Johann Ladislav Pyrker
Tunisias
Johann Ladislav Pyrker

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Eilfter Gesang.

        Hairaddin stand auf dem Söller der Burg, aufhorchend im Zwielicht
Sinkender Nacht. Von Goletta heran vernahm er des Feldzeugs
Rastlosdonnernden Sturm, dem die Erd' erbebte, die Fenster
Klirrten, und drönte die Wand zu dem untersten Grunde der Mauern,
5   Und, wie im Abendwind die Welle des fluthenden Weihers
Nun sich hebt, nun sinket: so wechselte Furcht und Verzweiflung
Oft mit der Hoffnung des Sieg's in seinem zerrissenen Herzen;
Aber er horcht' umsonst noch gieriger jetzt, nach Goletta
Wendend das Ohr, nicht athmend, die starrenden Blicke zum Boden
10   Heftend. Nicht donnerten mehr die entsetzlichen Schlünde; verhallt war
Drüben der Mörser Gebrüll und das Schmettern des Feuergewehres.
»Sie ist verloren!« so rief er, stampfte den Estrich, und eilte
Schnaubend herab. Dann schritt er im hellerleuchteten Saal hin,
Kehrete wieder, und stand, und horchte, die Bothen erwartend.
15   Immer vernehmlicher wähnt' er Getrab anstürmender Rosse –
Wähnte verwirrtes Geschrei heimflüchtender Krieger zu hören:
Aehnlich dem sturmentmasteten Schiff, das fern auf dem Weltmeer
Wechselnde Strömung entrafft, und endlos dreht auf dem Irrpfad,
Schwankt' er umher, im Gemüth nicht Dieß', nicht Jenes beschließend.
20   Bald erhob sich Suleymans Grimm wie ein nächtlicher Unhold,
Dräuend, vor seinem Blick; bald lächelte Muley Hassan
Hohn ihm entgegen im Glanz der wiedergewonnenen Herrschaft.
Ihn umnachtete rings nur wilde Verzweiflung: den Schimmer
Seines errungenen Ruhms auf immer erloschen zu schauen.
25   »Ha,« so rief er ergrimmt, »eh' solche Schande mich treffe . . .
Schande?« Er faßte den Dolch; nach dauerndem Schweigen begann er:
»Fiel Goletta, erstürmt, so werden sie kommen, mir Algiers
Und Telmessans Thron, und den Zepter von Tunis zu rauben;
Werden mich stürzen hinab in den Staub, daß sich krümme des Glückes
30   Liebling, ein Sclave, voll Angst, an des Siegers zermalmenden Fersen.
Ha, nicht des Tages Licht gedenk ich fürder zu schauen:
Denn es enthüllte nur Schmach! D'rum fort – hinab in das Dunkel
Ewiger Nacht, zu entgeh'n der Qual, die jetzo mir droht! . . . Doch
Soll ich verschleudern das Ein', und Einzige, das ich erkenne?
35   Schwand mir völlig die Hoffnung dahin? Ist Alles verloren?
Drängt nicht Hunderttausende noch mein Wink in die Feldschlacht,
Heute – sogleich? Zurück in die Scheide, geschliffener Mordstahl:
Nur dem Gegner, nicht mir, zerfleische das Herz in dem Busen.«
Sagt' es, und barg in den Gürtel den Dolch. Mit schüchternen Blicken:
40   Denn er scheut' Eloa's Zorn, war Muhamed jetzt ihm
Wieder genaht. Er hörte die zagenden Worte des Herrschers,
Ballte die Faust vor Wuth, und kam, der schrecklichsten Thaten
Allerschrecklichste noch in die gährende Brust ihm zu hauchen.
Wie auf des Südens Meereiland der scheußliche VampyrVampyren, die größte Gattung der Fledermäuse; und unter diesen wird hier der so genannte Blutsauger (V. Spectrum) gemeint, dessen Heimath die neue Welt, Surinam, Guiana, Brasilien u. s. w. ist. Durch das Wehen seiner Flügel erquickt er den Schlummernden, leckt ihm mit seiner rauhen Zunge die Haut auf, und wenn das Blut, an welchem er sich satt gesogen hatte, aus einer Hautader strömt, so kann sich der Fortschlummernde leicht verbluten. (S. Tob. Wilhelm Unterh. aus der Naturgeschichte der Säugethiere, 1. Thl.)
45   Ueber dem Schlummernden schwebt, und, mit weitgebreiteten Flügeln
Fächelnd, den Schlaf ihm mehrt, das Blut zu entsaugen der Ader:
Also schwebt' auch Muhamed leis' auf Hairaddin nieder,
Schaudernd und bleich, der Fluchthat selber erbebend: er hauchte
Höllenfrevel ihm ein, und floh durch die finstere Nacht fort.
50   Hairaddin stand, und sann: ihm rollten die feurigen Augen,
Aehnlich dem Blitz im Gewittergewölk, in den finsteren Wimpern.

Jetzo die Straßen herauf ertönte des eisernen Hufes
Schmetternder Schlag; in dem Hofraum scholl absitzender Krieger
Rufen. Nicht lang, so trat der tapfere Sinam mit Dragut,

55   Muhamed Temtes, und Abu-Sa-id, tieftrauernden Blickes,
In den erleuchteten Saal, den zürnenden Herrscher zu söhnen.
Rasch ging dieser umher vor den Bebenden, und nur zuweilen
Traf sein verachtender Blick vor Sinams Füßen den Boden;
Doch nun stand er, und rief, durch die festgeklammerten Lippen,
60   Stöhnend, das Wort: »Ihr Feigen!« und lächelte grimmig für sich hin.
Stolzer erhob nun Sinam das Haupt, und sagte verweisend:
»Welch ein Wort, Gewaltiger! floh dir, scheu, von den Lippen,
So die tapferen Männer zu schmäh'n? Wir feig in der Feldschlacht?
Zahllos jammern daheim die Verwaiseten – jammern die Bräute,
65   Wie auch die Gattinnen, bald, und auf immer die Lieben vermissend,
Die, zu Hügeln gehäuft, wir tödteten rings um den Wall her.
Galt es, mit Sterblichen nur in die Schranken zu treten: wir hätten
Herrlich gesiegt. Doch heimlich vereint mit den Geistern der Hölle,
War der bebende Grund mit jeglichem Schrecken des Luftraums
70   Aufgestürmt um Goletta: wir wichen den furchtbaren Mächten,
Aber nicht feig', da wir zu dem blutigsten Kampfe bereit steh'n.«
Also der tapfere Greis; da höhnete Dragut den Helden:
»Armer, du schwärmst vor Angst! Auch uns erklangen die Ohren,
Als der brüllende Donner erscholl; mit dem bebenden Boden
75   Wankten auch wir; uns schlug nicht minder der prasselnde Regen.
O, daß ich fern' war! Nein, nie hätte den Geistern der Hölle
Dragut gebebt, von dem das Volk sich erzählet: er würde
Selber den Satan besteh'n in nie zu erschütternder Kühnheit.«
Sinam schwieg; doch Hairaddin trat den Hadernden näher,
80   Faßte den Dolch, und sprach mit zornaufblitzenden Augen:
»Denket der Trauer nicht mehr, weil uns die Veste geraubt ward,
Die mit wuchernden Blutes Gewinn ein herrlicher Sieg uns
Wieder erringt. Zum Kampf denn! Am Morgen ertöne der Schlachtruf –
Töne so schrecklich, so laut, daß umher die Gefilde des Todes
85   Schauern vor Angst. Doch hört, was dringend erheischet die Vorsicht,
Und die Rache gebeut ob Giaffars Fall, und Goletta's.
Unter den Kerkern der Burg, wo in Banden die christlichen Sklaven
Liegen, und all', im thörichten Wahn: der tapfere Moslem
Falle dem Christen so leicht, nun harren des kommenden Retters,
90   Häuften im ringsdurchhöhleten Grund die Söldner des Zündstaubs
Furchtbare Last. Entflammt aufschleudre sie jetzo die Hochburg –
Schleudre zerschmettert die Sclaven all' empor in den Luftraum
So, daß nicht einer entrinne dem Tod und dem grausen Verderben.
Also gescheh's, noch ehe der Morgen im Osten heraufglänzt!«
95   Sinam erblaßt'; auch Abu-Sa-id und Muhamed Temtes
Zitterten; doch noch frecher begann der schreckliche Dragut:
»Wahrlich,« so rief er, »nur Gott, und sein erhabner Prophet nur
Gab den Gedanken dir ein: ich beuge mich tief vor Erstaunen!
Alle zugleich! So möge mit Jenen der heuchelnde Graukopf,
100   Der mir Mathilden entriß, zerschmettert, verhauchen das Leben:
Denn ich sann ihm entsetzlichen Tod: er fahre zur Hölle!«
Grimmig lächelt' er nun. Da wandt' ihm, von Schauder ergriffen,
Sinam den Rücken, und sprach zu Hairaddin schmeichelnden Lautes:
»Mächtiger, wie, du solltest den Ruhm errungener Lorbern
105   Heute durch solch' entsetzliche That auf immer beflecken,
Die von der Feigheit gezeugt, und Verzweiflung geboren, zum Abscheu
Allen, Suleymans Huld dir entzöge für jetzt und auf immer?
Wie der Morgenstern vor jeglichem strahlt an dem Himmel,
Also zieret sein Herz der Tugenden schönste, die Großmuth.
110   Was vermocht' in der Felsenburg der wehrlosen Sclaven
Fesselbelastete Schar? Sie mög' in festlichen Reihen,
Nach vollendetem Krieg, den Siegeswagen dir schmücken!«
Aber der Wüthrich schwieg. Noch kämpfte die Furcht mit der Mordlust,
Ob Suleymans Zorn, in seinem beklommenen Busen;
115   Endlich obsiegte die Furcht. Er sprach, tiefsinnenden Blickes:
»Ha, wenn Reue mir würde dereinst, der klügelnden Weisheit
Sinams gewichen zu seyn! Ich bebe der dunkelen Ahnung,
Die mich ergreift. Wohlan, ich weiche dir! Eilt in das Lager,
Dort zu erregen das Heer; ich entwaffne die Freunde des Hassan
120   Hier in der Stadt, die mich verriethen im Kampf der Entscheidung.«
Jene, gehorchend dem Wort, enteileten; aber der Wüthrich
Zog in den Straßen umher mit Gefolg, das Volk zu entwaffnen.
Wie in der Schreckenszeit volktödtender Seuche, der Hauptstadt
Einsame Straßen entlang, nur leichensammelnder Träger
125   Fußtritt schallt, und mit Angst erfüllet die Herren der Menschen,
Die sich, verborgen daheim in der Kammer, ergeben der Hoffnung,
Dort zu entgehen der scheußlichen Pest: so flüchteten, bebend,
Jetzt die Tunisier heim in der Nacht, als rings mit Getümmel
Hairaddins Würgerschar durchtobte die hallenden Straßen.

130  

Trauernden Blickes saß auf der Zinne der luftigen Hochburg
Regulus: denn er sah, wie jüngst der grausame Wüthrich
Unter den Kerkern umher, die Last des schrecklichen Zündstaubs
Häufen ließ, die Sclaven gesammt urplötzlich zu tödten.
Muhamed brauste heran, der grau'nerregenden Unthat

135   Zeuge zu seyn, die er Hairaddin erst einhauchte voll Arglist.
Auf der Zinne der Burg den Einsamen schauend, begann er:
»Stets entfernt von der Heldenbahn, der rühmlichen Vorzeit
Nicht gedenkend, nur Hülf' und Errettung sinnend dem Volk hier,
Das nicht deines Geschlechts, nicht deines Glaubens sich rühmet,
140   Irrst du umher, Verblendeter! Bald vernimmst du mit Schauder –
Schauest mit Schrecken es an, wie die Lunt' ein kühner Geselle
Hin zu dem Zündstaub senkt, die Flamm' auffleugt zu dem Himmel,
Donner erkracht, und der Berg, aus seinen berstenden Vesten
Taumelnd vor Angst, empor in den sturmbewegeten Luftraum
145   Schleudert unendlichen Wust, und im Wuste die christlichen Sclaven,
Die dein Herz erkor, zerschmettert entschwinden dem Erdkreis.
Jammere dann! Nichts half dir all dein wüstes Beginnen.«
Rief's, und entschwand. Doch Regulus sah nach Medelin: er horchte
Von dem Erker der Burg in die Nacht. Vor dem kommenden Sieger
150   Schwieg das Gefild umher, und der Lärm verhallte zu Tunis.
Bald des Siegers gedacht' er mit Angst: denn schändlich verrathen
Hatt' er sein Volk, und für Trug verschmähet die heilige Wahrheit;
Bald umgaukelten ihn die Bilder der lieblichen Heimath,
Dort die fröhliche Jugendzeit, verlebt in dem Umgang
155   Holder Gespielen, und dort die liebende Mutter in Jammer
Ob des Sohnes Verlust – in Trauer die Freund' und Verwandten.
Gleich dem starrenden Eis, das schnell des laueren Westwinds
Odem schmilzt, begann ihm die Wuth in dem Busen zu schmelzen,
Und sein Aug', das lange nicht mehr des reuigen Herzens
160   Sanftere Thräne gekannt erhellten schimmernde Perlen.
Regulus schwebte herab, umschlang den Nacken Medelins,
Daß er in seiner Brust entflammte des himmlischen Mitleids
Glimmende Funken, und regt' ihn auf in dem Seelengelispel:
»Hast du dem Vaterland, den Lieben daheim und dem Glauben
165   Deiner Väter entsagt, und geopfert für schändlichen Reichthum
Ruh' und Glück? Doch sieh', nicht bringt dir solcher hienieden
Jemals Gewinn: denn bald, in entsetzlicher Stunde der Nothwehr
Wenn nicht Sinam es hemmt, der mildergesinnete Feldherr,
Schleudert des Wüthrichs Grimm die Sclaven, und schleudert dich selber,
170   Flammenumbraust, in die Luft. O, rette die armen: dem Mitleid
Oeffne dein Herz, und der Reue, zu sühnen den schändlichen Undank!«
Schaudernd vernahm im Geist die schrecklichen Worte Medelin;
Stieg die Stufen herab, und Regulus blickte, vor Wonne
Bebend, ihm nach: er ging, die Brüder zu retten, entschlossen.
175   Jetzt urplötzlich umstrahlt von seelenentzückender Klarheit,
Und vernehmend den Ruf unendlicher Lieb' und Erbarmung,
Fuhr der Geist verklärt empor, in lichteren Räumen
Seliger stets, der Himmelshuld entgegen zu harren.
Doch schon stand Medelin umringt von Christen im Kerker;
180   Riß sich das Kleid entzwei; zerschlug sich die Brust und die Hüften,
Lautaufjammernd, und rief mit thränenumhülletem Blick so:
»Wehe mir schändlichem Mann: den heiligen Glauben verläugnet
Hab' ich für schnöden Gewinn, verkauft dem falschen Propheten
Ruh' und Glück; doch über das Haupt des schändlichen Räubers,
185   Hairaddin, komme der Fluch! Ihr all', o Frevel der Hölle,
Solltet jetzt, in die Luft geschleudert, zerstieben im Zündstaub,
Den er gehäuft im Fels tief unter den Kerkern! Nur Sinam
Hemmte den Wüthenden noch, und siegt'. Mir schwand die Verblendung
Schnell vor den Augen: ich schwur, dem Gräuel erbebend, euch Rettung,
190   Und, wenn Reue noch frommt, so wird erbarmende Huld mir.
Hör't, nur tödt' euch die Freude nicht, hör't! Euch Freiheit zu schaffen,
Rückten die Christen mit Heer'smacht an; im Sturme bezwungen,
Liegt Goletta im Staub; die goldenen Zinnen von Tunis
Beben dem Sieger; der Wüthrich flieht, und der schimmernde Halbmond
195   Sinkt vor dem heil'gen Panier, das unser'n Erlöser getragen.«
Rief's, und, als er die Bande gelöst von den Händen und Füßen
Hugo's, da sprach er zu ihm, mit thränenerhelleten Augen:
»Eile zu unserm Gebiether und Herrn, dem Kaiser, und künd' ihm,
Was hier eben gescheh'n. Die eisernen Thore der Hochburg
200   Will ich verschließen vor Hairaddins Wuth, die entfesselten Sklaven
Waffnen, und harren des Wink's zum Verein mit ihm und der Heersmacht;
Aber er eile heran: denn furchtbar wäre das Säumen.«
Als er geendet, da scholl um ihn her entsetzliches Rufen,
Weinen, und Jauchzen des Volk's, daß er selber in bebenden Schauern,
205   Wonn'entseelt, hinsank, und stöhnete. Freudig enteilte
Hugo des Kerkers Nacht, dem Kaiser die Kunde zu bringen.

Liebliche Still' umfing das Lager der Christen. Entschlummert
Ruhte der Krieger im luftigen Zelt; nur rings um den Wall her
Stand die Wache, nicht scheuend für heut' den feindlichen Anfall

210   Mehr, und summte, gelehnt an's Gewehr, ein munteres Liedchen
Leis' die Stille hinaus, sich die nächtlichen Stunden zu kürzen.
Ueber die Cedern herauf, an Zafrano's entfernteren Höhen,
Schwebte der Mond, und erhellete rings den schweigenden Erdkreis.
Draußen im duftigen Meer, auf den fern entgleitenden Wellen,
215   Glomm sein düsteres Licht; erzog in dem finstern Gewässer
Hin die strahlende Bahn. Vom Schilf her säuselte Kühlung;
Summend wiegten die Mücken der Nacht sich in würzigen Lüften,
Und in das leise Getös' der fern' aufbrandenden Wogen
Mengte vom dunkelen Hain die kreischende Stimme der Laubfrosch:
220   Rings verstummte die Welt, und entschlummert ruhten die Krieger.
Aber kein Schlummer umfing die glühenden Augen des Kaisers.
Sinnend saß er vor seinem Gezelt, und blickte zuweilen
Schwermuthsvoll in die liebliche Helle des Mondes, zuweilen
Nach dem trüblichen Schimmer hinaus auf den gleitenden Wellen,
225   Hörte der Wogen Geräusch am fernen Gestade; der Mücken
Summenden Flug, und das Kreischen der grünlichen Zweigebewohner,
Und er seufzte dann laut des Herzens nagendem Kummer.

Sieh', nicht schlummert' auch Eberstein! Ihm brannten die Wunden
Noch an dem Arm, den erst, im Sturm der Veste Goletta,

230   Ein befiederter Pfeil durchfuhr. Er lag in dem Mondlicht,
Vor dem Gezelt, die Labung kühlumsäuselnder Lüftchen
Athmend. Nun horcht' er bewegt, und blickte verwundert um sich her,
Als er die Seufzer vernahm vor dem Zelteingange des Herrschers.
»Wer durchstöhnet die Nacht?« so rief er, dem einsamen Denker
235   Nahend mit zögerndem Schritt. »Er selber?« Da wich er betroffen,
Kehrete wieder, und sann: ob er dort den Einsamen störe?
Doch sein trauerndes Aug' entlockte dem Zweifler das Wort jetzt:
»Hat mich das Lüftchen getäuscht, das leis' in den Zweigen des Oehlbaums
Säuselt, Seufzenden gleich? Geußt Blässe des Todes den Mond nur
240   Dir auf die Wangen? Wie, du wachest, in Trauer versunken,
Nach dem Tage des herrlichsten Sieg's, dem Falle Goletta's?
Sprich, Erlauchter, warum denn ewig dir finstere Schwermuth
Falte die Stirn'? Enthülle dem Treuen des Herzens Geheimniß:
Haben die Sorgen des Thron's, hat unverschuldetes Herzleid
245   Sie schon frühe gezeugt, und großgezogen zum Jammer?«
Ernster wandte nach ihm die sinnenden Blicke der Kaiser;
Legte die Hand auf die Brust, und begann mit erschütternder Stimme:
»Lasest im Antlitz du die Züge des nagenden Kummers?
O, so schaue sie kenntlicher noch mir im Herzen, und schweige!
250   Früher Gram, vermengt mit den zartesten Freuden der Kindheit
Wurzelt' in dieser Brust, die dort des herrlichen Vaters
Tod, und um ihn, der Mutter im Wahnsinn endende Trauer,
Grausam zerriß. Doch winkte mir ewig der Völkerbeherrschung
Ernstes Ziel; ihm weiht' ich die fröhlichen Jahre der Jugend,
255   Schweigend, der Blödigkeit Bild, bis Valladolids Turnierbahn,Valladolids Turnierbahn. Carl V. ließ in seinem bereits vorgerückten Jünglingsalter noch wenig von dem hohen Verstande, und der Thatkraft ahnen, die ihn in der Folge als Herrscher so sehr auszeichneten, so, daß Viele, die nicht tief genug sahen, versucht waren, ihn für blödsinnig zu halten, bis er auf dem Turniere zu Valladolid (im J. 1517), durch seine Gewandtheit in allen ritterlichen Uebungen, und den Wahlspruch seines Schildes: »Nondum!« Alle in Erstaunen setzte. (Siehe Freih. von Hormayrs Oestr. Plut. 6. Heft S. 423.)
Und des Schild's hochsinniger Spruch mir glänzenden Ruhm gab.
Als ich Hispania's Zepter ergriff, durchtobten des Aufruhrs
Schrecken das herrliche Land. Von Bürgerblute besudelt,
Weckt' es Entsetzen mir an den Schranken der furchtbaren Lanfbahn;Während Carl V. nach seiner Wahl zum röm. Kaiser, und wegen entstandener Feindseligkeiten mit Frankreich, in Deutschland, in den Niederlanden und in England, von Spanien abwesend war, brach Empörung und Bürgerkrieg in allen Theilen dieses Königreichs aus. Er begann im Mai 1520 zu Toledo, wo das Haupt der Empörer, Don Juan de Padilla, Sohn des Commandanten von Castilien, war, und in den spätern Gefechten, im April des Jahrs 1521 von dem Generale der königlichen Truppen gefangen und enthauptet ward. (Robertson History of the Reign of the Emp. Charles V. II. Volume. B. 3.)
260   Aber zugleich erstand auf der dornenvollen ein Feind mir,
Unversöhnlich, den Thron des heiligen, römischen Reiches
Neidend, und glühend vor Haß, in Frankreichs stolzem Beherrscher.Franz I., König von Frankreich, bewarb sich sehr heiß um die deutsche Kaiserkrone; da aber diese seinem Nebenbuhler, Carl V, zu Theil ward, so trieb ihn, von jener Zeit an, die Rachgier unaufhörlich, diesen zu demüthigen, und ihm in seinen Unternehmungen Hindernisse in den Weg zu legen. Vereint – und Beide hatten so viele Ursache, sich gegenseitig zu achten! – hätten sie unsäglichem Jammer, der erst Deutschland, dann mehrere Länder Europas traf, wehren können. (Siehe obiges Werk, II. B.)
Hat er nicht endlos Krieg, und ach, unnennbares Elend
Rings auf unsere Völker gewälzt: zu Bundesgenossen,
265   Er, deß' Thron in dem Nachruhm prangt des Christlichsten Königs,Den Titel christlichste Majestät, führten die Könige von Frankreich bis auf die neusten Zeiten, und zwar seit Chlodwig dem G. J. 496 wo er ihm selber von dem Pabst beigelegt ward.
Mahoms Söhne gewählt,Franz I. war der erste christliche Fürst, der mit dem Erbfeind der Christenheit offenbar in ein Bündniß trat. La Forest, sein Geschäftsträger in Constantinopel, schloß (im J. 1336) solches mit Solyman II. ab, vermöge welchem dieser Neapel und Ungarn feindlich überziehen sollte. Es wurde ihm auf eine furchtbare Art Genüge geleistet. (Siehe obiges Werk, III. B.) des Kreutzes schrecklichen Erbfeind,
Den ich im seligen Jugendtraum, dereinst Europa's
Rettender Hort, zurück nach Asia's Steppen zu drängen
Hoffte? Sieh', auch jetzt, als uns viel tausender Christen
270   Schreckliche Noth nach Afrika's ferne Gestade gerufen,
Weckt er daheim mir Haß, und nährt verderbenden Aufruhr!
Deutschland – Mann, du erbebst dem Jammergeschicke der Heimath,
Fröhnt ihm sogar, verkennend mein treues und redliches Streben:
Durch den freien Verein so vielfachgesonderter Gauen
275   Endlich die heimische Macht und Würde für immer zu gründen!
Doch nun trennt sie ein Streit, das Heiligste, Höchste der Menschheit:
Gottes Wort, sich erkiesend zum strenggebiethenden Vorwand:
Jeden Verein zum Wohl noch kommender Zeiten zu fernen.Man sehe Vogts Staats-Relationen. VI. Bandes 2. Heft.
Wahr, daß Schatten das Licht umhülleten; heilig wie Gottes
280   Satzung, der Unfug dünkte dem Volk', und die Wiedergestaltung
So an dem Haupt wie den Gliedern ersehnt' auch die bessere Mehrzahl,
Die dem Heiland getreu verharrt für immer und ewig!
Doch nur von Schlacken das Gold, von der Spreu zu sondern das Fruchtkorn,
Heischte die Lieb', und es hob sich schon der Tempel der Eintracht
285   Herrlich empor: er ward zertrümmert in schrecklichem Willkühr.
Nur zerstörend wollte man bau'n. Die reitzende Neu'rung
Und der empörende Ruf unwahrgedeuteter Freiheit
Lockte das Volk – das Eigen der Kirche die Fürsten. So rang ich,
Denkend des schrecklichen Bauernkriegs,Der Bauernkrieg in Franken und Schwaben wurde durch Johann Böhme, einen Bänkelsänger im Würzburgischen, veranlaßt, wo er Freiheit und Gleichheit aller Stände predigte. Der Krieg kam dort im J. 1525 zum Ausbruch, und kostete über 50,000 Bauern das Leben. Mehr als 180 Schlösser und Burgen lagen im Schutt, und 26 Klöster waren vernichtet. – Er verpflanzte sich auch nach Sachsen und Thüringen, wo Thomas Münzer, erst Schullehrer in Aschersleben, dann Prediger in Zwickau, sich mit dem Haupte der Wiedertäufer, Klaus Storch, verband, und später zu Altstedt in Thüringen die Gemeinschaft der Güter predigte. Er kehrte nach Sachsen zurück, verband sich mit einem andern Schwärmer, Pfeiffer, und sammelte einen großen Haufen Aufrührer um sich, bis er gegen die ausgesandten sächsischen, hessischen und braunschweigischen Heerhaufen (15. Mai 1525) die Schlacht verlor, sammt seinem Anhänger, Pfeiffer, gefangen, und in Mühlhausen hingerichtet ward. (Sleidan. de statu rel. I., 5. – Fabritius de orig. Sax.) und der Gräueln der Zukunft,
290   Lang' entgegen dem Strom, dem Jammer zu wehren, vergebens!
Ha, ein Gesicht, erst jüngst in des Heiligthums Dunkel enthüllet,
Sträubte das Haar an der Scheitel mir auf! Ich zitterte, bebte:
Deutschland sah ich erwürgt nach dreißigjährigem Wuthkampf,Der dreißigjährige Krieg (von 1618 – 1649) – eine Folge der Reformation – biethet ein Schauspiel unerhörter Grausamkeiten dar. Während diesen ward Deutschland von einem Ende zum andern durch Mord und Brand verödet, und um viele Millionen Menschen ärmer gemacht. Der westfälische Friede setzte ihm zwar ein Ziel, aber was durch ihn zerstört worden, wird wohl keine Zeit mehr ersetzen. (Siehe Schillers und Westenrieders Geschichte des dreißigjährigen Krieges.)
Rauchend im Schutt die Burgen, Paläst', und Hütten, und Tempeln;
295   Heiliges frech entweiht, die Määler der Künste vernichtet,
Und verödet die Gau'n. Wo früher die goldenen Aehren
Wogten im schimmernden Abendroth; wo blöckende Heerden
Hüpften im lachenden Grün; der Mensch in seliger Unschuld
Gleichbeseligte Menschen ersah, und sich freute des Daseyns,
300   Herrschte nur Grabesstill', und im dornumwucherten Saatfeld
Bleichte das nackte Gebein weithin erschlagener Völker.
Spät erst wagte, mit schüchternem Blick, der Verscheucht' aus dem Schutte
Sich zu erheben, und sah er nun dort den Schüchternen kommen,
Dacht' er. »Weß Glaubens er sey?« und brütete Haß und Verfolgung.
305   Sieh', Jahrhunderte floh'n! Da lag auf den Fluren der Heimath
Finstres Gewölk; die röthlichen Blitz' erhellten zuweilen
Hinter der Wolkennacht, die Jammergefilde der Zukunft.
Ueber dem Rhein scholl Mordausruf: bald wirbelten endlos
Auch in die deutschen Gau'n, vernichtend, herüber des Aufruhrs
310   Flammen, und laut umher ertönte Gebrülle von Freiheit!
Gleichheit! Doch von dem Wagen des lautumjauchzeten Siegers
Klirrten die Fesseln schon entehrender, schimpflicher Knechtschaft.
Fiele der Deutsche so tief? Er beugte den kräftigen Nacken
Selber der Schmach? O dahin, ich wußt' es, unselige Trennung,
315   Führst du mein edeles Volk: dir rang ich vergeblich entgegen!Die Geschichte von beinahe zwei Jahrzehenden vor der Völkerschlacht von Leipzig liefert die unwiderlegbaren Belege zu dieser Stelle!

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