Wilhelm Raabe
Die schwarze Galeere
Wilhelm Raabe

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Die Wellen der Schelde haben den Freund verschlungen, der ohnmächtig gegen das Verderben der Geliebten rang und sich in die kalten Wasser gestürzt hat, ihre Schmach nicht zu erleben!

Und Gott? Wehe, zu dunkel ist die Nacht, zu finster ist's im Gehirn der Unglücklichen, als daß sie an den großen Retter in allen Gefahren sich zu erinnern vermochte. Keine Macht im Himmel und auf der Erde, die Schmach und Schande abzuwehren; – wehe dir, Myga van Bergen!

Dumpf klingt vom Turm der Kathedrale die elfte Stunde herüber – langsam folgen sich die einzelnen Schläge und hallen nach in dem Gehirn des Mädchens.

Wieder nimmt der Lärm der Stadt allmählich ab, wieder erlischt ein Licht nach dem andern in den Häusern hinter der Mauer Paciottis, des italienischen Ingenieurs.

Immer tiefer ward die Stille. Nur zuweilen klang ein wilder Schrei, ein Jauchzen auf; nur zuweilen ertönte der rauhe Gesang einer wüsten Soldatenschar oder der Ruf der Nachtwächter und Patrouillen.

Und wiederum rasselte das Uhrwerk im Turm von unserer lieben Frauen Dom: – Mitternacht!

Von seinen Kissen erhob sich Antonio Valani und warf wahnsinnige Blicke aus seinen fieberglühenden Augen um sich her.

»Wo ist sie? Leone, Leone – Wein, Lichter und Liebe! Leone, wo bist du, wo hast du sie? Wo hältst du sie verborgen? Mein ist sie – o Verräter, – verräterischer Leone – mein, mein ist das Mädchen! Hahaha, ich bin nicht tot, wie du meinst, Leone; – ich lebe und halte, was mein ist –«

Die Stirn Mygas van Bergen berührte den Boden der Kajüte; der Leutnant della Rota drückte sanft den Wahnsinnigen auf sein Lager zurück und suchte ihn auf alle Weise zu beruhigen; aber es war, als ob alle Kräfte und Leidenschaften des Sterbenden noch einmal in voller Glut aufflammen mußten, ehe sie auf ewig erloschen.

Immer wieder von neuem suchte sich der Rasende den Armen Leones zu entziehen.

»Alle Hände an Deck! An die Ruder, an die Ruder! Es lebe der König! – Da zeigen sie die Flagge – die Bettlerflagge, Feuer, Feuer auf sie! Evviva Genova – da geht der Admiral in die Luft – Feuer, Feuer – Hölle, Hölle, – Leone schütze das Schiff! Schütze das Schiff, Leone – es ist aus – weh, die Geusenflagge – an die Geschütze, – verloren, – verloren! Schütze das Schiff, schütze das Schiff, Leone!«

Der Kranke sank zusammen; der Leutnant legte ihm das Kissen zurecht; dann trat er zu der knienden Jungfrau:

»Was ängstet Ihr Euch, Signorina? Richtet Euch doch auf; was windet Ihr Euch am Boden? Süßes Täubchen, härme dich nicht; Königin sollst du werden, unumschränkte Herrscherin an Bord dieses guten Schiffes. Das ist der Krieg – der eine muß die Flagge streichen, und doch läßt sie der andere von der Gaffel wehen. Der arme Antonio! Er hat es vorausgesagt – ihm wird das Grab, mir die schöne Beute zuteil; – ich liebe dich, ich liebe dich, Stern von Flandern, weiße Rose von Antwerpen. Ich liebe dich und halte dich – laß das Sträuben – blicke nicht so wild – mein bist du, niemand wird dich mir entreißen!«

»Jan, Jan! Hilf, rette!« schrie das Mädchen, ohne zu wissen, was es rief.

»Laß den Geusen«, flüsterte Leone. »Hat er sich nicht gerächt, wird nicht der arme Antonio tot sein in einer Stunde? Was kümmert dich der Leib des Geusen, laß ihn treiben auf den Wellen, auf, auf, sage ich, du sollst nicht mehr die weiße Stirn dir wund drücken auf dem Boden. Was willst du? Tot ist der Geuse, es stirbt Antonio Valani; nun nimm den Leone, den lebenden Leone in deine seligen Arme als schöne, stolze Herrin.«

»Barmherzigkeit, Barmherzigkeit!« stöhnte das Mädchen; aber der Leutnant lachte:

»Horch, ein Uhr! Um fünf Uhr lichten wir die Anker; bis dahin hast du Zeit, dich auszujammern; dann aber fort mit dem Klagen und Seufzen! Bis fünf Uhr ist's Zeit genug, zu sterben, armer Antonio, armer Freund; – richte dich nicht empor, deine Wunden bluten wieder – lege dich nieder, – was willst du auch mit dem Mädchen?«

»Leone, Leone, schütze das Schiff! Die schwarze Galeere, schütze das Schiff!« kreischte der Sterbende im Fiebertraum.

»Bah, die schwarze Galeere!« murmelte Leone della Rota, »um fünf Uhr erst beginnt die Jagd; – ruhig, ruhig, Antonio – alles wohl an Bord – habe keine Sorgen, schlaf – schlaf ein.«

Wieder sank der Kapitän zurück und schloß die Augen. Auf die letzte wilde Aufregung folgte nun augenscheinlich die letzte Erschöpfung. Es ging zu Ende mit Antonio Valani, dem Kapitän des Andrea Doria.


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