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Heidenglück

1.

Eines Sommermorgens um die neunte Stunde öffnete sich das Fenster eines kleinen Hauses in Angern, und ein junges Weib steckte den Kopf heraus, um an dem Schatten der Sonnenuhr die Höhe der Tageszeit zu prüfen.

»Gleich neun«, sagte sie ruhig vor sich hin und wollte den Kopf wieder zurückziehen, als ihr ein scharfer Sonnenstrahl auf die Nase fiel und sie zum Nießen reizte.

»Helf Gott«, sagte sie selber und nickte sich Dank zu, indem sie das Fenster wieder schloss – »So was hat mir gefehlt, das frischt doch immer ordentlich auf!«

Es dauerte nicht lange, so öffnete sich die Türe des kleinen Hauses, und Hanne Linder (so hieß das junge Weib) trat auf die Schwelle.

Schon ein paar Male hatte ihr geschienen, als höre sie eine dumpfen Lärm in der Ferne, und sie horchte daher mit angehaltenem Atem nach dem Dorfe hin.

»Ich muss noch was Neues erfahren, und zwar was Gutes«, sagte sie, »die Nase lässt nicht vom Jucken, und das rechte Ohr tut ärger als die Gemeindeschelle!«

Sie hatte diese Worte kaum gesprochen, als der Lärm viel stärker als früher hörbar wurde und Hannes ältester Knabe eilig daher kam, schon von Weitem rufend.

»Mutter, o Mutter!«

»Was gibt es?« fragte die Linder.

»Der Vater, der Vater«, stotterte der Knabe.

»Was ist's mit ihm, kommt er?«

»Ja recht, kommen! Fort ist er – pfutsch mit ihm«, sagte der Knabe und machte ein bedenkliches Zeichen vor die Stirn.

»Dummer Bub, du unterstehst dich ...?«

»Alle Leute sagen's; das ganze Dorf ist aus dem Häusl; hört nur den Mordspektakel!«

Und wirklich erneuerte sich der Lärm noch stärker, während Hannes zweiter Knabe erhitzt daher sprang und wie besessen ausrief:

»Hoiaho! Hoiaho!«

»Vertrackte Buben, seid ihr denn ganz toll?« sagte Hanne und griff nach einem Stock.

»Wir nicht, aber der Vater ...«

»Wollt ihr's Maul halten und Respekt vor ihm haben?«

»Soll man kein Wort verlieren, wenn der Vater den ganzen Kopf verliert?« sagte der zweite Knabe.

Aber näher und näher wälzte sich der Lärm, und ein dritter Bote sprang heran, um zu bestätigen, was die früheren berichtet hatten; es war Fritzl, Hannes jüngster Knabe, der Schulbuch und Täfelchen vor sich hinwarf und johlend ausrief:

»Jetzt wird's lustig! Ade Schul- und Schandbank! Der Vater ist nicht mehr recht daheim, der Mutter wird der Gehorsam gekündigt – das Einmaleins kann ich – ich bin fertig!«

»Es muss etwas an der Sache sein«, sagte Hanne ärgerlich und besorgt zugleich: »Ein Narr macht zehne; drei sind schon vorausgelaufen – dort kommt auch gleich der vierte!«

Wirklich kam in diesem Augenblicke der Hauptgeschäftelberger des Dorfes, Bastian Mäuler, her geschritten und sagte noch im Gehen:

»Tut mir leid, tut mir leid, liebe Linder. Was wahr ist, muss gesagt sein; fasst Euch, eh' Euch die Sache fasst; denn es ist eine starke Sache!«

»Drum macht's kurz«, erwiderte Hanne, »und bleibt bei der Sache!«

»Euer Mann – ist nicht mehr zu Haus, meine Liebe!«

»Das weiß ich, er ist nach Simmern, um Leder einzukaufen!«

»So mein' ich's nicht; – ein Narr ist er geworden – so mein' ich's!«

»Mäuler!«

»Hilft nichts, liebe Linder; drum bin ich bei Zeiten voraus, um Euch die Hiobspost zu bringen. Ihr sollt Zeit finden, die Sache von der besten Seite zu nehmen, denn sie hat eine gute Seite: Euer Mann ist zwar ein Narr geworden, aber ein guter Narr!«

»Das ist er lange!«

»Und ein glücklicher Narr!«

»Das hat er mit schon am Hochzeitstag gestanden!«

»Ihr wollt mich nicht verstehen ... Sagt selbst – wenn der Mensch in einem fort singt und springt, ohne dass man weiß, warum; wenn er allen Buben, die er habhaft wird, die Kappen ins Wasser wirft und ruft: Seid lustig, ich zahl's; wenn er in Beichwang mitten durch den Häfenmarkt lauft, den Weibern die Milchtöpf vor den Häusern umwirft, auf Weg und Steg die Mädeln anruft: Sucht euch Männer, ich zahl's; wenn er hier einem Bettler einen Gulden zuwirft, dort eine Kuhherde auseinander sprengt, dass sie am jüngsten Tag nicht wieder ordentlich beisammen sein wird: – ist das nicht ein verrückter, verzwickter, verschobener, zerstobener Mensch?«

»Aber auch mein Mann«, sagte Hanne trotz der Angst und Wehmut stolz: »Darum will ich selbst erst sehen, bis ich glaube, und verbitte mir jede üble Nachrede und jeden Schimpf ... Buben, her da!« fügte sie hinzu und fragte dann:

»Wo ist mein Mann jetzt?«

»Musikanten holt er zusammen; er will unter Geigengeschmetter und Trompetengefiedel in sein Haus einzieh'n ... He, hört ihr's? Da wird er ja gleich das sein!«

Unter fröhlichen Weisen, die aufgespielt wurden, kam nun im vollen Sinne des Wortes das ganze Dorf nach dem kleinen Hause Linders anmarschiert, und während Jung und Alt in wunderlichen Weisen ernsthaft und spottend durcheinander rief, war Linder selbst nicht der Letzte, den Lärm zu vermehren und unter Drehen und Springen allerlei Lieder zu singen.

»Gott steh' uns bei«, rief Hanne, ihre Knaben erschüttert an sich ziehend, »jetzt muss ich selbst dran glauben, euer Vater ist nicht mehr richtig im Kopf!«

Er klang herbe genug, dass diese Worte mit dem Spottlied zusammenfielen, welches der ausgelassenste Teil der Jugend eben sang:

Haha, hehe, haha!
Er kommt, er ist schon da!
Ein Narr, das ist und bleibt er,
Die Menge Possen treibt er,
Haha, hehe, haha!
Er kommt, er ist schon da!

Aber Linder blieb auch diesem Spotte seine Antwort nicht schuldig, und als er jetzt in der Nähe seines Hauses sein erschrockenes Weib stehen sah, sprang er jauchzend in die Luft, warf rechts und links die drängenden Zuschauer bei Seite, schoss geradeaus mit fröhlicher Gewalt durch die Leute und rief:

»Dideldiho, mein Närrchen, komm! Wir haben lange keins gedreht!«

Und Hanne mochte sich nun wehren und sträuben, wie sie wollte, die Musikanten spielten kaltblütig weiter, und Linder riss sein Weib in lustiger Tollheit mit sich fort.

»Um Gottes und aller Engel willen – Anton, lass doch los, hör' auf; – muss ich denn wirklich glauben, dass Du ganz auseinander bist?«

»Drauf los geglaubt«, sagte Linder lachend und ließ sein Weib endlich stehen: »Ich bin aus Rand und Band, ganz recht: die Freude macht mich zum Narren, zum Wüterich, zum Vieh – ich könnte die Erde gegen die Sonne und Mond und Sterne durcheinander sprengen wie eine Lämmerherde; ja zerreißen, zerschmeißen, kurz und klein hauen könnt' ich alles, dich und mich und unsere nichtsnutzigen Buben da – Wen darf ich umbringen vor Glück und Glückseligkeit?«

»Mich!« sagte der kleine Fritzl.

»Also her da, du Ameisenkönig!« rief der lustige Vater, nahm den Knaben auf den Arm und schwang ihn einmal um sich herum, indem er ihn lachend küsste.

»Ja aber – Mann, Mann!« fragte Hanne: »Was macht dich so glückselig toll?«

»Das siehst du nicht, Weibchen? Nicht da?« Er zeigte auf seine Stirn. »Nicht da?« Er legte den Finger auf die Nase. »Und auch nicht da?« Er schlug den Rock auseinander und zeigte einen großen Leibgutt um die Lenden.

Jetzt dämmerte seinem Weibe freilich eine große Ahnung auf, sie schlug die Hände zusammen und rief:

»Mein Himmel, war ist in dem Leibgurt?«

Linder stellte rasch den Knabe wieder weg, nahm das Gesicht seines Weibes zwischen beide Hände und sagte mit bebender Zärtlichkeit:

»Was da drin ist? ... Hannchen – Weibchen – ein Haus und ein Hof; daneben ein ordentlicher Viehstand, das Jahr über dreihundert kälberne Braten; die besten Schulbücher für unsere Kinder; neue Kleider für deinen Putz; ein Sorgenbrecher für alle schweren Tage; die Woch' allerwenigstens ein Räuschchen für mich; dazu Ehr' und Reputation vor der Gemeinde; die Freundschaft des Schulzen, gute Behandlung vor Gericht; sichere Aussicht bei Advokaten; die Liebe der Welt, die Freude am Leben, ein seliger Tod!«

»Mein Gott, soll ich wirklich erraten haben ...?« rief Hanne, vor Freude erbleichend.

Linder löste den Leibgurt ab und ließ ihn mit den Worten fallen:

»Jetzt mag er selber reden!«

Das war nun freilich eine Antwort, welche der entzückten Hanne durch Mark und Bein ging.

»Geld, Geld«, rief sie, »lauter Geld!«

Linder kniete nieder und sagte, mit gefalteten Händen aufblickend:

»Ja, lauter Geld, lauter unser Geld! Ich habe hinter deinem Rücken in die Lotterie gesetzt und bin vor deinen Augen so glücklich, viertausend Gulden gewonnen zu haben! Sieh' her – sieh' hier!«

Dabei schüttete er einige Gold- und Silberstücke auf den Boden, die klingend hin und her fuhren, dass sagte er:

»Hörst du, was die für eine Sprache führen? Ist's nicht zum Totlachen und Verrücktwerden?«

Nun fiel auch Hanne neben ihren Mann auf die Knie und rief entzückt:

»Seh' ich recht? Grundgütiger, gnädiger Himmel – hier Gold!«

»Hier Silber«, erwiderte Linder.

»Dukaten!«

»Und Taler!«

»Ein Gulden!«

»Ein Zwanziger!«

»Und kein Fetzerl Papier! Ach, da werd' ich ja selber ein Narr!«

Linder erhob sich und sagte:

»Ein Narr nicht, aber die schönere Hälfte davon – eine Närrin!«

Und weil jetzt das Volk mit dem größten Erstaunen herzudrang, um das blanke Geld zu sehen, so wehrte es lebhaft nach allen Seiten und sagte:

»Zurück! Ja, nicht wahr, um den Preis wär' nun jeder gerne ein Narr wie ich?«

»Ich bekenn' mich zu dieser Schwäche«, sagte Bastian Mäuler, der fühlen mochte, dass er etwas gut zu machen habe.

Aber einige andere Nachbarn wollten jetzt nichts mehr von Linders Narrheit wissen, verwahrten sich lebhaft gegen die Ansicht, dass auch sie einen Augenblick an ihres glücklichen Nachbarn Verstande gezweifelt hätten, und der Habel bemerkte sehr nachdrücklich:

»Wer euch einen Narren heißt, Linder, der hat's mit uns zu tun!«

»Die haben meinen Zaubergürtel gesehen, die Witterung schlägt um«, sagte Linder für sich – wendete sich plötzlich zu den herumstehenden Mädchen und rief:

»Wie steht's nun mit euch, liebe Schneegäns – wie komm' ich denn euch jetzt vor?«

Die Mädchen fuhren schreiend auseinander, und die Mellinger-Susi erwiderte:

»Als noch ein bissel dumm!«

»Nicht schöner?«

»Als noch ein bissel verschossen!«

»Lasst's gut sein«, sagte Linder lachend, »wär' ich ledig, ich wollt' euch alle miteinander zahm und geschmeidig machen; am Geld hat schon manche ihren Narren gefressen!«

Indessen hatte Hanne das herumliegende Geld gesammelt und stand nun mit dem schweren Gurt wieder auf.

»Genug, genug«, sagte sie, ruhiger geworden und ihren Mann am Arm ergreifend – »komm' jetzt, komm, lieber Alter, du hast dein erklecklich Teil getollt und gescherzt; lass' uns wieder schön ordentlich und gesetzt werden; ewig kann ja so was nicht fortgeh'n – auch wirst du bald spüren, dass du müde und hungrig bist!«

»Hast recht, hast recht«, erwiderte Linder, von einer beginnenden Abspannung sichtlich ergriffen: »Mein Magen orgelt wirklich zum Rückzug. Durst und Hunger bleiben einem doch immer treu, durch Dick und Dünn ... Wo sind meine Buben?«

»Da!« riefen alle drei wie aus einem Munde.

»Frieder – ein Krügel Bier – geschwind zum Wirt hinüber – fort!«

»Den Weg kann ich mir merken«, sagte der Junge, »den werde ich jetzt die Öften laufen müssen!«

»Gangerl!« rief Linder seinem zweiten Knaben.

»Dahier!« sagte dieser.

»Die Dosen ist leer – alloh fort, ein Lot Kaiserlichen!«

»Das ist wahr«, sagte der Knabe fortspringend, »dem Herrn Vater ist die Nasen ans Herz gewachsen, Tag und Nacht krambambuliert er mit ihr!«

»Fritzl!« rief Linder den jüngsten Knaben.

»Da bin ich«, sagte dieser.

»Hier ist Geld, zahl' die Musikanten und lass sie noch ein Stücklein aufspielen!«

Fritzl sprang zu dem Vorgeiger, gab ihm das Geld und sagte:

»Noch ein wenig hin- und hergefahren, dann abfahren!«

Die Musikanten spielten nun, indem sie sich entfernten, noch eine lustige Weise, und Linder fasste sein Weib um den Hals und ging mit ihr, nach dem Takt sich schwenkend, froh und zufrieden in sein Haus, welches ein von den Eltern ererbtes Eigentum war ...

Ein ruhiger Beobachter hätte nun manche Betrachtung anstellen können über die Gruppen der noch einige Augenblicke sehen bleibenden Dorfbewohner.

Teils schweigend, teils flüsternd, hingen sie allerhand Gedanken nach, und als sie anfingen, sich hierin und dorthin zu verlieren, fielen Bemerkungen, die für die verschiedenen Stimmungen bezeichnend waren.

So sagte zum Beispiel eine Nachbarin nach einigem Sinnen zu ihrem Manne:

»Der Linder hat doch recht viel Glück und recht hübsche Buben – wie wollen unser Annerl öfter mit ihnen spielen lassen!«

»Wer hätt' es dem lustigen Vogel vor acht Tagen noch angesehen«, bemerkte der Wagner mit dem Kopfe wiegend – »jetzt ist der Mann ein Mann – von Interesse!«

An der Linde stand der Huber ganz allein und in Gedanken; er dachte eben:

»Wenn Linder auf zehnte Hypothek verleiht, so will ich ihm den Gefallen tun und sein Kapital in runder Summe übernehmen.«

»Soll nicht heute ein Gemeinderat gewählt werden?« sagte Mäuler leise zu seinem Nachbarn – »Wie wär's ...«, er deutete über die Schulter nach Linders Hause.

»Hab's auch schon gedacht«, erwiderte der Angeredete – »meine Stimme hat er diesmal ganz gewiss!«

Auch Moses Edelstern, der sich in der Menge bisher ziemlich vorne gehalten hatte, war nicht ohne bedeutsame Gedanken und bemerkte jetzt, indem er sich mit vielen anderen entfernte:

»Der Linder muss errichten mit uns eine chemische Fabrik oder machen in Kuhhäut!«

Die versammelte Menge war endlich und nachdenklich vor dem Hause Linders verschwunden, als noch ein später und sehr merkwürdiger Gast in größter Hast und Aufregung daher stürmte. Es war Paphnutius Lunger, einer der ersten Taugenichtse seines Jahrhunderts, der Popanz des Dorfes und die jahraus, jahrein brennende Frage des Gemeinderats.

Er hatte das Hauptereignis der verflossenen Stunde auf einem Heuboden verschlafen und kam jetzt mit großen Sätzen und mit einem Stocke Windmühle schlagend, heran, indem er sagte:

»Ein entsetzliches Gerücht rennt Dorf auf und ab. Geld ist angekommen! Ein Armer ist reich geworden! Das Glück hat wieder ein Exempel statuiert! ... Wann? Wo? An wem? Alle Haare steh'n mir zu Berge! Es dürfte an zwanzig Ecken brennen, Schwefel regnen, das Jüngste Gericht hereinbrechen – ich wär' nicht so in Zorn, Furcht, Freude, Hass und Verzweiflung! ... He da! Will niemand Stand halten und sagen, in welches Haus das Glück eingeschlagen hat?«

Mit diesen Worten eilte er den Leuten nach, welche sich zerstreuend das Dorf hinab bewegten.

2.

Wenige Augenblicke später ließ der Anblick des Dorfes in keiner Weise mehr die stürmische Bewegung erraten, welche soeben Jung und Alt mit fortgerissen hatte. Die Menschen waren wieder ruhig bei ihrer Arbeit, die Vögel munter bei ihren Gesängen, und die Tauben auf den Dächern girrten ihre unterbrochenen Liebeserklärungen zu Ende.

Auch vor Linders Hause waltete jetzt die vollkommenste Ruhe.

Die weiße Katze des Nachbarn, die sich früher unter das Dach geflüchtet hatte, kam jetzt sorglos, als wäre nichts geschehen, herabgestiegen und setzte sich mit augenscheinlichem Behagen auf einen ungeheuren Holzklotz, der nicht weit von Linders Haustüre unter einem Nussbaum lag.

Aber die Stelle, welche das behagliche Haustier einnahm, war denn doch nicht lange vor unliebsamen Störungen sicher.

Das erste menschliche Wesen, welches bald darauf zum Vorschein kam, war der kleine Frieder, der, aus dem Wirtshause zurückkehrend, einen Krug mit Bier in der Hand trug; er wollte eben das niedere Treppengeländer zur Hausflur hinaufsteigen, als er seinen jüngeren Bruder Gangerl von der anderen Seite kommen sah, der seinem Vater ein Loth Kaiserlichen aus dem Tabakladen brachte.

Sofort blieb er stehen, winkte dem jüngeren Bruder und sagte:

»Bst! Du könntest mich schnupfen lassen, Gangerl!«

Der Angeredete tat mit seiner freundlich nachbarlichen Bereitwilligkeit gar nicht spröde und erwiderte:

»Das kann ich – wenn du mich trinken lässt!«

Topp – war man ohne weitere Auseinandersetzungen einig und reichte sich gegenseitig Krug und Dose zur Benützung.

Frieder nahm eine Prise mit großem Bedacht und sagte dann:

»Hmphm ... Ich weiß nicht – etwas fett, scheint mir – wenig Beiz und Aroma, wie der Vater sagt!«

Gangerl hatte aber einen langen Zug getan, schien mit der Qualität des Bieres auch nicht sonderlich zufrieden und sagte, in den Krug blickend:

»Könnt' eben auch nicht sagen, dass der Trunk recht eingebrannt hätte; wie der Vater sagt, ist entweder oder zu viel Wasser im Bier oder aber entweder zu wenig Bier im Wasser ... Da trink' selbst und sag' – ich will mir geschwinde auch mein Pulverhörnl noch mit Kaiserlichem füllen!«

Er wollte eben die Dose mit Behagen öffnen, als Frieder ausrief:

»Der Vater kommt!«

Und wirklich ging in diesem Augenblicke die Türe des Hauses auf, und Linder mit seinem Weibe trat heraus. ...

Wer hätte nun auch diesen Leutchen die frühere Aufregung noch angesehen?

Der friedliche Ausdruck, der Schimmer tiefer Glückseligkeit lag auf ihren Gesichtern, und man konnte fast die Gedanken ihres stillen Glückes aus den lächelnden Mienen lesen.

»Ja ja, Alter«, sagte Hanne, sich leicht auf die Schulter ihres Mannes stützend – »so und nicht anders machen wir's. Unser Häusl haben wir; es wird ein wenig verputzt und besser eingerichtet, hernach kaufen wir ein Stück Feld und Garten dazu, und das übrige Geld legen wir auf Zinsen. Warum sollen wir in unsern alten Tagen noch ein solches Getroll mit einer größeren Wirtschaft anfangen? Wir haben unser Brot so ruhiger und können mehr auf die Kinder sehen.«

»Ja, Hannchen, ja«, sagte Linder, eine schwere Hacke in die andere Hand nehmend – »wie du willst, so gescheh's! Du redest so gescheit – so gescheit wie diese sieben Dutzend junge Elstern. ... Nein, nicht zu viel Arbeit mehr; das hast du mir im Traum abgelauscht. ... O, ich sage dir, gelbgoldige Hälfte meines Lebens – ich hab' ein Glück und eine Freudigkeit in mir, die mir wie stille Hundswut vorkommt, immer am Ausbrechen und nur mit Not hinterm Fell gehalten! ... Aber mach' nur, dass du mit dem Mittagessen fertig wirst; die zwölf Eier und der zweipfündige Brotlaib haben höchstens meinen Durst vermehrt; – wo bleibt doch nur der Frieder?«

Frieder hatte eben noch geschwind einmal trinken wollen und sagte jetzt erschrocken halb in den Krug:

»Da bin ich, Vater!«

»Warum hast du denn einen so ritzeroten Kopf?« fragte Linder.

»Ich – ich hab' ein Bissel geschnupft«, erwiderte Frieder.

»Aus dem Krug da?« rief Linder.

Da trat der Gangerl dazwischen und sagte: »Ich bin auch da, Vater da ist eure Dosen!«

»Kerl, du hast ja einen ganzen Schneeballen von Tabak in der Nase!« rief Linder.

»Ich – ich hab' ein wenig getrunken«, sagte Gangerl.

»Aus der Dosen da? ... Nun wartet, saubere Früchte! Man wird euch jetzt besser auf die Finger sehen, man hat jetzt Geld und Zeit ... Die Kapp' herunter, wenn der Vater mit euch redet!«

»Wir haben ja keine auf«, sagten beide Knaben.

»Drum erst recht damit herunter! Folgsamkeit ist die erste Kindespflicht! ... Mutter, nehm' sie in die Stube mit; von heut' an sollen sie Mores lernen!«

»Hinein und nehmt ein Buch!« sagte Hanne zu den davon springenden Knaben, hob dann einige Stücke Kleinholz auf und fügte, nach dem Hause gehend, hinzu:

»Du aber, lieber Alter, mach' jetzt, dass ich klein Holz auf den Herd bekomm', die paar Spreißeln da sind der ganze Vorrat!«

»Sollst haben, sollst haben!« sagte Linder – »In fünf Minuten hol' so viel Du willst. Statt vor Glück ein paar Häuser übern Haufen zu rennen, will ich diesem Klotz da Arm und Beine brechen!«

Hanne ging ins Haus, und Linder näherte sich mit gewichtiger Miene dem riesigen Klotz.

»So«, sagte er, die Hacke an denselben lehnend – »wir wären endlich zu Zweien allein. Rechts kein Weib mehr, links keine Kinder, hinten herum kein Nachbar und vor mir ein frischer Krug Bier; – es lebt sich doch recht hübsch auf dieser pudelnärrischen Welt! ... Also jetzt noch geschwinde einen Schluck Seelentrost und dann – Alfanz Batterie, wie es im französischen Lied heißt!«

Er trank, streichelte sich zufrieden die Brust hinab und sagte:

»Ah, es rinnt wie Laverdan aus dem feuerspritzenden Berg! O prächtig! ... Aber schon leer? An diesem Krug da hängen die Sünden des Wirts und meiner Buben in faustdicken Knollen; – wie dem aber auch sei – für jetzt aus meinem Augen, Zisterne!«

Er stellte den Krug mit ansehnlicher Verachtung bei Seite, holte den schweren eichenen Schlägel herbei, und indem er den Klotz von allen Seiten prüfend umging, fuhr er fort:

»Also an und wär's jetzt, mein Freund. Du bist zwar ein verwickelter Geselle und wirst Armschmalz kosten, aber was hilft's? Arbeit pfeffert das Leben, sagt das Sprichwort – also immer drauf los!«

Nach diesen Worten schwang Linder die Hacke hoch, ließ sie ziemlich ohne Nachdruck auf den Stock zurückfallen, steckte dann den Keil in die kleine Spalte und machte Miene, nach dem schweren Eichenschlägel zu greifen; – aber es war doch nicht sogleich sein Ernst, denselben aufzuheben und den Keil in den Rücken des Klotzes zu treiben, sondern er nahm die Hacke wieder, spielte damit eine Weile, ein Liedchen summend, an dem Strunk herum, hielt dann plötzlich inne und zog, an den Hackenstiel gelehnt, seine Dose aus der Westentasche.

Es lag ein unbeschreibliches Behagen auf seinem Gesichte, als er die Dose öffnete und sagte:

»Was ich fragen wollte? ... Ja, eine Pris' wollt ich nehmen!«

Diese nahm er denn auch, und sie schien sein innerliches Vergnügen noch außerordentlich zu mehren; denn seine Augen wurden lustiger, sie glotzten wie in Betrachtung eines seligen Erlebnisses vor sich hin, und ein holdes Lächeln spielte um seine halbgeöffneten Lippen; – plötzlich brach er denn, ohne seine Stellung zu verändern, in einen langen, keuchenden Lachton aus und sagte:

»Was einem manchmal nicht einfallen kann! ... In Engelland hat man einmal Pluderibuhhosen getragen, die mit der Zeit immer weiter und weiter und endlich so weit wurden, dass sich zuletzt die Obrigkeit selbst dreinlegte, um sie zu verbieten. Einmal wird ein Mann, der dennoch wieder solche Hosen anhat, auf der Straße angetroffen, von zwei Gerichtsdienern in die Mitte genommen, vor Gericht geführt und ausgefragt, warum er wider das Gesetz gehandelt. Lasst mich in Ruh', sagte er, ich habe weder Gutes noch Böses im Sinn, ich will einige Tage über Feld und hab' die Hosen angezogen, weil ich ein paar Kleinigkeiten mitnehmen wollte; – man untersucht ihn also und zieht aus dem Kleidungsstücke ein Paar Bettlaken, zwei Tischtücher, zehn Servietten, vier Hemden, ein Dutzend wollene Socken, eine Kleiderbürste, einen Spiegel, einen Kamm, eine Phisharmonika, einige Nachtmützen und sonst noch allerlei Hausrat hervor ... Wir können euch nicht helfen, sagt das Gericht hierauf, aber zahlt eure Strafe, dann könnt ihr zu den Kleinigkeiten noch einen Lastwagen mit vier Pferden stecken und den Rückweg etwas leichter per Ax zurücklegen!«

In diesem Augenblicke ging das Fenster auf, und Hanne sagte freundlich heraus:

»Na, wie steht's, lieber Alter? Ist schon etwas Kleinholz beisammen?«

Linder erschrak, griff hastig nach dem Hackenstiel und sagte:

»Ja, so – gleich, gleich! – Sapperlot – also will ich's denn drauf ankommen lassen und dem Klotz da die Hirnschale einschlagen – aufgeschaut!«

Er spuckte in die Hände, schwang die Hacke hoch und ließ sie ziemlich kräftig niedersausen, um einen zweiten Spalt für einen Keil zu öffnen; – aber ein Blick auf das Fenster stellte auch wieder seine süße Harmlosigkeit her, sein Weib war verschwunden und das Fenster wieder geschlossen.

Linder musste jetzt auf den gehabten Schreck natürlich noch einmal schnupfen, stellt die Hacke wieder hin und sagte in Gedanken lächelnd:

»He he he; – einen Lastwagen mit vier Pferden, um den Heimweg per Ax zurückzulegen!«

Dann horchte er gleichsam in sich hinein und setzte hinzu:

»Hm! Ich weiß gar nicht, wie mir eigentlich ist. Alles ist lebendig in mir. Mein Herz ist wie die Erde im Frühjahr, voller Brunnen und Bächlein, das räuschelt und pritschelt, bimmelt und singt – dass ich am liebsten nur so herumging' – die Hände auf dem Rücken, vor lauter Gedanken nichts in Gedanken, wie man's als holdes Kindlein tut oder manchmal im Traume.«

Nach diesen Worten machte er sich's bequemer, setzte sich förmlich auf den Baumstrunk und fuhr dann also fort:

»Hm – wenn es so eingericht' wär', dass sich das Essen selber bereiten, das Gewand selber nähen, der Acker selber pflügen, ein Haus sich selber bauen – ein solcher Klotz da selber spalten könnte und der Mensch nur so als Schaffner herumging', den Spazierstock in der Hand, die Pfeif' im Mund – immer hübsch Geld im Sack und alle zehn Schritt ein Wirtshaus: – ja es ist wahr: Das wär' doch wirklich ein großes Vergnügen!«

Leider wurde der heitere Träumer jetzt wieder durch die Stimme seines Weibes gestört, welche nach Kleinholz rief; da indessen die Stimme nur aus der Küche drang und Linders Leistungen diesmal nicht in Augenschein genommen wurden, so war auch der Schrecken des Mannes nicht groß, und er blieb ruhig auf dem Baumstrunk sitzen, indem er fortfuhr:

»Man dürfte auch nicht krank werden, nie kaltes Wetter oder gar Winter haben, besonders nie sterben, – höchstens, dass man nur so zur Türe hinaus sterben und zum Fenster gleich wieder herein geboren werden könnte!«

»Klein Holz! Klein Holz!« tönte es wieder aus dem Hause; aber Linder stak bereits viel zu tief in der sozialen Umgestaltung der menschlichen Verhältnisse, um sich durch einen nur halbgehörten Zuruf seines Weibes stören zu lassen; er fuhr daher ganz gelassen fort.

»Ja – ja; auch müsste man aus der Lotterie öfter große Summen gewinnen und sicher darauf rechnen können; denn das Herumfachieren zu Fuß wär' am Ende auch nicht immer am Platz, ein Reitpferd – ein Schimmel oder Rapp – noch besser alle zwei – und dazu ein Wägelchen mit Federn – das alles wär' nicht übel. Überhaupt – alle Wetter! ... Hätt' ich nur ein' und den andern Menschen hier, mit dem ich ordentlich über die Sach' verhandeln könnte! ... Halt, da kommt schon einer!«

»Klein Holz! Klein Holz!« erklang es jetzt zwar wieder aus dem Hause; aber der Jägerbursch Max, der mit einem jungen Schafbock auf dem Rücken vorüberkam, ließ ihm gar keine Zeit, den Ruf zu hören und zu beachten.

»Guten Tag, Herr Max«, sagte Linder, sitzen bleibend und die Dose reichend.

»Gleichsam auch so«, erwiderte Max, zwar die Prise nehmend, aber doch sehr kurz angebunden.

»Woher des Weges?« fuhr Linder fort.

»Von Walchern«, sagte der Jägerbursch.

»Aha! Dort habt ihr ja neulich um die schöne Guste geworben?«

»Und leider auch diesen Preisbock geschossen.«

»So? Ein hübsches Tier – was traf euer Schuss denn?«

»Auf zweihundert Schritt das Agio von einem Dukaten!« sagte Friz und eilte weiter.

»Warum eilt ihr so?«

»Unserm Wirt verdurstet das Bier, wenn ich länger bleibe!«

»Dann adjes!«

»Gleichsam auch so!« Und damit ging der straffe Bursch in der Tat von dannen. ...

»Der ist also nicht zu halten«, dachte Linder fast betrübt – »Es ist mir wirklich leid. Es wäre so hübsch – ein paar gute Freunde beisammen – jeder ein Krügel Bier nicht weit vom Handgriff – dabei ein guter Diskurs von Krieg und allerlei Wundertaten in der Welt – weit weg von uns immer ein wenig drunter und drüber, vor allem aber ja mit der Arbeit keine Eile. ... Kurios! Wie man's etwas besser hat als andere und sich pudelselig vors Haus setzt, da sieht man erst, wie eilfertig es alle übrige Menschenwelt hat! Keiner will recht Stand halten, jeder Stoarmatz tut auf einmal noch so geschäftig: – Guten Tag – guten Tag ebenfalls – das ist alles! ... Vielleicht erscheint die Welt den reichen Leuten ebendeshalb manchmal wie ausgestorben, besonders den Engelländern – und sie gehen ins Wasser, als wären Fische und Wassermäuse eine bessere Gesellschaft! ... Ah, dort wimmelt einer daher, der wird doch sicher mehr Zeit haben?«

Paphnutius Lunger kam heran; aber keineswegs sehr eilig und munter.

»Nun guten Tag, lieber Lunger«, sagte Linder.

»Tag, Geldprotz«, lautete die Antwort.

»Wollen wir eine Prise nehmen?«

»Nein, du reibst mit Tabak genug unter die Nase.«

»Wieso denn?«

»Bist du nicht reich geworden?«

»Reich nicht, aber Gott sei Dank, etwas Weniges hab' ich im Trocknen!«

»Etwas Weniges hat er im Trocknen! Halt's fest, Schaf, halt's fest, dein Schäfchen!«

»Warum tust du so grimmig?«

»Soll ich dir schmeicheln? Was so ein Geldsack gleich Ansprüche macht!«

»Du bist doch wie 'ne geladene Kanone!«

»Kann auch losgeh'n, wenn's dir Vergnügen macht. ... Wo ist dein Weib?«

»Warum fragst du nach ihr?«

»Ich frag' nichts nach ihr, aber ich wollt', sie wär' da, um euch die Köpfe zusammenzustoßen!«

»Das könnte dir hoch zu stehen kommen. Warum wolltest du das?«

Langer hatte den Krug untersucht, schwang ihn auf dem Stocke in die Luft und sagte:

»Ein leerer Krug in deine Gesellschaft? Dass du es leidest und dass dein Weib nicht aufmerksam ist: Das allein verdiente meine ganze Rache!«

»Das macht mir keine Skrupel. Gegen Abend füll' ich ihn wieder.«

»Gegen Abend – ja ja! Und setzest dich vors Haus und siehst die Mücken tanzen und die Hühner heimgeh'n und saufst das Zeug so im stillen Suff hinunter, bis nicht kalt und nicht warm dabei und murmelst zu Zeiten: Ach, gar so schön Wetter heute! Dann hinein getrollt auf deine Lagerstreu als ruhiger Bürger und Gott Dank gesagt für all' das viele Liebe und Gute!«

»Was hast du daran auszusetzen?«

»Ich? Ich gar nichts. Nur sitzen wir – wir, eine lustige Gesellschaft, mittlerweile am Wirtstisch drüben und genießen das Leben ganz anders; sind wie junge Füllen lustig, lachen, singen, erzählen uns Schnurren, es kommen Neuigkeiten in Umlauf, einer liest die Zeitung vor, ein anderer erklärt sie uns, da steht von Erdbeben: wie Berge ins Tal hernieder, ganze Städte in ihre eigenen Keller und Kanäle stürzen, ganze Länderstrecken ins Meer versinken, wie bloß zu unserem Vergnügen ein Dutzend Schiffe grässlich untergehen, hier ein Theater mit alter Garderobe verbrennt, dort Pulvertürme mit Kirchen, Wohnungen, Menschen und Viehstand in die Luft gehen, Eisenbahnen zusammenrennen – wir stoßen an, wir jubeln: Immer recht schön, das noch etwas geschieht in der Welt, Herr und Frau Schicksal soll leben, wenn es auch manchen Krautkopf vergoldet und manchen goldigen Kerl wie mich, mit Grünspan der Armut überzieht!«

Nach diesen Worten griff Lunger lebhaft aus, indem er den leeren Krug auf dem Stocke vor sich trug.

»Schon fort?« sagte Linder – »Ja, aber Lunger ...«

»Was gibt's?« erwiderte dieser.

»Der Krug dort, was kost' er dich denn?«

»Fünf Finger und einen Griff!«

»Bitt' mir's aus, den wirst du da lassen!«

»Er ist dem Wirt; ich will ihn zurückbringen und sagen, dass du nachkommst!«

Und damit fort war er!

Linder schaute dem Burschen einige Augenblicke schweigsam nach und sagte dann:

»Der Kerl hat einen förmlichen Luftzug erweckt; es reißt einen fast gewaltsam hinterher. ... Ist aber wirklich nicht in der Ordnung, dass Leute wie wir, Klötze spalten und unseren Tropfen Bier allein hinunter lebbern; und dieser Schmierwinkel, der nichts zu nagen und zu beißen hat, geht hin und schwemmt sich voll, zehn Fuß überm Keller und in bester Gesellschaft!«

Es beschwichtigte Linders Unmut keineswegs, als er bald darauf, nach dem Wirtshause blickend, den Lunger am Fenster sitzen und ziemlich unverschämt herüber spotten sah.

»Was?« rief Linder sehr erbost – »Er wagt es sogar mit Fingern auf mich zu zeigen und mir ein Eselsohr zu bohren? Das ertrag' ein anderer – ich nicht! So viel Vermögen haben wir auch noch als er – verstanden?«

Und mit diesen Worten ließ Linder Werkzeug und Arbeit hinter sich und folgte dem Lunger nach dem Wirtshause.

3.

Inzwischen hatte die geschäftige Hanne ihren Mahnruf nach Kleinholz noch öfter hören lassen und trat nun vor das Haus, um zu sehen, wie weit die Arbeit gediehen sei.

Wie groß war ihr Erstaunen, als sie den Klotz so gut als unberührt sah und ihren Mann selbst nirgends erblickte!

»He Anton, Anton!« rief sie daher nach allen Seiten, um den arbeitsscheuen Flüchtling habhaft zu werden; allen Linder ließ sich weder sehen noch hören, bis Hanne zufällig einen Blick nach dem offenen Fenster des Wirtshauses warf, wo der lustige Verbrecher ganz behaglich bei Paphnutius Lunger und Genossen saß.

Ein kleiner Schlaganfall hätte die arme Frau schwerlich so bedauerlich treffen können als dieser unerwartete Anblick.

»Also im Wirtshaus sitzt er und lässt sich Bier statt Arbeit schmecken? Das ist ein sauberer Anfang! Da können wir, wenn es so fortgeht, bald zusehen, was wir gewonnen haben – und alles andere dazu!«

Schnell entschlossen, rief sie sodann: Frieder! Frieder!«

Der älteste Knabe kam gesprungen und sagte: »Da bin ich, was wollt ihr, Mutter?«

»Geh' gleich hinüber zum Bären – schön Gruß, und der Vater möchte stantepede nach Hause kommen, ich hätt' ihm Wichtiges zu sagen!«

»Das kann ich tun«, sagte Frieder: »Wenn der Vater mich trinken lässt, so will ich ihm erlauben, dass er ein wenig länger bleibt!« Und damit sprang er davon.

Hanne aber betrachtete den unzerklüfteten Baumstrunk in Gedanken und suchte dann die kümmerlichen Reste von Kleinholz zusammen, die sie noch vor dem Hause fand.

Es halft ihre Stimmung nicht verbessern, dass sie während der nächsten Viertelstunde vier bis fünf vertrauliche Besuche von verschuldeten Bauern und spekulierenden Hausierern erhielt, welche mit ihrem Manne Anleihen und Geschäfte abschließen wollten.

»Lasst mich in Ruh«, sagte sie jedem der Besucher kurz angebunden, »wenn wir mit dem Gelde was anfangen wollen, so werden wir unsere Leute schon selber suchen!«

Dies hinderte aber nicht, dass sofort nach Abfertigung dieses Fünfmännerbesuches sich ein sechster Besuch einstellte, merkwürdiger und zudringlicher, als Hanne je für möglich hielt.

Der Besuchende war ein Stadtherr von etwa fünfundvierzig Jahren, angehender Kavalier nach Kleidung und redlichem Bemühn, seinen kaufmännischen Grundsätzen zufolge aber ein spekulierender Jagdteufel der neuesten Sorte.

Mit unglaublicher Beweglichkeit kam er heran gestiegen, behielt in der Stube den Hut auf und begann unter den seltsamsten Manieren folgendes Gespräch:

»Bin eben auf der Durchreise hier angekommen, habe von einem großen Treffer gehört, der hier gemacht worden ist; – sind vielleicht Sie die sogenannte Frau Linder?«

»So heiß ich«, erwiderte Hanne.

»Die Frau Linder jenes Herrn Linder, der aus der Lotterie gewonnen hat?«

»Etwas Weniges haben wir gewonnen, ja.«

»Etwas Weniges nur? Man muss nie sagen, was man hat, immer mehr! Bescheiden sind nur Lumpen; Bescheidenheit verkürzt den Kredit!«

»Aber Treu und Glauben?«

»Treue? Gewinn ist Treue. Glauben? Ein Geschäftsmann hat keinen Glauben. Einsicht, Kühnheit, Zuversicht sind sein Glaube. – wo ist euer Gatte?«

»Ich hab' keinen Gatten.«

»Aber doch einen Mann?«

»Ja.«

»Wo ist er?«

»Im Wirtshaus.«

»Was macht er dort?«

»Er trinkt wahrscheinlich.«

»Auf wessen Unkosten?«

»Auf seine eigenen.«

»So hat er mit seinem Kapitale schon Geld verdient?«

»Er hat's ja kaum drei Stunden!«

»Drei Stunden Geld und noch nicht fünfzig Prozent verdient?«

»Was hätt' er machen sollen?«

»Zeit verloren, Geld verloren. Er konnte gegen billige Gebühr das gewonnene Geld wenigstens öffentlich sehen lassen. Herbei, herbei! Hier ist zu sehen das merkwürdige Geld, welches mit geringem Einsatz konnte gewonnen werden! Jedermann wird versucht, diese denkwürdige Tatsache in Augenschein zu nehmen, sein Herz an Reichtum zu weiden! Kinder unter zwölf Jahren zahlen die Hälfte!«

»Das wären ja Geschäfte, dass man vor Scham in den Boden sinken müsste!«

»Scham? Scham in Geschäften? Leben hier noch Urgeschäftswilde – Kimbern und Teutonen?«

»Ei was! Auch seh ich gar nicht ein, was gewonnen werden soll?«

»Gewonnen? Herr, wie kommen Sie mir vor? Sie reizen mich, trotz aller Eile das Geschäft selber zu machen!«

»Nur zu! Uns aber lassen Sie fein aus dem Spiele.«

»Sie meinetwegen, aber Ihr Mann muss dabei sein! Er braucht nichts zu tun als sein gewonnen Geld in schöner Ordnung nach Wert und Metall, wie gesagt, auszustellen; die Gelegenheit benütze ich, lege daneben in schönen Münzsorten eine gleiche Summe aus und fordere jedermann auf, die merkwürdigste Sammlung der Welt zu betrachten: eine Summe, die gewonnen und eine Summe, die noch zu gewinnen ist. Wieso zu gewinnen, wird man fragen. Ich werde nachdenklich, düster, geheimnisvoll – lasse das Scheidewasser der Geldgier tiefer und tiefer einfressen – auf einmal ziehe ich, was ich reichlich bei mir habe, allerlei Lose hervor, Lose auf Häuser, Güter, Waldungen, Pretiosen und Geldsummen – wollen Sie etwa selber gleich eins, liebe Linder? Der Mann braucht nichts davon zu wissen; – und verspreche jedem hoch und heilig, dass sein Los gegen Verschreibung auf Pump gegeben – und ich ziehe mit guter Bilanz meines Weges!«

»Macht, was ihr wollt, mein Haus soll eine solche Schandwirtschaft nicht sehen!«

»Nicht?«

»Nein.«

»Dann gut, so will ich sehen, wozu mein kurzer Aufenthalt hier sonst noch dienlich ist! ... He, Johann!« rief er durch das Fenster einem Kutscher zu, der nicht weit von Linders Hause mit einem eleganten Zweispänner hielt.

»Befehlen!« hieß es in der Ferne, und in Kurzem stand der Wagen vor Linders Türe.

»Langsam durchs Dorf fahren und wieder umkehren«, sagte der Jagdteufel, aus dem Hause tretend: »Und du, Konrad«, fügte er hinzu, indem er sich zu dem Diener wendete, der abgestiegen war, um den Wagenschlag herabzulassen.

»Was befehlen, gnädiger Herr?« sagte Konrad.

»Beim Gemeindebrunnen habe ich eine Strohhaufen liegen seh'n. Während wir vorüber fahren, lass du einen glimmenden Schwamm hineinfallen. In einiger Zeit geht das Stroh in Feuer auf, wir eilen zuerst zum Rettung herbei, vermehren den Lärm, erhöhen die Angst – du brüllst, dass jedem die Haare zu Berge steh'n; – und wenn die Bevölkerung vollzählig um uns versammelt ist, belehr' ich sie über die Schädlichkeit und Gefahren des Feuers, mache sie aufmerksam auf ihre Stroh- und Schindeldächer, auf ihre gefährdeten Vorräte, die zarten Glieder ihrer Kinder, den Schweiß ihrer Arbeit, die Aussicht auf Zukunft, dies- und jenseitiges Leben – und wenn sie vor Angst und Not die Knie zusammenschlagen – verteilst du diese ausführlichen Beschreibungen von großen Bränden in Städten und Dörfern, Palästen und Hütten, und ich biete ihnen meine Rettungsmittel, diese Brandversicherungsscheine an; – und so hoffe ich, meine Prozente auch da herauszuschlagen! ... So, nun vorwärts!«

Mit diesen Worten war er in den Wagen gestiegen, und indem die Pferde langsam weiter schritten, brummte er von Zeit zu Zeit in den Bart:

»Immerzu, immerzu gemacht! Guano! Runkelrüben! Wasch- und Nähmaschinen! Selbstschuss! Druckerschwärze und Revolvers! Zündnadelgewehre und Koaks! Mutter- und Tochterbanken! Maskierte Diebstähle, Wollen- und Baumwollenpreise – vorwärts! vorwärts! Nur immer vorwärts gemacht! ...«

Vielleich wäre auch jetzt noch die Stimmung der Hanne Linder auf unschwere Art zu verbessern und ihres Mannes Vergehen zu verwinden gewesen, wenn nicht bald ein leider nur zu erschwerender Umstand eingetreten wäre.

Linder hatte nämlich, aufgeregt durch die lustige Gesellschaft, seinem Glase etwas gründlich zugesprochen, so dass er mit erstaunlicher Geschwindigkeit ein artiges Zöpfchen anhängen hatte.

Er selbst mochte endlich die schwankende Lage seines Zustandes etwas bedenklich finden und sagte daher leise zu seinem Knaben: »Es war schön, dass du mit deinen Besuch zugedacht hast, aber alles hat sein Maß, mein Kind, und so wollen wir jetzt gehen!«

Dies geschah denn auch, und der Knabe gestand nun erst vor der Türe, dass ihn eigentlich die Mutter geschickt habe!

»So also?« sagte Linder, mit aller noch möglichen väterlichen Majestät stehen bleibend: »Und das sagst du mir erst jetzt?«

»Es sind so schöne Sachen verzählt worden«, erwiderte Frieder, einen Schritt seitwärts weichend.

»Wirklich? Sie haben dir gefallen, diese Sachen?« sagte Linder und folgte dem Knaben mit lustiger Dringlichkeit.

»Ja«, fuhr der Knabe fort – »und der Wirt hat gerade ein neues Fass angestochen!«

»So?« sagte Linder und blieb stehen – »Hat er angestochen, der Wirt, und hat es auch angestochen, das Fass?«

»Mich? O nein! Ich kann was vertragen!«

»Wirklich?«

»Bis ich nur lustig werde, haben andere schon einen dicken Kopf!«

»Du Heidenbub! ... Wär' ich nicht so gut aufgelegt, ich wollte dir jetzt ...«

»Mir schein, ich hör' die Mutter«, sagte Frieder und wich vorsichtig aus.

»Dir scheint, du hörst die Mutter?« erwiderte Linder und folgte dem Knaben – »Juche!« rief er lachend und sprach in die Luft.

»Wetter, wie bin ich erschrocken!« sagte der Knabe.

»Wetter, so bist du erschrocken?« rief Linder, sprang abermals in die Höhe und jauchzte: »Juchhe!«

»Aber Vater ...«

»Juche!«

»Das geht übers Bohnenlied ...«

»Juche!« rief Linder, immer lustiger lachend; – da vernahm er plötzlich eine Stimme, die seinen Übermut gewaltig lähmte, die Stimme seines Weibes nämlich, die, von dem Treppengeländer kommend, ausrief:

»Anton! Anton!«

Frieder sagte: »Da geh' ich«, und machte sich aus dem Staube.

Linder aber murmelte: »Mein Weib«, und suchte sich zu fassen.

In ziemlich ehrsamer Haltung wendete er sich nun gegen Hanne und sagte:

»Hier bin ich, liebes Weib; was willst du, Schatz?«

Mit einer Miene, so fremd und kalt, als sie dem Linder noch nie vor Augen gekommen, sagte Hanne:

»Vergebt ... Ich hab' gemeint, da seh' ich meinen Mann – und da seh' ich aber jemand, den ich gar nicht kenne!«

»Mich kennst du nicht?« sagte Linder etwas kleinlaut.

»Soviel ich weiß, hab' ich einen Mann gehabt, der ...«, sagte Hanne und bedeckte leise schluchzend ihr Gesicht.

»Einen Mann – ha, wirklich?« sagte Linder – »Nun dann glaub' ich – dieser Mann ist niemand, als ich selbst gewesen!«

»Prüft euch selber, Herr, ob das möglich ist«, erwiderte Hanne – »mein Mann war nie betrunken!«

»Vergeb' uns Gott – ich war's ja auch nie öffentlich!«

»Mein Mann war fröhlich, mäßig, arbeitsam ...«

»Das wird er auch wohl jetzt noch sein!«

»Ja wohl – da liegt der Klotz, den er mir spalten wollte!«

»Der Wille war gut, was dazwischen kam, war besser!«

»Ja, ja, ich seh' es; – das Geld bringt keinen Segen, es bringt uns Fluch!«

»Ich bitte dich – versündige dich nicht ...«

»Seit das Geld im Hause ist, ist deine Freude zur Arbeit fort, aller Ernst gestorben, die Mäßigkeit begraben und Trunk und schlechte Gesellschaft ist auferstanden!«

»Das ist Aschermittwochspredigt!«

»Ach, Anton ...«

»Schätzl, das war wieder ein Ton, der eingeschlagen hat!«

»Soll ich denn wirklich glauben ...?«

»Glaub', so viel du willst; aber glaub' auch an meinen Stern, der vor mir hergeht; – Hanne, ein stilles Räuschchen, von dem nur ich weiß, war es, das mich auf den großen Gedanken gebracht hat, in die Lotterie zu setzen; ein verborgenes Räuschchen war es, das mich mit Weisheit ausgestattet hat, drei Nummern zu finden, die sicher herauskommen mussten; – ja ich sage dir – noch eh' der Kamerad verflogen ist, den ich da mitbringe, geschieht, so wahr ich lebe, etwas Großes, etwas ganz Besonderes – ein Glück ...«

Er hatte dies Worte noch nicht ganz gesprochen, als zwei Männer des Dorfes, Bastian Mäuler und ein Nachbar, kamen und der erste sagte:

»Linder – wir haben da eben einen neuen Gemeinderat gewählt, die Stimmen sind alle, bis auf eine, auf euch gefallen; – ihr seid also von Stund' an Gemeinderat!«

Die merkwürdige Veränderung, welche jetzt in Linders Haltung und Mienen eintrat, war sehr sehenswert; er steckte die rechte Hand in die Weste an der Brust, die linke legte er über den Rücken, und indem er sich langsam nach seinem Weibe umdrehte, sagte er in steifstolzer Haltung:

»Was hab' ich gesagt? Wie kommt das Glück? Im Traume oder im Rausch?«

Hanne erwiderte nichts und ging, weder überzeugt von ihres Mannes Worten, noch erfreut über die Ehre, die ihm wurde, nachdenklich in das Haus zurück und sagte dann vor sich hin:

»Gut, gut ... Heute ist erst der Anfang, und das Übel kann mit jedem Tage schlimmer werden; – ich seh' nur ein Mittel, wie das Unglück abzuwenden ist – und das will ich bald ergreifen!«

Indessen hatte sich Linder den beiden Männern wieder zugedreht und sagte:

»Annehmen oder absagen? Ich nehme an! ... Aber ihr habt gesagt, ich hätte alle Stimmen bis auf eine gehabt? Wer ist diese eine Stimme?«

»Das können wir nicht wissen«, sagte Mäuler, »es war geheime Abstimmung!«

»Geheime Abstimmung?« rief jetzt Linder im höchsten Zorn – »Soll die Regierung nicht wissen, wer wider sie ist? Ich soll meine Feinde nicht kennen lernen?«

»Aber lieber Linder ...«

»Was, lieber Linder! Meine Reputation ist auf dem Spiel! Ich bin hinterrücks von der Seite überfallen! Wenn ich nicht weiß, wer der eine ist, so muss ich alle andern fort und fort auch im Verdacht haben!«

»Nun gut, seid ruhig; vielleicht bringen wir den Schuldigen heraus, dann könnt' ihr machen, was ihr wollt!«

»Das braucht ihr mir nicht erst zu sagen! ... Sagt dem Schulzen, dass ich ihn verachte – den, der das Nein auf den Zettel geschrieben hat!«

»Gut«, sagte Mäuler und entfernte sich mit seinem Nachbarn – »Behüt' euch Gott!«

»Vielleicht dank' ich euch einmal dafür«, rief ihm Linder verächtlich nach und sagte, als er allein war, nach kurzem Besinnen für sich:

»Einstimmig nicht zum Gemeinderat gewählt? Ich bin die Hand eines höheren Werkzeugs – ich bleib' auf meinem Posten! ...«

4.

So entschieden auch diese Wort gesprochen wurden, die Mienen Linders nahmen in diesem Augenblicke doch den Ausdruck einer seltsamen Verlegenheit an; sah er sich doch auf einmal wieder allein dem unzerklüfteten Baumstrunk gegenüber, der, den Keil im Rücken, wie ein verwundeter Krieger um alles in der Welt zu flehen schien, dass man ihn vollends töten und von unleidlichen Schmerzen befreien möge!

Linder suchte Zeit und Fassung in der Prise, die er lange zwischen den Fingern rieb und erst dann zur Nase führte, als er wieder Trost in allerlei munteren Gedanken fand.

»Da wären wir also wieder«, sagte er lächelnd und setzte sich gemächlich auf den Klotz – »es ist eigentlich schändlich, wenn man in der Arbeit gestört wird, wo man gerade die rechte Lust dazu hat. Da sollte man freilich wie in den Märlein auf ein paar handfeste Geister rechnen können, die alle Arbeit täten, die einem nicht ganz ansteht – und die auch nebenbei ...«

Die Stimme seines jüngsten Knaben störte ihn in solcherlei Gedanken. Fritzl war das Dorf heraufgesprungen und rief jetzt hastig: »Vater, Vater!«

»Was gibt's?« fragte Linder.

»Ich möchte einen Groschen haben!«

»Wozu, Schnatterlepaux?«

»Ein Bär' und ein Aff' sind zu sehen!«

»Ein Aff' auch?«

»Und was für ein Vieh!«

»Wie sieht es aus?«

»Am ganzen Leib schwarz, auf dem Bauch gelb, und um die Augen ist es gerade, als hätt' es Brillengläser vor!«

»Das kann der Meinige nicht sein«, sagte Linder halb für sich und griff in die Tasche, um den Knaben los zu werden; – aber der Groschen war noch nicht gefunden, als ein heftiger Schrei aus dem Hause drang und Linders ganze Aufmerksamkeit dahin zog.

»Mir scheint, die Mutter hat Hilfe gerufen – spring' hinein und frag, was es gibt!« sagte er.

Aber schon war der Hilferuf Hannas von Neuem zu hören, sie selber stürzte jetzt aus dem Hause und schrie wiederholt:

»Zu Hilfe! Diebe! Diebe!«

»Diebe?« fragte Linder aufspringend und schien das Räuschchen plötzlich losgeworden zu sein.

»Was ist geschehen?« riefen fast zu gleicher Zeit mehrere Stimmen, da man in der Nachbarschaft den Ruf gehört hatte und eilig herankam – »was ist's mit den Dieben?«

»Unser Schrank ist erbrochen! Das ganz Gelt ist fort!« sagte Hanne.

»Das Geld ist fort?« schrie Linder ganz außer sich.

»Bis auf Kreuzer und Pfennig! Samt dem Leibgurt! Wir sind wieder so arm, als wir waren!«

Linders Aussehen musste jetzt nicht wenig bedenklich scheinen, da ihn ein Nachbar eilig um die Schulter fasste und sagte:

»Nun, schaut nur nicht so erbärmlich drein – vielleicht findet das Geld sich wieder!«

»Du hast dich ordentlich überzeugt, dass das Geld wirklich fort ist?« fragte Linder sein Weib noch einmal, und zwar in einem Tone, der nach äußerster Trostlosigkeit klang.

»Es ist fort«, sagte Hanne mit der Miene starrer Trauer – »es ist fort von dem Platz, wo du's hingelegt hast – und der Schrank ist offen!«

»Dann – dann – o dann ...« sagte Linder nach einer Pause.

»Nun, dann wird's eben nichts helfen«, meinte der Nachbar sehr überzeugend – »man wird sich eben in Gottes Namen in sein Schicksal ergeben müssen und ...«

»Was?« fuhr Linder heftig auf.

»Den Dieben ordentlich nachsetzen ...«

»Sonst nichts?«

»Was wollte ihr sonst noch?«

»Ja ja, lieber Alter«, sagte Hanne begütigend dazwischen – »was wolltest du sonst noch?«

»Was ich wollte?« antwortete Linder nach einer Pause, weich und weicher werdend: »Was ich wollte? Was kann ich wollen? ... Stillsein und umfallen!«

Ein heftiges Schreien entstand, als Linder jetzt wirklich so mir nichts dir nichts der Länge nach hinfiel. Besonders Hanne wurde durch den Fall ihres Mannes außer Fassung gebracht.

»Linder«, rief sie – »Mann! Steh' auf!«

»Ich bin ja kaum umgefallen«, sagte Linder mit bebendem Schmerz.

»Sei gescheit – und fass' dich«, fuhr Hanne fort und kniete neben ihm nieder – »Linder, nimm Vernunft an!«

»Kann ich was Gescheiteres tun als gleich vom Blatt weg sterben?«

»Du kannst dich fassen wie ein Mann«, sagte Hanne, »kannst die Liebe zum Geld wieder fahren lassen; kannst wieder werden, was du immer warst: ein Mann, der nicht viel zum Besten hat, aber froh und zufrieden ist, sein Brot durch Arbeit verdient und dabei gesund und mäßig, geliebt und geachtet bleibt!«

»Und du?« fragte Linder, seinen Kopf schlaff auf die Knie seines Weibes legend.

»Und ich?« erwiderte Hanne fröhlich – »ich bleibe auch, was ich immer war: Dein treues Weib, deine Gehilfin in Krankheit und Not, deine Trösterin, wenn dein Arm müde, dein Herz schwach wird!«

Eine milde, zärtliche Rührung überkam jetzt den hingestreckten Gatten – und nach einer Weile sagte er:

»Ich hätte dir so viel zugedacht gehabt – Geschenke, Kleider, einen vierspännigen Wagen, eine Schürze von Kammertuch und einen Stadthut mit einem ganzen Weizenfeld von Kornblumen!«

»Lass das«, bemerkte sein Weib mit Lächeln – »das sind eitle Gedanken gewesen, drum sind sie vereitelt worden! Bedenk' jetzt lieber, was dir das Geld in aller Geschwindigkeit für Schaden zugefügt hat: Du hast die Freude an der Arbeit verloren, hast schlechte Gesellschaft aufgesucht, einen Rausch ohne Gleichen bekommen – und was das Allerschlimmste ist, hast deinen Kindern ein schlechtes Beispiel gegeben! ... Drum komm' jetzt, komm, und steh' auf!«

»Du hast leicht reden«, sagte Linder, indem er wirklich wieder aufzustehen suchte – »wenn der Mensch einmal hinfällt wie ich, dann vergisst er leicht für immer das Aufsteh'n; – deine Hand, o Hanne! ... So ... da stünd' ich also wieder ... Schaut mich nur an, schaut mich recht an, ihr Nachbarn übereinander – ich bin alt im Kampf und wie ein Kind auf den Beinen ... Will niemand geh'n und die Diebe verfolgen? ... Hanne!«

»Fass' dich, lieber Mann ...«

»Nein, lass' mich erst dich fassen und drücken und herzen und küssen und halsen und lieben, bis ich genug hab' – du herzhaftes, herziges, hexiges Weibchen!«

»So bist du wieder mein braver, ordentlicher Mann, und was unser Glück angeht, das wieder fort ist, so kann es ja später noch einmal kommen ...«

»Kommen oder nicht kommen – weil nur vor der Hand du da bist!« rief Linder – und plötzlich zu den umgebenden Nachbarn gewendet, fragte er höchst überraschend und heftig:

»Wie viel Uhr ist's?«

»Gleich zwölf«, lautete die Antwort.

»Gleich zwölf?« sagte Linder mit großen Augen – »und du wartest noch immer auf Kleinholz, Hanne?«

»Ja, wie du siehst, lieber Anton, so tu' ich«, sagte Hanne lächelnd.

»Himmel und Erde!« schrie Linder jetzt und ergriff die Hacke mit Ingrimm: – »So was fehlte noch! Menschen, Menschen, wollt ihr Platz machen?«

Und mi steigender Wut bald auf den Klotz losschlagend, bald die immer wieder zusammenlaufenden Menschen verjagend, ruhte er nicht eher, als bis der Strunk in kleinen Seiten vor ihm lag und kein Dorfbewohner mehr sich in seine Nähe wagte ...

Endlich aber klopfte ihn eine sanfte Hand auf die Schulter, und als er, den Schweiß von der Stirne wischend, aufsah, sagte sein hinter ihm stehendes Weib mit freundlicher Stimme:

»So; – das war wieder einmal ordentlich geschafft, und du sollst ein Mittagmahl haben – ich sage dir – der Fenchel und Salat dazu soll allein seine viertausend Gulden wert sein!«

»Red' mir von dem verfluchten Geld nicht mehr«, sagte Linder verdrießlich und betrübt.

»So? Und ich hab' gerade gedacht, dass es dich freuen wird, wenn ich dir sage – der Dieb ist gefunden, und das Geld ist wieder da!«

»Was?« rief Linder – »wann, wie, wo?«

»Wenn du mir versprichst, keine Rache an dem Dieb zu nehmen, so will ich dir ihn nennen!«

»Wenn er's Geld freiwillig hergebracht hat, so will ich ihn – nur einmal ums Leben bringen!«

»Nein, du musst ihn leben lasen und ins Haus aufnehmen und ihn lieb haben wie mich selbst.«

»Um keinen Preis!«

»Auch nicht, wenn ich dir sage, dass – ich selbst das Geld aus dem Schrank genommen – und an einem besseren Ort verwahrt habe?«

»Du?«

»Ja ich. Du hast einen Merks bekommen müssen gleich am ersten Tag, damit du dich in Zukunft besser vor dir selber in acht nimmst! Sieh' da, die gute Folge ist auch nicht ausgeblieben: denn – das Holz ist gespalten!«

Eine lange Pause entstand.

Dann ging Linder mit offenen Armen auf sein Weibchen los, nahm es kräftig um den Hals und sagte fröhlich und bewegt:

»Das Geld ist also wieder da? Und du willst's wie immer bei mir aushalten?«

»Das will ich meinen«, sagte Hanne und streichelte ihm die Wange.

»Wart', wart'« sagte Linder ... »Lass mich erst eine Pris' nehmen ...« Er wollte schnupfen, die Dose entfiel ihm aber vor Bewegung. ... »Sind die Buben nicht in der Näh'?« fragte er dann mit bebender Stimme.

»Niemand, niemand«, sagte Hanne, vor Freude weinend.

»Dann ... Hannerl – Schatz«, sagte Linder, sein Weib heftig umarmend: – »dass ich drei Nummern erraten und viertausend Gulden gewonnen habe, ist jedenfalls ein Glück gewesen; – aber dass ich dich am Altar erwischt und festgebunden habe, das ist für mich gottlosen Menschen ein solches Heidenglück, dass ich ...«

Er konnte eine Weile nicht weiter reden und machte nur Zeichen; dann setzte er mit vor Wehmut brechender Stimme hinzu:

»Hab' mich lieb ... und bleib' bei mir; – ich bin doch manchmal gar so arm und lustig – und gar so schwach und gar so Hannerlbedürftig!«


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