José Maria Eça de Queiroz
Stadt und Gebirg
José Maria Eça de Queiroz

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XV

Und nun sind unter aufbrechenden Rosenbüschen und unter abgeernteten Weinreben fünf Jahre über Tormes und die Serra dahin gegangen. Mein Prinz ist schon nicht mehr der letzte Jacintho, Jacintho Schlußpunkt – denn in jenem dem Verfall geweihten Solar tummeln sich jetzt voll kraftstrotzenden Lebens eine kleine dicke und rosige Theresinha, mein Patchen, und ein Jacinthinho, ein kleiner Mann, der ein großer Freund von mir ist. Und der Vater der Familie hat angefangen, monoton zu werden in der Vollendung moralischer Schönheit, jener Mann, der mir in seiner philosophischen Selbstquälerei und in der mannigfaltigen Pein seiner unersättlichen Phantasie sonst so pittoresk erschienen war. Wenn er jetzt als gründlicher Kenner der Landwirtschaft mit mir seine Felder durchwanderte und solide, kluge und nüchterne Ackerbaugespräche führte, so tat mir beinahe das Herz weh nach jenem andern Jacintho, der von jedem Baumzweig eine Theorie pflückte und, die Luft mit dem Stocke durchschneidend, holländische Meiereien aus Glas und Porzellan errichtete, um darin Käse zu kneten, zu zweihunderttausend Reis pro Stück!

Die Vaterschaft hatte in ihm unter anderm auch das Verantwortlichkeitsgefühl erweckt. Jacintho besaß nunmehr ein Rechnungsbuch, noch klein zwar und mit Auslassungen und eingelegten losen Blättern, worin seine mit Bleistift gekritzelten Ausgaben und Einnahmen in Reih und Glied sich gegenüber standen wie zwei wohldisziplinierte Heerhaufen. Auch hatte er seine Güter von Montemor in der Beira besucht; und er restaurierte und möblierte die alten Herrenhäuser dieser Besitzungen, damit später seine Kinder ein »fertiges Nest« fänden. Wobei ich aber erkannte, daß sich endgültig ein vollkommenes und glückliches Gleichgewicht in der Seele meines Prinzen gebildet hatte, das war, als er, nachdem er den ersten, glühenden Fanatismus der Rückkehr zur Natur überwunden hatte, der Zivilisation die Türen von Tormes öffnete.

Zwei Monate vor der Geburt der kleinen Theresa zog eines Tages durch die Platanenallee eine lange Reihe kreischender Ochsenwagen, die man im ganzen Bezirk zusammengebracht hatte und die mit Kisten und Kasten hoch bepackt waren. Das waren die so viel besprochenen Kisten, die so lange in Alba de Tormes gelagert hatten und nun ankamen, um die Stadt über die Serra zu ergießen. ›O weh!‹ dachte ich, ›mein armer Jacintho hat einen Rückfall.‹ Aber die komplizierteren Lebensbedürfnisse, die jener erschreckende Wagentrain enthielt, wurden zu meiner Ueberraschung nach den ungeheuren Speicherräumen verwiesen, dem Staub der Unnützlichkeit überantwortet. Der alte Solar tat sich nur gütlich mit ein paar Teppichen für seine Fußböden, Vorhängen für die unbekleideten Fenster und tiefen Lehnstühlen und Sofas, damit die Ruhe, nach der er schmachtete, noch behaglicher wäre. Ich schrieb diese Mäßigung meiner Base Joanninha zu, die Tormes in seiner rauhen Nacktheit liebte. Sie schwor, daß ihr Jacintho es so angeordnet hätte. Nach Verlauf von ein paar Wochen aber erschrak ich: von Lissabon war ein Werkmeister angekommen mit Arbeitern und noch mehr Kisten, um ein Telephon anzubringen!

»Ein Telephon, in Tormes, Jacintho?«

Mein Prinz begründete es, fast wie entschuldigend:

»Nach dem Hause meines Schwiegervaters! ... Weißt du ...«

Das war verständig und freundlich. Das Telephon indes streckte sacht und stumm einen andern langen Faden nach Valverde aus. Und Jacintho breitete hilflos beide Arme aus und flehte beinahe:

»Nach dem Hause des Arztes ... verstehst du ...«

Das war umsichtig. Aber eines Morgens erwachte ich in Guiaens von den Schreckensrufen der Tante Vicencia. Ein Mann war angekommen, geheimnisvoll, mit andern Männern, die Drähte trugen, um in unserm Hause die neue Erfindung einzuführen. Ich beschwichtigte die Tante Vicencia, indem ich ihr hoch und heilig schwor, diese Maschine mache weder Geräusch, noch brächte sie Krankheiten ins Haus, noch zöge sie das Gewitter an. Dann aber lief ich nach Tormes. Jacintho lächelte, zuckte die Achseln:

»Was kann das helfen? In Guiaens ist doch einmal die Apotheke, der Schlachter ... und schließlich doch du!«

Das war brüderlich. Dennoch zagte ich: Wir sind verloren! In Zeit von einem Monat wird die arme Joanna sich das Kleid mittels einer Maschine zuhaken! Aber nein! Der Fortschritt, der auf Jacinthos Befehl nach Tormes heraufgestiegen war, um seine Wunder dort einzuführen, und der vielleicht gedacht hatte, er würde ein weiteres Königreich erobern, um es zu verunstalten, ging schweigend und enttäuscht den Weg zurück, den er gekommen, und nie wieder erblickten wir auf der Serra sein starres Gespenst mit der Eisen- und Rostfarbe. Da begriff ich, daß tatsächlich sich in der Seele Jacinthos das Gleichgewicht des Lebens hergestellt hatte und damit das Glück, von dem er so lange nomineller Prinz gewesen war, ohne Fürstentum.

Und eines Nachmittags, da ich im Obstgarten unsern alten Grillo antraf, der sich mit der Serra ausgesöhnt hatte, seitdem sie ihm Kinder beschert hatte, die er Huckepack tragen konnte, bemerkte ich zu dem würdigen Schwarzen, der mit einer ungeheuerlichen Hornbrille bewaffnet, seinen »Figaro« las:

»Na, Grillo, jetzt können wir aber wirklich sagen, daß der Senhor Dom Jacintho fest steht.«

Grillo schob die Brille auf die Stirn zurück und erhob die fünf gekrümmten Finger wie einen Tulpenkelch in die Luft:

»Seine Gnaden haben Knospen getrieben!«

Immer tiefsinnig, der würdige Neger! Ja! Jenes verdorrte Stadtreis war, nachdem es ins Gebirge verpflanzt, dort angegangen, hatte die Kraft des heimischen Bodens eingesogen, Saft getrieben, Wurzel geschlagen, hatte Jahresringe angesetzt, Zweige ausgebreitet, sich mit Blüten bedeckt, stark, still, glücklich, segensreich, edel, Früchte und Schatten spendend. Und in dem Schutz des nun kraftvollen Baumes und von ihm ernährt, segneten es hundert Pflanzstätten in der Runde.


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