José Maria Eça de Queiroz
Stadt und Gebirg
José Maria Eça de Queiroz

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Vorwort

Als der Verfasser des Romans »Stadt und Gebirg« sich mit seinem ersten größeren Roman »Das Verbrechen des Paters Amarus« in die Reihe der bedeutenderen portugiesischen Schriftsteller stellte, da erblickten die Kritiker in ihm seinem literarischen Temperament nach einen Jünger und Nachfolger Balzacs und Flauberts. Seine Originalität, sein glänzender Stil, seine scharfe Beobachtungsgabe und die charakteristische Wiedergabe des Beobachteten legten Zeugnis davon ab, daß man es mit einer großen Individualität zu tun hatte. Die Leichtigkeit des Ausdrucks, die seine, spontane Ironie bei anmutigem Satzgefüge, die sorgfältige Abstufung in seinen Tönen und Farben schufen um seinen Namen eine Gloriole der Bewunderung.

Mit dem »Pater Amarus« führte er in Portugal den naturalistischen Roman ein, eine völlige Neuheit in der portugiesischen Literatur. Mit dem Stoff dazu hatte er sich schon in Coimbra getragen, wo er sich als Einundzwanzigjähriger im Jahre 1867 den Doktorhut holte; aber erst 1875, als er schon zwei Jahre lang als portugiesischer Konsul in Havana wohnte, wurde der Roman in der Lissaboner »Revista Occidental« veröffentlicht.

Während seines Aufenthaltes in der Hauptstadt, der seiner Ernennung zum Vertreter portugiesischer Interessen in Havana vorausging, gründete er im Verein mit Ramalho Ortigaon die »Farpas«, eine kritisch-satirische Zeitschrift, die die damaligen sozialen Zustände beleuchtete, und in der die beiden künstlerischen Genossen ihren Witz und Humor tummelten, indem sie unter dem Klingeln der Schellenkappe manch ernste Narrenweisheit zum besten gaben.

Zu derselben Zeit und ebenfalls aus gemeinsamer Arbeit beider Freunde entstand »Das Geheimnis der Landstraße von Cintra«, ein Roman in Briefform, der, im »Diario de Noticias« veröffentlicht, »auf den Knieen geschrieben«, wie Fialho d'Almeida sagt, ein verwegenes und aufregendes Wirrsal aller möglichen und unmöglichen Vorgänge und Zustände ist und »das letzte, unter Tränen spottlächelnde Lebewohl« der Autoren an die Romantik bedeutet, der sie – trotz moderner Geisteskultur und naturalistischen Glaubensbekenntnisses – damit ihren Tribut überkommenen Erbes zahlten.

Eine Orientreise lieferte Queiroz das Material zu seinem Roman »Die Reliquie«, der neben »Os Maias« seine schriftstellerische Begabung am augenfälligsten bekundet. Im »Mandarin« läßt der Autor den Leser durch die Handlung hindurch das »himmlische Reich« wie in einem Panorama schauen, so daß es schwer wird, zu glauben, daß er selbst China nie gesehen. Auch in »Adam und Eva im Paradies«, »Der Herr Teufel« und anderm mehr ergötzt man sich an dem schrankenlosen Flug seiner Phantasie.

Der Zeit seines beruflichen Exils (in Havana, Paris, und zuletzt in Neuilly, wo er August 1900 an der Tuberkulose starb) gehören seine größeren Werke an: neben dem »Crime do Padre Amaro«, »Os Maias«, der »Primo Basilio« und die »Correspondencia de Fradique Mendes«. Im »Padre Amaro« und »Primo Basilio« insbesondere beleuchtet er die sozialen und moralischen Schäden, die aus der oberflächlichen Erziehung des weiblichen Geschlechts in Portugal entstehen, das, in naiver Unkenntnis aller natürlichen, sozialen und politischen Lebensvorgänge gehalten, nur zu sehr gewissenloser, schönrednerischer Ausbeutung ausgesetzt ist, wie es sich auch – besonders im Kleinbürgerstande – kritik- und willenlos der Führung des geistlichen Beraters überläßt und dadurch sich selbst und die Umgebung in Gefahr bringt. Die Rücksichtslosigkeit, der oft krasse, ja abstoßende Realismus, womit Queiroz sein Motiv durchführt, indem er in die Abgründe des gesellschaftlichen Lebens und des Menschenherzens hinableuchtet, hat ihm den Beinamen des portugiesischen Zola eingetragen. Ein Einfluß des französischen Meisters ist wohl unverkennbar, doch erreichte Eça in der Psychologie nicht die Tiefe seines Vorbilds. Er ist nicht sowohl Psychologe als Moralist und Humorist, wenn man ihm auch Unrecht tun würde, den Psychologen Queiroz nach seinem letzten Roman »Stadt und Gebirg« beurteilen zu wollen.

Der Dichter hat darin durchaus keine Psychologie geben wollen: der Roman ist eine Allegorie, Jacintho und José Fernandes verkörperte Symbole, gegensätzliche Formen für Auffassung und Verwirklichung des Lebens. Im Typus des Jacintho ist mehr als ein autobiographischer Zug des Dichters zu finden. Wie in einem Diptychon setzt der Autor dem Kultur-, dem Stadtleben, das in seiner künstlichen Geschraubtheit, durch seinen mittels kompliziertester Mechanik bewirkten Komfort erstickend, lähmend, entnervend wirkt, ein einfaches, stilles, kräftiges Naturleben gegenüber, das den kranken Nerven Heilung, dem überreizten Hirn Ruhe und Tiefe der Gedanken, dem erschlafften Willen gesunde Energie gibt.

In dieser Präkonisation der Rückkehr von der Kultur zur Natur, von der Fremde zur Heimat, vom Realismus zum Idealismus, wie sie in »Stadt und Gebirg« sich offen bekennt und in dem vorausgehenden Roman »A illustre Casa de Ramires« charakteristisch einsetzt, wollen die Kritiker des Dichters eine innere Wandlung sehen, wie sie das charakteristische Symptom unsrer Zeit sei. Da sie aber zugeben, daß dieser Wandlung nicht sowohl eine Doktrin oder Theorie zu Grunde liegt, als vielmehr ein persönlicher Zug, der sich mit den Jahren und der in der Fremde je länger je mehr wachsenden Sehnsucht nach dem Heimatland mehr und mehr ausgeprägt, so geht man wohl nicht fehl, wenn man annimmt, daß nicht ein Wandel in seinem Wesen, seinem ethischen Charakter eingetreten ist, sondern allein in seinem künstlerischen Schaffen. Der Dichter, der die gute Hälfte seines Lebens im Auslande zugebracht, war seiner universellen Bildung, seiner sozialen Anschauung nach Kosmopolit, im Herzen aber ein echter Portugiese, der mit um so enthusiastischerer Liebe dem Vaterlande anhing, als ihn sein Beruf räumlich von ihm fern hielt; der um so unerschrockener seinen Landsleuten den Spiegel der Wahrheit vorhielt, je leidenschaftlicher er wünschte, sein Land kulturell aus einer seiner gottgesegneten Natur entsprechenden Stufe zu sehen. Vielleicht hat er sich hie und da in den Mitteln seiner künstlerischen Darstellung geirrt, indem er der Schilderung roher Lebenswirklichkeit zu breiten Raum gestattete. Auch war ihm ohne Zweifel in vieljähriger Abwesenheit nicht nur die exakte Anschauung der sozialen Zustände seines Landes abhanden gekommen, sondern er hatte auch nicht der sich während jener Jahre in Portugal vollziehenden Wandlung folgen können, so daß sich manche Uebertreibungen bei ihm finden, die ipso facto brutal wirken.

Daß er im tiefsten Innern trotz äußeren Realismus Idealist und Optimist war, auch seinem Lande gegenüber, das beweist außer seinem posthumen Roman auch ein Brief, den er nach seinem letzten Besuch in der Heimat an seinen Freund Graf d'Arnoso richtete. Darin heißt es ungefähr: »... So bin ich also in Salamanca – leider! Und ich nehme diesen Bogen Kanzleipapier, von dem Kanzleipapier unsers geliebten Lissabon, damit mein Brief umfangreich und substantiell wie dieser werde. Meine Geschichte ist einfach. Ich weiß nicht, ob Du Dich des Odysseus erinnerst. Und ob Dir die Ränke und Kniffe gegenwärtig sind, mit der er in sehnsüchtigem Suchen nach seinem Ithaka, seiner Penelope, seinem lieben Telemach ... umherschiffte. Denn dieser Held verstopfte sich die Ohren mit Wachs gegen den Sang der Sirenen, verklebte sich die Augen gegen die Schönheit der rosenfarbenen Inseln und verhärtete sich gegen königliche Gastfreundschaft, um mit verzweifeltem Ruck das Steuer gen Ithaka zu richten. – Ich hab's gemacht wie er. In Lissabon ging mir das Leben zu lieblich ein und hatte für mich Schwachen alle Versuchungen, die der starke Odysseus, sein Begründer,Lissabon (port.: Lisbôa) wurde der Sage nach von Odysseus (port.: Ulysses) gegründet unter dem Namen Usilippo, aus dem mit der Zeit »Lisboa« entstand. nur mit Mühe überwand. Das anbetungswürdige Haus von Sankt Domingus à Lapa wurde trotz seines heiligen Namens für mich zur Teufelsinsel der Lotophagen, wo man nach dem Genießen der Lotosblüte (sagen wir: gebratenen Stockfisch), in Glückseligkeit getaucht, alles vergißt. Um mich herum gaukelten Sirenen ... Alle ihr lieben Freunde und Freundinnen bildetet für mich eine Zaubergruppe, die mir gefährlich zu werden drohte wie die Sirenen dem Odysseus.

»Schließlich beende ich diese lange Epistel erst in Paris. Ich fand die Meinen wohl, aber Paris fürchterlich. Alles im Bau begriffen!... Jede Straße aufgerissen, die Eingeweide verstreut. Auf Schritt und Tritt Löcher, Verschläge, Steinhaufen, erstickende Staubwolken. Und alles so versperrt, daß, um vom Arc de l'Etoile bis zur Place de la Concorde zu kommen, es einfacher und kürzer wäre, den Umweg über Lissabon zu machen ...«

Er hat diesen Umweg nicht mehr gemacht, ist auch nicht zu einer letzten Umarmung zurückgekommen. Er ist bald darauf in der Fremde gestorben, an der Schwindsucht oder quiça – am Heimweh! Lissabon setzt ihm durch die Meisterhand des jungen Bildhauers Teixeira Lopes ein Denkmal: die leicht verhüllte Gestalt der Wahrheit mit weit ausgebreiteten Armen wie in rückhaltloser Hingabe zu dem hinter ihr stehenden Dichter aufschauend – mit dem Motto (nach Goethe):

»Sobre a nudez forte da verdade o manto diaphanoo da fatasia.« (Ueber der kraftvollen Nacktheit der Wahrheit der durchsichtige Mantel der Phantasie.)

Hamburg

Luise Ey


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