könne, die so hoch hinaus zu streben schien und schon als Braut dieses oder jenes Landbeamten galt.

Für den Ambros fiel die Freude über die rechtzeitige Ablenkung von der richtigen Spur mit dem sehr willkommenen Umstande zusammen, dass er endlich den Besuch seiner Base Walpurg annehmen durfte.

Das Glück des Wiedersehens war groß, und die Walpurg brachte ihre erste Zusammenkunft fast nur damit zu, dem Verhafteten Trost einzusprechen und ihn ihrer festen Überzeugung von seiner Unschuld zu versichern; Ambros erfuhr dabei zu seiner Freude auch, dass in der Gegend jetzt nur eine Stimme herrsche, er könne den Brand unmöglich gelegt haben.

»Drum sei getrost«, rief Walpurg schließlich, »duld' aus, Ambros, dein Leid ist nur ein Wetterregen, deiner Ehre muss er fruchten!«

Wie gerne hätte Ambros den Namen Vrone auch einmal gehört und vernommen, was sie denn sage, wie sie ihr großes Leid um ihn ertrage.

Aber jetzt und das folgende Mal ward seine fieberhafte Spannung nicht befriedigt, da er selbst zu fragen zagte und die Walpurg höchstens einmal ihren Zorn ausließ über Vrones Vater, der auch was Besseres hätte tun können, als einen unschuldigen Menschen so mir nichts dir nichts ins Unglück bringen.

Indessen war es gut, dass Ambros nicht erfuhr, was Vrone treibe; denn sie betrug sich nicht, wie sich's geziemte.

Seitdem ihr die Nachricht über das standhafte Verhalten des Gefangenen die nötige Sicherheit gegeben, dass ihre Ehre nicht weiter in Mitleidenschaft gezogen werde, war für sie die Hauptsache des Prozesses entschieden und das wichtigste Interesse gefallen.

Von nun an schien sie nur daran zu denken, sich für die ausgestandenen Schrecken zu entschädigen und die bestehenden Gefahren aus dem Sinn zu schlagen; wenigstens sah ihr Betragen danach aus, wenn man nicht annehmen will, dass sie ein sorgloses Leben zur Schau trug, um jeden Schein von näherer Beziehung zu dem Gefangenen zu vermeiden.

Vrones Vater hatte glücklicher Weise seine Gebäude und Vorräte versichert gehabt, er konnte ohne Opfer den Brandschaden ersetzen, und so darf es denn nicht wundern, wenn in Kurzem die »Lustwägelchen« nach Oberbolzheim und Schwehingen wieder begannen und Vrone fleißig beim Saal- und Plantanz gesehen wurde. Dies letztere Vergnügen blieb auch da noch an der Ordnung, als sich plötzlich die Nachricht verbreitete, Vrone sei endlich wirklich verlobt, und zwar mit dem Zollkontrolleur aus Naheim; nur waren ihre Tänzer jetzt auf die Honoratioren, einige Landbeamte, Apotheker und Förster beschränkt.

Eine glänzende Verlobungsfeier eröffnete bald eine Reihe vergnügter Tage in Gold-Grubers Hause, wo man keine Kosten scheute, den oft in Begleitung guter Freunde kommenden Bräutigam reichlich zu bewirten und überhaupt die Ehre einer so vornehmen Verbindung den Leuten vor die Augen zu rücken.

Bei solchen Gelegenheiten fehlte es nicht auch an Schmeichlern und Neugierigen, und die Vrone sah es gerne, wenn nach Entfernung des Bräutigams sich ein Kreis genuss- und lobsüchtiger Dorfbewohner sammelte, die von den Festlichkeiten der Hochzeit und von den Herrlichkeiten ihrer künftigen Haushaltung zu sprechen nicht müde wurden.

Im vollen Putz und mit verschränkten Armen ging sie dann in der Stube auf und ab und zog wohl manchmal, wenn ihr einen Bemerkung nicht ganz gefiel, spöttelnd einen schiefen Mund, während sie als Zeichen, dass ein Lobspruch recht gelungen sein, beim Umdrehen am Fenster mit einem Fuß vergnüglich schlenkerte.

Die lustige Brautschaft und die bevorstehende Hochzeit der Vrone Gruber waren neu und wichtig genug, um auch außerhalb des Gruberhofes die Leute lebhaft zu beschäftigen; und so kam es denn, dass eines Tages die alte Walpurg bei ihrem Besuche des Gefangenen diese Neuigkeiten ebenfalls zum Besten gab.

»Es ist gut, dass Vrone endlich an den Mann kommt«, setzte sie am Schlusse ihrer Mitteilung hinzu, »das Mädel ist nicht ausgebacken für die Stadt und doch fürs Land auch schon zu stark verwöhnt; nimmt sie jetzt den Kontrolleur, so hat sie was von beiden: sie lebt auf dem Lande und hat ihren Stadtherrn, den sie überall weisen kann! ... Was ist dir aber Ambros?«

Diese Frage tat sie, weil sie eben sah, dass Ambros während ihrer Rede sich mehr und mehr über das Tischchen vor ihm neigte, den Kopf in die Hände legte und jetzt einige Male so beklommen atmete, als ringe seine Brust in schwerem Krampfe.

»Was ist dir, Ambros?« wiederholte die Walpurg noch besorgter – »Ich bitte dich ums Himmelswillen, bis du krank?«

Ein leises Schütteln des Kopfes, ein Zittern der Schultern und einige schwere Tropfen, welche zwischen den Fingern des Burschen niederflossen, waren die ganze Antwort.

Leider konnte die erschrockenen Base ihr Forschen nach dem Kummer des Burschen nicht beenden, da der Gefangenenwärter näher trat und sagte, die Zeit des heutigen Besuches sei zu Ende.

Die Walpurg entfernte sich also unter flehentlichen Bitten, nur ja wieder ruhig zu sein und nur ein Weilchen noch zu dulden, seine Sache müsse bald zu Ende sein und er wieder frei und froh nach Hause kehren!

Ambros hörte von all dem Troste kaum ein Wort, ja er wusste nicht mehr, wer denn mit ihm spreche.

Regungslos und allen blieb er eine Weile an dem Tischchen sitzen, und als er sich erhob, schien er ein ganz andrer Mensch zu sein. Hochaufgerichtet, mit geballten Händen stand er da und starrte zornglühend vor sich hin.

»Das ist alles, was die Vrone für mich leidet?« rief er dann: »Ich bin in Haft, bin angeklagt, seh' meine Ehre zeitlebens eingesetzt – lasse aber aller Gefahr den Lauf, weil ich sie verschone, sie, die mir nachgestellt hat bei jeder Gelegenheit, mir fein und lieblich getan, bis ich im Netze war! Jetzt, wo sie mir zeigen soll, dass es ihr ernst war mit dem Winken, Küssen, Schwören, wo sie mich vor Gott und Menschen wieder zu Ehren bringen sollte – jetzt lebt sie in Saus und Braus dahin, verleugnet mich im Unglück, überlässt mich dem Schimpf, der Not und geht hin und nimmt einen andern!«

Ein unbeschreiblicher Schmerz trat an die Stelle seines Zornes, und so fuhr er fort:

»Wenn mir das geschieht – wenn ich so betrogen bin, dann will ich nicht mehr leben! Sie sollten mich zu Grunde richten, mir Sträflingskleider und Ketten antun, ich will es dulden meinethalben, Gott wird mich bald erlösen!«

Er warf sich wieder auf den Stuhl und legte sein Gesicht in seine Hände.

»Ich dulde so getreu, und sie verlässt mich«, rief er immer weicher, und heiße Tränen rollten über seien Backen –

»Ich dulde für sie, und sie weiß es – und sie kann mich dennoch so verlassen! ...«

V.

Eines Nachmittags, kurz vor Vrones Hochzeit, ging es wieder recht herrlich in Grubers Hause zu; der Bräutigam, welcher Geselligkeit liebte, hatte wie gewöhnlich einige gute Freunde mit sich genommen, welche zur Unterhaltung fleißig beitrugen und sich nebenher das frische Fässchen in Grubers Keller munden ließen.

Es neigte schon gegen Abend, als man wieder aufbrach, um nach Hause zu gehen; Vrone mit ihren Eltern begleitete die Gesellschaft eine Strecke und sah besonders froh und blühend aus, da ihr die Unterhaltung das sonst etwas blasse Gesicht mäßig gerötet hatte; auch ihr Betragen war heute ausnehmend ruhig, bescheiden und maßvoll gewesen; so dass der Herr Bräutigam in Erwägung seines noch im vierzigsten Jahre bevorstehenden Glücks voll stillen Vergnügens sich die Hände rieb und ein Gläschen ums andere mit Behagen leerte.

»Unser Kind ist heute wie ausgewechselt«, sagte im Gehen die Gruberin einmal heimlich zu ihrem Manne: »Alles hat heute seine Freude an ihr!«

»Sie hat auch recht und nimmt sich zusammen«, erwiderte der Gruber ernsthaft, »ein solcher Herr wie der Bräutigam will an seiner Künftigen auch einmal sehen, wie oder was!«

Die Freude der Eltern über die Tochter wurde indessen etwas gemäßigt, als sie nach der Entfernung des Bräutigams wieder ihrem Hause zuschritten und Vrone auf einmal wirklich wie ausgewechselt weder im Gang noch in der Sprache jenes Maß mehr einhielt, welches noch eben so warm gerühmt worden war; sie vermaß sich sogar in seltenem Übermut, die immer ein wenig an Kopfweh leidende Mutter an der Hand zu fassen, als wolle sie mitten auf dem Wege ein Tänzchen mit ihr wagen.

»Vrone! Vrone!« rief daher die derb Gefasste zürnend: »Bist Du aus dem Häusl auf einmal? Wie bist du anders, ganz anders gewesen vorhin!«

»Ei was«, erwiderte die Vrone mit den Fingern schnalzend und sich um sich selber drehend, »wenn der Vogel aus dem Käfig ist, lässt er die Flügel auch nicht hängen! Es ist mir hart genug geworden, so lange geschient zu sitzen und zu reden!«

Die Mutter hatte wieder eine brennrote Stirn und einen schweren Kopf, sie durfte sich also nicht weiter erregen lassen; der Gruber aber sagte einige straffe Worte, die wenigsten zur Folge hatten, dass die Vrone bis nach Hause wieder einigen Anstand einhielt.

Zu Hause aber ging es von Neuem los und ärger als zuvor.

Das erste war, dass die züchtige Braut nach einem Bierkrug stürzte und einen Kraftzug tat, der den Neid eines Bürstenbinders erregt haben würde; dann warf sie sich, den Schlepp ihrer Kleider gehörig ausbreitend, auf den Stuhl vor ihrem Spinett und hämmerte ihre paar Ländler mit einem Tumult auf den Tasten, dass es kein Wunder war, wenn sie in Folge der Anstrengung abermals Durst bekam und den Bierkrug ihre Aufwartung machte.

Vrones Wangen nahmen jetzt eine tiefe, brennende Röte an, ihre Augen warfen Feuer und, in Ermangelung einer anderen Zerstreuung, ging sie mit verschränkten Armen und schlenkernden Beinen durch Stall und Hof, um über Knechte und Mägde seltsame Bemerkungen zu machen und die Zimmerleute zu unterhalten, welche vom Bau der neuen Scheuer eben Feierabend machten ...

»An Der hätte man viel ersparen können, wenn man sie nicht gewaltsam in die Stadt gefrohnt hätte; so ist ja doch nichts als die Schneiderarbeit an ihr hängen geblieben.«

Das war der Gedanke manches Dienstboten und Arbeiters, als man später, die hereinbrechende Nacht wahrnehmend, allerseits das Lager suchte ...

Indessen hatten sich schon den ganzen Nachmittag im Westen zackige Wetterwolken gezeigt, welche von lebhaften Winden vertrieben, sich immer wieder bildeten, bis ihnen der stillere Abend jetzt Muße ließ, sich zu einem anständigen Gewitter zu sammeln und allmählich heranzuziehen.

Gegen zehn Uhr, als man in dem Dorfe überall zur Ruhe war, durchbrachen denn auch rasch folgende Blitze das schwerwogende Gewölk, die rollenden Donner ließen nicht lange auf sich warten, und eh' man sich's versah, schoss auch ein scharfer Regenguss hernieder, der indessen den Wolken bald ihre beste Kraft und ihre Schrecken nahm.

Mancher Hausvater, der mit den Hühnern zu Bette gegangen und im Begriffe war, vorsichtshalber wieder aufzustehen, drehte sich jetzt nur auf die andere Seite, da er als Wetterkundiger wohl erkannte, die Gefahr habe angefangen dem Segen für Feld und Wiese Platz zu machen.

Auch der Gemeinderat Gruber, der bereits aufgestanden war, um Licht zu machen und in die Vorderstube zu gehen, suchte jetzt beruhigt sein Lager wieder auf, indem er für sich dachte:

»'s ist nur ein Regelchen, bei dem sich ruhig schlafen lässt!«

Er würde schwerlich sobald wieder eingeschlafen haben, wenn er geahnt hätte, wer heute noch trotz des Wetters, ja durch dasselbe gerade begünstigt, seinem Hause einen Besuch zu machen kam.

Denn an der neuen Scheuerecke stand schon eine Weile dieselbe düstere Gestalt wieder, welche einst dem Ambros auf seinem letzten Liebesgange unter so drohenden Zeichen gefolgt war; heute schien diese Gestalt sogar Lust zu haben, den Weg nach dem Holzbalkon und vor die Kammertüre der Vrone selbst zu machen. Denn kaum hatten jetzt die Wolken aufgehört, ihre verräterischen Blitze zu entsenden, als die Gestalt vorsichtig sich dem Hause Grubers näherte, noch einmal prüfend ringsum spähte und hierauf, begünstigt durch das Dunkel und das Rauschen des Regens, den Balkon bestieg, wo sie bis zum Kammerfenster der Vrone mit weit ausholenden Schritten vorwärts schlich und daselbst nach einer Pause an die Scheiben pochte.

Die Vrone musste sehr fest schlafen, da sie in der Nähe des Fensters ruhend, erst nach wiederholtem Klopfen geweckt wurde.

»Was gibt's«, fragte sie jetzt leise und schlaftrunken, »wer ist draußen?«

»Ein Bote vom Ambros«, erwiderte die Stimme leise, »ich habe von ihm dir was zu sagen!«

Diese Worte schienen auf die Vrone stark zu wirken, da sofort ihre Hände an den Scheiben tasteten und einen Fensterflügel öffneten.

»Wer bist du? Was willst du mit dem Ambros?« fragte die Vrone mit einer von Bestürzung und Verlegenheit bewegten Stimme.

»Ich bin – verzeih, Vrone – ich habe vom Ambros eigentliche nichts zu sagen – ich bin wegen mir selbst da – Ich bin der Vinzenz!«

Mit krampfhafter Hast wurde jetzt der Fensterflügel wieder zugeschlagen, Vrones Hände fuhren von innen nach Haken und Reibern, um ja fest genug zu schließen, und eine Weile hörte man wieder nichts als den leise niedersäuselnden Regen; dann aber begann die Gestalt vor dem Fenster ihr leises Trommeln an den Scheiben wieder und sagte:

»Vrone – ich bin zum letzten Male bei dir, lass' mich gutwillig noch ein paar Worte mit dir reden, oder du wirst ächzen und bereuen, wenn ich unverrichteter Sache fort muss!«

Die Vrone gab keine Antwort, und der Besuch fuhr fort:

»Du willst mir nicht Red' und Antwort geben? Gut, so hör' nur an, was ich zu sagen habe!«

Er glaubte ein leises Geräusch am Fenster zu hören und schloss daraus, dass Vrone wieder näher komme.

»Du wirst vermerkt haben«, fuhr er fort, »dass ich nicht umsonst vom Ambros rede und dass ich mehr weiß als die andern – dich und Ambros in den Händen halte. Du hast es mit dem Ambros«, setzte er nach schwerem Atmen hinzu, »wegen Ambros hast du mich vor die Türe gesetzt, wegen ihm hast du mir deinen Vater aufsässig gemacht, dass er mir den Dienst gekündet – du hast Raum und Sicherheit für deinen neuen Schatz haben wollen, darum hab' ich aus dem Hause müssen!«

»Mach' fort und lass solche Reden«, sagte Vrone drinnen mit einer Stimme, die von Zorn und Sorge bebte: »Ich weiß von keinem Ambos und will von dir nichts wissen!«

»So? Verleugnest du jetzt den Ambros auch? Ist er auch, weil er im Unglück ist, verlassen?«

»Ich werde meinen Vater rufen und dir zeigen, wo dein Weg ist!« sagte Vrone und suchte Nachdruck in ihre Stimme zu legen.

»So? Das willst du? Immer zu! Ruf' ihn nur, deinen Alten; dann soll er gleich alles wissen, und dass der Ambros den Brand nicht gelegt haben kann – weil er bei dir war, wie das Feuer ausgebrochen!«

»Vinzenz«, sagte die Vrone nach einer Pause und öffnete den Fensterflügel wieder – »Vinzenz, du weißt nicht, was du redest; – sei klug, du hast im Traum geredet!«

»Im Traum? Das wäre möglich, wenn ich damals in der Nacht geschlafen hätte, statt dem Ambros nachzuschleichen und zu sehen, wie er sich nach deiner Kammer drückte!«

»Das ist nicht wahr! Das hast du nicht gesehen!« rief Vrone mit gepresster Stimme.

»So gut hab' ich's gesehen und so gewiss bin ich meiner Sache, dass ich hingeh'n will und alles vor Gericht beschwören, wenn du nicht von heut' an deine Gunst mir wieder schenken willst!«

»Verlier' den Verstand nicht, Vinzenz, und mach' fort! ich bin Braut, du weißt es – und ich darf nichts weiter von dir wissen!«

»Aber ich will von dir wissen! Ich bin mit niemand versprochen und muss dich wieder haben!« rief der Bursch mit dumpfer Stimme und knirschte mit den Zähnen.

»Hör' mich«, sagte Vrone bebend.

»Nein, hör' du mich«, fiel der Tolle ein, »lass jetzt den Ambros, wo er ist! Er soll sein Glück nur auch abbüßen wo wie ich! Lass jetzt uns zusammenhalten, und wie vorher – ja, ich will's und ich will's!«

»Vinzenz, ich bin Braut – in drei Tagen ist die Hochzeit ...«

»Was frag' ich nach Braut und Hochzeit! Ich muss dich haben oder nichts haben, mit dir leben oder gar nicht leben!«

Vrone versuchte noch einmal zu reden, aber der wütende Mensch fiel ihr nur heftiger ins Wort und stellte ihr nur noch die rasche Wahl zwischen Ja und Nein!

Eine lange Pause entstand, welche der Busche so zu verstehen schien, als überlegte Vrone, ob sie wirklich länger widerstehen solle; seine Stimme wurde daher weicher, ja zärtlich, als er endlich die Unterredung wieder aufnahm und für seine Wünsche bittend weiter sprach.

»Sag' mir nur eines«, erwiderte die Vrone endlich nach langem Überlegen, »sag' mir, wie du erraten, wie du auf die Spur kommen konntest, dass ich's mit dem Ambros hielt und dass er oft zu ir gekommen ist?«

»Ich bin oft in der Nacht bei eurem Haus herum und hab' erforschen wollen, ob du eingezogen lebst, seitdem ich fort gemusst; da hab' ich endlich ihn entdeckt und bald erkannt, dass du ihn ins Herz geschlossen!«

»Und das hast du doch niemand anvertraut?«

»Niemand, niemand; aber gelitten hab' ich wie von Höllenfeuer!«

»Und hast an Rache auch manchmal gedacht?«

»An Rache, ja wohl! An Rache täglich, stündlich; vergiften, erwürgen hätt' ich ihn können, dich können!«

»Und das auch in jener Nacht, wo der Ambros zum letzten Mal bei mir gewesen?«

»Auch in jener Nacht!«

»Dann hab' ich dich ... Gib Achtung, was ich dir jetzt sage«, rief die Vrone mit gepresster, aber durchdringender Stimme: »Warst du in jener Nacht hier, hast du den Ambros zu mir kommen sehen und warst du wieder von Rache wie toll – so hast du das Feuer in unserm Hause angelegt! ... Drum will ich dir raten, halt' deinen Mund und mach' fort, Brandstifter, sonst will ich dir beweisen, wer mehr vom Amte zu fürchten hat – ich oder du?«

Ein letzter Nachzügler des Gewitters, ein ziemlich starker Blitz, erhellte jetzt noch einmal die tiefe Finsternis und ließ zwei seltsam auf einander starrende Gesichter sehen, die im nächsten Augenblicke wieder im Dunkel der Nacht verschwanden ...

VI.

So groß auch der Schmerz und die Zweifel über die Treue der Vrone waren, Ambros fasste sich doch bald wieder und wusste seine Zuversicht von Neuem erträglich zu befestigen.

Denn er fragte sich nun: »Hat mir denn die Base eigentlich etwas gesagt, das ich nicht früher schon wusste? Ging denn das Gerade von Brautschau und Heirat nicht schon zu meinen Lebzeiten – das heißt, da ich noch frei war? Wenn die Vrone lustig aussieht und beim Tanz gesehen wird, muss sie denn nicht der Leute wegen alles das tun, und weiß man, wie ihr dabei zu Mute ist? Ich will mich doch an sie halten; ihr Versprechen soll mit alles gelten!«

In diese hoffnungsvollen Betrachtungen war Ambros eines Morgens wieder versunken, als die Türe seiner Zelle aufging und ihm seine Befreiung angekündigt wurde.

Seine Unschuld sei erwiesen, sagte man, der wahre Brandstifter sei gefunden, er möge jetzt ruhig nach Hause gehen und das Übrige abwarten.

Eine Weile stand Ambros wie ungläubig da, er wollte fragen, wie denn seine Unschuld entdeckt worden und wer denn der wirkliche Schuldige sei.

Aber der Gedanke, dass die Vrone endlich ihre Treue bewiesen und ihren Eltern und den Richtern frei alles gestanden habe, erfasste ihn so rasch und ganz, dass er zu fragen gar nicht mehr für nötig hielt; er nahm seine paar Sachen in einen Bund zusammen, dankte dem Gefangenenwärter für die gütige Aufwartung und verließ wie ein zufrieden scheidender Gast seine Zelle.

Die Zuversicht in sein bevorstehendes Glück war so groß, dass Ambros einige Augenblicke des Glaubens war, die jubelnde Base und ein Abordnung würdiger Gemeindemitglieder müssten ihn vor dem Amte erwarten, um ihn feierlich als Grubers Schwiegersohn zu begrüßen, als ihm diese Überraschung aber nicht zuteilwurde, erklärte er sich das Unterbleiben derselben nur dadurch, dass die Bekenntnisse der Vrone im Gruberhofe noch zurückgehalten und erwogen würden.

»Ich werde wahrscheinlich gerade mitten in den rechten Lärm hineingeraten, wenn ich heimkomme«, dachte er: »Wer steht mit dafür, dass ich mich ordentlich ruhig dabei verhalte?«

Ein seliger Schauer überlief ihn bei diesem Gedanken, er fing an sich vor den möglichen Ausbrüchen seiner Freude selbst zu fürchten, und indem er sich den Tumult vorstellte, wie die Leute kommen und gucken, fragen und gratulieren würden, ergriff ihn ein geschämiger Schrecken so sehr, dass er beschloss, im nahen Walde de Abend abzuwarten, um dann ohne gesehen zu werden, heimzukommen.

Diesen Entschluss auszuführen, wich er eben von der Landstraße nach dem Saume des beginnenden Waldes ab, als er von Weitem ein Wägelchen daher jagen und den Gold-Gruber droben sitzen sah.

Dieser war augenscheinlich in der höchsten Aufregung, sein Gesicht glühte, und seine rechte Hand wurde nicht müde, den Schimmel vor dem Wägelchen anzutreiben.

»Jagt er daher, um mich als Schwiegersohn abzuholen?« dachte Ambros, stehen bleibend: »Stell ich mich in den Weg, damit er mich sehe und halte?«

Wirklich trat er jetzt zwischen den Bäumen hervor an die Straße und zog den Hut zum freundlichen Gruße.

Aber zu seinem großen Befremden starrte ihn der Gold-Gruber nur wie eine wildfremde Erscheinung an und jagte ohne Wort und Gruß von dannen, wie er gekommen war.

Dieses Begegnen des künftigen Schwiegervaters war freilich nicht geeignet, dem Ambros seine glänzenden Hoffnungen ungeschmälert zu erhalten, sie fielen vielmehr eine um die andere schleunigst zu Boden, und würden das Herz des Burschen wahrscheinlich ziemlich trostesleer gelassen haben, wen er sich nicht schließlich mit dem Gedanken getröstet hätte, dass die Vrone wenigstens ihre Liebe bekannt habe und ihm treu geblieben sei; so würde denn auch der Alte sich endlich in die Sache finden, dachte er.

Leider wurde ihm abends bei seiner Heimkehr auch noch dieser letzte Trost geraubt.

Er fand das Dorf bei seiner Ankunft ungewöhnlich aufgeregt, hörte die Namen des Gemeinderats, der Vrone und ihrer Mutter wiederholt aus den versammelten Gruppen heraus, aber kein freudiger Ton war es, mit welchem diese Namen genannt wurden.

Ambros hatte seine Not, sich unbemerkt bis zum Häuschen seiner Base durchzudrücken, er wollte aus dem Munde der Walpurg zuerst erfahren, was geschehen sei, und hoffte sie ruhiger zu finden, als das ganze Dorf und er selber war.

Aber schon der Umstand, dass Haus- und Stubentüre offen standen, ohne dass die Base zugegen war, zerstörte diese Hoffnung; ein umgeworfener Wasserkrug auf der Wandbank ließ sogar befürchten, die Base sei durch die Vorfälle in Grubers Hause noch bewegter als andere Leute.

Von Furcht und Sorge gedrückt, setzte sich Ambros daher ans Tischchen, um so ruhend die Heimkehr der Base abzuwarten, aber schon war er im nächsten Augenblick wieder Zeuge eines Auftritts, welcher ihn mit äußerstem Entsetzen erfüllte.

Denn er warf eben einen wehmütigen Blick durch das kleine Fenster nach dem Balkon der Gruberhofes, wo ihm so oft ein süßer Augentrost erschienen, als dort eine weibliche Gestalt mit fliegenden Haaren die Türe der Galerie aufstieß und sich über die Brüstung derselben stürzen wollte; einige nacheilende Hausbewohner erreichten sie noch just zu rechter Zeit und führten sie mit Gewalt ins Haus zurück.

Wie von zwei Armen in die Höhe gerissen, sprang Ambros auf – denn er hatte seine Geliebte so zum ersten Male wieder gesehen; in diesem Augenblick ließen sich Tritte in der Vorflur hören, und die Base Walpurg trat herein.

Sie wurde ihren Ambros kaum gewahr, als sie mit offenen Armen auf ihn zueilte und ihn unter frohen Begrüßungen umhalste, worauf sie aber gleich wieder ernsthaft wurde und mit trauriger Stimme sagte:

»Du wirst Augen machen, Ambros, über all' die Dinge, die geschehen sind! Ach, es geht bekümmert her im Gruberhofe.«

Ambros hatte nicht die Kraft zu fragen, was geschehen sei, doch fuhr die Walpurg aus freien Stücken fort:

»Heute Morgen hätte die Hochzeit der Vrone sein sollen; alles war bestens bereit, es war gekocht und gebraten, die Braut stand da, wie eine Gräfin herrlich geputzt, in Flor und Seide, auch die Gäste waren alle da – und nur der Bräutigam sollte noch kommen ... Wie man aber noch so wartet, kommt statt des Bräutigams ein rotverhetzter Laufbot' und bringt nichts als einen schönen Gruß vom Bräutigam, und er lasse schön danken für die Braut – er habe glücklicherweise noch vor der Trauung alles Nötige gehört – kurzum, er könne die Vrone nicht nehmen! Alles steckt jetzt die Köpfe zusammen, man sagt und fragt erstaunt herum, der Gruber verfinstert die Stirn, und die Gruberin sitzt ächzerlich auf die Wandbank nieder; – da zieht der Laufbot' auch noch einen Brief hervor und darin steht ...«

»Nun was?« stöhnte Ambros bebend am ganzen Leib.

»Ach – es ist zum Schrecken und Erbarmen zugleich«, fuhr die Walpurg fort, »aus dem Briefe wird in Erfahrung gebracht, den Tag zuvor habe sich ein Bursch vor Amt selber als den wahren Brandstifter angegeben, er sei ein früherer Liebhaber der Vrone gewesen, sei von ihr aber wegen eines andern verabschiedet worden und habe deshalb, da er seinen Nebenbuhler einmal nachts zur Vrone schleichen sah, aus Verzweiflung Feuer gelegt! Der Untersuchungsrichter habe auf diese Aussage hin seinem Freund, dem Bräutigam der Vrone, sogleich einen Wink zukommen lassen und ihn von der Heirat abgehalten ...

»Ach, lieber Ambros – auf diese Nachricht hin fiel die Gruberin maustot von der Bank, die Vrone sprang zur Stube hinaus und wollte sich im nahen Teich ein Leid antun – man muss sie immer noch bewachen – der Gruber aber hat kein Wort gesagt, ist bald rot, bald kreideweiß geworden und hat anspannen lassen, um fortzufahren – man weiß noch immer nicht, wohin er ist!«

Ambros war während dieser Erzählung wie an allen Gliedern zerschmettert auf die Bank zurückgesunken und konnte nach einer Weile nur die Frage stöhnen:

»Wen hat man in Verdacht jetzt mit der Vrone?«

Die Base Walpurg beeilte sich nicht, auf diese Frage eine Antwort zu geben, dann aber legte sie ihre rechte Hand auf die Schulter des schwer Gebeugten und sagte leise:

»Lass das ruhen jetzt, Ambros – dir macht kein Mensch einen Vorwurf – du hast sie lieb gehabt und für sie gelitten wie ein Mann; sie aber hätte dich verurteilen und deine Ehr' zu Grunde richten lassen! ...«

Leider war für heute des Tages Unheil noch nicht zu Ende.

Gegen halb zehn Uhr fuhren zwei fremde Männer auf Grubers Wägelchen einen Leblosen durch das Dorf und lugen ihn mit sorgenvollen Mienen im Gruberhofe ab; – der Leblose war Gruber selbst, der, wie wir gesehen haben, nach dem Amte gefahren war, um nähere Auskunft über die neuesten Entdeckungen zu erhalten, er hatte dann während der Heimkehr öfter vor Schänken angehalten und im ersten Zorn und Gram zu viel getrunken, so dass er im betäubten Zustande an einer gefährlichen Stelle über den jähen Straßenrand hinabfuhr. Den Wagen fand man später nur wenig beschädigt in dem Graben, das Pferd war in einem Zustande, der Hoffnung auf gänzliche Herstellung gab; – der Gruber aber war rettungslos auf dem Platze geblieben ...

VII.

Wenn unseren begangenen Fehlern eine unverhältnismäßig harte Strafe folgt, so ist die Mitwelt, namentlich im ersten Anlauf der Teilnahme, gern bereit, unsere Vergehen ganz zu vergessen und nur die Härte der Strafe im Auge zu behalten; ja es kann geschehen, dass ein Schuldiger in diesem Falle Zeichen von Aufmerksamkeit und Liebe erntet, wie er sie, wenn er ohne Schuld geblieben wäre, nie erhalten hätte. Ist der Schuldige dann auch noch wirklich gebeugt und wachsam genug, um die alten Fehler abzulegen und neue nicht wieder zu begehen, so kann er darauf rechnen, dass man seiner Vergehungen auch später nur milde und schonend gedenken werde.

In diesem Falle befand sich die Vrone Gruber jetzt.

Der furchtbare Schlag, dass ihr an demselben Tage, an welchem ihr Leichtsinn und ihre Treulosigkeiten enthüllt wurden, nicht allein ihre Ehre und die ganze Herrlichkeit ihres äußeren Glückes zerstört, sondern auch noch Vater und Mutter durch den Tod entrissen wurden, traf in der Tat zugleich jedes fühlende Herz empfindlich genug, um diese Strafe doch zu hart zu finden.

Unter solchen Umständen darf es denn nicht wundern, dass der Schwergetroffene mit Trost und Hilfe in jeder Weise beigesprungen und Beweise aufrichtiger Liebe gegeben wurden, umso mehr, als der Schmerz und die Reue der Schuldigen tief und nachhaltig schienen und ein würdiges Leben für die Zukunft in Aussicht stellten.

Es wäre also nur darauf angekommen, dass die Vrone von jetzt an ihre Stellung zur Mitwelt nach und nach wieder erträglich, ja ehrenvoll zu gestalten; und es schien auch wirklich eine Zeit lang, dass die Schwergeprüfte dieser guten Richtung folgen würde. Denn stille und zurückgezogen, mäßig in Speis und Trank, stets beschäftigt und höchst einfach gekleidet, lebte sie ein wahrhaft klösterliches Leben für sich und versäumte nicht, der Eltern mit Tränen und Gebet zu gedenken und ihre Gräber fleißig zu besuchen.

Aber nach und nach schien ihr doch die rechte Kraft und Tiefe zu mangeln, diese Lebensweise standhaft fortzusetzen, ihr jugendliches Wesen kam jetzt wie aus langer Lähmung wieder zu sich und verlangte heftig nach Zerstreuung und Genuss. Zu diesen glaubte sie sich umso mehr berechtigt, als sie seit dem Tode ihrer Eltern im Besitz des Hofes und sämtlichen Geldes derselben war. Sie begann also damit, dass sie sich aus keineswegs wohlgeprüften Weibern des Dorfes eine Gesellschaft zusammensuchte, die an gewissen Abenden sich bei ihr versammelte, mit Kuchen und Kaffee bewirtet wurde und dafür allen Klatsch, der in der Gegend umlief, so frisch als möglich aufzutischen hatte.

Diese Aufgabe erfüllte denn das Schnattergremium auf bewundernswerte Weise, und die Wirtin blieb mit ihrem Danke nicht zurück, indem sie ihre Küche immer reichlicher versah.

Es dauerte nicht lange, so drehten sich die Debatten meistens nur um Liebes- und Heiratsangelegenheiten, und die alte Wetterstange, die Lebberin merkte kaum, dass ihr Kupplergewäsch rauschenden Beifall fand, als sie in Kurzem den ganzen Plaudermarkt ausschließlich an sich riss und mit reichlicher Ware versah.

Hatte die Vrone eine Weile diesen Zuträgerinnen nur im Allgemeinen ihre Aufmerksamkeit gewidmet, so wurde sie doch bald auch in persönlicher Weise davon berührt, indem es ihr nicht gleichgültig bleiben konnte, wenn z. B. eine und die andere ihrer Jugendgenossinnen eine besonders glückliche Ehe einging.

Vrone hatte dabei immer das Gefühl, als würde ihr unverschämter Weise der Rang abgelaufen, als benützten andere sie Zeit ihrer Zurückgezogenheit, um ihr alle guten Partien, auf die sie ihres Reichtums wegen eigentlich allein Anspruch hätte, zu entreißen ...

»Ich will ihnen zeigen, dass ich auch noch da bin«, rief sie daher eines Tages bei einer neuen Hiobspost: »Ich will doch sehen, wer mir vorgeht, wenn ich wieder auftreten und zugreifen will!«

Sie zog daher von diesem Tage an einige der gewandtesten Zuträgerinnen ins Vertrauen und ließ in bedachtsamer Weise unter die Leute bringen, dass die Gold-Gruber-Vrone sich, wie man glaube, doch endlich wieder zu einer Heirat dürfte überreden lassen.

Diese flüchtige Kunde sollte nur in Umlauf gesetzt werden, um einige der besten Heiratskandidaten (bäuerlichen Standes) stutzig zu machen und zu veranlassen, sich für die Vrone so lange in Sicht zu halten, bis sie die Gewissheit erlangt haben würde, ob es ihr nicht dennoch gelingen möchte, durch ihr Geld und ihr Gesicht bei einem Höhergestellten unter die Haube zu kommen.

Denn nichts Geringeres als dieses glänzende Ziel hatte sie wieder vor Augen, aus dem einfachen Grunde, weil sie durch eine vornehmere Stellung ihre früheren Sünden am besten vor der Welt vergessen zu machen und an ihrem Bräutigam, der sie unter so erschwerenden Umständen verlassen, sich zu rächen hoffte.

Aber dieses hohe Ziel ihres Stolzes konnte ihr unmöglich lange als erreichbar im Sinne liegen, da Erkundigungen und Anfragen sehr kurz und bündig erwidert wurden.

Nach diesen Erfahrungen blieb dann freilich nichts Besseres übrig, als ihr bäuerliches Blut dem bäuerlichen Herde zu erhalten.

Eines Tages merkte man mit Erstaunen, dass die Vrone Gruber ihre Stadtkleider wieder ablegte und in ländlicher Tracht auf Wiese und Feld erschien. Sie zeigte damit deutlich genug an, dass sie alle herrschaftsmäßigen Eitelkeiten abgelegt und auf ihrem elterlichen Gute als schlichte Hausfrau zu leben und zu wirken gedenke.

Aber merkwürdiger Weise drehte jetzt das Volk seine Meinung um, und nachdem es früher gesagt hatte: »Hinter dem Stadtkleide steckt doch immer die Bäuerin«, sagte es jetzt: »Hinter dem Bauernrock ist doch was von der Stadtdame stecken geblieben!«

Vrone musst also den Schmerz und Verdruss erleben, dass außer einigen unbedeutenden Anträgen, die noch dazu, als kosteten sie der öffentlichen Meinung gegenüber große Selbstüberwindung, bei Nacht und Nebel gemacht wurden, kein irgend angesehener Bauernbursch bei ihr sich melden ließ!

Dieser Schmerz und Verdruss durfte nicht ruhig ertragen werden; es musst Genugtuung an der ganzen Nachbarschaft genommen werden.

Vrone beschloss daher jetzt, teile um eine frühere Schuld abzutragen, teils um die wohlhabenden Familien zu ärgern, sich einen ganz unbemittelten Mann zu nehmen – und dieser mit besonderem Bedacht hervorgesuchte Mann sollte kein anderer sein – als ihr früherer Geliebter Ambros!

Ja, ihn – den sie seit seiner Befreiung immer mit tiefer Scheu gemieden, den sie aber noch immer nicht ohne Neigung sehen konnte – ihn wollte sie jetzt durch alle Mittel der Begütigung wieder versöhnen, und wenn ihr das gelänge – wirklich heiraten! ...

Eines Tages, da die alte Walpurg eben in ihrem Stübchen still für sich arbeitete, ging daher die Türe auf, und Vrone, sauber geputzt, trat pochenden Herzens herein.

Die Walpurg glaubte vor Überraschung vom Schlag gerührt zu werden, sie musste sich setzen und konnte nur sprachlos auf die Erscheinung starren.

»Guten Tag«, sagte die Vrone, trotz des Empfangs, den sie nicht anders erwartet, lebhaft und aufgeweckt, »fleißig, fleißig, liebe Base?«

Die Walpurg zuckte mit beiden Schultern ein wenig, als wollte sie sagen: »Schlechter Fleiß, wenn es sein muss – Dank für die Nachfrag'!«

Vertraulicher und von innerer Hast zu raschem Vorgehen gedrungen, trat die Besuchende näher, ließ sich auf einen Lehnstuhl nieder und fuhr dann fort:

»Man sieht Euch ja kaum, wenn nicht sonntags einmal von der Ferne – Ihr seht wundergut aus, Ihr werdet noch lange legen, Ihr werdet ja immer jünger!«

Die Walpurg konnte sich eines leichten, zufriedenen Lächelns nicht erwehren, die Worte waren zu artig und lieb gesprochen; und am Ende hatte die Vrone ja doch ihre großen Zeiten gehabt; – die Walpurg fand daher ihre Sprache wieder und sagte:

»Man muss es nehmen, wie's der Herr gibt, ich bin, Gott sei Dank, wirklich noch ein wenig nütze!«

»Nur ein wenig, liebe Walpurg? Nein, viel nütze, recht sehr viel!« griff ihr die Vrone ins Wort – »Ach, ich wollt' ich hätte jetzt so eine Base, wie Ihr seid – ich wäre glücklicher dran!«

»Nun, wer weiß, wer weiß«, protestierte die Walpurg leise.

»Gewiss, gewiss, Base – und wenn ich wüsste, wie man euch gewinnen könnte, ich würde alles tun, um Euch bei mir zu haben; ich brauchte dann sonst keinen Schutzengel!«

»Wie du redest, Vrone; das sind studierte Worte, Kind, oder die Welt mach dich schlimmer, als du bist!«

Die Vrone ersah den Augenblick als geeignet, den Ruf ihres Herzens zu verbessern, schlug die Schürze über die Augen und zuckte mit den Schultern:

»Ich habe viel gefehlt, Base«, sagte sie schluchzend, »aber ich bin nicht alles, was die Leute von mir sagen!«

»Nun, nun«, meinte die Walpurg mit Teilnahme, »das Leben ist lang, und gute Sitten und Reue können viel bei unserm Herrn; sei standhaft und führ's hinaus!«

»Das ist leicht gesagt, Base«, fuhr die Vrone fort, die Schürze wieder vom Angesicht nehmend – »führ's hinaus, so verlassen und so mutterseelenallein und mit einer großen Wirtschaft auf dem Halse!«

»Nun ... dann musst du endlich heiraten, Vrone, musst einen Mann heiraten, der dir passt und dir in dem Haushalt recht zur Hand ist!«

»Heiraten? Ich nicht mehr; – wenn's nicht etwa kommt, dass mir – einer wieder verzeiht und sein Herz anbietet; – diesen einen und sonst keinen würde ich nehmen!«

»Und wer ist dieser eine?« fragte die Walpurg, wohl ahnend, wer gemeint sein mochte.

»Wer?« rief die Vrone und fiel vor der Vrone auf die Knie, »fragt Ihr noch wer, liebe Base? Soll ich's noch ausdrücklich sagen? Wer anders als Ambros, Ambros, den ich so sehr beleidigt habe!«

Walpurg schwieg eine Weile und sagte dann betrübt und ernst:

»Ja, Vrone, das hast du; beleidigt hat du ihn groß! Aber dir muss Gott verzeihen, alles andere kann dir wenig helfen!«

»Gewiss, Base, gewiss! Aber wie soll Gott verzeihen, wenn mir immer noch das Herz meines Ambros abgewendet ist?«

»Deines Ambros, Mädel?« fragte die Walpurg rasch und streng.

»Ja, ja, ich sag' es: – meines Ambros, Base; ich weiß jetzt, dass ich ohne sein Erbarmen nicht mehr leben kann, ohne ihn nicht leben will!«

Sie stand lebhaft auf und stellte sich ein wenig theatralisch vor die Walpurg hin, indem sie ihre beiden Hände auf die Gegend des Herzens legte.

Die Walpurg sah sie eine Weile mit unheimlich glühenden Augen an und sagte dann mit nachdrucksvollem Tone:

»Du hast das gesagt, Vrone, und weil es niemand sonst gehört hat, so soll's vergeben sein und niemand weiter wissen!«

»Warum?« rief Vrone lebhaft, »der Ambros soll es wissen, und alle Leute sollen's wissen, dass ich gut machen will, was ich versehen habe!«

Die Walpurg erhob sich jetzt, und indem sie mit fester Hand nach Vrones Arm griff und ihn zitternd umspannte, sagte sie mit Nachdruck:

»Wenn du den Ambros find'st, wie er ehedem gewesen, so nach' es gut an ihm; – aber derselbe Ambros lebt nicht mehr, ein anderer Ambros ist da, er sieht dem früheren ähnlich, ist's aber nimmermehr!«

»Ihr glaubt, er würde sich nicht bereden lassen?« sagte die Vrone doch betroffen.

»Nicht bereden und erbitten, nicht bestechen und erkaufen lassen!« erwiderte die Walpurg noch bestimmter.

In diesem Augenblick ging die Türe auf, und Ambros, eine Holzaxt über der Schulter, trat herein.

Er sah die Vrone nur von rückwärts und erkannte sie nicht sogleich, darum sagte er milde:

»Guten Tag!«

Entzückt von diesem Tone, drehte sich die Vrone hastig um und sagte:

»Guten Tag, Ambros, da bist du ja – jetzt sollst du selber sagen ...«

»Was?« erwiderte Ambros – und in seiner Stellung erstarrend, sah er die Vrone mit einem Blicke an, der mehr als alles sagte, was sie wissen wollte; – nach einer Weile aber ging er straff und ruhig nach der Kammer, wo er blieb, bis dass er hörte, wie sich der Besuch entfernte ...

VIII.

Seit jenem Vorfall sind nun Jahre um Jahre vergangen. Das Aussehen unseres Dorfes und das Leben desselben scheinen zwar ganz dieselben wie früher, aber näher betrachtet, finden wir doch so manches von Grund aus verändert. Denn abgesehen von gar vielen älteren Leuten, welche inzwischen gestorben und an deren Stelle jüngere gerückt sind, finden wir auch Leute, die wir blühend und in guten Verhältnissen verlassen haben, nun leider sehr beklagenswert verändert.

Wie freundlich weißgetüncht z. B. haben wir einst das Häuschen links vom Gemeindebrunnen verlassen, wo die würdigen Gestalten der alten Walpurg und des Ambros aus- und einzugehen pflegten – und wie von Wind und Wetter zerrissen sieht es gegenwärtig aus! Freilich, freilich – sind doch auch die früheren Bewohner nicht mehr da, die stets drauf sahen, dass dem Häuschen seine Ehre wurde.

Die gute Walpurg ist tot, und Ambros, der sich längst nicht wohl fühlte in dem Orte, ist nach seiner Base Tode in die weite Welt gewandert.

Gott wird ihm Glück und Segen geben, er verdient's, und er wird auch nicht an Eifer fehlen lassen; – aber die jetzige Bewohnerin des kleinen Hausen? Wer ist sie? Und wie geht's ihr, da sie auf das Ansehen ihrer Wohnung nichts zu halten scheint?

Es würde vergeblich sein, ein Geheimnis zu bewahren, das jedermann im Dorfe kennt, und so wollen wir auch frischweg sagen, dass in dem Häuschen eben niemand anders wohnt als Vrone Gruber, die »Stadt-Vrone« genannt.

Dieser Umstand ist es aber nicht, der uns am meisten überraschen darf; Vrones Aussehen und Leben sind es, die uns näher gehen.

Die Vrone mag etwa vierzig Jahre zählen, an sich für eine Frau kein hohes Alter, viele Frauen rechnen es noch zu ihrer guten, interessanten Zeit, aber die Vrone – wie anders sieht sie aus!

Würde man ihr zu nahe treten, wenn man ihr jetzt ihre volle sechzig Jahre gäbe?

Hager und gelb, an einem Krückenstabe gehend, schleicht sie in dem ärmlichen Hause herum, ist selbst das ärmlichste Möbel in demselben und sucht – wer weiß das so genau? – vermutlich ihre Ruhe, ihre Unschuld, ihre Jugend, ihr Vermögen, Vater und Mutter – und wohl auch Trost und Vergebung; – vielleicht sucht sie auch die Nähe desjenigen Mannes, dessen Liebe ihr doch noch als der schönste Stern vergangener Tage erscheinen mag!

Aber wie kommt die Vrone in dieses Haus? Welche seltsamen Erlebnisse haben vorhergehen müssen, um sie gerade in dieses Häuschen zu führen? Die Sache ist wunderlich und doch wieder natürlich genug ...

Nachdem die Vrone die Überzeugung gewonnen hatte, dass Ambros auf keine Weise sich herbeilassen würde, ihr Herr Gemahl zu werden, beschloss sie nach kurzem Kummer das Heiraten überhaupt ganz aus dem Auge zu lassen und ein Leben ohne Sorgen und Plan, vollauf in Saus und Braus zu führen.

Sie suche ihren städtischen Putz wieder hervor, ließ das Haus der Eltern im Innern städtisch und verschwenderisch einrichten, gab ihrer Lieblingsgesellschaft, aus der sich aber die besseren Bestandteile immer mehr verloren, einen Schmaus um den andern und fuhr, indem sie einen Schaffner für ihre Wirtschaft bestellte, mit einem Lieblingsknecht fleißig in den benachbarten Städtchen herum.

Bei einer solchen Lustfahrt geschah es eines Tages, dass Vrone einen Abenteurer kennen lernte, der in der schmucken Uniform eines Bergoffiziers sich in der Gegend herumtrieb, um nach Kohlen und Erz zu suchen; dem Abenteurer schien die hübsche Tugendschlacke, Vrone genannt, an der noch manches Stück Geld hing, ein willkommener Fund zu sein und nach kurzem Überlegen war er entschlossen, ihrer habhaft zu werden und sie in seine ferne, häusliche Schmelze mit heim zu bringen.

Vrone fand den Vorschlag des hübschen redfertigen Fremden, ihn zu heiraten und mit ihm in die Stadt zu ziehen, gar nicht übel, und nach einigem Bedenken verkaufte sie Haus und Hof, nahm all ihr bares Geld zusammen und reiste mit dem künftigen Ehegemahl triumphierend in die Ferne, da es ihr nun doch gelungen war, einen »Hochgestellten« und von alle Welt charmant gefundenen Mann erobert zu haben.

Hinter Vrones Abfahrt schlug es denn auch wie ein geheimnisvolles Tor zusammen, und weder mündliche noch schriftliche Nachrichten gaben ferner Kunde, wie und wo das wunderliche Wesen eigentlich lebe.

Erst nach vielen Jahren, wo manche Augenzeugen ihres früheren Lebens schon gestorben waren, wurde eines Tages auf schlechtem, mühsamen Fuhrwerk, gealtert und krank, eine Frau ins Dorf hereingefahren, welche bei dem Richter fragen ließ, ob hier eine Wohnung für sie zu finden sei.

Man wies sie vor das Häuschen der kurz zuvor verstorbenen Walpurg, welches die Gemeinde gekauft und noch nicht vermietet hatte – und Vrone, von diesem Zufall nicht abgeschreckt, sondern wie von einer guten Vorbedeutung froh ergriffen, nahm jetzt in dem Häuschen ihre Wohnung, wo einst ihr Ambros gelebt – und gab sich nun erst zu erkennen.

Das Aufsehen war groß, und manche tiefe Lehre zog mancher für sich und seine Kinder aus dem Lebensfalle. Vrone aber, die noch ein Kleinteil ihres einstigen Vermögens gerettet hatte, kaufte nun das Häuschen und begann ein hartes, einsames, bußhaftes und gebetreiches Leben, welches sie fortführt bis zu diesem Tage.

Über ihren Herrn Gemahl hat bisher niemand war erfahren; indessen scheint es mehr als glaublich, das der saubere Geselle das unglückselige Wesen in die weite Welt geführt und in Zerstreuungen und Genüssen herumgeschleppt hat, bis ihr Vermögen verprasst und ihre schönste Jugend verblasst war, worauf er sie einfach verließ und ihrem elenden Schicksale preisgab.

Wer weiß, wie lang die Jammernde kämpfte, bis sie von dumpfer Sehnsucht getrieben, den Entschluss heimzukehren fasste; es war ein schwerer Entschluss – aber die Heimat, die Heimat ist ja oft das einzige heilige Plätzchen noch, wo ein wundes, reuevolles Herz Genesung finden kann!

Auf dem Grabe der Eltern sollten Vrones Seufzer und Gebete besser wirken; – in der Heimat, wo sie einst so übles Beispiel gab, konnte ihr Vorbild der Reue manches Herz auch wieder rühren und versöhnen.

Und so ist sie wieder hier und trägt's mit würdiger Geduld, wenn man sie mit Scheu und Mitleid die »Stadt-Frohne« nennt zu abschreckenden Warnung, wie man der bloßen Eitelkeit wegen die Kinder nicht mit Gewalt in die Städte »frohnen« soll, um sie mit Luxus und ein wenig äußeren Formen bekannt zu machen. Denn hoch steht nur der gebildete, fleißige Städter wie auch der einfache Landbewohner da, wenn sie ganz sind, was sie sein sollen; – nur was zwischen jenen beiden liegt, die Halbheit oder bloße Formkultur, taug selten etwas!


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