José Maria Eça de Queiroz
Stadt und Gebirg
José Maria Eça de Queiroz

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X

An einem dieser Morgen – gerade am Vormorgen meiner Rückkehr nach Guiaens, – setzte das Wetter, das bis dahin so heiter durch die Berge geschritten war, mit unverändert strahlendem Lächeln, ganz in Blau und Gold gekleidet, das auf den Wegen in übermütigem Spiel Staubwolken aufgewirbelt und die ganze Natur lustig angelacht hatte, in einer plötzlichen Laune, die sein Temperament dem der Menschen so ähnlich macht, eine trübe, finstere Miene auf und wickelte sich mit so schwerem Trübsinn und so ansteckend übler Laune in seinen grauen Mantel, daß die ganze Serra den Kopf hängen ließ. Kein Vogel ließ seine Stimme vernehmen, und die Bergbäche flohen mit leisem Schluchzen unter die tiefgeneigten Grashalme.

Als Jacintho in mein Zimmer trat, konnte ich nicht der boshaften Anwandlung widerstehen, ihm einen Schrecken einzujagen:

»Südwest! Froschgequake in allen Talmulden ... das bedeutet Wasser, Senhor Dom Jacintho, viel Wasser, verdammt viel Wasser! Vielleicht vierzehn Tage an einem Strich! Da wird sich dann zeigen, wer hier der feine Naturfreund ist, bei diesem Kettenregen mit Wirbelwind, und die ganze Serra von Wasser triefend!«

Mein Prinz spazierte mit den Händen in der Tasche zum Fenster:

»In der Tat! Sehr bedeckt! Ich habe schon einen der Pariser Koffer aufmachen lassen, um einen Regenmantel herauszunehmen ... Tut nichts! Werden die Bäume um so grüner. Und ganz gut, wenn ich Tormes auch in seinen Wintergewohnheiten kennen lerne.«

Da indessen Melchior beteuerte, daß »das bißchen Regen erst am Nachmittag kommen« würde, beschloß Jacintho, noch vor dem Frühstück nach Corujeira zu gehen, wo Silverio ihn erwartete, damit über das Schicksal von ein paar sehr alten, sehr malerischen, höchst interessanten, aber morschen und dem Umsturz nahenden Eichbäumen entschieden würde. Und im Vertrauen auf Melchiors Wettererfahrung machten wir uns auf den Weg, ohne daß Jacintho wasserdicht gewesen wäre. Wir waren indes noch nicht halbwegs gekommen, als ein Pfeifen durch die Lüfte ging, die Bäume wie in einem Schauer die Zweige sträubten und aus einer uns umhüllenden schwarzen Wolke plötzlich ein so schwerer, windgepeitschter schräger Regen auf uns niederprasselte, daß uns Hören und Sehen verging und wir nur nach unsern im Winde wirbelnden Hüten griffen. Auf den Zuruf einer mächtigen, im Wind fast erstickten Stimme bemerkten wir am Rand eines Schuppens auf einem höher gelegenen Feld Silverio unter einem großen roten Regenschirm, mit dem er uns zuwinkte und den kürzesten Aufstieg zu diesem Schutzdach zeigte. Und auf den warfen wir uns nun, während uns der Regen das Gesicht umspülte, glitten durch den Schlamm, verrenkten uns die Glieder, strauchelten im Wirbelwind, der in einem Augenblick die ganze Gegend erfüllte, die Bäche anschwellen ließ, die Erde der Bergfalten zerbröselte und in Wut die Bäume zauste, bog, zerbrach, die Serra in Dunkel hüllte, sie wild, schroff, feindselig, unbewohnbar machte.

Als wir schließlich unter dem großen Regendach, mit dem uns Silverio am Feldrain erwartete, nach dem Schuppen liefen, triefend und keuchend, brummte mein Prinz und trocknete sich dabei Gesicht und Hals ab:

»Teufel noch einmal! Welch ein Hexentanz!«

Er schien entsetzt über diesen plötzlichen, heftigen Zorn eines sonst so liebenswürdigen, gastlichen Gebirges, das ihm zwei Monate lang unentwegt nur linde Luft und Schatten gespendet hatte, und heiteren Himmel und fächelndes Gezweig und leises Murmeln zahmer Bäche.

»Heiliger Herrgott! Kommt solch ein Unwetter öfter vor?«

Silverios Antwort benahm meinem Prinzen völlig den Atem:

»Dies sind nur Sommerspielereien, gnädiger Herr! Aber wenn Excellenz den Winter über hier bleiben, da können Sie was erleben! Da wüten die Stürme, daß selbst die Berge erzittern!«

Er erzählte, wie auch er vom Wetter überrascht worden wäre, auf dem Wege nach Corujeira. Glücklicherweise aber hätte er, als er die dunkle Luft gespürt und die Blätter der Espen hätte zittern sehen, vorsorglich den Regenschirm genommen und Wasserstiefel angezogen.

»Ich wollte erst beim Esgueira unterstehen, einem Häusler von hier. Das Haus da unten beim Feigenbaum ... Aber die Frau ist seit ein paar Tagen krank ... Und da das möglicherweise was Ansteckendes ist, Blattern oder dergleichen, dachte ich bei mir: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um! So flüchtete ich also nach dem Schuppen ... Und noch kein Vaterunserlang stand ich da, als ich Sie bemerkte ... So etwas! ... Der Herr Dom Jacintho werden nach Hause gehen müssen, um sich umzukleiden, denn wir können auf Regen für den ganzen Tag und die Nacht rechnen.«

Aber gerade fing der Regen an, senkrecht hernieder zu fallen, aus einem noch schwarzen Himmel, während der Wind sich gelegt hatte. Und jenseits des Flusses und der Berge hellte es sich auf, wie wenn graue Vorhänge zurückgezogen würden.

Jacintho ruhte sich aus. Ich hatte noch nicht aufgehört, mich wie ein nasser Pudel zu schütteln und mit den schlammbedeckten Füßen zu stampfen, an denen mir die Kälte empfindlich war.

Und der gute Silverio ließ nachdenklich die Hand über den schwarzen Bart gleiten, überlegte und berichtigte sein Prognostikon:

»Es klärt sich doch wieder auf! Hätt' ich nicht gedacht. Der Wind hat sich gedreht.«

Der Schuppen, der uns Obdach gewählte, ruhte auf zwei rechtwinkeligen Mauern aus lose zusammengesetzten Steinen – Ueberreste einer abgetragenen Hütte –, und auf einem Stützbalken, der einen Winkel bildete. Zurzeit beherbergte er nur Holz, einen Haufen leerer Körbe und einen Ochsenwagen, auf dem sich mein Prinz niedergelassen hatte und sich eine tröstende Zigarette wickelte. Der Regen rauschte ergiebig in langen Strahlen hernieder. Und wir schwiegen alle drei, in jener untätigen und gedankenlosen Beschaulichkeit, zu der ein starker, ruhiger Regen allezeit Augen und Seele bindet.

»O, Herr Silverio,« sagte dann langsam mein Prinz, »was sagten Sie da vorhin von Blattern?«

Der Geschäftsführer drehte sich überrascht um:

»Ich, gnädiger Herr? ... Ach ja! die Frau vom Esgueira! Das heißt, es mag sein, mag sein ... Sie müssen nicht denken, daß es hier an Krankheiten fehlt. Die Luft ist ja gut, dagegen ist nichts zu sagen! Gute Luft, leichtes Wasser. Aber manchmal, mit Verlaub, gibt's hier viel Wechselfieber.«

»Ist denn keine Apotheke, kein Arzt vorhanden?«

Silverio lächelte mit dem überlegenen Lächeln eines Menschen, der zivilisierte und wohlversorgte Regionen bewohnt:

»Ei, wir werden doch Arzt und Apotheke haben! Da ist ein Apotheker in Guiaens, da ganz nahe beim Hause unsers verehrten Freundes hier. Und ein Mann, der was versteht ... der Firmino, was, Herr Fernandes? Ein tüchtiger Mann. Arzt ist der Doktor Avelino, etwa anderthalb Meilen von hier, in den Bolsas. Aber Excellenz wissen wohl, diese Leute sind arm! ... Sie sind froh, wenn es für Brot reicht, – wie sollten sie Arzneien ...!«

Und aufs neue herrschte Schweigen unter dem Schuppendach, wo die zunehmende Kälte des verschlammten Gebirgs immer fühlbarer wurde. Jenseits des Flusses hatte sich die verheißungsvolle Helle zwischen den beiden dicken grauen Vorhängen nicht verbreitert. Im Gelände, das sich vor uns zum Tal abböschte, liefen lange Strähne lehmigen Wassers. Ich setzte mich schließlich auf einen Holzblock, flau und mit von dem unwirtlichen Morgen geschärftem Hunger. Und Jacintho auf dem Wagenrand, mit baumelnden Füßen, kraute sich im nassen Bart und betastete das Gesicht, in dem zu meinem Schrecken das Gespenst, das unheimliche Gespenst vergangener Tage, das Gespenst von 202 aufgetaucht war!

Da kam plötzlich hinter der Mauer des Schuppens ein kleiner Junge hervor, zerlumpt, verhungert, mit einem winzigen, unter dem Schmutz gelb schimmernden Gesichtchen, aus dem zwei große schwarze Augen voll unbestimmten Schreckens und unbestimmter Furcht sich starr auf uns hefteten. Silverio erkannte ihn sogleich:

»Wie geht's deiner Mutter? Du brauchst nicht näher heran zu kommen, bleib nur dort stehen. Ich höre ganz gut. Also wie geht's deiner Mutter?«

Ich unterschied nicht, was die armen, blassen Lippen flüsterten. Aber Jacintho voll Interesse:

»Was sagt er? Lassen Sie den Jungen mal herkommen! Wer ist deine Mutter?« Der Silverio gab respektvollen Bescheid:

»Die kranke Frau, von der ich sagte, die Frau vom Esgueira, da aus dem Vorwerk mit dem Feigenbaum. Dies ist noch nicht das jüngste Kind ... an Kindersegen fehlt's nicht.«

»Aber der Kleine scheint auch krank!« rief Jacintho. »Sehen Sie nur, wie gelb! ... Der arme kleine Mann! Bist du auch krank?«

Der Junge verstummte, steckte den Finger in den Mund und sah uns mit traurigen, erschrockenen Augen an. Silverio lächelte gütig:

»Bewahre! Der ist ganz gesund ... Er ist nur so gelb und kümmerlich, weil ... na ja ... schlechtes Essen, ... Hunger, ... viel Elend... Wenn ein Stück Brot vorhanden ist, so geht's in viele Teile. Hunger, Hunger!«

Jacintho sprang wie elektrisiert vom Wagenrande ab:

»Hunger? Er hat Hunger?! Gibt's hier Menschen, die hungern?!«

Seine Augen funkelten in schreckensvollem Erbarmen, womit er bald von mir, bald von Silverio die Bestätigung dieses unvermuteten Elends forderte. Und ich klärte meinen Prinzen auf:

»Menschenkind! Natürlich gibt's hier Hunger. Du hast dir wohl eingebildet, das Paradies hätte sich hier in der Serra verewigt, ohne Arbeit, ohne Not ... Ueberall gibt es Arme, selbst in Australien, in den Goldbergwerken. Wo es Arbeit gibt, gibt's auch Proletariat, sei es in Paris, sei es im Douro ...«

Mein Prinz machte eine Gebärde voll Kummer und Ungeduld:

»Ich will nicht wissen, was es im Douro gibt. Was ich frage, ist, ob hier in Tormes, auf meinem Besitz, innerhalb dieses Geländes, das mir gehört, Leute leben, die für mich arbeiten und die hungern ... Ob es Kinder gibt, wie dies hier, so verhungert? Das will ich wissen!«

Silverio lächelte ehrerbietig vor dieser unschuldsvollen Unkenntnis des wirklichen Lebens im Gebirge.

»Aber selbstverständlich, gnädiger Herr, gibt es hier Häusler, die sehr arm sind. Fast alle ... Es ist ein Elend, und wenn sie nicht eine kleine Unterstützung bekämen, so weiß ich nicht! ... Dieser Esgueira mit der Kinderherde, die er hat, ist ein wahrer Jammer ... Sie sollten nur mal die Hütten sehen, in denen sie wohnen ... Es sind Ställe. Die vom Esgueira dort ...«

»Laßt uns hingehen,« unterbrach ihn Jacintho mit schnellem Entschluß.

Und damit verließ er den Schuppen, ohne des Regens zu achten, der noch fiel, wenn auch leichter und spärlicher. Aber da breitete Silverio die Arme vor ihm aus, in Seelenangst, als gälte es, ihn vor einem Sturz in den Abgrund zu bewahren:

»Nein! In das Haus des Esgueira werden Sie nicht hineingehen! Man weiß nicht, was die Frau möglicherweise hat, und Vorsicht und Hühnersuppe ...«

Jacintho verließ keinen Augenblick seine gewöhnliche geduldige Höflichkeit:

»Ich danke Ihnen für Ihre Sorge, Silverio ... Spannen Sie Ihren Regenschirm auf, und vorwärts!«

Da ließ der Geschäftsführer die Schultern herabfallen und machte, wie Seine Excellenz befohlen hatten, geräuschvoll den riesigen Regenschirm auf, unter dem er respektvoll seinen Herrn durch das morastige Gefilde geleitete. Ich folgte und dachte an das reiche Almosen, das Gott dieser armen Hütte durch einen Bewohner seiner Städte schickte. Hinter uns kam der kleine Bengel, ganz versunken in tiefes Staunen.

Wie alle Hütten im Gebirge war die des Esgueira cyklopisch in losen Steinen ohne Kalkanwurf ausgeführt, mit einem ungefähren Dach aus moosigen schwarzen Ziegeln; oben eine Luke, während die rohe Tür zugleich für Luft, Licht, Rauch und Menschen diente. Und ringsumher hatten Natur und Arbeit durch Jahre hindurch Schlingpflanzen und Waldblumen aufgehäuft und Gartenwinkel und duftende Hecken und alte, mooszerfressene Bänke und Scherben mit Erde, worin Petersilie wuchs, und singende Bäche und an Ulmen emporgerankte Weinreben, und schattige Plätze und spiegelhelle Pfützen, was alles diese Stätte des Hungers, der Krankheit und der Not entzückend geeignet machte für ein Hirtengedicht...

Vorsichtig, mit der Spitze des Regenschirms, stieß Silverio die Tür auf und rief:

»He, Frau Maria... Hallo, Mädchen!«

In der halboffenen Türspalte erschien ein hochgewachsenes, brünettes Mädchen in schmutziger Kleidung, mit traurigen, eingesunkenen Augen, die in stillem Staunen uns anstarrten.

»Na, wie geht's deiner Mutter? Mach die Tür auf, hier sind diese Herren ...«

Sie öffnete langsam und sagte leise mit weher, schleppender Stimme, aber ohne zu jammern und mit einem schwachen Lächeln der Ergebung:

»Wie soll es ihr gehen? Die arme Mutter! Schlecht... schlecht!«

Und drinnen wiederholte die Mutter die trostlose Klage in einem Stöhnen, das wie aus dem Boden zu kommen schien, so erstickt, schläfrig und schwach war es:

»Ach, hier lieg ich, ... schlecht... schlecht! ...«

Silverio, ohne die Schwelle zu überschreiten, den vorgestreckten, halboffenen Regenschirm wie einen Schild gegen die Ansteckung vorhaltend, rief ihr einen vagen Trost zu:

»Es wird ja nichts auf sich haben, Frau Maria! ... Eine Erkältung! Nichts als Erkältung!«

Und zu Jacintho mit gedämpfter Stimme am Ohr:

»Sie sehen, gnädiger Herr ... Großes Elend. Es regnet sogar hinein.«

Auf dem Stück Fußboden, das zu sehen war, festgestampfter Erdboden, schimmerte eine feuchte Lache von dem durch das schadhafte Dach getropften Regen. Die rußgeschwärzten Wände waren ebenso schwarz wie der Fußboden. Und in diesem schmutzigen Dunkel zeigte sich ein unordentliches Durcheinander von Lumpen, Scherben, Hausrat und Ueberresten, unter denen nur eine Truhe aus schwarzem Holz eine verständliche Form zeigte, und darüber ein zwischen einer Säge und einem Oellämpchen hängender, grober, feuerroter Unterrock.

Jacintho murmelte verlegen und benommen:

»Es ist gut, es ist gut ...«

Und er wandte sich, wie fliehend, wieder dem Schuppen zu, während Silverio ohne Zweifel dem Mädchen die erhabene Anwesenheit des »Fidalgo« kundtat, denn wir hörten sie an der Tür ihre wehe Stimme erheben:

»Ach, unser Herrgott beschere ihm ein glücklich Los! Unser Herrgott geleite ihn!«

Ehe Silverio mit seinen langen Schritten in seinen langen Stiefeln uns eingeholt, war Jacintho mitten auf dem Felde stehen geblieben, hatte sich zu mir gewandt und, während die zitternden Finger am Schnurrbart rissen, gestöhnt:

»Das ist fürchterlich, Zé Fernandes, das ist fürchterlich.«

Hinter uns donnerte Silverios kräftiger Baß: »Was willst du schon wieder. Junge? Geh zu deiner Mutter, Schlingel!«

Es war der zerlumpte, verhungerte Kleine, der sich an uns hängte in seinem unermeßlichen Staunen über unsre Personen und in der unbestimmten Hoffnung vielleicht, daß von ihnen, wie von den auf Erden wandelnden Göttern, ihm Trost und Hilfe kämen.

Jacintho, den er besonders mit seinen großen, traurigen Augen anstarrte, und den seine stumme Demut schrecklich verlegen und linkisch machte, lächelte nur und murmelte zerstreut:

»Es ist schon gut ... schon gut ...«

Ich gab dem Kleinen schließlich einen Tostaon, um ihn zu befriedigen und loszuwerden. Als er aber mit seinem krampfhaft festgehaltenen Tostaon uns doch noch folgte, wie im Kielwasser unsrer Herrlichkeit, verscheuchte ihn Silverio wie einen Vogel, indem er in die Hände klatschte und rief:

»Flink nach Hause! Und bring dies Geld deiner Mutter! Vorwärts! ...«

»Und wir zum Frühstück,« mahnte ich und sah auf die Uhr. »Der Tag wird doch noch schön.«

Ueber dem Douro glänzte in der Tat ein Stück verwaschenen, hellschimmernde Himmelsblaus; und die dicke Wolkenschicht wälzte sich, vom Winde getrieben, in zerrissenen, flatternden Fetzen nach einer Ecke des Horizonts.

Durch steiles Gelände schlugen wir den Heimweg ein, den Silverio führte, und aus dem uns noch ein leichter Regenbach plätschernd entgegenhüpfte. Von jedem Zweig, den wir streiften, rieselten glitzernde Regentropfen. Aller Pflanzenwuchs schimmerte nach dem tiefen, durststillenden Trunke in neubelebtem Grün.

Als wir aus dem Fußsteig in einen breiten Weg bogen, der zwischen einer Terrasse und einer Rebenpflanzung hindurchfühlte, blieb Jacintho plötzlich stehen, zog die Zigarrentasche hervor und sagte:

»Silverio, dies schreckliche Elend in meiner Quinta will ich nicht länger haben.«

Der Geschäftsführer zog die Schultern hoch mit einem unbestimmten ›äh! äh!‹ willfährigen Gehorsams und bedenklichen Zweifels.

»Vor allem,« fuhr Jacintho fort, »werden Sie gleich heut jenen Doktor Avelino zu dem armen Weib rufen lassen ... Und Arznei ist sofort von Guiaens zu besorgen. Und der Arzt wird ersucht, morgen wieder zu kommen und alle Tage, bis sie besser ist ... Hören Sie? Und Melchior soll ihr Geld bringen für Suppen, für die Diät, vielleicht zehn oder fünfzehn Milreïs ... Genügt das?«

Der Geschäftsführer hielt ein respektvolles Lächeln nicht zurück.

Fünfzehn Milreis! Ein paar Tostaons genügten ... Es sei nicht gut, solche Leute an solche Freigebigkeit zu gewöhnen. Nachher wollten sie alle was, und alle legten sich aufs Betteln ...

»Es sollen eben auch alle bekommen,« sagte Jacintho einfach.

»Der gnädige Herr haben zu befehlen,« murmelte Silverio.

Und stehen bleibend zuckte er die Achseln vor solchen Extravaganzen. Ich mußte ihn ungeduldig wieder in Gang bringen:

»Wir können im Weitergehen plaudern! Es ist Mittag! Ich habe einen Wolfshunger!«

Wir schritten weiter, Silverio zwischen uns, nachdenklich, die Brauen unter dem Schlapphut finster gerunzelt, den Rübezahlbart über die Brust geweht, und das zusammengerollte, mächtige rote Regenzelt unter dem Arm. Jacintho riß nervös am Schnurrbart und wagte sich zaghaft in seiner unüberwindlichen Furcht vor Silverio mit weiteren Wohltätigkeitsideen hervor:

»Und auch die Häuser ... Jenes Haus ist eine Kaninchenhöhle! ... Ich möchte diese armen Leute wo anders unterbringen ... Und die der andern Häusler sind natürlich ähnliche Höhlen ... Da muß Wandel geschafft werden! Alle Häusler müssen neue Wohnungen haben ...«

»A–alle? ...« Silverio stotterte, verstummte.

Und Jacintho stammelte erschrocken:

»Alle ... das heißt, ich meine ... Wieviele sind es?«

Silverio warf eine großartige Gebärde in die Luft:

»Einige zwanzig ... Dreiundzwanzig, wenn mir recht ist. Hopp! Hopp! Siebenundzwanzig ...«

Nun verstummte Jacintho gleichfalls, als begriffe er die Ungeheuerlichkeit der Anzahl. Aber er wünschte zu wissen, wie teuer jedes Haus kommen würde! ... Nur ein ganz einfaches Haus, aber sauber und zweckmäßig, wie das, das die Schwester vom Melchior neben dem Kelterhaus inne hatte. Silverio hielt von neuem den Schritt an. »Ein Haus, wie das der Ermelinda?! Das wollen der gnädige Herr wissen?« Und er warf die Zahl hin, sehr von oben herab, wie einen ungeheuren Felsblock, der Jacintho zermalmen sollte:

»Zweihundert Milreis, gnädiger Herr! Und eher mehr als weniger!«

Ich lachte über die tragische Drohung des trefflichen Mannes. Und Jacintho ganz sanft, um Silverio zu beschwichtigen:

»Schön, mein Freund. Das wären etwa sechs Contos de Reïs! Sagen wir zehn, denn ich möchte auch jedem ein bißchen Mobiliar und Kleidung geben.«

Jetzt schrie Silverio vor Entsetzen auf:

»Aber, gnädiger Herr, das ist eine Revolution.«

Und da wir unwiderstehlich lachen mußten, hingerissen von seinen schreckensstarren Augen, seinen langen, wie Windmühlenflügel geöffneten Armen, als erwarte er den Einsturz der Welt, – da nahm das der gute Silverio ernstlich übel:

»Ah, die Herren lachen? Neue Wohnungen für alle, Mobilien, Silberzeug, Leinzeug, zehn Contos de Reïs! Na, da kann ich ja auch lachen! Hahahaha! Ein famoser Witz ... Famoser Witz... Hahahaha!«

Und plötzlich, mit einer tiefen Verneigung, als lehne er jegliche Verantwortung für solch großartigen Blödsinn ab:

»Aber – der gnädige Herr haben zu befehlen!«

»Es ist bereits befohlen, Silverio. Und dann will ich auch wissen, wieviel Pacht diese Leute zahlen und wie ihre Kontrakte sind, um sie aufzubessern. Es gibt viel zu bessern. Kommen Sie mit und frühstücken mit uns. Dabei werden wir das besprechen.«

Silverio war so von schreckensvollem Staunen durchtränkt, daß ihm die »Aufbesserung der Pachtkontrakte« keinen Eindruck mehr machen konnte. Er dankte verbindlich für die Einladung. Aber er bäte Excellenz um Erlaubnis, vorher am Kelterhaus vorbeizugehen, um nach den Zimmerleuten zu sehen, die den Ausflußbalken ausbesserten. Es wäre nur ein Augenblick, und danach stände er Excellenz zur Verfügung.

Er sprang über ein Gatter und verschwand im Unterholz. Und wir gingen leichtfüßig unsers Wegs, teils wegen der verspäteten Frühstücksstunde und des wieder aufgeheiterten Himmels, teils wegen der der Armut im Gebirge geschehenen Gerechtigkeit.

»Heut hast du deinen Tag nicht verloren. Jacintho, « sagte ich und schlug meinen Freund mit unverhohlener Zärtlichkeit auf die Schulter.

»Welch ein Elend, Zé Fernandes! Das hab' ich mir nicht träumen lassen ... daß es hier, angesichts meines Hauses, andre Häuser gäbe, wo Kinder hungern! Das ist entsetzlich!«

Wir traten in die Allee ein. Ein zwischen zwei dicken, wie Watte geballten Wolken durchbrechender Sonnenstrahl lag auf einer Ecke des Herrenhauses im Hintergrund wie ein heller Goldstreifen. In hohen, fröhlichen Tönen krähten die Hähne. Und ein sanfter Wind ließ die feuchtglänzenden Blätter froh erschauern.

»Weißt du, was ich dachte, Jacintho? Dir ist die Legende des heiligen Ambrosius widerfahren ... Nein, es war nicht Ambrosius ... Ich weiß nicht, welcher Heilige ... Es war auch gar kein Heiliger ... Es war nur ein sündiger Ritter, der sich in ein Weib verliebt hatte und seine ganze Seele daran setzte, nur um sie von weitem zu sehen. Als er ihr dann eines Tages verzückt folgte, trat sie in eine Kirchentür, und dort schlug sie plötzlich den Schleier zurück, enthüllte ihren Busen und offenbarte dem armen Ritter eine große Wunde, die ihr die Brust zerfleischte! Auch du bist liebestrunken dahingetaumelt, verliebt in die Serra, die du nur in ihrer Sommerschönheit kanntest. Und heute – plautz! – enthüllt sie ihre großen Schwären ... das ist vielleicht deine Vorbereitung auf den ›heiligen Jacintho‹.«

Die Daumen in den Armausschnitten der Weste, blieb er gedankenverloren stehen:

»Das ist wahr! Ich habe die blutende Wunde gesehen! Aber schließlich, Gott sei Dank, die kann ich noch heilen!«

Ich ließ meinem Prinzen das heitere Trugbild. Frohgemut stiegen wir die Steinstufen des Edelsitzes hinauf.


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