Kazimierz Przerwa-Tetmajer
Aus der Tatra
Kazimierz Przerwa-Tetmajer

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Der Almbauer

Andreas Pazdur stieg eines Abends in die Berge, wie er es oft tat, weil er gerne während der Nacht seine Wirtschaft dort oben beging.

Er hatte einen ziemlich ausgebreiteten Besitz im Dorfe Ziche, vierzehn Scheffel Acker, anderthalb Joch Wald, hielt Kühe und ein Pferd, aber das machte seine Freude nicht aus; »hej, ihn freute eine ganz andere Wirtschaft, dort, in den Bergen.«

Und das war auch nicht diese kleine Herde Schafe, welche in Malolanka weidete, nein, das waren diese Berge, dieser Fichtenwald, das Wasser und das Krummholz auf den grasbedeckten Matten.

Die Leute wunderten sich und nannten ihn »nicht ganz bei Trost«, weil er sich wenig um seinen Acker und sein Vieh kümmerte, sondern die Gedanken immer nur darauf gerichtet hatte, was in dem Wirchcicha-, oder in dem Jaworowa-Tal vorgeht?

Andreas schreitet aus, schaut in die Welt, die Nacht war hell, der Mond ging hinter der Koszysta auf, es war Vollmond. Er leuchtete über den Wald bei Zulta Turnia und fragte den Andreas:

»He, wozu kamst du so spät daher, Andresel?«

Und dieser antwortete:

– Weil ich der Almbauer bin! . . .

Er steigt die Höhe hinan und denkt an die Fünf Seen: »Hej, wie ist doch ohne mich gewirtschaftet worden, im Winter?! Ob wohl etwas Krummholz zugewachsen ist unter dem Woloschyn? . . .« Das ist sein liebster Hof. Wie duftet es, und wie glänzt es da in der Sonne . . .

Andreas streckte sich für einen Augenblick am Boden aus und schlummerte ein. Da sah er im Traum, daß rings um ihn alles, alles grün ward, wie es im Frühling geschieht, wenn die Erde sich zu freuen beginnt.

Er wachte auf, kühl strich der Morgenwind; die Nacht begann zu weichen, nur unter dem Firn des Koscielec lag noch dichtes Dunkel.

Andreas steht auf, reibt sich die Augen mit Schnee, haut Stufen zur Höhe hinan und bleibt oben stehen.

Eben brach die Dämmerung ein.

Er blickt um sich: aus dem Nebel tauchen die Bergspitzen empor, dort über die Eistalerspitze fällt der erste weiß-rosige Schimmer. Und ein Streifen Lichtes schoß hervor, wie wenn man die Krempenkante eines weißen Hutes herausstellen würde. Andreas schaut; es hebt sich dieses Licht, so ein rosiges, leichtes, stilles Wölkchen. Und die Sonne kam so herausgefahren, eigentümlich naß, feucht, wie wenn sie sich irgendwo in den Tälern mit Tau benetzt hätte, sie kam so halb herausgeflossen hinter den Kämmen und fragte:

»He, Andresel, wozu bist du so früh hergekommen?«

Und er antwortete:

– Weil ich der Almbauer bin! . . .

Dann wandte er sich gegen die Fünf Seen. Es ging ihm besser als zum Zawrat, denn an der Südseite schmolzen schon die Schneemassen; ohne Mühe stieg er rüstig bis an den Pod-Kolem-See hinab. Zugefroren!

– Nichts zu machen hier! – dachte Andreas. – Soll das Eis selber wirtschaften, wenn es so einen Dickschädel hat.

Er blickt weiter, hej! der Große See liegt schwarz zwischen den Felsen.

– Seechen! Seechen! – ruft Andreas. – Bist du es?!

Und aus dem Wasser gurgelt die Antwort:

»Ej, Almbauer! Grüß Gott! Lang' warst nicht da!«

– Wie hast du denn geschlummert unter dem Eise? – fragt Andreas. Und der See plaudert:

»Gut. Und mir hat geträumt, daß alles grün sein wird!«

– «Ej! so auch mir, – sagt Andreas; – und bist du froh, daß du den Himmel wieder schauen kannst?

»O, wie froh! Es war mir schon bang' nach ihm,« sagt der See.

Und so sprachen sie dort miteinander.

Andreas blickt um sich, es ist Tag geworden, licht am Himmel; er horcht, ein Sausen geht über das Krummholz, der Wind wurde warm.

– Es wird Schnee gefahren kommen, – denkt sich Andreas. – Und »es spielt so vom Grat«, daß es dem Andreas den Hals zuschnürte und ihm Tränen in die Augen kamen.

Er streckt die Hände aus gegen den Woloszyn und ruft:

– Hej! meine vielliebe Wirtschaft, du wunderschöne! . . .

Er schaut auf den Großen See, blickt auf den Vorderen See und staunt: Wie groß sind doch die!

Und der Siklava, der große Wasserfall, saust, braust wie ein Donner gegen das Roztoka-Tal, und die Bäche stürzen vom Woloszyn unter Tönen, wie Glockenklang.

– Wasser hab' ich genug, – sagte er.

Er nimmt ein Büschel Krummholz in die Hand und betastet es.

– Schöne Triebe. Gott wird eine gesegnete Ernte schenken, da ist nichts zu sagen, – sprach er. Ein Lüftchen wehte und blies. – Es ist auch wie Roggen gewachsen. Nur müßte man in den Tälern diesen Schnee wegräumen, aber das wird sich schon von selber machen, mit dem Frühling.

Die Bergspitzen haben sich schon ein bißchen aus dem Schnee herausgearbeitet und lachen die Sonne an, wie neu . . .

Wo er hinblickt, alles sein, hier Bäche, dort Berge, die Seen leuchten ihm, das Gras grünt, kaum kann er mit den Augen diesen seinen Besitz umfassen.

Alles dünkte ihm günstig.

– Reich bin ich, – sagte er. – Hier in den Fünf Seen, Gott sei Dank, ist es mir dieses Jahr gut gegangen.

Und dann wandte sich Andreas gegen den Miedzianeberg und die Spiglasstege. Er scheuchte die Gemsen auf – Andreas sah sie gerne – aber es wurmte ihn, daß sie vor ihm flüchtig wurden.

– Habt ihr denn heut den Teufel geschluckt! – sagte er. – Ich tu' euch doch nichts zuleide, warum fürchtet ihr mich?

Es tat ihm ordentlich weh, daß die Gemsen ihn auf seinem eigenen Besitz flohen. Wie die Hasen im Kraut – tröstet er sich.

Und über die Seen kam der Tag herauf und vergoldete die dunklen Grate der Liptauer Muren.

Eine Fülle von Licht ergoß sich über das Tal, ringsum wurde es hell, »daß es ein Wunder, eine Freude war!«

– Hej, die Gewässer flimmern zur Sonne! Sie haben warm, sie freuen sich, – denkt sich Andreas.

Wunder! Freude!

Andreas schaut, er wendet sich auf dem Fußsteige um, mit dem Rücken gegen den Miedzianeberg, gegen die Schneefelder, und blickt umher: das Wasser flimmert, verändert sich, so viele Farben spielen darin »wie im Regenbogen«, und der Wind läuft durch das Tal, spannt seine Flügel aus, schmilzt den Schnee, so daß er unter dem Krzyzne-Paß gelb wurde. Wo die Schneemassen schon geschmolzen waren, kommt das Gras hervor, das schon zu grünen beginnt, jugendlich, frühlingsmäßig, und ganze Bäche von Tauwasser sickern herab, wie Strähne aus Glas.

Solch ein jugendlicher Atem geht durch das Tal, daß dem Menschen der Geist wächst!

So wundervoll war die Wirtschaft des Andreas . . .

* * *

Und er verließ dieselbe auch nicht mehr.

An diesem Tage, abends, als der Mond noch riesig groß aufging über die Gipfel, goß er seine leuchtenden Strahlen über die zwischen den schmelzenden Schneefeldern liegenden Felsen, die sich von ihnen bereits schwarz abhoben. Und dann begann er langsam die grausig leeren Täler zu beleuchten, hier und da die Gipfel und Firne verdunkelnd, als irrte ein Licht auf Abwegen umher. Ein warmer Wind flog durch das Tal, und die Gewässer brausten, weil sie der Frost nicht mehr mit seinem Eise festhielt. Geradeso, als wäre alles lebendig geworden, als rührte es sich in den Bergen. Die erstarrte Ruhe des Winters war gewichen – die Berge fingen an zu leben . . .

Eben begann der Schimmer des Mondes an den Wänden des Miedzianeberges herab zu fließen; plötzlich fiel sein Licht auf das Haupt und die Arme des Andreas Pazdur, die aus dem Schnee hervorragten. Offenbar hatten sich Schneemassen vom Grat ober ihm losgerissen, und eine im vollen Laufe daherrollende Lawine hatte ihn verschüttet. Der Schnee war in den Riffen, zwischen denen Andreas stand, stecken geblieben, und hatte ihn nicht fortgetragen, sondern bis zu den Armen umschlungen – und so blieb er darin stehen, mit dem Gesicht gegen die Weite.

Als der Mond über ihm aufging, öffnete er die erlöschenden, irren Augen: über den Himmel zogen regenschwere Wolken, die Bäche brausten – er lauschte. Er fühlte keinen Schmerz, er fühlte nicht den Tod. Mit brechenden Augen blickte er auf die Welt.

– Hej! – hauchte er, – der Frühling kommt, alles, alles wird grün . . .

 


 


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