Wilhelm Raabe
Pfisters Mühle
Wilhelm Raabe

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»Alle Wetter!« husteten und prusteten zurückprallend sowohl der Müller von Pfisters Mühle wie sein Kind, – der Dampf, der uns den Atem benahm, stammte wohl von noch etwas anderm als unschuldiger grüner Seife und Aschenlauge; und wie eine menschliche Lunge es hier aushielt, das war eine Frage, zu der wir erst eine geraume Zeit später fähig wurden.

Dagegen begrüßte uns sofort aus dem vielgemischten, entsetzlichen Dunst eine wohlbekannte Stimme:

»Holla, nicht zuviel Zugluft bei obwaltender Erdenwitterung draußen! Tür zu, wenn ich bitten darf! Olga, bist du es, so muß ich dir doch sagen, daß mir so ein Unterrock während meiner ganzen wissenschaftlichen Praxis noch nicht vor Nase und Augen gekommen ist.«

»Olga ist es grade nicht; wir sind's, Doktor Asche«, keuchte mein Vater. »Ich bitte Sie um des Himmels willen –«

Und aus dem vom Herd und aus dem Waschkessel aufwirbelnden Greuel hob sich, wie das Haupt eines mittelalterlichen Alchimisten, der schwarze Struwelkopf unseres letzten Trösters in unseren übeln Erdengerüchen; und Doktor A. A. Asche mit aufgestreiften Ärmeln, in einem Schlafrock, der wahrscheinlich seinesgleichen nicht hatte, sagte gelassen:

»Sie sind es, Vater Pfister? Und der Junge auch? Na – dann kommt nur herein und machen Sie auch die Tür zu, wenn das Ihnen lieber ist.«

»Den Teufel auch!« ächzte der alte Herr von Pfisters Mühle. »Aber Asche – Doktor – Herr Doktor –«

Doktor Asche ließ sich gegenwärtig nicht so rasch stören, wie es für unsern freien Atem wünschenswert sein mochte.

Mit einem langen hölzernen Löffel fuhr er in den Kessel vor ihm, vermehrte durch längeres Suchen und Rühren Gedämpf und Gedüft um ein erkleckliches, holte ein unheimliches Etwas empor, packte das brühheiße Scheußliche mit abgehärtet verwogener Gelehrtenfaust, hielt es, ließ den stinkgiftigen Sud abträufen und sprach wie mit bescheidener Ergebung unter die eben vom Genius auferlegte Last eines ewigen guten Rufes und unsterblichen Namens:

»Meine Herren, Sie kommen zu einem großen Moment grade recht! Ich glaube wirklich in diesem Augenblick sagen zu dürfen: Bitte, treten Sie leise auf!... Vater Pfister, halten Sie sich die Nase zu, aber stören Sie gefälligst das Mysterium nicht. Und du, Bengel – ich meine dich, Eberhard Pfister, mein Zögling und mein Freund, tritt heran, glücklicherer Jüngling von Sais, werde mir bleich, aber nicht besinnungslos – ekle dich meinetwegen morgen mehr und soviel du willst, doch gegenwärtig beuge in schaudernder Ehrfurcht dein Knie: so geht man im zweiten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts zur Wahrheit!«...

Jedenfalls ging er mir um den Herd herum zwei Schritte näher, schlug mir den triefenden, furchtbaren Lappen, den Fetzen vom Schleier der Isis, fast ums Gesicht und grinste:

»Gewichtiger, mein Sohn, als du es meinst,
Ist dieser dünne Flor – für deine Hand

Zwar leicht, doch zentnerschwer für meinen – Beutel; ich meine, Sie, meine Herren, bei der in diesem Raume obwaltenden Atmosphäre nicht darauf weiter hinweisen zu dürfen, daß es keine Kleinigkeit ist, der Natur nicht aus dem Tempel zu laufen, sondern den Stein der Weisen weiter zu suchen, auch auf die Gefahr hin, ihn wieder nicht zu finden.«

Vater Pfister, der seit längerer Zeit von seiner Mühle doch schon an allerlei obwaltende Atmosphäre gewöhnt war, kam vor Atmungsbeschwerden noch immer nicht dazu, die nötige Frage zu stellen. Ich brachte es zu dem gekeuchten Wort:

»Ich bitte dich um alles in der Welt, Asche!« – Doch Doktor Asche ließ sich fürs erste noch nicht stören.

Er hielt jetzt sein geheimnisvolles Gewandstück zwischen beiden Fäusten. Er wrang es aus zwischen beiden Knieen – schweißtriefend. Er entfaltete es, hielt es gegen eine trübe Petroleumflamme, rollte wie wütend es noch einmal zusammen und rang von neuem mit ihm, wie der Mensch eben mit der alten Schlange, dem Weltgeheimnis als Ideal und Realität a priori und a posteriori zu ringen pflegt, seit er sich, sich auf sich selber besinnend, erstaunt in der Welt vorfand. Aber er gelangte, wie immer der Mensch, auch diesmal nur bis zu den Grenzen der Menschheit, und er nahm das Ding, nachdem er es zum drittenmal auseinandergebreitet und wieder zusammengewickelt hatte, an sich, das heißt, er nahm es jetzt unter den Arm, bot uns die biedere, wenn auch augenblicklich etwas anrüchige Rechte und meinte: »Zu Ihrer Verfügung, meine Herren! Ich hatte doch eben das Laboratorium dem schnöden Alltagsgebrauch zu überlassen. Es wollen noch andre Leute am heutigen Abend im Hause waschen, und das wissenschaftliche Trocknen besorge ich in meinem Falle lieber am eigenen Ofen. Olga!..... Witwe Pohle!... Stinchen!... Frau Börstling!..... Fräulein Marie – das Lokal ist frei. Krallen in die Höhe und munter in die Haare einander! Vater Pfister, gehen wir?«

Wir gingen gern; denn schon drängte es sich in die Pforte dieser Waschküche dieser vorstädtischen Mietskaserne – ein zürnend giftig Gewoge aufgeregter, nevösester Weiblichkeit, das, wie wir im eigenen Durchzwängen noch vernahmen, schon seit Mittag auf das Ende der Schmiererei in seinem eigenen, angeborenen Reiche und Bereiche gewartet hatte. Und ein Gewimmel unmündiger Nachkommenschaft war natürlich auch vorhanden, begleitete uns mit teilweise höhnischen, teilweise aber auch wohlwollenden Gefühlsäußerungen über den Hof und verließ uns auch im Innern des Hauses auf den Treppen nicht.

»Tausend Donnerwetter«, ächzte mein Vater, meinen Arm fester fassend. »In Kannibalien an 'ne Insel geworfen werden muß ja ein Labsal hiergegen sein. Hat man denn gar nichts, was man unter sie schmeißen könnte? Hier, halte meinen Stock, Ebert; vielleicht löse ich uns mit meinem Kleingeld aus! Da wage ich mich doch nie in meinem Leben wieder hierher ohne polizeiliche Begleitung heraus. Da ist ja die reine Kommunewirtschaft, Asche; und Sie mitten drin, Doktor, und zwar ganz in Ihrem Esse, wie's den Anschein hat? Das fasse ein anderer!«

»Mein Versuchsfeld, Vater Pfister«, sprach lächelnd Doktor A. A. Asche. »Sie haben mir an jedem andern Orte nach dem zweiten Experiment die Miete aufgesagt. Als ob ich etwas dafür könnte, daß die Wissenschaft in ihrer Verbindung mit der Industrie nicht zum besten duftet. Gleich sind wir aber oben, und zwar in mehr als einem Sinne. Wie sagte man zu Syrakus, Knabe, als die Geldnot am höchsten und der Küchenschrank am leersten war? ›Gib mir, wo ich stehe, und ich setze mich sofort‹ – wenn ich nicht irre! Und das nämliche sage ich jetzt, und – hier stehe ich, und von hier aus hoffe ich in der Tat die Welt aus den Angeln zu heben und allen Sambuken und Argentariern zum Trotz dem Jammer ein wohlgesättigt, ja vollgefressen behaglich Ende zu bereiten, solide Platz zu nehmen auf Erden und Ihnen, Vater Pfister, ganz speziell alles Gute, was Sie an mir vollbracht haben, mit dem eigenen Keller- und Speisekammerschlüssel in der Tasche gerührt zu vergelten.«

Wir standen nämlich jetzt in seinem absonderlichen Daheim, Schlehengasse Numero eins, im Ödfelde, und selbst hier nicht im ersten Stockwerk. Es war aber ein ziemlich umfangreiches Gelaß, in dem er jetzt noch, in Erwartung alles Bessern, sich und seine kuriosen wissenschaftlich-industriellen Studien und Bestrebungen untergebracht hatte. Und Vater Pfister kam noch einmal aus einem übeln Dunst in den andern und hatte Grund, von neuem sich die Nase zuzuhalten und nach Atem zu schnappen.

Ein überheißer, rotglühender Kanonenofen bösartigster Konstruktion war von einem Gegitter von allen vier Wänden her durch den Raum ausgespannter Bindfäden und Wäscheleinen umgeben. Was aber auf den Fäden und Stricken zum Trocknen aufgehängt war, das entzog sich jeglicher genauern Beschreibung. Ich brauche nur mitzuteilen, daß jede Familie im Hause ein Stück ihrer Garderobe dazu geliefert zu haben schien und daß Doktor Adam Asche Olgas Gewand eben auch dazuhing, und darf hoffen, genug gesagt zu haben.

»Und nun, Kinder, setzt euch«, rief der Doktor, im vollsten Behagen sich die Hände reibend und in überquellender Gastfreundlichkeit unter und zwischen seinen Leinen und Lumpen und Fetzen männlicher und weiblicher Bekleidungs- und Hausratsstücke nach Sitzgelegenheiten hin und her fahrend, auf und ab tauchend. »Das ist ja reizend von Ihnen, Vater Pfister. Ein Abend, ganz darnach angetan, um wie in Pfisters Mühle beim Schneetreiben und einem Glase Punsch zusammenzurücken! Nur einen Moment, meine Herren; kochendes Wasser stets vorhanden! Störe mir meine Kreise nicht, das heißt, reiß mir meine Feigenblätter menschlicher Eitelkeit und Bedürftigkeit nicht von der Linie, Ebert, sondern greif behutsam hin und drüber weg: die Zigarrenkiste steht auf dem Schranke gerade hinter dir. Vater Pfister –«

»Jetzt will ich Ihnen mal was sagen, Asche, und zwar am liebsten gleich wieder draußen vor der Tür«, sprach mein Vater, und zwar mit einer wütenden Gehaltenheit in Ton und Ausdruck, die nur selten bei ihm zum Vorschein kam. »Sie werden sich doch nicht einbilden, Adam, daß ich, der ich grade wegen ziemlich gleichem Geruch und noch dazu bei dieser Tages- und Jahreszeit als älterer Mann mich auf meinen weichen Füßen zu Ihnen herausbemüht habe, hier jetzt in diesen infamen Odörs ein pläsierlich Konvivium bei Ihnen halten will? Behalt deine Mütze auf dem Kopfe, Junge; das haben wir zu Hause auch. Komm wieder mit; ich sehe ein, es ist nicht anders und soll nicht anders sein. Die Welt will einmal in Stank und Undank verderben, und wir Pfister von Pfisters Mühle ändern nichts daran. Bringe mich mit möglichst heilen Knochen wieder hin nach dem Blauen Bock. Samse mag sofort wieder anspannen; wir fahren nach Hause. Es ist wohl nicht das letzte Mal, daß dein Vater sich in das Unabänderliche geschickt hat, Ebert.«

»Holla! Halt da! Nur noch fünf Minuten Aufenthalt«, rief der Doktor. »Was ist es denn eigentlich, Vater Pfister? Das klingt ja verflucht tragisch. Um was handelt es sich, Knabe Eberhard?..... Wenn die Herren sich vielleicht einbilden, daß ich, Doktor A. A. Asche, vorhin aus inniger Neigung in meinem angeborenen Element plätscherte, daß ich hier wie 'ne Kölnische Klosterjungfer gegenüber dem Jülichsplatz in meinem Eau de Cologne schwimme und mich selber mit Wonne rieche, so irren Sie sich. Auch der Gelehrte, der Chemiker bleibt am Ende Mensch – Nase – Lunge! Es ist zwar schön, aber durchaus nicht angenehm, auf dem Gipfel seiner wissenschaftlichen Bestrebungen dann und wann ohnmächtig zu werden; und – wißt ihr was, Leute? Feierabend ist es doch – ich gehe am besten mit euch nach dem Blauen Bock und vernehme dort in gesünderen atmosphärischen Verhältnissen das, worüber Sie meinen bescheidenen Rat einzuholen wünschen, Vater Pfister.«

»Das ist wenigstens ein Wort, was sich hören läßt«, sagte mein Vater. »Das ist sogar ein vernünftiges Wort, Adam, und ich nehme Sie und warte mit dem Ebert so lange draußen auf der Treppe, bis Sie sich hier drinnen gewaschen und angezogen haben. Nicht wahr, Sie nehmen das einem alten Manne, der sonst schon tief genug im Morast sitzt, nicht übel?«

»Durchaus nicht!« lachte der Doktor, und nach fünf Minuten befanden wir uns auf dem Wege nach dem Blauen Bock. Wieviel Verdruß, Ärger und leider auch herzabfressenden Kummer Vater Pfister noch von Pfisters untergehender Mühle haben sollte: das ist mir wenigstens ein Trost, daß er dabei zur Rechten wie zur Linken jemand hatte, der, wie treue Söhne sollen, Leib und Seele hingegeben hätte, ihm seine letzten Schritte durch die schlimme Welt behaglicher zu machen. Er ist doch noch mehr als einmal zu einem vergnüglichen Knurren und herzlichen Lachen in seiner alten Weise gekommen, ehe es aus mit ihm war.

Wo bleiben alle die Bilder?


 << zurück weiter >>